2. Beispiele zur Konfliktregelung im innergesellschaftlichen Bereich

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Meyer
2. Beispiele zur Konfliktregelung im
innergesellschaftlichen Bereich:
Einführung
Jemand, der es morgens eilig hat, in sein Büro zu kommen, und trotzdem (A)
die Geschwindigkeitsvorschriften einhält, wird in der Regel nicht "geblitzt".
Sollte er hingegen (B) beim zu schnellen Fahren erwischt werden und ein
"Knöllchen" erhalten, wird er sich zwar ärgern, aber wahrscheinlich zahlen.
Erst wenn er (C) nicht zahlt und gemahnt wird oder Einspruch einlegt und
dann ein Foto präsentiert bekommt, auf dem er deutlich zu erkennen ist,
merkt er, daß ihn die Ordnungshüter nicht ohne weiteres entrinnen lassen.
Konflikte wie dieser sind im innergesellschaftlichen Bereich allgegenwärtig. Das Beispiel zeigt aber, daß die meisten (A) gar nicht erst zustandekommen, weil wir Normen (hier die der Straßenverkehrsordung), die wir
kennen, und Regelungsmechanismen, die wir eingeübt haben, einhalten.
Viele eskalieren auch nicht, weil wir da, wo wir einmal mit einer Norm in
Konflikt geraten (B), meist die auferlegte Sanktion akzeptieren und danach
vielleicht eine Zeit lang sogar genauer darauf achten, nicht erneut gegen die
Norm zu verstoßen. Passen wir uns nicht an (C), so müssen wir allerdings
eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Institutionen gewärtigen,
die für die Einhaltung der Normen zu sorgen haben.
In diesem Kapitel wollen wir uns mit der Regelung innergesellschaftlicher
Konflikte unter den Bedingungen des Rechtsstaates näher beschäftigen. Dabei geht es zunächst einmal um die Bedeutung und Funktionen von Recht
und Gesetzen für die Normierung und Steuerung des Verhaltens der ihm unterworfenen Individuen, Gruppen und Institutionen. Gesetze schaffen darüber hinaus normative Rahmen für Verfahren zur Regelung von Konflikten
zwischen Individuen sowie zwischen dem Einzelnen und privaten und öffentlichen Einrichtungen wie schließlich zwischen Institutionen untereinander. Mit ihrer Hilfe wird der Rechtsstreit zu einer "institutionalisierten" Form
des Konflikts.
Gesetzgebungsverfahren dienen im Rechtsstaat auch dazu, größere gesellschaftliche Konflikte zu kanalisieren und zu transformieren. Dabei kommt es
nicht unbedingt zu einem gerechten Ausgleich sämtlicher widerstreitender
Interessen, schon gar nicht von allein oder aufgrund höherer Weisheit des
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Gesetzgebers. Zum einen spielen parlamentarische Mehrheitsverhältnisse
eine Rolle. Zum anderen nimmt der Gesetzgeber die Interessen von
Betroffenen eher zur Kenntnis und bei der Formulierung eines Gesetzes auf
sie Rücksicht, wenn sie sich bereits zu Gruppeninteressen gebündelt haben
und lautstark und machtvoll vertreten werden.
Im Zuge eines solchen Prozesses kann es zu einer Konfliktverlagerung
kommen. In ihrem Verlauf oder an ihrem Ende werden entweder nur bestimmte Teilaspekte eines Konflikts geregelt, während andere - wenigstens
vorübergehend - aus dem Gesichtsfeld des öffentlichen Interesses verschwinden, oder es wechselt der Streitgegenstand, z.B. weil es einer oder
mehreren Konfliktparteien nützlicher erscheint, sich gegenüber der oder den
anderen an einem neuen Objekt zu profilieren.
Eine andere Entwicklung läßt sich als Konfliktverwaltung bezeichnen. Hier
wird durch ein Gesetz oder eine Verordnung eine aktuelle Regelung des
Problems gefunden, mit der die Betroffenen eine Zeit lang leben können,
aber der Grunddissens bleibt erhalten.
In den nachfolgenden Texten soll dies verdeutlicht werden. Wir beginnen mit
einem Beitrag über das Verhältnis von Recht, Frieden und Konflikt innerhalb
des zivilisatorischen Hexagons. In diesem Überblicksartikel werden wichtige
Funktionen des Rechts in Bezug auf die Verhaltenssteuerung und
Konfliktbearbeitung sowie auf die Herstellung und Organisation einer
Rechtsordnung beschrieben.
Zur Vertiefung einiger Teilaspekte haben wir einen Abschnitt aus Niklas
Luhmanns bekanntem Werk "Legitimation durch Verfahren" ausgesucht, der
einige besondere Charakteristika der Veränderungen verdeutlicht, die ein
Konflikt durch seine Institutionalisierung erfährt. In diesem Werk, das insgesamt sehr lesenswert ist, versucht der Autor "die für moderne politische
Systeme zentrale Rechtsidee der Verfahren mit sozialwissenschaftlichen und
speziell mit systemtheoretischen Mitteln nachzukonstruieren". 1
Diesem theoretischen Text folgen drei Fallstudien: In der ersten beschreibt
Eckart Strangfeld den Prozeß einer innerbetrieblichen Konfliktbearbeitung
mit Hilfe einer Einigungsstelle. Der Fall selbst ist möglicherweise untypisch,
vermittelt aber, daß ein festgefahrener Konflikt durch die gesetzlich vorgesehene Schaffung einer Einigungsstelle eine andere Dynamik erhalten kann,
die eine Regelung ermöglicht.
Gesellschaftliche Konflikte sind häufig zwischen mehr als zwei Parteien
auszutragen und zu regeln. In einem politischen System mit vielen Vetopositionen kommen dabei meistens diejenigen Interessen zu kurz, die keine
Lobby haben. In meiner kleinen Studie über den Weg vom "Bündnis für Arbeit" bis zum Scheitern des Entgeltfortzahlungsgesetzes wird untersucht,
wann und wo von den Konfliktparteien Chancen für tragfähige Kompromisse
1
Niklas Luhmann: Legitimation durch Verfahren, Frankfurt/Main 1983, S. 1.
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verpaßt wurden und warum das ursprüngliche Kernproblem der Arbeitslosigkeit bei der hier zu beobachtenden Konfliktverlagerung auf der
Strecke blieb.
Auch die letzte Fallstudie zu den innergesellschaftlichen Konflikten in der
Bundesrepublik analysiert ein komplexes Thema, nämlich die Auseinandersetzung um die allgemeine Wehrpflicht und ihre künftige Beibehaltung.
Dieses Problem wird von mir als Beispiel für eine Konfliktverwaltung untersucht. Mit dieser "Methode" war es bisher zwar immer wieder möglich,
Teilprobleme wie die Frage der Kriegsdienstverweigerung oder der Wehrund Dienstgerechtigkeit aktuell zu regeln, zugleich konnten sich die Bundestagsparteien aber davor drücken, eine strukturelle Neuordnung sowohl der
Streitkräfte wie der sozialen Dienstleistungen vorzunehmen.
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