Weiterbildung Psychotherapie, RHAP Krefeld

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Weiterbildung Psychotherapie,
RHAP Krefeld
Michael Klein Suchtgefahren und Suchtstörungen bei Kindern und Jugendlichen –
Grundlagen, Prävention und Behandlung
(17.‐18. März 2017)
1
Suchtgefahren und Suchtstörungen bei
Kindern und Jugendlichen – Grundlagen,
Prävention und Behandlung
1. Grundlagen zu Sucht – Was ist das Süchtige an der Sucht?
2. Verhaltenssucht – am Beispiel der Internetsucht
3. Cannabismissbrauch und –abhängigkeit
4. Suchttherapie – Haltung, Strategie, Methoden
5. Im Hintergrund: Familiale Transmission von Suchtstörungen
1. Grundlagen zu Sucht – Was ist das Süchtige an der Sucht?
Dynamisches Bedingungsgefüge der
Abhängigkeitsentstehung („Ätiologie“)
Psychische Funktionen
Umfeld
Biologische Funktionen
Substanz
4
Der Schlüssel zum Verständnis und zur Therapie von Suchtstörungen sind die Motive für den Substanzkonsum
Motive zum Substanzkonsum: Genuss
Steigerung des Wohlbefindens
Verringerung von Ängsten und Missempfindungen
Eskapismus/Flucht aus der Realität
Bewusstseinsveränderung Leistungssteigerung
Stressreduktion
Persönlichkeitsveränderung
Sedierung
Selbstmedikation
Bei der Entstehung („Ätiologie“) von Alkohol- und
anderen Substanzkonsumproblemen spielen folgende
Faktoren eine wichtige, bisweilen entscheidende Rolle:
(1) Konsummotive, insbesondere Motive der Stressreduktion und der Flucht
aus dem Alltag („Eskapismus“). Der Eskapismus gilt als relevanter Risikofaktor in
der Entstehung von Suchtproblemen und ist als stärker zu gewichten als reiner
Hedonismus.
(2) Bedürfnis nach Steigerung der Laune und Euphorie, insbesondere in
sozialer Gemeinschaft („positive Verstärkung“)
(3) Mittel zur Bekämpfung negativer Emotionen, ohne dass eine psychische
Störung vorliegt. Insbesondere zum Umgang mit Selbstwertproblemen, Ängsten,
depressiven Verstimmungen
(4) Psychische Probleme und Störungen als Ausgangslage, die durch die
sedierende, anregende und insgesamt bewusstseinsverändernde Wirkung
verändert werden („negative Verstärkung“)
(5) Genetisch erhöhtes Risiko durch erniedrigte Alkoholreagibilität und größeren
Stressdämpfungseffekt unter Alkohol, insbesondere bekannt bei Söhnen
alkoholabhängiger Väter (Schuckit, 1994; Schuckit & Smith, 1997).
(6) Besonders im Jugendalter haben trinkende Peers („peer-pressure“,
Konformität) einen starken Einfluss auf das Konsumverhalten ihres Umfeldes.
Merkmale der Sucht
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Zwang, Verlangen, Impulsivität
Regelmäßigkeit, Häufigkeit, Frequenz, Stil
Kontrollverlust, Exzessivität, Grenzüberschreitung
Dosissteigerung (Toleranz)
Positive Funktionalität des Konsums und der Konsumwirkung
Negative langfristige Konsequenzen Tretter & Müller, 2001, S. 66
Fremdmotivierung bei problematischem
Substanzkonsum und Suchtstörungen
Alkohol- und Drogenmissbrauch wirkt sich
langfristig negativ auf die acht „F“s aus:
Familie
Firma
Finanzen
Führerschein
Fitness (Gesundheit)
Freizeit
Freunde
Freiheit (bei Drogen; aber auch als Autonomie)
ABHÄNGIGKEITSSYNDROM (ICD-10)
1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren. (Craving)
2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der
Beendigung und der Menge des Konsums (Kontrollverlust)
3. Ein körperliches Entzugsyndrom bei Beendigung oder Reduktion
des Konsums (Körperliche Abhängigkeit)
4. Nachweis einer Substanztoleranz (Toleranzentwicklung)
5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder
Interessen (Psychische Abhängigkeit I)
6. Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger
schädlicher Folgen (Psychische Abhängigkeit II)
Kriterien der Alkoholkonsumstörung nach DSM-5 (Falkai & Wittchen, 2015, 675 - 676):
(1) Alkohol wird häufig in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt konsumiert.
(2) Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Alkoholkonsum zu verringern.
(3) Hoher Zeitaufwand, um Alkohol zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von seiner Wirkung zu erholen.
(4) Craving oder ein starkes Verlangen, Alkohol zu konsumieren.
(5) Wiederholter Alkoholkonsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause
führt.
(6) Fortgesetzter Konsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen von
Alkohol verursacht oder verstärkt werden.
(7) Wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Alkoholkonsums aufgegeben oder eingeschränkt.
(8) Wiederholter Alkoholkonsum in Situationen, in denen der Konsum zu einer körperlichen Gefährdung führt.
(9) Fortgesetzter Alkoholkonsum trotz Kenntnis eines anhaltenden oder wiederkehrenden körperlichen oder psychischen Problems, das
wahrscheinlich durch Alkohol verursacht wurde oder verstärkt wird.
(10) Toleranzentwicklung, definiert durch eines der folgenden Kriterien:
a. Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung, um einen Intoxikationszustand oder einen erwünschten Effekt herbeizuführen.
b. Deutlich verminderte Wirkung bei fortgesetztem Konsum derselben Menge an Alkohol.
(11) Entzugssymptome, die sich durch eines der folgenden Kriterien äußern:
a. Charakteristisches Entzugssyndrom in Bezug auf Alkohol.
b. Alkohol (oder eine sehr ähnliche Substanz, wie etwa Benzodiazepine) wird konsumiert, um Entzugssymptome zu lindern oder zu vermeiden.
Die Alkoholkonsumstörung („Sucht“) wird in drei Schweregraden diagnostiziert:
F10.10 Leicht: 2 bis 3 Symptomkriterien sind erfüllt.
F10.20 Mittel: 4 bis 5 Symptomkriterien sind erfüllt.
F10.30 Schwer: 6 oder mehr Symptomkriterien sind erfüllt.
Klassifikation psychotroper Substanzen
Analog einer Klassifikation der WHO wird im ICD-10 zwischen psychischen
und verhaltensbezogene Störungen durch folgende Substanzen unterschieden:
F10
Störungen durch Alkohol
F11
Störungen durch Opioide
F12
Störungen durch Cannabinoide
F13
Störungen durch Sedative oder Hypnotika
F14
Störungen durch Kokain
F15
Störungen durch andere Stimulanzien, einschl. Koffein
F16
Störungen durch Halluzinogene
F17
Störungen durch Tabak
F18
Störungen durch flüchtige Lösungsmittel
F19
Störungen durch multiplen Substanzgebrauch
und Konsum anderer psychotroper Substanzen
Das DSM-IV berücksichtigt zusätzlich noch Phencyclidin,
das insbesondere im Zusammenhang mit Gewaltdelikten bekannt geworden ist.
13
Das deutsche Suchthilfesystem: Sozial‐ und gesundheitsrechtliche Grundlagen der Suchtbehandlung
2. Verhaltenssüchte – am Beispiel der Internetsucht
Wölfling, 2015
Problematisches Spielverhalten äußert sich (in schleichenden) Veränderungen im Verhalten und dem Gefühlserleben der Betroffen. Die wichtigsten Hinweise auf ein problematisches Spielverhalten sind:
Der Betroffene/ die Betroffene ...
(1) hört auf, anderen Aktivitäten (außer Computerspielen) nachzugehen, die ihm/ ihr zuvor Spaß gemacht habe (2) vernachlässigt persönliche, berufliche und familiäre Verpflichtungen (z.B. Fehlen/ Zuspätkommen bei der Arbeit/ Schule) (3) verändert seine Schlaf‐, Ess‐ oder sexuellen Gewohnheiten (4) vernachlässigt sein äußeres Erscheinungsbild (5) ist ständig gedanklich mit dem Computerspiel beschäftigt (auch wenn er/sie gerade nicht spielt) (6) verschließt sich/ zieht sich von Familie und Freunden zurück (7) wirkt abwesend oder hat Schwierigkeiten sich zu konzentrieren (8) hat Stimmungsschwankungen oder plötzliche Wutausbrüche (v.a. wenn das Spiel unterbrochen wird) (9) leidet unter Langeweile oder Unruhe (10) scheint depressiv, besorgt oder ängstlich
https://ag‐spielsucht.charite.de/computerspiel/merkmale_der_computerspielsucht/
Selbsttest Exzessives Computerspielen
Wenn Sie sich fragen, ob Sie ihr Computerspielverhalten noch unter Kontrolle haben oder ob Sie gefährdet sind eine problematische Computerspielnutzung zu entwickeln, machen Sie den folgenden Test: Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen mit "Ja" oder "Nein" und zählen Sie die von Ihnen mit "Ja" beantworteten Fragen.
1. Müssen Sie immer länger Computerspiele oder Online‐Spiele spielen, um den gewünschten Kick zu erreichen oder ausreichend befriedigt zu sein? 2. Sind Sie ständig gedanklich mit Computerspielen oder Online‐Spielen beschäftigt (Denken an das Spiel auch wenn gerade nicht gespielt wird, Planung der nächsten Spielvorhaben)? 3. Fühlen Sie sich unruhig oder reizbar, wenn Sie versuchen ihr Computer‐ oder Online‐Spielen einzuschränken oder darauf zu verzichten? 4. Haben Sie Freunde oder Familienangehörige über das Ausmaß ihres Computer‐ oder Online‐Spielverhaltens angelogen oder versucht es vor diesen zu verheimlichen? 5. Haben Sie schon häufiger erfolglos versucht ihr Computer‐ oder Online‐Spielen unter Kontrolle zu bekommen, einzuschränken oder es ganz aufzugeben? 6. Nutzen Sie Computer‐ oder Online‐Spiele als einen Weg, um vor Problemen zu fliehen oder negativen Gefühlen wie Hilflosigkeit,
Schuld, Angst oder Niedergeschlagenheit abzulenken? 7. Haben Sie Freundschaften oder ihre Partnerschaft aufgrund ihres Computer‐ oder Online‐Spielverhaltens gefährdet oder verloren? 8. Haben Sie ihren Arbeitsplatz, ihre (Schul‐)ausbildung oder Karrieremöglichkeiten aufgrund ihres Computer‐ oder Online‐Spielens gefährdet? 9. Haben Sie das Gefühl, Sie könnten ein Problem mit Computer‐ oder Online‐Spielen haben? 10. Haben Sie Familienangehörige oder Freunde hinsichtlich ihres Computer‐ oder Online‐Spielverhaltens kritisiert oder sich Sorgen gemacht, dass Sie zu viel spielen?
https://ag‐spielsucht.charite.de/computerspiel/selbsttest/
Aus: Rumpf (2013, S. 4)
Internet Addiction Test (IAT)
Internet Addiction Test (IAT)
Internet Addiction Test (IAT)
CIUS Compulsive Internet Use Scale (Meerkerk)
CIUS Compulsive Internet Use Scale (Meerkerk)
Fallbeispiel „Robert“, 16 Jahre
Bitte lesen Sie die Kasuistik „Robert“ (auf Beiblatt). Zunächst alleine und dann in Triadenarbeit. Diskutieren und lösen Sie die Aufgabenstellung. Führen Sie sodann ein Rollenspiel mit „Robert“ durch, das die Kontaktaufnahme und den Beziehungsaufbau (im Erstgespräch) oder die weitergehende Motivierung (im zweiten Gespräch) zum Inhalt hat. 3. Cannabismissbrauch und –
abhängigkeit im Jugendalter
Konsummuster
1.) Probier- oder Experimentierkonsum aus Neugierde oder
angeregt durch den Konsum von Vorbildern in
spezifischen sozialen Netzwerken
2.) Gelegenheitskonsum, der mit bestimmten Gelegenheiten
wie z.B. Partys verbunden ist und dessen Hauptmotive
Lustgewinn
oder
Steigerung
des
persönlichen
Wohlbefindens ist
3.) Gewohnheitskonsum, der eine feste Funktion im Alltag
hat wie z.B. die Stabilisierung des psychischen
Wohlbefindens, Vermeiden negativer Gefühle oder
Überwindung sozialer Hemmungen
(Kleiber & Söllner, 1998)
http://www.ift.de/index.php?id=222
19. März 2017
Epidemiologie von Suchtstörungen
32
Kandel et al., 2002
Einstieg in den Cannabiskonsum
(Köln, 2009)
Erste Erfahrungen mit Cannabis werden früh gemacht!
(Prozentwerte in Bezug auf alle Konsumerfahrenen)
Alter beim Erstkonsum von Cannabis
Prozentanteil
12 Jahre oder jünger
10%
13 Jahre
19%
14 Jahre
29%
15 Jahre oder älter
42%
4. Therapie bei Suchtstörungen –
Haltungen, Behandlungsplanung, Methoden
Therapieprozess bei Suchtstörungen
(1) (Fremdmotivationaler) Überweisungskontext
(2)
Beziehungsaufnahme und –aufbau, offenes Sprechen über Konsum
(3)
Umgang mit „Abwehr“ und „Widerstand“
(4)
Motivationsförderung (pro und contra Veränderung, Ambivalenz)
(5)
Diagnostik, Anamnese, Therapieplanung
(6)
Vertiefung der therapeutischen Beziehung und „skillful confrontation“
(7) Psychoedukation und Selbstreflexion
(8)
Training und neue Gewohnheitsbildungen
(9) Schwierige Situationen (zB Abbruch, Angehörigenverhalten)
(10) Rückfälligkeit, Rückfallprävention
(11) Therapiebeendigung, Nachhaltigkeit der Therapieergebnisse, Nachsorge,
Wiederholungstherapien
40
Therapie mit Suchtkranken
Traditionelles
Modell
Modernes
Modell
Abstinenzgebot
Reduktionsziele; Zieloffenheit und
Abstinenz
–flexibilität,
häufiges Endziel zieloffene
Suchttherapie
Suchtmittel ist
Suchtmittel
das „Wichtigste“ besitzt
(„primäre
Funktionalität
Abhängigkeit“)
Integrationsmodell
Parallelbehandlung von Sucht
und Komorbidität
41
Therapie mit Suchtkranken
Traditionelles
Modell
Modernes Modell Integrationsmodell
Motivation ist
Voraussetzung
Motivation ist
ambivalent und
prozessual
Rückfall wird
tabuisiert
Umgang mit
Rückfall trainiert
Motivational
Interviewing, auch
in der
Entwöhnung und
PT
Rückfallprävenon, Rückfallintervention (STAR)
42
Therapie mit Suchtkranken
Traditionelles
Modell
Modernes Modell Integrationsmod
ell
Vermeidung
von Exposition
Exposition als
Differentielle
Therapiestandard Indikation
(Lindenmeyer,
2002)
Nur
Gruppentherapie
systemische und
Netzwerkarbeit
Kombination und
Wechsel (ET,
GT)
43
Therapie mit Suchtkranken
Traditionelles Modernes Modell Integrationsmodell
Modell
Keine
Psychopharmaka für
Suchtkranke
Psychopharmaka
bei psychischer
Komorbidität und
zur Rückfallprophylaxe
Differentielle
Therapieindikation
der Medikalisierung
nach Schweregrad,
Attributionsmuster
und Motivation
Bottom-downModell; erst
Leidensdruck,
dann Therapie
Frühintervention,
Motivationsförderung
indizierte Prävention und Frühintervention
und PT
44
Zieloffene Suchttherapie
Körkel, 2014, 168
45
Stufen des Veränderungsprozesses (nach Prochaska & DiClemente, 1988)
46
Ambivalenzkonflikt („A‐
Waage“) 47
Einübung von MI-Prinzipien
Ziel: Evokation authentischer selbstbezogener Äußerungen
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
Offene Fragen
Aktives Zuhören
Würdigung
Förderung von „Change Talk“
Umgang mit Widerstand „dancing vs.
wrestlich“
(6) Förderung von „Confidence Talk“
(7) Zusammenfassungen
5. Im Hintergrund und trotzdem relevant: Transmission von Suchtstörungen in Familien
Claudia Black,, ab ca. 1969
Kinderzeichnungen (Claudia Black, 1969 – 2015): Alkoholkranke Väter
Typische Lebenserfahrungen von Kindern alkoholkranker Eltern (N= 115)
• 1. Nicht zu Freunden gehen, um nicht in die Zwangslage zu geraten, diese zu sich nach Hause einladen zu müssen, wo die Eltern sich beschämend verhalten könnten.
• 2. In der Schule mit den Gedanken zu Hause sein, was dort gerade Schlimmes passiert oder bald passieren wird.
• 3. Andere Kinder beneiden oder eifersüchtig auf diese sein, wenn sie Spaß und Leichtigkeit mit ihren Eltern erleben.
• 4. Sich als Kind unter Gleichaltrigen isoliert, abgewertet und einsam fühlen.
• 5. Sich von den Eltern vernachlässigt, bisweilen als ungewolltes Kind fühlen.
Cork, M. (1969). The forgotten children.
Typische Lebenserfahrungen von Kindern alkoholkranker Eltern (Cork, 1969)
• 6. Für die Eltern sorgen, sich um sie ängstigen, insbesondere wenn die Mutter süchtig trinkt. • 7. Sich um Trennungsabsichten oder vollzogene Trennungen der Eltern unablässig Sorgen machen.
• 8. Als Jugendlicher die Eltern nicht im Stich lassen wollen (z. B. nicht von zu Hause ausziehen können).
• 9. Die Eltern für ihr Fehlverhalten entschuldigen. Lieber andere Menschen oder sich selbst beschuldigen.
• 10. Vielfache Trennungen und Versöhnungen der Eltern erleben und sich nicht auf einen stabilen, dauerhaften Zustand verlassen können.
• 11. Wenn der trinkende Elternteil schließlich mit dem Alkoholmissbrauch aufhört, weiterhin selbst Probleme haben oder solche suchen.
Nina, 12 Jahre, beide Elternteile alkoholabhängig (Kinderseminare FK Thommener Höhe)
Ausgangslage und Fakten
In Deutschland leben: 2.65 Millionen Kinder, bei denen ein Elternteil eine alkoholbezogene Störung (Missbrauch oder Abhängigkeit) aufweist (Lachner & Wittchen, 1997; Klein, 2005)
ca. 50.000 Kinder mit einem drogenabhängigen Elternteil d.h.: es geht insgesamt nicht um eine gesellschaftliche kleine Randgruppe, sondern um eine substantielle Gruppe von Kindern, die ein deutlich erhöhtes negatives Entwicklungsrisiko aufweisen. Die gesunde Entwicklung von Kindern suchtkranker Eltern ist ein prioritäres Public‐Health‐Thema. Prävalenzen
Jedes 7. Kind lebt zeitweise (etwa jedes 12. dauerhaft) in einer Familie mit einem Elternteil, der eine alkoholbezogene Störung (Abhängigkeit oder Missbrauch) aufweist (Deutschland; Lachner & Wittchen, 1997)
Jedes 3. Kind in einer alkoholbelasteten Familie erfährt regelmäßig physische Gewalt (als Opfer und/oder Zeuge) [Klein & Zobel, 2001]
Suchtkranke Familien weisen gehäuft eine „family
density“ für Sucht‐ und andere psychische Störungen auf
Prävalenzen
Von den Kindern alkoholabhängiger Eltern entwickeln ca. 33% bis 40% selbst eine substanzbezogene Abhängigkeitserkrankung (Sher, 1991; Windle & Searles, 1990; Klein, 2005; Zobel, 2006)
Ein Drittel (teilweise überlappend mit dem erstgenannten Drittel) zeigt psychische Störungen (z.B. Ängste, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen)
Bindungsmuster bei psychisch kranken Müttern (Cicchetti et al., 1995)
Erkrankung der Mut- Anteil unsicherer Binter
dung bei Kindern
schwere Depression 47%
leichte Depression
24%
bipolare Depression 79%
Schwere
Angster- 80%
krankungen
Alkoholmissbrauch
52% (davon 35% ambivalent)
Drogenmissbrauch
85% (davon 75% ambivalent)
In einer suchtbelasteten Familie oder Partnerschaft zu leben, bedeutet vor allem psychischen Stress: Alltags‐ und Dauerstress. Es entstehen oft dysfunktionale Copingmuster.
Formen des Familienstresses (Schneewind, 1991, 2006): (I) dysfunktional
(1) Duldungsstress („Ich kann dem Druck und Stress nicht ausweichen, halte ihn aber nicht aus“)
(2) Katastrophenstress („Ich weiß nie, was passieren wird. Das macht mir so viel Angst, dass ich andauernd daran denken muss“)
(II) funktional
(3) Bewältigungsstress („Auch wenn es schwer ist, ich werde es schaffen und überleben“)
Haupterfahrungen der Kinder suchtkranker Eltern:
Stress und Volatilität des Elternverhaltens
•Instabilität
•Unberechenbarkeit
•Unkontrollierbarkeit
•Gewalt (Zeuge u/o Opfer)
•Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung
•Verlusterlebnisse, Diskontinuitäten
Maria (5), aus Helsinki
Hauptsymptome alkoholbelasteter Partnerschaften und Familien: Stress und Volatilität
Im Einzelnen: • Stabilität der Instabilität
• Unberechenbares Verhalten des Suchtkranken wird durch übermäßige Verantwortungsübernahme der Partnerin kompensiert. In der Summe herrscht meist lange Homöostase
• Kontrollzwang, Kontrolleskalation, Kontrollverlust • Übermäßige Frequenz emotionaler, physischer und sexueller Gewalt • Chronisch belastete Atmosphäre („schleichendes Gift“)
• Verlusterlebnisse, Diskontinuitäten, Brüche
Hauptproblem suchtkranker Eltern aus der Kindesperspektive: Verhaltensvolatilität
Das Hauptproblem suchtkranker Eltern im Erleben ihrer Kinder ist ihre Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit, bisweilen auch ihre Impulsivität, Aggressivität oder Depressivität. Je stabiler und funktionaler ihr Verhalten wird, desto besser ist dies für ihre Kinder. Resilienzen für Kinder von Suchtkranken I (nach Wolin & Wolin, 1995)
• Ahnung, Wissen, Einsicht, z.B. dass mit der drogenabhängigen Mutter etwas nicht stimmt
• Unabhängigkeit, z.B. sich von den Stimmungen in der
Familie nicht mehr beeinflussen zu lassen
• Beziehungsfähigkeit, z.B. in eigener Initiative Bindungen zu
psychisch gesunden und stabilen Menschen aufzubauen
• Initiative, z.B. in Form von sportlichen und sozialen
Aktivitäten
Resilienzen für Kinder von Suchtkranken II
• Kreativität, z.B. in Form von künstlerischem Ausdruck
•Humor, z.B. in Form von Ironie und selbstbezogenem Witz
als Methode der Distanzierung
•Moral, z.B. in Form eines von den Eltern unabhängigen
stabilen Wertesystems.
Merke: Neben der Individualresilienz (z.B. von
Kindern) ist die Familienresilienz zu fördern. Diese
betrifft die Stressresistenz des ganzen
Lebenssystems (z.B. durch Förderung gesunder
und heilsamer Rituale).
Konzeption
Modular aufgebautes ambulantes Gruppenangebot
• Alter der Kinder von 8 bis 12 Jahren
• Eine Person als Kursleiter/‐in
• Angestrebte Gruppengröße: 6‐8 Kinder
• Wöchentliche Treffen für eine Zeitdauer von etwa 9 Wochen
• Umfasst 10 Module á 90 Minuten:
• 9 Gruppentreffen für die Kinder
• 1 Elternmodul, aufgeteilt auf zwei Abende
Trampolin: Modulinhalte
9. Positives Abschiednehmen
10. Eltern sensibilisieren und
stärken (Teil 1)
8. Hilfe und Unterstützung einholen
7. Verhaltensstrategien in der Familie erlernen
6. Probleme lösen und Selbstwirksamkeit erhöhen
5. Mit schwierigen Emotionen umgehen
4. Wissen über Sucht und Süchtige vergrößern
3. Über Sucht in der Familie reden
2. Selbstwert/positives Selbstkonzept stärken
1. Vertrauensvolle Gruppenatmosphäre schaffen
10. Eltern sensibilisieren und
stärken (Teil 2)
Hilfreiche Internetadressen
(1) Internetsucht
https://www.youtube.com/watch?v=e0lAGtfXcPc (NANO Internetsucht, 5 Min.)
https://www.dak.de/dak/gesundheit/Internetsucht‐1713176.html (DAK zu Internetsucht)
https://www.dak.de/dak/gesundheit/Selbsttest_Bin_ich_internetsuechtig‐1704800.html?/1704798/0
(Selbsttest: internetsüchtig?)
Fachverband Mediensucht: http://www.fv‐medienabhaengigkeit.de/
http://www.fv‐medienabhaengigkeit.de (Fachverband Medienabhängigkeit)
www.computersucht‐berlin.de (Lost in Space)
www.escapade‐projekt.de (Intervention bei problematischem Internetkonsum; Drogenhilfe Köln)
(2) Cannabisabhängigkeit www.quit‐the‐shit.net (Cannabis)
www.realize‐it.org (Cannabis)
(3) Motivational Interviewing
https://www.youtube.com/watch?v=s3MCJZ7OGRk (Motivational Interviewing)
Adresse
Referent: Prof. Dr. Michael Klein
Katholische Hochschule Nordrhein‐Westfalen (KatHO NRW)
Deutsches Institut für Sucht‐ und Präventionsforschung
Wörthstraße 10
D‐50668 Köln
Email: Mikle@katho‐nrw.de
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