Das islamische und christliche Ägypten

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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
URLICH HAARMANN
Das islamische und christliche Ägypten
Originalbeitrag erschienen in:
Heinz Schamp (Hrsg.): Ägypten.
Tübingen [u.a.]: Erdmann, 1977, S. 122 – [169]
2. Das islamische und christliche Ägypten
Einleitung
Entscheidend für die heutige Gestalt Ägyptens waren Ereignisse des frühen siebten
und des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung. Auf die
Katastrophe der Jahre 616 bis 628, die Eroberung des Landes durch die Perser, folgte in einer von keinem Zeitgenossen vorauszusehenden Steigerung der Erschütterungen im Jahre 639 der Einfall der arabischen Heere. Bereits nach wenigen Jahren war
Ägypten fest in das Kalifenreich integriert und wurde im Gefolge der weit nach Westen vorstoßenden Eroberungsheere schließlich zu einer Kernprovinz des neuen islamisch-arabischen Großreiches. Von dieser Zeit an nahm die Arabisierung Ägyptens
ihren Gang. Obwohl nie die ganze Bevölkerung zum Islam bekehrt wurde, setzte sich
doch im ganzen Lande — zusammen mit der allmählichen Annahme der arabischen
Sprache durch alle Ägypter — auch die spezifisch arabisch-islamische Kultur durch.
Die zweite Zäsur, der Beginn der Neuzeit, ist durch das Eindringen Europas gekennzeichnet. 1798 landete Napoleon mit seinen Truppen in Ägypten. Er proklamierte sich als den aufgeklärten und toleranten Freund des ruhmreichen ägyptischen
Volkes und des Islams; seine Gelehrten gründeten das »Institut d'Egypte« als Stätte
europäischer Wissenschaft; mit der Hilfe mancher einheimischer, europäischem Gedankengut aufgeschlossener Notabeln des Landes richtete er eine provisorische Verwaltung ein. Zwar sollte die französische Präsenz nur drei Jahre dauern, zwar vermochte kaum ein ägyptischer Zeitgenosse die historische Tragweite ausgerechnet dieses Intermezzos voll zu ermessen — dennoch, seit 1800 und verstärkt seit dem Machtantritt Muhammad `Alis wenige Jahre darauf, geriet Ägypten, früher als andere islamische Staaten, unter den politischen, wirtschaftlich-technischen und schließlich kulturellen und ideologischen Einfluß des Westens, der in der Besetzung des Landes
durch England gipfeln sollte.
Es ist sinnvoll, die 1150 Jahre zwischen diesen beiden Markierungen, das ägyptische Mittelalter, als Einheit zu behandeln. Die verbindende Klammer ist die arabischislamische Kultur; spätestens seit dem neunten Jahrhundert, der Zeit der Massenübertritte der einheimischen christlichen Bevölkerung zum Islam, war sie die Kultur
des ganzen Landes. Aber nicht nur kulturell, sondern auch und vor allem politisch
und wirtschaftlich war Ägypten während dieses Jahrtausends ein unlöslicher zentraler
Bestandteil der islamischen Ökumene.
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DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Die Herrscher Ägyptens von 639 bis 1798 — kein einziger von ihnen war autochthoner Ägypter! — waren muslimische Herrscher, die primär islamische Politik betrieben, selbst wenn das Zentrum ihres Reiches zeitweilen in Ägypten lag. Unter den
»recht geleiteten Kalifen« (639-658), den Umayyaden (658-750) und den frühen Abbasiden (750-868 und 905-935) war Ägypten die wegen ihrer relativen inneren Stabilität und wirtschaftlichen Prosperität hochgeschätzte Kornkammer des von Medina,
Damaskus und endlich Bagdad aus regierten Reiches. Unter den türkischstämmigen
Tuluniden (868-905) und Ichschididen ( 935-969) errang das Land seine Autonomie
zurück, blieb aber im Staatsverband des Kalifats von Bagdad. Unter den ismailitischen, aus orthodoxer Sicht ketzerischen Fatimiden (969-1171), die vom Maghreb
aus das Land eroberten, rückte Ägypten zur politisch ebenbürtigen, wirtschaftlich sogar weit überlegenen Rivalin des Abbasidenkalifats auf, aber die Ambitionen fatimidischer Politik zielten unverändert auf die Ablösung, den Sturz des sunnitischen Kalifats. Ägypten war die Machtbasis, nicht mehr. Zum Vorkämpfer des Islams wurde
Ägypten unter Saladin und der von ihm begründeten kurdischen Dynastie der Ayyubiden (1171-1250) in der Auseinandersetzung mit den Kreuzfahrern, vor allem aber
als letztes Bollwerk muslimischen Widerstandes gegen die tödliche Bedrohung des Islams durch die Mongolen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Irak, das
Land des Kalifen, und Syrien, das Vorfeld Ägyptens nach Osten, waren bereits in die
Hände der Ungläubigen gefallen. Die Zweiteilung der islamischen Welt nach 1250 in
die von den Mongolen eroberten östlichen und die vor dem mongolischen Zugriff
verschont gebliebenen westlichen Lande verschaffte Ägypten unter den Mamluken
(1259-1517) die Stellung einer Großmacht. Aber auch in dieser Zeit lebte der Traum
von der Rückgewinnung des Irak weiter und blieb ein Leitsatz mamlukischer Politik.
Ein Schattenkalif wurde in Kairo inthronisiert. Das mamlukische Staatsgebiet wurde
weit nach Anatolien und Obermesopotamien hin ausgedehnt. Unter den Osmanen
schließlich, die 1517 Ägypten eroberten, verlor Ägypten seine zentrale Bedeutung
wieder und wurde zu einer wegen ihres Reichtums unentbehrlichen Provinz des neuen türkisch-islamischen Großreichs mit der Hauptstadt Istanbul.
Die arabische Eroberung
Fünf Jahre nach dem Tode des Propheten Muhammad (632) gelang es den Generä-
len des Kalifen 'Umar (634-44), sassanidische und byzantinische Heere zu schlagen
und den Arabern den Weg nach Mesopotamien und Syrien zu öffnen. Kurz vor dem
Abschluß der Eroberung Palästinas, im Dezember des Jahres 639, zog der in den syrischen Kämpfen vielfach ausgezeichnete Mekkaner Heerführer `Amr b. al-`As von
dem belagerten Caesarea in Palästina ab und rückte mit 3500, nach einer anderen
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GESCHICHTE
Überlieferung mit 4000 berittenen Truppen meist südarabischer Provenienz bei Rafah über die historische Nordostgrenze nach Ägypten vor'. Die Eroberung des Landes begann. Es ist bis zum heutigen Tage heftig umstritten, ob `Amr, ein ungewöhnlich geschickter Diplomat und, wie wir seit der Veröffentlichung des Chicagoer Papyrus Nr. 712 wissen', nicht zuletzt ein glänzender Stilist und Redner, auf eigene Initiative, ohne oder gar gegen den Willen des Kalifen `Umar handelte und ob wir ihn
als Kronzeugen für die Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit der Kommandeure
der frühen islamischen Eroberungsheere zitieren dürfen. Wie dem auch war, aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen war ein Eingreifen in Ägypten geboten: Der
byzantinische Widerstand wuchs nach den schlecht vorbereiteten und geführten ersten Kämpfen gegen die Araber, die von der offenen Westflanke, dem byzantinischen Ägypten, den Arabern drohenden Gefahren waren nicht mehr zu übersehen.
Hinzu kam der legendäre Reichtum des Landes, das `Amr als junger Mann angeblich
bei mehreren Besuchen kennengelernt hatte'.
`Amrs Truppen rückten ohne nennenswerten Widerstand ins östliche Delta vor.
Den Entscheidungskampf gegen die von Augustalis Theodorus geführten byzantinischen Truppen wagte er nach einem Raubzug ins Fayyum erst, nachdem ihm der Kalif 'Elmar unter Führung des Prophetengenossen Zubair b. al-`Awamm 8000 Mann
Verstärkung geschickt hatte; im Juli 640 errangen die Araber bei Heliopolis ('Ain
Schams) einen überlegenen Sieg. Kyros, der Patriarch von Alexandria und Chef der
Zivilverwaltung des byzantinischen Ägypten, begann Verhandlungen und war
schließlich bereit, sich den Bedingungen `Amrs zu unterwerfen. Kaiser Heraklios 1.
weigerte sich jedoch, den Vertrag zu ratifizieren, schickte Kyros in die Verbannung,
starb aber kurz darauf (641). Die nun jeder Hoffnung beraubten byzantinischen Verteidiger der Zitadelle von Babylon an der strategisch wichtigen Spitze des Nildeltas
kapitulierten. Kurze Zeit danach fiel die Bischofsstadt Nioyus, und nach einjähriger
Belagerung kapitulierte 642 schließlich die Hauptstadt des Landes, Alexandria. Vertragspartner war der wieder in Amt und Würden aufgestiegene Pragmatiker Kyros.
Er ist den Arabern als der legendäre Muqauciis bekannt, den schon der Prophet Muhammad in einem seiner Sendschreiben an die Fürsten der Welt zur Annahme des Islams aufgefordert hatte und der bis in die Neuzeit hinein im ägyptischen Volksglauben als rätselhafter Nachfahre Pharaos weiterlebte. Drei Jahre später gelang es zwar
einer byzantinischen Flotte, die Stadt Alexandria, deren Bevölkerung den Griechen
loyal geblieben war, von der See her noch einmal für kurze Zeit zurückzuerobern; die
zweite Eroberung durch 'Amr aber war endgültig.
Der byzantinische Widerstand war erstaunlich schnell zusammengebrochen. Die
Zersplitterung der Provinz in Militärbezirke und die mangelnde Kampfbereitschaft
der byzantinischen Truppen spielten eine wichtige Rolle; von größerer Bedeutung,
Ibn `Abd al-Hakam, S. 56.
Nabia Abbott, S.43-60.
Ibn 'AM al-Hakarn, S. 53-55.
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GESCHICHTE
war Fustat eine ursprünglich den arabischen Kriegern vorbehaltene, nach Stämmen
in Quartiere (chitat) aufgegliederte Heerstadt (misr). Ein militärisches Unterzentrum
wurde Charibta am Westrand des Dekas, von wo aus Einfälle der Byzantiner von Libyen her kontrolliert werden konnten. In Alexandria wurde ein Stützpunkt eingerichtet, dessen Besatzung in regelmäßigem Turnus von Fustat aus beschickt wurde, und
der dazu dienen sollte, Angriffe von der See her zu verhindern. Von Alexandria stachen zwischen 649 und 669 mehrere Marineunternehmungen der Araber gegen Rhodos, Zypern und Sizilien in See. Mit dem Vorrücken der arabischen Grenze weiter
nach Westen und namentlich mit der Gründung der Heerstadt Qairawan in Tunesien
verloren die ägyptischen Gründungen der Araber gegen Endes des siebten Jahrhunderts einen großen Teil ihrer strategischen Bedeutung.
Den arabischen Starnmeskriegern war es nach dem Gebot des Kalifen 'Umar
streng untersagt, im Lande (rif) außerhalb der arabischen Halbinsel zu siedeln, da sie
als Krieger, nicht als Bauern, der Gemeinde des Propheten am besten zu dienen in
der Lage seien. In der ersten Zeit war es nur im Frühjahr den arabischen Stämmen
gestattet, ihre Herden auf die Kleefelder der christlichen Bauern Ägyptens zu treiben,
die im Gegensatz zu allem anderen landwirtschaftlich genutzten Boden von der Steuer befreit waren'. Erst mit der wachsenden, vom Staate geförderten Einwanderung
arabischer Stämme ins Niltal brach diese rigorose Trennung von Arabern und Ägyptern zusammen; Kopten siedelten sich im Fustat an s ; Araber erwarben Grundbesitz
im Niltal und paßten sich allmählich der seßhaften einheimischen Bevölkerung an.
Die ländliche Wirtschaft und Steuerordnung des
mittelalterlichen Ägypten
In der Verwaltung und Sozialordnung Ägyptens änderte sich nach der arabischen Eroberung zunächst nur wenig. Die alten Verwaltungseinheiten blieben bestehen, wenn
auch die Zentralisierung des Landes und die Entmachtung der halbautonomen Kommunen vorangetrieben wurde. Der Zentralregierung in Medina und später — unter
den Umayyaden — in Damaskus und — unter den frühen Abbasiden — in Bagdad war
vor allem daran gelegen, das Wirtschaftsleben dieses überaus reichen Landes in Gang
zu halten. So wenig wie möglich griff sie darum in die bestehende innere Verwaltung
ein. Die Institution der koptischen Kirche wurde nicht angetastet. Bis zur Regierung
des wegen seiner konsequent islamischen Politik herausragenden Umayyadenkalifen
'Umar II. (717 - 720) wurden die Kopten auf Kosten der zur byzantinischen ReichsM. A. Shaban, S. 39.
S. D. Goitein, 1969, S. 80-96.
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DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
kirche gehörigen Melkiten sogar vielfältig protegiert. Auch danach dienten koptische
Beamte (kuttab) in der ägyptischen Verwaltung bis in die höchsten Ränge hinauf,
wenn sich ihr Einfluß von Jahrzehnt zu Jahrzehnt auch langsam verringerte.
Geld und Getreide waren die begehrten Beiträge Ägyptens zum Wohlstand des islamischen Weltreiches. Soweit wir wissen, wurde das überkommene byzantinische
Steuersystem anfangs nur in einigen wenigen Bestimmungen an die Bestimmungen
des islamischen religiösen Gesetzes (schari`a) angepaßt. Die Geschichte gerade der
ägyptischen Finanzinstitutionen im frühen Mittelalter stellt die Forschung vor kaum
lösbare Aufgaben. Es fehlen, besonders für die Zeit von ca. 720 bis 950, die Quellen;
der Inhalt der Termini wandelte sich im Laufe der Jahrzehnte; vor allem aber erweisen sich die in den Papyri und später z. T. in Urkunden nachweisbare Steuerpraxis
und die religiöse Norm, wie sie in den einschlägigen Traktaten muslimischer Juristen
namentlich des 8. und 9. Jahrhunderts beschrieben ist, nur allzu oft als unvereinbar.
Folgende grobe Konturen lassen sich erkennen: Im ersten muslimischen Jahrhundert
wurde in Ägypten, wie wir aus griechischen Papyri wissen, genau wie in byzantinischer Zeit zwischen einer Getreide-, also Naturalabgabe, und einer Geldsteuer unterschieden. Beide Steuern, unter dem Oberbegriff demosia zusammengefaßt, wurden
kollektiv von der jeweils zuständigen Zentrale veranschlagt und (z. T. durch Steuerpächter) eingehoben. Die Gemeinde haftete also für die Anteile abwesender oder
flüchtiger Steuerpflichtiger (gawali).
Der Last der Steuern suchten sich schon in byzantinischer Zeit viele zu entziehen;
diese Landflucht verstärkte sich unter den Muslimen, vor allem zu Zeiten wirtschaftlicher Not, und zwang die Verantwortlichen zum Handeln. Die Flüchtigen wurden
aufs Land zurückgeschickt, und ein strenges und aufwendiges Paßsystem wurde eingeführt. Christliche Klöster waren ein beliebtes Refugium, da — wie in vorislamischer
Zeit — Mönche steuerliche Immunität genossen. Dieses Privileg wurde später mehrfach abgeschafft und wieder eingeführt, ein sicheres Zeichen für die instabilen Steuerverhältnisse. Die staatlichen Maßnahmen zur Rückführung der flüchtigen Bauern auf
das Land — seien sie nun Schuldner des Staates oder eines privaten Gläubigers —
führten in Ägypten zur Schollenbindung des kleinen Bauern oder Pächters, ohne daß
dadurch freilich die persönliche Freiheit des Betroffenen in Frage gestellt worden
wäre; private Leibeigenschaft hat es im mittelalterlichen Ägypten nicht gegeben.
Zu der Geld- und Getreidesteuer kamen in der frühen Zeit vielfältige Sonderabgaben (extraordinaria) — z. B. die Naturalverpflegung für die ortsansässigen arabischen
Krieger — hinzu, aus denen sich später, besonders im 9. Jahrhundert, im Gefolge der
Urbanisierung Ägyptens und des Niedergangs der ländlichen Wirtschaft, unkanonische städtische Sondersteuern (hilali-Steuern; mukus) und staatliche Handelsmonopole entwickelten, auf die der Fiskus bald nicht mehr verzichten konnte.
Ein Bestandteil (neben der Grund- und der Verwaltungssteuer) der Geldsteuer
war in byzantinischer Zeit eine Kopfsteuer gewesen, die auf Handeltreibende erhoben worden war. `Amr b. al-`As erhöhte und reglementierte diese Kopfsteuer und
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GESCHICHTE
legte sie allen Nichtmuslimen auf, soweit sie zahlungsfähig waren, nicht zum Klerus
gehörten und nicht bereits eine Grundsteuer bezahlten. Der voll zahlungspflichtige
christliche Ägypter hatte nach der Norm pro Jahr zwei Golddinare zu entrichten; die
Sätze schwankten nach unten und oben. Nach den Reformen der späten Umayyaden
— nach 720 — gewann die Kopfsteuer für Nichtmuslime feste juristische Konturen.
Sie wurde endgültig unter die im Koran genannte gizya (»Abgabe an die Muslime«)
subsumiert und entwickelte sich aus einer von der jeweiligen Gemeinde zu entrichtenden Globalsteuer zu einer Personalabgabe, die als solche bis ins 19. Jahrhundert
ihre Gültigkeit behielt.
Zur selben Zeit, nach 720, wurde die islamische Bodensteuer (charag), die bei weitem wichtigste Einnahmequelle des Staates, als steuerliches Pendant zur gizya reglementiert. Das islamische Bodenrecht — dies muß vorausgeschickt werden — unterscheidet zwischen drei Kategorien von Land. Das erste sind die in der arabischen
Halbinsel gelegenen privaten Besitztümer (mulk) von Muslimen aus vorislamischer
Zeit. Das zweite sind Ländereien, die dem neuen Staat aus früheren Staatsgütern
oder aus dem Privatbesitz verschwundener Eigentümer (mawat) zugefallen waren
und von dem neuen Regime — analog zur byzantinischen Emphyteuse — zum Teil in
Parzellen (qati`a, pl. qataT) aufgeteilt und in Erbpacht an verdiente und prominente
Leute (namentlich arabische Stammesführer) als quasi—Eigentum vergeben wurden,
die damit für ihre Staatsdienste honoriert wurden. Auf beiden Kategorien von Land
lag nur die kanonische zakat, Armensteuer, die als Zehnter ('uschr) auf den Emteertrag eingehoben wurde.
Uns interessiert hier vor allem die in Ägypten vorherrschende dritte Kategorie,
nämlich der Boden, der erobert worden (fai' = immobile Beute) und deshalb nach islamischem Recht in das Eigentum der ganzen muslimischen Gemeinde übergegangen
war, aber im Gegensatz zu den zuletzt genannten qataT den alten, christlichen Besitzern gegen Entrichtung der Grundsteuer überlassen blieb. Trat ein Inhaber solchen
charag-Landes zum Islam über, so wurde ihm vor der Regierung des Kalifen `Abd al
Malik (685-705) grundsätzlich die Zahlung des charag erlassen. Mit der wachsenden
Zahl von Konvertiten, vor allem aber im Zeichen rapide steigender Staatsausgaben
und der stagnierenden Expansion des Reiches erwies sich diese Finanzpolitik als
langfristig ruinös. Nach heftigen Unruhen im Irak, aber auch in Ägypten, in deren
Verlauf flüchtige Bauern in Scharen auf das Land zurückgetrieben wurden, und den
erfolglosen Reformversuchen des um eine konsequent religiöse Lösung bedachten
'Umar II. (717-720) bildete sich schließlich eine neue, äußerst geschickte Regelung
heraus: Man unterschied von nun an zwischen dem Boden, von dem — auch wenn
sich der Besitzer zum Islam bekehren sollte — als charag-Land die der Gemeinde geschuldete Grundsteuer erhoben wurde, und dem Bauern, der zum charag hinzu als
Muslim den Zehnten, als Nichtmuslim die gizya zu entrichten hatte. Da die in Geld
zu erlegende gizya schwerer wog als der Zehnte auf Getreide und Feldfrüchte, behielt
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DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
die Konversion zum Islam auch nach der Steuerreform ihre finanzielle Anziehungskraft.
Es bietet sich an, an dieser Stelle einen Gesamtüberblick über die Steuerordnung
Ägyptens und die ländliche Wirtschaft von den frühen Abbasiden bis zur Mitte des
12. Jahrhunderts anzufügen; erst nach dieser Zeit fanden tiefgreifende Veränderungen statt.
Ägyptens Reichtum gründete auf der Landwirtschaft. Die Grundsteuer (charag)
wurde in Ägypten im allgemeinen nach einem misaha, „Vermessung", genannten
Verfahren berechnet. Dabei wurden die Steuersätze nicht nach dem jeweiligen Ernteertrag, also variabel und ad hoc, sondern nach der bebauten Fläche festgesetzt, wobei die Art der Anbaukulturen, die Fruchtbarkeit des Bodens und die Bewässerung
mitberücksichtigt wurden. Intensiv bewässertes Land war steuerlich begünstigt; die
fixen Abgaben betrugen hier nur die Hälfte der sonst üblichen Sätze. Im Gegensatz
zu den östlichen Provinzen des Reiches wurde der charag normalerweise in Naturalien eingehoben; die Naturalbesteuerung kam den Bauern zugute, die nicht zu übereilten, für sie ungünstigen Zwangsverkäufen ihrer Ernte gezwungen waren; außerdem war die Versorgung der Städte Ägyptens mit Nahrungsmitteln gewährleistet.
Das misaha-System, das Prinzip der fixen Steuersätze, erforderte die Katastrierung
des bebauten Landes, dessen Bewirtschaftungsweise vom Staat genau vorgeschrieben
wurde. Die Kosten, die mit der Vermessung der Parzellen, dem Wiegen und Abtransport der Naturalleistungen und den Reisen der Steuerbeamten verbunden waren, wurden — zum charag hinzu — auf die Steuerpflichtigen gesondert umgelegt; dem
Prüfer und Wechsler kam bei der Abwicklung dieser Geschäfte eine Schlüsselstellung
zu.
Zwei Charakteristika der mittelalterlichen ägyptischen Landwirtschaft sind besonders bemerkenswert: Die rigorose administrative Überwachung aller Bereiche der
Landwirtschaft durch den Staat, in deren Folge die juristisch definierten Unterschiede
zwischen den verschiedenen Bodenformen (Zehnt- und charag-Land) in der historischen Praxis gering blieben; ja, die Chronisten fragten sich zuweilen, ob es denn in
Ägypten überhaupt charag-Land, also (in praxi) privates Land gebe, da sich der dem
Staat geschuldete charag doch in nichts mehr von dem Zins unterscheide, den ein
Pächter seinem Grundherrn entrichten müsse. In einem eigentümlichen dialektischen Zusammenhang damit steht ein zweites Kriterium, das Ägypten vor dem islamischen Osten auszeichnet: Die islamisch-gesetzliche Ordnung wurde gewissenhafter bewahrt; die Normentreue bremste die Erosion der klassischen islamischen Steuerinstitutionen. Der Eigentumsvorbehalt des Staates, der Gemeinde des Propheten,
über das Land blieb wirksam.
Dieser Konservatismus kennzeichnet die ägyptische Bodenpolitik. Von den zur
privaten Nutzung überlassenen, zehntpflichtigen ciataT-Gütern war schon die Rede:
° Claude Cahen, S. 1089 b.
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GESCHICHTE
Der Grundbesitzer führte den relativ niedrigen Zehnten an die dafür zuständige
staatliche Instanz, den diwan ad-diyd, ab; die Pächter hingegen hatten dem Grundherrn sehr viel höhere Steuern zu bezahlen, die in ihrer Summe dem charag entsprachen, über deren wahrscheinlich äußerst konservative, byzantinische Usancen fortführende — und sicher nicht selten willkürliche — Zusammensetzung wir aber leider
so gut wie gar nichts wissen. Der Bestand an solchen qataT-Gütern ging auch in
Ägypten im Laufe des 8./9. Jahrhunderts zur Neige, zumal sich die Verwaltung des
Landes dem in den östlichen Gebieten praktizierten Brauch energisch widersetzte, so
gut wie alles Staatsland auf diese Weise unwiderbringlich zu veräußern; in Ägypten
gab es immer noch umfangreiche Staatsdomänen, die — genauso wie Straßen, Flüsse
und Kanäle mit ihrem Uferland — Eigentum des Staates blieben und direkter staatlicher Verfügung unterstanden.
Zugleich aber wuchs der Bedarf an solchen, die qatdi` ersetzenden Benefizien. Der
Verlust Zentralasiens, Ostirans und des Maghreb und ein ständig steigendes Militärbudget zwangen die abbasidische Verwaltung, eine neue Finanzquelle zur Entlohnung ihrer meist türkischen Offiziere zu erschließen. Damals entstand der Brauch, an
Stelle von Gehältern die Steuerhoheit, d. h. das charag-Aufkommen eines bestimmten, nach der Höhe des geschuldeten Gehalts (auf Grund der Festsetzungen des Hebebuchs) berechneten Gebiets an solche Militärs abzutreten (iqtd), wobei dieses Land
— entgegen seiner juristischen Natur — in Zehntland überführt wurde. Die (im Gegensatz zur qati`a) gewöhnlich kurzfristigen Inhaber dieses Bodens hoben — meist
durch Steuerpächter — weiterhin den charag ein (an der überkommenen internen
Steuerordnung änderte sich also nicht viel), führten aber nur den sehr viel niedrigeren Zehnten, meist in einer Pauschalsumme, an die Staatskasse ab. Dieses System
blieb in Ägypten bis ins ausgehende 12. Jahrhundert in Kraft. In den östlichen Provinzen hingegen, im Irak, in Persien und später auch in Syrien erwarben die Empfänger eines solchen iqta` schon ab dem 10. Jahrhundert weitreichende steuerliche
und administrative Immunität gegenüber der Regierung, entfernten sich also noch
viel weiter von der religionsgesetzlichen Norm.
Es ist auch bemerkenswert, daß in Ägypten — anders als in den übrigen Kernprovinzen des islamischen Reiches — bis in die Zeit Sultan Salaclins hinein (1169-1193)
das Gesetz genau beachtet wurde, das die Überführung landwirtschaftlich genutzten
Bodens in Stiftungsgut (wagt) untersagte.
über die Institutionen der Steuereinhebung sind wir besser informiert, wenn auch
die Angaben in den Quellen schwerlich danach zu differenzieren sind, ob von Staatsdomänen, Privatgütern (qata?), unabhängigem charag-Land oder iqtd-Land die Rede
ist. Verantwortlich für das Steueraufkommen war der Finanzgouverneur ('amil), der
in der Regel Steuerpächter in Dienst nahm, angesehene und reiche Privatleute, die
gegen eine Provision die vereinbarte Steuersumme (die später üblicherweise pauscha-
liert wurde) im voraus entrichteten. Nach Katastrophen oder zu Zwecken der Urbarmachung oder Meliorisierung minderen Bodens wurde die Steuer zuweilen reduziert
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DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
oder auf eine bestimmte Zeit ganz erlassen (ighar). Die Grundsteuer (charag) wurde
als Naturalsteuer im Rhythmus des alten koptischen Sonnenjahres eingehoben; der
Beginn des ägyptischen Steuerjahres war der koptische Monat Tut (September), die
Zeit also, in der die Nilschwelle abebbte und die Arbeit auf den Feldern begann.
Wenn wir von den charag-Gütem absehen, die vom Besitzer selbst bestellt wurden, arbeiteten Pächter auf dem Land, und zwar entweder für den Staat (auf Staatsgütern) oder für ihren privaten Grundherrn (auf qataT- und iqtd-Land). Es gab eine
Reihe halbgesetzlicher (und darum zu regem kasuistischem Schrifttum anregender)
Formen von Pachtverträgen zwischen Landbesitzern und abhängigen Bauern. In
Ägypten dominierte der »Bewässerungsvertrag« (musaqat); der Eigentümer stellte die
Bewässerungsanlagen und manchmal auch die Zugtiere zur Verfügung der Pächter
verdingte seine Arbeitskraft. Der Ernteertrag wurde zu gleichen Teilen geteilt, ein im
Vergleich zu anderen Vertragsformen günstiges Verhältnis für den Pächter.
Über die Produkte der ägyptischen Landwirtschaft im islamischen Mittelalter sind
wir nicht zuletzt aus einigen Steuerhandbüchern genau informiert. Neben Weizen,
Gerste (als Viehfutter), Bohnen (ful), Zwiebeln, Lupinenkernen (turmus) und Reis
produzierte das Land begehrte Exportgüter wie Flachs, Baumwolle, Indigo, Papyrus
und Zuckerrohr. Die Viehzucht, die in anderen Teilen der islamischen Welt ein Privileg der Nomaden war, spielte auch in der bäuerlichen Wirtschaft des Niltals eine
wichtige Rolle. Der ägyptische Bergbau lieferte einige kostbare Produkte, die im ganzen Mittelmeerraum gefragt waren: Das nubische Gold, Smaragde aus Oberägypten,
Alaun und Natron.
Die Arabisierung und Islamisierung Ägyptens —
die koptische Frage
Die Geschichte der Provinz Ägypten von 639, dem Jahr der Ankunft der Araber, bis
868, dem Jahr des Eintreffens des türkischen Gouverneurs Ahmad ibn Tulun, ist
durch zwei eng miteinander verbundene Tendenzen gekennzeichnet, die Arabisierung und Islamisierung des Landes.
Es war bereits die Rede davon, daß sich gegen Ende des 7. Jahrhunderts das Verbot der Ansiedlung von Arabern außerhalb der Heeresstädte lockerte. Der umayyadische Gouverneur `Abd al-`Aziz ibn Marwan (685-705) verlegte — wenn auch nicht
auf Dauer — seinen Sitz von Fustat einige Meilen südlich nach Heluan, löste die Garnisonen in Fustat, Charibta und Alexandria auf und verteilte sie über das ganze
Land, namentlich auf die Städte der von Byzanz noch immer bedrohten Mittelmeerküste. Die Araber begannen jetzt, sich an der Verwaltung des Landes zu beteiligen.
Etwa 30 000 bis 40 000 Stammesleute dürften um das Jahr 700 in Ägypten gesiedelt
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GESCHICHTE
haben. Zu den Naturallieferungen der ägyptischen Bevölkerung hinzu bezogen sie
seit der Statthalterschaft des `Abd al-`Aziz regulären Sold ('ata') aus der zentralen
Heereskasse. Im Jahre 727 wurden auf Geheiß des Kalifen Hischam (724-743) einige
tausend jemenitische Araber vom Stamme der Qais in den Städten und auf dem Lande angesiedelt. Bis zum Ende des 9. Jahrhunderts hielt die Einwanderung von Arabern — z. T. im Gefolge neuernannter Gouverneure — gerade auch in die ländlichen
Distrikte Ägyptens unvermindert an.
Die Arabisierung der Verwaltung machte nach 700 rasche Fortschritte. Seit der
Regierung al-Walids (705-715) und seines aus den ägyptischen Papyrusfunden bekannten Gouverneurs Qurra ibn Scharik war auch in Ägypten (mit einer gewissen
Verzögerung gegenüber den östlichen Reichsteilen) das Arabische die allein zugelassene Amtssprache geworden. Die Papyri dokumentieren das langsame Verschwinden
des Griechischen; aus dem Jahre 719 stammt die letzte griechisch-arabische Bilingue;
danach sind nur noch arabischsprachige Verwaltungstexte erhalten. Auch das Koptische wurde zurückgedrängt. Das Fehlen eines ausgeprägten, der iranischen Schu'ubiyya vergleichbaren koptischen Identitätsgefühls machte sich allenthalben bemerkbar.
Selbst der koptische Klerus sprach spätestens im 10. Jahrhundert Arabisch, und im
14. Jahrhundert war das Arabische, die Sprache der politischen, wirtschaftlichen und
kulturellen Elite, zur allgemeinen Landessprache geworden.
Die Islamisierung Ägyptens ging langsamer vonstatten und wurde nie völlig abgeschlossen. Die Zeiten der Protektion der Kopten durch die Regierung ging mit dem
Kalifat 'Umars II. (717-720) endgültig zu Ende. Der übertritt zum Islam wurde jetzt
von der Obrigkeit propagiert und gefördert. Anfangs blieb die Zahl der Konvertiten
gering der individuelle Übertritt brachte den Neophyten zwar die Befreiung von der
Kopfsteuer, aber auch und vor allem den Verlust der sozialen Bindungen in der dörflichen und kirchlichen Gemeinschaft. Die Umgebung sah solche Übertritte mit Mißbilligung, bedeuteten sie doch — jedenfalls vor der Steuerreform — stets steigende Lasten für alle diejenigen, die ihrem Glauben treu geblieben waren. Retardierend wirkte
sich bis ins 9., ja das 10. Jahrhundert hinein auch die Erkenntnis aus, daß den zum
Islam konvertierten Kopten, die sich meist in den rasch wachsenden Städten ansiedelten, die sozialen Privilegien des Muslims ab origine arabischer Abstammung versagt blieben.
Erfolgreicher war die neue Politik der muslimischen Gouverneure, die Institution
der koptischen Kirche zu schwächen. 725 wurde der erste Patriarch der rivalisierenden melkitischen Kirche in islamischer Zeit inthronisiert. Einst den Kopten übertragenes melkitisches Kirchengut gab der Staat den alten Besitzern zurück. Die Besteuerung der Klöster wurde jetzt (das St.Katharinenkloster auf dem Berg Sinai bildete
eine berühmte Ausnahme) allmählich durchgesetzt. Auch die muslimische Bevölke-
rung ließ sich von der neuen Intoleranz anstecken: übergriffe gegen Christen, vor allem Christinnen, beim Kirchgang oder in den öffentlichen Bädern, wurden unter den
ersten Abbasiden gegen Ende des 8. Jahrhunderts von den Behörden nicht mehr ge132
GESCHICHTE
im östlichen Delta und breiteten sich von dort nach Westen und Süden aus. Sie richteten sich gegen außergesetzliche Steuererhöhungen und die Praktiken der Steuerbeamten, die in einer Zeit wirtschaftlichen Niedergangs mit allen Mitteln den Ertrag
des Landes zu halten versuchten. Der erste Koptenaufstand wurde 7257726 von dem
Gouverneur al-Hurr b. Yusuf blutig niedergeschlagen'. Von 773 bis 813 scheint relative Ruhe im Lande geherrscht zu haben, dann griff die Auseinandersetzung zwischen den Söhnen des Kalifen Harun ar-Raschid, al-Amin und al-Ma'mum, auf
Ägypten über. Arabische Stämme meist südarabischer Herkunft erhoben sich im unruhigen Hauf, und die unzufriedenen koptischen Bauern schlossen sich ihnen an. Mit
brutaler Gewalt ließ der im Bruderkrieg siegreiche al-Ma'mun die Rebellion von türkischen Gardetruppen niederschlagen; der Kalif selbst kam — ein Novum in der Geschichte des islamischen Ägypten — ins Land und stationierte dort eine aus churasanischen, meist türkischen Soldaten bestehende Armee.
Die Folgen dieses letzten großen Aufstands waren für die Kopten katastrophal.
Ganze Gemeinden wurden zerstört; die Anführer wurden, soweit sie nicht getötet
worden waren, außer Landes gebracht. Bestehende Privilegien wurden aufgehoben,
Kirchengüter konfisziert; Kopten wurden zu unentgeltlichen Dienstleistungen auf
den arabischen Flotten gezwungen, nachdem sie unter den Umayyaden als Steuerund Ruderleute muslimischer Schiffe, die gegen Konstantinopel segelten, noch voll
an der Beute beteiligt worden waren. Die Steuern wurden drastisch, bis auf das
Vierfache, erhöht; der 861 von Bagdad nach Ägypten entsandte Finanzgouverneur
Ahmad ibn Mudabbir ist wegen seiner Politik rücksichtsloser Ausbeutung der Landbevölkerung unrühmlich in die Geschichte Ägyptens eingegangen. Unter diesen Umständen schien jetzt den Kopten die Flucht in die Religion der begünstigten Muslime
der einzige Ausweg aus ihrer Misere zu sein; zwischen 831 und 900 schrumpfte der
koptische Bevölkerungsanteil zusammen. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts war Unterägypten fast ganz, Oberägypten zum größten Teil muslimisch geworden. Die heutigen religionsgeographischen Verhältnisse waren im großen und ganzen hergestellt.
Erst unter dem Mamlukensultan al-Malik an-Nasir Muhammad im frühen 14. Jahrhundert kam es wieder zu schweren Verfolgungen, die noch einmal größere Volksgruppen bewogen, das Christentum aufzugeben.
Die Assimilierung der Kopten wurde durch einen zweiten, für die Geschichte des
Landes nicht minder gewichtigen Prozeß erleichtert. Die arabischen Siedler verloren
seit dem Beginn des 9. Jahrhunderts endgültig ihre sozialen und finanziellen Vorrechte. Bereits unter dem Umayyaden Hischam (724-743) waren vorübergehend die Getreidedeputate der arabischen Bevölkerung gekürzt worden. Unter al-Yazid III. (744)
wurden neubekehrte Kopten, die sich als Seeleute (maqamisa) ausgezeichnet hatten,
in die bis dahin den Arabern vorbehaltenen Soldlisten aufgenommen. Al-Ma'mun be-
al-Kindi S. 73 f.
Ira M. Lapidus 1972, S. 258.
134
schnitt die Rechte der Araber im Lande weiter und unter seinem Nachfolger alMu`tasim (833-842) wurden sie zugunsten der türkischen Prätorianer, denen mittlerweile die militärische Verteidigung des Kalifats anvertraut worden war, schließlich
ganz aus den Soldlisten gestrichen. Damit aber war die soziale und wirtschaftliche
Gleichstellung von ägyptischen Arabern und arabisierten Ägyptern (auch wenn diese
dem Christentum treu blieben) erreicht und die Basis für die Entfaltung der einheitlichen arabisch-islamischen Kultur ägyptischer Prägung geschaffen, die uns seit dem
frühen Mittelalter begegnet.
Ägypten — eine Provinz des Kalifenreichs
Die eigentliche politische Geschichte Ägyptens trat während der ersten zwei Jahrhunderte arabischer Herrschaft in den Hintergrund. Ägypten beherbergte in dieser Zeit
niemals das Machtzentrum des Imperiums. Es war eine Provinz, allerdings eine
Kernprovinz, wenigstens bis in die erste Zeit der Abbasiden hinein. Mitglieder des
regierenden Hauses wurden unter den Umayyaden und den ersten Abbasiden häufig
als Gouverneure eingesetzt. Von dem Umayyaden `Abd al-`Aziz, dem Bruder des Kalifen `Abd al-Malik und Vater 'Umars II., war schon die Rede. In die Zeit der Statthalterschaft des bedeutenden, der Abbasidenfamilie angehörigen Gouverneurs Ägyptens, al-Fadl ibn Salih, fiel 785 der Aufstand des Dihya ibn Mus'ab, der im Namen
der vertriebenen Umayyaden in Oberägypten auftrat'.
Kehren wir noch einmal kurz zu den Anfängen zurück. 'Amt ibn al-`As wurde
zum ersten Mal bereits vor der zweiten und endgültigen Eroberung Alexandrias
durch die Muslime und dann kurze Zeit nach der Kapitulation des Landes — noch
unter dem Kalifen `Umar (634-644) — seines Amtes enthoben. An seiner Statt wurde
`Abdallah b. Sa`d b. Abi Sarh zum Gouverneur ernannt; sein Ruhm liegt in dem siegreichen Feldzug gegen das christliche Reich von Nubien begründet (651/652). Er
zwang den Nubiern einen Vertrag (baqt, vgl. pactum) auf, in dem diese sich zur Tributzahlung an die Muslime verpflichteten, und in dem die historische Grenze zwischen Ägypten und dem Sudan südlich des ersten Katarakts festgelegt wurde. Erst in
der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gelang es dem Mamlukensultan Baibars, die
Grenze bis nach Dongola an den zweiten Katarakt vorzuschieben. Ein Aufstand des
Nubierfürsten 'Ali Baba, der die Tributzahlung verweigerte und mit den auf seinem
Gebiet gelegenen ergiebigen Smaragdbergwerken ein wertvolles Unterpfand in der
Hand hielt, wurde 854 von dem letzten arabischstämmigen Statthalter Ägyptens,
`Anbasa, niedergeschlagen.
° al - Kindi, S. 129.
135
GESCHICHTE
Als unter 'Umars Nachfolger, dem dritten Kalifen `Uthman (644-656), im ganzen
Reich Unruhen zwischen den Truppen und der Staatsführung ausbrachen, mußte
`Abdallah b. Sa`d b. Abi Sarh Ägypten verlassen. Die Mörder `Uthmans kamen aus
Ägypten nach Medina. Nach dem kurzen Kalifat 'Alis (656-661) wurde Ägypten unter dem wieder als Gouverneur eingesetzten `Amr b. al-'As zu einer loyalen Provinz
des Umayyadenreichs, unterbrochen nur von dem zweijährigen Gegenkalifat des
`Abdallah b. az-Zubair im Jahre 683/684. Der letzte Umayyade, der tüchtige Marwan II., flüchtete sich vor seinen abbasidischen Verfolgern nach Ägypten und wurde
bei Abusir südlich von Gize schließlich ermordet.
Die Abbasiden gründeten im Jahre 762 ihre Hauptstadt Bagdad in Mesopotarnien.
Ägypten rückte nun an die Peripherie und entglitt langsam der direkten Kontrolle
der Zentralregierung. In raschem Wechsel folgte ein Gouverneur und ein Finanzdirektor dem anderen. Das für die Geschichte des Landes wichtigste Intervall in dieser
Zeit war das Kalifat al-Ma'muns (813-833), der seinen kampferprobten Oberbefehlshaber, den Churasaner `Abdallah b. Tahir, zum Gouverneur des zerrissenen Landes
ernannte. `Abdallah blieb anderthalb Jahre in Fustat, denn kehrte er in den Irak zurück. Damals wurde eine für die Zukunft Ägyptens bedeutungsvolle Neuerung eingeführt: Der Kalif al-Ma'mun verlieh Ibn Tahir, der in Iran weiterkämpfte, die Staatseinnahmen Ägyptens als Benefizium für seine Dienste und den Unterhalt eines Heeres; Ibn Tahir ernannte einen ihm untergebenen Mann, einen gewissen `Isa b. Yazid
al-Guludi, zum Gouverneur des Landes, der in seinem, nicht al-Ma'muns, Namen regierte. Diese Praxis der mittelbaren Verwaltung Ägyptens sollte sich — von kurzen
Intervallen der Direktverwaltung alten Stils abgesehen — schließlich einbürgern. Türken verwalteten das Land im Namen türkischer Herren, die am Kalifenhof in Bagdad
residierten.
Tuluniden und Ichschididen
Im Jahre 868 kam Ahmad b.Tulun (bekannter unter der Schreibweise Ibn Tulun) im
Namen seines mit Ägypten belehnten Stiefvaters Bayakbak — beide waren transoxanische Türken — als Statthalter an den Nil. Ihm gelang es in kurzer Zeit, seine anfangs
streng begrenzten Vollmachten auszudehnen. Er entmachtete den Finanzdirektor,
den berüchtigten Ibn al-Mudabbir, und den Verantwortlichen für den band, das
Post- und Nachrichtenwesen. Das sorgsam gespannte Netz wechselseitiger Kontrolle
der maßgeblichen Provinzbeamten war damit zerstört. Ibn Tulun, der ab 873 de jure
in Stellvertretung des unmündigen Kalifensohnes Ga`far al-Mufawwad Ägypten regierte, sicherte sich die Finanzhoheit des Landes und reduzierte die Abgaben an die
136
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Zentralregierung. Nunmehr an der Prosperität des Landes persönlich interessiert, bemühte sich Ibn Tulun mit Erfolg um eine Sanierung der ägyptischen Finanzen.
Durch eine umsichtige Agrarpolitik, vor allem den Verzicht auf Zwangsmaßnahmen
und die Ermutigung der Bauern zum Bau von Bewässerungsanlagen und zur Erweiterung
der bebauten Fläche, stieg der Steuerertrag aus dem charag von 800 000 Dinar
unter Ibn al-Mudabbir in wenigen Jahren auf kaum glaubliche 4 300 000 Dinar.
Bericht über Metnphis in islamischer Zeit
GESCHICHTE
Preise und Steuersätze blieben niedrig. Summen, die zuvor in die Reichskasse nach
Bagdad abgeflossen waren, konnten jetzt im Lande selbst investiert werden. Luxusindustrien wurden ins Leben gerufen, die zusätzliche Einkünfte abwarfen. Die Verwaltung wurde reorganisiert und konsequent überwacht; die Nomaden Ägyptens wurden strenger staatlicher Kontrolle unterworfen.
Mit den reichen Steuermitteln baute Ibn Tulun eine schlagkräftige und disziplinierte Sklavenarmee auf, die sich nicht nur aus Türken, sondern aus Griechen, Nubiern
und Negern zusammensetzte und regelmäßig besoldet wurde. Als der Regent der östlichen Hälfte des Kalifenreiches und Onkel des genannten al-Mufawwad, al-Muwaffaq, versuchte, Ibn Tulun abzusetzen, mit dessen finanziellem Beitrag zu dem Kampf
gegen die aufständischen Negersklaven in den südmesopotamischen Sümpfen und gegen die Saffariden in Persien (beides Kriegsschauplätze vor den Toren Bagdads!) er
nicht zufrieden war, kam es zur Konfrontation. Die Armee Ibn Tuluns behauptete
sich ohne einen Schwertstreich und besetzte Syrien. Als Zeichen fürstlicher Macht
ließ Ibn Tulun nördlich der Hauptstadt Fustat eine befestigte neue Hauptstadt, alQataT, erbauen, in deren Mitte die auch heute noch sichtbare, nach Ibn Tulun benannte gewaltige Heeresmoschee errichtet wurde.
Als 884 mitten in einer zweiten Auseinandersetzung mit Bagdad Ibn Tulun starb,
marschierten sofort die Truppen des Kalifen in Syrien ein. Der Tulunidenstaat brach
aber nicht, wie in Bagdad erwartet worden war, nach dem Tod des Gründers zusammen. In einem politisch wie juristisch bedeutsamen Akt trat Ibn Tuluns Sohn Chumarawaih, getragen vom Willen der Bevölkerung, die Nachfolge an. Das Prinzip erblicher Macht hatte sich durchgesetzt. Chumarawaih widersetzte sich erfolgreich dem
von der Bagdader Regierung entsandten »rechtmäßigen« Gouverneur, eroberte Palästina und Syrien zurück und dehnte die Grenzen seines nunmehr vom Kalifen auf
dreißig Jahre als erblich anerkannten Territoriums bis zum Taurusgebirge und an den
Euphrat aus.
Die allgemeine politische Konstellation hatte die erfolgreiche Staatsgründung Ibn
Tuluns ermöglicht. Im 9. Jahrhundert bildeten sich überall im Kalifenreich Separatstaaten heraus. Der Maghreb und Spanien lösten sich völlig von Bagdad; in Persien
und Transoxanien entstanden autonome iranische Fürstentümer, an deren Höfen die
Renaissance persischer Sprache und Literatur gefördert wurde. Ägypten erlebte unter
den fremdländischen Tulunidenherrschern keine vergleichbare »nationale« Wiedergeburt. In Kunst und Architektur wurde das Land nach dem Willen seiner türkischen
Herren zu einer Kulturprovinz des Ostens; die Bauten von Bagdad und Samarra, der
neuen abbasidischen Hauptstadt im Irak, standen Pate beim Aufbau der neuen Metropole. Persische Beamte und Gelehrte wirkten im Lande, Carl Heinrich Becker
spricht geradezu von der »arabisch-persischen Phase« in der Geschichte des islamischen Ägypten'. Die arabisch-islamische Kultur Ägyptens war längst irreversibel ge1° C. H. Becker S. 8 b.
138
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
worden. Dennoch lebte in einem sehr viel größeren Ausmaß als bisher angenommen
wurde, die literarische und historische Tradition des vorislamischen koptischen, ja
selbst des pharaonischen Ägypten in dieser Zeit weiter, wenn sie auch durch die
Gnosis bis zur Unkenntlichkeit verfremdet war.
Der Tulunidenstaat leitete die eigene Geschichte des islamischen Ägypten ein;
zum ersten Mal seit 639 wurde Politik nach den Interessen des Landes betrieben.
Das Land gedieh; die wirtschaftliche Blüte ging einher mit der Anerkennung der
neuen Herren durch die Bevölkerung. Dennoch blieb auch jetzt Ägypten ein integraler Bestandteil der islamischen Ökumene mit dem Zentrum Bagdad. Man focht die
Oberhoheit des Abbasidenkalifen nicht an, wie es hundert Jahre später die schiitischen Fatimiden tun sollten.
Nach Chumarawaihs Ermordung im Jahr 896 löste sich der Tulunidenstaat wieder
auf. Den machtlosen jungen Prinzen entglitten die Zügel der Herrschaft, der von Ibn
Tulun hinterlassene Wohlstand des Landes wurde verschleudert, die außerägyptischen Provinzen gingen verloren, und 905 zogen wieder die Truppen des Kalifen in
Fustat ein.
Nach dem Einmarsch der Armee und der Ernennung regierungstreuer Gouverneure änderte sich nicht viel. Chaos und wirtschaftlicher Niedergang setzten sich
fort; hinzu kamen Angriffe der Byzantiner gegen das geschwächte Land.
935 kam ein neuer starker Mann als Gouverneur ins Land, Muhammad b. Tughg,
der unter seinem sogdisch-zentralasiatischen Ehrennamen als der Ichschid bekannt
ist. Zu einer Zeit, als die Fatimiden bereits von Westen her Ägypten bedrohten, als
sich in Syrien neue, beduinische Teilfürstentümer zu bilden begannen, konnte ein
starkes System in Ägypten — ganz anders als unter den Tuluniden — mit der Unterstützung der Kalifen rechnen. Die Beziehungen zwischen Muhammad b. Tughg und
dem Kalifen waren von Anbeginn freundschaftlich. Auch im Inneren erwies sich der
neue Herr des Landes als glänzender Diplomat. Den mächtigen Finanzdirektor aus
der Bankiersfamilie Madhara'i verjagte er nicht, wie es Ibn Tulun mit Ibn al-Mudabbir getan hatte, sondern er übertrug ihm die Verwaltung der Steuern und die Leitung
des wirtschaftlichen Wiederaufbaus. Der Wohlstand der ersten Tuluniden kehrte zurück, sichtbar nicht zuletzt — wie in den Tagen Ibn Tuluns — an der Ausgabe neuer
Goldmünzen, die neben dem Namen des Souveräns, des Kalifen, den des Gouverneurs von Ägypten trugen.
In der Außenpolitik legten sich Muhammad b. Tughg und seine Nachfolger Ungur
und 'Ah, vor allem aber deren Tutor (ustadh) und Nachfolger, der schwarze Eunuch
Abu 1-Misk Kafur (st. 968), Mäßigung auf, der vielleicht größte arabische Dichter
des Mittelalters, al-Mutanabbi, hat Kafur in panegyrischen und satirischen Gedichten
unsterblich gemacht. Nordsyrien verblieb im Besitz der neuen arabischen Lokaldynastie der Hamdaniden, denen der Schutz der Militärgrenze zu den gefährlichen Byzan-
tinern oblag. Aber die heiligen Städte des Higaz, Mekka und Medina, unterstellten
sich ichschididischer Hoheit. Das Heer der Ichschididen war schwächer als das tulu139
GESCHICHTE
nidische; statt dessen begann der Aufbau einer ägyptischen Flotte. Waren Ibn Tulun
und Chumarawaih Mäzene gewesen, die einen aufwendigen Hofstaat unterhielten
und eine Reihe von Poeten um sich versammelten, so blieben der Ichschid und Kafur einer maßvollen und sparsamen Wirtschaftspolitik treu. Unter den Ichschididen
gewannen Christen und Juden einen Teil des Einflusses zurück, den sie unter den
strenggläubigen Tuluniden verloren hatten. Zeitgenossen, die das ichschidiclische
Ägypten beschreiben, sind der Historiker und Jurist al-Kindi und der Polyhistor alMas`udi, der vom Ichschiden empfangen wurde und uns die wertvollen Berichte über
das altägyptische Sagengut in frühislamischer Zeit hinterlassen hat.
Das religiöse Leben der Muslime und Christen im
vorfatimidischen Ägypten
In den ersten drei Jahrhunderten nach 639 lag nicht nur das politische, sondern auch
das geistige Leben der ägyptischen Muslime im Schatten der Zentren des Ostens.
Nur wenige Namen sind uns überliefert, deren kulturelle Leistung als spezifisch
ägyptisch-islamisch bezeichnet werden kann. Zu rege und eng war der Austausch von
Menschen und Lehren in der islamischen Welt, als daß sich in dieser frühen Zeit bereits ausgeprägte Kulturprovinzen herausgebildet hätten. In den ägyptischen Papyri
sind uns theologische, wissenschaftliche, aber auch literarische Zeugnisse des frühen
Islams erhalten; einer der wichtigsten Traditionarier des frühen zweiten islamischen
Jahrhunderts war der Ägypter Ibn Lahi`a (st. 790).
Eine bedeutende Rolle spielten Ägypten und Ägypter bei der Ausformung der orthodoxen (= sunnitischen) Rechtsschulen des Islams. Die Schule Ibn Maliks faßte in
Oberägypten Fuß, von wo aus sie ihren Siegeszug in Nord- und Westafrika antrat.
Bedeutender war das Auftreten asch-Schafi`is (767-820) in Ägypten, des Begründers
der nach ihm benannten Rechtsschule; auf ihn geht die theoretische Rechtsbetrachtung im Islam zurück; er verhalf dem hadith, der Überlieferung vom Praez.edens des
Propheten Muhammad, als zentraler materieller Rechtsquelle zum Durchbruch. AschSchafi`i ließ sich im Alter, bereits hochverehrt, in Ägypten nieder, seine Lehre hatte
bis zur Ankunft der Osmanen, die einer dritten, der hanafitischen Rechtsschule folgten, in Unterägypten unumstrittene Geltung.
Auch die islamische Mystik (tasawwuf) breitete sich vom 9. Jahrhundert ab in
Ägypten aus; genannt sei der legendenumwobene Dhu n-Nun al-Misri (ca. 796-861),
der die Gnosis (ma`rifa) im mystischen System verankert haben soll. Im späten Mittelalter verband sich in Ägypten in ungewöhnlicher Weise die volkstümliche Mystik
eng mit dem gelehrten religiösen Recht, der schari`a.
140
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Auch das bedrängte ägyptische Christentum brachte in diesen drei Jahrhunderten
noch immer bedeutende kulturelle Leistungen hervor. Der melkitische Patriarch Eutychios (Sa`d b. Batriq) (877-940) verfaßte seine Annalen nach byzantinischen Vorbildern bereits in arabischer Sprache. In den koptischen Klöstern, vor allem in der
nitrischen Wüste, blühte die Polemik gegen die melkitische Orthodoxie, aber auch
ein reiches hagiographisch-homiletisches Schrifttum; um 900 entstand die sogenannte
Apokalypse des Mönches Samuel aus dem Kloster Qalamun. Noch im 10. Jahrhundert wurden koptische Volksdichtungen aufgezeichnet. Im 13. Jahrhundert war das
Koptische praktisch ausgestorben; selbst in Oberägypten, dem koptischen Rückzugsgebiet, bedurften die Gläubigen arabisch geschriebener koptischer Grammatiken, um
die kirchlichen Texte verstehen zu können.
Die fatimidische Theokratie
Der Tod Kafurs (969) gab den an der Westgrenze Ägyptens stationierten Fatimiden,
die sich bereits der Cyrenaica bemächtigt hatten, das Signal zum Eingreifen in Ägypten. Die Fatimiden waren nichtorthodoxe Schüten, und zwar — wie auch die am persischen Golf und auf Bahrain wirkenden Qarmaten — Ismailiten. Als solche hatten sie
(im Gegensatz zu den quietistischen Zwölferschiiten, zu deren Doktrin sich das moderne Iran bekennt) den aktiven, persönlichen Glaubenskrieg gegen die bestehenden
— aus ihrer Sicht unrechtmäßigen — Herrschaftsverhältnisse auf ihre Fahnen geschrieben, namentlich gegen die abbasidischen »Usurpatoren« des Kalifats. Ihnen selbst,
den durch göttliche Gnade aus der Familie des Propheten ausgewählten Imamen, gebühre allein die Leitung der islamischen Gemeinde. Der Begründer der Dynastie,
`Ubaidallah al-Mandi, führte seine Abstammung, vielleicht um sich von den Abbasiden abzugrenzen, auf Fatima zurück, die Tochter des Propheten und Gattin `Alis, des
von allen Schiiten als alleiniger rechtmäßiger Nachfolger Muharnmads angesehenen vierten
Kalifen. baidallah entsandte um 900 seinen Emissär nach dem Westen, und
es gelang ihm in kurzer Zeit, bei den Berbern des heutigen Algerien und Tunesien
ein ismailitisches Reich zu begründen. Die drei ersten Fatimidenkalifen regierten
noch von al-Mandiyya in Tunesien aus, unter dem vierten, al-Mulizz, schließlich gelang 969 nach drei vergeblichen Versuchen die Eroberung Ägyptens. Der Fatimidenstaat reichte jetzt in die Herzlande des Islams hinein und war der gefährliche Rivale
des Abbasidenkalifats von Bagdad geworden.
über die religiöse und politische Doktrin der Fatimiden wissen wir noch immer
nicht sehr viel. Es fehlt heute im allgemeinen der Zugang zum Verständnis rigoros
theokratischer Staatsgebilde, auch sind ursprüngliche, nicht durch sunnitische Retouchen verfremdete ismailitische theologische Texte nur in kleiner Zahl der Vernich141
GESCHICHTE
tung durch Saladin und seine Anhänger nach dem Sturz der Fatimiden 1171 entgangen. über die Ereignisse der zweihundert Jahre von 969 bis 1171 sind wir darum
nur lückenhaft und einseitig informiert.
Der Freigelassene Gauhar as-Saglabi (»der Slawe«) schlug im Juni 969 die schwachen ichschididischen Truppen bei Gize und marschierte in Fustat ein. Eine Woche
darauf gab er den Befehl zur Gründung einer neuen Stadt, drei Kilometer nördlich
von Fustat Kairo, al-Qahira. Ein paar Monate später legte Gauhar den Grundstein
zur al-Azhar Moschee, wahrscheinlich Fatima az-Zahra', der Namenspatronin der Dynastie zu Ehren. Hier wurden die Missionare und Propagandisten theologisch geschult, die das ismailitische Bekenntnis und den politischen Einfluß der neuen Herren des Landes systematisch über die ganze islamische Welt verbreiten sollten. An ihrer Spitze stand der da`i ad-du'at, der »Oberpropagandist«. Vier Jahre später verlegte
der Kalif al-Mu'izz seine Residenz von al-Mandiyya in die neue Stadt.
Kairo war in den ersten fünfzig Jahren fatimidischer Macht eine glanzvolle Metropole, die Bagdad überstrahlte, einen prunkvollen Hof beherbergte und dem Wirtschaftsleben des ganzen Landes wichtige Impulse gab. Der fatimidische Kalif war
kraft seines religiösen Charisma unumschränkter Monarch. Die von den Ichschididen
übernommene Staatsverwaltung wurde von al-Mu'izz' Staatsminister Ya`gub ibn Killis, einem gebürtigen Juden, reorganisiert und zu einer effizienten Bürokratie weiter
ausgebaut. Die Steuerpacht wurde abgeschafft; die Einkünfte und der Reichtum des
Landes vermehrten sich, nicht zuletzt durch den ertragreichen internationalen Handel, über den später noch zu sprechen sein wird. In diesen Jahren erlebte Ägypten,
auch in den Augen zeitgenössischer (und moderner) sunnitischer Kritiker der Fatimiden, den glanzvollen Höhepunkt seiner mittelalterlichen Geschichte. Kairo war ein
Zentrum der Kultur und der Gelehrsamkeit. Hier wirkten unter vielen anderen der
ismailitische Theologe und Jurist Qadi Nu`man (st. 974), dessen Schriften vor kurzem
zum Teil wiederentdeckt wurden, und der persische Beamte und Staatsmann alMu'ayyad Schirazi (st. 1077), dessen diplomatisches Geschick die fatimidische Position in Syrien festigte. Der erste Grammatiker des arabischen Ägypten von Format,
der sk urile Sufi Ibn Babaschadh (st. 1077) war fatimidischer Kanzleibeamter.
Die expansive Außenpolitik der Fatimiden war vor allem nach Osten gerichtet.
Bagdad war das Ziel fatimidischer Ambitionen; Syrien der unentbehrliche Glacis. Die
Syrienpolitik war indessen nicht sehr erfolgreich. Aleppo, Damaskus und später auch
der Süden des Landes gingen — nach 1055 — an die orthodoxen Seldschuken und —
nach 1097 — teilweise an die Kreuzfahrer verloren, die 1099 die Fatimiden aus Jerusalem vertrieben und ihnen nach langem Ringen 1153 auch den wichtigen Hafen
'Asgalan im äußersten Süden Palästinas wegnahmen. Ein ephemerer Erfolg imperialer fatimidischer Politik und religiöser Propaganda war das Intermezzo des türkischen
Generals Basasiri, der ein Jahr lang in Bagdad (1057-59) den Fatimidenkalifen alMustansir als Souverän proklamierte. Erfolgreicher war die fatimidische Politik im
Roten Meer; der Jemen und die heiligen Stätten des Higaz gerieten unter ihren Ein142
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
fluß — letzteres ein besonders wichtiger Prestigegewinn für das theokratische Fatimidenregime. Nordafrika wurde Gouverneuren aus dem Hause der Ziriden überantwortet; als sich diese in der Mitte des 11. Jahrhunderts von den Fatimiden ab- und den
Abbasiden zuwandten, lenkte die Kairoer Regierung die unruhigen Nomadenstämme
der Banu Hilal und Banu Sulaim vom Niltal nach dem Maghreb ab, wo sie nicht wiedergutzumachende Verheerungen anrichteten.
Die Herrschaft des exzentrischen Kalifen al-Hakim (996-1021) markiert die Peripetie fatimidischer Macht. Endzeitliche Vorstellungen, die um das Jahr 400 der Higra
verbreitet waren, und ein ausgeprägtes moralisches Sendungsbewußtsein mögen für
den religiösen Rigorismus dieses Mannes verantwortlich sein, der unter Androhung
der Todesstrafe die gewissenhafte Erfüllung der rituellen Gebote von seinen Untertanen erzwang und die unter den Fatimiden im allgemeinen (auf Kosten der Sunniten)
begünstigten Juden und Christen grausam verfolgen ließ. Er, der Neffe des melkitischen Patriarchen von Jerusalem und Alexandria, ließ die Grabeskirche in Jerusalem
zerstören und lieferte damit der späteren Kretazugspropaganda ein wichtiges Motiv.
Das Ende al-Hakims liegt im Dunkeln; die Dnisen sehen in ihm die göttliche Vernunft verkörpert, die höchste Inkarnation Gottes außerhalb seines unaussprechlichen
Wesens.
Nach 1020 begann der politische und wirtschaftliche Niedergang des fatimidischen
Ägypten. Das Militär übernahm die faktische Macht im Staate. Die Armee setzte sich
aus einer berberischen Kerntruppe und türkischen, europäischen, dailamitischen und
— später — sudanesisch-nubischen Heersklaven (Mamluken) zusammen, die sich heftig
befehdeten und die militärische Schlagkraft minderten. Der Autoritätsverlust der Zivilverwaltung, vor allem des Wesirats als höchster Instanz, ging Hand in Hand mit
entsetzlichen Hungersnöten. 1054/55 mußte gar der byzantinische Kaiser um Getreidehilfslieferungen ersucht werden. Syrien, der Westen und schließlich auch der Higaz
gingen den Fatimiden verloren. Zuletzt brachen blutige Unruhen in der Armee aus.
Die Kluft zwischen dem universalen politischen und religiösen Anspruch des Fatimidenkalifen und seiner wirklichen Macht öffnete sich immer weiter. Außerhalb des
Hofes und der theokratischen Organisation hatte die Ismailiyya — von gewissen Gegenden in Oberägypten um Quft und Assuan abgesehen — in Ägypten nie richtig
Fuß fassen können. Als 1171 der letzte Fatimide, al-`Adici, starb und nach altem
Brauch wieder dem Abbasidenkalifen von Bagdad gehuldigt wurde, regte sich im
ganzen Land kein Widerstand, jedenfalls keiner, der religiös motiviert gewesen
wäre.
Die Ernennung des Gouverneurs von `Akka, des armenischen Konvertiten Badr
al-Gamali, in Personalunion zum Militärgouverneur, zum Direktor der religiösen
Propagandazentrale und zum Wesir des Reiches führte im Jahre 1073 zu einer Konsolidierung der chaotischen innenpolitischen und auch der wirtschaftlichen Verhältnisse und vermochte die Erosion des Fatimidenstaates zu verlangsamen. Die Staatsidee war aber bereits unwiederbringlich preisgegeben worden — Badr war nicht ein143
GESCHICHTE
mal selbst Ismailit! In seinen Händen aber war die reale Macht vereint; der Kalif war
sein Gefangener. Die Säkularisierung des Fatimidenregimes kam zum Abschluß, als
Badrs Sohn und Nachfolger, al-Afdal, 1094/95 nach dem Tode des Kalifen al-Mustansir gegen den legitimistischen Kandidaten der ismailitischen Würdenträger, Nizar, die Thronfolge seines Protdgel, des Prinzen al-Mustali, erzwang und damit das
Signal zur Abspaltung der östlichen (syrischen und persischen) Ismailiyya von der offiziellen fatimiclischen missionarischen Organisation (da`wa) in Kairo gab.
Saladin und die Ayyubiden
Im zwölften Jahrhundert verlagerte sich der politische Schwerpunkt des östlichen
Mittelmeerraumes für kurze Zeit nach Syrien. Während die fatimidische Wirtschaft
schwere, in der Forschung heftig diskutierte Rückschläge erlitt — maßgeblich bedingt
durch den Verlust des rohstoffreichen Maghreb — und sich die politische Führung
Ägyptens, die Wesire bzw. Generalissimi, in unaufhörlichen, von den Intrigen der
schwachen Fatimidenkalifen geschürten Machtkämpfen paralysierte, griff Nur adDin, der Herrscher des seit dem zweiten Kreuzzug (1145-49) wieder geeinten Syrien in Ägypten ein: Erfüllt von dem Geist der wiederbelebten kämpferischen Orthodoxie und des Heiligen Krieges gegen die christlichen Eindringlinge in Palästina
und im heiligen Jerusalem allzumal, schickte Nur ad-Din seinen kurdischen Gefolgsmann Schirkuh auf einen Hilferuf des Fatimidenwesirs Schawar hin mit einem syrischen Heer in das von den Franken bedrohte Ägypten; mehrfach fiel König Alarich
von Jerusalem zwischen 1161 und 1169, z. T. auf Drängen des fatimidischen Wesirs,
in Ägypten ein, belagerte 1168 Kairo und steckte Fustat in Brand. Schließlich wurde
Schawar ermordet und Schirkuh selbst zum Wesir Ägyptens ernannt — im Namen
des Fatimiden und seines eigenen L,ehensherrn Nur ad-Din.
Als Schirkuh 1168 starb, übernahm sein Neffe Saladin (Salah ad-Din) das fatimidische Wesirat. 1171 legalisierte er die neuen Machtverhältnisse. Anstelle des dahinsiechenden Fatimiden al-`Adid ließ er den Namen des Abbasidenkalifen im Kanzelgebet
nennen; das einst so glanzvolle, wegen seiner Staatslehre für unsere modernen Begriffe so mysteriöse Fatimidenreich war damit auch dem Namen nach untergegangen.
Erhebungen loyalistischer Truppen wurden trotz tatkräftiger Unterstützung durch
Byzanz und die Kreuzfahrer niedergeschlagen.
Ägypten kehrte wieder zur Sunna zurück. Die im seldschukischen Irak neugeschaffenen, von dem zelotischen Nur ad-Din in Syrien verbreiteten Institutionen der orthodoxen Renaissance, namentlich die sunnitische Moscheehochschule, die madrasa,
wurden in Ägypten eingeführt, ursprünglich nur für die schafiitische, später für alle
vier orthodoxen Rechtsschulen. Die Azhar-Moschee wurde (und blieb es bis in unse144
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
re Zeit) in eine prominente Pflegestätte orthodoxer islamischer Theologie und
Rechtsgelehrsamkeit umgewandelt. Das Schisma war überwunden, wenn das schiitisch-fatimidische Intermezzo in der Volksreligiosität Ägyptens auch heute noch
schwach nachhallt, z. B. in der besonderen Verehrung des Prophetenenkels Husain.
Der Abbasidenkalif an-Nasir (1180-1225), der sich gerade in diesen Jahrzehnten erfolgreich um die Rückgewinnung seiner Souveränität von seinen türkischen Protek-
Ein Bericht über die Pyramiden von Gize (mit einer Skizze) aus einer Handschr0 von Abu Hamid
al-Garnatis, Tuhfat al-albab.
145
GESCHICHTE
toren bemühte, gewann — ohne eigenes Zutun — durch Saladins Handstreich zusätzliches politisches Ansehen.
Im Jahre 1174 starb Nur ad-Din, Saladins Souverän. Um die politische, moralische
und vor allem die strategische Einheitsfront im »Heiligen Krieg« (gihad) der Muslime
gegen die christlichen Ungläubigen in Palästina nicht zu gefährden (z. T gewiß auch
aus persönlichem Machtstreben) schaltete Saladin die schwachen Erben Nur ad-Dins
in Syrien in langwierigen politischen und z. T. auch militärischen Auseinandersetzungen aus und usurpierte die Macht im jetzt wieder geeinten syrisch-ägyptischen Reich.
Die Zitadelle von Kairo wurde zu einem mächtigen Bollwerk ausgebaut. Die aus Syrien mitgebrachten türkischen und kurdischen Truppen wurden mit Teilen der alten
fatimidischen Armee (und zwar der weißen — türkischen — Kavallerie) zu einem neuen Heer verschmolzen, dessen Aufbau auf das seldschukische Vorbild zurückging
und in dem die türkischen berittenen Militärsklaven (Mamluken) von Jahr zu Jahr
eine größere Rolle übernahmen.
Mit dem neuen Herrscher und seiner Armee wurden auch wesentliche Teile der
seldschukischen Sozial- und Wirtschaftsordnung aus dem Osten nach Ägypten verpflanzt. Genannt sei das Amt des schadd (muschidd), »Kontrolleurs«, des militärischen Aufsichtsbeamten über die einzelnen Ressorts (Diwane) der noch immer von
Kopten geleiteten zivilen Bürokratie Ägyptens. Vor allem aber wurde das seldschukische iqtd-System nach Ägypten gebracht, wo es allerdings durch die lokalen Usancen
stark modifiziert wurde. Anders als in der Fatimidenzeit führte der Inhaber eines
ayyubidischen Militärbenefiziums nicht mehr den Zehnten seiner Einkünfte an den
Staat ab; im Gegensatz zu dem in Syrien, Mesopotamien und Persien üblichen reinen
seldschukischen iqta` aber verfügte er im unverändert zentralistisch und bürokratisch
verwalteten Ägypten über keinerlei jurisdiktionelle oder administrative Hoheitsrechte
über das Gebiet, dessen Steuerertrag ('ibra) ihm für die Aufstellung und den Unterhalt eines meist berittenen Truppenkontingents als Sold zugewiesen wurde. Dieser
Sold wurde nach »Heeresdinaren« berechnet, einer komplexen, aus Geld- und Naturalabgaben zusammengesetzten Verrechnungseinheit. Dem Inhaber des Benefiziums
oblag es, seine Erträge persönlich zur Erntezeit einzuheben. Er besaß das Wirtschaftsmonopol in seinem Dorf und hatte damit die Möglichkeit, die ihm geschuldeten Geldabgaben zu einem mehr oder minder arbiträren, von ihm selbst festgesetzten
Kurs in Güter umzutauschen.
Dieses System der unmittelbaren Belehnung hatte gravierende politische Konsequenzen. Es war Saladin unmöglich, längere Zeit, besonders während der Erntewochen, ein stehendes Heer im Felde zu halten, ein schweres Handicap in den langwierigen Kämpfen mit den Kreuzfahrern nach dem glanzvollen, christliche und muslimische Zeitgenossen gleichermaßen bewegenden Sieg über die Franken bei Hattin in
Galiläa im Jahre 1187 und der Wiedergewinnung Jerusalems und des größten Teiles
des Litoral. Durch den dritten Kreuzzug (1187-1192) stabilisierten sich die Fronten
wieder; Tyros und `Akka blieben im Besitz der Franken. Als Saladin 1193 starb, hat146
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
te er aber sein erstes Ziel, die Zurückdrängung der Christen, erreicht und vertraglich
konsolidiert, getragen von dem Ethos des gerechten, von Freund und Feind wegen
seiner Aufrichtigkeit und Unbestechlichkeit hochgeachteten religiösen Kriegers.
Bereits unter Saladins Nachfolgern wurde Ägypten wieder die unumstrittene Vormacht in der Levante. Syrien und Obermesopotamien wurden — gemäß der türkischnomadischen Auffassung vom Staat als dem Eigentum der Herrscherfamilie — auf die
Verwandten Saladins aufgeteilt, Ägypten aber blieb vereint. Unter Saladins Bruder
al-`Adil, unter dessen Sohn al-Kamil (er war es, der 1229 mit Kaiser Friedrich II. den
berühmten, von den Zeitgenossen beider Seiten verfemten Vertrag über die Abtretung Jerusalems an den Kaiser abschloß) und unter dem letzten bedeutenden Ayyubiden, as-Salih Ayyub, war Ägypten die Vormacht des ayyubidischen Staatenbundes
und wurde als solche auch von den christlichen Widersachern erkannt. Die Kreuzzüge des päpstlichen Legaten Pelagius (1219-1221) und König Ludwigs des Heiligen
von Frankreich (1248-49) richteten sich gegen Ägypten, nicht gegen Syrien. Beide
scheiterten vor den Mauern der Festung al-Mansura im Nildelta, nachdem der Hafen
Damiette bereits in die Hände der Christen gefallen war. Von den politischen Unruhen, unter denen das zersplitterte und — wenn auch vorerst nur indirekt — von der
nahenden Woge des Mongolensturms betroffene Syrien zu leiden hatte, blieb Ägypten verschont. Das Land erlebte unter den Ayyubiden, aller von den Zeitgenossen in
düsteren Farben geschilderten Misere zum Trotz, einen steten wirtschaftlichen Wiederaufschwung. Seine Position als Handelsmacht im Roten und im Mittelmeer und
als Partner der christlichen Hafenstädte Italiens — worüber noch ausführlich zu sprechen sein wird — erlitt durch die Kämpfe gegen die Kreuzfahrer keine dauerhaften
Einbußen. Saladins Experiment, eine Seestreitmacht aufzubauen, blieb eine Episode.
In der späteren Ayyubidenzeit gewannen Ägyptens Städte als Zentren islamischarabischer Kultur einen wichtigen Platz, wenn sie auch bis zur Mongolenkatastrophe
im Jahre 1258 im Schatten Syriens standen, dessen kulturelle Leistung von der territorialen Vielfalt und zahlreichen fürstlichen Mäzenen profitierte und das aktiv an der
sunnitischen Renaissance beteiligt war.
Die Kopten genossen, aller Gegenkreuzzugspropaganda zum Trotz, unter den Ayyubiden und den ersten Mamluken ein Jahrhundert der Ruhe und kulturellen Blüte.
Der berühmte christliche Dichter und Verwaltungsgeograph Ibn Mammati (st. 1209)
diente Saladin und seinem Nachfolger als Staatssekretär; der erste arabische Historiker, dessen Opus in Europa im frühen 17. Jahrhundert Beachtung fand, war der
1205 in Kairo geborene Kopte al-Makin Girgis Ibn al-`Amid, der ebenfalls in ayyubidischen Diensten stand.
147
GESCHICHTE
Ägypten im Spätmittelalter. Das Zeitalter der Marnluken
Nach dem Tode as-Salih Ayyubs 1249 ging die Herrschaft von den Ayyubiden auf
die Mamluken über. Der designierte Thronfolger, as-Salihs Sohn Turan Schah, wurde
vom Tigris nach Kairo gerufen, überwarf sich aber sogleich mit den Mamluken, die
sein Vater die Jahre zuvor systematisch und in großer Zahl aus der von den Mongolen überrannten Kiptschakensteppe nördlich des Kaukasus nach Ägypten gebracht,
auf der Nilinsel Roda kaserniert (auf diesen Umstand geht der Name der Garde asSalihs und — davon abgeleitet — der ersten Mamluken»dynastie(c al-Bahriyya, zurück;
bahr = Nil) und zu einer schlagkräftigen, ihrem Herrn unbedingt ergebenen Truppe
ausgebildet hatte. Turan Schah wurde ermordet und as-Salihs Witwe, die berühmte
Schagarat ad-Durr, zur Herrscherin ausgerufen — eine für die Zeitgenossen sensationelle Entscheidung, die vom Kalifen in Bagdad und von den über den Herrschaftswechsel am Nil empörten syrischen Ayyubiden als ein skandalöser Verstoß gegen die
ehrwürdigen Prinzipien islamischer Herrschaft gebrandmarkt wurde. Unter dem
Druck der öffentlichen Meinung heiratete die Sultanin den mamlukischen Oberkommandierenden Aybak und überließ ihm den Thron. Der ungeschickte Aybak wurde
1257 auf Anstiften Schagarat ad-Durrs ermordet; sie selbst büßte den Gatten- und
Königsmord nur drei Tage später mit ihrem eigenen Leben. Kurze Zeit wurde Aybaks Sohn als nomineller Nachfolger geduldet, dann setzte sich Aybaks Gefolgsmann,
der choresmische Mamluke Qutuz, durch. Er und sein späterer Mörder und Nachfolger Baibars (1260-1277) gelten als die eigentlichen Begründer der Mamlukenherrschaft, die von den Zeitgenossen bezeichnenderweise die »türkische (kiptschakische)
Dynastie« (ad-daula at-turkiyya) genannt wurde.
Unter den Mamluken, deren Regime ungewöhnlich lange, nämlich über 250 Jahre
Bestand hatte und Ägypten eine in islamischer Zeit einzigartige äußere Stabilität verlieh, erlebte das Land eine politische und wirtschaftliche Blüte, die zeitweise nur wenig hinter den glanzvollen ersten Jahrzehnten fatimidischer Herrschaft zurückstand.
Das ausgehende dreizehnte Jahrhundert wurde Ägyptens heroisches Z,eitalter. Die Invasion der heidnischen Mongolen, die Nordasien und Osteuropa, China, Persien und
Ostanatolien überrannt, 1258 zum Entsetzen der orthodoxen Muslime Bagdad erobert und den Abbasidenkalifen getötet und schließlich Syrien erreicht hatten, wurde
von Sultan Qutuz und seinem General Baibars, die durch ein Stillhalteabkommen mit
den Franken gedeckt waren, in der Schlacht von 'Ain Galut (»Goliathsquell«) in Palästina 1260 zum Stehen gebracht. Ägypten, Arabien und Nordafrika blieben von der
Eroberung durch die Mongolen verschont. Dieser Triumph, dem die Siege über die
letzten Bastionen der verhaßten Kreuzfahrer folgten, lebte im ägyptischen Volksbewußtsein weiter und wurde im Roman von Sultan Baibars literarisch verklärt. Ausgerechnet das von landfremden türkischen Barbaren beherrschte Ägypten wurde zum
Refugium der in Persien, Anatolien und im Irak im Gefolge des Nlongolensturmes
148
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
endgültig zerbrochenen staatlichen, religiösen und gesellschaftlichen Ordnung des
hochmittelalterlichen orthodoxen Islams arabischer Prägung, zu einem, wie es Bernard Lewis treffend genannt hat'', »islamischen Byzanz«, in dem die alte Kultur
sorgsam behütet weiterlebte, ohne grundsätzlich neue Formen zu entfalten.
Die enzyklopädisch-historische Literatur des mamlukischen Ägypten ist kaum überschaubar. Ihr berühmtester Repräsentant ist der Polyhistor al-Maqrizi (1346-1442),
der Autor einer umfassenden Kulturgeographie Ägyptens. Die Volksromane und die
in Themenwahl und Aufbau z. T. ausgesprochen volkstümlichen Geschichtswerke
der Epoche fanden Anklang bei einem interessierten städtischen Publikum, das von
der langanhaltenden außen- und innenpolitischen Ruhe profitierte. Die sichtbarste
Kulturleistung der Mamlukenzeit sind die zahlreichen prachtvollen Moscheen, Madrasen, Mausoleen und Profanbauten (wie Bäder, Karawansereien, Krankenhäuser),
deren Architektur und origineller Dekor unter starkem seldschukisch-iranischem Einfluß standen. Sie geben den alten Vierteln Kairos auch heute noch ihr geschlossenes
mittelalterliches Gepräge.
Das religiöse Leben war durch die eigentümliche, noch wenig durchleuchtete Symbiose von sunnitischer Gesetzesgelehrsamkeit und mystischer Volksfrömmigkeit gekennzeichnet. In der frühen Mamlukenzeit begründeten die Ägypter Ahmad Badawi,
der in Tanta im Delta 1276 verstorbene und dort verehrte Nationalheilige des Landes, und Ibrahim ad-Dasuqi (1235-1277/8) die nach ihnen benannten populären
Derwischorden. Der Alexandriner Ibn `Ata'Allah (st. 1309), »das letzte sufische
Wunder, das am Nil geschah«, wie ihn ein moderner Gelehrter pries'', war einer der
mutigsten Widersacher des aus Syrien stammenden hanbalitischen Eiferers Ibn Taimiyya und verbreitete den Schadhiliyya-Orden in Ägypten. Als Konsequenz der heftigen Auseinandersetzungen zwischen den orthodoxen Rechtsschulen und besonders
des Wirkens des eben genannten Ibn Taimiyya (1263-1328) wuchs die religiöse Intoleranz gegenüber Außenstehenden. Exponenten der Zwölferschia wurden ebenso
grausam verfolgt wie — unter der Regierung al-Malik an-Nasirs zu Beginn des
14. Jahrhunderts — Juden und Christen. Damals fanden zum letzten Mal Massenkon-
versionen von Kopten, die die Repressalien nicht mehr ertrugen, zum Islam statt.
Über die Verfassung des eigentümlichen mamlukischen Staatswesens sind wir trotz
besonders reicher Quellen (Chroniken, Verwaltungshandbücher und Archivalien)
noch immer unzureichend im Bilde. Die Herrscherklasse oder -kaste rekrutierte (und
regenerierte) sich ausschließlich aus Mamluken, d. h. weißen Militärsklaven anfangs
meist türkischer, kiptschakischer, später meist tscherkessischer Provenienz (man
spricht von einer kiptschakischen und — ab 1382 — einer tscherkessischen Mamlukendynastie), die in nichtislamischem Gebiet geboren sein mußten und als Zeichen ihres
Adels den heidnischen Namen behielten. Sie wurden über die Sklavenmärkte Anato-
12
B. Lewis, 1970, S. 228.
P. Nwyia 1972, S. 35.
149
GESCHICHTE
liens bzw. Nordsyriens und die Schwarzmeerhäfen in großer Zahl nach Syrien und
Ägypten in den Haushalt ihres Herrn, eines Emirs oder des Sultans, gebracht, der für
ihre religiöse, militärisch-ritterliche und — wenigstens in der Spätzeit um 1500 — ihre
sprachlich-literarische Ausbildung sorgte. Sie wurden mit ihren Kommilitonen, der
chuschdaschiyya, kaserniert, denen sie, wie auch ihren Herren, zeit ihres Lebens
durch das Band unverbrüchlicher Loyalität verbunden blieben. Nach ihrer Freilassung konstituierten sie kraft ihrer Herkunft die politische, wirtschaftliche und militärische Führungsschicht des Landes. Bereits ihre Nachkommen besaßen diese Privilegien nicht mehr, wenn dieses Prinzip auch nicht staatsrechtlich verankert war und
vor allem unter Sultan Hasan (um 1350) oft durchbrochen wurde. Die Nachfahren
mamlukischer Emire, aulad an-nas genannt, waren qualifiziert zu militärischem
Dienst in der halqa, der aus der Leibgarde der Ayyubiden hervorgegangenen nichtmamlukischen Reiterei, spielten aber im geistigen und religiösen Leben eine noch
nicht richtig erforschte Mittlerstellung zwischen der mamlukischen Militäraristokratie
(und deren türkischer Welt und Tradition) einerseits und dem gelehrten Establishment Ägyptens und namentlich Syriens andererseits. Einige dieser Mamlukenabkömmlinge, z. B. Ibn ad-Dawadari, Ibn Taghribirdi und Ibn lyas, zählen zu den hervorragenden Geschichtsschreibern Ägyptens des 14., 15. und des 16. Jahrhunderts.
Dieses Prinzip der »one-generation military aristocracy«, wie David Ayalon das
mamlukische System prägnant charakterisiert hat, erstreckte sich auch auf das Haus
des Sultans selbst. Aus dem mittelalterlichen Europa und dem mittelalterlichen Islam
kennen wir die drei Faktoren, die bei der Herrschernachfolge — zu verschiedenen
Zeiten in verschiedenen Graden — zusammenwirkten: Erbfolge, Wählbarkeit und die
normierende Gewalt des Stärksten. Mit dem Machtantritt Aybaks und Qutuz' war
das Präzedens für die mamlukische Flerrscherfolge gesetzt: Ein verfassungsmäßig
nicht fixierter Kreis von Emiren, die sich in der Hauptstadt, am Hof, befanden und
der jeweils dominierenden Mamlukenpartei angehörten, wählte einen Kandidaten aus
den eigenen Reihen — ein ausgesprochen oligarchisches Verfahren, in dem sich der
Charakter des mamlukischen Sultanats als eines, wie es Peter Holt jüngst genannt
hat'', islamischen »Heerkönigtums« widerspiegelt: Der Herrscher regierte zwar absolut, war aber gestützt auf den Treueid seiner Gefolgsleute und die persönliche Stellung in diesem Kreis. Die relative ethnische Homogenität der Mamlukenklasse zu jener Zeit begünstigte die Einhaltung dieser Regeln. Einigen Sultanen gelang es, auf
eine gewisse Zeit das Erblichkeitsprinzip durchzusetzen. Die Söhne, Enkel und Urenkel Sultan Qalawuns (1279-1290) regierten bis 1382. Qalawuns jüngster Sohn anNasir Muhammad bestieg den Thron gar dreimal. Ab 1400 wurden die Söhne verstorbener Sultane als locum tenens mit Sultanstitel geduldet, bis sich die Emire auf
den ihnen genehmen Stärksten aus den eigenen Reihen als wirklichen Nachfolger geeinigt hatten. Sprungbrett zur Macht waren die militärischen, also Mamluken vorbeP. Holt 1975, S. 246.
150
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
halten en Ämter des na'ib (Vizekönigs), des Heeresatabegs, der den Sultan in der
mamlukischen Frühzeit als oberster Militärbefehlshaber vertrat (so kam z. B. Qalawun an die Macht) und später des Staatssekretärs (dawadar). Aus dieser Stellung
stieg der letzte Mamlukensultan Tuman Bay auf.
Zu wenig wurde bisher auf die auch den scheinbar so statischen mamlukischen Institutionen innewohnende Dynamik geachtet, die die Funktion mancher Ämter über
die Jahrzehnte völlig veränderte.
Der Sultan selbst war der oberste Heerführer und der erste Mann der zivilen Verwaltung. In dem vom religiösen Recht des Islams abgesteckten Rahmen entschied er
autonom über Petitionen seiner militärischen Untergebenen, assistiert und vertreten
vom Oberkämmerer. Man führt die jurisdiktionelle Autonomie des Sultans auf Einflüsse der mongolischen Rechtsordnung (yasa) zurück. Neben dem Sultan stand pro
forma der abbasidische Schattenkalif. Baibars hatte einen den Mongolen entronnenen
Abbasidenprinzen an seinen Hof geholt, sich selbst und seinen Nachfolgern zur Legitimierung. Der Kalif spielte eine untergeordnete Rolle im politischen Leben und war
in seinen Vollmachten den obersten Richtern der vier Rechtsschulen weitgehend
gleichgeschaltet. Nur einmal, zu Beginn des 15. Jahrhunderts, übernahm in einem
Machtvakuum kurze Zeit der Kalif selbst das Sultanat.
Zu den wichtigsten militärischen Ämtern im Staate zählten neben den eben genannten das wichtige Amt des Gouverneurs von Damaskus (eines Hortes unaufhörlicher sezessionistischer Bestrebungen zu Beginn und am Ende der Mamlukengeschichte), das Wesirat (dem Wesir, der unter gewissen Bedingungen auch Zivilist
sein konnte, unterstand die Staatskasse) und das zuerst mit dem letzteren, später mit
der Atabak-Würde eng verbundene Amt des »Chefs der Exekutive« (mudabbir almamlaka). Auch die Gouverneure der kleinen syrischen Provinzen und der großen
Festungen sowie der Major domus (ustadar) müssen hier genannt werden. Sie alle
hatten (den Vizekönig ausgenommen) neben ihren Regierungspflichten ein militärisches Kommando inne.
Der einzelne mamlukische Emir befehligte, je nach Rang, zwischen fünf und fünfhundert Bewaffnete, für deren Bereitstellung und Unterhalt er verantwortlich war.
Er wurde — von gelegentlichen Sonderzuwendungen abgesehen — aus seinem iqta`
entlohnt, das im Gegensatz zur Ayyubidenzeit von einem zentralen Armeebüro (diwan al-gaisch) in Kairo verwaltet wurde. Der Benefizient erwarb keine besitzähnlichen Rechte über das ihm zugewiesene Land und konnte es nicht unterverleihen.
Das iqta` war nicht erblich; es mußte neuimportierten Mamluken zur Besoldung zur
Verfügung stehen. Es fehlte freilich nicht an Versuchen, diese strengen Bestimmungen zu unterlaufen. Land wurde dem Staat übertragen und halblegal als Privateigentum (mulk) zurückgekauft bzw. in eine Stiftung (waqf) überführt und so in der Verfügung der Nachkommen erhalten, die berechtigt waren, dieses Stiftungsgut zu verwalten. In zwei Umverteilungen des iqtd-Landes kurz vor und kurz nach dem Jahre
1300 wurde das Königsgut von einem Sechstel auf knapp die Hälfte vermehrt, ein
151
GESCH ICHTE
Zeichen für die ab dieser Zeit allmählich abnehmende militärische Belastung des Regimes und die steigende Macht des Monarchen.
Neben militärischen Ämtern gab es die traditionelle ägyptische Bürokratie, deren
Struktur unter den Mamluken auf die syrische Reichshälfte ausgedehnt wurde, die
den Mamluken als Erbschaft der Ayyubiden, der Kreuzfahrer und der Mongolen
noch im 13. Jahrhundert zugefallen war. In den unteren Rängen spielten noch immer
Kopten und Juden eine wichtige Rolle. Der wichtigste zivile Beamte war der Sekretär, der Chef der Staatskanzlei. Einige der eminenten Vertreter des ägyptischen Geisteslebens unter den Mamluken hatten dieses Amt inne.
Prinzipiell wurde in der Mamlukenkaste zwischen Sultans- und Emirsmamluken
unterschieden. Die erstgenannten waren vielfältig begünstigt und kämpften nach dem
Tode ihres Herrn mit den Mamluken des neuen Herrschers erbittert um ihre Sonderrechte. In dieser Strukturschwäche des Systems liegt einer der Hauptgründe für die
blutigen, immer wiederkehrenden Unruhen, die Ägypten und Syrien periodisch erschütterten und so sehr zu dem überaus negativen Image der Mamluken in der modernen Geschichtsschreibung beitrugen.
Dieses Urteil ist nur bedingt gerechtfertigt; das Nebeneinander der alten, vormamlukischen Gesellschaft und der neuen Herrscherschicht schuf ständig neue Spannungen, die sich nur blutig entladen konnten. Insgesamt herrschte in der Gesellschaft der
mamlukischen Städte ein erstaunliches soziales Gleichgewicht zwischen der landbesitzenden mamlukischen Elite, der wohlhabenden Kaufmannschaft und den gelehrten
Notablen ('ulama'). Die letzteren waren die Sprecher der städtischen Gemeinschaften;
sie rekrutierten sich aus allen Bevölkerungsschichten und vermittelten — häufig durch
die genannten Mamlukenabkömmlinge (aulad an-nas) — den Kontakt zwischen den
herrschenden Militärs und dem Volk. Das einfache Volk der Städte, das über keinerlei institutionalisierte Macht verfügte und sich höchstens ad hoc korporierte, schloß
sich zuweilen rivalisierenden mamlukischen Faktionen an und konnte auf diesem
Wege seine soziale und materielle Stellung kurzfristig verbessern.
Die Außenpolitik der Mamluken war konsequent und erfolgreich. In bravouröser
Weise hatten die kriegstüchtigen ersten Mamlukensultane Baibars, Qalawun, al-Aschraf Chalil und — mit Einschränkungen — an-Nasir Muhammad ihre Gegner ausgeschaltet bzw. eingedämmt. Das mongolische Il-Chanreich von Persien mußte sich
nach zahlreichen vergeblichen Versuchen, Syrien zu erobern, gegen 1320 endlich mit
der von Beduinen kontrollierten Grenze in der syrischen Wüste abfinden, deren Gültigkeit schließlich 1323 sogar vertraglich fixiert wurde. Die Ayyubidenfürsten Syriens
wurden, soweit sie nicht von den Mongolen absorbiert worden waren oder sich freiwillig den ägyptischen Mamluken unterworfen hatten, militärisch zur Aufgabe ihrer
Selbständigkeit gezwungen; nur das kleine Fürstentum Hama in Syrien, aus dessen
Herrscherhaus berühmte Historiker hervorgingen, blieb bis ins 14. Jahrhundert hinein nominell autonom. Die Bundesgenossen der Mongolen in der Levante, Kleinarmenien und die fränkischen Staaten, wurden mit besonderer Erbitterung bekämpft.
152
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
1268 fiel Antiochia, 1289 Tripolis und 1291 schließlich zur Bestürzung der europäischen Christenheit `Akka, die Hauptstadt des 1099 gegründeten Königreichs Jerusalem. Auch Zypern, dessen König 1365 die Plünderung Alexandrias gelungen war,
wurde 1427 von den Mamluken erobert. Im Süden gerieten im 13. Jahrhundert die
Heiligen Stätten Arabiens, Nubien und (wenn auch nur für kurze Zeit) der Jemen
unter mamlukische Botmäßigkeit. Mit den italienischen Handelsstädten wurden allen
politischen Differenzen zum Trotz feste Handelsbeziehungen ausgebaut. Baibars bemühte sich erfolgreich um ein gutes Verhältnis zum paläologischen Byzanz und um
ein Bündnis mit den Mongolen der Goldenen Horde. Der Bestand des Reiches, dem
im Westen die Cyrenaica eingegliedert wurde, wurde in einem Jahrhundert des Friedens bewahrt und im 15. Jahrhundert, nachdem der für die Wirtschaft des Landes
verheerende Einfall Timurs in Syrien überstanden war, sogar noch nach Norden und
Nordosten (Südostanatolien) ausgedehnt. Der Traum der frühen Mamluken, die ehrwürdige Kalifenhauptstadt Bagdad zurückzuerobern, blieb freilich — entgegen allen
Prophezeiungen willfähriger Panegyriker am Sultanshofe — unerfüllt. Der Kampf mit
der turkmenischen Weißen Horde um Obermesopotamien endete in der Mitte des
15. Jahrhunderts unentschieden.
Die innere Ordnung des Mamlukenstaates hielt den Erschütterungen nicht in
gleichem Maße stand. Von verhängnisvoller Wirkung für die Bevölkerung waren die
immer wiederkehrenden Hungersnöte, vor allem aber die Pestepidemien des 14. und
15. Jahrhunderts (besonders der Jahre 1348 und 1492). Die ägyptische Bauernschaft wurde
dezimiert, und die Erträge der landbesitzenden Marnluken, die an der Preissteigerung für städtische Dienstleistungen und kaufmännische Erzeugnisse nicht partizipierten, sanken immer weiter. Die landfremden Mamluken selbst erlitten durch den
Schwarzen Tod schwere Verluste, wenn auch die höhere Seuchenempfindlichkeit
durch die besseren Lebensbedingungen wieder ausgeglichen worden sein dürfte. Man
ging schließlich (nicht zuletzt wegen demographischer Veränderungen in der Kiptschakensteppe) dazu über, auch erwachsene Mamluken anzuwerben, die nicht mehr
willens und fähig waren, sich durch die traditionelle Kasernierung (der Kontakt zu
Einheimischen war untersagt) voll in das System einzugliedern, das nur dann funktionstüchtig blieb, wenn es nicht nach außen geöffnet wurde. Das ägyptische Wirtschaftsleben, über das im Anschluß gesondert berichtet wird, geriet aus den Fugen.
Am Ende stand eine rigorose Monopolwirtschaft des Staates, durch die Sultan Barsbay (1422-1438) und seine Nachfolger den (letztlich erfolglosen) Versuch unternahmen, die öffentlichen Finanzen zu sanieren. Die Zuckerproduktion wurde 1423 verstaatlicht; kurz darauf folgte der außenwirtschaftlich für das Land so wichtige Gewürzhandel.
Der Niedergang des Mamlukenstaates, einer der mächtigsten Monarchien der mittelalterlichen Welt, wurde durch eine Kette unglücklich zusammentreffender Faktoren beschleunigt. Die Schwächung der mamlukischen Elite (wenn auch nicht des Sultanats — der vorletzte Sultan Qansauh al-Ghauri war einer der fähigsten und gebildet153
GESCHICHTE
sten Herrscher des islamischen Ägypten), der Verfall der Wirtschaft und des Handels
als Folge der zunehmenden Bedrohung der Verkehrswege durch die Beduinen und
nicht zuletzt die Entdeckung des Seewegs um Afrika durch die Portugiesen ging einher mit dem Aufstieg der Osmanen, die nach anfänglich hervorragenden Beziehungen zu Kairo seit 1485 mit den Mamluken in einen Kleinkrieg um die Taurusgrenze
verwickelt waren. Die Parteinahme Kairos für die schiitischen Safawiden, die neuen
Herren Persiens und Erzfeinde der streng orthodoxen Osmanen, diente als Vorwand
zum Eingreifen gegen die in rivalisierende Parteien zerfallenen Mamluken. Das mamlukische Heer, das nicht bereit war, sich der nach ihrem Ethos unehrenhaften Feuerwaffen zu bedienen, unterlag den Osmanen im nördlichen Syrien. Der Hochverrat
des Gouverneurs von Aleppo, Cha'ir Beg, öffnete den Heeren des Großherrn die
Tore nach Süden; schließlich wurde im Januar 1517 Kairo erobert. Der letzte Sultan
und Gegenspieler Cha'ir Begs, Tuman Bay, wurde hingerichtet, der letzte abbasidische Schattenkalif nach Istanbul geschickt. Die letzte Phase in der vorneuzeitlichen
Geschichte Ägyptens hatte begonnen.
Wirtschaft und Gesellschaft der mittelalterlichen
ägyptischen Städte
Unter den Fatimiden, Ayyubiden und Mamluken entfaltete sich das städtische Leben
des Landes.
Das städtische Umland war in Ägypten mit der Stadt wirtschaftlich aufs engste
verbunden. Die intensive Plantagenwirtschaft vor den Toren der Städte lieferte der
städtischen Bevölkerung Frischgemüse, Obst, Geflügel und andere leicht verderbliche
oder schwer über längere Distanzen zu transportierende Waren. Der Bauer des Umlandes genoß gegenüber dem Bauern des stadtfernen flachen Landes beträchtliche
ökonomische Vorteile Der intensiv bewässerte und bebaute Boden seiner Kulturen
wurde relativ niedrig besteuert und brachte für eine hohe Eigenleistung hohen Gewinn. Vor allem aber hatte er die Möglichkeit, seine Produkte selbst in die Stadt zu
bringen und dort — nach Entrichtung der zuweilen sehr hohen Stadtzölle — auf den
über die Stadt verteilten diversen Lebensmittelmärkten gegen bares Geld zu verkaufen, mit dem er in der Stadt oder vor den Toren der Stadt ein ansehnliches Vermögen erwerben konnte. Auch personell waren Stadt und Umland eng miteinander verflochten. Aus den Stiftungsurkunden der Mamlukenzeit läßt sich entnehmen, daß das
reiche Umland von Kairo, das Gebiet um Gize und Memphis, Stiftungsgut war, aus dessen
Erträgen zahlreiche soziale und karitative Einrichtungen (Moscheen, Schulen,
Brunnen, Krankenhäuser — ab dem 13. Jahrhundert — und Bibliotheken) finanziert,
d. h. der Bau und die Unterhaltung der Gebäude sowie die Gehälter des angestellten
154
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Personals und die Stipendien der in der Stiftung benannten Nutznießer bezahlt werden konnten.
Über das städtische Leben Ägyptens im frühen und hohen Mittelalter sind wir aus
narrativen Quellen, namentlich aber aus den in der Kairoer Geniza (der »Rumpelkammer« der Synagoge von Alt-Kairo) entdeckten zahllosen Dokumenten öffentlicher und privater Natur aus der Zeit vom 10. bis zum 13. Jahrhundert sehr gut informiert. Dennoch fehlen noch immer wichtige Vorarbeiten für eine wünschenswerte
Gesamtdarstellung der ägyptischen Stadt im Mittelalter.
DieStadt wareinegewachsene Wirtschaftseinheit unter staatlicher Aufsicht und Verwaltung, also ohne rechtliche Korporierung. Es gab keine Bürgerschaft von Alexandria oder Kairo und keine verbrieften städtischen Privilegien wie im mittelalterlichen Europa. Dennoch waren die Städte die Zentren des gesellschaftlichen Lebens
und der Kultur des mittelalterlichen Ägypten.
Die kulturgeographischen Koordinaten der (letztlich auf altorientalische Muster zurückgehenden) »islamischen« Stadt kennzeichnen auch die Städte Ägyptens: Moscheen, darunter in jedem Bezirk eine Freitagsmoschee (gami`), Badehäuser — bevorzugte Stätten gesellschaftlichen Lebens —, Regierungsbauten und vor allem die Märkte, die Zentren des religiös weitgehend indifferenten Wirtschaftslebens. Die großen
Städte Ägyptens waren ummauert.
War das flache Land die Quelle des Reichtums Ägyptens, so waren die Städte, vor
allem die Hauptstadt, das Zentrum der politischen und wirtschaftlichen Macht. Hier
wohnte und wirkte die politische Elite und die Mehrzahl der Großgrundbesitzer aus
dem ganzen Land (absentee landlordism).
Die Heerstädte der Araber, im Falle Ägyptens die um die Burg von Babylon herum neuerrichtete Stadt Fustat, waren die Bastionen der neuen Herren im Lande. Bei
der Freitagsmoschee des `Amr b. al-`As entwickelte sich unorganisch, ursprünglich
von den Bedürfnissen der Garnison bestimmt, die neue, in Stammesquartiere aufgeteilte Stadt. Später trat eine Gliederung nach Ständen — Goitein spricht von anspruchsvollen und weniger anspruchsvollen »neighbourhoods« im mittelalterlichen
Fustat' — und Berufen an die Stelle der alten Stammesviertel, wenn auch die Grenzen immer fließend blieben. Eine rigorose Parzellierung nach Gewerben hat es nie
gegeben, so wie auch nie religiöse Ghettos der in Alt-Kairo so zahlreichen Juden und
Christen entstanden. Die neue Hauptstadt der Tuluniden, al-QataT, entwickelte sich
ähnlich; auch sie verlor bald ihren Garnisonscharakter und wurde urbanisiert.
Für Kairo galten andere Gesetze. Bis in ayyubidische Tage hinein behielt es den
Charakter der Residenz, der Verwaltungs- und Regierungsmetropole, in der — neben
den Angehörigen ausgesprochener Dienstleistungsberufe (wie z. B. Wasserträgern) —
lange Zeit in bestimmten Vierteln offenbar nur Staatsbeamte ihren Wohnsitz nehmen
durften. Fustat (so nahe bei Kairo gelegen, daß eine solche komplementäre Entwicklung
14
S. D. Goitein, 1969, S. 87.
155
GESCHICHTE
überhaupt möglich war) war dementgegen ein blühendes Wirtschaftszentrum, in
dessen Nilhafen und auf dessen Märkten die Güter des Landes zusammenströmten.
Der ismailitische, aus dem Pamir stammende Reisende und Philosoph Nasir-i Chusrau (1003-1060/61) hat uns wertvolle Berichte über den Reichtum Fustats und Kairos im 11. Jahrhundert hinterlassen: Kairo war eine weit ausgelegte Stadt mit dem
die Silhouette beherrschenden Kalifenpalast, hängenden Gärten und riesigen Grundstücken, die nur teilweise bebaut waren und sich meist in privatem Besitz befanden.
Fustat dagegen war dicht besiedelt; seine Hauptattraktion waren die Märkte, namentlich der Suq al-qandil (Lampenmarkt), auf dem neben Raritäten und Importgütern
aus aller Herren Länder die Erzeugnisse Ägyptens, erlesene Früchte, Zucker, Fayencen und kostbare Metallgefäße angeboten wurden.
Aus den Genizafunden wissen wir, daß auch kleinere Städte im Delta, wie al-Mahalla und Damiette, wichtige Wirtschaftsplätze waren. Die Städte übten während des
ganzen Mittelalters kontinuierlich eine große Anziehungskraft auf die ländliche Bevölkerung aus, die den drückenden Steuerlasten entfliehen wollte. Alexandria war die
zweite Metropole des Landes, nicht nur wegen des See- und Transithandels, sondern
auch wegen einiger wertvoller lokaler Produkte wie Matten und besonders feiner
Textilien. Dennoch, die Stadt blieb administrativ stets rigoros Fustat oder Kairo untergeordnet. Tinnis im östlichen Delta war wegen der staatlichen Manufakturen kostbarer Seidenstoffe (tiraz) ein bedeutender Ort. Die koptischen Städte Mittel- und
Oberägyptens, Bahnasa, Aschmunain, Asyut und Achnlim, waren — und sind — Zentren der Woll- und Baumwollweberei. Qus war einer der wichtigsten Umschlagplätze
für den Indienhandel an der Route Kairo — `Aidhab (Rotes Meer). Im 14. Jahrhundert wurde die Stadt zum Verbannungsort unliebsamer politischer Gegner der Mamlukensultane.
Eine Konstante des mittelalterlichen Lebens der ägyptischen Städte ist der beträchtliche Wohlstand, der die regelmäßig wiederkehrenden Teuerungen überdauerte.
Zeitgenössische Besucher betonten immer wieder (und die Archivarien bestätigen es),
daß bis ins 14. Jahrhundert hinein die Preise und — von den städtischen, besonders
den handwerklichen Dienstleistungen einmal abgesehen — die Löhne konstant niedrig
blieben. Die Gründe für diese wirtschaftliche Stabilität sind noch nicht genügend erforscht; staatliche dirigistische Maßnahmen haben aber sicher eine wichtige Rolle gespielt.
über Fustat, den Fundort der Geniza-Urkunden, haben wir sehr genaue Daten.
Der Boden der Stadt war erobertes Land (fai') und gehörte als solcher dem Staat.
Der Hausbesitzer bezahlte den hikr, eine Grundrente, die im 12. Jahrhundert für ein
stabiles Anwesen ca. 2,5 Prozent des Kaufpreises pro Jahr betrug. Für den Schutz
der Straßen und die sanitäre Versorgung mußten hohe zusätzliche Gebühren an die
staatlichen Behörden entrichtet werden, die — wie auch der hikr — durch Steuerpächter (meist aus der jeweiligen Gemeinde oder dem jeweiligen Viertel) eingezogen wurden. Die öffentliche Ordnung Kairos im Mittelalter war sprichwörtlich. Der Baibars156
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Roman verherrlicht den Herrscher, der des Nachts — Harun ar-Raschid gleich — die
Straßen Kairos inspiziert. Der genannte Perser Nasir-i Chusrau rühmte die Ordnung
der Stadt im 11. Jahrhundert, und noch im 15. Jahrhundert berichtet ein persischer
Gelehrter voller Staunen und Bewunderung seinem Souverän von der effizienten
Nachtpolizei ('asas) der ägyptischen Hauptstadt. Gemessen an den hohen Handwerkerlöhnen waren die Mieten für die offenbar in reicher Fülle vorhandenen Wohnungen verschwindend gering. Ein Baumeister erhielt an einem Tag genau denselben
Betrag, der für eine kleine Wohnung im Monat an Miete aufgebracht werden mußte.
Dies war ein wesentlicher Grund für die große Zahl verfallener Gebäude und den
Anbau gewinnintensiver Kulturen innerhalb der Stadtmauern, z. B. die Rosenzucht
zur Gewinnung von Rosenwasser. Das Eigentum an Häusern war — ebenso wie wir
es bei Wirtschaftsbetrieben, im Handel und im Finanzwesen des mittelalterlichen
Ägypten beobachten können — meist partnerschaftlich aufgeteilt, und zwar in nominelle Anteile, denen keine separaten baulichen Einheiten entsprachen.
Die Verwaltung des städtischen Lebens lag ganz in der Hand der Regierung und
ihrer Funktionäre. Alle Vermutungen, es möchte bereits vor dem 16. Jahrhundert
Zünfte oder zunftähnliche Handwerksvereinigungen gegeben haben, in deren Ressort
neben der Ausbildung des Berufsnachwuchses und dem Schutz der einheimischen
Betriebe vor auswärtiger Konkurrenz vor allem auch die richterliche Gewerbeaufsicht gelegen habe, sind für Ägypten durch die Genizafunde endgültig widerlegt worden. Ein Militärgouverneur stand an der Spitze der Stadt, die freilich nicht militärisch
gegliedert war. Ihm stand ein Polizeivogt (wali) zur Seite. Sehr einflußreich waren die
Qadis, denen — abgesehen von ihrer so wichtigen (und lukrativen) Funktion als Notare für das so reich vertretene, das städtische Leben prägende Stiftungsgut und ihren
eigentlich richterlichen Aufgaben — die Steueraufsicht in gewissen Bereichen oblag,
so in den Zollhallen von Alexandria. Es gab neben der regulären Polizei staatliche
Quartierobere. Sogar von einer Geheimpolizei (ashab al-chabar) ist die Rede, die besonders bei religiös-sozialen Unruhen (z. B. vor der Machtergreifung der Fatimiden)
eine Rolle spielte. Jeder Bürger war registriert und konnte nur mit polizeilicher Genehmigung den Wohnsitz wechseln. Die Aufsicht über Handel und Gewerbe führte
in der mittelalterlichen islamischen Stadt der muhtasib, der vom Staat eingesetzte
Markt- und Sittenvogt (die vom islamischen Recht nostrifizierte byzantinische Institution des agoranomos). Ihm oblag die Kontrolle von Maßen, Gewichten und Münzfüßen, die Warenaufsicht (für Exportgüter wurden amtliche Qualitätsstempel vergeben) und die Organisation der öffentlichen Versorgung aus staatlichen Vorratslagern
zu festen Preisen, wenn Hungersnöte hereinbrachen.
Die soziale Schichtung und Differenzierung der städtischen Bevölkerung blieb in
ihrem Unterbau bis in die Neuzeit hinein offenbar relativ stabil. Sie erwies sich auch
als weitgehend unabhängig von der wirtschaftlichen Gliederung. Der islamische
Adel, die Nachfahren des Propheten, genossen gewisse steuerliche Privilegien ( ihnen
wurde z. B. die Zahlung des Zehnten erlassen) und hatten ihre eigene Rechtspre157
GESCHICHTE
chung, aber eine Spitzenstellung in der sozialen Pyramide war ihnen damit nicht einmal unter den Fatimiden garantiert. Unter dem Herrscher und seinem Hofstaat standen in der Zeit vor 1100 die kuttab, die Regierungsbeamten; ihre beherrschende Position nahmen später — wie im Osten des Reiches längst geschehen — die Militärs ein.
Diese Entwicklung kulminierte in der autoritären mamlukischen Militärgesellschaft
vom ausgehenden 13. bis ins beginnende 19. Jahrhundert. Die Religions- und Gesetzesgelehrten ('ulama') stellten die geistige Elite. Ihr Einfluß war indessen in Ägypten nie so groß wie beispielsweise in dem so lange Jahrhunderte mit Ägypten verei
nigten Syrien. Sie waren wirtschaftlich unabhängig und im Gegensatz zu den Kaufleuten und Beamten vor der Requirierung ihrer Habe durch den Staat und die Militärs relativ sicher. Sie wurden, von den höchsten Würdenträgern abgesehen, meist
aus Stiftungserträgnissen bezahlt.
Der für die Wirtschaftsgeschichte so wichtige Mittelstand, der vom Staat vielfältig,
wenn auch wider islamisches Recht besteuert wurde, setzte sich aus der Kaufmannschaft und den Handwerkern zusammen. Die Handwerker Kairos pachteten ihre
Werkstätten gewöhnlich vom Staat; dort verkauften sie meist auch ihre Waren. Sie
vergaben Arbeit an Lohnempfänger, Freie und Sklaven. Neben den privaten Werkstätten gab es die staatlichen Betriebe und Monopolgewerbe: Die staatliche Münze,
die öffentlichen Bauarbeiten, die Waffenfabrikation, die Papyrusherstellung und vor
allem die Feinweberei, deren Produkte mit hohem Gewinn auf den europäischen
Märkten verkauft wurden. Über die Produktionsweisen wissen wir noch nicht viel;
es fehlen die einschlägigen Texte zur materiellen Kultur. Uns sind Leitfäden für den
muhtasib erhalten, aber keine detaillierten Lehrbücher für bestimmte Gewerbe oder
handwerkliche Techniken.
Wenig ist bekannt über den Sockel der gesellschaftlichen Pyramide Ägyptens, das
einfache Volk. Im mittelalterlichen Alexandria hören wir unter dem Namen andath
»die Jungen« von der im ganzen islamischen Orient verbreiteten futuwwa; es handelte sich um städtische, oft gewalttätige Bünde, die sich in den Dienst politischer Bewegungen stellten und immer wieder mit der Mystik und extremen religiösen Strömungen in Zusammenhang gebracht worden sind. In mamlukischer Zeit wurden organisierte Bettler in das kunstvolle Gleichgewicht zwischen Militäraristokratie, Kaufmannschaft und Gelehrtenadel fest mit einbezogen. Rassendiskriminierung kannte die
mittelalterliche ägyptische Gesellschaft nicht. Eine zentrale Kraft bei den städtischen
Unruhen, von denen wir in den Quellen besonders ab der späten Fatimidenzeit immer wieder lesen, war der Geist der von Ibn Chaldun (1332-1406), dem großen
nordafrikanisch-ägyptischen Soziologen definierten `asabiyya, der »irrationalen Gruppensolidarität«, die große Teile der Bevölkerung immer wieder zum gemeinsamen
Handeln, besonders zur Auflehnung gegen bestehende Autoritäten drängte.
-
158
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Der ägyptische Handel im hohen und späten Mittelalter
Eine tragende Säule des ägyptischen mittelalterlichen Wirtschaftslebens war der Handel, der — wie jüngst Maxime Rodinson und Claude Cahen trefflich formuliert haben' — »kapitalistische Bereich« der Wirtschaft der mittelalterlichen islamischen
Welt. Reichtum aus dem Handel, Reichtum aus dem Grundbesitz (später ein Prärogativ der Militärs und der von Stiftungsgut lebenden Gelehrten) und politische
Macht waren aufs engste miteinander verknüpft. Die frühen Fatimidenkalifen waren
in Ägypten die größten Produzenten ländlicher Waren, die kapitalkräftigsten Kaufleute und obendrein die Inhaber der (anfangs) unumschränkten politischen Macht.
Von der Intervention von Kaufleuten in politischen Angelegenheiten hören wir
während dieses halben Jahrtausends vom 10. Jahrhundert bis zur Eroberung Ägyptens durch die Osmanen im frühen 16. Jahrhundert immer wieder. Von den Madhara'is, einer muslimischen Kaufmannsdynastie in Ägypten, die unter den Ichschididen
die Finanzen des Landes verwaltete, war schon die Rede. In mamlukischer Zeit begegnen uns immer wieder Kaufleute in verantwortlicher Stellung der Wesir Ibn asSal'us im ausgehenden 14. Jahrhundert; der Kaufmann Abu 1-Magd as-Sallami, der
1323 den Frieden zwischen dem ägyptischen Sultan an-Nasir Muhammad und dem
persischen Mongolenherrscher Abu Sa'id vermittelte und als Lohn von allen Abgaben befreit wurde, und schließlich Abu I-Chair an-Nahhas, der Verwalter der Schatzkammer des Reiches in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Sultan Barsbay, der im
15. Jahrhundert den Handel mit wichtigen Gütern (Gewürzen, Zucker u. a.) verstaatlichte und dadurch die ägyptischen Kaufleute ihrer wichtigsten Einnahmequelle beraubte, stand zu Beginn seiner Herrschaft noch völlig unter dem Einfluß kaufmännischer Ratgeber, die ungehinderten Zutritt zu ihm hatten. Kaufleute, die mit staatswichtigen Gütern, vor allem anderen mit Sklaven, handelten, wurden nicht oder nur
zu verminderten Sätzen besteuert.
Über den ägyptischen Binnenhandel des Mittelalters wissen wir sehr viel weniger
als über den Außenhandel. Auch die Verbindungen zwischen beiden Bereichen sind
noch kaum erforscht. Im Lande selbst wurden auf den wohlbekannten Verkehrswegen, dem Nil, den Wüstenstraßen von Kairo nach Syrien, von Kairo zum Hafen
Qulzum (heute: Suez) am Roten Meer und von Qus in Oberägypten zum Hafen `Aidhab ebenfalls am Roten Meer die Produkte des Landes transportiert. Weizen, Flachs,
Bohnen und andere Nahrungsmittel wurden, z. T. in privater Regie, z. T. unter staatlicher Aufsicht (als Naturalsteuern), in die städtischen Zentren gebracht und dort
verkauft.
Der ägyptische Außenhandel läßt sich in drei Richtungen gliedern, wenn wir den
Handel mit Syrien und Arabien — lange Zeit Bestandteile des ägyptischen Reiches —
16
C. Cahen, 1968, S. 196.
159
GESCHICHTE
auf dem Landwege außer acht lassen: den Handel mit Nubien und Westafrika, den
Indienhandel und den Mittelmeerhandel.
Aus Nubien wurden von Beginn der Tulunidenzeit bis zu den Ayyubiden
schwarze Militärsklaven importiert. Von kaum zu unterschätzender Bedeutung war
der Goldhandel mit dem Süden. Als gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Förderung
des nubischen Goldes (unter Baibars kamen die Goldwäschen des Wadi al-`Allaqi zu
Ägypten) sich nicht mehr rentierte, blühte der Handel mit Westafrika auf, dessen
Gold zu sehr günstigen Handelskonditionen und Preisen an ägyptische Kaufleute
verkauft wurde. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts versiegte auch diese Quelle; mit
Vermittlung der nordafrikanischen Almohaden zogen die Genuesen den westafrikanischen Goldhandel über die Transsahararouten an sich, den bereits in frühislamischer
Zeit charigitische Kaufleute betrieben hatten. Da gleichzeitig die oberägyptischen
Smaragdminen sich erschöpften, verlor ab ca. 1360 der Südhandel über Qus/Assuan
hinaus seine besondere Bedeutung.
Seit dem Beginn des 10. Jahrhunderts verlagerten sich die Handelswege Mittelmeer
— Indien von Byzanz und dem Irak nach dem Roten Meer. Die instabilen politischen
Verhältnisse im Kalifat und in Syrien, das damals zum großen Teil von Byzanz zurückerobert wurde, mögen diese Verlegung der Haupthandelsstraße begünstigt haben. Entscheidend war aber der Eintritt der christlichen Mächte des westlichen Mittelmeeres in die Handelsgeschichte. Zwischen Ägypten und den muslimischen Staaten des Westens (Maghreb, Spanien, Sizilien) bestanden damals schon sehr enge
Kontakte; im 11. Jahrhundert wurden Barrengold, Barrensilber und gemünztes Edelmetall aus dem islamischen Westen nach Ägypten importiert. Das christliche Amalfi
pflegte mit den Fatimiden, noch bevor diese sich in Ägypten festgesetzt hatten, regen
Handelsverkehr und war nach 969 mit mehr als zweihundert Kaufleuten in Kairo
vertreten. Zwar warf die fränkische Präsenz inmitten Ägyptens politische Probleme
auf — 996 kam es zu einem Massaker an europäischen Kaufleuten, die der Sabotage
auf den Werften von Fustat bezichtigt wurden, auf denen Schiffe für den Krieg gegen Byzanz gebaut wurden — dennoch wurden die Kontakte zwischen Alexandria,
dem größten Handelsplatz am Mittelmeer, und den italienischen Stadtstaaten Pisa,
Genua, Florenz und Venedig sowie Barcelona und Marseille von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer enger. In der ägyptischen Kaufmannschaft spielten ab dem 12. Jahrhundert Christen und Juden eine prominente Rolle. Sie suchten die besondere Protektion
der ägyptischen Regierung und genossen gegenüber ihren muslimischen Kollegen
keine wirtschaftlichen und steuerlichen Nachteile War der kleine Handel bis in die
nebensächlichsten Details durch das religiöse islamische Recht reglementiert, so spielte sich der große, internationale Handel im juristischen Vakuum ab. Vielfältige Formen risikomindernder partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Kaufleuten und
Unternehmern auch unterschiedlicher Konfession und bargeldlosen Handelsverkehrs
entfalteten sich in nur losem Zusammenhang mit den Normen der Schari`a.
160
GESCHICHTE
Nachdem die christlichen Anrainerstaaten des westlichen Mittelmeeres (also Byzanz und Spanien ausgenommen) im frühen Mittelalter den muslimischen Staaten
noch keinerlei wirtschaftlichen Anreiz geboten hatten, intensivierte sich der Handel
ab 950 in beiden Richtungen. Die Muslime importierten kriegswichtige Waren aus
Europa, vor allem Eisen, Holz und Pech; die Päpste der Kreuzzugszeit erklärten
mehrfach, aber ohne bleibenden Erfolg, diese Güter zur Kriegskonterbande und versuchten, den Orienthandel unter ihre Kontrolle zu bekommen. Europa interessierte
sich — abgesehen von den aus Indien im Transithandel nach Alexandria gebrachten
Gütern wie Gewürzen (besonders Pfeffer und Zimt), Edelhölzern, Seide, Duftstoffen
und Edelsteinen — für Flachs, Zucker, Getreide und besonders für das ägyptische
Alaun, das zur Rotfärbung von Textilien unentbehrlich war, die Erschöpfung der
ägyptischen Alaunbergwerke im frühen 14. Jahrhundert verschärfte die wirtschaftlichen, vor allem monetären Probleme des Landes.
In Alexandria, dem Zielhafen der europäischen Handelsfahrer, wurden die Waren
nicht unmittelbar ägyptischen Interessenten angeboten, vielmehr in den funduqs —
Handelskontoren — der jeweiligen Stadt gelagert. Es gab in Alexandria solche Niederlassungen aller großen europäischen Handelsmächte. Dort wurden die Waren von
den ägyptischen Behörden registriert und verzollt; es wurden Entlade- und Registriergebühren erhoben, die sich nach dem Wert der Ware berechneten und zwischen
10 und 30 Prozent betrugen, je nachdem ob es sich um begünstigte Handelspartner
und -güter handelte (z. B. das im 13. Jahrhundert aus Pisa importierte Holz für den
Flottenbau) oder nicht. Während europäische Stoffe in den Kontoren von Maklern in
freiem Wettbewerb für die ägyptischen Einzelhändler ersteigert wurden, hatte der
Staat die Einfuhr kriegswichtiger Güter monopolisiert. Das staatliche, bis in osmanische Zeit in Steuerpacht vergebene Zollamt in Alexandria kaufte die Waren — abzüglich der als Zoll zu erlegenden Warenmenge — auf und erstattete den europäischen
Kaufleuten den Preis zu einem Drittel in Gold, zu zwei Dritteln in Alaun, dessen
Förderung und Export der ägyptische Staat ebenfalls als Monopol betrieb. Mit dieser
Politik sollte der Geldverknappung in einer Zeit entgegengewirkt werden, in der sich
die Goldreserven des Landes rasch verringerten.
Aus Nord- und Osteuropa wurden Preziosa wie Pelze (die Ende des 14. Jahrhunderts auf dem eigens dafür eingerichteten Markt in Kairo zu schwindelerregenden
Preisen angeboten wurden), Honig, Bernstein, Wachs und vor allem natürlich in hoher Zahl und zu hohem Preis weiße Militärsklaven eingeführt, aus denen sich von
der ausgehenden Ayyubidenzeit bis weit in die osmanische Epoche hinein die Mamlukencorps rekrutierten, die 1250 die Macht selbst übernahmen. Im Gegensatz zu
den Wirtschaftsbeziehungen mit den italienischen Häfen war die ägyptische Handelsbilanz mit dem Schwarzen Meer ungünstig. Ein großer Teil der ägyptischen Goldreserven, die im Lande selbst im späten 14. und 15. Jahrhundert so bitter fehlten, wurde für den Import der eben genannten Konsumgüter einschließlich der Mamluken
ausgegeben.
162
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Unter den Fatimiden begann die ägyptische Expansion auf dem Roten Meer und
dem Indischen Ozean. Fatimidische (nordafrikanische oder ägyptische) Kaufleute versuchten, Hand in Hand mit den ismailitischen Missionaren, an den Ufern des Indischen Ozeans Fuß zu fassen. In `Aidhab am Roten Meer entstand ein großer Handelshafen. Seit dem 11. Jahrhundert bemühte sich Ägypten um den Besitz des strategisch und ökonomisch so wichtigen Jemen an der Südspitze der arabischen Halbinsel
mit der Hafenstadt Aden. Unter den Fatimiden und Ayyubiden war der Jemen ägyptisches Protektorat, von 1250 bis 1420 gewann er seine Selbständigkeit zurück und
führte eine expansive eigene Außen- und Handelspolitik, die zu ständigen Auseinandersetzungen mit der mamlukischen Regierung führten. Im frühen 15. Jahrhundert
trat Aden seine Schlüsselrolle an das von den Ägyptern kontrollierte Dschidda, den
Hafen Mekkas, ab. Der einträgliche Handel im Roten Meer verlor seine besondere
Bedeutung, als Ende des 15. Jahrhunderts die Portugiesen den Seeweg um Afrika erschlossen und Amerika entdeckt wurde.
Hatten sich im späten 12. Jahrhundert (1182/83) für kurze Zeit auch die Kreuzfahrer — genannt sei der tollkühne Rainald von Chätillon — um eine Beteiligung am lukrativen Rotmeerhandel bemüht, so gelang es Saladin, diese Gefahr ein für alle Mal zu
bannen. Seit dieser Zeit ging der Handel mit den auf den europäischen und nahöstlichen Märkten so begehrten Produkten Indiens, Südostasiens und Chinas in die Hand
der Karimi-Kaufleute über, ägyptischer Großhändler, die sich durch Finanzkraft, Wagemut und Geschick auszeichneten und beträchtlichen politischen Einfluß gewannen,
bis dieser der dirigistischen und protektionistischen Wirtschaftspolitik Sultan Barsbays zum Opfer fiel.
Das Zentrum des ägyptischen Indienhandels war Kairo, bzw. Fustat. Dort stand
das berühmte Kontor der Karimis, dort etablierten sich auch Syrer, Irakis, Jemeniten
und sogar Europäer (1154 eröffneten für kurze Zeit die Pisaner ein funduq in Kairo).
Die Güter, die im Transithandel vom Roten Meer nach Alexandria transportiert
wurden, wurden vom Staat hoch besteuert. Für die Karimis galt eine günstige Sonderregelung. Sie entrichteten in jeder Stadt, in der sie Handel trieben, jährlich eine zakat genannte Abgabe, die freilich mit der kanonischen Almosensteuer auf Handelswaren nur mehr den Steuersatz (2 1/2 Prozent) gemein hatte.
Auch mit Geld wurde gehandelt. Wie wir gehört haben, wurden im 11. Jahrhundert gemünzte und ungemünzte Edelmetalle aus dem islamischen Westen nach Ägypten verkauft; außer Kurs gesetzte ägyptische Silbermünzen wurden nach Europa exportiert. Seit der Münzreform des Umayyaden `Abd al-Malik (685-705) galt in der islamischen Welt die bimetallische Doppelwährung Golddinare und Silberdirhams
standen in einer festen Parität und waren, solange beide Edelmetalle verfügbar waren, beliebig austauschbar. In Byzanz und Westeuropa galt hingegen der Goldstandard. Silber war dort eine marktgebundene Ware. Diese unterschiedliche Währungsordnung machten sich Kaufleute zunutze, die in Byzanz zu Zeiten eines niedrigen Silberpreises große Mengen Silbers aufkauften und nach Ägypten importierten, wo die
163
GESCHICHTE
Silbermünzen — im Prinzip — mit hohem Gewinn zu dem festgelegten Wechselkurs in
Gold zurückgetauscht werden konnten. Das gerade beim Transport von Gold und
Silber (aber auch z. B. von Seide, einer, wie Goitein" formuliert hat, zeitweilen Bargeld gleichzusetzenden Ware) enorme kaufmännische Risiko wurde durch die genannten Partnerschaften, in denen sich Kaufherr und Schiffseigner zusammentaten,
gemindert. Im 14. Jahrhundert verschlechterte sich die ägyptische Währung, nachdem
bereits unter den Fatimiden der Golddinar langsam vom Markt verschwunden und
durch Silberdirhams ersetzt worden war. Kupferne Scheidemünzen kamen auf (fulus,
heute der umgangssprachliche Begriff für »Geld« in Ägypten schlechthin). Nachdem
sich die Goldvorräte im Lande selbst erschöpft hatten, geriet die ägyptische Wirtschaft in zunehmende Abhängigkeit von den standardisierten, wegen ihres garantiert
gleichbleibenden Gewichts von der Bevölkerung hochgeschätzten Florentiner und
Venezianer Goldmünzen, die trotz mehrfacher Versuche der mamlukischen Regierung im 15. Jahrhundert nie ganz von einheimischen Goldprägungen (die z. T. sogar
ein höheres Goldgewicht hatten!) verdrängt werden konnten. Ägyptische Münzen
und venezianische Dukaten wanderten nach Indien weiter, denn nicht nur mit den
Ländern am Schwarzen Meer, sondern vor allem auch mit Indien hatte Ägypten eine
•negative Handelsbilanz. Generell tendierten mittelalterliche Staaten dazu, die Gefahr
des Warenmangels höher zu veranschlagen als das Risiko einer wachsenden Abhängigkeit von Exportmärkten. Solange noch Goldreserven verfügbar waren, war eine
solche Politik vertretbar; nach 1350 beschleunigte sie den wirtschaftlichen Niedergang des
Landes, der in der Eroberung durch die Osmanen im Jahre 1517 gipfelte.
Ägypten unter osmanischer Herrschaft
Die Geschichte Ägyptens in osmanischer Zeit — von der Eroberung durch Selim I.
im Jahre 1517 bis zur Landung Napoleons im Jahre 1798 — ist trotz ihrer Nähe zur
Gegenwart wenig erforscht; Ägypten war in dieser Zeit kein mächtiges Reich mehr,
sondern eine vom fernen Istanbul aus verwaltete Provinz.
Die Geschichte des Landes ist durch einen allgemeinen Niedergang gekennzeichnet. Seuchen und Hungersnöte dezimierten die Bevölkerung. Die aus dem Osmanischen Reich importierte Inflation der Silber- und Goldwährung (der Paras und Findicilis) trieb um 1600 die in Ägypten stationierten Soldaten zur offenen Rebellion,
aus der sich die bis zur Ankunft Napoleons nicht mehr enden wollenden blutigen interparteilichen Kämpfe in Kairo und den anderen großen Städten entwickelten. Das
S. D. Goitein, 1970, S. 56.
164
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
politische Chaos im Lande ermutigte die Beduinen zu Raubzügen auf dem Nil und zu
Land; die Handelswege wurden unsicher, bis hin vor die Tore der Städte. Handwerkliche Technik und kaufmännische Initiative stagnierten. Isoliert von der Außenwelt
und bar eigener schöpferischer Impulse wurde das kulturelle Leben der Provinz ausgezehrt. Die noch immer eindrucksvolle Baukunst orientierte sich jetzt nach Vorbildern der Reichshauptstadt Istanbul. Die schöne Literatur lag darnieder und die Geschichtsschreibung eine der großen Kulturleistungen des mamlukischen Ägypten,
degenerierte zu einem spärlichen, in Sprache und Stil sehr volkstümlichen chronistischen Schrifttum. Allein die religiöse Kultur, die jetzt ganz von den Sufiorden beherrscht wurde, blühte weiter; asch-Scha`rani (st. 1565), der Begründer der nach ihm
benannten Bruderschaft, gab der Volksfrömmigkeit neue Impulse.
Dieses bestürzende Bild bedarf indessen einer gewissen Korrektur. Auch in osmanischer Zeit gab es Zeichen der Erneuerung und des Aufschwungs, ohne die der
Aufstieg Ägyptens zur politischen, wirtschaftlichen und geistigen Führungsmacht der
Region im 19. Jahrhundert kaum möglich gewesen wäre.
In den Städten bildeten sich straff organisierte Zünfte heraus, deren Scheichs für
das Steueraufkommen verantwortlich waren und sich tatkräftig für die Interessen der
von ihnen vertretenen Handwerker und kleinen Leute einsetzten. Gegen Ende des
18. Jahrhunderts waren sie die treibenden Kräfte hinter den Aufständen gegen die
Franzosen und die osmanischen Besatzungstruppen. Die religiösen Gelehrten ('ulamd) behaupteten ihre politische und wirtschaftliche Macht — auf dem flachen Land
waren sie neben den Mamluken die Nutznießer der einträglichen Steuerpachten. Sie
fungierten erfolgreich als die von allen Seiten respektierten Mittler zwischen der in
einem nach außen geschlossenen System lebenden einheimischen Bevölkerung und
den jeweiligen Machthabern. So konnte z. B. al-Ghaiti, der Scheich eines Kairoer Sufikonventes, Ende des 16. Jahrhunderts einen Aufstand gegen die Regierung niederhalten. Die `ulama' standen später Napoleon und Muhammad 'Ah i als erfahrene und
kooperationswillige Berater zur Seite.
Im städtischen Wirtschaftsleben blieben die Kaufleute im Gegensatz zu den Handwerkern von den schlimmsten Auswirkungen der Rezession verschont Die unverändert günstige Lage Kairos als Umschlagplatz an der Verkehrsachse vom Roten Meer
zum Mittelmeer förderte den gewinnbringenden Handel mit Stoffen, Gewürzen und
ab dem 16. Jahrhundert namentlich mit Kaffee aus dem Jemen. Das Osmanische
Reich öffnete den Kairoer Handeltreibenden neue Märkte.
Die Abschaffung des feudalen iqtd-Systems durch die Osmanen und der Übergang
des gesamten Bodens des Landes in die öffentliche Hand war eine weitere wichtige
Voraussetzung für eine spätere Modernisierung der Wirtschaft Ägyptens im Zeichen
des Rentenkapitalismus. Die Praxis der Hohen Pforte, nach 1517 fest besoldete Steuerbeamte (umana') nach Ägypten zu entsenden, hatte nicht lange Bestand. Man ging
dazu über, die Steuerbezirke an Steuerpächter (multazimun) zu vergeben, die sich
meist aus Mamluken, also Repräsentanten des alten Regimes, und `ulama' rekrutier165
GESCHICHTE
ten. Vakante Steuerpachten wurden versteigert; der Auktionspreis floß in die Privatschatulle des Sultans, des Eigentümers allen Landes nach geltendem osmanischem
Recht. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde ein neuer Kataster angelegt,
in dem der Steuerertrag eines jeden Bezirks festgelegt wurde; da die Abwertung der
Silber- und Goldwährung sehr viel rascher voranschritt als die Anpassung der Steuersätze mit Hilfe von Sonderabgaben (mudafat), konnten sich die Pächter enorm bereichern. Dennoch garantierte, erstmals seit vielen Jahrzehnten unkontrollierter Unterdrückung unter den tscherkessischen Mamlukensultanen, die neue Bodenordnung —
jedenfalls solange die osmanische Zentralmacht stark genug war — ein Minimum an
institutionalisierter sozialer Gerechtigkeit auch für die Fellachen. Die Bauern konnten
gegen die Steuerpächter klagen. Zu öffentlichen Arbeiten konnten sie nur noch gegen
Zahlung einer Extralöhnung herangezogen werden. Die osmanischen Garnisonen
schützten sie vor Überfällen der Beduinen. Nach verheerenden Seuchen war die
ägyptische Bauernschaft dezimiert; Bauern waren gesuchte Arbeitskräfte, und auch
dieser Umstand trug im 16. und 17. Jahrhundert zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lebensbedingungen bei. In Oberägypten, das bis 1576 und dann nochmals im
18. Jahrhundert unter der Herrschaft der Beduinenföderation der Hawwara stand,
galt bis ins 18. Jahrhundert hinein eine andere Ordnung. Dort wurden, wie in alter
Zeit, die Steuern in Naturalien bemessen.
Mit der Autorität der osmanischen Regierung brach im 18. Jahrundert diese relativ
prosperierende ländliche Ordnung zusammen. Die Steuerpachten wurden in den Familien der neumamlukischen Beys erblich und konnten durch Zahlung einer Pauschalsumme vom Staate erworben werden. Die Rivalitäten zwischen den einander
befehdenden Mamlukenparteien führten zu chronischer Anarchie in ganz Ägypten
und vor allem zur kurzfristigen rücksichtslosen Ausbeutung des Landes, unter der
die Bauern schrecklich zu leiden hatten.
Auch die städtischen Steuern, die den Einkünften aus den landwirtschaftlichen
Abgaben in etwa die Waage hielten, wurden verpachtet. Während sich die Marnluken
traditionell auf die ländlichen Einkünfte stützten, suchten die Offiziere der osmanischen Regimenter (odjaqs), an ihrer Spitze die Janitscharen, ihren materiellen Rückhalt in der städtischen Wirtschaft, von deren Prosperität sie abhingen und der sie
darum in einem eigentümlichen Gleichgewicht ihren bürokratischen und militärischen Schutz angedeihen ließen. In vielfältiger Weise arbeiteten in der Zeit zwischen
1660 und 1760 Großhändler und Kaufleute mit den Janitscharen zusammen. Nach
1760, mit dem Wiederaufstieg der Mamlukenbeys, verlor die städtische Wirtschaft
diese Protektion. Jetzt erst kam es zu den schweren Wirtschaftskrisen in Kairo, die
die Stadt und ihre Gesellschaft bei der Ankunft Napoleons kennzeichneten und sich
schließlich in den Volkserhebungen gegen die Fremden in den Jahren 1798 bis 1805
entluden — und die nicht zuletzt für das düstere Image des osmanischen Ägypten
verantwortlich sind.
166
DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Aber selbst im politischen System des osmanischen Ägypten, das durch das Weiterwirken der alten mamlukischen Klasse charakterisiert ist, sind fortschrittliche Züge
erkennbar. Ägypten wurde nicht, wie etwa die syrische Provinz Aleppo, rigoros in
den osmanischen Verwaltungsapparat integriert und konnte so die Basis für eine eigenständige Entwicklung nach 1800 erhalten. Nach dem Tode Cha'ir Begs, der mit
dem Eroberer Selim zusammengearbeitet hatte, und einigen Jahren fortgesetzten lokalen Widerstandes gegen die neuen Herren legte der Großwesir des neuen Sultans
Süleiman im Jahr 1525 in einem Qanunname die neue politische Ordnung Ägyptens
fest, in der Relikte der alten marnlukischen Verwaltung klar zu erkennen sind.
Auf der Zitadelle von Kairo residierte als Spitze der Exekutive und oberster Richter der Statthalter, wali, mit dem Titel eines Pascha. Nach osmanischem Brauch war
seine Amtsperiode in der Regel auf ein Jahr begrenzt; dies sollte den Aufbau einer
separaten Hausmacht verhindern. Auch war es ihm verwehrt, persönlich der ihm beigeordneten Ratsversammlung (diwan) zu präsidieren, vielmehr war diese Funktion
einem Bevollmächtigten (katchuda, kähya) delegiert. Für die Sicherheit im Lande
sorgten anfangs fünf, später sieben autonome Regimenter, die entweder — wie die Janitscharen und die `Azeban — von Selim mit nach Ägypten gebracht worden waren
oder sich aber, wenigstens teilweise, im Lande konstituierten und aus Einheimischen
rekrutierten. Die Kommandeure dieser Regimenter (Aghas) waren ebenfalls vom
Statthalter unabhängig und Istanbul direkt weisungsgebunden — wie auch der für die
Finanz- und Steuerverwaltung des Landes verantwortliche Schatzmeister (defterdar).
Dieses auf rumelische und anatolische Verhältnisse zugeschnittene System einer
sorgfältigen, mehrfachen institutionellen Kontrolle des Gouverneurs begünstigte die
Wiedergeburt bzw. die Kontinuität lokaler Herrschaftsstrukturen. Die Mamluken, die
zum Teil unter Führung Cha'ir Begs mit den Osmanen kollaboriert hatten, waren
nicht als solche diskreditiert, wenn auch die spätere Geschichtsschreibung der ()smanen dieses Bild zeichnet. Selim figurierte in den Legenden des 16. Jahrhunderts — in
einem tieferen historischen Sinne durchaus zu Recht — nicht minder als Beschützer
der Mamluken und ihrer furusiyya (gündilik), ihres altehrwürdigen Rittertums, als
seine Gegner Qansauh al-Ghauri und Tuman Bay oder der tapfere Tscherkesse Kurt
Bay, zu dessen Grab die Mainluken in osmanischer Zeit wallfahrteten.
Es hat den Anschein, als sei die alte mamlukische Elite der hohen Emire mit dem
Titel eines (Sandschak-)Bey, zu dem der Anspruch auf ein jährliches Gehalt (saliyane), aber keine bestimmten militärischen oder politischen Funktionen gehörten, in
das osmanische Regierungssystem eingebaut worden. Im Gegensatz zu den Sandschakbeys in den osmanischen Kemlanden hatten sie keine Militärlehen inne und
zeichneten sich in den ersten hundert Jahren osmanischer Herrschaft als loyale, unauffällige Parteigänger und Stützen des Gouverneurs aus, der sie in ihren Rang berief. In dieser Zeit erwarben sie unter noch nicht näher bekannten Umständen wichtige Privilegien: Sie verwalteten gewöhnlich die Unterprovinzen Unter- und Mittel167
GESCHICHTE
ägyptens und nach der Entmachtung der Hawwara von Girga aus das strategisch
und wirtschaftlich wichtige Oberägypten. Auf direkte Order des Großherrn führten
mamlukische Beys Sonderkommandos, die sich aus Angehörigen der sieben Truppengattungen und den persönlichen mamlukischen Gefolgsleuten des Beys zusammensetzten. Einem solchen Bey, Özdemir Pascha, gelang von Oberägypten aus um 1550
die Eroberung des heutigen Eritrea. Auch das Kommando über den jährlichen Tributkonvoi von Kairo über Land nach Istanbul, die mit viel Prestige und ansehnlicher
Militärmacht verknüpfte Führung der jährlichen ägyptischen Pilgerkarawane, das
Amt des Schatzmeisters und insbesondere die Funktion des qa'im maqam, des Stellvertreters des Gouverneurs in dessen Abwesenheit — all diese Ämter gingen in ihre
Hände über.
Die Beys waren normalerweise echte Mamluken, also meist tscherkessischer Abkunft. Sie wurden in einen Haushalt eingegliedert, freigelassen und von ihrem Herrn
für bestimmte öffentliche Aufgaben bestimmt. Von 1636 bis 1656 erlebte die Macht
der Beys ihren ersten Zenit. Ridwan Bey aus dem Hause der Faqariyya war zwanzig
Jahre lang unumstrittener Führer der Pilgerkarawane. Seine Macht vor allem den Paschas gegenüber spiegelt sich in der von einem Zeitgenossen ihm zu Ehren fabrizierten Genealogie, in der seine Abstammung auf Sultan Barsbay und gar auf die
Quraisch, die Familie des Propheten, zurückgeführt wurde.
Wenn es um 1650 nicht zur Sezession Ägyptens unter der Führung der Mamlukenbeys kam, so lag dies maßgeblich an der aus vorosmanischer Zeit ererbten Zersplitterung der Mamluken in einander mit unversöhnlichem Haß bekämpfende Faktionen, aus denen sich damals die Faqariyya und die Qasimiyya als Hauptlager herausbildeten. Der Dualismus zwischen diesen beiden Parteien, deren Anfänge legendenhaft in die Zeit der Eroberung des Landes durch Selim zurück projiziert wurden,
erfaßte schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts auch die türkischen Regimenter, ja
die städtischen Notabeln und selbst die Beduinen Ägyptens. Es ist von nun an
schwer, wenn nicht unmöglich, in den Berichten über die bürgerkriegsähnlichen
Auseinandersetzungen zwischen den Parteien zwischen dem marnlukischen Element
und den Angehörigen der anderen Eliten zu differenzieren. Zusätzlich verwirrte sich
das Bild nach 1650, da jetzt auch die osmanische Hierarchie und die Regimenter dazu
übergingen, Mamluken zu kooptieren. Die Mobilität der nach altem Brauch nach
Ägypten importierten Mamluken innerhalb der Militärgesellschaft stieg damit weiter
an. Je nach dem Willen ihres Meisters konnten sie sowohl in den Regimentern und
in der Beyswürde ihre Karriere suchen. Nach 1660 büßte der Titel eines Bey seine
Anziehungskraft ein; unter dem Statthalter Qara Mustafa Pascha gelang es der osmanischen Zentralregierung, die Zügel wieder fest in die Hände zu bekommen und eine
— wenn auch nur kurzlebige — Finanzreform durchzusetzen. Nach der Abberufung
des erfolgreichen Statthalters im Jahre 1674 übten die Regimenter vierzig Jahre lang
unumschränkten Einfluß im politischen Leben der Provinz aus.
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DAS ISLAMISCHE UND CHRISTLICHE ÄGYPTEN
Mit der anwachsenden Rekrutierung von Mamluken verschob sich das Gleichgewicht wieder zugunsten der Beys, ausgelöst durch einen Bürgerkrieg, in dem sich
1711 die einzelnen Regimenter erbittert bekämpften. Die Beyswürde versprach den
jungen Mamluken eine gesicherte und dauerhafte zivile oder militärische Karriere; als
Angehörige eines Regiments konnten sie jederzeit wieder abberufen werden. Nachdem sich 1755 der weitsichtige Janitscharen-Agha 'Abd ar-Ralunan Katchuda ein
letztes Mal gegen die Beys hatte durchsetzen können, bestimmten diese ab 1756 die
Geschicke des Landes allein. Ihr Führer, schaich al-balad tituliert, übte bald unumschränkte Macht in Ägypten aus. Gestützt auf seine zahlreichen Mamluken brach 'Ahi
Bey Bulut qapan (»Der Wolkenfänger«) (1766-1773) die Macht der Janitscharen,
setzte einen ihm genehmen Gouverneur bei der Pforte durch, usurpierte schließlich
sogar die altehrwürdigen Regalien islamischer Herrschaft, das Kanzelgebet und die
Nennung seines Namens in der Münzformel, und fiel in Syrien und in Arabien ein,
die seit 1517 von Ägypten getrennt waren (wenn auch die institutionellen Bande
zwischen Ägypten und Syrien in osmanischer Zeit bisher offenbar unterschätzt worden sind). Im Roten Meer forcierte er eine Expansion des ägyptischen Handels. Rußland, den Erzfeind des Osmanischen Reiches, rief er um militärische Unterstützung
in seinem Syrienfeldzug an. Nach 'Ah i Beys gewaltsamem Tod gesellte sich zu der
Wirtschaftskatastrophe — Stadt und Land litten schrecklich unter dem Joch der Beys
— das politische Chaos. Die Duumvirn Murad und Ibrahim Bey, die seit 1784 gemeinsam die Herrschaft ausübten, provozierten die Intervention eines osmanischen
Heeres, das die beiden Beys aus Kairo vertrieb, aber ihre Rückkehr an die Macht
nicht verhindern konnte, als sich die osmanischen Truppen 1791 nach einer Seuche
wieder aus dem Lande zurückzogen.
Diese beiden Mamlukenführer waren es, mit deren Truppen sich die Franzosen,
die im Juli 1798 in Alexandria an Land gingen, auseinanderzusetzen hatten. Napoleon feierte sich selbst als Freund des Islams und Befreier des Landes von dieser, wie
er sagte, Horde georgischer und kaukasischer Sklaven. Ihm gebührt das Verdienst,
den Mamluken die politische Macht über das Land endgültig entrissen zu haben.
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