Spielzeitmagazin IDENTITÄT

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2017 /18
4er
Karte
Bei Jacques
undBritney
Vier Abende in der Außenspielstätte
am Offenbachplatz. Nur 58 Euro.
Weitere Infos zu den Kartenserien und Abonnements erhalten
Sie an der Theaterkasse und auf unserer Homepage.
www.schauspiel.koeln
Liebes Publikum,
am Anfang, als wir mit dem Schauspiel ins Depot umzogen,
war der Vorplatz wüst und leer. So schufen wir eine kleine
Oase und nannten sie CARLsGARTEN. Zwischen zwei Betonplatten aber hatte sich eine Birke ausgesät und sprießte
nun im Schutz der Anlage aus dieser Lücke hervor.
Wie es aussieht, wird das Schauspiel wohl noch ein paar
weitere Jahre in Mülheim bleiben müssen, denn die Sanierung am Offenbachplatz verzögert sich. Aus einem Provisorium wird langsam – wie das in Köln nicht unüblich ist - eine
ständige Einrichtung. Und natürlich tun wir alles, was wir
können, um aus unseren anfangs noch sehr rohen Hallen attraktive Spielstätten zu machen. Das sind wir Ihnen, unseren
Zuschauern, das sind wir uns, den Machern schuldig. Es ist
ein stetiger Prozess des Nachbesserns, Aufrüstens und Weiterentwickelns. Den widrigen Umständen zum Trotz. Wie die
Birke draußen, entwickelt sich das Theater an einem Platz,
an dem man es eigentlich nicht vermutet.
Was wird aber das Schicksal dieses Ortes sein, wenn
das Schauspiel dereinst doch noch an den Offenbachplatz
zurückgekehren wird? Ende, Aus, Kahlschlag?
Ich finde, das Schauspiel sollte hier im Herzen von Mülheim
eine rechtsrheinische Dependance behalten dürfen. An
Ideen und Plänen dafür mangelt es nicht. Am Ende aber
muss die Politik die Entscheidung fällen, ob sie diesen
einzigartigen Standort der Kultur erhalten möchte - ein Stück
urbanes Köln. Denn in diesem Stadtteil bildet sich beispielhaft die kulturelle Vielfalt ab, die das Leben in den Städten
mittlerweile ausmacht. Hier treffen die unterschiedlichsten
Mentalitäten, Charaktere und Temperamente zusammen
und treten auf vielfältige Weise in einen Dialog. Kritische
Auseinandersetzung und das Gespräch sind Bedingungen
für eine lebendige Zivilgesellschaft und dafür bietet das
Theater die Plattform.
Eines steht fest: Ohne das Schauspiel wäre Mülheim ein anderer Bezirk, genauso wie das Schauspiel ohne Mülheim ein
anderes Theater wäre. Hier ist nicht mal eben ein Satellit der
Hochkultur gelandet, der nach einer Weile wieder verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen. Hier haben sich ein Theater
und ein Bezirk, die auf den ersten Blick gegensätzlicher nicht
sein könnten, auf ganz einzigartige Weise verbunden.
Mülheim ist stolz, das Schauspiel zu beherbergen und
das Schauspiel wiederum hat hier Wurzeln geschlagen und
dazu beigetragen, dass der Bezirk Mülheim eine andere
Identität bekommen hat.
Womit wir wieder bei der Birke wären, die inzwischen
sicher schon drei Meter misst und wie ich gelesen habe, bis
zu 30 Meter gross werden kann. Möge sie weiterwachsen
dürfen, dieser Pionier unter den Bäumen und ihre schützende Kraft entfalten.
In diesem Heft präsentieren wir Ihnen den Spielplan
der kommenden Saison 17/18. Ich hoffe, ich kann sie so
zahlreich wie bisher willkommen heißen. Wir treffen uns in
einem Garten, wahrscheinlich unter einem Baum...
Herzlich,
Ihr Stefan Bachmann
Intendant Schauspiel Köln
01
inhalt
Das erste Magazin der Spielzeit 2017/18 ist dem Thema IDENTITÄT gewidmet. Wie
facettenreich und brisant der Umgang mit dem eigenen ICH ist, zeigen die Beiträge in diesem Heft.
Der Spielplan 2017/18
Alle Premieren im Überblick.
Die ersten 10 von 20 Premieren
Inhalte, Teams und Daten der ersten 10 Produktionen.
04
06
Deutsche Lebenslügen
»Unser Wohlstand«, »unsere Demokratie«, »nie wieder Krieg«: Diese drei Losungen beschreibt
der Soziologe Stephan Lessenich als die Grundpfeiler der bundesrepublikanischen Identität. In
seinem Essay wirft er einen Blick auf die Schattenseiten dieser Gründungsmythen.
10
Erfinde dich selbst!
Peer Gynt ist ein Verwandlungskünstler, Tagträumer und begnadeter Lügner. Anlässlich der Inszenierung von Stefan Bachmann, mit der die Spielzeit eröffnet wird, befragt Dramaturg Julian Pörksen
zwei von Deutschlands bekanntesten Hochstaplern: den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi und den
vorgeblichen Psychiater Gert Postel.
18
Offenbarung
Mit Lukas Bärfuss‘ Schauspiel FRAU SCHMITZ eröffnen wir die Saison in der Außenspielstätte am
Offenbachplatz. Das Stück ist eine Farce auf Geschlechterrollen und Zuschreibungen. Der Schweizer Romancier, Essayist und Dramatiker über die Magie von Verwandlung.
28
Vom Verlassenwerden
Romeo und Julia sind das berühmteste Paar der Weltliteratur, ihre Liebe bis in den Tod ist ein
vielbeschworener Mythos, den die junge Regisseurin Pınar Karabulut in ihrer Lesart auf die
Bühne des Depot 1 bringt. Wie steht es mit der Liebe zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Und was,
wenn nicht der Tod, sondern ganz trivial das Leben und Neuverlieben zwei Menschen trennt? Der
Philosoph und Autor Sven Hillenkamp über das Ende der Liebe und die zurückbleibenden Spuren
im Selbstbild des Verlassenen.
02
34
lt
Von den Errettungen
Der in Sofia geborene deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow reflektiert über die Zumutungen einer
Flucht, die Auswirkungen des Heimatverlusts auf die Identität und die Chancen eines Neubeginns.
42
Auf dem Weg
Mit HEIMWÄRTS kommt zum dritten Mal ein Stück von Ibrahim Amir am Schauspiel Köln zur Aufführung. Zeit für ein Portrait des aus Syrien stammenden und in Wien lebenden Autors.
50
»Am Anfang sind sie klein und grün.«
Die asphaltierte Fläche vor dem Depot entwickelte sich in den letzten Jahren zu einer blühenden
Oase. Anlässlich des vierten Geburtstags des CARLsGARTEN interviewen die beiden Gründerinnen Melanie Kretschmann und Michaela Kretschmann die beiden Initiatoren der Berliner
Prinzessinnengärten Svenja Nette und Robert Shaw.
54
BRITNEY am Offenbachplatz
Seit einem Jahr steht BRITNEY, die Außenspielstätte am Offenbachplatz, für ein innovatives Programm: Ur- und Erstaufführungen, Konzerte, Lesungen, Performances. Das bleibt auch in dieser
Spielzeit so.
62
Service und Impressum
64
Ensemble
Die Porträts der Schauspieler*innen sind von dem Hamburger Fotografen Krafft Angerer.
03
Der Spielplan
2017/18
Woyzeck
DEPOT 1
von Georg Büchner
Regie Therese Willstedt
Premiere 23. März 2018
Peer Gynt
von Henrik Ibsen
Regie Stefan Bachmann
Premiere 22. September 2017
Winterreise
Seite 06
Regie Stefan Bachmann
Premiere März | April 2018
Romeo und Julia
Eine Übernahme vom Burgtheater Wien
von William Shakespeare
Regie Pınar Karabulut
Premiere 14. Oktober 2017
von Elfriede Jelinek
07
Don Quijote
nach Miguel de Cervantes
Wilhelm Tell
Regie Simon Solberg
Premiere Mai | Juni 2018
von Friedrich Schiller
Regie Stefan Bachmann
Kölner Premiere 10. November 2017
Eine Koproduktion mit dem Theater Basel
08
Eine Frau
Mary Page Marlowe
von Tracy Letts
Regie Lilja Rupprecht
Premiere 24. November 2017
Die Weber
von Gerhart Hauptmann
Regie Armin Petras
Premiere 02. Februar 2018
Triple Bill (AT)
von Richard Siegal / Ballet of Difference
Choreografie und Regie Richard Siegal
Uraufführung 22. Februar 2018
Eine Koproduktion mit Tanz Köln
und dem Muffatwerk München
04
08
Gastspiele
Battlefield
Basierend auf der Mahabharata und dem Stück
von Jean-Claude Carrière
Regie Peter Brook / Marie-Hélène Estienne
18. | 19. November 2017
Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs
von Milo Rau
Regie Milo Rau
02. Dezember 2017
In Kooperation mit der Akademie der Künste der Welt
The Civil Wars
Konzept, Text und Regie Milo Rau
21. | 22. Dezember 2017
2666
Basierend auf dem Roman von Roberto Bolaño
Regie und Adaption Julien Gosselin
Ostern 2018 (in Planung)
DEPOT 2
AuSSenspielstätte
am Offenbachplatz
Occident Express
Frau Schmitz
von Stefano Massini
von Lukas Bärfuss
Regie Moritz Sostmann
Deutsche Erstaufführung 07. Oktober 2017
07
Regie Rafael Sanchez
Deutsche Erstaufführung 23. September 2017
Hool
Alles, was ich nicht erinnere
nach dem Roman von Philipp Winkler
in einer Bühnenfassung von Nuran David Calis
nach dem Roman von Jonas Hassen Khemiri
Regie Nuran David Calis
Premiere 15. Dezember 2017
Regie Charlotte Sprenger
Uraufführung 11. November 2017
08
09
Heimwärts
Endspiel
von Ibrahim Amir
von Samuel Beckett
Regie Rafael Sanchez
Premiere 12. Januar 2018
07
Regie Stefan Bachmann
Uraufführung 09. Dezember 2017
09
09
Ein neues Stück
von Import Export Kollektiv
Regie Bassam Ghazi
Premiere 10. März 2018
Wonderland Ave.
Ein neues Stück
Regie Melanie Kretschmann
Premiere 26. Januar 2018
Ein neues Stück
Regie Moritz Sostmann
Premiere 13. April 2018
von Sibylle Berg
Regie Ersan Mondtag
Uraufführung 08. Juni 2018
Wir sind die Affen
eines kalten Gottes.
Ein Abend von und mit subbotnik
zum 200. Geburtstag von Karl Marx
wiederaufnahmen
Depot 1
Arsen und Spitzenhäubchen | Regie Jan Neumann
Tod eines Handlungsreisenden | Regie Rafael Sanchez
Faust I | Regie Moritz Sostmann
Hamlet | Regie Stefan Bachmann
Cyrano de Bergerac | Regie Simon Solberg
Geschichten aus dem Wiener Wald | Regie Stefan Bachmann
Außenspielstätte am Offenbachplatz
Geächtet | Regie Stefan Bachmann
Wir wollen Plankton sein | Regie Melanie Kretschmann
Mohamed Achour erzählt Casablanca | Regie Rafael
Sanchez
Uraufführung 05. Mai 2018
Depot 2
Ansichten eines Clowns | Regie Thomas Jonigk
Faust II | Regie Moritz Sostmann
Istanbul | Regie Nuran David Calis
Glaubenskämpfer | Regie Nuran David Calis
Die Lücke | Regie Nuran David Calis
Der gute Mensch von Sezuan | Regie Moritz Sostmann
Habe die Ehre | Regie Stefan Bachmann
Umbettung | Regie Jens Albinus
Hit me Baby Vol. III | von und mit Stefko Hanushevsky
und Christopher Brandt
05
Die
ersten
Zehn
von
zwanzig
10
20
Spieler, Verlorene, begnadete Lügner, Tagträumer, Heimatlose: Die ersten zehn Premieren
gehören den Suchenden und Selbsterfindern.
Premiere
22. September 2017 | Depot 1
Peer Gynt
von Henrik Ibsen
Peer Gynts Odyssee beginnt in dunklen, norwegischen Berglandschaften. Hier wächst der Bauernsohn mit
seiner Mutter auf, verarmt, von der
Dorfgesellschaft ausgestoßen und
verlacht. Er flüchtet sich in seine Fantasie, in Tagträume und Lügenmärchen, glaubt sich zu Höherem berufen, Kaiser der Welt will er werden,
und bald schon geht seine Reise los.
Sie beginnt mit einem Hochzeitsgelage und dem Raub der Braut, führt ihn
in die Gegenwelt der Trolle, er zeugt
ein Kind, lebt als Einsiedler im Wald,
lässt Mutter, Kind und seine Lebensliebe Solveijg zurück und macht sich daran, die Welt zu erobern. Es verschlägt
ihn nach Afrika, er wird Großkapitalist
und Prophet, Playboy und Kaiser der
Irren – um schließlich, am Ende seines
Lebens, wieder heimzukehren.
Es ist das Drama des modernen Menschen, das Henrik Ibsen mit PEER GYNT
entfaltet. Um sich selbst zu finden, erfindet sich Peer Gynt immer wieder
neu. Mit Ibsens »dramatischem Gedicht« über einen Ich-­Sucher und Fantasten eröffnet Stefan Bachmann die
neue Spielzeit.
Regie Stefan Bachmann
Bühne Olaf Altmann
Kostüme Joki Tewes ∙ Jana Findeklee
Musik Sven Kaiser
Choreografie Sabina Perry
Dramaturgie Julian Pörksen
Premiere
14. Oktober 2017 | Depot 1
Deutsche Erstaufführung
Romeo
und Julia
23. September 2017 | Offenbachplatz
von William Shakespeare
Frau Schmitz
von Lukas Bärfuss
Frau Schmitz ist ein höchst wandelbares Wesen: Aus der unscheinbaren
Mitarbeiterin mit Allerweltsnamen
kann nach Belieben ein Mann werden, der knallhart die Interessen der
global agierenden Firma in Pakistan
verhandelt. Noch mehr als sie selber
interessiert alle anderen die Frage,
wer oder was sie ist: ein Mann, der
im falschen Körper geboren wurde?
Eine Frau, die sich als Mann ausgibt?
Was für flexible Firmenstrukturen von
Nutzen sein mag, sorgt bei den Menschen in ihrem Umfeld für fortgeschrittene Irritation. Wer ist Frau Schmitz?
Mit FRAU SCHMITZ hat der Schweizer Romancier, Essayist und Dramatiker Lukas Bärfuss eine Farce
über die Arbeitswelt in Zeiten des
Neoliberalismus geschrieben – über
ihr unerbittliches Streben nach Verwertbarkeit und den Umgang mit
menschlichen Ressourcen. Gleichzeitig ist das Stück eine komische wie
böse Abrechnung mit Rollenbildern,
Zuschreibungen und Vorurteilen.
Regie Rafael Sanchez
Bühne Simeon Meier
Kostüme Sara Giancane
Musik Cornelius Borgolte
Dramaturgie Sibylle Dudek
Deutsche Erstaufführung
07. Oktober 2017 | Depot 2
Occident
Express
von Stefano Massini
Haifa flüchtet gemeinsam mit ihrer
Enkelin Nassim über die Balkanroute
nach Europa. Es soll die einzige und
letzte Reise ihres Lebens sein. Sie
lässt das vom Krieg verwüstete Land
und drei Söhne im Kampf zurück.
Über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, dem Kosovo,
Ungarn, die Slowakei und Leipzig
gelangen Großmutter und Enkelin
schließlich »auf die andere Seite«.
Der Text ist das poetische Porträt einer
mutigen Frau, die vorangetrieben vom
unbändigen Wunsch nach Leben einen
fast unmöglichen Weg beschreitet.
Nach LEHMAN BROTHERS. ist
OCCIDENT EXPRESS das zweite Stück
von Stefano Massini, das am Schauspiel Köln zu sehen ist. Die deutsche
Erstaufführung inszeniert der Hausregisseur Moritz Sostmann.
Regie Moritz Sostmann
Bühne und Kostüme Klemens Kühn
Dramaturgie Stawrula Panagiotaki
Eigentlich war Romeo nur in der Hoffnung zum Maskenball des verfeindeten Capulet-­Clans gegangen, seine
Angebetete Rosalinde dort zu sehen.
Stattdessen begegnet er Julia – Nachname: Capulet –, verliebt sich haltlos,
heiratet sie heimlich, ermordet ihren
Cousin, geht in die Verbannung, kehrt
zurück in seine Heimatstadt Verona,
um sich in der Gruft der vermeintlich
toten (in Wahrheit jedoch nur betäubten) Geliebten umzubringen. Und Julia folgt ihm in die Unterwelt wie Orpheus der Euridike. »Two star-­crossed
lovers« … in unausweichlichem Schicksal oder frei und mutvoll handelnd?
Zwei jedenfalls, die inmitten einer
identitätswütenden Umgebung begreifen, dass man die Welt auch
»vom Unterschied aus erfahren kann«
(Alain Badiou). Zwei Liebende.
Die junge Regisseurin Pınar Karabulut
eröffnete zuletzt die Außenspielstätte am Offenbachplatz mit ihrer Uraufführung von Dirk Lauckes Stück
KARNICKEL. Mit dynamischen Inszenierungen, in denen sie klassische
wie zeitgenössische Stoffe aus überraschenden Blickwinkeln betrachtet
und mit großem szenischen Einfallsreichtum auf die Bühne bringt, hat
sie sich innerhalb kurzer Zeit einen
Namen in der deutschen Theaterlandschaft gemacht. Mit Shakespeares großer Liebestragödie
ROMEO UND JULIA ist erstmals eine
Arbeit Pınar Karabuluts im Depot 1
des Schauspiel Köln zu sehen.
Regie Pınar Karabulut
Bühne Bettina Pommer
Kostüme Teresa Vergho
Musik Daniel Murena
Dramaturgie Nina Rühmeier
07
Premiere
24. November 2017 | Depot 1
Kölner Premiere
10. November 2017 | Depot 1
Wilhelm Tell
von Friedrich Schiller
Freiheit, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit – darum kämpft in Wilhelm
Tell ein ganzes Arsenal von Figuren. Allen voran Tell selbst: Der lebt
zunächst weltabgewandt mit Frau und
Kindern im Herzen der Alpen. Politik
und Allgemeinwohl interessieren ihn
nicht. Als er eines Tages dem Hut des
Landvogts, der auf einer Fahnenstange mitten in Altdorf thront, die befohlene Achtung nicht erweist, ist der
persönliche Friede zu Ende. Gessler,
der Landvogt, erwischt Tell und zwingt
ihn unter Todesandrohungen zum
berühmten Apfelschuss. Tell trifft.
Zeitgleich versammeln sich politische
Vertreter aus Uri, Unterwalden und
Schwyz auf dem Rütli und gründen
eine Eidgenossenschaft. Aufbauend
auf ihre alten und wahren Werte vereinigen sie sich gegen die Ungerechtigkeit und den Machtmissbrauch der
Landvögte. Der aus seinem Paradies
vertriebene Tell hingegen geht
seinen eigenen Weg. Er rächt sich für
den Angriff auf sein familiäres Glück
und ermordet Gessler hinterrücks. Als
unpolitischer Selbsthelfer vollbringt
er so die politisch ausschlaggebende Tat und ebnet den Weg für den
Erfolg der Eidgenossen.
Regie Stefan Bachmann
Bühne Olaf Altmann
Kostüme Jana Findeklee ∙ Joki Tewes
Musik Balthasar Streiff ∙ Singoh Nketia
alias DJ Flink
Choreografie Sabina Perry
Dramaturgie Barbara Sommer
Eine Koproduktion mit dem Theater Basel
08
Uraufführung
11. November 2017 | Offenbachplatz
Alles, was ich
nicht erinnere
nach dem Roman von
Jonas Hassen Khemiri
Samuel ist tot. War es ein Unfall oder
Selbstmord? Ein namenloser Autor
untersucht seine Geschichte, rekonstruiert Stück um Stück das Leben und
die Beziehungen Samuels. In Gesprächen mit dessen großer Liebe Laide,
seinem engsten Freund Vandad, mit
Mutter, Großmutter, mit Freunden und
Nachbarn des Verstorbenen sammelt er Erinnerungen und versucht,
ein eigenes Bild zusammenzusetzen:
Samuel – ein loyaler Freund, ein geliebter Enkel, ein naiver Liebhaber, ein
Chamäleon, ein Blender? Immer mehr
scheinen die Grenzen zwischen Autor
und Protagonist zu verschwimmen,
beide verbindet die Angst, zu vergessen und vergessen zu werden.
ALLES, WAS ICH NICHT ERINNERE
erzählt von Erinnerung, Liebe, von
Wahrnehmung und von dem, was
bleibt. Der schwedische Dramatiker
und Autor Jonas Hassen Khemiri
erhielt für seinen Roman den renommiertesten Literaturpreis Schwedens,
den August-Preis. Mit einer Adaption
des Buches inszeniert die junge Regisseurin Charlotte Sprenger bereits
ihre zweite Arbeit in der Außenspielstätte am Offenbachplatz.
Regie Charlotte Sprenger
Bühne und Kostüme Aleksandra Pavlović
Musik Jonas Landerschier
Dramaturgie Julia Fischer
Eine Frau
Mary Page
Marlowe
von Tracy Letts
Was ist der Mensch? Ist er die Summe
seiner Erzählungen? »Welche elf Szenen würde Sie auswählen, wenn Sie
die Geschichte Ihres Lebens erzählen
sollten?«, fragt der amerikanische
Dramatiker Tracy Letts, als er zu seinem
ungewöhnlichen Porträt eines unauffälligen Frauenlebens interviewt wird.
Es sind nicht nur die glücklichen und
erfolgreichen Momente eines Lebens,
von denen er in seinem neuen Stück
erzählt. Es gibt auch die traurigen,
die Momente des Scheiterns und
die, in denen falsche Entscheidungen
getroffen wurden. Und da das Leben
kein Kontinuum ist, wie Letts sagt, auch
wenn es sich so anfühlen mag, zoomt
er in die unterschiedlichen Lebensphasen seiner Protagonistin Mary Page
Marlowe, verlässt dabei die Chronologie, springt hin und her, von der Midlifecrisis in die Collegezeit, von dort an
das Ende im Krankenbett, um wieder
zum Anfang des Lebens zu gelangen.
Letts, der international bekannt
wurde durch sein preisgekröntes
Drama Eine Familie (August:
Osage county), zeigt die verschiedenen Identitäten im Verlauf eines
Lebens. Er erzählt von einer Frau, die
sich fremd in der Welt fühlt, die sich
immer wieder die Frage stellt: Bin
ich die, die ich zu sein scheine? In
ihren verschiedenen Lebensphasen
versucht sie, dieses Gefühl zu ergründen, zu verdrängen oder aufzulösen.
Versuche, die mal in Therapien oder
im Drogenmissbrauch enden – ein
ganz unauffälliges Leben eben.
Regie Lilja Rupprecht
Bühne Anne Ehrlich
Kostüme Annelies Vanlaere
Musik Romain Frequency
Video Moritz Grewenig
Dramaturgie Beate Heine
einsvondrei | Die ersten zehn von 20
Premiere
15. Dezember 2017 | Depot 2
Hool
Uraufführung
09. Dezember 2017 | Offenbachplatz
Heimwärts
von Ibrahim Amir
Mehr als ein halbes Leben war Wien
für Hussein sein Zuhause. Nun aber,
wo es ums Sterben geht, hat er nur
noch einen Wunsch: zurück nach
Syrien. Dort die letzten Atemzüge
machen und begraben werden – in
seinem Heimatland. Und so macht
sich Hussein auf den Weg, begleitet
von seinem Neffen Khaled, dem Arzt
Osman und der transsexuellen
Sanitäterin Simone. Ihre »Reise«
entspricht der Route Millionen
Flüchtender – nur eben in die andere
Richtung. Bevor sie ihr Ziel erreichen, verstirbt Hussein und die drei
Übriggebliebenen stranden mit einer
Leiche im Gepäck im türkischen
Niemandsland. Das Ausstellen der
Todesurkunde sollte ein Routinevorgang sein, wäre da nicht der ehrgeizige und aufstrebende Beamte Bekir,
der in der kleinen Reisegruppe eine
Ansammlung von dubiosen Individuen sieht – erst Recht als im Land ein
Ausnahmezustand ausbricht, der aus
allen Verdächtige macht.
Zum zweiten Mal schreibt Ibrahim
Amir, der aus Syrien stammt und in
Österreich lebt, ein Stück im Auftrag
des Schauspiel Köln. Mit untrüglichem Gespür für aberwitzige Situationen und menschliche Abgründe
thematisiert er die Bedeutung von
Heimat und Zugehörigkeit.
nach dem Roman von Philipp Winkler
Bühnenfassung von Nuran David Calis
Premiere
Heiko ist Hooligan. Seine Freunde
Jojo, Ulf und Kai auch. Regelmäßig
fahren sie zu arrangierten Treffen,
um sich mit Hools aus anderen
Städten zu prügeln. Geschunden,
adrenalingestärkt und glücklich kehrt
die Truppe nach den Schlägereien
zurück nach Hause. Das ist das Umland Hannovers, wo sein AlkoholikerVater und die neue thailändische
Frau Mie wohnen und Heikos Onkel
Axel das zwielichtige Wotan Boxing
Gym betreibt. Doch die eigentliche Familie sind die Kumpels, mit
denen Heiko in der alteingesessenen Kneipe »Timpen« abhängt. Als
die Truppe eines Tages beschließt,
gemeinsam nach Braunschweig zu
fahren, um ein paar Fascho-Hools
vor einer Kneipe aufs Maul zu hauen, nimmt die unheilvolle Geschichte
ihren Lauf …
Phillip Winklers Roman, mit dem
der Autor 2016 auf der Longlist des
Deutschen Buchpreises stand, ist eine
energiegeladene und raue Comingof-Age-Geschichte, die mitreißende
Einblicke in eine sich am Rande
der Illegalität bewegende Jugend
gewährt. Nuran David Calis, der in
den vergangenen Spielzeiten am
Schauspiel Köln DIE LÜCKE, GLAUBENSKÄMPFER und zuletzt ISTANBUL
inszenierte, bringt diesen bemerkenswerten Text auf die Bühne.
Regie Nuran David Calis
Bühne Anne Ehrlich
Kostüme Amelie von Bülow
Musik Vivan Bhatti
Dramaturgie Stawrula Panagiotaki
12. Januar 2018 | Depot 2
Endspiel
von Samuel Beckett
»Es ist zu Ende, es geht zu Ende, es
geht vielleicht zu Ende« – so heißt es
gleich zu Beginn von Becketts düsterer Komödie. In einer schwindenden Welt sind sie übriggeblieben,
Hamm, der Herr, Clov, der Knecht,
sowie Hamms Eltern, die »verfluchten
Erzeuger«. Sie können nicht fort, sie
sind gefangen in gegenseitiger Abhängigkeit an einem trostlosen Ort.
Und so spielen sie das unendliche
Endspiel, sie reden an gegen die
Hoffnungslosigkeit, die überall lauert.
Es sind verzweifelte Clowns, die mit
großem Witz und voller Boshaftigkeit
gegen das Nichts ankämpfen: »Die
Zone der Indifferenz drängt von
innen nach außen« (Adorno). Die
einzige Waffe, die bleibt, ist Humor.
Das Stück, das 1956 uraufgeführt
wurde, festigte Samuel Becketts Ruf
als bedeutendster Autor des absurden Theaters. Eine bitterböse Komödie, ein existenzieller Text – in einer
Inszenierung von Rafael Sanchez,
Hausregisseur am Schauspiel Köln.
Regie Rafael Sanchez
Bühne Thomas Dreißigacker
Kostüme Maria Roers
Musik Cornelius Borgolte
Dramaturgie Julian Pörksen
Regie Stefan Bachmann
Bühne und Kostüme Jana Findeklee ∙ Joki
Tewes
09
Individuen und Nationen kämpfen um ihre Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung. Denn gerade in Zeiten von
Krisen und gesellschaftlichen Umbrüchen werden Fragen
nach dem eigenen Selbst wieder elementar. Von einem
»apokalyptischen Lebensgefühl« spricht der Kultur- und Filmkritiker Georg Seeßlen: »Alles, was uns umgibt, ist fucking Krise.
Finanzkrise, Staatskrise, Umweltkrise, EU-Krise.« »Was bin ich?«
ist in dieser Atmosphäre einer zerfallenden Lebenswirklichkeit zu einer brisanten Frage geworden. Wir fürchten die Veränderungen, so der Münchner Soziologe Stephan Lessenich.
»Wir wollen so bleiben, wie wir waren, wie wir sind, wie
wir zu sein meinen.« So versuchen wir zu bewahren, was
nicht mehr zu bewahren ist und uns erneut abzugrenzen.
Viele rufen, seitdem Flüchtlingsströme nach Europa kommen, wieder nach geschlossenen Grenzen, nach dem
Nationalstaat. Denn jetzt geht es um unseren Wohlstand,
um unsere Kultur, unsere Identität. Stephan Lessenich
weist in seinem Essay darauf hin, dass der Nationalstaat
seine Versprechungen längst nicht mehr halten kann.
10
DEUTSCHE
LEBENSLÜGEN
Text Stephan Lessenich
11
einsvondrei | Deutsche Lebenslügen
Die gesellschaftliche Identität der Bundesrepublik wurde, in
ihrer Bonner wie Berliner Gestalt, wesentlich von drei Überzeugungen geprägt. Zum einen war dies die Vorstellung, dass
»unser Wohlstand« aus unserer eigenen Hände harter Arbeit
resultiere: aus der wirtschaftlichen Produktivität, der unternehmerischen Innovationskraft und dem ordnungspolitischen Gestaltungssinn der »Sozialen Marktwirtschaft«. Zum anderen war
es die – im postfaschistischen Deutschland allerdings nur langsam gewachsene – Deutung, dass »unsere Demokratie« eine
institutionelle Errungenschaft sei, die als Orientierungsmodell
und Wertmaßstab auch für andere, politisch weniger zivilisierte
Gesellschaften dienen könne und solle. Schließlich kam man
nach den Vernichtungsexzessen in Zeiten des Nationalsozialismus hierzulande überein, die Parole »nie wieder Krieg« und
die normative Ächtung von Gewalt als den Gründungskonsens
der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu bezeichnen.
»Unser Wohlstand«, »unsere Demokratie«, »nie wieder Krieg«:
Was gut klingt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als eine
äußerst trügerische Erzählung. Als ein gesellschaftliches Wohlfühlnarrativ, das die strukturellen und funktionalen Voraussetzungen des Aufstiegs und der Stabilität nationaler Wohlstandsfriedensdemokratien, allen voran der deutschen, effektiv zu
unterschlagen weiß. Denn das ist das peinliche Geheimnis des
als so erfolgreich und erhaltenswert gefeierten »westlichen«
Gesellschafts- und Entwicklungsmodells: Es funktionierte und
funktioniert bis heute nur unter ganz bestimmten politischen
und ökonomischen, ökologischen und sozialen Voraussetzungen. »Unser« Wohlstand, »unsere« Demokratie und »unser«
Frieden beruhen auf Armut, Entrechtung und Gewalt – hierzulande, vor allen Dingen aber andernorts.
»Unser« Wohlstand, das so erfolgreiche Wertschöpfungsund Umverteilungsmodell der Bundesrepublik Deutschland,
beruht maßgeblich auf der Ausbeutung von Arbeit und
Natur jenseits der deutschen Staatsgrenzen sowie auf der
Auslagerung von ökologischen und sozialen Kosten in Naturund Sozialräume in unserer »Außenwelt«. Die hierzulande
herrschenden Produktions- und Konsumweisen, Arbeits- und
Lebensbedingungen sind nur denkbar und aufrechtzuerhalten, weil Bevölkerungsmehrheiten in den weniger
privilegierten Gesellschaften, in den Armutsregionen und
»Schwellenländern« des globalen Kapitalismus, unter für uns
unvorstellbaren oder jedenfalls als unzumutbar geltenden Bedingungen arbeiten und leben. Die wohlstandskapitalistische
Welt externalisiert die Kosten ihres politisch-ökonomischen
Entwicklungsmodells – und setzt darauf, dass der Preis dieser
Externalisierung von anderen bezahlt wird.
Sicher: »Unser« Wohlstand ist äußerst ungleich verteilt, gerade in Deutschland hat die Ungleichheit der Lebenschancen
zuletzt stark zugenommen. Doch die gesamte Ungleichheitsstruktur der Bundesrepublik platziert sich an der Spitze
12
des Weltreichtums. Im globalen Maßstab und als sozialer
Gesamtzusammenhang betrachtet, reproduziert sich diese
Gesellschaft auf einem stofflichen Verbrauchsniveau, das
nicht nur nicht »nachhaltig« ist, sondern als geradezu irrwitzig
gelten muss. Auch die Unterdrückten und Unterprivilegierten
in diesem Land sind in einen Produktions- und Reproduktionszusammenhang gestellt, der immer schon auf der Ausbeutung fremder Ressourcen und auf der Kostenauslagerung auf
Dritte beruht. Ein Arrangement, das den Bürger*innen der
reichen Gesellschaften nicht unmittelbar verfügbar ist, das
sie individuell kaum beeinflussen können. Von dem sie aber,
ob sie dies nun wahrhaben wollen oder nicht, in ihrer großen
Mehrheit doch recht gut leben.
» ›Unser‹ Wohlstand, ›unsere‹ Demokratie und ›unser‹ Frieden beruhen
auf Armut, Entrechtung und Gewalt.«
Das wiederum hat wesentlich mit dem Charakter »unserer«
Demokratie als Wachstumsdemokratie zu tun. In Deutschland
mehr noch als in anderen westlichen Industriegesellschaften ist
die Zustimmung zu demokratischen Normen und Institutionen
ein Effekt der wirtschaftlichen Prosperitätskonstellation der
langen Nachkriegszeit. Das »Wirtschaftswunder« des westdeutschen Wiederaufbaus nach 1945, der damit ermöglichte »Fahrstuhleffekt« eines stetigen Wohlstandszuwachses, schließlich
der über wachstumspolitische Positiv-Summen-Spiele ermöglichte »soziale Frieden« zwischen Kapital und Arbeit: All diese
gesellschaftlichen Erfahrungen stehen hinter der vielgerühmten
und -beschworenen Stabilität einer demokratischen Ordnung,
die bis heute in ihren Zustimmungswerten vom fortgesetzten
wirtschaftlichen »Fortschritt« abhängt. Nicht auszudenken, wie
es um die Demokratie in Deutschland bestellt wäre, wenn sie
mit ökonomischen Krisenerscheinungen konfrontiert wäre, wie
sie beispielsweise die griechische Gesellschaft seit nun bald
einem Jahrzehnt zu spüren bekommt.
Mit dem Verweis auf die wirtschaftliche Wachstumsdynamik
ist der Stabilisierungsmechanismus reicher Demokratien
allerdings noch nicht vollständig erfasst – und vor allen
Dingen nicht deren Vollkostenrechnung. Denn das historisch
nie dagewesene Maß an wirtschaftlicher Wertschöpfung
in den westlichen Industrienationen, auf dessen Grundlage
deren Demokratisierung einschließlich der sozialen Berechtigung breiter Bevölkerungsschichten überhaupt erst materiell
möglich wurde, hing eng mit dem spezifischen Energieregime
zusammen, das in diesen Ländern von machtvollen Interessen durchgesetzt wurde. Ein Energieregime mit verheerenden ökologischen Auswirkungen, die sich zunächst in den
Industrieregionen Europas und Nordamerikas selbst zeigten,
von dort aber Zug um Zug in entfernte Weltgegenden ausgelagert werden konnten, wo die reichen Länder sowohl die
Förderung fossiler Brennstoffe wie die Inanspruchnahme von
Kohlenstoffsenken betrieben. Der »fossilistische« Kapitalismus,
wie er im Westen geboren und gepflegt wurde, benutzte
zunehmend die außerwestliche Welt zur Befeuerung seiner
Wachstumsmaschinerie, zur Befriedigung seines Ressourcenhungers und zur Ablagerung seiner Emissionen.
Daheim aber erwuchs aus dem erdölgeschmierten Industriekapitalismus die politische Parallelwelt der »Kohlenstoffdemokratie«. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg war hier
eine Gesellschaft entstanden, die in fast jeder Hinsicht am
Tropf der Bohrtürme, Pipelines und Öltanker hing: in ihrem
Wohlstand, in ihren Alltagspraktiken – und eben auch in ihrem System sozialer Teilhabe und Partizipation. Die basalen,
in jedem Sinne berechtigten Interessen der Arbeitsplatz- und
Lohnabhängigen der westlichen Welt an einem besseren
und vielleicht sogar guten Leben, an politischer Beteiligung
und gesellschaftlicher Mitsprache, an sozialem Aufstieg
und persönlicher Würde hingen gänzlich an einem System
wirtschaftlicher Produktion und materieller Reproduktion, das
seinerseits auf das Engste an massive Ressourcenausbeutung
und extremen Energieverbrauch gekoppelt war.
»Friede den Palästen, Krieg
den Hütten – das ist das zwischengesellschaftliche Lebensmotto des
globalen Kapitalismus.«
Blickt man auf die Gesellschaftsgeschichte namentlich der Bundesrepublik zurück, so lässt sich mit Fug und Recht sagen, dass
wir »unseren Frieden« gemacht haben mit diesen Verhältnissen:
mit Industriekapitalismus und Kohlenstoffdemokratie, mit dem
Reichtum der einen und der Armut der anderen. »Unser« Wohlstand ist uns lieb und teuer geworden. »Unsere« Demokratie
hat den sozialen Frieden gesichert, indem das stetig steigende
wirtschaftliche Wertprodukt durch sozialpolitische Intervention
zumindest ansatzweise gesellschaftlich umverteilt worden ist. Die
Kosten unseres gesamtgesellschaftlichen Wachstums- und Fortschritts-, Verteilungs- und Teilhabemodells aber wurden effektiv
ausgelagert. Und auch »unser« Frieden beruht darauf, dass der
Krieg anderswo stattfindet, mehr oder weniger weit weg von
den heimischen Gefilden: als »Drogenkrieg« in Mexiko und auf
den Philippinen, als »ethnisch-religiöser Konflikt« in Nigeria oder
Pakistan, als »Bürgerkrieg« in Syrien und Libyen.
Die reichen Gesellschaften des Westens sind befriedete
Gesellschaften, die den Klassenkonflikt in Form von Tarifverhandlungen und Streikrecht institutionalisiert und die physische Gewalt bei rechtsstaatlichen Instanzen monopolisiert
haben und damit aus dem sozialen Alltag ihrer Bürger*innen
verbannen konnten. Von derartigen Verhältnissen kann die
Mehrheit der Weltbevölkerung wiederum nur träumen – und
dies nicht zuletzt, weil der aus unserem Leben verschwundene Unfriede in die ärmeren Gesellschaften exportiert worden
ist. Ressourcenkonflikte und Klassenkämpfe, Bandenkriege
und Staatsterrorismus in weiten Teilen der »unterentwickelten«
Welt sind keineswegs bloß hausgemachte Phänomene. Vielmehr stehen sie in der Regel in mittelbarem oder unmittelbarem Zusammenhang mit den ökonomischen »Wettbewerbsstrategien« und politischen »Steuerungsmodellen«, wie sie
in der Welt des »hochentwickelten« Wohlstandskapitalismus
gang und gäbe sind. Friede den Palästen, Krieg den Hütten
– das ist das zwischengesellschaftliche Lebensmotto des globalen Kapitalismus, das sich in den abhängigen Ökonomien
des globalen Südens auf ebenso unverblümte wie mitleidslose Weise innergesellschaftlich wiederholt.
Doch jetzt, so will es scheinen, kehrt sie langsam wieder dahin zurück, von wo sie ausgegangen ist und ausgeht, die Gewaltsamkeit gesellschaftlicher Verhältnisse: in die wohlhabenden und wohlgeordneten Zentren des globalen Kapitalismus.
Und sie kehrt zurück nicht nur in Gestalt der Kriegsflüchtlinge
und »Wirtschaftsmigranten«, die nach existenziellem Schutz
ihres Lebens oder auch »nur« ihr persönliches Glück in den
reichen Gesellschaften suchen. Sie kehrt zurück als Gewalt in
der Auseinandersetzung der politisch Verantwortlichen und
breiter Bevölkerungsschichten in eben diesen Gesellschaften mit dem »sozialen Problem« der Kriegsflucht und Wirtschaftsmigration. Sie kehrt zurück in Form von militärischer
Abschottung des europäischen Sozialraums und polizeilicher
Kontrolle illegalisierter Zuwanderung, in politischen Strategien des Ausschlusses von Rechtsansprüchen und in Praktiken
des latenten oder aggressiven, institutionellen und alltäglichen Rassismus. Und Letzteres keineswegs nur in »extrem«
eingestellten, ökonomisch »abgehängten« Randsegmenten
der Wohlstandsgesellschaft. Sondern teilweise bis weit in
jene gesellschaftliche »Mitte« hinein, der in parteipolitischer
Einmütigkeit als Produktivitätskern und Stabilitätsgarantin des
demokratisch-kapitalistischen Gemeinwesens gehuldigt wird.
In eben diesen Reaktionen aus der Mitte der Gesellschaft
werden deren Lebenslügen überdeutlich erkennbar. »Unser
Wohlstand« gefährdet, »unsere Demokratie« missbraucht, »unser Frieden« gestört: Wer solche Erschütterungen der Identität
erleben muss, der kann schon mal aus der Haut fahren.
Dieses Essay ist ein Originalbeitrag für das Magazin des Schauspiel Köln.
13
Yvon Jansen
Nikolaus Benda
Mohamed Achour
Robert Dölle
Lou Zöllkau
Melanie Kretschmann
Foto Gert Postel (Privatarchiv)
erfinde dich
selbst !
Peer Gynt sucht sich selbst und erfindet sich dabei immer wieder
neu: Der Bauernsohn aus ärmlichen Verhältnissen wird Brauträuber und Trollprinz, Einsiedler und Sklavenhändler, Geschäftsmann,
Prophet und Kaiser der Irren. Er ist ein Verwandlungskünstler, Tagträumer und begnadeter Lügner. Anlässlich von Stefan Bachmanns
PEER GYNT-Inszenierung haben wir mit zwei von Deutschlands
berühmtesten Hochstaplern gesprochen – mit dem Kunstfälscher
Wolfgang Beltracchi und dem falschen Psychiater Gert Postel.
einsvondrei |Erfinde dich selbst!
Er führte alle hinters Licht: Gert Postel,
Hauptschulabschluss, Ausbildung zum
Postboten, arbeitete mit gefälschten
Unterlagen als stellvertretender Amtsarzt
Dr. Dr. Clemens Bartholdy in Flensburg
und später als psychiatrischer Oberarzt
im sächsischen Zschadraß. Er hielt Vorträge, erstellte Gutachten und galt als
erfolgreicher Psychiater – bis er aufflog
und 1999 vom Landgericht Leipzig verurteilt wurde.
Interview Julian Pörksen
Herr Postel, was war Ihr Antrieb, dieses Spiel mit falschen Identitäten zu beginnen – war es die Lust an der
Täuschung? Das Abenteuer?
Das Schlüsselerlebnis ist der Suizid meiner Mutter, der
für mich aus heiterem Himmel kam. Sie war Opfer einer
Falschbehandlung. Sie hatte eine Depression und ihr wurden
zwar antriebssteigernde, aber keine depressionslösenden
Mittel verschrieben, mit der Folge, dass sie das Destruktive
der Depression im Suizid ausagiert hat. Ich glaube, dass ich
mich aus diesem Grund öffentlich über die Psychiatrie lustig
machen wollte. Das ist mir auch gelungen. Ich habe der
Psychiatrie einen Schlag versetzt, von dem sie sich bis heute
nicht erholt hat. Die Kernfrage, die niemand stellte, lautete
doch: Wie ist das möglich gewesen? Da kommt einer von der
Straße, Hauptschulabschluss, gelernter Postbote, mittelbegabt, höchstens, und wird Leitender Oberarzt, soll Professor
werden, wird nur gelobt, überall. Das ist für mich der eigentliche Skandal: Dass ein Chefarzt der Psychiatrie und viele,
teilweise habilitierte Oberärzte nicht in der Lage waren,
einen Postboten von einem Oberarzt zu unterscheiden.
Und: Wie war es möglich?
Die Psychiatrie ist in der Nähe der Astrologie beheimatet,
es ist keine Wissenschaft, sondern Scharlatanerie. Darum
habe ich immer gesagt, ich war ein Hochstapler unter
Hochstaplern.
Und wie haben Sie sich auf den Beruf Oberarzt vorbereitet?
Sie müssen sich ja mit dem Milieu, der Terminologie usw.
auseinandergesetzt haben.
Nein, nein, nein.
Keine Vorbereitung?
Keine Vorbereitung.
Aber Sie hatten ja gefälschte Zeugnisse und dergleichen,
nicht wahr?
Ja, aber das waren Formalien, das war in zehn Minuten erledigt. Das ist das Uninteressanteste an der ganzen Angelegenheit. Ich habe mich beworben und hatte 40 Mitbewerber. Acht
waren in der engeren Auswahl. Und diese acht mussten vor
einer Berufungskommission einen Vortrag halten. Vorsitzender
der Kommission war ein Professor der Psychiatrie, Lehrstuhlinhaber in Münster. Ich habe über die »Pseudologia phantastica«
gesprochen, die Lügensucht im Dienste der Ich-Erhöhung am
literarischen Beispiel der Figur des Felix Krull. Das fanden alle
großartig und der Kommissionsvorsitzende fragte mich dann,
worüber ich promoviert hätte. Meine Antwort: Über kognitiv induzierte Verzerrungen in der stereotypen Urteilsbildung. Das ist
eine Aneinanderreihung leerer Begriffe. Daraufhin hat dieser
Professor der Psychiatrie gesagt: »Ach, das ist ja interessant,
Sie werden sich bestimmt wohlfühlen bei uns in der Klinik.«
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Sie haben also bei Ihrem Vortrag beschrieben, was Sie
im Moment des Vortragens gemacht haben – ein Hochstapler, der sich als Psychiater ausgibt, spricht über die
Psychopathologie des Hochstaplers und überzeugt damit
ein Fachgremium, dass er ein geeigneter Oberarzt ist.
Ja. Und dann bin ich diese ganze Oberarztzeit nur auf
Händen getragen worden, nicht ein Wort der Kritik, nur Lob
in höchster Vollendung. Mein Chef hat im Zeugnis geschrieben: Herr Oberarzt Dr. Postel übertrifft die Erwartungen.
Und der Minister hat mich in eine Chefarztstelle gedrängt,
die ich aber abgelehnt habe.
Aber es ist ja doch eine Leistung, jeden Tag den Arzt zu
spielen, oder nicht?
Ich habe nicht gespielt.
Nein?
Nein. Wenn Sie spielen, dann sind Sie der Affe, der mit
einem Stethoskop einen Patienten untersucht. Das erkennt
jeder, dass der Affe nicht Arzt ist.
»Ich glaube, es gibt kein Ich.«
Sie waren also Arzt?
Ja. Mir war schon bewusst, dass ich formal nicht Arzt bin.
Ich wusste allerdings nicht weniger über Psychiatrie als
diese Ärzte, wahrscheinlich mehr. Die Regeln beherrschen,
ohne sie zu kennen, das ist der Schlüssel. Eine extreme, fast
pathologisch entwickelte Intuition.
Menschen lesen, Situationen lesen, das bedeutet ja
doch, dass man sich einen Habitus aneignet …
Zuerst war ich etwas unsicher, aber das passte zu meiner
Rolle als junger, dynamischer Oberarzt. Und wenn man das
zwei Jahre lang macht, dann wird man dazu. Wenn Sie lange etwas heucheln, sind Sie es irgendwann, hat Nietzsche
gesagt. Und das stimmt.
Damit kommen wir zu Peer Gynt, der im Lauf seiner Reise
immer wieder neue Rollen annimmt, sich immer wieder
neu findet und erfindet. Seine Odyssee ist eine große
Selbstsuche, eine Suche nach dem Ich.
Ich glaube, es gibt kein Ich.
Es gibt kein Ich?
Je tiefer Sie in diese Frage einsteigen, desto weniger werden Sie dieses Ich antreffen. Ich glaube, es gibt nichts, was
aus sich selbst heraus existiert.
Man ist nur das, was man in der jeweiligen Situation ist?
Man ist eigentlich alles. Man ist der Ertrinkende im Mittelmeer,
der Chefarzt, die Prostituierte – aber das führt jetzt sehr weit.
Bitte, damit umkreisen wir das Kernthema des Stückes ...
Wir denken im Westen in Dualitäten. Ich glaube, es gibt
noch andere Denkweisen. Die buddhistische, zenbuddhistische Denkweise ist eine völlig andere: Ich bin nicht dies
oder das, sondern ich bin sowohl dies als auch das.
Sie haben Schopenhauer gelesen, im Gefängnis.
Nicht gelesen, durchstudiert, unter Tränen und Freuden.
Schopenhauer hat mir die Augen geöffnet. Das war wie
eine Star-Operation für einen Blinden. Heutzutage Geheimwissen. Kann ich einer dummen Menschheit nur empfehlen.
Wie haben Sie diese Zeit sonst erlebt?
Es war eine großartige Zeit für mich, weil ich verstanden habe,
dass die eigentliche Welt des Menschen seine innere Welt ist.
Wie es da zugeht, ist für ihn entscheidend. Depressionen kann
ich auch in einer Villa am Genfer See haben, glücklich sein
kann ich auch in einer Plattenbausiedlung in Neubrandenburg.
Im Bereich der Psychiatrie haben Sie verbrannte Erde
hinterlassen …
Diese Leute haben in den Spiegel geschaut und sahen
hässlich aus. Und dann haben sie auf den Spiegel eingeschlagen, statt zu lernen.
Das ist natürlich das Narrenschicksal, würde ich sagen,
als Theatermensch.
Ich beklage mich auch nicht. Aber es ist schon schwierig,
wissen Sie. Sie werden nur gelobt und hofiert, und plötzlich
werden Sie strafjustiziell gehetzt. Das ist nicht einfach. Und
Sie wissen genau, viele Dummköpfe, die sind da immer
noch ... Na ja, sehr komplex.
Was denken Sie, wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken?
Dass ich schon ein bisschen stolz darauf bin, dass ich Menschen davor habe warnen können, sich unkritisch einem malignen Gewerbe wie der Psychiatrie anzuvertrauen. Unterm
Strich habe ich nur gewonnen. Ich habe natürlich auch Leid
erlebt, schlechte Dinge, klar. Aber unterm Strich habe ich nur
gewonnen. Ich habe unglaublich viel gelernt. Ich wäre heute
nicht der, der ich bin, wenn ich das nicht gemacht hätte. Falls Sie mehr über Gert Postel erfahren möchten, folgen
Sie ihm auf Twitter: @PostelGert
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einsvondrei |Erfinde dich selbst!
Die gesamte Kunstwelt ist ihm auf den Leim gegangen: dem Meisterfälscher Wolfgang
Beltracchi. Jahrzehntelang schuf und verkaufte er Werke von Malern wie Max Ernst,
Heinrich Campendonk, Fernand Léger oder André Derain. 2011 wurde er verhaftet und
wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt.
Interview Julian Pörksen
Herr Beltracchi, Sie sprechen im Zusammenhang mit Ihrer
Methode vom »Free Method Painting«, angelehnt an Lee
Strasbergs Schauspieltechnik des »Method Acting«. Was
kann man sich darunter vorstellen?
Diese Form der Malerei entwickle ich aus meinem künstlerischen Vermögen, dem Studium des Werks, der Persönlichkeit und der Rezeption des Malers, in dessen Handschrift
ich meine Aussage treffen möchte. Sich in das Werk zu
vertiefen und ein neues Gemälde in seiner Handschrift zu
malen kann nur gelingen, weil meine eigene künstlerische
Erfahrung mich durch das intensive Studium zu ihm führt. Es
entsteht während dieser Phase des ständigen Inputs eine
Verbindung, man kann es eine »unio mystica« nennen, und
daraus entsteht wiederum ein Gemälde.
Wie kann man sich diese Arbeit vorstellen, das SichHinein-Versetzen in einen Maler? Wie sieht die Vorbereitung aus? Wie wird man zu – beispielsweise – Max Ernst?
Zur Vorbereitung dient mir neben dem analytischen Vergleich kunsthistorischer Betrachtungen auch das Studium
von Texten aus der historischen Zeit, dem kulturellen und
politischen Umfeld. Veröffentlichungen von Personen aus
dem Umfeld sind ebenso wichtige Informationsgeber über
seine Persönlichkeit wie Aussagen des Malers selbst. Es
geht neben der Erforschung des Werks um den Menschen.
Bei Max Ernst ist es leichter als bei einem Maler aus
früherer Epoche. Ernst kam aus dem Rheinland, sein Milieu
und seine Zeit ist mir so vertraut wie es auch das Leben in
Frankreich ist. Es gibt viele Foto- und Filmzeugnisse. Max
Ernst sah übrigens meinem Vater sehr ähnlich.
Ein Gemälde ist wie die Handschrift eines Menschen von
vielen Einflüssen geprägt, es hat aber mehr Dimensionen. Es
ist viel komplizierter, in der künstlerischen Handschrift eines
Malers zu malen, weil der Duktus von der Bewegung und der
Zeit bestimmt wird, in der ein Bild geschaffen wurde.
Sind Sie ein Schauspieler in der Malerei, ein Darstellungskünstler?
Ich spiele nicht den Maler, ich bin Maler. Mit meinen unbewussten wie bewussten Erfahrungen suche ich über die
Erforschung des Werks und des Lebens eines Malers den
Zugang zur emotionalen Ebene, die ich benötige, um in
seiner künstlerischen Handschrift zu malen.
22
Lange waren nicht Sie berühmt, sondern Ihre Bilder, die
in aller Welt in den Museen hingen – hatten Sie nie das
Bedürfnis, im klassischen Sinne als Künstler in Erscheinung zu treten?
Ich bin mein ganzes Leben »in Erscheinung getreten«, dazu
benötigte ich das Vehikel des Ruhms nicht. Heute nutze ich
diese Transporthilfe, weil mein Behältnis Leben bereits sehr
angefüllt ist und das Durchstarten beschwerlicher wird. Mit
dieser Last ist man mehr Albatros als Phönix. Im Übrigen
bin ich eher berüchtigt als berühmt, laut Daniel Kehlmann
ist das die ultimativste Form des Ruhms.
»Das eigene Leben ist das größte
Kunstwerk, das wir kreieren können.«
Wir eröffnen diese Spielzeit mit einer Inszenierung von
Henrik Ibsens PEER GYNT, ein Stück, dessen Hauptfigur
ein großer Erfinder ist, von Geschichten, von Wirklichkeiten. Betrachtet man es negativ, so ist er ein Lügner,
positiv gesprochen ist er ein Dichter seines Daseins. Ein
Mensch, der verschiedene Masken anlegt, ein Suchender
– waren Ihre Fälschungen auch solch eine Suchbewegung, ein Maskenspiel?
Nein. Ich ziehe es vor, aus dem gesamten Reichtum unserer
Kultur zu schöpfen. Mir stehen die zahllosen Welten unserer großen europäischen Künstler zur Verfügung. Hätte ich
versucht, mit meiner Kunst unter meinem eigenen Namen
Anerkennung zu finden, hätte kein Experte mir diese
zugestanden. Nur durch mein klandestines Handeln wurde
meine Kunst von der Kunstwelt geadelt. Ich weigere mich,
in einem wiedererkennbaren Stil zu malen, meine Gemälde
auf den Kopf zu stellen, stringente Konzepte zu entwickeln,
meine künstlerischen Möglichkeiten zu limitieren, mich einer
Strömung anzupassen, mir meine künstlerische Freiheit nehmen zu lassen, mein Herzblut in ein Gemälde zu vergießen,
eine Aura zu produzieren, geheimnisvoll suggestiv zu sein,
archaisch monumental aufzutreten, evolutionär zu spielen,
Kunst zu diktieren, Theorien nicht darzustellen, nicht aus der
gesamten Welt der bildenden Kunst schöpfen zu dürfen,
einem nicht vorhandenen Mythos zu huldigen, Kunst einer
höheren Moral zuzuordnen, Künstlern etwas Göttliches
abzugewinnen, mir Kunst diktieren zu lassen, Kunst als
Glaubensbekenntnis zu zelebrieren, Verständnis für das
Herrschaftswissen von Kunsttheoretikern aufzubringen,
Kunst mit unzulänglichen Deutungen zu entfremden, auf
die Einflüsterungen der Sachverständigen zu hören, dem
Dogma der Undefinierbarkeit der Kunst zu folgen, meine
Vielhaftigkeit aufzugeben ...
Verlust der Freiheit? Vermutlich das Schlimmste, was man
einem Menschen wie mir antun könnte. Aber Freiheit ist in
uns, sie ist eine innere Kraft, die wir besitzen. Wie soll man
diesen inneren Wert verlieren?
Verlust von Vermögen? = Dinge = kein Verlust = keine Reue.
Selbstverständlich bereue ich = mea culpa, mea maxima culpa!
Was ist im Leben unverzichtbar, was unverzeihbar?
Unverzichtbar: Respektvoll mit den Menschen umzugehen,
die man liebt. Unverzeihbar: Respektloser Umgang mit
Menschen, die man liebt, Selbstverleugnung, Selbstbetrug.
Ist das Leben ein Spiel?
Das eigene Leben ist das größte Kunstwerk, das wir kreieren können. Wer es als Spiel versteht, hat die Einmaligkeit nicht begriffen.
Peer Gynt, der ein wildes, facettenreiches Leben hat,
Reichtum, Macht, Anbetung erfährt, kehrt am Schluss
verarmt in seine Heimat zurück. Und dann stellt er sich
die berühmte Frage, was das Ich sei und sagt: eine
Zwiebel. Zahlreiche Schichten, doch kein Kern. Was ist
das Ich, Herr Beltracchi?
Der arme Gynt hat sich in seinen Mythen verloren. Wenn
er sich als Zwiebel ohne Kern versteht, hat er nie den
Nährboden gefunden, der aus der Zwiebel einen Spross
treiben lässt und der dann wiederum zu einer wunderschönen Blüte wird.
Wenn wir beim Beispiel Zwiebel bleiben wollen, dann
bin ich im Nährboden Kunst ein ganzes Feld solcher
Tochterzwiebeln. Wie ein Feld junger Tulpen, die sich von
Jahr zu Jahr ausbreiten, um vom Tod des kargen Winters
und dem Erwachen der Frühlingskraft zu zeugen.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren Tulpenzwiebeln wertvolle Liebhaberobjekte. Mit ähnlichen
Strukturen wie der heutige Markt für zeitgenössische
Kunst wurden sie zu Investitionsgütern. Es kam zur Tulpenmanie, die als erste relativ gut dokumentierte Spekulationsblase endete und in die Geschichte einging.
Auch Sie haben viel gelebt und genossen und auch
Sie haben viel verloren – Ihre Freiheit, Ihr Vermögen.
Bereuen Sie, was Sie getan haben?
Welchen Teil meines Lebens soll ich bereuen? Gelebt zu
haben? Kann man nicht bereuen. Das Leben genossen
zu haben? Ein Narr, der das bereut. Viel verloren zu haben? Dinge sind eben nur Dinge und somit verzichtbar.
Meine Liebe habe ich nicht verloren, auch die Liebe
meiner Frau und meiner Kinder nicht. Was habe ich
also Großartiges verloren?
Foto Alex Mirsch
Was heißt es, man selbst zu sein?
Weil ich »viele bin«, habe ich die Kraft zu teilen, mitzuteilen. Das ICH ist die innere Kraft, die uns antreibt und zum
Sprühen bringt. ICH macht es möglich, zu kreieren und
zu geben – bis zur Verschwendung und bis zum letzten
Atemzug. ICH überdauert mich, und da bin ich SELBST.
Bruno Cathomas
Sophia Burtscher
Niklas Kohrt
Peter Miklusz
Justus Maier
Simon Kirsch
OFFENB
Mit FRAU SCHMITZ wird erstmals ein
Stück des Schweizer Autors Lukas
Bärfuss am Schauspiel Köln zu sehen
sein. Das Schauspiel spitzt die Frage
nach der Geschlechtsidentität und die
damit verbundenen Zuschreibungen
und Rollenbilder bis ins Groteske zu. In
seinem Essay beschreibt Lukas Bärfuss
seine Beziehung zum Theater und den
Zauber der Verwandlung.
Ein Essay von Lukas Bärfuss
Woher meine Liebe zum Theater kommt, weiß ich nicht, und
um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, ob es überhaupt
Liebe ist. Mein Verhältnis gleicht einer Gewohnheit, einer Lebensroutine, einer gewissen Art und Weise, etwas über das
Leben zu erfahren. Es sind selten grundsätzlich neue Erkenntnisse, die ich bei der Arbeit am Theater gewinne. Ich lerne,
was ich einmal wusste, aber irgendwann wieder vergessen
habe: Dass es im Theater und im Leben keine Abkürzungen
gibt. Dass Theater zwar mit erfundenen Elementen arbeitet,
aber selbst keine Fiktion ist. Dass vollkommene Stille im Theater ein Geschenk ist und niemals planbar. Oder die immer
wieder erschreckende Tatsache, dass im Theater alles zum
Zeichen wird und niemand diese Zeichen beherrschen kann.
Und auch die schwierigste Lektion, wenigstens für einen
Schriftsteller: Man kann im Theater nicht blättern. Nicht nach
vorne, nicht nach hinten. Das Verpasste kommt nicht wieder.
Durch die Ödnis des Augenblicks führt nur die Zeit.
Das alles würde kaum genügen, um mich bei dieser Kunst
zu halten, gäbe es nicht dieses Geheimnis, das, so fällt
mir jetzt auf, etwas zu tun haben muss mit dem erwähnten
Wiedererlernen des einst Bekannten. Jorge Luis Borges hat
in seinem Essay über Shih Huang Ti und die chinesische
Mauer geschrieben:
»Die Musik, die Zustände des Glücks, die Mythologie, die
von der Zeit gewirkten Gesichter, gewisse Dämmerungen
und gewisse Orte wollen uns etwas sagen oder haben uns
etwas gesagt, was wir nicht hätten verlieren dürfen, oder
schicken sich an, uns etwas zu sagen; dieses Bevorstehen
einer Offenbarung, zu der es nicht kommt, ist vielleicht der
ästhetische Vorgang.«
»Gewisse Dämmerungen, gewisse Orte«. Ich stamme aus
einer Kleinstadt am Fuß der Alpen, einer Garnison, wo die Rüstungsindustrie und die Soldaten den Ton angaben und Kultur
kaum eine Rolle spielte. Zwei-, dreimal im Jahr verirrte sich ein
deutsches Tourneetheater in unseren Ort und zeigte Minna von
Barnhelm oder Das Käthchen von Heilbronn. Jede Schulklasse
der Umgebung wurde in die Vorstellung gezerrt, was manch
einem den letzten Rest Theaterliebe ausgetrieben haben mag.
28
BARUNG
Ich hatte Glück. Die Schule, die ich besuchte, war lausig und
wir Schüler waren renitent. Unsereins schickte man nicht ins
Theater. Uns schickte man in die Bergdörfer, wo wir den Bauern die Steine von den Weiden zu tragen hatten. Statt unsere
Sitten durch Kunstgenuss zu verfeinern, steckte man uns in die
Schule der körperlichen Ertüchtigung. Ich erlebte ein anderes
Theater, jenes, das vom Kunsttheater immer bekämpft wurde,
jedenfalls in meinem Land, das Bauern- oder Volkstheater, von
Laien gespielt, in der schweizerischen Mundart, auf den Bühnen der Gasthofsäle mehr getanzt und geschrien als gesprochen oder deklamiert, im Stumpenrauch, zwischen dem Geklirr
der Gläser und der Teller, nach den Gesängen der Jodlerchöre und vor der Tombola, bei der es Schinken im Brotteig und
Brezeleisen zu gewinnen gab. Die Stücke waren plumpe Verwechslungskomödien, grob gezimmerte Schwänke, die ihren
hauptsächlichen Reiz aus der Tatsache bezogen, dass sich
vernünftige Menschen auf der Bühne zum Hanswurst machten.
Mein Großvater, ein Sattlermeister, verwandelte sich in den
Giiztüfel, den Geizteufel; mein Onkel, ein braver Ehemann, in
einen ungeschickten Liebhaber, der überdies das französische
Wort »Cortaillod« nicht richtig aussprechen konnte, worüber
sich meine Mutter während der ganzen Probenzeit und lange
Jahre danach ärgerte, bis sie schließlich doch noch darüber
lachen konnte. Sie war als junges Mädchen als »jeune fille«
bei einer vornehmen Familie in Vevey gewesen und hielt sehr
viel auf die korrekte Aussprache.
nur in Strumpfhose und Unterhemd, aber schon frisiert und
geschminkt. Das Parfüm, Shalimar von Guerlain, vermischte
sich mit dem ordinären Geruch der Teddy-Bügelstärke. Eine
Verwandlung, ja, aber ich wurde niemals Zeuge ihrer vollständigen Metamorphose. Denn erst wenn Mutter hinter dem
Tresen jener mondänen Bar in der Innenstadt stand, wo sich
die Halbwelt mit den Honoratioren vermischte, die Windeier Seite an Seite mit den Ehrbaren tranken; erst zwischen
den Gin-Fizz und den Manhattans, zwischen den steifen
Käppis der höheren Offiziere und den fettigen Krawatten
der konkursiten Kleingewerbler, erst dort war die Hausfrau
restlos in dieses Wesen verwandelt, von dem ich nur ein
unvollständiges Abbild zu Gesicht bekam. Wenn sie mir beim
Abschied einen Kuss gab, war hinter dem Kostüm und der
Maske immer noch etwas von meiner Mutter erkennbar, jene
Person, die das Essen kochte, die Wäsche machte und die
Hausaufgaben kontrollierte. Etwas von dieser gewöhnlichen
Frau blieb sichtbar, wenigstens für mich, und ich hätte die
Welt darum gegeben, einmal die Königin in ihrem Reich zu
sehen, um diese Zaubergestalt im Mittelpunkt der Nacht vollständig und vollendet zu erleben, und vielleicht ist es »dieses
Bevorstehen einer Offenbarung, zu der es nicht kommt«, was
sich mir wiederholt, im Theater und in der Dichtung.
Erstmals erschienen in: Lukas Bärfuss: Stil und Moral, Wallstein
Verlag, Göttingen 2015.
Darin liegt kein Geheimnis, höchstens die Erinnerung an ein
Gefühl. Vielleicht ist das Geheimnis in jenen Nachmittagen
kurz vor vier Uhr zu finden, wenn ich in unserem Badezimmer
in den Genuss eines Schauspiels kam, für mich größer und
erhabener als alles, was auf den Brettern der näheren Umgebung zu sehen war: In der Hauptrolle meine Mutter, die sich
für ihre Arbeit in der American Bar umzog und sich von einer
gewöhnlichen Hausfrau in die Königin der Nacht verwandelte.
Sie besaß die wunderbarsten Kostüme. Ich erinnere mich
an Hosenanzüge in goldgrünem Wechselspiel, an weinrote
Plisseekleider und an Blusen mit unendlichen Rüschenkragen, und ich erinnere mich, wie sie am Bügelbrett stand
und jede Rüsche einzeln bügelte, in Dampfschwaden und
29
Thomas Brandt
Sabine Orléans
Philipp Pleßmann
Nicolas Handwerker |
| Elisa Schlott | Elias Reichert | Robin Meisner | Nicolas Frederick Djuren | Marlene Tanczik | Nils Hohenhövel | Kristin Steffen
vom
verlassenwerden
Ein Essay von Sven Hillenkamp
Vor einem Jahr haben wir an dieser Stelle drei junge Regisseurinnen vorgestellt: Pınar Karabulut, Lilja
Rupprecht und Therese Willstedt. Ihnen allen werden wir
im Verlauf dieser Spielzeit wiederbegegnen. Den Anfang
macht Pınar Karabulut, die diesmal auf der großen Bühne
des Schauspiel Köln, im Depot 1, das Synonym aller Liebesgeschichten inszenieren wird: William Shakespeares
ROMEO UND JULIA. Der Philosoph und Schriftsteller Sven
Hillenkamp veröffentlichte mit seinem Buch »Das Ende
einer Liebe – Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit«
im Jahr 2010 einen Statusbericht der Liebe in der Gegenwart. Wir haben ihn gebeten, sich in einem Essay für
uns noch einmal, fast zehn Jahre später, mit den Strukturen der Liebe im 21. Jahrhundert auseinanderzusetzen.
35
einsvondrei | Vom Verlassenwerden
»Weißt Du, sagte ich, ich habe ein Mädchen verloren –
ich verstehe nichts mehr!«
(Bernward Vesper)
»Und da wurde mir bewusst, dass ein verachteter
Mensch Frieden weder finden kann noch darf … die
Verachtung folgt ihm bis in das verborgenste Versteck, sie
ist ihm in die Seele gedrungen und er trägt sie mit sich,
wohin immer er sich wendet.«
(Alberto Moravia)
Die Unmöglichkeit von Liebesverbindungen war über Jahrtausende ein Problem. Heute kommen, wo Liebe ist, die Liebenden auch zusammen. Das Drama ist nun das Ende der
Liebesverbindung, das Verlassenwerden. Das, was R. und J.
erspart bleibt, wovor der Tod sie bewahrt. Vielleicht ist alles
die Fantasie eines Unglücklichen: So hätte es sein können,
so schön! Es endet im Moment der Liebe, der Würde. Das
wichtigste Wort im Titel dieser Fantasie ist UND. Wäre es
doch bei diesem UND geblieben, anstatt dahinzukommen,
dass ein UND undenkbar ist zwischen uns.
Nicht mehr die Verliebtheit ist jetzt der Skandal, es ist deren
stilles Erlahmen, deren bewusste Kündigung. Nicht das
Wollen ist der Skandal, sondern das Nichtmehrwollen. Es
ist ein Skandal ohne Skandal, denn in der Gesellschaft protestiert niemand, wenn ein Individuum das andere verlässt.
Keiner schreitet ein, bestreitet die Legitimität des Schritts,
weder der Betroffene selbst noch seine Nächsten. Die
Familie des Verlassenen spielt keine Rolle in dem Drama,
ihre Ehre ist nicht verletzt (sie hat gar keine Ehre), sie wird
nicht mitverlassen, verteidigt nicht sich selbst, indem sie den
Verlassenen verteidigt. Familien sind keine Verletztungskollektive und keine Verteidigungskollektive mehr, man wird als
Einzelner verlassen und müsste sich als Einzelner verteidigen, verteidigt sich also nicht, geht als Einzelner unter (der
Verlassene hat gewissermaßen nur einen Vornamen, keinen
Nachnamen, wird als Wurzelloser umgeweht). Die Verheerung mag groß sein, doch sie lässt sich nicht in Protest
verwandeln, nicht einmal in Klage. Warum, so die Frage,
kann trotz offensichtlichen Leids das Leid nicht geäußert
werden? Warum kann es nicht als Unrecht gedeutet, keinem
die Schuld gegeben werden? Warum wird die Überwindung
des Leids nicht für möglich gehalten?
Die Lösung ist einfach. Der Vorgang verstößt nicht nur gegen keine Normen der Gesellschaft, er verwirklicht Normen.
Er reproduziert dominante Diskurse, gängige Formeln: »auf
36
seine Bedürfnisse achten«, »seine Grenzen wahren«, »sich
entwickeln«, »unabhängig werden«, »man selbst bleiben«
usw. Die Gewalt der Liebe besteht nicht mehr darin, Grenzen zwischen Familien, Klassengrenzen und Grenzen der
Moral zu überwinden. Die Gewalt der Liebe besteht darin,
dass sie, erlöschend, dem Nochliebenden den Boden entzieht, seine Grenzen überschreitet. Physikalisch gesprochen:
Kontraktionen und Implosionen können ebenso großen
Schaden anrichten wie Expansionen und Explosionen.
Der Verlassene hat gewöhnlich den Fehler begangen, in der
Verbindung nicht nur eine sogenannte Beziehung zu sehen,
auch wenn er sich gelegentlich des Wortes bedient hat,
da er kein besseres wusste. Für ihn ist der geliebte Mensch
unersetzlich, das Ereignis dieser Verbindung unwiederholbar, nicht nur eine Erfahrung, die man »hinter sich lässt«, um
die nächste zu machen. Er oder sie hat, gewissermaßen in
einem heimlichen (und vielleicht auch in einem offiziellen)
Akt der Ehe, sein oder ihr Herz vergeben, das eigene Leben
an das Leben des Anderen gebunden. Verlassenwerden
ist in diesem Akt nicht vorgesehen, kann nicht »verarbeitet«
werden. Dabei geht es, wenn man die Gründe des Verlassenden betrachtet, meist gerecht zu. Der Verlassene hat in
der Regel schwer zu ertragende Unzulänglichkeiten, hat
entscheidende Fehler gemacht, er hat Dinge getan, die er
moralisch nicht vertreten kann. Ja, er sieht es ein. Darum ist
er ja so getroffen. Die Maßstäbe, denen er nicht genügt, sind
seine eigenen. Dabei ist es oft nichts Spektakuläres. Keine
Gewalt, keine Untreue, keine Perversion, kein Doppelleben.
Nichts Wildes, Poetisches. Nicht einmal etwas, das man mit
Bewusstsein getan hätte, das man tun müsste, weil sich darin
das eigene Schicksal erfüllte.
Es ist nur, dass man nicht ist, wie man sein sollte, wie man
sein wollte. Weniger Untat als Unzulänglichkeit. Was den
Umgang erschwert. Ein Schuldiger kann um Verzeihung bitten, doch was macht der Unwürdige, der Tropf? Was bleibt
ihm, als sich zu verkriechen? Der Verlassene im Zeitalter von
Empathie und Selbstreflexion – er singt nicht den Blues.
Immer wieder rechnet er sich alle Schwächen und Fehler
vor, deutet sie als Ursachen für das Verlassenwerden. So
kommt er zu einem neuen Bild seiner selbst. Jeden Aspekt
seines Verhaltens, seiner Gewohnheiten, seines Äußeren,
sowohl der körperlichen Tatsachen wie der Kleidung, der
Frisur, seiner Art, Gespräche zu führen, zu tanzen, seine
Kenntnisse der Musik, der Kunst, der Literatur (bzw. seine
Unkenntnis), Erfolge oder Erfolglosigkeit, seine Freunde, die
Geschenke, die er gemacht hat – alles unterzieht er zum
ersten Mal einer Prüfung, für die er alle seine geistigen und
moralischen Ressourcen nutzen wird. Alles tritt ins Licht des
Bewusstseins.
So gelangt der Verlassene zu einem außerordentlichen
Selbstbewusstsein als Selbstverachtung. Das Schlimmste
ist seine Lächerlichkeit, von der er nun weiß. Ein Trottel,
Landarzt Bovary – mit dem Bewusstsein eines Flaubert. Wie
leben als Idiot? Während im Fall der Unmöglichkeit einer
Liebesverbindung die Sympathien des Publikums klar auf
der Seite der Liebenden waren, man wünscht, die Liebe
möge alle Widerstände überwinden, hat der Verlassene
keineswegs die Sympathien des Publikums auf seiner Seite.
Im Gegenteil, man versteht den Verlassenden, rühmt seine
Entschlusskraft, klatscht ihm Beifall, weil er nicht mit einem
solch Unwürdigen zusammengeblieben ist, sich »nicht mehr
selbst verleugnet«, sich »endlich wehrt« usw. (Das Publikum
war vielleicht sogar Akteur. Zwar sind heute verfeindete
Familien selten, nicht selten dagegen ist, dass die subkulturelle Ersatzfamilie, die Clique eines Liebenden Feind des
anderen Liebenden ist, dass den Liebenden eine gemeinsame Welt fehlt, weil die Welt des Einen die Aufnahme
des Anderen verweigert, dass die kritische Rede langsam
verfängt, die Respektlosigkeit des Umfelds zur eigenen
wird, der Liebende endlich nicht mehr liebt, sich trennen
will, auch um sich wieder ganz mit den Freunden, die an
die Stelle von Vater und Mutter getreten sind, zu vereinen.)
Der Verlassene erhält den Rat, sich die Sache eine Lehre
sein zu lassen, an seiner »Beziehungsfähigkeit zu arbeiten«,
»erwachsen zu werden«. Jene, die sich nicht erholen von dem
Schlag, sich das Leben nehmen, die Geliebte töten, Amok
laufen, sind pathologische Fälle, Unzeitgemäße – den Herausforderungen der modernen Gesellschaft nicht gewachsen.
Die Liebesverbindung ist oft die einzige Bindung, die einen
Menschen auf Grundlage gegenseitiger Beanspruchung und
Bezeugung des alltäglichen Lebens mit einem anderen vereint. Ohne Liebesverbindung lebt der Mensch mit ausschließlich anspruchsarmen Freundschaften und vorübergehenden
Kontakten. Sein Leben bleibt unbezeugt. Die Wertverleihung,
die nur unter Voraussetzung der vollen Beanspruchung und
alltäglichen Bezeugung geschehen kann, entfällt. Was ist
die Anerkennung eines Freundes wert, der nichts von mir
fordern darf, weder meine Moral noch meine Gefühle auf
die Probe stellt, mein Leben nur aus meinen einseitigen,
vieles verschweigenden Berichten kennt, meine Stimmungen
und Zustände nicht ertragen muss, weder die Last meiner
Reden noch die Last meines Schweigens zu tragen hat, nie
Opfer meiner Wut, meiner Kälte wird, mein Scheitern nur aus
meinen Berichten kennt, nicht als der mit mir Lebende und
von mir Abhängende auch die Konsequenzen meines Scheiterns zu ziehen hat, die Konsequenzen meiner Trägheiten
und Geschäftigkeiten, meiner Geldnot, meiner Sucht, meines
Größenwahns, meiner Hoffnungslosigkeit. Der Freund, mit
dem ich nur im Gespräch bin, nie in einer Dynamik, Dialektik,
Eskalation, dem ich paarstundenweise begegne, von dem
ich mich jedes Mal rechtzeitig verabschiede, bevor er mich
aufregt, ich ihn aufrege, dieser Freund kennt mich nicht, er
kann mich also auch nicht anerkennen.
Doch der Geliebte kennt mich. Er ist im Besitz der Wahrheit.
Sein Urteil, das er mit dem Verlassen ausspricht, gilt. Es ist
nicht mehr die Flut der Verliebtheit, es ist die Ebbe der Verliebtheit, die heute eine ungeheuerliche Kraft ist. Wie die Flut
einst die Grenzen zwischen den Familien, die Klassengrenzen
und die Grenzen der Moral für ungültig erklärte, so erklärt
die Ebbe die verlassene Person für ungültig, für wertlos. Das
Sichverlieben mag auf einer Illusion beruht haben – das Ende
der Verliebtheit ist ein Urteil, das in Kenntnis der Wirklichkeit
gefällt wird und dem der Verlassene sich anschließen wird. Als
Verlassener erfährt der Mensch die Wahrheit über sich selbst.
Jeder, der verlassen wurde, trägt diese Wahrheit ein Leben
lang in sich. Er wird für den Rest seines Lebens der Verlassene
bleiben. Das Verlassenwordensein ist so etwas wie der Nährboden des modernen Individuums, ewig fruchtbares Substrat.
»Doch der Geliebte kennt mich.
Er ist im Besitz der Wahrheit. Sein
Urteil, das er mit dem Verlassen
ausspricht, gilt.«
Weder Vater noch Mutter noch Freunde noch Vorgesetzte
sprechen diese Wahrheit aus, nur der Verlassende tut es. Er
tut es sogar, wenn er nichts sagt, wenn er schweigend geht.
Andere Verlassende sprechen, sind sehr beredt. Was immer
getan und gesagt worden ist, was unterlassen und ungesagt
geblieben ist, sie erinnern sich daran genau, sie benennen
es. Sie sind in der Lage, ihre Gefühle für den, den sie verlassen, akkurat zu beschreiben, ihn aufgrund von Erfahrung
meisterhaft zu porträtieren. Für manche wird es die erste
Gelegenheit sein, ihre Beobachtungsgabe, ihren scharfen
Verstand, ihre Wortgewalt der Welt zu offenbaren. Die Wahrheit bekommt ihr Gewicht, sie wird unvergesslich, weil sie
die Ursache ist für das Verlassenwerden. Wie die Freiheit zu
gehen, ist die Wahrheit ein unbestrittener Wert. Der Moment
des Verlassenwerdens ist der Wahrheitsmoment schlechthin,
vielleicht der wichtigste Augenblick im Leben der Heutigen.
Der Verlassene ist ein sexuell, sozial und ästhetisch Durchgefallener, erfährt den échec social total, absolutes Scheitern.
Wie wünschte er, er hätte vor dem Anderen bestanden.
Der Andere lebt weiter. Kein Zorn, keine Bitterkeit. Weder beschäftigt der Verlassene sein Gefühl noch sein Denken. Nicht
ein Fragezeichen. Das Vergessen tut sein Werk. Alle Sinne geöffnet; Neues strömt hinein. Keine Vorstellung wäre weiter von
der Realität entfernt, als dass er sich tötete um meinetwillen.
Man kann von ihm behaupten, was Kafka von dem Raubtier
sagt, das den Hungerkünstler ersetzt: »Ihm fehlte nichts.«
Dieser Text ist ein Originalbeitrag für das Magazin des Schauspiel Köln.
37
Jörg Ratjen
Stefko Hanushevsky
Magda Lena Schlott
Guido Lambrecht
Ines Marie Westernströer
Wolfgang Pregler
von den
errettungen
Was kommt nach der Flucht? Wie erlebt die Geflüchtete oder der Geflüchtete selbst seine eigene Existenz? Der in Sofia geborene Schriftsteller
Ilija Trojanow reflektiert über die Zumutungen und Chancen eines Neuanfangs und darüber, wie die Flucht aus der Heimat das Leben für immer
verändert. Trojanow floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und
Italien nach Deutschland. Nach Stationen in Kapstadt, Kenia, Bombay lebt
er nun in Wien. Seine Reflexionen sind ein gekürzter Auszug aus seiner
Rede »Nach der Flucht – Gedanken über das restliche Leben«, mit der er
Anfang des Jahres die Reihe »Dresdner Reden 2017« eröffnete.
Text Ilija Trojanow
42
Heimatlosigkeit muss nicht falsch sein.
Die Erzählung der Flucht wird meist aus dem Blickwinkel des
Stillstands geschrieben. So wie die Sesshaften die Nomaden
nie verstehen werden, können die vermeintlich Standfesten
die Fliehenden nur missverstehen. Flucht kann allein aus der
Bewegung heraus begriffen werden.
Der Anblick von Flüchtenden beunruhigt die Sesshaften. Menschen auf der Flucht schleppen ihr Eigentum in einem Koffer,
einem Rucksack, einer Plastiktasche, auf Schubkarren. Ihr
ganzes Hab und Gut, wie der sesshafte Volksmund zu sagen
pflegt. Aber es ist nicht ihr ganzes Hab und Gut, sondern
eine eigentümliche Farce, das Wertvolle zusammengeschrumpft zu einer Einheit, die man auf dem eigenen
Rücken tragen kann. Alles, womit der Sesshafte sich umgibt,
wofür er sich ein Leben lang abschuftet, ist dahin und für
immer verloren. Das Bild eines Flüchtlingstrecks offenbart das
Überflüssige am Überfluss.
Zwischen Herkunft und Ankunft erfolgt aus Sicht der Sesshaften eine bedrohliche Verrückung der Ordnungen, entsteht
ein schwer überwindbarer Mangel. Ergo ist der Flüchtling ein
Opfer, das unweigerlich Forderungen stellen, ein gefräßiges
Kind, dessen Appetit wachsen wird. Wären die Flüchtlinge
weniger Opfer, erschienen sie weniger bedrohlich.
Aber die Wahrheit des Tages ist nicht die Wahrheit der
Nacht. Flucht kann ein Akt des Widerstands sein. Eine Selbstermächtigung. Ein Aufbruch. Der Flüchtling kann ein Handelnder sein, ein Aktivist, ein Rebell, jemand, der sein Leben und
das Leben seiner Nächsten den Klauen des Schicksals entrissen hat. Die Einteilung in Unschuldige und Opfer verharmlost
die Geschichte. (...)
Die offene Stadt, die der Welt zusprechende Hafenstadt, ist
das Ideal des Geflüchteten. Wo jeder anlanden kann, wo
alles verladen wird. Weil keiner weiß, in welchem Ballen,
welcher Kiste, welchem Container Wertvolles auf Entdeckung
wartet. Wo zur Flut das Meereswasser ins Land dringt und
zur Ebbe das Süßwasser ins Meer hinaus fließt.
Wer Bewegung zu teilen versucht, in reglose Bilder, in lebende Tableaus, in eine Abfolge von Wartesälen, der stellt die
Bewegung an sich in Frage. Alle sitzen in einem Waggon.
Die einen behaupten, der Zug rausche dahin, die anderen
schwören, er sei abgestellt.
Ein gefällter Baum wird zum Einbaum. Der Stamm ist tot.
Wahrlich eine Entstammung. Einsteigen, das Wasser durchschneiden, andernorts uferwärts. Der Einbaum kann kentern,
denkt sich der Geflüchtete, niemals aber Wurzeln schlagen.
Was wäre, überlegt er bei ruhigem Rundschlag, wenn die
Frage, wer er sei, von den Früchten abhinge? Was für eine
Identität können geschlagene Stämme aufweisen? Der Einbaum bewegt sich fort, dank Wasser und Wille, immerzu fort.
Der Mensch in seinem Einbaum klammert sich an sein
Paddel und verteidigt sein Recht, anlanden zu dürfen, ohne
dazugehören zu müssen.
Er trägt den Einbaum durch die Wüste, das Gewicht der
Welt auf seinen Schultern, aber er wirft ihn nicht ab, weil
er weiß, irgendwo stößt er wieder auf Wasser. Er schläft in
dem Einbaum wie in einem Zelt. Er sitzt in dem Einbaum und
navigiert anhand des Südsterns, unter dem Kiel Lavagestein,
brüchige Brocken, fossile Flüsse.
»Heimkehr ist der größtmögliche
Kulturschock.«
Selten versuchen Geflüchtete durch eine Rückkehr in das
Land ihrer Herkunft das Geschehene rückgängig zu machen.
An Festtagen haben sie Jahrzehnte lang die Gläser zum
Trinkspruch gehoben: Nächstes Jahr in Jerusalem! Als der
Vorhang sich wider besseres Erwarten tatsächlich hebt und
ein neues, ein längst ersehntes Jahr offenbart, bleiben sie sitzen. Schenken sich noch einen ein. Reiben sich die Illusionen
aus den Augen. Prüfen wiederholt die Uhrzeit. Legen Geduld
an den historischen Augenblick. Besuchen das Land ihrer
Herkunft als Touristen, mit einem Rückflugticket in der Tasche.
Heimkehr ist der größtmögliche Kulturschock. Es wäre für alle
Beteiligten besser, die Rückreise würde Fremdkehr genannt
werden. Nicht, dass Vorurteile auf Preziosen oder Unkenntnis
auf Verwesung träfen, nein, der Türrahmen, durch den der
Geflüchtete eintritt, ist niedriger als erwartet, die Beule am
Kopf das erste Souvenir der Fremdkehr. Alles vermeintlich
Bekannte erweist sich als Trug. Dem Vertrauten kann er nicht
trauen. Als wachte er neben einem Nächsten auf, der sich
über einer langen Nacht hinweg so sehr verwandelt hat,
dass er vor Entsetzen aufschreit.
In der doppelten Buchführung des Geflüchteten verwandelt
sich Verlust durch Befreiung in Gewinn. So wie sich der Reisende nicht nur erleichtert, sondern auch bereichert, wenn er
sein schweres Gepäck abwirft. Nicht allen gefällt die Unbeschwertheit. Manche betrauern ein Leben lang ihren Verlust.
Er bemüht sich, die Sprache zu verändern. Jene Begriffe
nachzubessern, die schlecht sitzen, wenn sie ihm übergestülpt
werden. Seine persönliche Anpassung wandelt Hand in
Hand mit der Anpassung der Neusprache. Dieser Sprache
43
Foto Christian Muhrbeck
soll eines Tages anzumerken sein, formuliert er eingedenk all
jener »Entwurzelten«, »Fremdstämmigen«, »Verlorenen«, die
sich vor ihm in der vermeintlichen Ortlosigkeit ihrer Existenz
verirrt haben, dass solche wie wir hier angekommen sind.
Die Sprache soll Spuren unserer Anwesenheit aufweisen. (...)
»Wer nirgendwo dazugehört,
kann überall heimisch werden.«
Kann eine persönliche, intime Heimat überfremdet werden?
Die Gefahr ist nicht, dass wir überfremdet werden, sondern
dass uns die Fremde ausgeht.
Der Versuch, eine allgemeingültige Heimat zu bestimmen, ist
die Fortsetzung von Gewalt.
Wer nirgendwo dazugehört, kann überall heimisch werden.
Im Vertrauten herrscht Abstumpfung, in der Fremde werden
die Sinne geschärft. Wer von Fremde umgeben ist, wacht
über jede Begegnung, reißt die Augen weit auf, taumelt auf
einem Drahtseil, schwingt auf einer Hängebrücke über den
tiefsten Schlund seiner Wahrnehmung.
44
Entfremdung ist ein Daseinszustand, aber auch eine Technik,
Distanz eine wohlbedachte Positionierung. Das Glück, sich
häuten zu dürfen. Aufzuwachen und kein Tagesprogramm zu
erhalten. Nicht zu wissen, wo man sich befindet. Hinauszugehen ohne Ziel und Karte. Jeden nach dem Weg zu fragen,
bis in jede Himmelsrichtung gedeutet worden ist. Zufällige
Passanten bitten, zu beschreiben, was sie sehen. Sich anfreunden mit der Vorstellung, alle Flüge und Züge und Busse
fielen aus und man sei zum Verbleib an diesem unwirtlichen
Ort gezwungen. Kinder bei einem Spiel zusehen, dessen Regeln man nicht kennt. Entfremdung ist eine Übung in Demut,
die das Selbstbewusstsein stärkt. (...)
Seine Mutter, sein Vater, machen sich Sorgen über ihr fehlerhaftes Deutsch. Es mag hier und da grammatikalisch nicht
korrekt sein, sagt er, aber alles, was ihr sagt, ist verständlich.
Welcher von den Einheimischen, mit denen ihr regelmäßig
verkehrt, beherrscht eine andere Sprache so gut wie ihr seine? Sollte man sich mit den Herausforderungen, die man anderen abverlangt, nicht erst einmal selber vertraut machen?
Aber was ist mit unserem Akzent? fragt die Mutter, der Vater.
Der Akzent ist die Handschrift der Zunge. Stellt euch vor,
wir redeten alle wie Nachrichtensprecher. Wie Überbringer
schlechter Botschaften. Der Akzent sorgt für die Schönheitsmale auf der Sprachhaut. (...)
Alter Grenzstein, altes Recht. Neuer Grenzstein, neues Recht.
Ergo ist Ausgrenzung eine Entrechtung. Das gelebte Heimat-
gefühl hingegen, so komplex und vielfältig wie der einzelne
Mensch, von bemerkenswerter Wandlungsfähigkeit, grenzt
andere Menschen niemals aus.
Nationalisten missachten den intimen Kern von Heimat. Sie
setzen der persönlichen Weltbeziehung die Narrenkappe
einer konstruierten Uniformierung auf. Sie suggerieren dem
Einzelnen eine abstrakte Identität, die ihn zwar nicht durch
den Alltag bringt, aber in den Krieg ziehen lässt. Die den Vorteil hat, leicht austauschbar zu sein. Vorvorvorgestern Preußen,
vorvorgestern das Deutsche Reich, vorgestern die BRD/DDR,
gestern Deutschland, heute Europa, morgen wieder Deutschland. Und danach?
»Nationalisten missachten
den intimen Kern von Heimat.«
Der Fundus an kulturellen Universalien wächst, ohne dass wir
zwangsweise alle gleich werden. Die freie Weltkulturschaft
funktioniert erheblich besser als die freie Weltwirtschaft.
Protektionismus in der Kultur hat stets zu einer Zerstörung der
Kultur geführt. Wer das Eigene in einer Nische zu konservieren versucht, verkleinert es, banalisiert es. Kulturkonservatismus ist weltfremd, begreift nicht die Dynamik von Verschmelzung und Vermischung, die seit je zu kultureller Neuerung
geführt haben. Traditionen müssen frei gewählt oder neu
erfunden werden können.
Ziel von Empathie ist nicht, den Anderen auf Teufel komm
raus verstehen zu müssen. Dies bedeutete, ihm durch das
Prisma der eigenen Wahrnehmung eine falsche Transparenz
aufzudrücken, ihn auf eine Positionsangabe im eigenen
Koordinationssystem zu reduzieren. Es beinhaltet aber sehr
wohl, kulturelle Differenzen nicht zu verabsolutieren, sondern
in ihnen ein wandelbares Potential zu erkennen.
Es lebe die kulturelle Bewegungsfreiheit. Heimat existiert nur
als Plural, wird sprachlich aber meist im Singular verwendet.
Die Menschheit kann nur kosmopolitisch überleben. Je ausgelaugter der Planet wird, desto stärker werden die Kräfte der
Abgrenzung und Ausgrenzung den exterminatorischen Kampf
um die verbliebenen Ressourcen anheizen. Alle zentralen Probleme können nur weltgemeinschaftlich gelöst werden. Der
Nationalist im 21. Jahrhundert ist ein Apokalyptiker.
Erst wenn er sich von den Zuschreibungen der Herkunft
und den Zumutungen der Ankunft losgelöst hat, ist der
Geflüchtete wirklich frei.
45
Yuri Englert
Benjamin Höppner
Katharina Schmalenberg
Johannes Benecke
Annika Schilling
Marek Harloff
AUF DEM
WEG
In der Spielzeit 2017/18 wird mit
HEIMWÄRTS in der Regie von Stefan
Bachmann zum dritten Mal ein Stück
von Ibrahim Amir am Schauspiel Köln
zur Aufführung kommen. Als Auftragswerk entstanden, ist das Stück eine
Auseinandersetzung mit dem Thema
Heimat und der eigenen Herkunft. Ein
Portrait des aus Syrien stammenden
und in Wien lebenden Autors.
Text Sibylle Dudek
Fotos Mario Kiesenhofer
2600 Kilometer liegen zwischen Aleppo und Wien. Laut
Routenplaner ist die Entfernung mit dem Auto in einem Tag
und fünf Stunden zu schaffen oder zu Fuß in 21 Tagen und
22 Stunden. Der direkte Weg: Syrien, die Türkei, Bulgarien,
Serbien, Ungarn, Österreich. Routenplaner wissen ganz
offensichtlich nichts von einer Politik der Abschottung, von
geschlossenen Grenzen, von hochgezogenen Zäunen und
Lagern, in denen Menschen ihr Leben mit Warten verbringen.
2017 ist der direkte Weg nach Europa dicht. Und andersrum?
Nach Syrien? Aber wer wollte schon in diesen Zeiten über die
Balkanroute nach Syrien reisen? Hussein will. Es ist der letzte
Wunsch eines Sterbenskranken. Mehr als sein halbes Leben
war Wien sein Zuhause, aber sterben und begraben werden
will er in seinem Heimatland. Und so macht sich ein Krankentransport nach Syrien auf. Mit dabei: Husseins Neffe Khaled,
der Arzt Osman und die transsexuelle Sanitäterin Simone. Auf
der Fahrt stirbt Hussein, und Ibrahim Amir lässt die Reisegesellschaft samt Leiche im türkischen Niemandsland stranden.
Und dort lässt er sie zurück: in der tiefsten türkischen Provinz,
konfrontiert mit einem ehrgeizigen Beamten, der in ihnen
eine Ansammlung dubioser Individuen sieht. Erst recht, als
im Land über Nacht der Ausnahmezustand ausgerufen wird.
Jeder ist jetzt verdächtig. So geht es los, Ibrahim Amirs
zweites Auftragswerk fürs Schauspiel Köln. Ein ausgebremster
Roadtrip, eine Provinzposse, eine Heimatsuche, die in der
fremdesten Fremde spielt.
Das erste Mal treffe ich Ibrahim 2013 in Wien. Die deutsche
Erstaufführung seines Stücks HABE DIE EHRE soll in der Regie
von Stefan Bachmann am Schauspiel Köln herauskommen.
Gerade ist das Theater umgezogen – vom Offenbachplatz in
die neu geschaffene Spielstätte in Köln-Mülheim. Ibrahims
»Parallelgesellschaftskomödie«, wie das Stück im Untertitel
heißt, wurde an einem kleinen Theater in Wien uraufgeführt
und ist dort schnell zum Publikumsrenner geworden. Es ist ein
sehr lustiges, sehr böses Stück über Ehrenmord. Darf man über
51
einsvondrei | Auf dem Weg
ein solches Thema eine Komödie schreiben? Und sie dann
ausgerechnet in Köln Mülheim, unweit der Keupstraße, aufführen? Wird das in der türkisch geprägten Nachbarschaft nicht
wie ein Affront aufgenommen werden? Spielt man damit nicht
all jenen in die Hände, die den Untergang des christlichen
Abendlandes prognostizieren – die Diskussionen um Sarrazins
»Deutschland schafft sich ab« hallen 2013 noch nach. All diese
Bedenken und gemischte Gefühle erzähle ich Ibrahim bei
unserem ersten Treffen. Wir stehen vor seinem Lieblingscafé,
dem Café Jelinek im 6. Bezirk, und er raucht Kette. Dabei sieht
er sehr, sehr müde aus. Gerade kommt er von seiner Nachtschicht aus dem Krankenhaus, in dem er als Assistenzarzt
arbeitet. Und jetzt also diese Dramaturgin aus Deutschland mit
ihren Bedenken und gemischten Gefühlen. Es ist ja nicht das
erste Mal, dass er damit konfrontiert wird. Nein, es ist keine
Komödie über Ehrenmord. Es ist ein Stück über patriarchalische
Strukturen, über die perfide und zersetzende Logik des Begriffs
der Ehre, über eine Parallelgesellschaft, die nach Regeln lebt,
die keines ihrer Mitglieder mehr erfüllen kann und trotzdem
niemand zu hinterfragen wagt. Und über eine Mehrheitsgesellschaft, die von den Zugezogenen vor allem eins will: dass
sie ruhig und bestenfalls unsichtbar sind. Darf-man-das-Fragen
stellt sich Ibrahim nicht. Vorsorgliche Selbstzensur aus Angst,
die Political Correctness zu verletzen – das ist ein seltsamer
Gedanke für ihn. Vielleicht weil er in seinem Leben schon
hinreichend mit Zensur konfrontiert war, oder weil er einfach
keine Furcht davor hat, sich zwischen die Stühle zu setzen. Das
Dazwischen ist ein Ort, an dem er sich gut auskennt.
Ibrahim Amir kommt 1982 in Aleppo zur Welt. Beide Eltern
sind Kurden. Er hat drei ältere Schwestern, ein jüngerer
Bruder kommt noch dazu. Die Familie lebt größtenteils in
Aleppo, verbringt aber auch viel Zeit im Jahr in dem kleinen
Heimatdorf der Großeltern, das in einem kurdischen Gebiet
im Norden Syriens liegt. Das große Haus und Grundstück mit
den Olivenbaumplantagen ist das Zuhause, in Aleppo zieht
die siebenköpfige Familie ruhelos von einer Wohnung in die
andere. Seine Mutter arbeitet seit ihrem siebten Lebensjahr
als Schneiderin – eine Schule hat sie nie besucht. Der Vater,
der einer wohlhabenden Familie entstammt, ist Landwirt. Sein
Studium der Politikwissenschaft musste er gezwungenermaßen
abbrechen, weil er sich aktiv für die Rechte der kurdischen
Bevölkerung eingesetzt hat. Ibrahim lernt das von Anfang an,
er wird damit groß: dass er einer Nation angehört, die rechtlich nicht anerkannt ist. Alles, was gemeinhin als »kurdisch«
gilt, ist in Syrien verboten: öffentlich Kurdisch zu sprechen, sich
politisch zu engagieren, die kurdische Kultur zu pflegen. Es
braucht nicht viel in Syrien, um politisch in Ungnade zu fallen.
Als Ibrahim elf Jahre alt ist, macht er die erste Begegnung mit
Theater. Kurdische Aktivisten kommen ins Dorf und bieten für
Kinder und Jugendliche ein Kulturprogramm an. Gemeinsam
entwickeln sie ein Theaterstück und führen es vor der Dorfgemeinschaft auf. Es eröffnet sich dem Elfjährigen eine neue,
wundervolle Welt. Eine Möglichkeit, die eigenen Gedanken
52
und Gefühle auszudrücken. Diese Erfahrung hinterlässt einen
tiefen Eindruck bei ihm. Nachdem er die Schule beendet hat,
schreibt er sich in Aleppo an einer Fachhochschule für Theater
und Schauspielkunst ein. Er spielt in Stücken mit, entwickelt mit
anderen Theaterabende. Er ist am richtigen Platz, hellwach,
mit einem feinen Sinn für Ungerechtigkeiten. Davon gibt es
viele, zu viele, und er kann sie nicht ignorieren. Wie soll er
sich nicht engagieren, politisch aktiv werden? Er schließt sich
der kurdischen Studentenverbindung an und initiiert an der
Universität eine Schweigeminute für die kurdischen Opfer des
Giftgasangriffs im Nordirak. Eine Minute Schweigen, und er ist
ein Dissident. Das bedeutet: Exmatrikulation, ohne Aussicht, jemals wieder in Syrien studieren zu dürfen. Er hat keine Zukunft
in diesem Land, und er ist gerade mal zwanzig.
»Vorsorgliche Selbstzensur
aus Angst, die Political Correctness
zu verletzen – das ist ein seltsamer
Gedanke für ihn.«
Aus unserer Zusammenarbeit ist eine Freundschaft geworden. Inzwischen weiß ich einiges von Ibrahim. Ich weiß,
dass er Wien sehr mag und die Wiener für ihren Sarkasmus
schätzt. Ich weiß, dass er die offene Fremdenfeindlichkeit der
FPÖ oder der Identitären in Österreich genau wahrnimmt,
damit aber besser klarkommt als mit der Ignoranz der
Mehrheitsgesellschaft. Ich weiß, dass er nicht für »die Syrer«
sprechen will. Er ist kein Stellvertreter, er will keine Stellvertreter-Stücke schreiben und auch keine Flüchtlingsdramen auf
Bestellung. Ohne Humor geht es nicht. Das Schreiben nicht,
das Leben nicht. Es ist bestimmt nicht immer ein Lachen aus
purer Fröhlichkeit, manchmal ist es bitterböse, erschreckend
unangebracht, aber es bleibt ein Lachen.
Es ist der 29. September 2002, ein grauer Sonntag, als Ibrahim
nach Wien kommt. Drei knappe Flugstunden liegt es von
Aleppo entfernt. Die Straßen in Wien machen einen leeren,
sehr sauberen Eindruck auf ihn, die Hausfassaden kommen
ihm, größtenteils ohne Balkone, merkwürdig nackt vor. Zumindest einen Menschen kennt er in der Stadt – seinen Onkel.
Er bewirbt sich für drei Studiengänge an der Universität, von
denen er glaubt, dass es nicht so schlimm ist, dass er die
fremde Sprache nicht beherrscht. Für Medizin bekommt er eine
Zusage. Dann wird er also Arzt werden. Die ersten Monate
sind hart: Er vermisst seine Familie, sein Zuhause. Er hat keine
Freunde, nur seinen Onkel. Und die Versuche, sich mit seinen
österreichischen Kommilitonen anzufreunden, wollen nicht glücken. Er hat das Gefühl, immer zeigen zu müssen, was für ein
toller Ausländer er ist – tolerant und weltoffen und überhaupt
ganz anders als andere Ausländer – damit sie seine Freundschaft akzeptieren. Das macht ihn müde. Und dann ist da ja
auch noch dieses Deutsch, fremd und unzugänglich. Er lernt
die Sprache, indem er zu schreiben beginnt – von Anfang an
auf Deutsch. Die Worte und Bilder kommen nicht einfach, es ist
ein Kampf, anstrengend, aber auch lustvoll. Endlich hat er wieder die Möglichkeit, kreativ zu sein und gleichzeitig schreibend
zu erkunden, wo er sich befindet. Am Anfang sind es vor allem
Rückblicke: Fern von Zuhause erscheint ihm vieles in einem
anderen Licht. Er erinnert sich an einen Ehrenmord in seinem
Heimatdorf. Die Stimmung danach in der Gemeinschaft,
die unterschiedlichen Lebensbedingungen von Männern
und Frauen. Und er denkt an seine Mutter, die, aus armen
Verhältnissen stammend, immer versucht hat, weiterzukommen,
sich zu bilden. Viele Frauenfiguren in seinen Stücken haben
Anteile von ihr. Ihr Mut, ihre Neugier und Kraft inspirieren ihn.
Am Anfang entstehen vor allem Kurzgeschichten. Eine heißt IN
JENER NACHT SCHLIEF SIE TIEF und handelt von dem blutigen
Rachefeldzug eines jungen Mannes in Aleppo. Die Geschichte
wird 2009 mit dem Exil-Literaturpreis der Stadt Wien ausgezeichnet, und er kommt in Kontakt mit den Wiener Wortstätten,
einem interkulturellen Autorenprojekt. Ein Glücksfall: Hier findet
er Unterstützung und die Ermutigung, ein Theaterstück zu
schreiben. HABE DIE EHRE ist ursprünglich nicht als Komödie
gedacht gewesen. Das Komische schleicht sich während des
Schreibens ein und entsteht aus der Ausweglosigkeit der Situation, in der sich die Figuren befinden – vor allem aber aus
der Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit. Wenn eine Figur
in seinen Stücken als Verkünder einer Ideologie auftritt, ist ihr
kein gutes Ende beschieden. Egal ob es sich dabei um einen
selbstgerechten Prediger wie in STIRB, BEVOR DU STIRBST handelt oder um Aktivisten, die ihr Engagement für Flüchtlinge zur
Stärkung ihres Egos brauchen wie in HOMOHALAL, das am
Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt wurde. Nichts erregt bei
Ibrahim mehr Misstrauen als ein geschlossenes Weltbild.
Als in Syrien der Bürgerkrieg ausbricht, lebt Ibrahim schon
fast zehn Jahre in Wien. Aus der Entfernung erlebt er die
Zerstörung seines Landes, die gleichbedeutend ist mit dem
Verschwinden der Orte seiner Kindheit und Jugend. Er verliert
den Kontakt zu seinen Freunden in Aleppo. Ob sie noch leben? Die Stadt ist ein Trümmerhaufen, der Weg zurück abgeschnitten. Nur das Dorf der Großeltern ist noch da, gefährdet,
aber da. Mit den Geflüchteten kommen viele Syrer nach
Wien. Merkwürdig sei das, aber auch schön, sagt Ibrahim. Ein
Stück Heimat gleich um die Ecke. Seine vier Geschwister leben jetzt in seiner Nachbarschaft. Im Januar ist sein Sohn als
gebürtiger Österreicher zur Welt gekommen. Und er ist jetzt
fertig mit seiner Ausbildung zum Arzt. Die nächsten Monate
gehören ausschließlich dem Schreiben. Das Thema Heimat,
die Suche nach Verwurzelung, Verortung hat er sich nicht
ausgesucht. Es war immer schon da und findet zwangsläufig
Eingang in seine Stücke. Ein Krankentransport fährt durch Europa, über die Balkanroute nach Syrien. Ibrahim lässt ihn nicht
sein Ziel erreichen. Es gibt kein Ankommen, keinen glücklichen
Abschluss. Aber es gibt die Suche danach.
»Am Anfang
sind sie klein
und grün.«
In Berlin Hellersdorf legen die Berliner »Prinzessinnengärten« mit Anwohner*innen
einen neuen Gemeinschaftsgarten an. Wir fragen Gründer Robert Shaw und Projektleiterin Svenja Nette im Schatten eines Strauches nach den Identitäten von
Gemeinschaftsgärten, seinen Besucher*innen und den Pflanzen. Neben uns wird
lautstark geschaufelt, gesägt und gehämmert.
Interview
Melanie Kretschmann und Michaela Kretschmann
54
Jeder Samen ist besonders, jeder Samen sieht anders
aus. Wenn du sie aber säst und sie dann keimen, sehen
sie zunächst alle gleich aus, das ist ein wenig wie beim
Embryo, bevor es sich individuell entwickelt, oder?
Na ja, es gibt einkeimblättrige, zweikeimblättrige und mehrkeimblättrige Sämlinge. Aber es stimmt, sie sehen sich am
Anfang alle recht ähnlich. Man kann sagen, sie sind klein
und grün.
Was ist der Hauptgrund, dass eure Besucher sich mit
dem Garten identifizieren? Hast du das Gefühl, dass der
Umgang mit Erde, Wasser, Luft, mit Samen und Pflanzen
die Menschen zu euch bringt?
Ich denke, es ist sowohl das Interesse an Pflanzen, als auch
an Menschen. Das sind die beiden großen Faktoren. Der
eine kommt, weil er mehr Interesse an einem der Faktoren
hat, findet dann aber heraus, dass ihn der andere auch
sehr interessiert.
Foto Ole Kretschmann
Haben Pflanzen eine Identität?
Svenja: So philosophisch am Anfang. Klar, viele Sorten haben
eine wunderbare regionale Geschichte. Kennt ihr die von
der schwäbischen Alplinse? Sie wurde auf dem Plateau der
schwäbischen Alp angebaut. Irgendwann waren die kleinen
Bauern nicht mehr produktiv genug, da ist die Linse von der
Bildfläche verschwunden. Aber ein Liebhaber wollte sie wieder ansiedeln und hat ein paar Paketchen zufälligerweise in
einem Saatgut-Institut in Russland gefunden. Er fragte sich, ob
die wohl noch keimen – und es hat tatsächlich geklappt. Inzwischen gibt es wieder einen ziemlich großen schwäbischen
Anbau, und es werden überall Kochevents mit der Linse
gemacht. Ein anderes Beispiel ist die »Trail of Tears«-Bohne
– der Name bezieht sich auf die Vertreibung der nordamerikanischen Ureinwohner. Sie haben die Krempen ihrer Hüte
mit Erde gefüllt und die Bohnenpflanzen mitgenommen – so
haben die Bohne und das Saatgut bis heute überlebt. Insofern tragen viele Pflanzen eine spezifische Identität.
Svenja Nette und Robert Shaw
einsvondrei | »Am Anfang sind sie klein und grün.«
Kannst du beschreiben, was das Initiationsmoment für
die »Prinzessinnengärten« war?
Robert hatte die Grundidee auf Kuba. Dort gibt es seit
Beginn der 90er Jahre viele staatlich geförderte Gemeinschaftsgärten. Angefangen hat das Ganze in Berlin an einem
Julinachmittag, die Aktion wurde zuvor im Stadtmagazin
»Zitty« angekündigt. Marco und Robert hatten mit ein paar
Leuten gerechnet, es kamen aber 150 Menschen zum Moritzplatz. Die Idee, dort einen Gemeinschaftsgarten zu gründen,
gab es von Anfang an. Der Ort war gepachtet, es gab eine
Absichtserklärung. Die Inhaltsideen haben sich im Laufe der
Zeit dann immer wieder gewandelt. Ganz am Anfang stand
noch die Frage: Können wir vom Gemüseverkauf leben? Wir
haben häufig ein ganz verschobenes Verhältnis dazu, wie
Essen angebaut wird und was es kostet. Das ist eine tolle
Aufgabe des Gartens: Er kann das in Beziehung setzen. Es
bedarf zum Beispiel sehr viel Arbeitskraft, um die geernteten
Radieschen von der Erde zu befreien. Da ist es billiger, sie
vom Naturkostgroßhandel zu kaufen. Das ist der Punkt in
unserem Landwirtschaftssystem: Händische biologische Landwirtschaft ist unglaublich teuer – obwohl sie von den Inputs
eigentlich viel billiger als nicht-biologische ist. Der Garten
funktioniert darum als Referenzpunkt.
Was bedeutet das Gärtnern für euch in einem Stadtteil
wie Kreuzberg, der bekannt ist für das Aufeinandertreffen verschiedenster Kulturen und inzwischen auch die
Gentrifizierung erlebt? Würdest du sagen, dass sich die
Identität des Viertels seit dem Beginn des Projektes »Prinzessinnengärten« verändert hat?
Es gab diesen einen Morgen, an dem wir das Schild »Gentrify
this« am Garten hatten. Einer unserer Gärtner war aufgebracht
und meinte, »Wir sind doch nicht gentrifiziert.«, aber wir haben
uns angeschaut und gesagt, es ist gar nicht so klar, wer da jetzt
was macht. Das ganze Viertel war damals im wirtschaftlichen
Sinn sehr unterentwickelt. Auf dem Sozialatlas war es eines der
schwächsten, was zum Beispiel Kinderarmut angeht. Zu der
Zeit, als wir angefangen haben, hat sich auch das Viertel verändert. Es ist aber schwer zu sagen, ob wir eine Art Ausgleich
oder auch Motor dafür sind. Wir haben das Viertel bestimmt
attraktiver gemacht. Wir haben Arbeitsplätze geschaffen und
wir haben viele kostenfreie Angebote. Viele Menschen aus der
Nachbarschaft genießen die Gemeinschaft, sie freuen sich,
etwas tun zu können – das ist ein Gegenelement zu der ganzen
Gentrifizierung. Und trotzdem verkaufen wir auch einen Latte
macchiato für 3 Euro. Knapp 60.000 Menschen kommen pro
Saison, also von April bis Oktober, bei uns vorbei.
Wer kommt zu euch in den Garten?
Wenn man sich den Kreis der Aktiven anschaut, sind ca. 4050 regelmäßig da, sozialversichert sind wir ungefähr 13 Personen, der Rest sind Minijobber bzw. Honorarkräfte, auch
Langzeit-Praktikanten. Ein Koch aus der Nachbarschaft, der
Pflanzen liebt, oder Ayham, der in Syrien Landwirtschaft be-
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trieben hat und sich darüber wundert, wie wir das machen.
Oft sind es Freunde von Freunden, die kommen. Und Touristen. Die besten Momente sind, wenn sich Begegnungen
ergeben und Menschen aufeinandertreffen, die sich sonst
nicht begegnen würden.
»Kein Garten scheitert am Gärtnerischen, sondern wirklich am Sozialen.«
Zu erleben, wie eine Pflanze heranwächst, bindet Menschen unserer Erfahrung nach an den Garten. Wie ist das
bei euch?
Es hat ganz viel mit Zugehörigkeit zu tun. Bei uns gibt
es keine Einzelbeete – wir sind für alle offen, jeder kann
kommen und gehen, wann er will. Niemand hat die feste
Verantwortung, dafür bindet man die Leute aber auch
anders. Mir fällt da die Schweizer Praktikantin Beryl ein, die
war unheimlich verliebt in die Tomaten. Sie hat sie hochgezogen und sie sahen toll aus. Sie waren ihr Stolz. Und dann
kam eine amerikanische Praktikantin, hat nicht gut zugehört
und hat einfach der Hälfte der Tomatenpflanzen die Köpfe
abgeschnitten, weil sie dachte, so geizt man die aus – da
hatte Beryl ernsthaft Tränen in den Augen. Die Pflanze ist
ein Lebewesen. Es ist schwer, wenn man ein offener Ort ist,
wo die Regeln manchmal gar nicht so klar sind.
Das diskutieren wir auch viel. Es bildet sich eine kleine
Gemeinschaft, und es ist die Frage, wie viel Freiheit lässt
man dem Einzelnen, welche Regeln stellt man auf, wie
setzt man sie um, wie kommuniziert man sie. Das ist ein
andauernder Prozess bei uns.
Auf jeden Fall, und das bleibt hoffentlich auch so. Man
muss bedenken: Wo befindet sich der Garten, wie sind
die Umstände? Wer identifiziert sich mit dem Garten? Wir
bekommen oft Führungen von anderen Gärten und das ist
spannend, weil man ganz andere Gartenkulturen erlebt.
Ich kann mich an eine Gruppe erinnern, die eher traurig
mitzuerleben war: Da gab es die klassische Entscheidergruppe und die anderen, die nach jedem Gartenschlauch
betteln musste. Das war eine ganz fürchterliche Stimmung.
Und ich glaube wirklich: Kein Garten scheitert am Gärtnerischen, sondern wirklich am Sozialen. Leute müssen das
Gefühl haben, dass ihnen der Garten etwas bringt. Es wäre
spannend, alle Besucher zu fragen, was sie dort hinbringt,
was ihnen daran gefällt, was ihnen fehlt. Wenn Leute kein
Verständnis haben für den Ort, dann wird er so genutzt, wie
die Leute denken, dass er sei. Logischerweise. Wir haben
auch oft Döner und Müll rumliegen und ärgern uns, aber
wenn man mit den Menschen redet, dann sagen sie:
»Ach, ihr seid das! Das ist hier gar kein Park mit Aufräumern!«
Wenn man das Verständnis schafft, dann begegnet man sich
anders. Identitätsstiftendes Moment ist zum Beispiel eine
gemeinsame Ansaat. Man kann in der Mittagspause eine
Ansaat machen, das braucht 10 Minuten. Und wenn man
dann in der nächsten Pause sieht, was aus dem Samen entsteht, bekommt die Arbeit im Garten eine andere Bedeutung.
Emotionale Bindung ist wichtig. Und ein schönes Gespräch
schafft auch Verbindung.
Politiker haben gemerkt, dass er nicht einfach verschwindet,
also müssen sie damit umgehen lernen. Man kann nicht
sagen, dass sie versuchen, das in ihre Systeme zu integrieren, sondern sie kommen nicht drumherum, dadurch ist es
gewünscht. Aber eigentlich ist es deren Wunsch, so eine
Fläche wie diese zu verkaufen, zu entwickeln … Ob sie sich
da nun Leute ranholen, die diesen Garten anlegen, oder
wenn es eine andere Mode gibt, etwas anderes, das ist
denen nicht so wichtig.
Robert Shaw, Ideengeber und Mitgründer der »Prinzessinnengärten«, setzt sich zu uns.
Svenja: Das Thema »urban gardening« wird oft fehlinterpretiert bis überfrachtet mit Erwartungen, die es gar nicht
erfüllen kann. Von »jetzt machen wir die ganze Stadt grün
und eßbar«, was in Berlin nicht so gut klappt, bis …
Garten und seine Bedeutung haben sich in den letzten
Jahrhunderten immer wieder verändert. Von gut gepflegten aristokratischen Gartenanlagen über Schrebergärten
als Erholungsgebiete bis zu Selbstversorger-Ansprüchen
der Hippie-Kommunen – der Garten hat je nach Kultur
und Zeitepoche unterschiedliche Bedeutungen und Auswirkungen auf Menschen. Wo seht ihr den Ursprung des
in den letzten Jahren in Großstädten vermehrt aufkommenden »urban gardening«? Ist das ein Mode-Phänomen
oder steckt da mehr dahinter?
Robert: So sind Städte entstanden. Menschen hatten eine
Hütte und haben dahinter Selbstversorgung betrieben. Das
gehörte zum Stadtbild. Mit zunehmender Diversifizierung
von den Tätigkeiten in der Stadt ist das aber nicht mehr
notwendig gewesen. Schrebergärten sind aus dem Gedanken der »Volksertüchtigung« entstanden und haben ziemlich
geboomt, wurden bald institutionalisiert und mit einem Bundesschrebergartengesetz versehen. Und so gibt es immer
neue Wellen. Versuche, den Garten auf immer neue Weise
in die Stadt zu integrieren. In den 80er Jahren gab es in
Berlin eine Hofgartenwelle – in Köln vielleicht auch? Die
Bezirke haben das gefördert und den schönsten Hofgarten
prämiert. »Urban gardening« probiert das auf eine andere
Weise. Zumindest, wenn es interkulturelle Gemeinschaftsgärten sind – und das sind die meisten von denen, die seit
2009 entstanden sind. Jetzt ist der wesentliche Unterschied:
Leute teilen sich die Pflege eines Ortes und verbinden das
mit Politischem, mit Gemeinschaft – im Zentrum steht aber
trotzdem der Garten. Das scheint mir das Neue daran zu
sein. Ein Schrebergarten ist kein politisches Ziel, der basiert
im Wesentlichen auf Privatheit. Das gemeinschaftliche
Gärtnern scheint mir ein Versuch zu sein, der seit ein paar
Jahren ganz gut läuft.
Ist die Politik inzwischen darauf eingestellt, dass es
Gemeinschaftsgärten braucht – als Gegenpol zu einer
Stadt, die immer weniger Grünflächen hat? Nutzt sie das?
Robert: In Hellersdorf sind wir ja quasi mit politischem
Auftrag, der Bezirk hat uns gefragt. Das gemeinschaftliche
Gärtnern ist eine Art Trend, der sich durchgesetzt hat, wenn
man nach acht Jahren schon davon sprechen kann. Die
»Wenn Gob Squad ein
Theaterstück macht, das heißt
›Revolution now‹, dann folgt darauf
ja auch keine Revolution.«
Die ist gar nicht so essbar, die Stadt, wie behauptet wird …
Robert: Das ist ja überall so, wenn Gob Squad ein Theaterstück macht, das heißt »Revolution now«, dann folgt darauf
ja auch keine Revolution.
Svenja: Was den Alltag betrifft, werden Gemeinschaftsgärten wiederum auch oft unterschätzt, als kleines niedliches
grünes Hippie-Projekt angesehen – da wird oft nicht gesehen: Wir haben ziemlich viele Arbeitsplätze geschaffen und
60.000 Besucher pro Saison. Solche Sachen werden nicht
wahrgenommen.
Da gibt es auch keinen Dialog mit der Politik?
Robert: Na ja ... Ich weiß noch, der erste echte Kontakt war
2011 in der Stadt Heerlen. Das ist eine alte, kleine Bergbaustadt bei Aachen. Da sollte ich zusammen mit Studio C
die Stadt beraten. Riesige Flächen in der Innenstadt waren
da, die Stadt war leer, weil alle weggezogen waren – und
da wollten sie beraten werden, wie man das mit »urban
gardening« besser machen kann. Sie haben uns in einem
Büro ohne Fenster empfangen, mit einem riesigen Stadtplan.
Sechs Leute in sechs Karohemden mit sechs Brillen fragten
dann: »Jetzt erklärt uns mal, wie man das so macht«. Wir
sagten dann, »Also machen müsst ihr das, wir können ja
nur beraten. Können wir da mal hinfahren?« Der top-down
Herangehensweise, die so große Behörden haben, fehlt der
Alltag. Das verstehen die nicht, müssen sie aber auch nicht.
Nur das Ergebnis zählt. Wenn Leute herkommen und der Ort
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einsvondrei | »Am Anfang sind sie klein und grün.«
belebt wird – was das dann genau ist, das ist der Politik
nicht klar, glaube ich.
Dabei ist es doch eigentlich der Ursprung der Politik,
etwas gemeinsam mit verschiedenen Leuten entstehen
zu lassen.
Robert: Genau, aber der entscheidende Punkt ist, es ist
eben nicht institutionalisiert.
Svenja: Und das verstehen nicht alle. Wir werden ja immer
wieder gefragt von verschiedenen Gruppen, »Wie macht
man das?« Und das ist jedes Mal anders. Bei euch ja auch.
»Der Garten ist politisch, ohne
direkt politisch sein zu müssen.
Einfach dadurch, dass man Dinge
zusammen tut, dass man versucht,
andere Wege zu gehen.«
Ihr seid vor vier Jahren unsere Mentoren gewesen, habt
mit uns die ersten Workshops gemacht zum Thema Ansaat und zum Bau der Hochbeete und mit uns zusammen
das Grundgerüst im Garten aufgebaut. Wir mussten mit
dem CARLsGARTEN aber auch schnell eigene Entscheidungen treffen, da jeder Ort andere Gegebenheiten hat
und somit andere Ansprüche stellt. Wie interpretiert ihr
eure Rolle als »Mentor«?
Robert: Wir haben insgesamt ca. 120 Projekte angestoßen.
Und es gibt zwei verschiedene Arten, wie wir arbeiten. So
wie hier zum Beispiel: Wir bauen am Anfang den Garten mit
auf, dann sind wir aber weg. Und wissen gar nicht, wie der
Alltag aussieht. Bei euch ja auch nicht. Chillen da hauptsächlich die Leute vom Haus? Oder gießen die sogar? Kommt da
der Nachbar? Das wissen wir nicht. Worauf es immer wieder
ankommt, ist am Anfang den Prozess zu etablieren. Man
weiß nicht genau, was passiert, darum kann man keinen Plan
dafür machen – weil man spontan reagieren muss. Und das
innerhalb bestimmter Rahmen ... (Jemand schlägt donnernd
Löcher in eine Metalltonne. Alle drehen sich abrupt um.
Robert kommentiert:) Man kann das Werbetrommel nennen.
Der macht das immer so wild, wenn er so ganz weit ausholt.
Womit wir wieder beim Thema Toleranz wären. Jeder
macht es auf seine eigene Weise …
Robert: Ich weiß noch, da waren wir noch ganz am Anfang,
2008 oder 2009. Es war Wahlkampf und es gab noch kein
Grundstück, nur dieses Konzept und eine Grundstücksuche.
58
Da kam eine E-Mail von einem Sekretär von Müntefering,
der war damals noch SPD-Vorsitzender, er würde gerne
Schirmherr für den Garten werden. Und wir: »Na ja, hilft
uns das jetzt, eine Fläche zu finden für den Garten?«. Die
Antwort: Nein, aber man könne ja damit werben. Ein paar
Jahre später kam Renate Künast mehrmals in den Garten
und wollte Parteiwerbung machen. Also, ich glaube, der
Garten ist politisch, ohne direkt politisch sein zu müssen.
Einfach dadurch, dass man Dinge gemeinsam tut, dass man
versucht, andere Wege zu gehen. Allein, dass man das tut,
dass man Gemeinschaftsbeete definiert, dass man Gemeingüter definiert, damit ist man schon politisch.
Dann fragen wir auch dich zum Schluss noch:
Haben Pflanzen eine Identität?
Robert: Klar! Wenn ich sagen will, wie ich leben möchte,
dann bedeutet das: Wie gehe ich mit anderen um? Und
dazu gehören nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und
Pflanzen. So gehen die dann auch mit mir um – im Sinne
von Ernährung. Viel mehr ist es nicht: Wie gehe ich mit anderen und mit meiner Umwelt um? Und natürlich hat diese
eine Identität. Ich muss sie einfach nur ankucken und mir
ein bisschen Zeit nehmen, dann weiß ich das.
Der CARLsGARTEN befindet sich vor dem Depot, auf dem Carlswerkgelände in Köln-Mülheim. 2013 legte eine Gruppe von
Mitarbeiter*innen der Bühnen Köln unter Anleitung der Prinzessinnengärten die ersten Samen in die Erde der selbstgebauten
Hochbeete. Seitdem hat sich die 2500 qm große Fläche zu einer
grünen Oase entwickelt.
Infos zu aktuellen Aktionen im Garten unter www.carlsgarten.koeln
Die Prinzessinnengärten befinden sich am Moritzplatz in BerlinKreuzberg. 2009 räumten die Gründer Robert Shaw und Marco
Clausen die 6000 qm große Brachfläche mit Hilfe Freiwilliger auf
und begannen, den inzwischen europaweit bekannten Gemeinschaftsgarten anzulegen. Pro Gartensaison kommen ca. 60.000
Besucher*innen. Sie haben bundesweit bisher ca. 120 urbane
Gartenprojekte angestoßen.
Martin Reinke
Birgit Walter
Seán McDonagh
Nicola Gründel
OFFENBACH
PLATZ
Einjährigen Geburtstag feiert die Außenspielstätte am Offenbachplatz mit Beginn der neuen Spielzeit 2017/18. Die vier
Kurator*innen Andrea Imler, Pınar Karabulut, Matthias
Köhler und Charlotte Sprenger, die nun in Zukunft als freie
Theaterregisseur*innen arbeiten werden, hatten die Spielstätte mit der Eröffnung im vergangenen Jahr auf den
Namen BRITNEY getauft. Mit großer Verve und Energie
haben sie gemeinsam ein spektakuläres Programm gestaltet und in der Spielstätte eine einzigartige Atmosphäre geschaffen. Das möchten wir in dieser Spielzeit fortführen. Uraufführungen, deutsche Erstaufführungen, Gastspiele, Vernetzungen und Kooperationen mit Künstler*innen
aus Köln und Umgebung, Ausstellungen, Konzerte und
Gespräche bestimmen weiterhin das Programm. Damit bleibt die Außenspielstätte BRITNEY, eine Bastion
für innovative Produktionen am Offenbachplatz.
63
Spielstätten
depot
Depot 1, Depot 2, Grotte und CARLsGARTEN im Carlswerk in
Köln-Mülheim | Schanzenstraße 6-20 | 51063 Köln-Mülheim
OFFENBACHPLATZ
Außenspielstätte am Offenbachplatz | 50677 Köln
Kartenservice in den
Opernpassagen
PREISE
Kooperationspartner
Depot 1:Je nach Preis- und Platzgruppe kostet eine Karte
zwischen 10 und 39 Euro.
Depot 2: 17 Euro | 22 Euro (Premierenpreis)
Grotte: 5 Euro
Außenspielstätte am Offenbachplatz: 17 Euro | 22 Euro
Schüler und Studenten zahlen im Vorverkauf 50% des regulären Kartenpreises oder an der Abendkasse nur 7 Euro. Dies
gilt auf allen Plätzen in allen Spielstätten (außer Gastspiele
und Sonderveranstaltungen).
KARTEN
Den Karten- und Aboservice finden Sie in den Opernpassagen zwischen Breite Straße und Glockengasse.
Öffnungszeiten Theaterkasse
Mo bis Fr von 10 bis 18 Uhr, Sa von 11 bis 18 Uhr
Tickets gibt es außerdem unter www.schauspiel.koeln,
über die Tickethotline 0221-221 28400 oder per Mail an
[email protected]
Kulturpartner
Das Schauspiel Köln wird gefördert von
ABO-SERVICE
Ihre persönliche Aboberaterin Frau Susanne Müller erreichen
Sie unter [email protected] oder unter der
Abo-Hotline 0221-221 28240. Ausführliche Informationen zu
unseren Abonnements finden Sie unter www.schauspiel.koeln
Einzelne Produktionen und Projekte werden gefördert von
IMPRESSUM
Herausgeber Schauspiel Köln / Intendant Stefan Bachmann
Geschäftsführender Direktor Patrick Wasserbauer /
Redak­tion Intendanz · Dramaturgie · Öffentlichkeitsarbeit
und Künstlerisches Betriebsbüro / Konzept, Satz und Gestaltung ambestengestern.com / Druck Köllen Druck und Verlag GmbH / Auflage 40.000 / Redaktionsschluss 08.05.2017
Änderungen vorbehalten.
64
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bühnen Köln finden Sie unter
www.schauspiel.koeln im Menüpunkt »Karten«. Die angegebenen Preise
verstehen sich zzgl. 10 % Vorverkaufsgebühr.
Tanz Am
Schauspiel köln!
Robyn Orlin | And so you see…our
honorable blue sky and ever enduring
sun…can only be consumed slice by slice…
28 . | 29. September 2017 | Depot 2
ultima Vez | In spite of Wishing and
Wanting | Wim Vandekeybus
19. | 20. oktober 2017 | Depot 1
Gauthier Dance I Mega Israel I Sharon
Eyal & Gai Behar, Hofesh Shechter, Ohad
Naharin
08. | 09. dezember 2017 | Depot 1
Sasha Waltz & Guest I Sasha Waltz I Allee
der Kosmonauten
06. | 07. januar 2018 | Depot 1
Richard Siegal / Ballets of Difference I
Triple Bill (AT) Richard Siegal
22. | 23. | 24. februar 2018 | Depot 1
Michael Keegan Dolan I Swan Lake / Loch
na hEALA
10. | 11. | april 2018 | Depot 1
Rosas I A love supreme I Anna Teresa De
Keersmaeker, Salva Sanchis
Foto Nadir Bonazzi
11. | 12. | 13. | mai 2018 | Depot 2
Eastman I Apocrifu I Sidi Larbi Cherkaoui
20. | 21. juni 2018 | Depot 1
Genauere Informationen finden Sie Anfang Juli in der neuen Tanzbroschüre oder unter www.schauspiel.koeln
www.schauspiel.koeln
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