Newsletter Trancolong 2_2012:Layout 1 18.04.2012 15:00 Seite 2 Meldungen Neuronen können vergesslich machen In den Neuronen im Gehirn haben Berner Forscher einen Mechanismus nachgewiesen, der möglicherweise für das Vergessen verantwortlich ist. Astrozyten greifen über einen cannabisähnlichen, vom Gehirn selbst produzierten Stoff aktiv in den Gehirnstoffwechsel ein und beeinträchtigen das Erinnerungsvermögen. Wichtig ist diese Erkenntnis vor allem für die Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen. Bei diesen erinnern sich die Hirnzellen zu stark an den Schmerz. Was ein Mensch gelernt hat, wird umso fester im Gehirn verankert, je häufiger es repetiert wird: Durch das Wiederholen werden die Verbindungen zwischen den entsprechenden Hirnzellen so stark geknüpft, dass „Datenautobahnen“ entstehen. Dadurch kann das Wissen sehr schnell abgerufen werden. Forscher des Instituts für Physiologie der Universität Bern haben im Gehirn aber auch einen Mechanismus identifiziert, der die Verbindungen zwischen Hirnzellen so abschwächt, dass Wissen verloren geht. Eine zentrale Rolle spielen dabei die so genannten Astrozyten (Sternzellen). Bislang war diesen Zellen nur eine passive Rolle zugeschrieben worden, indem sie die Neuronen, die „denkenden“ Zellen, lediglich stützen, schützen und ernähren. Das Team von Prof. Dr. Thomas Nevian und Dr. Rogier Min stellte nun fest, dass die Astrozyten cannabisähnliche Substanzen (Endocannabinoide) ausschütten, welche die Verbindung zwischen zwei Hirnzellen abschwächen können – und zwar so stark, dass dadurch Wissen verloren geht (R. Min, Th. Nevian, Nature Neuroscience 2012 DOI: 10.1038/nn3075). Die Schweizer Tageszeitung „Blick“ titelte prompt: „Unser Gehirn bekifft sich selbst“. Schmerzmittel und Umwelt Immer häufiger werden Arzneimittelrückstände in Gewässern und Böden nachgewiesen. Von 156 festgestellten Wirkstoffen besitzen 24 ein hohes Potenzial, Umweltorganismen zu schädigen. Einer dieser Wirkstoffe ist das weit verbreitete 02/2012 . Aktuelles zur Schmerztherapie Schmerzmittel „Diclofenac“, das Nierenschäden bei Fischen verursachen kann. Das erklärte Jochen Flasbarth, Präsident des Bundesumweltamtes, bei der Vorstellung einer Studie, die die Behörde in Auftrag gegebenen hatte. Praxis-Leitlinien Rückenschmerz Erstes Modul zu Muskelrelaxantien und Praxis-Fragebogen vorgestellt Geringe Muskelstärke nicht prädiktiv für zukünftige Erkrankungen und Fehlzeiten Eine geringe Muskelstärke scheint bei Arbeitern kein guter Prädiktor für muskuloskelettale Erkrankungen und langfristige Fehlzeiten am Arbeitsplatz zu sein. Zu diesem Ergebnis kommen dänische Wissenschaftler in einer repräsentativen Kohortenstudie. Muskuloskelettale Erkrankungen sind ein gesicherter Risikofaktor für langfristige Arbeitsunfähigkeit (AU). Die Muskelstärke ist zwar ein Indikator für die allgemeine Gesundheit. Ob und welche Wechselbeziehungen zwischen Muskelstärke und muskuloskelettalen Erkrankungen bestehen, dazu ist die Datenlage widersprüchlich. Nur wenige Studien gehen zudem noch auf die Verbindung mit langfristiger AU ein. In einer neuen Untersuchung haben dänische Autoren (Faber A et al. Occup Med (London) 2012; 62:41-46) in einer repräsentativen Stichprobe von 421 Arbeitern im Jahr 1995 die Muskelstärke ermittelt. Fünf Jahre später haben sie in der Kohorte die Inzidenz muskuloskelettaler Erkrankungen erhoben. Die AU-Daten für den Zeitraum von 1996 bis 2007 wurden der nationalen Datenbank entnommen. Der chronische Schmerz zählt ab dem kommenden Jahr zu den 80 Diagnosegruppen, die im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) zuschlagsrelevant sind. Damit wird zumindest für einen Teil der 23 Millionen Schmerzpatienten in Deutschland ein Leck im Gesundheitssystem geschlossen. Als „geringe Muskelstärke“ wurde die niedrigste Quartile in der Kohorte definiert. Beim Vergleich von Arbeitern mit geringer und höherer Muskelstärke ergab die Regressionsanalyse – adjustiert nach Alter, Rauchen und Body-Mass-Index – keine signifikanten Assoziationen zwischen geringer Muskelstärke, Inzidenz von muskuloskelettalen Erkrankungen und langfristiger AU. „Allein die Versorgung von RückenschmerzPatienten schlägt derzeit mit rund 48,5 Milliarden Euro jährlich zu Buche“, erklärte Dr. Gerhard Müller-Schwefe als Präsident beim 23. Interdisziplinären Schmerz- und Palliativkongress in Frankfurt. Aktuell ist seinen Worten zufolge die Versorgung von Schmerzpatienten nicht nachhaltig und flächendeckend sicherzustellen. Derzeit existieren nur 150 zertifizierte regionale schmerztherapeutische Zentren mit entsprechenden Wartelisten – eine Frühintervention sei hier nicht möglich. Kreuzschmerz in der Arztbibliothek Kreuzschmerzen zählen hierzulande zu den am häufigsten geklagten Schmerzen überhaupt. Bei etwa 85 von 100 Menschen mit Kreuzschmerzen besteht ein „nichtspezifischer Kreuzschmerz“. Die nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz findet sich unter www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de. Noch relativ neu sind die Patienten-Leitlinie „Kreuzschmerz“ und die Kurzinformationen für Patienten „Akuter Kreuzschmerz“ und „Chronischer Kreuzschmerz“, die hilfreich sind zur Aufklärung der Patienten über wirksame Maßnahmen bei nichtspezifischem Kreuzschmerz. Die Patienteninformationen sind online abrufbar unter www.arztbibliothek.de Um eine bessere Versorgung sicherzustellen, forderte der Göppinger Schmerztherapeut, die Schmerzmedizin verpflichtend in die Approbationsordnung aufzunehmen, entsprechend dem Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums. Für eine bessere Versorgung müsse die Schmerzmedizin ein eigenes Fachgebiet werden. Basisinformation Trancolong, Retardtabletten Ein Service von DR. KADE Pharmazeutische Fabrik GmbH Mit praktikablen Leitlinien die Versorgung verbessern Art.-Nr. 90225 DR. KADE Pharmazeutische Fabrik GmbH, Berlin. Trancolong®, Retardtabletten. Wirkstoff: Flupirtinmaleat. Verschreibungspflichtig. Zus.: 1 Retardtablette enth. 400 mg Flupirtinmaleat. Sonst. Bestandteile: Calciumhydrogenphosphat-Dihydrat, mikrokristalline Cellulose, Croscarmellose-Natrium, Eisen(III)-hydroxid-oxid · H2O, Hypromellose, Magnesiumstearat (Ph. Eur.), Polyacrylat-Dispersion 30 %, hochdisperses Siliciumdioxid, Talkum. Anw.: Akute u. chronische Schmerzen wie schmerzhafte Muskelverspannungen der Halte- u. Bewegungsmuskulatur. Gegenanz.: Überempfindlichkeit gg. Flupirtinmaleat od. sonst. Bestandteile. Patienten mit dem Risiko einer hepatischen Enzephalopathie; Cholestase; Myasthenia gravis; Lebererkrankung; Alkoholabusus; Patienten mit kürzlich überwundenem oder aktiv bestehendem Tinnitus; Hypalbuminämie; Kinder; Schwangerschaft; Stillzeit. Nebenw.: Müdigkeit (insbes. bei Therapiebeginn); Kopfschmerzen; Schwindel; Schlafstörungen; Tremor; Unruhe/Nervosität; Sodbrennen; Übelkeit/Erbrechen; Appetitlosigkeit; Magenbeschwerden; Verstopfung; Bauchschmerzen; Blähungen; Durchfall; Depressionen; Verwirrtheit; allergische Reaktionen (z. B. Ausschlag, Nesselsucht, Juckreiz), in Einzelfällen mit erhöhter Körpertemperatur; Sehstörungen; Transaminasenerhöhungen (überwiegend rückläufig nach Dosisreduktion bzw. Absetzen von Flupirtinmaleat); Hepatitis (akut od. chronisch, ikterisch od. anikterisch, mit od. ohne cholestatischen Einschlag); Einzelfälle von Leberversagen; Mundtrockenheit; Schweißausbrüche. Weit.Hinw. s. Fach- und Gebrauchsinfo. Stand: 09/2011 Packungsgrößen: 14 Retardtabletten, 42 Retardtabletten, 84 Retardtabletten. Das Ziel, mit Leitlinien die Versorgung von Schmerzpatienten zu verbessern, ist mit den vielfältigen, bisher vorliegenden unterschiedlichen Versionen nicht erreicht worden, konstatierte Privatdozent Dr. Michael Überall aus Nürnberg. „Nur jeder vierte bis fünfte ‚schaffende Arzt‘ kennt die Leitlinien, egal wie jung oder alt oder computer-affin.“ Deshalb hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin zusammen mit der Deutschen Schmerzliga damit begonnen, Implementierungshilfen für Allgemeinmediziner in Form von Praxis-Leitlinien mit Modulen zu schaffen. Kreuzschmerz: Flupirtin schneidet gut ab Vorgestellt wurden die Praxis-Leitlinie Tumorschmerz und diejenige zur Therapie von Durchbruchschmerzen sowie das Modul „Muskelrelaxantien bei Kreuzschmerz“. Darin ist Flupirtin als Mittel der ersten Wahl gelistet, weil es bei allen Kriterien – externe und interne Evidenz, Sicherheit und Verträglichkeit sowie den Erfahrungen der Patienten – am besten abgeschnitten hat (siehe Seite 2). DER DEUTSCHE SCHMERZ- und PALLIATIVTAG 2012 23. Deutscher interdisziplinärer Schmerz- und Palliativkongress Frankfurt/M., 14.-17.03.2012 möglichen neuen Therapieansätzen ergeben (siehe Seite 3). Dass das Syndrom in der Praxis erhebliche Probleme machen kann, hat Dr. Johannes Horlemann aus Kevelaer bei einem assoziierten Workshop aufgezeigt. Unter dem „Etikett“ einer Fibromyalgie können sich zahlreiche schmerzhafte Störungen verstecken. Immer wieder verdeckt eine somatische Depression die Symptome der prinzipiell vorrangigen Störung. Am Beispiel einer lange vortherapierten Patientin zeigte der Experte auf, wie sich im Verlauf ein vorrangig myofasziales Schmerzsyndrom sichern und therapieren ließ. Die Patientin sprach dann mit einer deutlichen Schmerzreduktion auf den Zusatz von Flupirtin (Trancolong®) an, das den erhöhten Muskeltonus normalisiert (siehe Seite 2). Als praktisches Hilfsmittel ist im Zuge dieser Leitlinienarbeit ein Praxis-Fragebogen entstanden. Laut Überall ist damit relativ gut zwischen Rückenschmerzen entzündlicher und muskulärer Genese zu diskriminieren. Mit diesem Instrument, so hoffen die Experten, dürfte die reflexartige Verordnung von Entzündungshemmern zugunsten der Muskelrelaxantien verschoben werden. Neues zur Fibromyalgie Beim Fibromyalgie-Syndrom hat sich mit der Entdeckung von Interaktionen zwischen dem kardiovaskulären System und dem Schmerz eine neue Sichtweise mit www.trancolong.de Newsletter Trancolong 2_2012:Layout 1 18.04.2012 15:00 Seite 4 Chronisches Schmerzsyndrom / Fibromyalgie-Syndrom Mit geeigneter Therapie das vorrangige Syndrom entlarven Unter dem „Etikett“ einer Fibromyalgie können sich zahlreiche schmerzhafte Störungen verbergen. Immer wieder verdeckt eine somatische Depression die Symptome der prinzipiell vorrangigen Störung. Tücken der Diagnose In der Praxis ist das Fibromyalgie-Syndrom nicht einfach zu diagnostizieren, betonte Dr. Johannes Horleman aus Kevelaer. Wie der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie bei einem assoziierten Workshop ausführte, sind bei Panalgesie differentialdiagnostisch muskuläre, depressive oder auch somatoforme Schmerzstörungen abzuklären. Yoga und andere Entspannungstechniken verbessern nach der aktuellen Studienlage das Fibromyalgie-Syndrom nicht. Am Beispiel einer sehr stark betroffenen Schmerzpatientin machte der Referent deutlich, wie wichtig die Verlaufsbeobachtung sein kann: Als Fibromyalgie-Fall über- wiesen, stellte sich bei der Patientin im weiteren Verlauf ein myofasziales Schmerzsyndrom als maßgeblich heraus. Die 56-jährige Patientin litt an einem chronischen Schmerzsyndrom (Stadium III Gerbershagen), laut Klinikdiagnose an einer Fibromyalgie und an depressiver Somatisierung und hatte bereits mehrere erfolglose Reha-Maßnahmen hinter sich. Aufgrund der Panalgesie mit Symptomüberschneidung kamen ein sekundäres Fibromyalgie-Syndrom, ein generalisiertes myofasziales Schmerzsyndrom und eine somatisierte Depression (Strukturebene II) in Betracht. Schlaf verbessern Da sich die Schmerzsymptomatik unter Duloxetin besserte (von VAS 10 auf 7-8) und die Schlafstörungen zurückgingen, wurde über den positiven Nachweis der Triggerpunkte ein vorrangig myofasziales Syndrom offenbar. Daher sprach die Patientin auf die zusätzliche Verordnung von Flupirtin (Tran- colong®) an, die Schmerzsymptomatik nahm deutlich weiter ab (VAS 4-5). Fehlende Tiefschlafphasen Charakteristisch für das Fibromyalgie-Syndrom ist das Fehlen der Tiefschlafphasen (Stadium III und IV der Schlaftiefe). Bei der Therapie sollten deshalb unbedingt schlafvertiefende Medikamente eingesetzt werden, erklärte der Schmerztherapeut. Er warnte eindringlich vor Präparaten, die zu einer Nivellierung des Schlafes führen. Als geeignet für einen erholsamen Schlaf stufte Horlemann Duloxetin ein, das im beschriebenen Fall vom achten Tag an seine Wirkung entfaltete. Auch Pregabalin sieht er als Option an, wenn Angst und Depression im Vordergrund stehen. Flupirtin fördert Anteil der tiefen Schlafphasen Ein Alleinstellungsmerkmal weist für Horlemann Flupirtin auf: Dieser Wirkstoff ist kein Schlafmedikament, fördert aber den Anteil der tiefen Schlafphasen und sorgt so für eine verstärkte Erholung während des Schlafes. Die Hauptwirkungen sind einerseits der muskelrelaxierende und andererseits der antichronifizierende Effekt der Substanz. Sie erfüllt somit mehrere zentrale Bedingungen der Schmerzmedizin. Fibromyalgie Preis für neuen Therapieansatz Beim Fibromyalgie-Syndrom bestehen offensichtlich Interaktionen zwischen dem kardiovaskulären System und dem Schmerz: Die Sensitivität des Barorezeptorreflexes, der nicht nur vegetative Kreislaufregulationszentren im ZNS beeinflusst, sondern auch Einfluss auf die Schmerzperzeption nimmt, scheint vermindert. Sie kann durch „operantes Lernen“ verbessert werden. Pilotstudien weisen eine langanhaltend erhöhte Schwelle für Schmerzen und Schmerztoleranz aus. Für ihre bahnbrechenden Entdeckungen ist Professor Kati Thieme, Direktorin des Institutes für Medizinische Psychologie der Universität Marburg, mit dem Deutschen Schmerzpreis ausgezeichnet worden. Die erhöhte Perzeption von Schmerzen dürfte demnach auf Veränderungen beruhen, die nicht nur als „einfache“ psychische Traumatisierung abzutun sind, sondern auf tiefgreifenden physiologischen Veränderungen beruhen, würdigten die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie und die Deutsche Schmerzliga die Verdienste der Preisträgerin. Thieme hat gezeigt, dass bei Fibromyalgie-Patienten der bei Gesunden vorhandene, antinozizeptive Effekt von Stress auf die Herzfrequenz (Blutdruckanstieg bei akutem Schmerz) weitgehend fehlt – vielmehr ist die Sensitivität des Barorezeptorreflexes bei diesem Krankheitsbild erheblich vermindert. Dies könnte die verstärkte Schmerzperzeption bei Fibromyalgie-Patienten erklären. Die stark verminderte Empfindlichkeit des Baroreflexes führt dabei nicht zur Aktivierung zweier Kerngebiete des Hirnstammes (NTS*, NRM**), die essentiellen Einfluss auf die deszendierende Schmerzhemmung haben. Lernen hat einen wichtigen Einfluss auf die Sensitivität des Reflexes – und auch auf die Schmerzen, wie die Preisträgerin an 30 Patienten gezeigt hat: Periphere elektrische Stimuli von dreimal acht Minuten zu einem definierten Zeitpunkt des Herzzyklus in Kombination mit kognitiv-verhaltenstherapeutischer bzw. operanter Schmerztherapie über zehn Sitzungen führten zumindest bei sechs Patienten zur Normalisierung der Schmerztoleranzschwelle. Prof. Kati Thieme nimmt die Auszeichnung entgegen. * NTS – Nucleus Tractus Solitarius ** NRM – Nucleus Raphne Magnum Muskelrelaxantien bei Rückenschmerz Leitlinienmodul vorgestellt Flupirtin schneidet im Modul „Muskelrelaxantien bei Kreuzschmerz“, das erstmals beim Schmerztag in Frankfurt präsentiert wurde, gut ab. Chronischer Rückenschmerz mit Osteochondrose Ruhe und Bewegung gleichwertig Patienten. Er bemängelte zudem fehlende Transparenz und „eminenzbasierte“ Empfehlungen. Flupirtin schneidet sehr gut ab In diesem Teil der Praxis-Leitlinien, die von der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin und der Deutschen Schmerzliga erarbeitet werden, fließen neben der verfügbaren externen Evidenz aus kontrollierten Studien standardisiert erhobene klinische Erfahrungen der Therapeuten als interne Evidenz ein. Zusätzlich werden die Erfahrungen der Patienten sowie Daten zu Sicherheit und Verträglichkeit in der Bewertung berücksichtigt, erläuterte Privatdozent Dr. Michael Überall. Wie der Leiter des Instituts für Qualitätssicherung in Schmerzmedizin und Palliativmedizin in Nürnberg weiter ausführte, haben einige der vielen Leitlinien zur Schmerztherapie Defizite und Schwächen. Zum Teil entsprächen die Aussagen weder den praktischen Erfahrungen der Schmerztherapeuten noch denjenigen der betroffenen Aktuell präsentiert wurden die Praxis-Leitlinie Tumorschmerz und diejenige zur Therapie des Durchbruchschmerzes sowie ein Modul zu Muskelrelaxantien bei Kreuzschmerz (Ebene I der Praxis-Leitlinie als Empfehlung zu Wirkstoffen und Fertigarzneimitteln). Darin wird Flupirtin als Mittel der ersten Wahl empfohlen, weil es bei allen Kriterien am besten abgeschnitten hat. Bewertet wurden 14 Substanzen mit muskelentspannender Wirkung. Auf Rang zwei liegt Methocarbamol, gefolgt von Tetrazepam. Als Konsequenz aus der Leitlinienarbeit ist zusätzlich ein Praxis-Fragebogen entstanden, der laut Überall als einfaches Hilfsmittel eine relativ gute Diskriminierung zwischen Entzündungsschmerz und Muskelschmerz erlaubt – mit einer Sensitivität von Kommentar Dr. M. Überall, Nürnberg 86 Prozent und einer Spezifität von 77 Prozent. „Das Kernproblem ist die reflexartige Verordnung von Entzündungshemmern. Bei Schulter-, Nacken- und Rückenschmerzen spielt der Prostaglandin-Stoffwechsel in der Genese aber keine Rolle“, verdeutlichte Dr. Gerhard Müller-Schwefe als Präsident der Gesellschaft. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Kreuzschmerz-Patienten handle es sich um muskuloskelettale Schmerzen. Um die Patienten für eine multimodale Therapie zu aktivieren, müssten dann konsequenterweise Muskeltonusnormalisierende Wirkstoffe als Basismedikation eingesetzt werden. Ein Ergebnis, das Patienten mit Wohlwollen, Schmerztherapeuten mit Skepsis aufnehmen dürften: Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und WirbelkörperVeränderungen ist die Verordnung von Ruhe oder aber Bewegungstherapie gleichwertig. Bewegungstherapie ist Mittel der Wahl bei den meisten chronischen Kreuzschmerzen. Aber ist dies auch die beste Wahl für diejenigen Patienten, die sichtbare Wirbelkörper-Veränderungen im MRT aufweisen? Nein, meint Rikke Jensen aus dem dänischen Odense aufgrund einer Studie an 100 Patienten (BMC Medicine 2012,10:22 DOI:10.1186/preaccept-20769 84228657971). Die Patienten einer Tagesklinik durften sich zehn Wochen entweder täglich zwei Stunden „ausruhen“ oder erhielten einmal wöchentlich ein BewegungstherapieSchema, das sie täglich umsetzen sollten. Die Nachbeobachtung bei Studienende und 52 Wochen nach Intervention umfasste Schmerz, allgemeine Gesundheit und krankheitsbedingtes Fehlen. Die Compliance war in beiden Gruppen vergleichbar. Die globale Einschätzung zeigte keine Unterschiede: Anstelle von 14 Prozent bei Therapieende fühlten sich 24 Prozent nach 52 Wochen „besser oder viel besser“. „Obwohl Bewegung nicht besser abschnitt als Ruhe, dürfte das Konzept, bei dem die Patienten aktiv bleiben, vorteilhafter für Körper und Seele sein“, so die Autoren zu den unerwarteten Ergebnissen. Dr. O. Emrich, Ludwigshafen Die einzige Aussage, die für den Ludwigshafener Schmerztherapeuten Dr. Oliver Emrich zu dieser Studie möglich ist: Bei Patienten mit länger dauerndem Rückenschmerz, die radiologisch fassbare Wirbelkörper-Veränderungen (Osteochondrose) aufweisen, ist eine zehnwöchige Therapie mit Bewegungsübungen einmal wöchentlich nicht besser als keine körperliche Aktivität. Insgesamt beurteilt er die Studiendauer als zu kurz und die „Power“ der Untersuchung als relativ gering.