Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel Fachbereich Elektrotechnik Prof. Dr.-Ing. M. Hampe, Dipl.-Ing. T. Müller, Dipl.-Ing. G. Hiller EMV-Praktikum Störfestigkeit bei impulsförmigen Störgrößen Gruppe:_________ Versuchstag:__________ Teilnehmer:___________________________ ___________________________ ___________________________ Vortestat:____________________________ Testat: ____________________________ SS 2010 -2- 1 Einführung Neben der Einhaltung von gesetzlichen Grenzwerten zur Störemission müssen elektrische Geräte heutzutage bestimmte Anforderungen der Störfestigkeit erfüllen, die sich sowohl auf eingekoppelte leitungsgebundene Störungen als auch auf die Einstrahlung von elektromagnetischen Störfeldern beziehen. Eine Geräteprüfung berücksichtigt im wesentlichen folgende Problembereiche: - Netzoberschwingungen, - Spannungsunterbrechung, - transiente Störgrößen (EFT=electrical fast transients bzw. „Burst“), - elektrostatische Entladung (ESD=electrostatic discharge), - Blitzentladung („Surge“), - niederfrequente Magnetfelder, - hochfrequente elektromagnetische Felder. Im Rahmen der hier durchzuführenden Versuche werden die folgenden Bereiche näher betrachtet. 1. Prüfung mit schnellen Transienten (Burst), 2. Prüfung mit elektrostatischen Entladungen (ESD), 3. Prüfung mit Blitzstoßspannungen (Surge). EN 50082-1: 1992 EN 61000-4-2: 1995 EN 61000-4-4: 1995 EN 61000-4-5: 1996 VDE 0839 Teil 82-1 VDE 0847 Teil 4-2 VDE 0847 Teil 4-4 VDE 0847 Teil 4-5 Fachgrundnorm Störfestigkeit Teil 1: Wohnbereich, Geschäfts- und Gewerbebereiche Prüfung der Störfestigkeit gegen die Entladung statischer Elektrizität Prüfung der Störfestigkeit gegen schnelle transiente Störgrößen / Burst Prüfung der Störfestigkeit gegen Stoßspannungen Tab. 1: Geltende EMV-Normen. Da bei diesen Prüfungen und Messungen zum Teil mit sehr hohen Spannungen gearbeitet werden muss, ist besondere Vorsicht bei der Versuchsdurchführung erforderlich. Personen mit Herzschrittmachern sollten ausreichende Abstände einhalten. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass bei Entladungen mit sehr hohen Spannungen (im kV-Bereich) spürbare Mengen an Ozon entstehen, die zur Reizung der Atemwege führen können. -3- 2 Breitbandige energiearme Schaltspannungsstörungen (Burst) 2.1 Versuchsaufbau und Einsatzbedingungen Für die Simulation energiearmer Störimpulspakete, die beim Abschalten von Relais bzw. Schützspulen auftreten, wurde der Störgrößenverlauf in der VDE 0843 genormt (siehe Bild 1). Bild 1: Burst-Signale; links: Einzelimpuls 5/50 ns, rechts: Störimpulspakete. Der Einzelimpuls mit den Zeitparametern Anstiegszeit TA=5 ns ± 30 % und Rückenhalbwertszeit TR=50 ns ± 30 % besitzt den gleichen Verlauf wie die klassische Blitzstossspannung der Hochspannungsprüftechnik. Die Pakete sind durch Burstamplitude, Burstperiode und Burstlänge definiert. Sie werden mit der Schaltung nach Bild 2 erzeugt. Bild 2: Prinzipschaltbild eines Burst-Simulators. In der Schaltung bestimmt der Schalter S1 die Paketbreite und die Paketperiode und der Schalter S2 die Einzelimpulserzeugung und die Einzelimpulsperiode. Wird diese Schaltung in Verbindung mit dem 230 V-Netz verwendet, muss eine Koppeleinrich- -4tung, bestehend aus Koppelkondensator (10 µF bis 35 µF) und Entkopplungsdrossel, verwendet werden. Die Prüfung mit schnellen transienten Störgrößen ist eine Prüfung mit Impulsgruppen (Bursts). Dabei werden die von einem Burst-Generator erzeugten Impulse zunächst direkt in die Stromversorgung und anschließend kapazitiv in die Signalleitungen des Betriebsmittels eingekoppelt. Die Prüfung soll die Störfestigkeit der Geräte gegenüber elektromagnetischen Störungen für den Fall aufzeigen, dass sie vorübergehenden Störgrößen ausgesetzt sind, die von Schaltvorgängen herrühren (Unterbrechung induktiver Lasten, Prellen von Relaiskontakten usw.). Die Prüfung erfolgt nach sogenannten Prüfschärfegraden. Diese müssen Bedingungen entsprechen, die weitestgehend mit den tatsächlichen Installations- und Umgebungsbedingungen übereinstimmen. Der maximal anzuwendende Prüfschärfegrad entspricht einer zu wählenden Umgebungsklasse. 2.2 Versuchsdurchführung Zur normgerechten Prüfung eines PC mit Peripherie sind folgende Parameter am Burst-Generator einzustellen: Burstdauer: 15 ms, Spikefrequenz: 5 kHz. Die Prüfzeit je Einzeltest muss mindestens 60 Sekunden betragen. Die Prüfung des Rechnersystems erfolgt in drei ausgewählten Betriebszuständen: • Rechner bootet, • Rechner hochgefahren, Betriebssystem geladen, • Dokument drucken. Dabei werden die EFT/B des Burstgenerators zum einen direkt über die Netzzuleitung und zum anderen kapazitiv über eine Koppelzange auf signalführende Leitungen des Prüflings eingekoppelt (serielle bzw. parallele Schnittstelle, VGA-Kabel, Maus und Tastatur). -5- 3 Elektrostatische Entladung 3.1 Versuchsaufbau und Einsatzbedingungen Um elektrostatische Entladungen zu simulieren, wird meist ein Hochspannungskondensator oder eine Gleichhochspannungsquelle mit einem definierten Entladewiderstand und einer Entladeelektrode verwendet. Bild 3: Simulator für elektrostatische Entladungen (Luftentladung) Bei dieser Schaltung wird der von der Spannungsquelle aufgeladene Kondensator CS über den Widerstand RS und die Entladeelektrode EE auf das Prüfobjekt entladen. Dazu wird die Elektrode aus größerer Entfernung heran geführt, bis die Durchschlagsspannung erreicht ist. Für die Simulation von Körperentladungen sollte der Widerstand RS kleiner als 1 kΩ sein, bei Kleinmöbeln sollte er im Bereich zwischen 10 Ω und 50 Ω liegen. Da der Entladungsfunke jedoch nicht immer den gleichen zeitlichen Verlauf hat, verwendet man den ESD-Simulator mit einem Hochspannungsrelais. Bei diesem Schaltungsaufbau wird die Entladeelektrode direkt mit dem Prüfobjekt verbunden und die Entladespannung mit dem Hochspannungsrelais eingeschaltet. Durch die Kontaktierung der Elektrode mit dem Prüfobjekt ergibt sich eine Strominjektion, deren erste Entladungsstromspitze in Bild 4 dargestellt ist. Die Erzeugung von elektrostatischen Ladungen wird besonders durch die Kombination von synthetischen Fasern und trockener Luft gefördert. In Abhängigkeit der Umgebungsbedingungen können die Betriebsmittel dabei Entladungen von mehreren Kilovolt Spannungshöhe ausgesetzt sein. Die Prüfung umfasst die direkte Entladung auf das betreffende Betriebsmittel in Form der Kontakt- bzw. Luftentladung. -6- Bild 4: Typische Kurvenform des Ausgangsstroms eines ESD-Generators. Die Kontaktentladung ist gegenüber der Luftentladung das bevorzugte Prüfverfahren, da bei dieser Methode der erzeugte ESD-Impuls dem natürlichen ESD-Phänomen weitestgehend entspricht und damit höhere Anforderungen an die Störfestigkeit des Prüflings gestellt werden. Luftentladungen werden dort angewendet, wo die Kontaktentladung nicht möglich ist. Anschließend erfolgen indirekte Entladungen auf eine horizontale- bzw. vertikale Koppelplatte, die das Betriebsverhalten des Prüflings ermittelt, wenn eine Entladung auf benachbarte Geräte bzw. Gegenstände in der Nähe erfolgt. Die Auswahl der Prüfschärfegrade erfolgt in Übereinstimmung mit den Umgebungsund Installationsbedingungen. 3.2 Versuchsdurchführung Die Prüfung des Rechnersystems erfolgt in drei ausgewählten Betriebszuständen: • Rechner bootet, • Rechner hochgefahren, Betriebssystem geladen, • Dokument drucken. Die folgenden Prüfverfahren werden durchgeführt. 1. Kontaktentladung: • Direkte Entladung auf metallische Teile des Gerätes in den Schärfegraden 1 bis 3 (2 bis 6 kV). -7- • Gehäuseabdeckung (linke Seite, rechte Seite, oben); • Gehäuserückseite (Backspace-Windows), Entladung auf die Befestigungsschiene aller Einsteckkarten; • Gehäusefrontseite, Audiobuchse des CDR-LW (falls metallisch). 2. Indirekte Entladung auf horizontale Koppelplatte. • Entladung an allen vier Seiten des Prüflings in den o.g. Schärfegraden (simuliert die Entladung auf benachbarte Geräte). 3. Indirekte Entladung auf vertikale Koppelplatte. • Entladung an allen vier Seiten des Prüflings in den o.g. Schärfegraden (simuliert die Entladung auf benachbarte Geräte). 4. Luftentladung. • Annäherung und Entladung der ESD-Pistole auf nicht-metallische, isolierte Gehäuseteile an allen Seiten des Prüflings in den Schärfegraden 1 bis 3 (2 bis 8 kV); • Zusätzliche Entladung auf periphere Komponenten wie Maus und Tastatur. Je Prüfung müssen mindestens 10 Einzelentladungen durchgeführt werden. 4 Breitbandige energiereiche Überspannungen (Surge) Auch wenn diese Prüfung hier nicht durchgeführt wird, soll ihr Prinzip der Vollständigkeit halber kurz erläutert werden. Durch atmosphärischer Entladung oder Schalten in Elektroenergiesystemen entstehen energiereiche Überspannungen, die aufgrund von galvanischer oder induktiver Einkopplung Störungen erzeugen können. Ihre Simulation erfolgt mit der Blitzund Schaltstossspannung der Hochspannungsprüftechnik. Der Verlauf dieses Störpulses ist im folgenden Bild 5 dargestellt. -8- Bild 5: Definition der Stirn und Rückenzeiten (Kurzschluss-Stromimpuls 8/20 µs). Übliche Zeitparameter sind in Tab. 2 angegeben. Leerlaufspannungs-Impuls TS = 1,2 µs ± 20% TR = 50 µs ± 20% Kurzschlussstrom-Impuls TS = 8,0 µs ± 30% TR = 20 µs ± 20% Tab. 2: Beispiele für Stirn- und Rückenzeiten (Blitzstossspannung). Sollen Geräte mit Überspannungsschutzeinrichtungen geprüft werden, empfiehlt sich der Einsatz eines Hybridgenerators nach Bild 6. Diese Schaltung erzeugt an hochohmigen Prüfobjekten die geforderte Spannungsform und an niederohmigen Prüfobjekten (nach dem Ansprechen des Überspannungsschutzes) einen praxisnahen Kurzschlussstrom. Bild 6: Prinzipschaltung des Hybridgenerators. Die Auswahl der Schärfegrade erfolgt entsprechend den Installations- bzw. Einsatzbedingungen des Prüflings. Im vorliegenden Fall würde der Prüfling der Klasse 2 zugeordnet werden (Einkopplung auf die Stromversorgung zwischen L und N mit max. 0,5 kV; Einkopplung zwischen L bzw. N gegen PE mit max. 2 kV). -9- 5 Versuchsvorbereitung 5.1 Burst-Generator Das Ausgangssignal der Schaltung von Bild 7 (vereinfachte Generatorschaltung) soll berechnet oder mit PSPICE simuliert werden. Gegeben sind dabei U0=1.32 kV, R0=100 MΩ, C1=150 pF, R1=340 Ω, R2=330 Ω und C2=12 pF. Damit der Kondensator C1 auf jeden Fall auf die volle Spannung U0 aufgeladen ist, wird empfohlen, die Option „initial conditions“ (Anfangsbedingungen) zu benutzen. Bei den Attributen des Schaltelements ist dann bei „IC“ der entsprechende Spannungswert vorzeichenrichtig einzutragen. Die Quelle und der Widerstand R0 können dann entfallen. Bild 7: Vereinfachte Generatorschaltung (Variante). Bei Benutzung einer WIN-Version von SPICE ist bei der graphischen Schaltungseingabe unter SCHEMATICS zu beachten, dass ein zeitgesteuerter Schalter namens SW_TCLOSE zur Verfügung steht, dessen Schaltzeit über den Parameter„ttran=1u“ mit 1 µs voreingestellt ist und hier auf einen sehr kleinen Wert zu ändern ist. Bei diesem Schaltermodell sind weiterhin die gewünschten Werte für Ropen und Rclosed einzutragen. Bestimmen Sie das Maximum der Ausgangsspannung u2(t), die Anstiegszeit sowie die Impulsbreite (bezogen auf 50% des Maximalwerts). 5.2 Entstehung von Schaltüberspannungen Um in einfacher Weise zu erkennen, wie Schaltüberspannungen schon in elementaren Konfigurationen entstehen können, kann die Schaltung von Bild 8 studiert werden, bei der die Gleichspannungsquelle zum Zeitpunkt t=0 abgetrennt wird. Es könnte sich hier beispielsweise um die vereinfachte Nachbildung eines Kfz-Bordnetzes mit induktiver Last handeln, bei deren Abschaltung Ausgleichsvorgänge stattfinden. Diese Effekte sollen berechnet oder simuliert werden (z.B. mit Einsatz des SPICEElements SW_TOPEN). Der maximale Wert der u3m der Ausgangsspannung u3(t) - 10 ist mit ihrem Zeitpunkt t3m zu bestimmen, weiterhin Maximum und Minimum des Stroms ic3(t). Bild 8: Schaltung zur Demonstration von Überspannungen. Hinweis: Die erzeugten SPICE-Dateien bzw. die anderweitig erstellten Lösungen der beiden Probleme sollen auf einem Datenträger zum Versuch mitgebracht werden. 6 Literatur In der nachfolgenden Auswahl an Büchern zum Thema EMV findet man ergänzende und vertiefende Darstellungen zum Bereich Störfestigkeit inklusive ESD und EFT. /1/ Goedbloed, J.J.: Elektromagnetische Verträglichkeit; Pflaum, 1997. /2/ Rodewald, A.: Elektromagnetische Verträglichkeit; Vieweg, 1995. /3/ Habiger, E.: Elektromagnetische Verträglichkeit; Hüthig, 1988. /4/ Peier, D.: Elektromagnetische Verträglichkeit; Hüthig, 1990. /5/ Gonschorek/Singer: Elektromagnetische Verträglichkeit; Teubner, 1992. /6/ Meyer, H.: Elektromagnetische Verträglichkeit von Automatisierungssystemen; VDE-Verlag, 1992.