Jaccard: Weisse Frau mit schwarzer Stimme

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Sunneli, Mondli und die Frau
mit der schwarzen Stimme
Die beiden Kater Sünneli und Möndli spielen eine wichtige Rolle im Leben der Astrologin Christina
Jaccard (59). Astrologin? Die ist doch Sängerin, mögen Sie einwenden – und haben natürlich recht damit.
Buchautorin ist sie übrigens auch …
Text und Fotos: Andreas Krebs
Zürich, in der Nähe des Schauspielhauses. Mit dem Lift
geht es in den dritten Stock, wo Christina Jaccard seit
19 Jahren in einer loftartigen Dachwohnung lebt. «Hier
lebe ich meine eigene Welt», sagt sie und entschuldigt sich
für die leichte Unordnung. Überall allerlei Nippes. Kultgegenstände aus aller Welt. Archetypische Figuren. «Ich
liebe Märchensymbole», sagt Jaccard und präsentiert eine
fröhliche Kartenlegerin in Puppengestalt. Hinter einem
bequemen Sessel thront ein Steinadler mit offenen Schwingen. Ein Froschkönig neben einer Salzlampe. Neben der
«Power Plate» ein grosser stehender Buddha; an der Wand
eine Ikone von Jesus Christus als Schreiner, beim Piano
ein Bild Lakshmis, der hinduistischen Göttin des Glücks
und der Schönheit, Spenderin von Reichtum und geistigem Wohlbefinden, von Harmonie, Fülle und Überfluss.
Vor allem aber, sogar den Fernseher verdeckend: venezianische Masken, ausschliesslich mit dem Sonne-und-MondSujet. «Sonne und Mond symbolisieren die weibliche und
die männliche Energie. Sie sind die stärkste Symbolik des
auf der Erde herrschenden Polaritätsgesetzes», erklärt Jaccard ihre besondere Vorliebe. Diese gegensätzlichen Energien gelte es verstehen zu lernen.
Kater von Freundin übernommen
Die Namen ihrer beiden kastrierten Kater sind also kein
Zufall: Sünneli und Möndli. Eigentlich wollte Jaccard
keine Katzen, mitten in der Stadt, wo sie nicht ins Freie
können wegen der Strasse. Doch vor gut zehn Jahren habe
sie die beiden «aus Erbarmen» von einer Freundin übernommen, die zu wenig Zeit gehabt habe für die Tiere. «Sie
bedeuten mir sehr, sehr viel. Ganz alleine leben möchte
ich nicht», sagt Jaccard, die seit einiger Zeit ohne Partner
lebt. Diese bewusste Wahl habe auch mit dem Alter zu
tun, sagt sie. «Ich brauche sehr viel Zeit für mich und
meine Tätigkeiten. Ich bin ganz glücklich so. Ich sage
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nicht für immer und ewig. Aber jetzt brauche ich diese
Art von Lebensform.» Jedoch, so Jaccard, finde sie, dass
man ein Lebewesen um sich herum brauche, jemanden,
für den man zuständig sei. «Die beiden Kater beanspruchen mich ziemlich stark. Sie wollen spielen, schmusen,
fressen – es ist eine ständige Kommunikation.»
«Jeder Tag hat seine eigene Energie»
Besonders am Morgen brauche sie Zeit für sich, sagt Jaccard. «Dann pflege ich meine Seele.» Wie? «Indem ich einfach in Ruhe bin und mich auf den Tag einstimme.» Jeder
Tag habe eine andere Energie, erläutert sie. Wenn man
aufmerksam sei, könne man sich auf diese Energien einstimmen. Heute etwa Überraschungen zulassen; oder offen sein für Neues; oder sich einfach freuen auf den Tag.
«Das tönt nach Luxus», sagt Jaccard, «ist es aber nicht. Es
ist ein Versuch, mit allem bewusster umzugehen. Dass
man es nicht als selbstverständlich nimmt, dass es einem
gut geht. Dass man das, was man macht, gut macht.»
Vor Publikum Singen zum Beispiel – und dabei auf dem
Boden bleiben. Das ist eine totale Herausforderung,
sagt Jaccard. «Auf der Bühne hat man manchmal so ein
irrsinniges Machtgefühl. Da muss man immer wieder
«obenabe cho».» Jeder Auftritt sei einmalig. «Das sind
ganz spezielle Momente, die nie mehr zurückkommen.
In dieser Konstellation, mit diesem Publikum – von dem
muss man sich immer wieder trennen. Denn am nächsten Tag steht sofort wieder etwas anderes an.»
«Geschnorr» über Astrologie
Zwar können Sünneli und Möndli nicht draussen jagen.
Aber immerhin können sie auf das Dach hinaus. «Bevor
ich sie zum ersten Mal rausliess, habe ich ihnen ins Gewissen geredet», erzählt sie. «Ihr zwei seid erwachsene
Katzen. Ich vertraue euch, dass ihr aufeinander schaut
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und auch wieder hier zum Fenster reinkommt», habe sie
ihnen gesagt. Und es ging stets gut – Holz «alänge».
Holz berühren – ob’s hilft? Astrologie – ob’s stimmt?
«Das Geschnorr über die Astrologie hat mich früher aufgeregt», sagt Jaccard, die schon als Kleinkind mit dem
Sterndeuten konfrontiert worden ist. Ihre Mutter habe
sich sehr für Astrologie interessiert und Grossmutter
habe diese Geheimwissenschaft in ihrem Heiratsvermittlungsbüro angewandt. «Das war sehr revolutionär
damals», sagt Jaccard. Weil sie so «Züügs» gemacht habe,
sei die Grossmutter das schwarze Schaf der Familie gewesen. «Ich habe mir damals geschworen, einen anderen Weg zu gehen.»
Jedoch, wie so oft: Es kam anders. «Als ich in einer
schwierigen Beziehung war, habe ich angefangen, mich
intensiv mit Astrologie zu beschäftigen. Ich wollte herausfi nden, wieso bei uns beiden trotz grosser Liebe immer wieder Chaos herrschte.» Er: Widder, sehr impulsiv.
Sie Waage, harmoniebedürftig. «Aber das Sternzeichen
ist nur ein kleiner Teil in der Astrologie», stellt Jaccard
klar. Wichtig sei vor allem auch, wo man welche Planeten habe und wie diese in Zeichen mit welchen Schwerpunkten verteilt seien.
Jeder Astrologe arbeite auf seine spezielle Art, fährt Jaccard fort. «Für mich ist die Astrologie eine religiöse Sprache, mit der man den Menschen und seine Lebenssituation tiefgründig erfassen kann. Es geht darum, über die
Astrologie etwas zu spiegeln, womit der Ratsuchende
etwas anfangen kann.» Man müsse merken, was für den
Menschen im Moment wichtig sei. Dabei lasse sie sich
auch von ihrem Inneren leiten. Intuition und (Lebens-)
Erfahrung seien daher wichtiger als ein schematisches
Vorgehen. Sie selber habe vor 15 Jahren eine astrologische Ausbildung mit tiefenpsychologischen Schwerpunkten absolviert.
«Astrologie ist eine
religiöse Sprache,
mit der man den
Menschen tiefgründig
erfassen kann.»
Selbstzweifel überwinden
Ausbildung – dieses Wort war für Jaccard oft mit einengenden Assoziationen behaftet. «Alles, was in Zusammenhang mit Schule und Strenge stand, war für mich
schwierig», sagt sie. «Nur schon das Konservatorium
von innen zu riechen, dieser Geruch eines Schulhauses
war für mich verbunden mit Leistungsstress. Ich hatte
immer Schiss vor der Schule: Prüfungsangst und Angst,
nicht zu genügen.» Das hänge wohl
mit ihrem problematischen Elternhaus zusammen, vermutet sie. «Ich
war oft alleine und es fehlte mir an
Rückhalt.» Mittlerweile ist sie mit
allem versöhnt. Ein Porträt des Vaters Claude – er ist in diesem Jahr
86-jährig gestorben – hängt an der
Wand. Und ihr 2011 veröffentlichtes Buch «Die Auster – Gedichte und
Gedanken» widmete sie ihrer seit
über 30 Jahren verstorbenen Mutter
Verena. In ihrem schönen, schweren Buch sind alle möglichen Texte
versammelt, die über viele Jahre
hinweg entstanden sind: Humorvolles, Schräges, Liebesgedichte, Aphorismen, Weltanschauliches. «Diese
Seit zehn Jahren leben
die beiden Kater in der
loftartigen Dachwohnung in Zürich.
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die Selbstzweifel. «Deshalb habe ich mich lange nicht getraut, meine Talente berufl ich umzusetzen. Ich meinte,
ich könne das gar nicht.» Wenn sie traurig war, habe sie
gesungen, fährt Jaccard fort. «Das Singen ist bei mir aus
der Einsamkeit heraus erwachsen. Ich habe mich immer
wieder ins Leben hineingesungen.»
Nach London geflüchtet
Sünneli ist total
neugierig und ziemlich
forsch.
Texte reflektieren eine ganz andere Seite von mir und
meines Denkens und Fühlens», sagt Jaccard. «Mit dem
Buch konnte ich etwas ganz Tiefes von mir zeigen. Das
Buch ist auf eine gute Art sehr direkt. Ich habe grosse
Freude daran.»
Wer hätte das gedacht? Buchautorin, Astrologin und als
Sängerin ständig auf den Bühnen vor teilweise grossem
Publikum, Preisträgerin des «Swiss Jazz Award 2012» –
und früher diese Angst, nicht zu genügen. «Ich habe sogar einen Intelligenztest gemacht, weil ich das Gefühl
hatte, ich sei dumm.» Aber es lag nicht am IQ. Es waren
Mit ihrem ersten Gesangslehrer machte sie jedoch
schlechte Erfahrungen. Der ambitionierte Italiener war
streng und autoritär. «Er hat mich stark unter Druck gesetzt», erinnert sich Jaccard. «Ich musste aufhören, Gitarre zu spielen, durfte nur seine Übungen machen, nicht
alleine singen und einen Freund durfte ich auch nicht
haben. Das war mir zu viel Machtausübung.» Ausserdem
wollte der Gesangslehrer aus ihr eine Opernsängerin
machen. Dabei liebte sie doch den Folk! Spanisch, Englisch, Hebräisch, Deutsch, Französisch – «ich liebe diese
Internationalität», schwärmt Jaccard. «Als ich merkte, dass
meine Stimme anfing, sich in eine Opernrichtung zu verändern, bin ich nach London geflüchtet.»
Einen Tag nach Beendigung der KV-Lehre packte sie ihre
Gitarre und ging fort von dem Lehrer, weg vom Elternhaus, verliess den damaligen Freund, der schon Vollbesitz von ihr nehmen wollte. In London schlug sie sich als
Strassenmusikerin durch, fast zwei Jahre lang. Bis ihr die
Abgase stark zu schaffen machten. «Ich sehne mich aber
noch heute nach dieser Stadt», sagt sie.
Manchmal gibt sie der Sehnsucht nach und reist für ein
paar Tage nach London. Oft ist sie in der Schweiz auf
Tournee. Immer wieder ist Jaccard für ein paar Tage
weg von zu Hause. Dann kann sie Sünneli und Möndli
jeweils in die Obhut der Nachbarn geben, auf die sie
sich ganz und gar verlassen könne. «Sie sind immer total gut zwäg, wenn ich wieder nach Hause komme»,
sagt sie. Nur einmal nach einer längeren Reise hätten
die beiden Kater sie zwei Tage lang ignoriert.
Mannliche und weibliche Energie im Yoga
Im Yoga, das in Indien seit mehr als 3500 Jahren bekannt ist, wird die männliche
Energie durch die Form der Sonne symbolisiert (Sanskrit ha). Sie wird assoziiert
mit Wärme, Motivation, Schwung, Entschlossenheit, Aktivität und der extrovertierten, den Verstand betonenden Seite des Menschen. Die weibliche Energie
zeigt sich in Form des Mondes (Sanskrit tha) und wird assoziiert mit Kühle,
Passivität, Fantasie und der gefühlsbetonten, liebevollen und intuitiven Seite des
Menschen. Die Welt besteht zwar aus Dualismen, aber alles, was auf den ersten
Blick gegensätzlich erscheint, erweist sich aus der Sicht der Yogis (Yoga-Praktizierende) als zwei Seiten der gleichen Medaille und gehört zusammen. Deshalb
zielt Yoga darauf ab, beide Seiten – das Männliche und das Weibliche – zu vereinigen und harmonisieren.
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Promis und ihre Tiere
"Die Auster"
von Christina Jaccard
Erschienen im Selbstverlag
41.90 Franken
Buch und CDs können im Internet
auf der Seite www.voicejaccard.ch
bestellt werden.
«Katzen spüren enorm viel»
Aus dem Hobby einen Beruf gemacht
1986 wagte Jaccard den Schritt, aus ihrem grossen
Hobby, dem Singen, einen Beruf zu machen. Sie habe
mit viel Einsatz gearbeitet, damals auf dem Kulturamt
der Präsidialabteilung der Stadt Zürich, erinnert sie
sich. «Die Musik kam zu kurz. Ich merkte, dass mir
etwas Wesentliches in meinem Leben fehlte. Etwas
im Chemiehaushalt stimmte nicht mehr.» Konsequenterweise reichte sie die Kündigung ein. «Ich wollte
ein Jahr Pause machen. In diesem Jahr wurde in mir
ganz deutlich, dass es Richtung Musik gehen soll.» Als
sie dann in Budapest bei einem internationalen Wettbewerb als Sängerin den ersten Preis gewann, gab ihr
das grossen Auftrieb. 1988 lernte sie den Pianisten
Dave Ruosch kennen. Mit ihm und ihren Bands hat sie
bis heute fünf Alben veröffentlicht, zuletzt «Christmas
Heartbeat» (2010). Jaccards Stimme ist vielfältig und gut
ausgebildet. Sie singt Soul, Gospel, Jazz und Blues. Bei
letzterem erinnert ihre Stimme an die schwarzen Sängerinnen aus dem 20. Jahrhundert wie Aretha Franklin,
Etta James oder Jaccards grosse Vorbilder: Bessie Smith
und Mahalia Jackson. «Es ist die Stilrichtung, die meine
Stimme schwarz macht», erklärt Jaccard. Das habe mit
ihrer Grundstimme nichts zu tun. «Wenn ich Chansons
singe, töne ich nicht nach Bluessängerin. Das ist der
Bonus meines Talents und meiner grossen Erfahrung:
Ich kann mich in verschiedene Stilrichtungen hineinbegeben, ohne dass man das hört.»
Sünneli kommt wieder, streckt den
Kopf tief in die über den Stuhl gehängte Jacke des Fremden, scheint
regelrecht hineinkriechen zu wollen.
Dann setzt er sich, lässt sich streicheln < Möndli ist eher
und schnurrt. «Die ersten zwei Jahre phlegmatisch. «Meine
haben sie nicht geschnurrt», sagt Jac- Kater haben sich
entsprechend ihrem
card und lächelt. «Sie haben es nicht Namen entwickelt»,
gelernt, weil sie oft alleine waren. Aus- sagt Jaccard.
serdem wurden sie schon mit drei Wochen der Mutter weggenommen. Das
ist einfach zu früh.» Heute fühlen sich Sünneli und Möndli
– die früher übrigens spanische Namen trugen – sichtlich
wohl in ihrem leicht chaotischen Reich.
«Sie haben sich total entsprechend ihrem Namen entwickelt», sagt Jaccard. «Möndli ist ein Schwerblüter, etwas
phlegmatisch. Und Sünneli springt überall hoch und ist
total neugierig und forsch.»
Manchmal, so Jaccard, verstecken sie sich bis zum Gehtnicht-mehr. Letzthin habe sie sich grosse Sorgen um Möndli
gemacht. Auf dem Dach waren Reparaturarbeiten im Gange
und Möndli wie vom Erdboden verschwunden. «Ich war
schon in Tränen aufgelöst, als ich ihn endlich doch noch gefunden habe. Ganz verängstigt hatte er sich dort hinter den
Ordnern versteckt. Findet der doch nach zehn Jahren immer
noch Orte, wo ich ihn nicht finde! Ja, Möndli, mir schwätzed
um dich.» Tatsächlich schaut Möndli, der sich im Gegensatz
zu Sünneli bisher zurückgehalten hat,
Bevor er laufen
seit einer Weile interessiert zu uns. Er
konnte,b eobach te te
sei ja auch ein Neugieriger, sagt JacAndreas Krebs vor
allem Schnecken,
card. «Katzen spüren enorm viel. Wenn
Käfer und Ameisen.
ich die Absicht habe, ihnen bald Futter
Bald faszinierten
zu geben, versammeln sie sich schon
ihn auch schnellere
Tiere wie Katzen
vor dem Schälchen, bevor ich überund Hunde. Heute
haupt aufgestanden bin. Und wenn ich
ist er Journalist und schreibt vor allem Reetwas auspacke, sei es nur ein Peterli,
portagen und Porträts über Themen aus den
Bereichen Umwelt und Gesellschaft. So will
kommen sie sofort. Alles was neu ist,
er dem Leser die Wechselwirkung Menschmüssen sie immer und sofort belagern.
Natur-Mensch bewusst machen. Ausserdem
Manchmal denke ich, ja gut, ich will
schreibt Andreas Krebs Biografien.
auch mal einen Platz haben für mich.»
www.aufrad.ch
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