Selbstverständnispapier der AG

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BBE-Arbeitsgruppe Freiwilligendienste
Selbstverständnis der
BBE - AG Freiwilligendienste:
Freiwilligendienste – eine besondere Form von Bildung
und bürgerschaftlichem Engagement
Vorbemerkung
Die AG Freiwilligendienste befasst sich im Wesentlichen mit Freiwilligendiensten, für die es
einen rechtlichen Rahmen gibt: FSJ, FÖJ, ‚Kulturweit’, IJFD‚ Weltwärts’, EFD und BFD. Die hier
aufgelisteten Kriterien für gelungene Freiwilligendienste als besondere Form von Bildung
und bürgerschaftlichem Engagement umfassen auch solche jenseits der gesetzlichen Vorgaben. Das Papier will Antwort auf folgende Fragen geben:
-
Was Freiwilligendienste als bürgerschaftliches Engagement und Bildungsdienst auszeichnet und worin ihre Besonderheit besteht
-
Welche strukturellen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit die o.g. Qualitäten realisiert werden können.
-
Wie die Freiwilligendienste weiterentwickelt und die strukturellen Voraussetzungen
sichergestellt werden sollen.
Ad 1
Was Freiwilligendienste (FWD) als besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements (BE) und als Bildungsmaßnahme auszeichnet.
a) Freiwilligendienste sind bürgerschaftliches Engagement
Die Enquete-Kommission des Bundestags hat 2002 bürgerschaftliches Engagement gekennzeichnet als: „freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn gerichtet, gemeinwohlorientiert, öffentlich bzw. findet im öffentlichen Raum statt und wird in der Regel gemeinschaftlich/kooperativ ausgeübt. … Es schafft Sozialkapital und gesellschaftlichen Zusammenhalt,
ermöglicht Teilhabe und trägt gesellschaftliche Selbstorganisation.
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Schließlich verfügt bürgerschaftliches Engagement über ein Kritik- und Innovationspotential
aus Laienkompetenz und Mitgestaltungsanspruch. Es stößt Lernprozesse in einer Bürgergesellschaft an und befindet sich selbst in ständigem Wandel.“1
Mit ihrem Engagement übernehmen Teilnehmende der FWD gesellschaftliche Verantwortung, erbringen einen Beitrag für ein lebendiges Gemeinwesen und verstärken die aktive
Demokratie. Sie engagieren sich in nahezu allen Lebensbereichen der Gesellschaft: in sozialen Einrichtungen, in Bildungs- und Kultureinrichtungen, im Sport, bei ökologischen Initiativen, bei der Freizeit- und Alltagsgestaltung, in Nachbarschaftshilfen für unterschiedliche Altersgruppen und individuelle Unterstützungsbedarfe, z.B. von Geflüchteten.
Gleichzeitig haben FWD eine große Bedeutung für die persönliche Entwicklung der Freiwilligen und ihre individuellen Kompetenzen, weil sie in Lebens- und Erfahrungsräumen stattfinden und informelles, formales und non-formales Lernen ermöglichen. Im Kontext gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse mit ihren Herausforderungen an gelingende Gestaltung von Biographien sind sie als Angebote zur biographischen und beruflichen Orientierung
sowie der politischen Bildung bedeutsam im Kontext lebensbegleitenden Lernens. Sie tragen
bei zur Weiterentwicklung und zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen und sozialen Kompetenzen, die auch im Erwerbsleben wichtig sind. Sie sind für die Teilnehmenden Orte sozialer Anerkennung.
Ein für BE wie die FWD wesentliches Merkmal ist die Freiwilligkeit: die Teilnehmenden engagieren sich aus freien Stücken und ohne Erwerbseinkommensabsicht. Sie finden deshalb in
Zusammenhängen und als Tätigkeiten statt, die keine Erwerbsarbeitsplätze sind oder ersetzen sollen.
b) Freiwilligendienste sind eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements
und der Bildung
Von anderen Formen des BE unterscheiden sich FWD durch eine vertragliche Grundlage,
pädagogische Begleitung, verpflichtende Bildungstage, zeitliche Befristung, Voll- oder Teilzeittätigkeit.
Als besondere Form des BE garantieren sie für eine festgelegte Zeit verlässliches und zeitlich
intensives Engagement. Damit sind sie zugleich ein Lerndienst für Engagement in der Bürgergesellschaft und sensibilisieren für gesellschaftliche Verantwortung.
Teilnehmende der FWD haben durch ihre Tätigkeit in den Einsatzstellen intensive Chancen
für die Entwicklung neuer Sinndimensionen, für die Stärkung vorhandener und die Entwicklung neuer Kompetenzen und für die Einbindung in soziale Zusammenhänge.
1
Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“, Opladen 2002, S. 86 f.
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Darüber hinaus helfen diese Tätigkeiten den Freiwilligen Brücken zu neuen Lebensphasen zu
schlagen. Ein Freiwilligendienst ist ein Bildungsprozess im Sinne des lebensbegleitenden Lernens. Die pädagogische Begleitung zeichnet die FWD als eine besondere Form des BE aus.
Die jeweiligen Vertragspartner begleiten die Freiwilligen durch Beratung (auch schon vor
Beginn des FWD), durch obligatorische, von den Freiwilligen aktiv mitgestaltete Seminare
und als Ansprechpartner für individuelle Fragen. Sie ermöglichen es, die praktischen Erfahrungen in den Zusammenhang mit dem Gemeinwohl zu stellen, soziale, politische und interkulturelle Erfahrungen sichtbar zu machen und ein Bewusstsein für die Mitverantwortlichkeit zu etablieren. FWD ermöglichen - gemäß des Anspruchs „eine besondere BE - Form zu
sein“ - eine spezifische Bildungserfahrung, die insbesondere durch die unmittelbare
„Echtheitserfahrung im Ernstfall“ der praktischen Tätigkeit und deren Reflektion erfolgt, unterstützt durch die pädagogische Begleitung.
Die spezifische Kombination der praktischen Tätigkeit in den Einsatzstellen mit den begleitenden Bildungsangeboten ermöglichen die Entwicklung und Stärkung eines nachhaltigen
Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl. Für die FWD als besonderer Form des BE
ist die Garantie der Freiwilligkeit von zentraler Bedeutung.
Ad 2
Wesentliche Merkmale für die Realisierung der Freiwilligendienste als eine besondere Form von Bildung und bürgerschaftlichem Engagement
a) Wesentliche Merkmale bezogen auf die Freiwilligen im Inland:
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Sie engagieren sich freiwillig und ohne Arbeitsentgelt in einem besonders intensiven
aber befristeten Umfang und haben Anspruch auf pädagogische Begleitung.
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Sie verpflichten sich i. d. R. für 12 zusammenhängende Monate (max. 18, in Ausnahmefällen bis 24 Monate) in Vollzeit (U 27) bzw. mehr als 20 Wochenstunden (Ü27).
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Sie sind an der Mitgestaltung ihrer gemeinwohlorientierten, zusätzlichen Tätigkeit
und der Bildungsmaßnahmen beteiligt.
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Ihre Tätigkeit muss arbeitsmarktneutral und darf kein Ersatz für Defizite bei gesetzlich geregelten Leistungen sein.
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Bei Modellprojekten zur Inklusion von bestimmten Zielgruppen kann es Abweichungen von diesen Standards entsprechend den jeweiligen Erfordernissen geben.
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b) Wesentliche Merkmale bezogen auf die Träger / Zentralstellen:
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Sie gewinnen Freiwillige, auch in neuen, bisher nicht erreichten Zielgruppen und beraten Interessierte.
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Sie wählen geeignete Einsatzstellen aus, konzipieren neue Einsatzplätze und beraten
und unterstützen die Einsatzstellen.
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Sie stellen sicher, dass dem FWD eine schriftliche Vereinbarung zu Grunde liegt.
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Sie vermitteln bei Konflikten zwischen Freiwilligen und Einsatzstellen.
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Sie setzen Mindeststandards, kontrollieren deren Einhaltung, sichern und entwickeln
die Qualität der Freiwilligendienste.
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Sie gewährleisten die Arbeitsmarktneutralität in den Einsatzstellen.
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Sie tragen auf der Grundlage eines pädagogischen Konzepts Sorge für Begleitung sowie Bildungsangebote und ermöglichen Reflexionen und Erfahrungsaustausch.
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Sie sorgen für die Anerkennung der Leistungen der Freiwilligen durch angemessene
Maßnahmen und stellen Bescheinigungen über den Freiwilligendienst aus.
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Sie sind in öffentlicher oder freier Trägerschaft und durch eindeutige Rechts- und Organisationsformen gekennzeichnet.
c) Wesentliche Merkmale bezogen auf die Einsatzstellen:
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Die den Freiwilligen angebotenen Tätigkeiten sind in einem Aufgabenprofil beschrieben und als ergänzende und arbeitsmarktneutrale Aufgaben innerhalb des von der
Einrichtung wahrgenommenen Aufgabenspektrums gekennzeichnet.
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Die Einsatzstellen sind am Gemeinwohl orientiert.
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Sie ermöglichen den Freiwilligen eine Tätigkeit, die ihren Fähigkeiten und ihrer Persönlichkeit angemessen ist.
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Sie ermöglichen den Freiwilligen Gestaltungsbeteiligung und fördern ihre Kreativität.
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Die Freiwilligen werden in den Einsatzstellen durch AnleiterInnen begleitet. Diese
können durch MentorInnen ergänzt werden.
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Sie unterstützen die Träger auf Basis gesetzlicher Regelungen bei der Umsetzung ihres Bildungskonzeptes.
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Sie unterstützen die Träger/Zentralstellen bei der kontinuierlichen qualitativen Weiterentwicklung und ggf. „Evaluation“ der Freiwilligendienste.
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d) Wesentliche Merkmale von
weltwärts, privatrechtliche):
Freiwilligendiensten im Ausland (ADiA, efd, IJFD,
-
Freiwilligendienste im Ausland sind durch Richtlinien und nicht gesetzlich geregelt.
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Teilnehmende an den Freiwilligendiensten IJGD und Weltwärts sind während ihrer
Tätigkeit im Rahmen ihres Freiwilligendienst im Ausland wie Beschäftigte in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert. Geld und Sachleistungen können abhängig vom zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger - der Beitragspflicht in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen.
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Freiwilligendienste im Ausland sind grundsätzlich nicht sozialversicherungspflichtig.
Die Freiwilligen sind durch Gruppenverträge gegen die Risiken von Krankheit, Unfall,
Haftung und (bei efd, IJFD und weltwärts) Berufsunfähigkeit abgesichert.
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Teile der Aufgaben der Träger werden von den Partnerorganisationen im Gastland
übernommen.
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Das hier nicht erwähnte FSJ im Ausland genügt den Regeln der Inlandsdienste.
e) Wesentliche Merkmale bezogen auf die Freiwilligen aus dem Ausland (Incoming)
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Freiwillige aus dem Ausland werden im Rahmen von BFD, efd, FSJ und privatrechtlich
geregelten Diensten aufgenommen. Strukturelle Voraussetzungen entsprechen den
jeweiligen Programmen.
Ad 3
Dauerhafte Förderung von Freiwilligendiensten
Die Nachfrage nach Freiwilligendiensten ist in den letzten Jahren stark angewachsen und
nach wie vor hoch, sowohl bei den Freiwilligen als auch bei den Einrichtungen, in denen sie
tätig sind. Um möglichst Vielen die Chance für einen Freiwilligendienst zu eröffnen und die
vorhandene Bereitschaft aller Generationen für unterschiedliche Bereiche zu mobilisieren,
hat in den letzten Jahren ein Ausbau und eine Weiterentwicklung unterschiedlicher Freiwilligendienste stattgefunden. Für einen an den gesellschaftlichen Bedarfen und an den Bedarfen vor allem der jungen Freiwilligen orientierten weiteren Ausbau von Freiwilligendiensten
ist eine strukturierte und den jeweiligen Gruppen und Tätigkeitsbereichen gerecht werdende
Förderung erforderlich.
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Eine öffentliche Förderung muss die Freiwilligen wie auch verlässliche Strukturen für Freiwilligendienste im Blick haben. Notwendig ist eine auf Jahre hinaus sichere Perspektive für den
Aufbau und die Absicherung von Freiwilligendiensten.
Bestandteil einer solchen Förderung sind einerseits Rahmenbedingungen in Form von rechtlichen Regelungen bezüglich der Standards von Freiwilligendiensten und ihren sozial-, versicherungs- und steuerrechtlichen Bedingungen. Freiwilligendienste müssen auch für solche
Personen zugänglich sein, die nicht über hinreichende finanzielle Absicherungen verfügen.
Beim FSJ und FÖJ gibt es bereits Förderstrukturen, allerdings weder in der Höhe der Zuwendungen pro Jugendlichen für die Bildungsarbeit noch die Anzahl der Jugendlichen betreffend
ausreichend. Sie liegen nach wie vor deutlich unter der finanziellen Förderung des BFD. Noch
keine Förderung erfolgt für den Bereich der Gewinnung und Beratung von Interessierten an
FWD sowie für die Ausgestaltung einer Ehemaligenarbeit, zur Sicherung eines nachhaltigen
Engagements.
Die derzeitige steuerrechtliche Behandlung der Freiwilligendienste bzw. der Träger der Freiwilligendienste als Arbeitnehmergestellung oder –überlassung steht einer Weiterentwicklung und ihrem gewünschten Ausbau im Wege. Sie orientiert sich nicht an der Handlungslogik der Freiwilligkeit, sondern an der des Marktes, wenn sie die Organisation der Freiwilligendienste als Leistungsverhältnis betrachtet und der Umsatzsteuer unterwirft. Dies muss
dringend revidiert werden. Freiwilligendienste müssen umsatzsteuerfrei sein.
Jugendfreiwilligendienste sind optimale Eingangstore für die Übernahme von Verantwortung
in der Gesellschaft und deshalb für die Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft besonders
wertvoll. Obwohl die Anzahl von Jugendlichen in Freiwilligendiensten um ein Vielfaches höher ist als die anderer Altersgruppen, sollte erheblich mehr Jugendlichen die Chance für einen Freiwilligendienst gegeben werden als bisher.
Berlin, 1. März 2017
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