Zu einer Psychoanalyse der Angst und des Zwanges MAG . DR . CHR IS T IA N A R NE Z E DE R © 2016 ARNEZEDER CHRISTIAN Zu einer Psychoanalyse der Angst und des Zwanges Objektbeziehungstheorie • Psychoanalytische Schulen • Psychoanalytische Positionen Psychoanalyse • Identität und Beziehungen • Lebensangst Angst und Zwang 1. PSYCHOANALYSE HEUTE Psychoanalyse heute • Die Psychoanalyse ist heute nicht mehr als eine Einheit zu erkennen, sondern faltet sich auf in verschiedene Theorien und Behandlungsansätze mit gemeinsamen, aber auch unterschiedlichen Positionen. • „Die Psychoanalyse vergißt nicht“. Alte Theorien bleiben neben neuen bestehen. Psychoanalytische Schulen (Ogden 1994) • Klassische Psychoanalyse • Ich-Psychologie • Objektbeziehungstheorie • Selbstpsychologie Formen psychoanalytischer Psychotherapie • Psychoanalyse • Beziehungsanalyse • Psychoanalytische Psychotherapie • Analytische Psychotherapie (AP) • Fokaltherapie • Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TFT) • Transference Focused Therapy (TFT) • Psychoanalytisch orientierte Psychotherapie (POP) • Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT) • Intensive psychodynamische Kurzzeittherapie (IS-TDP) • Psa. Paar- und Familientherapie • Gruppenanalyse Psychoanalytische Positionen • Verantwortlichkeit • Γνῶθι σεαυτόν oder Nosce te ipsum (Versteh Dich zuerst einmal selber) • Identität oder Selbst Psychoanalytische Positionen • Erinnern Wiederholen Durcharbeiten (Freud 1914) • Einsicht vs. Wiedererleben Objektbeziehungstheorien Melanie KLEIN (1882-1960) Objektbeziehungstheorien Otto F. KERNBERG (1930 - ) Objektbeziehungstheorien • Selbst oder Identität entsteht durch Internalisierung von Beziehungserfahrungen in den ersten drei Lebensjahren. • Wahrnehmungserinnerungen und Vorstellungen des Kindes über sich und seine Bezugspersonen sind entscheidend für die spätere Beziehungsgestaltung und für die Persönlichkeitsentwicklung. Objektbeziehungstheorien Das Selbst ist eine intrapsychische Struktur, die sich aus mannigfachen Selbstrepräsentanzen mitsamt den damit verbundenen Affektdispositionen konstituiert. Selbstrepräsentanzen sind affektiv-kognitive Strukturen, die die Selbstwahrnehmung einer Person in ihren realen Interaktionen mit bedeutsamen Bezugspersonen und in phantasierten Interaktionen mit inneren Repräsentanzen dieser anderen Personen, den sogenannten Objektrepräsentanzen, widerspiegeln.“ (Kernberg 1978, S. 358) Selbstrepräsentanz – Objektrepräsentanz – Affekt Repräsentanzen sind affektbesetzte innere Vorstellungen mit Erinnerungsspuren der Wahrnehmung von Selbst und Objekt. Selbstrepräsentanz – Objektrepräsentanz – Affekt • Selbstrepräsentanz (S) • Objektrepräsentanz (O) • Affekt (A) Inneres Objekt Innere Objekte Selbst und Identität Das Selbst oder die Identität ist die Geschichte der Beziehungserfahrungen. 2. ANGST UND ZWANG Psychoanalyse bei Angst und Zwang • Kein störungsspezifisches Vorgehen • Psychoanalytische Positionen auch bei Angst und Zwang Gemeinsamkeiten • Angst und Zwang neben Hysterie zählen zu den klassischen Psychoneurosen. • Zwang und Hysterie als Abwehrhaltung gegen die Depression Gemeinsamkeiten • Vermeidungsverhalten zentral, vor allem gegenüber Affekten • innere (innerpsychische) und äußere Konflikte (in Beziehungen) • Strukturdefizite • Intensivierung von Alltagsphänomenen • auch als Persönlichkeitsstörung Offene Fragen • Zwang als Angstphänomen? • Zwillingsstudien? • Neurotransmitter? 3. ANGST Angst und Kultur Angst als Thema auch bedeutend für • Philosophie (Bsp. Kierkegaard) • Kunst • Religion Kunst Religion • Angst vor dem Sterben und dem Tod • Glaube an Gott und ein Leben nach dem Sterben als Gehaltensein gegen das Angsterleben ICD 10: Angst • Phobische Störungen: Agoraphobie, Soziale Phobie, Spezifische Phobie, andere • Andere Angststörungen: Panikstörung, Generalisierte Angststörung, Angst und depressive Störung gemischt, andere Psychoanalytische Definition Angst bezeichnet einen sehr körpernahen Gefühlszustand. Dieser tritt in Situationen auf, die bewusst oder unbewusst als bedrohlich oder gefährlich erlebt werden. Er äußert sich als unlustvolle Erregung, die mit Beengung und Verzweiflung verbunden ist, schwer oder gar nicht rational und durch Willen gesteuert werden kann. Michael Ermann (2012): 11 Angsttheorien der Psychoanalyse Klassisch: Sigmund Freud (1856-1939) • 1. Angsttheorie: aufgestaute Sexualität und Aggression • 2. Angsttheorie: Signalangst gegen (unbewußte) Bedrohung Psychoanalyse der Angst heute • Neurotische Angst: Wiederbelebung von (infantilen) Konflikten • Strukturelle Angst: Defizite bei Angstbindung und Angstverarbeitung Psychoanalyse der Angst heute Unsichere und schwache innere Objekte mit intensiven Angstaffekten Harry Stack Sullivan (1892-1949) Harry Stack Sullivan (1892-1949) • Psychische Störungen als Ausdruck und Abwehr von erhöhter Lebensangst • Verängstigungen stammen aus verstörten menschlichen Beziehungen. • Sicherheitsstreben durch Vermeidung und Rituale, kein kreatives Leben Wilfried Ruprecht Bion (1897-1979) Wilfried Ruprecht Bion (1897-1979) • namenlose Angst: unbearbeitete Beta-Elemente, psychosenah • Angst vor Erkenntnis und Veränderung: durch Alpha-Elemente verarbeitet, zuerst von der Mutter übernommen, dann durch deren Abwesenheit in der Entwicklung selber schmerzhaft übernommen Karl König (1931-) Karl König (1931-) • Konzept des steuernden Objektes • mangelhafte Verinnerlichung steuernder Objekterfahrungen mit der Mutter • Narzißtische Verwendung von anderen als Teilobjekte Personen, Tiere, Medikamente, Fahrrad, …. Robert D. Stolorow (1942-) Robert D. Stolorow (1942-) • Nicht die beteiligten Personen und ihre Entwicklung und Konflikte bestimmen die Beziehung, sondern die Beziehung bestimmt die beteiligten Personen mit ihrer Entwicklung und ihren Konflikten. • Gefühl von Selbstmächtigkeit Diagnostik des Strukturniveaus • Desintegration: Spaltung - Borderlinestörung • Niedrig: Idealisierung - Depression • Mittel: Verdrängung – klassische Neurosen • Hoch: Reif - PTSD Diagnostik anhand der Übertragung und Gegenübertragung: • Welche Übertragungsbereitschaften realisieren sich? • Welche Gegenübertragung macht sich bemerkbar? Literatur Herbold W. & Böhm V. & Körner K.: Beziehung und Exposition. Psychotherapeut 61: 399-406, 2016 Beziehungserwartungen nach OPD 2 Beziehungsthema 1 Autonomie 2 Anerkennung 3 Zuneigung 4 Fürsorge Beziehungserwartung Ich erwarte, dass Andere (z. B. die Therapeutin) … 1.1 mir viel Freiraum geben, mich alles alleine machen lassen 1.2 mir keinen Freiraum lassen, sich einmischen 2.1 mich bewundern und anerkennen 2.2 mich klein machen, entwerten, beschämen 3.1 mich mit ihrer Zuneigung bedrängen 3.2 mir ihre Zuneigung entziehen 4.1 sich besonders um mich kümmern und sorgen 4.2 mich vernachlässigen, mich im Stich lassen Beziehungserwartungen nach OPD 2 Beziehungserwartung Beziehungsthema 5 Führung 6 Verantwortung 7 Aggression 8 Kontakt Ich erwarte, dass Andere (z. B. die Therapeutin) … 5.1 mich wenig führen oder beeinflussen 5.2 mich bestimmen und kontrollieren, indem sie Ansprüche stellen 6.1 mich nichtverantwortlich machen 6.2 mir Vorwürfe machen, mich beschuldigen 7.1 harmonisieren und Aggressionen vermeiden 7.2 mich angreifen und schädigen 8.1 sich mir aufdrängen, taktlos sind 8.2 mich ignorieren, übersehen 4. ZWANG ICD 10: Zwangsgedanken • Zwangsgedanken sind Ideen, Vorstellungen oder Impulse, die den Patienten immer wieder stereotyp beschäftigen. Sie sind fast immer quälend, der Patient versucht häufig erfolglos, Widerstand zu leisten. Die Gedanken werden als zur eigenen Person gehörig erlebt, selbst wenn sie als unwillkürlich und häufig abstoßend empfunden werden. ICD 10: Zwangshandlungen • Zwangshandlungen oder -rituale sind Stereotypien, die ständig wiederholt werden. Sie werden weder als angenehm empfunden, noch dienen sie dazu, an sich nützliche Aufgaben zu erfüllen. Der Patient erlebt sie oft als Vorbeugung gegen ein objektiv unwahrscheinliches Ereignis, das ihm Schaden bringen oder bei dem er selbst Unheil anrichten könnte. Im Allgemeinen wird dieses Verhalten als sinnlos und ineffektiv erlebt, es wird immer wieder versucht, dagegen anzugehen. Angst ist meist ständig vorhanden. Alltagsphänomen Zwang • Aufsteh- und Bettgehroutinen gehören notwendigerweise zum Alltag, sonst würden sie zuviel Ressourcen verbrauchen. • Bei Zwang durch Verschiebung nicht eigentliche Aufgabenlösung, sondern auf fremden Gebiet, daher immer wieder Wiederholung, ohne das Gefühl fertig zu sein. Kein Abbruch mehr. Abwehrmechanismen • Verschiebung • Rationalisierung • Isolation Existenzsicherung Insofern die Wiederholung dem Lebendigen Dauer verleiht, ist sie ein Garant der Existenz des Individuums. Quint Hans: Der Zwang im Dienste der Selbsterhaltung Psyche 38: 732, 1984 Magisches Denken • Gedanken erzeugen Wirkung. • Diese Sicherheit bleibt nach der kindlichen Entwicklung bestehen. • Worte sind gleich mit Realität. Gedankenexperiment nach Salkovskis • Was würden Sie jemandem als Schlimmstes wünschen können? • Schreiben Sie dazu den Namen Ihrer liebsten Person auf der Welt dazu. • Ist ja nur ein Gedanke. Lastwagenphänomen • Nicht dagegenstellen und versuchen, den Lastwagen aufzuhalten, dann wird man überfahren • sondern Beobachtung und Verkehrszählung. 5. THERAPIE Erinnern Wiederholen Durcharbeiten • Wo zeigt sich in den Symptomen und im Übertragungs- und Übertragungsgeschehen ein wiederkehrendes Muster? • Was tragt wer dazu bei? • Woran erinnert das? • Wo treten diese Muster sonst noch auf? Objektbeziehungen • Erinnern von prägenden Beziehungsepisoden • Verantwortung und Entscheidung als jetzt erwachsene Person • Stärkung von bisher schwachen inneren Objekten Bewußtwerden • Was bewußt geworden ist, funktioniert so nicht mehr. 6. LITERATUR Literatur Riemann Fritz Grundformen der Angst Reinhardt München 2013 41 Literatur König Karl Angst und Persönlichkeit Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002 Literatur Ermann Michael Angst und Angststörungen Kohlhammer Stuttgart 2012 Literatur Hofmann Sven Olaf Psychodynamische Therapie von Angststörungen Schattauer Stuttgart 20162 Literatur Psyche Doppelheft 9/10 Klett Cotta Stuttgart 2015 Literatur Meyer Guido Konzepte der Angst in der Psychoanalyse Band 1, 2, 3 Brandes & Apsel, Frankfurt 2005/07/09 Literatur Quint Hans Die Zwangsneurose aus psychoanalytischer Sicht Springer Berlin 1988 Literatur Jahrbuch der Psychoanalyse Heft 54 frommann-holzboog Stuttgart 2007 Literatur Lachauer Rudolf Der Fokus in der Psychotherapie und Psychoanalyse Web-Site-Verlag 2014 Literatur Rosa Hartmut Beschleunigung und Entfremdung Suhrkamp, Frankfurt 2013 • Michelangelo: Jüngstes Gericht arthistoricum.net • Edvard Munch: Der Schrei Norwegisches Nationalmuseum Oslo • Freud, Klein, Bion, Kernberg: wikipedia • Sullivan: biapsy.de Bildnachweise • König: Vendenhoeck + Ruprecht aus den Quellen von • Stolorow: amazon Mag. Dr. Christian Arnezeder Kaisergasse 17/9, A-4020 Linz phone +43 (664) 3416278 web www.arnezeder.net mail [email protected]