KNUT HENRIK HENRIKSEN Villa Savoye redrawn with an Opel Astra 2006 and other works from now and then 3. Juli bis 27. Oktober 2013 KNUT HENRIK HENRIKSEN *1970 in Oslo, lebt und arbeitet in Berlin 1991-1993 Oslo Tegne- og Maleskole 1993-1996 Vestlandets Kunstakademi, Bergen 1996 Hochschule für bildende Künste, „Städelschule“, Frankfurt am Main 1996-1997 Vestlandets Kunstakademi, Bergen EINFÜHRUNG Knut Henrik Henriksen reagiert auf architektonische Situationen. Subtil beleuchtet der 1970 in Norwegen geborene Künstler Architekturen, die er kennt oder auf die er trifft. Er untersucht die Gebäude, auch um einen geometrischen Ausgangspunkt aufzudecken, der ihrer Architektur womöglich zugrunde liegt und entwickelt durch Veränderungen von spezifischen Proportionen und Stilen skulpturale Ideen. Es entstehen dreidimensionale, auf die jeweiligen Bauten bezogene Installationen oder Skulpturen aus herkömmlichem, standardisiertem Baumaterial. Eine Sensibilisierung des Betrachters für festgelegte Standards und Normen ist Henriksen dabei genauso wichtig wie eine Aufklärung über bauliche Besonderheiten und kulturelle Rahmenbedingungen. Ein fertiges Gebäude wird oft als Materialisierung einer architektonischen Vision betrachtet, resultiert aber häufig auch aus unzähligen Neudefinitionen, Anpassungen an die Nutzer und pragmatischen Kompromissen. Henriksens Suche nach Unvollendetem, Unvollständigem oder Neudefinierbarem bildet einen wichtigen konzeptionellen Strang in seinem gesamten künstlerischen Schaffen. Seiner Auffassung nach befinden sich in allen Architekturen Elemente des Zweifels, mit denen er sich dann aktiv auseinandersetzt. Vermutlich war es daher kein Zufall, dass sein Interesse vor einigen Jahren auf die Villa Savoye fiel, die Ikone moderner Architektur. Le Corbusier hatte das kubische, weiße Wohnhaus für Wochenendzwecke entworfen und um 1929 außerhalb von Paris fertiggestellt. Dass das Automobil eine zentrale Rolle für den Entwurf des wie auf Stelzen stehenden Hauses spielte, vermutet man heute kaum noch. Tatsächlich wurde die Idee verfolgt, sich motorisiert von hinten dem Haus zu nähern, in der Kurve unter dem überdachten Eingang anzuhalten, um dann, dem bogenförmigen Verlauf der Außenwand folgend, in die Garage hineinfahren zu können. Der Wendekreis eines Autos – dabei soll es sich um einen Citroën gehandelt haben – bestimmte schließlich die Proportionen des Gebäudes und definierte nicht nur den Grundriss des Erdgeschosses. Im Inneren des Gebäudes wird die fließende Bewegung der Autofahrt durch eine Rampe weiter aufgenommen. Welche Konsequenzen hätte ein anderer Wendekreis auf den Entwurf gehabt? Als Henriksen sich mit den Proportionen der Villa Savoye beschäftigte, fuhr er einen Opel Astra. Ein gängiges Fahrzeugmodell jenes Autobauers, der ihm seit seiner Kindheit eng vertraut ist. Sein Vater hatte für Opel in Norwegen gearbeitet und die Familie schon früh für Modelle des deutschen Herstellers begeistert. Das eigene, volkstümliche Auto in die künstlerische Idee zu integrieren, zeigt das Interesse des Künstlers an Gängigem, Alltäglichem und für jedermann Nachvollziehbarem. Kurzerhand fuhr Henriksen mit seinem Auto eine Kurve und übertrug den Wendekreis auf den Entwurf. Seine „Villa Savoye redrawn with an Opel Astra 2006“ bildet eine geschwungene Wand, die nicht wie die Villa Savoye aus dem Wendekreis eines Citroëns von 1927, sondern aus dem eines Opels von 2006 resultiert. Die im Garten der Opelvillen realisierte Kurvenskulptur ist mit Stabhölzern bestückt, die zeigen, inwieweit Henriksen die Originalhöhe des Mauerschwungs von 310 cm verkleinerte. Die Höhe von 240 cm seiner Skulptur entspricht der standardisierten Innenraumhöhe in Norwegen. Neben der Neudimensionierung ersetzte Henriksen auch das Material: statt Glas, Beton und Stahl einfaches Holz aus dem Baumarkt, wie es besonders für norwegische Zimmervertäfelungen üblich ist. Welche Materialien heutige Wohnkultur prägen, lotet der Künstler immer wieder aufs Neue aus. Landesübliche Standards von Farben, Maßen und Qualität sowie genormte Alltagswerkstoffe aus Baumärkten fließen direkt in seine künstlerische Arbeit ein und ersetzen Einzelanfertigungen. Die architektonische Gestaltung der Opelvillen bildet den zweiten Schwerpunkt für Henriksens Ausstellungsprojekt in Rüsselsheim. Intensiv erforschte Henriksen Paul Meißners Architekturentwurf vom Anfang der 1930er-Jahre und untersuchte die Umwandlungen der Räume durch die verschiedenen Nutzer bis heute. Sowohl Grundriss als auch Fassade des Ausstellungshauses ließen Henriksen auf die Grundform eines Kreises schließen, die sich in zahlreichen Proportionen der von Fritz Opel erbauten Villa wiederfindet. Henriksens Fokus auf das Runde legt aber auch ein mathematisches Kalkül des Künstlers offen, dem die von geometrischen Grundelementen geprägte Formensprache des Konstruktivismus nahe scheint. So verfolgt er die Kreisidee bei seiner Intervention in den Opelvillen durch eine Wandöffnung und Bodenelemente. Kreisförmig sägt er die erste temporär eingebaute Ausstellungswand auf und gibt dadurch den Blick auf die verstellte Fensterfront frei. Der Künstler thematisiert jene architektonischen Eingriffe, die nötig waren, um das Gebäude als Ausstellungshaus nutzbar zu machen, und versteht die Zusatzwand als skulpturales Material. Räumliche Erfahrung zu erzeugen, intendiert er noch stärker, indem er eine große Holzwand in einen anderen Ausstellungs- raum legt. Ein schlichtes Dach, zusammengesteckt wie bei einem norwegischen Holzhaus, verstellt dem Betrachter den Blick und drängt ihn durch seine niedrige Höhe zur Bewegung am Rand. Neben der Erfahrbarkeit von andersartigem Raum werden auch einander durchdringende historische und kulturelle Unterschiede auf besondere Weise deutlich. Proportionen einfacher, aus Holz gebauter oder mit Holz vertäfelter Häuser treffen auf die vorherrschenden Strukturen und Dimensionen einer großbürgerlichen Villa. An Alltagsmaterialen, wie etwa gewöhnliche Raufasertapeten oder simple Auslegeware, hält Henriksen fest und sensibilisiert stets aufs Neue den Blick des Betrachters für die Standards von heute. Alle in den Opelvillen gezeigten skulpturalen Untersuchungen von Henriksen entstanden in situ. Während einige Installationen aus vorangegangenen Werken resultieren, sind andere allein aus der Auseinandersetzung mit dem Gebäude entstanden. Den im Foyer vorgefundenen Bronzekopf des einstigen Bauherrn Fritz Opel interpretiert er ebenso neu, wie er auch Boden- und Wandarbeiten eigens für die Opelvillen aus deren Proportionen entwickelt. Knut Henrik Henriksen liefert aufgrund seines künstlerischen Ansatzes, ortsspezifisch zu arbeiten und aus bestehenden Bauten Skulpturen zu definieren, ein wichtiges Statement zur zeitgenössischen Skulptur und Installationskunst. Die Opelvillen bieten ihm dafür mit der Öffnung des Gartens einen außergewöhnlichen Raum. Die überdimensionalen Skulpturen von Henriksen konnten nur mit der Hilfe von Partnern realisiert werden. Das gesamte Material stellte der Globus Baumarkt aus Hofheim zur Verfügung, weitere Unterstützung in der Umsetzung leisteten vor allem der Dachdeckerbetrieb Philipp Bender GmbH & Co. KG sowie T & W GmbH & Co Stahlbau KG aus Rüsselsheim, das Architekturbüro Helfgen & Partner aus Frankfurt und die Schuler GmbH & Co. KG aus Klein-Winternheim. Und ferner ist dem Office for Contemporary Art Norway (OCA) und der Königlich Norwegischen Botschaft für ihre Förderung außerordentlich zu danken. Villa Savoye redrawn with an Opel Astra 2006, 2012/13 Villa Savoye redrawn with an Opel Astra 2006, 2012/13 Arch (Opelvillen), 2013 A story about the sun and the moon, 2013 Night & Day, 2013 WERKE IN DER AUSSTELLUNG Villa Savoye redrawn with an Opel Astra 2006 2012/13 Holz, Stahl, Farbe 3,10 x 7,5 x 3,75 m Arch (Opelvillen), 2013 Holz 3,76 x 0,15 x 1,88 m A story about the sun and the moon, 2013 Geschnittene und verschobene temporäre Stellwand 3,80 x 4,53 m Black avalanche # 3, 2013 Raufasertapete, Zeichenkohle 3,80 x 1,10 x 0,53 m Violet, 2013 Teppich 20,06 x 14,95 m Night & Day, 2013 Holz 3,80 x 8,46 x 3,43 m Fritz, 2013 Edelstahl 40 x 24 x 10,5 cm Monument of doubt # 4, 2008 Stahl, Holz 144,5 x 99 x 84,5 cm und andere Arbeiten © Knut Henrik Henriksen Courtesy für alle Werke Sommer & Kohl, Berlin/Hollybush Gardens, London Fotos: Frank Möllenberg Öffnungszeiten Mo. und Di. geschlossen, Mi. 10 – 18 Uhr Do. 10 – 21 Uhr, Fr. bis So. 10 – 18 Uhr Barrierefreier Zugang zum Gebäude über eine Rampe an der Mainseite KUNSTKAFFEE Jeden Mittwoch um 14.30 Uhr KUNSTABEND Jeden Donnerstag um 19 Uhr KUNSTPAUSE Donnerstag 12.9. und 10.10. von 13 bis 13.30 Uhr FAMILIENSONNTAG Sonntag 14.7., 11.8., 8.9. und 13.10. um 15 Uhr Anmeldung erbeten Öffentliche Führungen Sonntags um 11.30 und 15 Uhr Exklusive Führungen auch in anderen Sprachen sind individuell buchbar. Sprechen Sie uns an oder schreiben Sie uns! Stiftung Opelvillen Ludwig-Dörfler-Allee 9, 65428 Rüsselsheim Tel. 06142-83 59 07, [email protected] www.opelvillen.de Diese Broschüre erscheint anlässlich der Ausstellung „Knut Henrik Henriksen: Villa Savoye redrawn with an Opel Astra 2006 and other works from now and then“ kuratiert von Dr. Beate Kemfert Texte: Dr. Beate Kemfert Redaktion: Kristine Dehn DANKE! Knut Henrik Henriksen Patricia Kohl und Salome Sommer Sommer & Kohl, Berlin Hollybush Gardens, London Christoph Warnick, Globus Baumarkt Hofheim Dirk Helfgen, Helfgen + Partner Lara Hoffmann Gerhard Müller Dirk Schäfer, Philipp Bender GmbH & Co. KG Bernd Weidmann, T & W GmbH & Co Stahlbau KG Dr. Susanne und Gerhard Bukenberger, Schuler GmbH & Co. KG Roland Gramenz, Gramenz GmbH Elke Seibert, Seibert Wohnambiente www.opelvillen.de