W. Sennebogen: Zwischen Kommerz und Ideologie - H-Net

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Waltraud Sennebogen. Zwischen Kommerz und Ideologie: Berührungspunkte von Wirtschaftswerbung und Propaganda im Nationalsozialismus. München: Martin Meidenbauer Verlag,
2008. 448 S. ISBN 978-3-89975-684-5.
Reviewed by Gerulf Hirt
Published on H-Soz-u-Kult (May, 2009)
W. Sennebogen: Zwischen Kommerz und Ideologie
furt am Main 2000.
Das Verhältnis von Wirtschaftswerbung und politischer Propaganda im Nationalsozialismus erfreut
sich seit einiger Zeit des zunehmenden Interesses von
Wirtschafts-, Sozial- und Kulturhistorikern. Hartmut
Berghoff hat darauf hingewiesen, dass sich keine andere
Partei so stark an den Strategien der kommerziellen Reklame orientiert habe wie die NSDAP. Hartmut Berghoff,
Von der Reklame“ zur Verbrauchslenkung. Werbung
”
im nationalsozialistischen Deutschland, in: Ders. (Hrsg.),
Konsumpolitik. Die Regulierung des privaten Verbrauchs
im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 77-112, hier S. 81.
Gerhard Voigt wiederum näherte sich dem Markentech”
niker“ Joseph Goebbels. Gerhard Voigt, Goebbels als Markentechniker, in: Fritz Haug u.a. (Hrsg.), Warenästhetik. Beiträge zur Diskussion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik, Stuttgart 1975, S. 231-260. Umfangreichere Arbeiten zu diesem wichtigen Forschungssujet
an der Schnittstelle von Ökonomie und Politik existieren
bisher jedoch kaum. Erste Ansätze finden sich nur in der
eher journalistischen Arbeit Uwe Westphals Uwe Westphal, Werbung im Dritten Reich, Berlin 1989. sowie in Gestalt der zentralen wirtschaftshistorischen Forschungsleistung Dirk Reinhardts. Dirk Reinhardt, Von der Reklame zum Marketing. Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland, Berlin 1993. Hinzu kommen Untersuchungen zu einzelnen Teilgebieten, von denen der
durch Matthias Rücker vorgenommene rechtshistorische
Untersuchungsansatz besonders hervorzuheben ist. Matthias Rücker, Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus. Rechtliche Ausgestaltung der Werbung und
Tätigkeit des Werberats der deutschen Wirtschaft, Frank-
Waltraud Sennebogen hat sich nun die Aufgabe gestellt, den Grenzbereich von Werbung und Propagan”
da im Dritten Reich‘ eingehender zu betrachten“ (S. 26)
’
und somit die erste ausführlichere Abhandlung über das
komplexe Interaktionsverhältnis von ökonomischer und
politischer Werbung im Nationalsozialismus vorzulegen.
Dieses leitende Erkenntnisziel erfährt in zweifacher Weise thematische Einschränkungen: Erstens konzentriert
sich die vorliegende Studie explizit auf die Propaganda
”
von unten“, worunter Sennebogen die im Alltag ansetzende NS-Propaganda versteht. Zweitens liegt der Untersuchungsfokus auf dem Zugriff des NS-Regimes auf die
Werbebranche. Allerdings wird diese zweite Forschungspräzisierung in gewisser Weise wieder relativiert, da zugleich auch der Frage nach den Folgen für die Werbebranche nachgegangen werden soll.
Zur Erreichung des Forschungsziels gliedert sich die
Arbeit in vier inhaltliche Hauptabschnitte. Im ersten Abschnitt wird die Genese von Werbung und Propaganda vom Kaiserreich“ bis in die Weimarer Republik re”
konstruiert. Dies schließt eine etymologische Untersuchung der zentralen Termini, eine kursorische Betrachtung der Professionalisierung der Werbebranche, einen
Überblick über die Veränderungen der Werbemittel, erste Ansätze zur Verwissenschaftlichung der Werbung sowie Perspektiven auf Werbekritiken und -kritiker vor
dem Hintergrund gesetzlicher Regelungen mit ein. Der
erste Abschnitt endet mit einem Abriss der symbioti-
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schen Beziehung politischer Propaganda und Reklame
anhand des Beispiels der nationalistischen Propaganda
vom Wilhelminismus bis in die Weimarer Republik. Der
zweite Abschnitt behandelt die Expansion des Einflusses nationalsozialistischer Propaganda auf das Gebiet der
Wirtschaftswerbung seit 1933. Neben der Untersuchung
der organisatorischen Gleichschaltung“ des Werbewe”
sens, unter dem Diktat eines einheitlichen Gesetzes über
”
Wirtschaftswerbung“, wird auch die propagandistische
Konstruktion des Epithetons einer genuin deutschen“
”
Werbung gegenüber der, nunmehr antinomischen, jü”
dischen Reklame“ erforscht.
rung und Kritik der Wirtschaftswerbung, Berlin 2000.
Wie leider schon Lamberty, so bietet auch Waltraud
Sennebogen keine grundlegende reflektierte Auseinandersetzung mit professionstheoretischen Ansätzen. Dabei lautet sogar der Titel eines entsprechenden Kapitels
Professionalisierung und Institutionalisierung des Wer”
bewesens“. Es macht jedoch wenig Sinn, von einer irgendwie gearteten Professionalisierung“ der Werbebe”
rufe respektive der Werbeindustrie zu sprechen, wenn
dabei das eigene Professionalisierungsverständnis intransparent und damit beliebig bleibt.
Durch die starke Anlehnung an Christiane Lamberty wird ex post versucht, eine allgemeine werbefachliche
Professionalisierung“ bis zum Ersten Weltkrieg zu kon”
struieren. Diese Intention führt zu Widersprüchen: Eine
”
wirklich berufsspezifische Ausbildung war jedoch auch
am Anfang des Ersten Weltkrieges nicht erreicht. Bis zum
Beginn des Ersten Weltkrieges war somit die Professionalisierung des Werbewesens in Deutschland in ihren
Grundzügen abgeschlossen“ (S. 48). Hier hätten mindestens die einschlägigen professionstheoretischen Arbeiten
rezipiert werden müssen. Werner Conze / Jürgen Kocka,
Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Bildungsbürgertum und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985, S. 9-26 und Hannes Siegrist, Bürgerliche Berufe. Die Professionen und das Bürgertum, in: Ders. (Hrsg.),
Bürgerliche Berufe. Zur Sozialgeschichte der freien und
akademischen Berufe im internationalen Vergleich, Göttingen 1988, S. 11-48. Diese mangelnde Reflektionsleistung bleibt ein Manko der gesamten Arbeit.
Daran anschließend widmet sich der dritte Abschnitt
den Auswirkungen des NS-Propagandamonopols auf die
Werbung sowie insbesondere auf die Werbeträger und
-mittel anhand des Beispiels der Rundfunkpolitik. Der
Umfang des Kapitels reicht von der Transformation von
Sammelbildern des Cigaretten-Bilderdienstes Altona”
Bahrenfeld“ der Firma Reemtsma zu Propagandamitteln
bis hin zum Verhältnis von politischen und ökonomischen Interessen in Gemeinschaftswerbungs-Strategien
und zur Einbindung von Wirtschaftswerbung in die
Verbrauchslenkungs-Kampagnen während des Zweiten
Vierjahresplans. Im letzten Abschnitt versucht Sennebogen anhand einer Fallstudie zum Gesetz zum Schutz der
”
nationalen Symbole“ vom 19. Mai 1933 die Verbindung
von NS-Symboliken und Wirtschaftswerbungsinteressen
aufzuzeigen und empirisch zu untermauern.
Die einleitend vorangestellte begriffsgeschichtliche
Auseinandersetzung mit den Termini Reklame“, Pro”
”
paganda“ und Werbung“ fällt sehr differenziert aus.
”
Hier wird erkennbar, dass an frühere Forschungen angeknüpft werden konnte. Waltraud Sennebogen, Von jüdischer Reklame zu deutscher Werbung. Sprachregelung in
der nationalsozialistischen Wirtschaftswerbung, in: Dies.
/ Albrecht Greule (Hrsg.), Tarnung – Leistung – Werbung. Untersuchungen zur Sprache im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2004, S. 173-219. Überhaupt wird
in der gesamten Arbeit sehr deutlich, dass der sprachlichen Regulierung eine zentrale Bedeutung beigemessen wird, weshalb später mit einem Kapitel über Die
”
sprachlichen Folgen des Propagandamonopols“ ein erneuter sehr detaillierter Abschnitt zu dieser Thematik
folgt.
Hinsichtlich der Werbebranche liegt der Fokus zudem
allzu stark auf den Annoncen-Expeditionen (den Werbemittlern) und weniger auf den strategisch planenden
Werbungschaffenden (Werbeberatern und Werbeleitern)
als Akteure. Zwar werden – neben den Pionieren wie
Johannes Weidenmüller – einige zentrale Werbeberater
genannt (etwa Egon Juda oder Hanns W. Brose), doch
diese erfahren keine nähere Erörterung. Ferner übernahmen sie – konträr zu Waltraud Sennebogens Annahme –
keineswegs seit den 1920er-Jahren im Sinne einer one
”
way“-Adaptation fachliche Impulse aus den USA, sondern adaptierten sehr selektiv. Für die Weimarer Republik wird in Kapitel 2.3. zutreffender Weise die deutliche
visuelle Überlegenheit der NSDAP-Wahlplakate gegenüber dem demokratischen Parteienspektrum konstatiert,
wobei auch einzelne antifaschistische Graphiker mit ihren gelungenen Gegenkonzepten (wie John Heartfield)
hervorzuheben gewesen wären.
Schon im ersten inhaltlichen Kapitel ist ersichtlich,
dass hinsichtlich der Professionalisierung der Werbebranche sehr stark auf die Studie Christiane Lambertys rekurriert wird. Christiane Lamberty, Reklame in
Deutschland 1890-1914. Wahrnehmung, Professionalisie-
Es folgt der Übergang zum Kernbereich der Untersu-
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chung mit der Analyse der politpropagandistischen Einflussnahme auf die deutsche Werbeindustrie. Die Folgen der Gleichschaltung“ der deutschen Werbebranche
”
werden jedoch primär nur als Maßnahmen auf die werbefachlichen Akteure dargestellt, wohingegen deren eigene Wahrnehmung weitaus weniger gewichtet wird.
Es gelingt Waltraud Sennebogen aber überzeugend, die
nationalsozialistisch propagierten Charakteristika einer
neuen und genuin deutschen“ Wirtschaftswerbung wie
”
Achtung vor der Volksgemeinschaft, Takt gegenüber
”
den Wettbewerbern, Wahrheit und Klarheit gegenüber
den Verbrauchern“ (S. 125) als Scheindefinitionen zu entlarven.
tender NSRDW-Reichsfachschaftsleiter) widmen.
Die abschließende Fallstudie zum Antikitschgesetz“
”
vom 19. Mai 1933 um den Zusammenprall des natio”
nalsozialistischen Propagandamonopols mit wirtschaftlichen Interessen zu analysieren“ (S. 275) fällt etwas vom
Himmel. Allerdings ist die empirische Analyse der im
Reichsanzeiger“ regelmäßig veröffentlichten Entschei”
dungen informativ und schließt eine Forschungslücke.
Dies gilt insbesondere für die Untersuchung der Reaktionen und Strategien der unternehmerischen Werbungtreibenden auf die Maßregelungen des Gesetzes zum Schutz
”
der nationalen Symbole“.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass es Waltraud Sennebogen überzeugend gelingt, die Propaganda von un”
ten“ kritisch-reflektiert darzustellen. Dagegen mangelt es
der Arbeit an einer stärkeren Einbeziehung der Perspektive der werbefachlichen Akteure. So finden sich einige sehr weitgehende Aussagen über deren angebliches
Selbstempfinden. Die Kühnheit diesbezüglicher Thesen
ist schon am verwendeten Quellenkonvolut ersichtlich,
welches mit nur zwei Werbefachzeitschriften weit davon entfernt ist, die individuellen oder kollektiven“
”
Wahrnehmungen der Werbefachleute erfassen zu können. Hier fehlt es an einer – in einer einzigen Dissertation
aber auch nicht zu leistenden – ergänzenden Perspektive
der Wirtschaftswerbung von unten“. Einer solchen und
”
darüber hinausgehenden Forschungszielsetzung widmet
sich der Rezensent aktuell in seinem Promotionsprojekt:
Eine angepasste“ Generation? Werbefachleute im Na”
”
tionalsozialismus und ihre Wege in die Bonner Republik
der 1950er und 1960er Jahre.“
Hinsichtlich der organisatorischen Eingliederung
des Werbewesens wird die Selbstgleichschaltung“ des
”
Deutschen Reklame-Verbandes“ (DRV) erläutert. Der
”
DRV wurde in der Folge in die neue Nationalso”
zialistische Reichsfachschaft Deutscher Werbefachleute“ (NSRDW) als berufsständische Zwangsorganisation integriert. Es erstaunt im nur knapp zwei Seiten
umfassenden Kapitel zur NSRDW, dass keine Erläuterung ihrer organisatorischen Verankerung erfolgt. Ebenso fehlt eine Grunddifferenzierung zwischen den neudefinierten Berufsgruppen der Betriebs-, Gebrauchs-,
Verlags- und Verkehrswerber. Die nachfolgenden Kapitel zum Gesetz über Wirtschaftswerbung“ hätten
”
ebenfalls detaillierter ausfallen können. Sehr interessant sind dagegen die Ausführungen zur personellen Ebene der Verflechtungen von Propaganda und
”
Wirtschaftswerbung“, welche sich erstmals biographisch
ausführlich Heinrich Hunke, Hugo Fischer (NSRDWReichsfachschaftsleiter) und Richard Künzler (stellvertre-
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Citation: Gerulf Hirt. Review of Sennebogen, Waltraud, Zwischen Kommerz und Ideologie: Berührungspunkte von
Wirtschaftswerbung und Propaganda im Nationalsozialismus. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. May, 2009.
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