9 Elektrische Ladungen und Ströme 9.1 9.1.1 Einleitung Eine grundlegende Wechselwirkung Wie wir schon in der Mechanik bei der Diskussion der verschiedenen Kräften gesehen haben gehen fast alle uns aus dem Alltag bekannten Kräfte auf elektrische oder magnetische Wechselwirkungen zurück. Das hängt damit zusammen, dass die Atome aus elektrisch geladenen Teilchen bestehen die getrennt in der Atomhülle (Elektronen) und in einem sehr kleinen, dichten Atomkern (Protonen) vorkommen. Wie diese geladenen Bauteile miteinander wechselwirken bestimmt die Reibung, die Normalkraft, aber auch die Kohäsions- oder Adhäsionskräfte. Deshalb wollen wir uns jetzt auch ein vertiefteres Verständnis dieser Wechselwirkung an grundlegenden, vereinfachten Beispielen erarbeiten. Den Atombau werden wir uns am Schluss in Kapitel 13 nocheinmal anschauen, wo wir auch noch betrachten werden, dass diese Teilchen sich auch als Wellen verhalten können. 9.1.2 Biologische und chemische Prozesse Da die elektrischen Wechselwirkungen solch grundlegende Prozesse darstellen, gibt es auch eine Vielzahl an chemischen und biologischen Prozessen, bei denen eine eingehende Beschreibung der elektrischen Phänomene nötig ist. Zum Beispiel ist die Nervenleitung durch den Transport von elektrischen Ionen bestimmt, die sich entlang der Nerven bewegen und die einen elektrischen Spannungspuls ermöglichen mit dem die Kommunikation zwischen verschiedenen Nervenzellen aufrecht erhalten werden kann. Andererseits finden sehr viele chemische Prozesse in Elektrolyten statt, also ionischen Lösungen in denen elektrisch geladene Teilchen frei beweglich sind. Was diese für Transporteigenschaften für elektrische Ladungen haben ist dazu ebenfalls von grosser Wichtigkeit. Solche Prozesse spielen natürlich auch in der oben besprochenen Nervenleitung eine wichtige Rolle, aber auch im Verständnis der Elektrophorese, wie wir sie in Kap. 6 besprochen haben. Bewegte elektrische Ladungen rufen ebenfalls Magnetfelder hervor welche wir in Kapitel 10 besprechen werden. Dort werden wir ebenfalls verschiedene experimentelle Methoden aus Chemie und Biologie, wie der Massenspektrometrie und der Kernspinresonanz besprechen. Beide Gebiete, die Untersuchung von elektrischen Ladungen und die von Magnetfeldern hängen sehr stark zusammen und lassen sich durch die gleichen physikalischen Prinzipien beschreiben. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Elektrodynamik. 9.1.3 Eine gute physikalische Theorie Weniger relevant für die Biologie und Chemie, aber trotzdem sehr wichtig: Die Elektrodynamik stellt eine äusserst erfolgreiche physikalische Theorie dar, die in vielerlei Hinsicht als Vorbild für alle modernen physikalischen und naturwissenschaftlichen Theorien im allgemeinen gilt. Sie erfüllt alle Anforderungen an eine gute physikalische Theorie: 239 1. Sie vereinheitlicht die Beobachtungen in den beiden vorerst völlig verschiedenen Bereichen der elektrischen und magnetischen Phänomene unter eine gemeinsame Theorie. 2. Diese Vereinheitlichung führt zur Erklärung von weiteren Phänomenen, zum Beispiel die elektromagnetischen Wellen (also die gesamte Optik), die zwar schon bekanntwaren, aber damit in ein neues Licht gerückt werden. 3. Aus der Elektrodynamik folgen Voraussagen für vorher vollständig unbekannte Effekte, die Einstein in der speziellen Relativitätstheorie zusammengefasst hat. Sie sind in der Zwischenzeit unzählige Male alle mit hervorragender Genauigkeit bestätigt worden. Die Theorie ist also gut, weil sie einen besonders grossen Bereich von Phänomenen zusammenfasst, und weil sie nachprüfbare quantitative Vorraussagen über vorher unbekannte Phänomene macht. Sie ist schliesslich schön, weil sie eine einfache formale Struktur hat und auf wenigen Grundaussagen beruht. Die wichtigsten historischen Eckdaten sind: Elektrostatik: Cavendish und Coulomb 1784, die Vereinheitlichung der elektrischen und magnetischen Felder in den Maxwellgleichungen: Faraday und Maxwell 1862, die spezielle Relativitätstheorie: Einstein 1905. 9.2 9.2.1 Elektrostatik Die elektrische Ladung und das Gesetz von Coulomb Die Elektrostatik handelt von zeitlich konstanten, oder nur langsam variierenden elektrischen Feldern. Sie basiert auf dem Kraftgesetz von Coulomb, das wir nun unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten wollen. Die Coulomb Kraft ist die Kraft zwischen zwei geladenen Körpern, formal geschrieben als: F~21 j -j F~12 = F~C - ~r12 q1 q2 F~12 = 1 q1 q2 ~r 4π0 r2 r Dies ist die Kraft, die ein mit elektrischer Ladung q1 geladener Körper 1 auf den mit q2 geladenen Körper 2 ausübt. ~r ist der Abstandsvektor, der von Körper 1 auf Körper 2 zeigt. Falls die q1 und q2 das gleiche Vorzeichen haben, wirkt die Kraft abstossend, wie gezeichnet. Bei verschiedenen Vorzeichen wirkt die Kraft anziehend. Die in der Gleichung auftretende Natur-Konstante hat den Wert 0 = 8.85 · 10−12 (As) Vm . Mit dem Coulomb’schen Gesetz beschreiben wir die Auswirkung eines Phänomens, das an der Wurzel der Elektrodynamik steht: Es gibt elektrische Ladung. Wir wissen nicht, warum sie existiert. Wir können nur ihre Eigenschaften und Auswirkungen beschreiben: 240 1. Die elektrische Ladung ist die Ursache der elektrischen Kräfte (und Felder), die zu vielfältigen Wechselwirkungen im Alltag führen. 2. Es gibt positive und negative elektrische Ladungen. Mikroskopisch gesehen entsprechen die negativen Ladungen überschüssigen Elektronen, die positiven überschüssigen Protonen. Dies lässt sich anhand der Reibungselektrizität demonstrieren: Durch Katzenfell und Plexiglasstab erzeugte Ladung zieht durch Leder und Glasstab erzeugte Ladung an. Dagegen stossen sich gleichartige Ladungen ab. 3. Elektrische Ladungen kommen nur in ganzzahligen Vielfachen der Elementarladung e = 1.6021892(46) × 10−19 C vor. Wieso die Ladung nur in Paketen der Elementarladung vorkommt (also quantisiert ist) wissen wir nicht. 4. Einheiten: [q] = 1 C =1 Coulomb = 1 Ampere × Sekunde. 5. Die totale elektrische Ladung (Summe aller Ladungen im System) ist erhalten. Elektrische Ladung kann nicht erzeugt oder vernichtet werden. (Reibungselektrizität entsteht durch Ladungstrennung von Elektronen und Atomkernen.) 9.2.2 Das elektrische Feld Da es sich bei der Coulomb-Kraft um eine Fernwirkung handelt (die beiden Körper müssen sich nicht berühren), führen wir den Begriff des elektrischen Feldes ein. Damit können wir die Coulomb-Kraft als eine Kontakt-Kraft zwischen einer Ladung und einem solchen Feld beschreiben. Die elektrischen Eigenschaften des Raumes in der Umgebung einer elektrischen Ladung Q ~ gegeben. Es ist definiert durch die Kraft, die auf eine sind also durch ein elektrisches Feld E ruhende Probeladung q wirkt. ~ ~ =F E q ~ Q ist das von der Ladung Q erzeugte elektrische Feld: Q erzeugt E ~ Q, E ~ Q wirkt auf q (AbE bildung 9.111). Das Feld spielt hier sozusagen den Übermittler der Kraft von Q auf q. Dabei ~ q erzeugt, welches auf Q wirkt. können wir genau so gut behaupten, dass die Ladung q ein Feld E Hingegen übt das von einer Punktladung Q erzeugte Feld auf Q selber keine Kraft aus (denken Sie daran wie wir in Kap. 4 die Kräfte als Wechselwirkung zwischen zwei Körpern eingeführt haben). Im Folgenden werden wir immer die felderzeugende Ladung mit Q und die Probeladung mit q bezeichnen. So wie wir es bisher behandelt haben, ist das elektrische Feld nur eine mathematische Umformulierung der Coulombkraft. In der Elektrodynamik zeigt sich allerdings, dass das elektrische Feld eine echte physikalische Grösse darstellt. Es gibt auch elektrische Felder ohne dass Ladungen vorhanden wären. Elektrische Felder werden auch durch zeitlich variable Magnetfelder erzeugt. Elektrische Felder spielen auch in der Biologie eine wichtige Rolle. Im Abschnitt 4.2.3 werden Anwendungen aus dem Bereich der Zellmembranen diskutiert. Hier verweisen wir noch einmal auf die Hochspannungsfische (Zitteraal, Zitterrochen und Zitterwels). Bei diesen Fischen dienen die elektrischen Organe dem Beuteerwerb und der Verteidigung, die Felder und Spannungen sind 241 ~ r) r EQ (~ A ~ r ) A FC (~ H A HH A −q H z AH H A H A HH +Q H A A A ~ r −q FC (~r) A A ~ Q (~r) E H A HH A H H Az H A H A HH −Q H A A A Abbildung 9.111: Das elektrische Feld einer sphärisch symmetrischen Ladungsverteilung ist ein Zentralfeld. Die Kraftwirkung ist auf das Ladungszentrum hin gerichtet, wenn die Probeladung q das entgegengesetzte Vorzeichen hat wie die felderzeugende Ladung Q bzw. vom Zentrum weg radial nach aussen gerichtet bei zwei Ladungen gleichen Vorzeichens. hoch (siehe auch R. Wehner, W. Gehring, Zoologie, Kap. 8.4). Niederspannungsfische wie die Nilhechte und oder die Messerfische leben in sinkstoffreichen, tropischen Süsswassergewässern, sind nachtaktiv, orientieren sich mit Hilfe der selbsterzeugten Felder und kommunizieren auch untereinander durch diese, weil sie auch über Elektrorezeptoren verfügen. 9.2.3 Der elektrische Dipol Bringt man zwei elektrische Ladungen mit umgekehrt gleichem Betrag q1 = −q2 in einen kleinen (aber nicht verschwindenden) Abstand d~ spricht man von einem Dipol. Abbildung 9.112: Das elektrische Feld eines Dipols wird erzeugt von zwei entgegengesetzt gleichen Ladungen im Abstand d. Das Feld ist symmetrisch bezüglich einer horzontalen Ebene in der Mitte zwischen den beiden Ladungen. Die Ebene ist auch eine Äquipotentialfläche mit dem Potential null. Ganz dicht bei den einzelnen Ladungen sind die Felder nahezu gleich wie die einer einzelnen Punktladung (siehe Abbildung 9.111). Weit weg von der Ladung nimmt das Feld ab mit der dritten Potenz des Abstands ab, weil der Einfluss der beiden Ladungen sich nahezu aufhebt. Von grosser Distanz aus gesehen sieht man die Gesamtladung null (siehe Abschnitt 9.2.6). + E _ Elektrische Dipole spielen in Chemie und Biologie auch eine wesentliche Rolle. So haben die meisten asymmetrischen Moleküle wie zum Beispiel Wasser unterschiedliche Schwerpunkte für positive und negative Ladungen, und stellen somit elektrische Dipole dar, die entsprechend aufeinander Kräfte ausüben und die von externen elektrischen Feldern beeinflusst werden. Elektrische Dipole werden von einem äusseren, inhomogenen elektrischen Feld immer angezogen. 242 Dies ist sogar der Fall bei zeitlich fluktuierenden Dipolen, wo die Wechselwirkung zwischen dem Feld des einen Dipols mit dem anderen zu einer universellen Anziehung führt. Diese werden wir in Kap. 9.2.9. noch ausführlicher behandeln. 9.2.4 Das elektrostatische Potential ~ ist die Arbeit der Coulomb-Kraft, die bei der Verschiebung In einem elektrischen Zentralfeld E einer Ladung q geleistet werden muss unabhängig vom Weg den man zwischen den Anfangsund Endpunkten (1 bzw. 2) einschlägt. Andere elektrische Felder müssen das nicht erfüllen und wir werden im Induktionsgesetz eine Ausnahme finden. Das elektrostatische Feld ist aber konservativ. Demnach macht es Sinn von der potentiellen Energie zu reden, welche der Arbeit der Verschiebung der Ladung im Feld entspricht. Wir definieren die potentielle Energie U wie in der Mechanik und das Potential V analog zum elektrischen Feld: Z 1 2 F~C (~r)d~r = q Z 2 ~ r)d~r = −(U (2) − U (1)) ≡ −q(V (2) − V (1)) E(~ 1 Die Arbeit ist gerade gleich der Differenz der potentiellen Energien U bzw. gleich der Differenz des elektrostatischen Potentials V am Anfangs- und Endpunkt multipliziert mit der Ladung q. Der umgekehrte Prozess der Gradientenbildung (vgl. Kap. 4.5.4) erlaubt aus der potentiellen Energie U oder aus dem Potential V das elektrische Feld zu berechnen: ~ = −grad V E F~C = −grad U grad U = ( ∂U ∂U ∂U , , ) ∂x ∂y ∂z Die Potentialdifferenz V (2)−V (1) wird auch als Spannung bezeichnet. Die Einheit der Spannung ist das Volt (1 V = 1 Nm/As). Für die Spannung werden meist entweder der Buchstabe V oder der Buchstabe U verwendet. Wir werden hier konsequent den Buchstaben V verwenden (vom englischen V oltage). Z 2 ~ d~r = −(V (2) − V (1)) = Potentialdifferenz ≡ Spannung ≡ V E 1 Genau wie sich nur Unterschiede in der potentiellen Energie messen lassen, nicht aber der Absolutwert, lassen sich auch nur Differenzen des elektrostatischen Potentials messen, also Spannungen. Man setzt aber gewöhnlich das elektrostatische Potential weit weg von den felderzeugenden Ladungen Null, d. h. mit V (1) = V (∞) ≡ 0 und V (2) = V (r) erhält man die Definition Z r ~ d~r V (r) = − E ∞ 243 Für eine Punktladung können wir das Coulob-Gesetz einsetzen und erhalten das Potential: V (r) = Q 1 4π0 r Beschreibt die Kurve C, die von 1 nach 2 verläuft, einen geschlossenen Weg, dann fallen die Punkte 1 und 2 zusammen, und wir erhalten keine Potentialdifferenz: I ~ r=0 Ed~ C Dies gilt für jedes zentrale Kraftfeld und auch für jede Superposition von solchen zentralen Kraftfeldern. Solche Felder, bei denen die Potentialdifferenz eines geschlossenen Weges verschwindet, heissen konservativ, man spricht von Quellenfeldern. Im Gegensatz dazu heissen Felder mit geschlossenen Feldlinien Wirbelfelder, bei solchen ist dann das geschlossene Linienintegral nicht mehr null, ein Potential kann deshalb nicht definiert werden. Beispiel eines Wirbelfeldes ist das Magnetfeld eines elektrischen Stromes. 9.2.5 Der Gauss’sche Satz der Elektrostatik ~ durch eine Fläche A (mit dA ~ ≡ n̂dA) Den Fluss eines Vektorfeldes S haben wir schon in der Strömungslehre (kapitel 7) kennengelernt: Z Z Z Z ~ ~ ~ Φ= S · dA ≡ (S · n̂)dA = Sn dA = S cos αdA A A A A Der Einheitsvektor n̂ steht senkrecht auf dem Flächenelement dA. Sn ist ~ in dieser Richtung. Für A k S ~ (α = π/2) die Komponente des Felds S ~ ist der Fluss minimal, für A ⊥ S (α = 0) ist der Fluss maximal. Das Flussintegral ist ein sogenanntes Flächenintegral. α dA ^ n S S cos α = S . dA dA Wählen wir als Fläche, für die wir den Fluss bestimmen, eine geschlossene Oberfläche im Raum AV , dann ist der einkommende Fluss gleich dem ausgehenden Fluss, der Gesamtfluss also gleich null, jedenfalls solange sich im Innern des Volumens V , das von der Oberfläche AV begrenzt wird, keine Quelle befindet: I I ~ ~ S · dA = Sn dA = 0 Quellenfreies Vektorfeld : Φ = AV 244 AV Betrachten wir nun, dass wir eine Quelle haben, die der Ladung Q entspricht die ein elektrisches Feld hervorruft. Dann wählen wir als Integrationsfläche AV die Oberfläche H (AK = K dA = 4πr2 ) einer zur Ladung Q konzentrischen Kugel. Das macht die Rechnungen einfacher, denn auf der Kugeloberfläche gilt immer y E E dA r E z ~ k dA ~ E ~ · dA ~ = E dA E ⇒ E dA Da nichts hineinfliesst, sondern nur etwas herauskommt, wird das Flussintegral sicher nicht verschwinden. Für den einfachen Fall der Punkladung können wir das Integral berechnen: E AK ~ r) = Q ~r , E(r) = |E(~ ~ r)| = Q 1 E(~ 3 4π0 r 4π0 r2 I I I Q Q 1 ~ ~ dA = Φ= E · dA = E dA = 2 4π r 0 0 K K K Für das elektrische Feld einer Punktladung finden wir also I ~ · dA ~= Q Φ= E 0 K Dies ist der Gauss’sche Satz. Eine verallgemeinerte Betrachtung zeigt, dass es nicht darauf ankommt, wo die Ladung Q sitzt, solange sie von der Fläche umschlossen ist. Ebenso spielt die Form der Fläche keine Rolle, solange sie die Ladung Q umschliesst. Es gilt also allgemein der Gauss’sche Satz: I I ~ ~ E · dA = AV En dA = AV Qinnen 0 Qinnen ist die von der Fläche AV ganz umschlossene Ladung. Der totale Fluss des elektrischen Feldes durch eine geschlossene Oberfläche ist gleich der eingeschlossenen Ladung (× 1/0 ), oder anschaulicher formuliert Ladungen sind die Quellen des elektrostatischen Feldes. Während die Feldlinien bei positiven Ladungen anfangen (entspringen), so enden sie bei negativen Ladungen. Negative Ladungen sind somit negative Quellen, d.h. Senken des Feldes. I ~ · dA ~ 6= 0 , S ~ gilt also Für ein beliebiges Quellenfeld S AV I wenn Quellen im Innern vorhanden sind, und AV wenn das Innere frei von Quellen ist. 245 ~ · dA ~=0, S Diese Aussagen des Gauss’schen Satzes der Elektrostatik sind äquivalent zum Kraftgesetz von Coulomb. Der Gauss’sche Satz der Elektrostatik bildet eine der vier Maxwellgleichungen. Da der Satz von Gauss ganz allgemein gilt (also nicht nur für Punktladungen), können wir ~ damit auch für kompliziertere Ladungsverteilungen die Abhängigkeit des E-Feldes bestimmen. Das werden wir im nächsten Unterkapitel an einigen Beispielen durchspielen. Wie wir schon in der Fluiddynamik gesehen haben, können wir den Sachverhalt des Gauss’schen Satzes auch als Differentialgleichung beschreiben. Der Fluss in der Strömungsmechanik hing mit der Stromdichte zusammen, und die Erhaltung des Flusses ergab uns damals die Kontinuitätsgleichung für die Stromdichte. Wenn wir den elektrischen Fluss betrachten, sehen wir, dass das elektrische Feld hier die Rolle der Stromdichte annimmt, was uns direkt die ”Kontinuitätsgleichungfür das elektrische Feld führt: ~ =∇ ~ ·E ~ = ρ div E 0 wobei hier ρ die elektrische Ladungsdichte ist. ~ = −gradV = Mit der Beziehung zwischen dem elektrischen Feld und dem elektrischen Potential, E ~ −∇V , erhalten wir so auch eine direkte Beziehung zwischen dem elektrischen Potential und der Ladungsträger dichte: ρ divgradV = ∇2 V = − 0 Diese Beziehung (auch Poisson-Gleichung genannt) kann bei der Bestimmung von elektrostatischen Potentialen sehr hilfreich sein, wie wir unten als Beispiel bei der Behandlung einer ionischen Lösung sehen werden. 9.2.6 Elektrische Felder und Potentiale spezieller Ladungsverteilungen Lineare Anordnung von Ladungen: Sehr häufig haben wir es mit einer linearen Molekülkette zu tun, bei der die einzelnen Unterteile elektrisch geladen sind. Das ist bei vielen Proteinen so, DAS Musterbeispiel ist aber sicherlich das DNA Molekül, bei dem negativ geladene Phosphatgruppen linear aufgereiht sind und somit eine homogen geladene lineare Kette ergeben. Wir wollen uns jetzt überlegen, was denn das elektrische Feld einer solchen Ladungsverteilung ist. Wie oben angetönt wollen wir uns das mit dem Satz von Gauss überlegen: Wenn wir uns einen solchen Draht vorstellen, dann muss ja das elektrische Feld direkt vom Draht wegzeigen (wenn der Draht positiv geladen ist). Eine einfache goemetrische Anordnung vom Feld zur Oberfläche durch die das Feld fliesst erhalten wir also, wenn wir die Mantelfläche eines Zylinders (AZ ) um den Draht herum betrachten. Dann ist wie oben bei der Punktladung das Feld immer senkrecht zur Oberfläche, was soviel heisst wie dass das Skalarprodukt der ~ · dA ~ = EdA. Da entlang der Vektoren durch das Produkt der Beträge ersetzt werden kann: E 246 ~ Mantelfläche des Zylinders das E-Feld immer konstant ist, erhalten wir für den totalen Fluss der in der Oberfläche enthalten ist: I ~ ~ Φ= |E|dA = |E|2πrL = Q/0 . AZ Hier ist r der Abstand der Mantelfläche vom geladenen Draht und L die Höhe der Mantelfläche. Q ist die totale Ladung die in der Fläche enthalten ist. Bei einem homogen geladenen Draht, ist die Ladung pro Länge, also Q/L = λ, konstant. Das heisst für den Betrag des Feldes erhalten wir: ~ = λ |E| 2πr Das heisst, das Feld nimmt umgekehrt proportional zum Abstand ab. Die Richtung hatten wir uns schon überlegt, zeigt senkrecht vom Draht weg (bzw. auf den Draht hin für negative Ladungen). Das Potential dieser Ladungsverteilung erhält man wiederum durch Integration des Feldes entlang des Abstandes. Da das Feld direkt vom Draht wegzeigt, ist auch hier das Skalarprodukt viel einfacher und wir können direkt mit den Beträgen rechnen: Z Z λ dr λ V (r) = Edr = = ln(r) 2π r 2π Das heisst der Potentialunterschied nimmt für grosse Abstände (sehr langsam) zu. Homogen geladene Ebene: Auch in Membranen treten häufig elektrische Ladungen auf, da Membranproteine geladen sein können, was dann z.B. den Ionenaustausch erleichtert. Die elektrischen Eigenschaften von Membranen werden uns bei der Behandlung der Nervenleitung intensiv beschäftigen, wir wollen uns also ein Karikatur-Modell überlegen mit der wir die geladene Membran beschreiben können. Dazu betrachten wir eine als beliebig gross angenommene Ebene, auf der sich pro Fächeneinheit gleich viele Ladungen befinden. Dann muss das resultierende Feld überall gleich sein. Die Feldlinien stehen wie oben aus Symmetriegründen senkrecht zur Ebene. Den Betrag der Feldstärke wollen wir uns jetzt überlegen. Das Feld lässt sich aus der Oberflächenladungsdichte σ berechnen, die definiert ist als 6 ~ E Ladung dQ σ= = . Fläche dA Hier gilt σ =const. Anwendung des Gauss’schen Satzes auf eine ++++++++++ Pillenschachtel AP mit der Deckelfläche AD , die die Ladung QP = ~ E σAD enthält, ergibt ? I Φ= Z En dA = 2 AP En dA = 2EAD = AD 247 σ QP σ = AD , ⇒ E = . 0 0 20 ~ ⊥ dA, ~ und daher E ~ · dA ~= Nur die Deckelflächen geben einen Beitrag, auf den Randflächen ist E 0. Das gilt jedenfalls wenn die Platte genügend gross ist. Ganz am Rand der Platte ist die Situation komplizierter, damit wollen wir uns aber nicht beschäftigen. Darum nehmen wir an die Platte sei unendlich gross. Plattenkondensator: Bei einer Membran kommen aber typischerweise zwei geladene Ebenen zum Einsatz, die den beiden Lipidschichten der Membran entsprechen. Das heisst, wir müssen unsere Karikatur noch etwas erweitern, indem wir die Membran beschreiben als eine Kombination von zwei entgegengesetzt geladenen homogenen Platten. Dabei ist der Abstand zwischen den Platten, d fix gegeben. In der Physik spricht man dann von einem Plattenkondensator. Das resultierende Feld ist jetzt auf den Zwischenraum beschränkt, denn ausserhalb kompensieren sich die Felder der beiden Ebenen. Das Feld ist homogen. Mit den Ergebnissen für die homogen geladene Ebene erhalten wir aussen bzw. innen ~a = E ~1 + E ~2 = 0 , E ~i = E ~1 + E ~ 2 = 2E ~ 1 = 2E ~2 , E ~ = ⇒ |E| σ ~ , E ⊥ Platte . 0 ~1 6 E ~2 E 1 ? In guter Näherung lässt sich diese Situation realisieren, wenn zwei ebene Metallplatten mit je der Ladung ±Q aufgeladen werden, wobei der Plattenabstand d klein gegen den Plattendurchmesser gewählt wird. Für die dünne Zellmembran (d = 5nm) ist dies auch eine sehr gute Beschreibung. Von Randeffekten abgesehen (siehe Abbildung 9.114) ist das Feld innerhalb dieses Kondensators homogen. Die Oberflächenladungsdichte ist dann σ = Q/A, wobei A die Plattenfläche ist. ++++++++++++++ 6 d ~ E ~ E ?1 ~2 E ~ E ? −−−−−−−−−−−−−− ? ? ? 6 ~1 E 2 ~2 E ? Für die Spannung bzw. die Potentialdifferenz erhalten wir, wenn wir einen geradlinigen Integra~ wählen, tionsweg von der oberen Platte (1) zur unteren Platte (2) parallel zu E 2 Z −(V (2) − V (1)) = 1 ~ · d~r = E E Z 2 dr = Ed , ⇒ E = 1 V (1) − V (2) V ≡ d d Das elektrische Feld zwischen den Platten eines Plattenkondensators ist konstant, senkrecht zu den Platten und gleich den Quotienten aus Spannung und Abstand. Mit Kapazität C eines Kondensators bezeichnet man die Grösse C≡ Q As A2 s 4 (Einheit : Farad (F) = = 2 ) V V m kg Die Kapazität ist eine nur von der Geometrie abhängige Grösse. Für den ebenen Plattenkondensator gilt Q σA 0 EA 0 A C= = = = V Ed Ed d 248 +q A Abbildung 9.113: Das elektrische Feld eines Plattenkondensators endlicher Ausdehnung. -q Dipol: Viele makroskopisch ungeladene Systeme bestehen mikroskopisch betrachtet aus räumlich getrennten positiven und negativen Ladungen. Das gilt zum Beispiel für die meisten Atome oder Moleküle, wenn der Schwerpunkt der Elektronenbahnen nicht ganz mit dem Atomkern zusammenfallen. Diese Eigenschaften der Atome und Moleküle bestimmen wesentlich die elektrischen Eigenschaften der Materie, wie wir im nächsten Unterkapitel sehen werden. Darum wollen wir uns das Karikatur-Modell einer solchen Ladungsverteilung, den elektrischen Dipol genauer anschauen. Der idealisierte Dipol besteht aus zwei gleich grossen Punktladungen mit umgekehrtem Vorzeichen die in einem festen Abstand d zueinander stehen. Die Feldverteilung hat nun aber keine einfache geometrische Form mehr, weshalb der Satz von Gauss nicht mehr gleich einfach angewendet werden kann. Da der Dipol aber nur aus zwei Punktladungen besteht, können wir die Beiträge von diesen einfach zusammenzählen. P z +Q 7 ~ ~r+ r ~r− θ -z d~ Im Punkt P ergibt sich für das Feld ~ =E ~+ + E ~ − = Q ( ~r+ − ~r− ) , E 3 3 4π0 r+ r− und für das Potential V = V+ + V− = Q 1 1 ( − ). 4π0 r+ r− −Q Weit weg vom Dipol (r+ , r− , r >> d) lässt sich mit den Beziehungen r 1~ d d2 d ~r± = ~r ± d , r± = r 1 ± cos θ + 2 ≈ r(1 ± cos θ) 2 r 4r 2r zeigen, dass gilt V (r) = Q d cos θ . 4π0 r2 249 Das resultierende Feld wird aus dem Gradienten des Potentials bestimmt und ist symmetrisch bezüglich der Dipolachse (siehe Abbildung 9.112), und proportional zum sogenannten Dipolmoment p ≡ Qd. Auf der Spiegelebene (in der Mitte zwischen den beiden Ladungen) gilt θ = 90◦ , cos θ = 0 und damit V (~r) = 0, ~ ~ r) = − Q d ≡ − 1 p~ E(~ 4π0 r3 2π0 r3 Das weit weg vom Dipol erzeugte Feld steht dem Dipolmoment also entgegen. Obwohl ein ~ Dessen Betrag nimmt Dipol die Gesamtladung Null trägt, erzeugt er offenkundig ein Feld E. allerdings, wie die Berechnungen zeigen, mit der dritten Potenz des Abstandes, also rascher als für eine Punktladung, ab. Eine Ladung und ein Dipol oder auch zwei Dipole üben infolgedessen aufeinander Kräfte aus. Dies führt u. a. zu interatomaren oder intermolekularen Kräften, wie wir unten noch im Detail besprechen werden. Abbildung 9.114: Das elektrische Feld eines Dipols. In der Spiegelebene zeigt das Feld ausserhalb des Dipols in Richtung von der negativen zur positiven Ladung. Zwischen den beiden Ladungen zeigt das Feld von der positiven zur negativen Ladung. Das Dipolmoment p~ ist definiert in Richtung von der positiven zur negativen Ladung. + E _ In einem von aussen angelegten, konstanten elektrischen Feld wird sich ein Dipol ausrichten, da die positive Ladung ja vom Feld abgestossen wird und die negative Ladung vom Feld angezogen wird. Das heisst, das Dipolmoment richtet sich so aus, dass das Dipolmoment dem angelegten Feld entgegen steht. Wenn man einen Dipol in eine andere Konfiguration zum angelegten Feld bringen will, muss man also Arbeit leisten. Die potentielle Energie eines solchen Dipols ist dann also gegeben durch: ~ Epot = p~ · E (9.110) Wenn das Dipolmoment und das Feld antiparallel sind, ist diese potentielle Energie minimal, wie es ja auch sein soll. Diese potentielle Energie wird uns bei magnetischen Phänomenen und der Kernresonanzspektroskopie noch ausführlich beschäftigen. Entsprechend ergibt sich im inhomogenen elektrischen Feld eine Kraft auf einen Dipol nach: ~ F~ = ∇~ p·E 250 Systeme von Punktladungen: Nach dem Superpositionsprinzip ergeben sich die elektrischen Felder und damit auch die elektrostatischen Potentiale von Punktladungsverteilungen aus der Summe der Beiträge der einzelnen Ladungen. ~P = E X ~i = E i X Qi ~ri , ~ri = Vektor Qi → P 4π0 ri3 i VP = X Vi = i X Qi 1 4π0 ri i Für kontinuierlich verteilte Ladungen können die Punktladungen durch geladene, differentielle Volumenelemente dV mit der Ladung dQ = ρdV ersetzt werden. ρ bezeichnet die Ladungsdichte. Die Summation wird durch eine entsprechende Integration ersetzt. ~P = E Z ~P = dE 1 4π0 Z ~r dV , ~r = Vektor dQ → P r3 Z 1 1 VP = ρ(~r) dV 4π0 r ρ(~r) Ionische Lösungen: In ionischen Lösungen befinden sich elektrische Ladungen (Ionen) in einer ungeladenen Umgebung, in der sie frei beweglich sind. Ausserdem kann die thermische Bewegung der Lösungsmoleküle die Ionen zu einer gewissen Bewegung anregen, das heisst eine Verteilung der Ionen ergeben, die nicht derjenigen von statischen elektrischen Ladungen entspricht. Wenn wir also durch thermische Bewegung eine ungleiche Verteilung der positiven und negativen Ladungen erhalten, ergibt sich eine Spannungsdifferenz, die durch die Temperatur und die Ladungsdichte beschrieben sein muss. Quantitativ ist die Ladungsträgerdichte als Funktion des Orts ρ(x) gegeben durch die Differenz der Ladungsträgerdichten dr positiven und negativen Ladungen. Wenn die positiven und negativen Ionen die entgegengesetzt gleiche Ladung haben (typischerweise eine oder zwei Elementarladungen), dann gilt: ρ(x) = q+ n+ (x) + q− n− (x) = e(n+ (x) − n− (x)). Abweichungen von der Gleichverteilung durch thermische Fluktuationen treten nach der Boltzmann-Verteilung (x) auf. Das heisst, die Wahrscheinlichkeit ein Ion zu finden ist n± (x) = n0 exp(− qV kB T ) mit q der Ladung des Ions und n0 der totalen Ladungsträgerdichte in der Lösung (gleichverteilt). Das heisst wenn wir eine gewisse Ionenkonzentration in Lösung haben, entspricht das einer elektrischen Potentialdifferenz V (x), die sich errechnen lässt aus der Boltzmann-Beziehung, da die Ionendichte gerade der Wahrscheinlichkeit entspricht ein Ion in diesem Volumen zu finden. Wir erhalten also eine Potentialdiffernz ∆V = −kB T /q ln(n2 /n1 ) zwischen zwei Bereichen 1 und 2 die jeweils die Ionendichte n1 und n2 haben. Dieses Potential nennt man auch das Nernst-Potential. Diese Art der Potentialdifferenz liegt typischerweise zwischen Membranen an bei denen Ladungen getrennt werden. Das wichtigste Beispiel hierfür ist die Zelle in der Ca, Na und K Ionen durch Ionenkanäle umverteilt werden, was zu einer typischen Potentialdifferenz der Zelle zwischen Innen und Aussen führt. Damit werden wir uns bei der Nervenleitung noch ausführlicher befassen. 251 Wenn wir weiterhin betrachten, dass eine solche Umverteilung der Ladungen in einer ionischen Lösung auch eine Umverteilung der Quellen des elektrischen Feldes hervorruft, können wir uns auch die Gleichgewichtsverteilung, bzw. das Gleichgewichtspotential einer Ladung in einer ionischen Lösung überlegen. Betrachten wir also ein elnzelnes Ion in einer Lösung (zum Beispiel ein positives). Die negativen Ionen werden durch dieses positive Ion angezogen und die positiven abgestossen. Allerdings kann das nicht beliebig weit gehen, denn wenn viele negative Ladungen sich beim positiven Ion befinden heben sich auf einem weiteren Abstand die Ladungen wieder auf, so dass keine Anziehung oder Abstossung mehr stattfindet. Ausserdem werden die negativen Ionen von der thermischen Bewegung der Lösung vom positiven Ion wegbewegt (und umgekehrt die positiven Ionen dazuhin), was die Grösse der negativen Ionenwolke um das positive Ion herum beschreibt. Das wollen wir nun noch etwas quantitativer machen. Wie wir oben gesehen haben ist die Änderung des Potentials durch die Ladungsträgerdichte bestimmt, ∇2 V = −ρ/0 . Die Ladungsträgerdichte haben wir oben bestimmt: ρ(x) = e(n+ (x) − n− (x)) für einfach geladene Ionen. Die jeweiligen Dichten für positive und negative Ladungen hängen jetzt vom vorherrschenden Potential des einzelnen Ions V (x) ab über die Boltzmann-Verteilung: (x) n± (x) = n0 exp(− ±eV kB T , wo n0 die totale Dichte der einzelnen Ionen ist (positiv oder negativ). Wenn wir das in der Gleichung für die Ladungsträgerdichte einsetzen, erhalten wir: eV (x) eV (x) eV (x) ρ(x) = en0 exp(− − exp(+ ' −2en0 kB T kB T kB T (x) wobei wir hier die Näherung gemacht haben, dass eV kB T 1 ist und wir somit die Eponentialfunktion in erster Ordnung der Taylor-Entwicklung beschreiben können. Diese Ladungsträgerdichte können wir jetzt in die Poisson-Gleichung einsetzen, woraus wir direkt eine Gleichung zur Bestimmung des elektrischen Potentials eines Ions in einer Lösung erhalten: In einer Richtung gilt also: d2 V ρ 2e2 n0 =− = V (x) 2 dx 0 0 kB T Das ist eine lineare Differentialgleichung, wie wir sie schon häufiger kennengelernt haben mit einer exponentiellen Lösung V (x) = V0 exp(−x/λ), wobei λ eine Länge ist die beschreibt auf welchem Abstand das Potential auf einen Faktor 1/e abgefallen ist. Aus der obigen Gleichung erhalten wir durch einsetzen der Lösung auch gleich eine Beziehung für diese Längenskala λ: r 0 kB T λ= 2e2 n0 Also je höher die Temperatur ist, desto grösser wird die Reichweite des elektrischen Potentials eines Ions, bzw. je höher die Ionendichte, desto kürzer wird die Reichweite. Das macht intuitiv auch Sinn, denn je höher die Ionendichte, desto mehr Ladungen sind da um die Ladung eines einzelnen Iones abzuschirmen, das heisst desto weniger weit wird die Reichweite. Andererseits, je höher die Temperatur, desto mehr mittlere kinetische Energie haben die Ionen, das heisst desto näher können die gleichen Ladungen einander kommen, das heisst desto mehr umgekehrte Ladungen sind nötig um die Ladung auszugleichen (oder abzuschirmen). Die oben bestimmte Reichweite des elektrischen Potentials in einer ioneischen Lösung nennt man auch die Deby’sche Abschirmlänge. 252 9.2.7 Leiter in elektrischen Feldern Das Verhalten von Materialien in elektrischen Feldern erlaubt es uns, sie grob in zwei Klassen einzuteilen, nämlich Leiter und Isolatoren (Nichtleiter). In einem Leiter sind die Ladungen frei beweglich, wie z. B. die Elektronen in Metallen oder die Ionen in Elektrolyten). In Isolatoren können die Ladungen nur wenig aus ihrer Ruhelage, an die sie elastisch durch inneratomare oder innermolekulare Kr̈afte gebunden sind, verschoben werden. Leiter: Gute Leiter sind z. B. Metalle. In einem elektrischen Feld bewegen sich die freien Ladungen, es fliesst ein Strom (siehe Abschnitt 9.3.). Eine statische Situation mit ruhenden Ladungen erhalten wir nur, wenn sich die gegenseitigen Kräfte der einzelnen Ladungen untereinander kompensieren. Diese Bedingungen führen dazu, dass die überschüssigen Ladungen sich gleichmässig auf die Oberfläche verteilen, dass das elektrische Feld im Inneren des Leiters verschwindet, und aussen senkrecht auf der Leiteroberfläche steht (siehe Abbildung 9.115). Leiteroberflächen sind Äquipotentialflächen des elektrostatischen Feldes. ++ ++ ++ + + + + + + + + + + + + + + + + Anfangszustand + + + + + + Endzustand Ea + + +++ + + ++ + + + ++ ++++ Q i =0 +++ ++ ++ ++++ AV + + + + + + Ea + + + Überschüssige, frei bewegliche Ladungen verteilen sich unter dem Einfluss der gegenseitigen abstossenden Kräfte so auf der Leiteroberfläche bis sie in Ruhe sind. Das elektrische Feld steht senkrecht zur Oberfläche aussen am Leiter, denn Komponenten des elektrischen Feldes parallel zur Oberfläche würden zu Ladungsverschiebungen und Strömen führen, also nicht zu einer statischen Situation. Da sich im Innern keine Ladungen befinden, verschwindet auch das elektrische Feld im Innern, wie es der Gauss’sche Satz lehrt. Abbildung 9.115: Ladungsverteilung und und resultierendes elektrisches Feld für einen geladenen Leiter. 253 Mit dem Gauss’schen Satz lässt sich das äussere Feld wie im Fall der geladenen Ebene berechnen: I ~ a · dA ~ = Ea dA = Qinnen = σdA , ⇒ Ea = σ E 0 0 0 AG Da die Oberfläche des Leiters eine Äquipotentialfläche ist, ist die Ladungsdichte dort am grössten, wo der Krümmungsradius der Oberfläche am kleinsten ist, also an Spitzen und Ecken. Das lässt sich wie folgt begründen: Denken wir uns zwei näherungsweise kugelförmige Oberflächensegmente mit verschiedenen Radien. Das elektrostatische Potential auf einer Kugeloberfläche lautet: Vr = 4πr2 σ Q σr = = 4π0 r 4π0 r 0 V = konst. ⇒ σ∝ Ea dA + + + + + ++ + E i =0 Q + + + ++ + + r + + + σ + + Q' + + ++ + + R 1 r Auch bei einer teilweise offenen Oberfläche wie bei einem Topf wandern die überschüssigen Ladungen an die Aussenseite. Will man einen metallischen Hohlraum zunehmend aufladen, so muss die Ladung an der ladungsfreien Innenseite abgestreift werden. Dies geschieht z. B. bei dem im Hörsaal gezeigten van de Graaff Generator. ++ + + + + ++ + + + + + + + + + ~ a, Bringen wir einen Leiter in ein äusseres elektrisches Feld E so bewegen sich vorerst die freien Ladungen im Leiter. Der ~ i = 0 ist dann stationäre Zustand mit einem inneren Feld E erreicht, wenn die Ladungen sich so auf der Oberfläche verteilt ~ σ im Innern das Feld haben, dass das von ihnen erzeugte Feld E ~ Ea gerade aufhebt, ~a + E ~σ = E ~i = 0 . E __ _ __ _ __ __ _ _ _ _ _ + + E=0 + + + +++ ++ + ++ + + + Auch im Innern eines metallischen Hohlraums (Faraday-Käfig) ist das Feld Ei = 0 (Abbildung 9.116). 9.2.8 Isolatoren in elektrischen Feldern, Polarisation Obwohl die Ladungsträger in einem Isolator nicht frei sind, zeigen sich doch markante Einflüsse äusserer elektrischer Felder auf isolierende Materialien. Neben permanenten Dipolen von unsymmetrischen Moelkülen können alle Moleküle auch polarisiert werden. In einem äusseren Feld wirken auf die negativen und die positiven Ladungen 254 Abbildung 9.116: Ein metallischer Hohlraum schirmt äussere elektrische Felder ab. Der einen Blitzeinschlag simulierende Funke springt zum Auto und dann über den isolierenden Reifen weg von der Radnabe zum Boden. Der Fahrer bleibt unverletzt. entgegengesetzt gerichtete Kräfte. In einzelnen Atomen kann sich die Elektronenhülle gegenüber dem positiven Atomkern verschieben, wie in der Abbildung 9.117 gezeigt wird. In einem Ionenkristallgitter tritt ein ähnlicher Effekt für die negativen und positiven Ionen auf. Enthält der Isolator polare Moleküle wie z. B. Wasser (Abbildung 9.118), d. h. solche, die ein permanentes Dipolmoment besitzen , so richten sich diese, falls sie beweglich sind wie in Flüssigkeiten oder Gasen ebenfalls im Feld aus. In allen Fällen erzeugt das Feld Dipole im Innern des Isolators. ~ pol . Dieses Alle diese (ausgerichteten) Dipole ergeben zusammengezählt ein resultierendes Feld E ~ a ist (siehe Abbidlung 9.119). steht entgegengesetzt zum äusseren Feld E -Q + _ +Q m 5n 9 0.0 +H _ _ 105 ∆ O Abbildung 9.117: Verschiebungspolarisation: Ohne äusseres Feld fallen die Schwerpunkte der positiven und negativen Anteile der Ladungsverteilung des neutralen Atoms zusammen, mit äusserem Feld werden sie auseinandergezogen. Das Atom bekommt ein Dipolmoment p = Q∆. Wasser +H Abbildung 9.118: Statisches Dipolmoment: Wasser ist ein polares Molekül, das auch ohne äusseres Feld ein Dipolmoment hat. ~ 0 im Isolator besteht also aus zwei Anteilen, dem von aussen angeDas totale elektrische Feld E ~ ~ pol mit umgekehrter legten Feld Ea und dem durch die Polarisation zusätzlich erzeugten Feld E Richtung. Es gilt also ~0 = E ~a + E ~ pol E ~ 0 im Isolator mit Eisolator bezeichnet. In Abbildung 9.119 ist das resultierende Feld E ~ pol die umgekehrte Richtung des äusseren Feldes hat, ist E ~ 0 dem Da das Polarisationsfeld E 255 E isolator + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - + - +|σp| Abbildung 9.119: Polarisationsladung an der Oberfläche eines Isolators in einem äusseren Feld. Die Ausrichtung der elementaren Dipole erzeugt an der Oberfläche einen Überschuss an Ladungen, Polarisationsladung σp . −|σp | ~ a . Den Faktor, um den das Feld so reduziert wird, nennt man Betrag nach immer kleiner als E die Dielektrizitätskonstante , sodass ~0 = 1 E ~a E ist eine Materialkonstante, die von den molekularen Dipolmomenten, also den atomaren Eigenschaften des Materials abhängt. Einige typische Werte sind in Tabelle 9.16 angegeben. In der Beschreibung des Phänomens wird manchmal auch die elektrische Polarisation P~ verwendet. Die Polarisation ist gerade gleich dem Diplmoment pro Volumeneinheit. Das heisst sie ist gegeben durch den von den Polarisationsladungen erzeugten negativen Feldanteil, geteilt durch 0 : ~ pol E P~ := − 0 Die elektrische Polarisation hat die gleiche Richtung wie das totale elektrische Feld im Isolator, aber wegen dem konstanten Faktor 0 eine andere Einheit. Es gilt immer ≥ 1. Man definiert daher auch die elektrische Suszeptibilität χ := − 1. Durch Einsetzen in die obigen Definitionen erhält man für die Polarisation ~0 P~ = χ 0 E Die Polarisation ist also proportional zum tatsächlichen elektrischen Feld, wie wir das erwarten. Sie wird ja entweder durch Ladungsverschiebung oder durch (teilweises) Ausrichten existierender Dipolmomente (z.B. von Wasser) erzeugt. Material Luft Bakelit Glas Porzellan Wasser Seignettesalz Bariumtitanat Dielektrizitätskonstante 1.0006 4 4 bis 10 6 81 9000 10000 256 Tabelle 9.16: Dielektrizitätskonstanten für verschiedene Isolatoren. Wir können die Beziehung zwischen Ladungen und Feld auch wieder durch Anwendung des Gauss’schen Satzes finden. Nehmen wir an, dass sich unser Dielektrikum in einem Plattenkon~ a erzeuge. Dann gilt: densator mit Oberflächenladungsdichte σ befindet, die das äussere Feld E I ~ 0 dA ~ = |E ~ 0 |A = Qinnen = A(σ + σp ) E 0 0 AG ~ ~ 0 | = σ + σp ≡ |Ea | = σ ⇒ |E 0 0 In einen Kondensator, der mit einem Dielektrikum gefüllt ist, muss man also eine um einen ~ 0 und damit die Faktor höhere Ladung einfüllen, um das gleiche totale elektrische Feld E gleiche Spannung V zu erzeugen, wie ohne Dielektrikum. Die Kapazität des Kondensators Q/V hat sich also um den Faktor erhöht. Man kann die obige Gleichung auch nach σp auflösen und erhält σp = − −1 σ → −σ f ür >> 1 Für Wasser heben die Polarisationsladungen den Effekt der Ladungen auf den Kondensatorplatten nahezu auf, denn es gilt σ ≈ −σp . Das elektrische Feld mit Isolator verschwindet fast vollständig. Die Tatsache, dass die Polarisation eines Mediums das innere Feld verkleinert, ist ausserordentlich wichtig für die Chemie von Lösungen und daher auch für die Biologie. Betrachten wir zwei entgegengesetzt gleiche Ladungen Q+ und Q− , z. B. Ionen, so ist ihre Anziehungskraft in Lösung (und damit die Wahrscheinlichkeit ihrer Rekombination) ~+ ~ 0+ | = Q− |E | |F~ | = Q− |E um den Faktor kleiner als im Vakuum. Wasser ist aus diesem Grund ein sehr gutes Lösungsmittel. 9.2.9 Die van der Waals Wechselwirkung Wir haben oben betrachtet, was passiert wenn wir Moleküle mit einem festen Dipolmoment haben, die sich in einem externen Feld ausrichten können und die auch selber ein elektrisches Feld machen. Wie wir oben gesehen haben, fällt das Feld eines elektrischen Dipols bei grossen Abständen mit ED ∝ 1/r3 ab. Es gibt allerdings viele Moleküle, die kein festes Dipolmoment haben. d.h. bei disen Molekülen ist die Bewegung der Elektronen um die Kerne herum symmetrisch, so dass sich im Mittel nicht nur die Ladungen aufheben, sondern auch die Dipolmomente. Wenn allerdings so ein Atom oder Molekül in ein elektrisches Feld gebracht wird, so entsteht dort wie oben besprochen ein Dipolmoment durch die relative Verschiebung der Ladungen zueinander. Dies wird in der Polarisierbarkeit α zusammengefasst, die mit der dielektrischen Suszeptibilität zusammenhängt. Für die Polarisierbarkeit gilt, dass das induzierte Dipolmoment p~ gegeben ist durch die Polarisierbarkeit und das äussere elektrische Feld E~a . p~ = αE~a 257 Diese Eigenschaft der Materie führt zu einer der wichtigsten Wechselwirkungen der Biologie und Chemie, nämlich der van der Waals Wechselwirkung, die wir im letzten Semester schon qualitativ kennengelernt haben und die die Anziehung vieler Moleküle beschreibt. Wir wollen uns jetzt quantitativ überlegen, woher die örtliche Abhängigkeit der van der Waals Wechselwirkung kommt und wie sie mit den Eigenschaften eines induzierten Dipols zusammenhängt. Dazu betrachten wir zwei isolierte Atome, welche beide ein fluktuierendes Dipolmoment haben, das aber im Mittel null ist. Zu einem bestimmten Zeitpunkt macht also das Dipolmoment von Atom ~ D1 (r) am Ort von Atom 2 (im Abstand r). Dieses elektrische Feld 1, p~1 ein elektrisches Feld E induziert nun in Atom 2 ein Dipolmoment in Richtung des elektrischen Feldes: ~ D1 (r) = α2 p~2 = α2 E p~1 2π0 r3 Dieses Dipolmoment in Atom 2 führt nun seinerseits zu einem elektrischen Feld an der Stelle von Atom 1, p~1 ~ D2 = p~2 = α2 E 3 2π0 r (2π0 )2 r6 Dieses Feld ist nun zu jeder Zeit parallel zum Dipolmoment das Atoms 1, da es ja durch dieses erst induziert wird. Das heisst auch wenn das Dipolmoment ständig fluktuiert ergibt sich trotzdem eine Anziehung zwischen den beiden Atomen über das induzierte Dipolmoment im Atom 2. Es ergibt sich also eine potentielle Energie zwischen den beiden Atomen, die durch das Dipolmoment 1 und das (induzierte) elektrische Feld 2 gegeben ist. ~ D2 = α2 W21 = p~1 · E p~21 (2π0 )2 r6 Hier ist es sehr wesentlich, dass das Dipolmoment von Atom 1 quadratisch vorkommt, denn so erreichen wir, dass auch ein fluktuierendes Dipolmoment mit h~ pi = 0 eine potentielle Energie 2 ergibt die von null verschieden ist, da h~ p i= 6 0 sein muss. Das ist wie bei der thermischen Bewegung der Moleküle, wo wir auch einen Beitrag zur Energie hatten obwohl sich die Bewegungen im Mittel alle aufgehoben haben. Somit tritt diese van der Waals Anziehung für alle Atome auf egal wie sie beschaffen sind und damit stellt sie auch die wichtigste Wechselwirkung dar die bei Ansammlungen von vielen Molekülen wirkt. Allerdings ist die Anziehung relativ schwach und verschwindet für grössere Abstände sehr schnell (W ∝ 1/r6 !). Aufgrund der Grösse der Atome kann man sich auch deren Polarisierbarkeit ausrechnen, da ja die Grösse das maximalmögliche Dipolmoment bestimmt. Bei typischen interatomaren Abständen von etwa 1 nm erhält man dann eine potentielle Energie der van der Waals Wechselwirkung von etwa 10−21 J, also etwas weniger als die thermische Energie kB T bei Raumtemperatur. Das heisst, dass van der Waals Bindungen zwar immer da sind, aber nicht sehr stark und deshalb auch durch thermische Flukuationen einfach aufbrechen. Allerdings kann dem entgegengewirkt werden indem der Abstand der Moleküle stark verringert wird. Wenn also grössere Moleküle, wie etwa Proteine gut aneinander binden sollen, dann muss über das gesamte Molekül gesehen der Abstand der Ladungen sehr klein sein. Das lässt sich nur erreichen, wenn die geometrische Form der beiden Moleküle räumlich gut aufeinander abgestimmt ist. Mit anderen Worten, gute Enzyme verhalten sich tatsächlich stereometrisch ähnlich zum Zielmolekül wie ein Schlüssel zum Schloss passt. Diese Eigenschaft der van der Waals Wechselwirkung ist also der fundamentale Grund für die molekulare Beziehung zwischen der Form und der Funktion eines Stoffes. Dies lässt sich auch immer wieder beobachten 258 in der Strukturbestimmung von wichtigen Biomolekülen, wie z.B. den Ionenkanälen oder auch von Transkriptionsfaktoren. Auch deshalb ist die Strukturbestimmung von solchen Molekülen sehr wichtig. Die physikalischen Hintergründe der experimentellen Methoden dieser Strukturbestimmung über Röntgenstreuung oder Kernspinresonazspektroskopie werden wir später noch besprechen. 9.3 Stationäre elektrische Ströme 9.3.1 Bewegte Ladungen – Ströme In elektrischen Feldern wirken auf freie Ladungen Kräfte, die zu einer Bewegung dieser Ladungen führen. Bewegte Ladungen nennt man elektrische Ströme. Findet der Ladungstransport in einem Körper statt, spricht man von Leitung. Es gibt verschiedene Arten von Leitungsmechanismen, ein Teil davon wird in der Vorlesung demonstriert. Zwei Beispiele: • metallische Leitung: In Metallen ist ein Teil der Elektronen relativ frei beweglich. Ihre thermischen Geschwindigkeiten bei Raumtemperatur betragen in der Grössenordnung 105 m/s. Da diese Bewegung in alle Richtungen ungeordnet ist, stellt diese Bewegung kein makroskopischer Strom dar. Legt man jedoch ein elektrisches Feld an, so bekommt man eine mittlere Driftbewegung in die Richtung des Feldes. Dies entspricht einem Strom. Typische Driftgeschwindigkeiten liegen allerdings nur im Bereich 10−3 m/s. Die Driftgeschwindigkeit wird begrenzt durch Energieübertragung der Elektronen auf die Gitteratome durch regelmässige Stösse. • Ionenleitung in Flüssigkeiten: Falls in einer Flüssigkeit oder in einem Gas Ionen vorhanden sind, wie zum Beispiel in einer Salzlösung, leitet die Flüssigkeit, indem positive und negative Ionen sich je in umgekehrter Richtung bewegen. (Ionen entstehen z.B. auch in einer Flamme, oder durch Stösse mit schnellen, geladenen Teilchen). 9.3.2 Stromstärke und Stromdichte Um ein quantitatives Verständnis für Ströme zu gewinnen, betrachten wir ein Leiterstück, an das zwischen den Punkten 1 und 2 eine Spannung V angelegt ist. Durch die Spannung erzeugen wir im Innern ein elektrisches ~ für das gilt Feld E, Z 2 ~ · d~r = V . E E 1 F c+ _ F c_ q + 2 Fläche A + _ V 1 ~ Daher setzen sich diejenigen Auf die Ladungen q± wirkt die Coulomb-Kraft F~C± = ±q± E. Ladungsträger, welche im Leiterinnern beweglich sind, in Bewegung. Es fliesst ein Strom. Die 259 Stromstärke I wird definiert als die Anzahl Ladungen, welche pro Zeiteinheit durch den Leiterquerschnitt A fliesst: dQ I= . dt Die Einheit des elektrischen Stroms, Ampère (A), ist eine Basiseinheit unseres Masssystems. Tabelle 9.17 listet einige typische Grössenordnungen für Ströme. Photozelle Transistor Spürbar Tödlich Fernseher, Handbohrmaschine Lokomotive Aluminium-Elektrolyse 10−6 10−3 10−2 > 10−1 1 103 105 A A A A A A A 1 µA 1 mA 10 mA 100 mA Tabelle 9.17: Typische Grössenordnungen für elektrische Ströme. 1 kA 100 kA Der Strom, der durch die Fläche A fliesst, hängt ab von der Anzahl der pro Volumenelement vorhandenen freien Ladungsträger n [m−3 ] und deren Ladung q [As], d. h. von der Ladungsdichte ρ (= nq) [As m−3 ]. dr+ v+ dA E Damit eine Ladung (q+ positiv für den Moment), die sich unter dem Einfluss der Coulomb-Kraft mit der Geschwindigkeit v+ bewegt, im q+ Zeitintervall dt durch die Fläche dA hindurchtreten kann, darf ihr Abstand von der Fläche dA nicht grösser sein als dr+ = v+ dt. Ist sie weiter weg, so erreicht sie die Fläche dA im Zeitintervall dt nicht mehr, oder anders ausgedrückt, alle Ladungen q+ im Volumen dV+vol (= dA dr+ ) treten in dt durch dA hindurch: dQ+ = ρ+ dV+vol = ρ+ v+ dtdA ⇒ I+ = dQ+ = ρ+ v+ dA . dt Die Grösse ρ+ v+ bezeichnet man auch als Stromdichte j+ [A/m2 ]. Berücksichtigen wir noch die negativen Ladungsträger, so gilt dQ dQ+ dQ− = + = (ρ+ v+ + ρ− v− )dA = (j+ + j− )dA dt dt dt Da sich für die negativen Ladungsträger sowohl das Vorzeichen der Ladungsdichte als auch das Vorzeichen der Geschwindigkeit im Vergleich zu den positiven Ladungsträgern ändert, ergeben beide Ladungsträger einen gleichgerichteten Beitrag zum Strom und zur Stromdichte: ρ− = −n− Z− e , ρ+ = n+ Z+ e , ~v+ k −~v− Zusammengefasst gilt also für alle Ladungsträger: j =n·Z ·e·v 260 wenn wir sowohl in e also auch in v das entsprechende Vorzeichen richtig einsetzen. Wir haben hier nur eine eindimensionale Stromverteilung betrachtet. Die Geschwindigkeiten, die Vektorgrössen sind, konnten daher durch ihre Beträge ersetzt werden. Wenn man diese Einschränkung fallen lässt, kann man die gefundenen Formeln beibehalten, wenn man die zur Oberfläche senkrechte Komponente der Geschwindigkeit verwendet: dQ ~ = ~j · dA ~, = ρvn dA = jn dA = ρ~v · dA dt ~ ≡ n̂dA , n̂ ⊥ dA , |~n| = 1 . dA Den gesamten Strom erhalten wir dann durch die Integration über die gesamte Querschnittsfläche A: Z Z Z Z ~ ~ ~ I= vn dA = ρ ~v · dA jn dA = ρ j · dA = A 9.3.3 A A A Leitfähigkeit, Widerstand, Joule’sche Wärme ~ Es wäre zu erwarten, dass bewegliche Ladungen im E-Feld eine beschleunigte Bewegung ausführen, ~ Tatsächlich zeigt aber das da nach dem zweiten Newton’schen Prinzip gilt: m~a = F~ = ZeE. Experiment, dass in Leitern, jedoch nicht im Vakuum, die Stromdichte ~j = ρ~v , d. h. die Geschwindigkeit ~v konstant ist und vom angelegten Feld abhängt. Das heisst es gibt Reibungskräfte, welche auf die bewegten Ladungen wirken, die schlussendlich bestimmen wie die angelegte Kraft (also das Feld) mit der Geschwindigkeit (also der Stromdichte) zusammenhängt. Wenn wir eine Reibungskraft einsetzen wie bei der viskosen Reibung, wo die Reibung der Geschwindigkeit entgegengesetzt ist, dan erhalten wir eine Endgeschwindigkeit die proportional zum angelegten Feld ist. Das haben wir in Kap. 4 beim Fall einer Kugel in Luft schon gesehen. Angewandt auf den elektrischen Strom bedeutet das: ~ ~j = σL E Ohm0 sches Gesetz in differentieller Form Die materialabhängige Grösse σL heisst elektrische Leitfähigkeit, sie hängt von der Ladungsträgerdichte und dem Reibungskoeffizienten ab. Der Grund für diese Proportionalität liegt darin, dass die Ladungen zwar im Feld beschleunigt werden, aber durch Zusammenstösse mit den Gitteratomen immer wieder Energie und Impuls verlieren. Die Geschwindigkeit der einzelnen Ladungen ist stark veränderlich. Nur über die Zeit und über alle Ladungen gemittelt hat die sogenannte Driftgeschwindigkeit einen konstanten Wert. Aus diesem Ohm’schen Gesetz und der Driftgeschwindigkeit im vorhergehenden Kapitel ~j = ρ~v ergibt sich: ~v = ~ σE ρ Etwas bekannter dürfte das Ohm’sche Gesetz in seiner Formulierung über den totalen Strom und die angelegte Spannung sein. Dazu denken wir uns wieder einen rechteckigen Leiter der Länge l und Querschnitt A, an dem eine Potentialdifferenz V anliegt. Mit dem Ohm’schen Gesetz (bzw. der Definition der Stromdichte) wird der Gesamtstrom durch den Leiter I = jA = σL EA = σL 261 V A l Wir definieren daher als Widerstand R eines Leiters R := V l = I σL A [R] = Ohm = Ω = V . A Der Widerstand eines Leiters hängt von der Geometrie und vom Material des Leiters ab. Nur die Leitfähigkeit ist eine eigentliche Materialkonstante. Meistens ist selbst die Leitfähigkeit noch von anderen Grössen abhängig, so z.B. vom Strom I. Das wird uns bei der Behandlung des Aktionspotentials noch begegnen. Die Arbeit, die das Feld leistet, geht wegen der Stösse in ungeordnete kinetische Energie der Atome des Leiters, d. h. in Wärme über. Ein mit Strom durflossenes Kabel wird denn auch warm. Wie diese von Strom und Spannung abhängt wollen wir uns jetzt noch überlegen. Fliesst eine Ladung dQ von 1 nach 2, so ist die vom Feld, bzw. der Spannungsquelle geleistete Arbeit gegeben durch Z 2 dW1→2 = dQ ~ · d~r = dQ V . E 1 Für die Leistung (Joule’sche Wärme pro Zeiteinheit) ergibt sich dann P = dW dQ = V = IV . dt dt Um einen Strom I aufrecht zu erhalten ist somit eine Spannung V erforderlich und die Spannungsquelle muss Energie liefern. Die im Widerstand R pro Zeiteinheit erzeugte Joule’sche Wärme kann auch geschrieben werden als V2 P = IV = I 2 R = . R Für Metalle bei konstanter Temperatur gilt R =konst., d. h. der Widerstand ist unabhängig von der Stromstärke. Für diesen Spezialfall gilt dann dann das Ohm’sche Gesetz V = RI 9.3.4 mit R = konst. Die Kirchhoff ’schen Regeln Spannungsquellen und Widerstände können zu einfachen Stromkreisen oder Netzwerken zusammengeschaltet werden. Die Ströme und Spannungen für die einzelnen Widerstände, lassen sich mit Hilfe der Kirchhoff ’schen Regeln berechnen, die wir in Kapitel 7 bei Flüssigkeitsströmungen schon kennengelernt haben. Die sogenannte Knotenregel, die auf der Ladunsgerhaltung beruht, besagt, dass an einer Verzweigungsstelle eines Netzwerks, wo n Leiter zusammentreffen, die Summe der zufliessenden Ströme gleich der Summe der wegfliessenden ist: n X I1 I2 I3 I Ik = 0 . k=1 262 4 _ R i,1 E m,1 R a,n-1 R a,n _ + R a,j+2 E m,l + R i,e V1 R a,1 R i,2 R a,j+1 + I R i,i E m,i _ + _ R a,j R a,4 R a,3 R a,2 V a,j V a,3 Abbildung 9.120: Eine einfache Masche zur Illustration der Maschenregel. E m,2 V 2 Die zufliessenden Ströme sind positiv, die wegfliessenden negativ zu zählen. Für einen einfachen Stromkreis (Masche) ist die Summe aller Spannungsquellen Em , versehen mit dem richtigen Vorzeichen, gleich der Summe aller Spannungsabfälle über die angeschlossenen Verbraucher. Angewendet auf die in Abbildung 9.120 gezeichnete Masche mit ` Spannungsquellen und n Belastungswiderständen ergibt dies ` X Vj = j=1 ` X (Em,j − IRi,j ) = j=1 n X k=1 Va,k = I n X Ra,k . k=1 Dabei ist Vj die Klemmen-Spannung der j−ten Quelle, Va,k der Spannungssabfall am k−ten äusseren Widerstand. Man kann die Unterscheidung zwischen äusseren und inneren Widerständen auch fallen lassen und für die Maschenregel schreiben ` ` n `+n X X X X Em,j = I Ri,j + Ra,k = I Rm j=1 j=1 k=1 m=1 Wenn die Widerstände gegeben und konstant sind, liefern die Kirchhoffschen Regeln für ein Netzwerk soviele lineare Gleichungen, wie Unbekannte zu bestimmen sind. Ein Beispiel ist in Abbildung 9.121 gegeben. Im Folgenden werden wir neben Widerständen noch andere Schaltelemente kennen lernen, z. B. Kondensatoren und Spulen. Für Stromkreise, die solche enthalten, gelten die Kirchhoffschen Regeln ebenfalls. Dabei wird zu beachten sein, dass an Kondensatoren C Spannungsabfälle VC auftreten, an Spulen jedoch induzierte elektromotorische Kräfte Em,L . Zwei häufige Anwendungen der Kirchhoff’schen Regeln betreffen die Serie- und die Parallelschaltung von Widerständen, die in Abbildung 9.122 illustriert sind. n parallel geschaltete Widerstände Rk können durch einen effektiven Einzelwiderstand Rk ersetzt 263 Ri V0 Abbildung 9.121: Ein einfaches Netzwerk als Beispiel für die Anwendung der Kirchhoff’schen Regeln. Der innere Widerstand der Spannungsquelle wird als vernachlässigt. Es ergibt sich: R1 1 Masche 1 : V0 = I1 R1 + I2 R2 I1 + _ E m,o I2 R2 Masche 2 : 0 = I3 R3 − I2 R2 I3 2 Knoten : I1 − I2 − I3 = 0 −1 R3 R2 ⇒ I1 = V0 R1 + R2 + R3 R3 ⇒ I2 = R3 I1 , R2 + R3 I3 = R2 I1 R2 + R3 werden, für den gilt I= n X k=1 n n X X V 1 V Ik = =V = ⇒ Rk = Rk Rk Rk k=1 k=1 n X 1 Rk !−1 . k=1 Der Kehrwert des effektiven Widerstands Rk ist gleich der Summe der Kehrwerte der Einzelwiderstände Rk . n in Serie geschaltete Widerstände Rk können durch einen effektiven Einzelwiderstand RS ersetzt werden, für den gilt n n X X V = IRS = I Rk ⇒ RS = Rk . k=1 k=1 In Serie geschaltete Widerstände können addiert werden. Wenn in einem Stromkreis nicht nur Spannungsquellen und Widerstände vorkommen, sondern auch Kondensatoren und Spulen müssen die davon erzeugten, bzw. dissipierten Spannungen in der Maschenregel mitgenommen werden. Das werden wir in Kapitel 9.3.7. und 11.2. noch quantitativ behandeln. 9.3.5 9.3.5.1 Leitungsmechanismen Metallische Leiter In metallischen Leitern sind die Ladungsträger Elektronen, welche sich im Gitter der Metallionen ~ entgegengesetzt zur Richtung des E-Feldes bewegen. Die Anzahl der bewegten, freien Elektronen pro Atom und ihre Beweglichkeit hängen vom Material ab und bestimmen dessen Leitfähigkeit σL . Der Leiter ist ist insgesamt ungeladen, d. h. er enthält ebensoviele positive Ionenladungen wie Leitungselektronen. Diese sind jedoch an die Gitterionen gebunden und tragen nicht zum Strom bei. 264 R1 V I R I I R2 Spannungsquelle Kreis A Kreis B R1 R2 I1 I2 Kreis C V = IR , I = V R V ⇒ R =R +R Kreis B : V = IR1 + IR2 = IRS , I = R 1 2 S S V =V 1 + 1 Kreis C : V = I1 R1 = I2 R2 , I = I1 + I2 , I = R ⇒ R1 = R1 + R1 R1 R2 1 2 k k Kreis A : Abbildung 9.122: Parallel (Kreis C) und in Serie (Kreis B) geschaltete Widerstände können durch einen effektiven Gesamtwiderstand ersetzt werden (Kreis A). Der Widerstand, welcher durch die Wechselwirkung der Elektronen mit den Gitterionen zustande kommt, hängt von der Temperatur ab, und zwar ist er über grosse Bereiche proportional zur absoluten Temperatur, R ∝ T (positiver Temperaturkoeffizient, PTC). Wie im Hörsaal gezeigt, nimmt demnach der Strom bei Abkühlung zu, und bei Erwärmung ab. Bei Raumtemperatur liegt die Leitfähigkeit in der Grössenordnung 108 (Ωm)−1 . 9.3.5.2 Halbleiter Germanium und Silizium haben typisch spezifische Widerstände (=1/Leitfähigkeit)in der Grössenordnung 10−4 bis 107 Ωm. Diese Werte liegen zwischen denjenigen für typische Metalle (≈ 10−8 Ωm) und Isolatoren (1012 − 1020 Ωm). In einem Halbleiter sind nur wenige, aber gut bewegliche Ladungsträger vorhanden. Ihre Zahl steigt mit zunehmender Temperatur stark an. Das hängt damit zusammen, dass die Ladungsträgerdichte mit der Temperatur zunimmt, da die Bindungsenergie der Elektronen in diesen Materialien im Bereich von kB T liegen. Nach Boltzmann ist die Wahrscheinlichkeit ein Elektron von seinem Atom zu lösen also durch p = exp(− kEBBT ) gegeben, wo EB die Bindungsenergie der Elektronen ist. Die Ladungsträgerdichte ist direkt proportional zu dieser Wahrscheinlichkeit. Damit ist auch die Leitfähigkeit direkt zu exp(− kEBBT ) proportional, was die Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit eines Halbleiters beschreibt. Der spezifische Widerstand (= 1/σL ) sinkt also mit steigender Temperatur. Im Grenzfall T → 0 werden die Halbleiter zu Isolatoren. Sie haben einen negativen Temperaturkoeffizienten (NTC = negative temperature coefficient). Man verwendet NTC-Widerstände auch direkt zur Temperaturmessung. 9.3.5.3 Gase 265 Gase sind normalerweise sehr gute Isolatoren. Werden aber Ladungsträger produziert, was durch Photoionisation oder durch radioaktive Strahlung erreicht werden kann, so wird Strom geleitet. Bei genügend hohen Feldstärken kommt es zur Ionisation durch Stösse und damit zur Ladungsvervielfachung. Der Strom wird “gezündet”. (z.B. Glimmlampe). 9.3.5.4 Ionenleitung in Flüssigkeiten: Elektrolyte Unter Elektrolyten versteht man wässerige Lösungen von Salzen. Die Ladungsträger sind positive und/oder negative Ionen. Das Verständnis ihres Verhaltens ist wichtig für biologische Systeme. Betrachten wir zunächst ein einzelnes Ion in einem Elektrolyt unter dem Einfluss des elektrischen ~ und die viskose ReibungsFeldes. Auf das Ion der Ladung Ze wirkt die Coulombkraft F~C = ZeE, ~ kraft R = −f~v = −6πηr~v . η ist die für die Flüssigkeit charakteristische Viskositätskonstante. Wir haben hier die gleiche Situation, wie wir sie beim Anfahren eines Schiffes oder beim sinken einer Kugel in einem viskosen Medium angetroffen haben, eine konstante Antriebskraft (hier die Coulomb-Kraft, für das Schiff geliefert durch die Schraube, für die Kugel durch die Schwerkraft) und eine zur Geschwindigkeit proportionale Reibungskraft. Für den Geschwindigkeitsverlauf erhielten wir in unseren früheren Beispielen und auch jetzt nach einem exponentiellen Anstieg eine konstante Grenzgeschwindigkeit v∞ = F/f . Angewendet auf unseren Fall ergibt dies v∞ = ZeE 6πηr Die Leitfähigkeit eines Elektrolyten lässt sich, wenn die Geschwindigkeit bekannt ist, berechnen: E 2 n+ 2 n− Stromdichte : j = σL E = q+ n+ v+ + q− n− v− = (Z+ e) + (Z− e) 6πη r+ r− Hier stehen n± für die Ionenkonzentration, Z± für die Ionenladung, und r± für den Ionenradius. Die Gesamtladung ist Null (0 = Z+ e+ n+ − Z− e− n− ), z. B. Kochsalz (NaCl, Z− = Z+ = 1, n− = n+ ) und CaCl2 (Z+ = 2, Z− = 1, n− = 2n+ ). Für einwertige Salze, Säuren und Basen mit Z± = 1 und n± = C (Konzentration), gilt dann 1 e2 1 σL = C + 6πη r+ r− Die Leitfähigkeit eines Elektrolyten hängt also ab vom Ionenradius, von der Ionenladung und der Viskosität. Wenn die Temperatur konstant ist, ist auch die Viskosität konstant, d. h. auch die Leitfähigkeit. Die Temperaturabhängigkeit lässt sich aus der Einstein-Beziehung ermitteln: f = kB T /D, wobei D die Diffusionskonstante ist. Die Diffusionskonstante charakterisiert die Diffusionsgeschwindigkeit der Salzionen in der Lösung ohne äusseres Feld. Mit f = 6πηr folgt η = (kB T )/(6πrD). Da die Viskosität wie in Kap. 5 besprochen stark mit der Temperatur abnimmt, nimmt die Leitfähigkeit nimmt also mit steigender Temperatur zu, die Ionen werden beweglicher. Das häng damit zusammen dass σL ∝ 1/η. Die Tatsache, dass die Driftgeschwindigkeit in wässerigen Lösungen vom Ionenradius und der Ionenladung abhängt, wird in der biomedizinischen Technik für die Elektrophorese genützt, wobei wir ja in Kap. 6 gesehen haben, dass die Auftrennung langkettiger Moleküle in einer 266 Konzentration Serum Albumin β Globuline Fibrinogen Abbildung 9.123: Verteilung der Moleküle von menschlichem Blutplasma in einer Elektrophorese-Zelle. Immunoglobuline bieten z. B. Schutz gegen viruelle und bakterielle Infektionen. α Globuline γ Globuline Immunoglobuline Distanz entlang der Elektrophorese-Zelle Gel-Elektrophorese auch einiges mit den Eigenschaften der Moleküle und des Gels zu tun hat. Als Beispiel zeigt Abbildung 9.123 die Konzentrationsverteilung in einer Elektrophoresezelle für Plasmaproteine im Blutplasma. Die unterschiedliche Wanderungsgeschwindigkeit wird zur Trennung der Anteile benutzt. 9.3.6 Nervenleitung Wir wollen nun die verschiedenen Bausteine die wir uns überlegt haben zu den Eigenschaften von Ladungen und Strömen zusammennehmen und die Leitung eines Ladungsimpulses in einer Nervenzelle beschreiben. Dazu sehen wir uns zuerst einmal an, wie wir die Membran einer Nervenzelle als Kondensator beschreiben können und wie dies zu einem zeitlich veränderlichen Signal führen kann, wenn die Ladungsquellen sich zeitlich ändern (wie zum Beispiel durch Ionenkanäle). 9.3.6.1 Aufladen einer Membran Die Membran einer Nervenzelle trennt das Innere des Axons von der intrazellulären Flüssigkeit. Wir können uns die Membran als Doppelschicht aus Lipidmolekülen vorstellen, die für Ionen undurchdringlich ist und somit eine Ladungstrennung zwischen Aussen und Innen erlaubt. Da so eine Membran im Wesentlichen flach ist, können wir sie Membran als das Innere eines Plattenkondensators beschreiben, der eine bestimmte Dicke hat (nämlich die der Doppellipidschicht etwa 5 nm). Für das Potential eines solchen Plattenkondensators haben wir uns oben überlegt, dass gilt: V = Q0 A d, wo d die Dicke ist, A die Fläche des Kondensators und Q die totale Ladung. Wir hatten damals auch die Kapazität des Kondensator C = d0 A definiert, denn damit können wir die Ladung auf dem Kondensator mit der Potentialdifferenz in Verbindung bringen: Q = C · V . Bei einer Membran erhalten wir eine Potentialdifferenz durch die Verschiebung verschiedener Ladung mittels Ionenkanälen, womit wir schlussendlich eine Spannungsdifferenz V0 bekommen, die dem Nernst-Potential der jeweiligen Ionenart entspricht, also V0 = kB T /e ln(n− /n+ ). Ausserdem hat die Membran einen Widerstand, der gegeben ist durch R = ρm A/d, wobei ρm der spezifische Widerstand der Membran ist. Wenn wir uns also die zeitliche Entwicklung der Ladungen in der Membran anschauen wollen, 267 können wir ein Stück Membran beschreiben als einen Stromkreis wie unten gezeigt, mit einem Widerstand R, der einem Kondesator mit Kapazität C parallel geschaltet ist. Die Differentialgleichung für die Ladung Q bzw. für den Strom I lässt sich unter benützung der Kirchhoff’schen Regeln wie folgt schreiben (S geschlossen): Q dQ Q dI I = V0 , ⇒ R + = V0 , ⇒ R + =0. C dt C dt C Die zweite und die dritte Form benutzen I = dQ/dt. Um die dritte Form zu erhalten muss man die erste Form nach der Zeit differenzieren. Auch diesen Gleichungen sind wir schon begegnet, nämlich bei der viskosen Reibung. RI + R S V0 S' C dI 1 = −αI , mit α = , dt RC Geschrieben in der Form erkennt man, dass die Ableitung des Stroms proportional zum Strom ist, also das für eine exponentielle Zeitabhängigkeit typische Verhalten: t Em exp(− ). R RC I = I0 e−αt , ⇒ I = Der Wert für I0 ergibt sich aus den Anfangsbedingungen: t = 0, Q = 0, I = I0 , RI0 = V0 . Analog ergibt sich für die Ladung t Q(t) = Q∞ 1 − exp(− ) , Q∞ = CV0 RC Die Ladung Q des Kondensators nimmt nach dem Einschalten zu bis zum Endwert Q∞ , der erreicht ist, wenn die Spannung VC = Q∞ /C ihren Maximalwert V0 erreicht hat. Der Strom nimmt von seinem maximalen Anfangswert I0 = V0 /R exponentiell ab. Bei aufgeladenem Kondensator fliesst kein Strom mehr. Die charakteristische Zeitkonstante τ ≡ RC ist die Zeit, nach welcher die Spannung noch um 1/e des Endwerts von diesem abweicht. Die goemetrischen Eigenschaften der Membran kommen in dieser Zeitskala nicht mehr vor, denn wenn wir die Beziehungen für die d 0 A Kapazität und den Widerstand einsetzen erhalten wir: τ = R · C = ρm A · d = 0 ρm . Typische Werte für eine Membran sind ρm = 107 Ωm und = 7, womit wir eine Zeitskala von τ = 0.6ms erhalten. Dies ergibt uns auch gleich eine Grenze für die Geschwindigkeit von neuronalen Prozessen, die nicht schneller ablaufen können als diese Lade- bzw. Entladezeit. Tatsächlich finden wir, dass neuronale Prozesse (feuern, etc.) auf der Zeitskala von etwa 1 ms passieren. Entladen wir den Kondensator über einen gleichgrossen Widerstand R, so sind vom Zeitpunkt des Umschaltens (S auf, S 0 zu) aus gerechnet, die Ladung und der Strom gegeben durch Q(t0 ) = CV0 exp(− t0 ), RC I= dQ V0 t0 = − exp(− ). dt0 R RC Wird nur S geöffnet und S 0 nicht geschlossen, so bleibt die Ladung Q auf C konstant. Die Zeitabhängigkeit des Stromes im Kreis und der Spannung über dem Kondensator zeigt Abbildung 9.124. 268 Ausschaltvorgänge: Widerstand, Kondensator, Spule Abbildung 9.124: Zeitabhängigkeit des Stroms und der Spannung beim Ein- bzw. Ausschalten eines Stromkreises mit Widerstand und Kondensator. 9.3.6.2 Die Telegraphengleichung Bei der Nervenleitung ist allerdings nicht nur das Aufladen der Membran wichtig, der Impuls soll ja auch entlang des Nervs transportiert werden und eine andere Nervenzelle je nachdem zum feuern anregen. Das heisst um die Nervenleitung zu verstehen müssen wir uns anschauen wie ein Spannungspuls entlang eines Axons transportiert wird. Dazu stellen wir uns das Axon als Draht vor der innen einen bestimmten Widerstand hat und der mit einer Membran umgeben ist, die als parallel geschalteter Kondensator und Widerstand aufgefasst werden kann. Das machen wir dann entlang des Axons jeweils in kleinen Stücken und sehen uns an wie der Spannungspuls transportiert wird. Das Ersatzschaltbild ist in Fig. 9.126 gezeigt. Wir betrachen also nun einen Abschnitt der Länge dx des Axons und interessieren uns dafür wie sich der Strom durch das Axon, bzw. die angelegte Spannungsdifferenz als Funktion des Abstandes x verhalten. Nach der Knotenregel teilt sich der Strom I(x) auf in denjenigen der entlang des Axons fliesst und den der die Membran auflädt, also I(x) = I(x + dx) + Im . durch ein Stück Membran fliesst ein Strom den wir oben schon beschrieben haben, wobei die Fläche der betrachteten Membran A = 2πadx ist. Das heisst der Widerstand des betrachteten Stücks ρm d 0 Membran ist Rm = 2πadx und die Kapazität ist C = 2πadx . Und die Gleichung für den Strom d 269 Axon a Membran Dicke d Ri V(x) Rm V0 Ri Rm V0 C Im I(x) C Ri Rm V0 innen C aussen dx I(x+dx) Abbildung 9.125: Ersatz-Schaltbild eines Axons. Im wird: Im = V (x) − V0 (V (x) − V0 )2πadx 2πadx0 dV (x) V (x) − V0 dQ dV (x) = = + + +C Rm dt Rm dt ρm d d dt 2πadx (V (x) − V0 ) dV (x) = + 0 d ρm dt Die obige Bedingung aus der Knotenregel können wir auch umschreiben für eine andere Beziehung die den Strom durch die Membran beschreibt: Im = I(x) − I(x + dx) = − dI dx dx wenn wir diese beiden Beziehungen gleichsetzen, erhalten wir eine Beziehung zwischen dem Strom I(x) entlang des Axons und der Spannung über der Membran V (x): dI 2πa (V (x) − V0 ) dV (x) − = + 0 dx d ρm dt wobei wir durch die Länge dx auf beiden Seiten gekürzt haben. Der Strom I(x) hängt aber auch noch auf andere Weise mit der Spannng V (x) zusammen. Der Widerstand im Inneren des Axons und der Strom I(x) beschreiben ja auch den Abfall der Spannung entlang des Axons, 270 i dx also: ∆V (x) = V (x) − V (x + dx) = Ri I(x), wobei Ri = ρπa 2 ist mit dem spezifischen Widerstand im Axon von ρi . Wenn wir diese Abhängigkeit des Widerstandes hier einsetzen, erhalten wir: dV (x) V (x + dx) − V (x) −ρi I(x)dx ρi = = = − 2 I(x) 2 dx dx dxπa πa Die beiden Beziehungen zwischen dem Strom und der Spannung entlang der Membran können wir zu einer einzigen Gleichung zusammenfassen indem wir die obige Gleichung nocheinmal nach dem Ort ableiten und dann einsetzen: dV (x) dI(x) πa2 d2 V (x) 2πa (V (x) − V0 ) + 0 − = = dx ρi dx2 d ρm dt oder 2 a d2 V (x) = 2 ρi dx d dV (x) (V (x) − V0 ) + 0 ρm dt Diese Gleichung stellen wir nocheinmal etwas um, damit sie nur Spannungen beschreibt und erhalten: d2 V (x) dV (x) λ2 = (V (x) − V0 ) + τ 2 dx dt q m wobei τ = ρm 0 und λ = a·dρ 2ρi . Diese Gleichung (die Telegraphen-Gleichung) erinnert uns an die Diffusionsgleichung, wobei hier der Transport eines Spannungspulses entlang des Axons beschrieben wird. Für ein intuitives Verständnis dieser Gleichung wollen wir einmal den Grenzwert betrachten, dass sich die Spannung zeitlich nicht mehr ändert. Dann nimmt die Gleichung die Form an: d2 V (x) λ2 = (V (x) − V0 ) dx2 was wie so oft eine Exponentialfunktion als Lösung hat V (x) = V0 exp(−x/λ) die auf einer Längenskala λ abfällt. Das heisst ein Spannungspuls in einem Axon kann in etwa eine Strecke q m λ = a·dρ 2ρi transportiert werden. Mit typischen Werten wie ρi = 1Ωm und a = 1µm erhalten wir: λ = 150µm und eine Pulsgeschwindigkeit von etwa v = λ/τ = 0.3m/s. Das heisst ein Nervenimpuls würde sich nicht sehr weit und auch nur sehr langsam fortpflanzen, was nicht der Beobachtung entspricht, schliesslich können wir in weniger als einer Sekunde auf einen äusseren Reiz an einer Extremität reagieren, die grob einen Meter entfernt ist. Die Natur hat dieses Problem also irgendwie gelöst. Dazu gibt es zwei Betrachtungen. Die erste betrifft die Dicke der Membran, bzw. der isolierenden Schicht um das Axon herum. Wie wir oben gesehen haben geht die Dicke der Membran in die Läge des Transports ein. Nun sind die Axone von vielen Nervenzellen (etwa 30%) myelinisiert, also duch Zellen umgeben (Schwann-Zellen), die als Isolationsschicht arbeiten. Die entsprechende Dicke wird dann d ' 2µm und damit erhalten wir eine Länge λ = 7mm. Zwischen den Schwann-Zellen haben die Axone Spannungsempfindliche Stellen (Konten von Ranvier), welche stark polarisierend auf eine externe Spannung reagieren. Diese sind etwa 1.5 mm auseinander, was heisst dass der Stromtransport in diesen Nerven von einem Knoten zum nächsten ”hüpft”(saltatorischer Transport), was die nötigen Geschwindigkeiten erreicht, da wir es nun nicht mehr mit einem diffusiven Prozess zu tun haben der den Transport auf langen Längenskalen vollbringt. Die entsprechende Pulsgeschwindigkeit ist dann auch im Bereich von 3 m/s (1.5 mm / 0.5 ms), was typische Reaktionszeiten möglich macht. 271 9.3.6.3 Aktionspotential Nun haben wir immernoch das Problem der 70 % unmyelinierten Nervenzellen. Dies haben Hodgkin und Huxley and den Axonen von Riesentintenfischen im Detail untersucht. Das Grundprinzip ist das folgende: In unserer Diskussion sind wir davon ausgegangen, dass der Widerstand der Membran stets der gleiche ist, egal welche Spannungsdifferenz daran anliegt. Das muss nicht so sein, wie Hodgkin und Huxley gefunden haben hängt der spezifische Widerstand eines Axons auf den Ionentransport von Na, K oder Ca von der angelegten Spannung ab. Dies deshalb weil die Ionenkanäle welche die jeweiligen Ionen durch die Membran transportieren verschiedene Zustände haben, die entweder einem offenen oder geschlossenen Kanal entsprechen. Das heisst der Widerstand der Membran ρm ändert sich um mehrere Grössenordnungen wenn der Kanal offen oder geschlossen ist. Um uns dies klar zu machen halten wir uns nochmals den spezifischen Widerstand einer ionischen Lösung vor Augen, den wir oben hergeleitet hatten: ρ ∝ 1/n, also je grösser die Ladungsträgerdichte, desto kleiner der Widerstand. Da die Ionenkanäle für die verschiedenen Kanäle verschieden auf externe Spannungen reagieren ergibt sich eine Schwell-Spannung bei der ein starker Spannungs-Puls angeregt werden kann. Aus der zeitlichen Form der Strompulse haben Hodgkin und Huxley sogar schliessen können wieviele Öffnungen die verschiedenen Kanäle haben. Dies hängt nämlich damit zusammen welche funktionelle Form die Spannungsabhängigkeit des Widerstands hat, genauer gesagt von der Anzahl der möglichen leitenden und nicht-leitenden Zustände. 40 Jahre später konnten diese vorhergesagten Strukturen mit Hilfe von röntgenkristallographischer Strukturbestimmung bestätigt werden. Abbildung 9.126: Struktur eines Na-Ionenkanals aus Röntgenbeugungs Strukturanalyse. 272