Hase und Igel auf hoher See - FM DAS LOGISTIK

Werbung
INTEGRIERTE LOGISTIK
EXKLUSIV IN
LOGISTIKSYSTEME
FM
DAS LOGISTIK-MAGAZIN
Logistische Prozesse auf einem Kreuzfahrtschiff
Hase und Igel auf hoher See
Die Logistik für ein Kreuzfahrtschiff ist kein Kinderspiel
– schließlich darf es vor allem
den Gästen an Bord an nichts
fehlen. Eine herausfordernde
Aufgabe, da der nächste Ladehafen oft Hunderte von Seemeilen und damit mehrere Tagesreisen entfernt liegt.
mus eingeplant werden müssen.
Haslingers größtes Handicap bei
der Erfüllung dieser kniffligen
Aufgabe an Bord liegt darin, dass
gerade bei transkontinentalen
Fahrten der Nachschub einige Wochen im Voraus bestellt werden
muss.
Nötig ist dieser Vorlauf vor allem,
um die zentral aus Hamburg angelieferten Waren per Container
Wenn sich ‚Mein Schiff 2‘ mit
pünktlich am Ladehafen bereitrund 1 900 Passagieren und 780
stellen zu können. Nur in AusnahCrewmitgliedern auf Kreuzfahrt
mefällen werden die Vorräte wähbegibt, erfordert dies minutiöse
rend eines Zwischenstopps des
Planung und fein abgestimmte lo- Peter Haslinger als ‚Provision Master‘ des Kreuzfahrtschiffs
Kreuzfahrtschiffs ergänzt. Ein wegistische Prozesse. „Wir können ‚Mein Schiff 2‘ im Kühllager mit einem spanischen Schinken
nig wie die Geschichte von Hase
nicht wie ein Hotel einfach etwas
und Igel mutet es an, wenn die
beim Großhändler nachbestellen, wenn wir Zahnstocher bis hin zu großen Maschinentei- Neubestellung für die übernächste Nachgerade den Atlantik überqueren“, sagt ‚Provi- len für die Instandhaltung. Sein Aufgabenge- schublieferung bereits herausgehen muss,
sion Master‘ Peter Haslinger (36). Ein ‚Pro- biet umfasst, zusätzlich zur Bestandssiche- noch bevor das nächste Laden durchgeführt
vision Master‘ ist auf Kreuzfahrtschiffen vor rung mit Einkauf und Lagerung, vor allem wurde. Und tatsächlich gehört wie in besagallem für die warenwirtschaftlichen Prozesse auch das Inventurwesen: Neben den wö- tem Märchen durchaus oft etwas Improvisiesowie für die Bestellungen verantwortlich.
chentlichen Zählungen in Spezialbereichen ren und Tricksen dazu, um diesen DisponieDer Österreicher hat seine Schiffskarriere im wie Bars und Restaurants finden monatlich rungsrückstand immer wieder wettzumaJahr 2000 auf der MS Deutschland begonnen. auch Inventuren in den Provianträumen statt; chen. „Erfahrungswerte sind und bleiben hier
Heute verantwortet er an Bord des zu TUI diese dauern bis zu drei Tage lang.
das A und O, auch wenn wir mit moderner ITCruises gehörenden, 13 Decks und damit zur Die ‚Mein Schiff 2‘ ist grundsätzlich auf bis Infrastruktur zur Abbildung der KernprozesKategorie mittlerer Größe zählenden Kreuz- zu 17 bis 20 Tage lange Reisen ohne Nachla- se ausgestattet sind“, sagt Haslinger.
fahrtschiffs alle warenwirtschaftlichen Vor- den ausgelegt. Die All-Inklusive-Offerte für Gesteuert wird die Logistik für das Kreuzgänge für Food & Beverage sowie Non-Food- die Gäste gebietet eine Komplettversorgung, fahrtschiff maßgeblich durch das WarenwirtArtikel von der kleinen Schraube über den sodass Ladehäfen im vierzehntägigen Rhyth- schaftssystem (WWS) Micros Fidelio. Es ist
Warennachschub in Cadiz: Die ersten Lkws mit Nachschub
stehen am Kai bereit und werden per Stapler entladen
60 FM
DAS LOGISTIK-MAGAZIN 7-8/2014
Zu den Aufgaben eines ‚Provision Masters‘ gehört auch die
Prüfung der angelieferten Waren auf deren Qualität
INTEGRIERTE LOGISTIK
LOGISTIKSYSTEME
Dreh- und Angelpunkt für alle
Eher ‚First out then in‘ heißt es am
Kernprozesse rund um BestandsLadehafen mit geöffneter Ladeluführung, Lieferantenmanagement,
ke, wo im Idealfall am Kai die PaBeschaffung und Einkauf; auch
letten mit Neuwaren aus Hamburg
die vierzehntägigen Inventuren
warten. Bevor diese mit dem Gawerden über das WWS abgebildet,
belstapler über die Rampe ins
auf das sowohl Anwender an Bord,
Schiff gehen können, müssen die
als auch an Land Zugriff haben.
im Ladebereich wartenden PaletUm die 14 000 bereichsübergreiten mit dem Restmüll von Bord. In
fende Artikelnummern kennt die
der Zwischenzeit erfolgt anhand
Warenwirtschaft von ‚Mein Schiff
der Versandlisten die eingehende
2‘ und umfasst dabei Lebensmittel
Wareneingangskontrolle, zu der
und Getränke genauso, wie beineben quantitativen und qualitatispielsweise Geschirr, Papierwaren
ven Prüfungen regelmäßige Sioder unterschiedlichste Ersatzteicherheitsüberprüfungen gehören:
le. Bei jedem der vierzehntägigen Getränkelager an Bord von ‚Mein Schiff 2‘. Neben Bieren und Sprengstoffe und Drogen sind geLoadings kommen etwa 7 000 Ar- Erfrischungsgetränken fehlen auch erlesene Weine nicht
nau das, was man sich auf keinen
tikel mit einem Gewicht von 250 t
Fall einverleiben möchte.
an Bord. Voll beladen befinden sich dann Die verschiedenen Bereiche, vor allem die Dass beim Be- und Entladen jede Minute
rund 12 000 Artikel im Lagerbereich mit ei- acht Restaurants nebst acht Bars und Loun- zählt, liegt an den zu bewegenden großen
nem Artikelwert von einer bis anderthalb ges, melden ihre benötigten Entnahmen in Mengen angesichts nur kurzer Liegezeiten.
Millionen Euro. Der mittschiffs auf unteren der Regel schon am Vortag an. Daraufhin Wenn zudem wie in Cadiz starke Gezeiten
Decks gelegene Lagerbereich unterscheidet werden die Bestellungen vom insgesamt herrschen und nur mit der Flut ein ebener Zusich mit seinen Tiefkühl- (nebst Räumen für zehn Mitarbeiter zählenden Team des ‚Provi- gang zur Ladefläche besteht, ist buchstäblich
das Auftauen der durchweg tiefgekühlten sion Masters‘ im funktional unterteilten La- sogar jede Sekunde wertvoll. Kaum an Bord,
Fleisch- und Fischwaren), Frische- und Tro- gerbereich kommissioniert, zur Abholung be- werden die frischen Waren dann über zwei
ckenlägern von denen an Land lediglich reitgestellt und ausgebucht. Nach dem Fifo- Lastenaufzüge auf das tieferliegende Deck
durch besondere Befestigungen mit Metall- Prinzip (first in – first out) entnehmen diese zur weiteren Verteilung in die Lagerräume
bändern und Seilsicherungen, um bei schwe- für die Logistik zuständigen Crew-Mitglieder transportiert. Geschafft, wenn auch frei nach
rer See die Regale gefüllt zu halten; außer- die zuerst eingelagerten Artikel auch wieder Sepp Herberger gilt: Nach dem Laden ist vor
dem darf zu Zwecken der Feuerbekämpfung zuerst. Gedruckte Listen und fleißige Hände dem Laden.
nicht bis an die Decke gestapelt werden.
sind dabei die wesentlichen Hilfsmittel.
Andreas Becker, Rodalben/Pfalz
Peter Haslinger, Provision Manager auf der ‚Mein Schiff 2‘
50 000 Eier für vierzehn Tage Kreuzfahrt
FM: Was macht Ihre Aufgabe denn so herausfordernd und spannend zugleich?
Haslinger: Wir müssen bei der Bestellung
bereits vorhersehen, was acht Wochen später
tatsächlich benötigt wird. Im Rahmen unseres Premium-Alles-Inklusive-Konzepts von
TUI Cruises darf es den Gästen an nichts fehlen. Wir können natürlich auf Erfahrungswerte zurückgreifen und der gesunde Menschenverstand hilft uns. Beispielsweise ist
bereits im Februar daran zu denken, dass im
April wieder kältere Regionen angefahren
werden – und dass 350 Jacken für das Deckpersonal im Außenservice benötigt werden.
FM: Wovon verbrauchen Sie denn am
meisten, wovon am wenigsten?
Haslinger: Lassen Sie mich ein paar Zahlen
aus dem Food-Bereich nennen: Auf einer
vierzehntägigen Reise, wie der ‚Transatlantik Ost‘, benötigen wir etwa 48 Tonnen Obst
und Gemüse sowie 50 000 Eier. Unser Chefkoch verbraucht täglich um die 120 Kilogramm Hühnchenbrust, 350 Kilogramm
Mehl, 20 Liter Wein nur für Soßen, 75 Kilogramm Zucker und 120 Kilogramm Butter.
Andererseits haben wir sehr teure Weine und
Spirituosen an Bord, wie den Remy Martin
Louis XIII Cognac, von dem alle Monate
nur ein Glas benötigt wird – dabei sein müssen diese erlesenen Tropfen dennoch.
FM: Welche Probleme kann es denn mit
dem Nachschaub geben?
Haslinger: Wir dürfen zu keiner Zeit die interne Lieferfähigkeit verlieren. Das ist nicht
immer einfach, wenn beispielsweise, wie
schon geschehen, ein kompletter Container
mit 40 Tonnen Spirituosen nicht rechtzeitig
am Ladehafen steht. Dann ist Improvisation
und das Nachkaufen vor Ort angesagt. Notfalls fahren wir von Tankstelle zu Tankstelle, um Corona zu besorgen. Wir haben auch
schon angeliefertes Fleisch wegen schlechter Qualität nicht an Bord genommen oder
450 Kilogramm schlecht gewordene Paprika
am Kai abgewiesen. Lücken dieser Art können aber in der Regel vom Chefkoch flexibel aufgefangen werden, das geht im Housekeeping und an der Rezeption natürlich
nicht. Insofern ist der Chefkoch der beste
Freund des ‚Provision Masters‘. Denn wenn
zu viel kalkuliert wurde, muss der ‚Chef de
Cuisine‘ zusehen, dass er die Bestände sinnvoll nutzt. Wurde hingegen zu wenig geordert, muss er auch mit fehlenden Zutaten etwas Schmackhaftes zaubern.
7-8/2014
FM
DAS LOGISTIK-MAGAZIN 61
Herunterladen