Dokumentation Zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Suchttherapie Interdisziplinäre Weiterbildungstagung 8. bis 10. September 2010 Evangelisches Johannesstift Schönwalder Allee 26 13587 Berlin-Spandau Inhaltsverzeichnis Tagungsprogramm 3 Tagungsbericht von Claudia Biehahn, Freie Mitarbeiterin für den Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des GVS, Bahrentrup 6 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau, Wilhelmsdorf 8 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München 21 37 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen 57 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld 74 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin 94 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg 109 Zur Wirksamkeit des Therapeuten – Professionalität durch die Weiterbildung zum Sozialtherapeuten/Sucht Dipl.-Päd. Irene Helas, Berlin 160 Referentenliste 163 Kontakt Veranstalter Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe e.V. (GVS) Institut Fort- und Weiterbildung Heinrich-Mann-Str. 31, Haus 13, 13156 Berlin Tel. 030-499 050 70 / Fax 030-499 050 73 E-Mail: [email protected] Internet: www.sucht.org Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe e.V. (GVS) Altensteinstr. 51, 14195 Berlin Tel. 030-843 123 55 / Fax 030-844 183 36 E-Mail: [email protected] Internet: www.sucht.org 2 Programm 8. September 2010 13.00 Eröffnung, Begrüßung und Moderation Dr. Theo Wessel und Irene Helas, GVS, Berlin Grußworte Mechthild Dyckmans, Bundesdrogenbeauftragte, Berlin (angefragt) Sieghard Schilling, Vorsitzender Vorstand des GVS, Duisburg 13.45 Vortrag 1 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau, Wilhelmsdorf 14.30 Kaffeepause 15.00 Vortrag 2 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München 15.45 Vortrag 3 Nähe, Distanz und Psychotherapie Dr. Uwe Büchner, Berlin 16.30 Pause 17.00 Vortrag 4 Bedeutung der Gegenübertragung und professionell-therapeutischen Ich-Spaltung in der psychoanalytisch-interaktionellen Suchttherapie Dr. Andreas Dieckmann, Berlin 18.00 Festliches Abendbuffet 3 Programm 9. September 2010 9.00 Vortrag 5 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München 9.45 Vortrag 6 Alte aktuelle und neue Rückfallmodelle der Verhaltenstherapie Dipl.-Psych. Heinz C. Vollmer, München 10.30 Kaffeepause 11.00 Vortrag 7 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen 11.45 Vortrag 8 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld 12.30 Mittagspause 14.30 Workshops 1. Intervention der Achtsamkeit in der verhaltenstherapeutischen Suchttherapie Dipl.-Psych. Bettina Lohmann, Münster 2. Diagnostik und Therapie früher Störungen (Borderline- und Narzisstische Persönlichkeitsstörung) Dr. Uwe Büchner, Berlin 3. Motivational Interviewing im Einzel- und Gruppen-Setting Dr. Theo Wessel, Berlin 4. Komorbidität: Angst, Depression und Trauma in der Suchtbehandlung Dr. Thomas Redecker, Oerlinghausen 5. Folgerungen für die Therapie männlicher Suchtpatienten Darius Chahmoradi Tabatabai, Berlin 6. Essstörungen: Diagnostik und Behandlung im psychoanalytischen Setting Dr. Peter Subkowski, Miriam Abram, Bad-Essen 16.00 Kaffeepause 16.30 Workshops Fortsetzung der Workshops 18.00 Tagesabschluss Anschließend Möglichkeit zur Teilnahme am Kamingespräch der DG-SAS 4 Programm 10. September 2010 9.00 Vortrag 9 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin 9.45 Vortrag 10 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg 10.30 Kaffeepause 11.00 Vortrag 11 Zur Wirksamkeit des Therapeuten – Professionalität durch die Weiterbildung zum Sozialtherapeuten/Sucht Dipl.-Päd. Irene Helas, Berlin 11.45 Vortrag 12 Sehnsucht nach wahrhaftigem Kontakt – zur Spiritualität in der Suchtberatung Heidemarie Langer, M.A.Theologin, Hamburg 13.00 Tagungsende 5 Tagungsbericht Claudia Biehahn Der Bericht zur Interdisziplinären GVS-Weiterbildungstagung vom 8. bis zum 10. September 2010 „Heilen kann nur, wer selbst „heil“ ist” von Claudia Biehahn Berlin-Spandau - Wie lässt sich der Erfolg der therapeutischen Arbeit in der Suchthilfe messen? Und welchen Anteil hat der Therapeut als Person am Gesundungsprozess des Patienten? Das sind zwei der Kernfragen, mit denen sich die 10. interdisziplinäre GVS-Weiterbildungstagung Anfang September im Ev. Johannesstift in Berlin beschäftigte. Etwa 120 Teilnehmer und Teilnehmerinnen nutzten die dreitätige Veranstaltung, um Wissen aufzufrischen, neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis mitzunehmen und mit Kollegen aus anderen Fachrichtungen über verschiedene Blickwinkel in der Suchttherapie zu debattieren. Den Aufschlag machte Prof. Harald Rau (Die Zieglerschen) mit seinem Beitrag über die Schwierigkeiten quantitativer Ergebnisforschung in der Suchthilfe. Sie sei als Legitimation gegenüber den Geldgebern zwingend nötig, so Rau, „sonst haben wir in 100 Jahren keine Suchthilfe mehr“. Gleichzeitig könne sie nicht völlig wissenschaftlichen Kriterien entsprechen und bleibe deshalb angreifbar. So sind z.B. keine Doppelblind-Studien in der Psychotherapie möglich. Auch sei es schwierig, die Gesundung eines abhängigen Menschen zu messen. Der Einfachheit halber bleibe man in den Katamnese-Untersuchungen deshalb beim Kriterium der Abstinenz. Sie sei allerdings nur eines von vielen denkbaren Kriterien für ein gesundes und aktives Leben. „Die Daten, die wir bisher erheben, sind schon etwas wert, aber wir brauchen bessere Werte“, meinte Prof. Rau. Der Meinung war auch Dr. Ludwig Kraus vom IFT für den Bereich der Versorgungsforschung. Er zeigte, dass 75 % der Ressourcen in der Suchthilfe an 5% der Abhängigen gehen. Nur die Schwerstabhängigen würden von der Suchthilfe erreicht, kritisierte er. Vorhandene Programme zur Frühintervention werden nicht gefördert und aus Kostengründen nicht evaluiert. Insgesamt fehle es vor allem an Untersuchungen zu systemischen Versorgungsansätzen, resümierte der Wissenschaftler. Einig waren sich Vortragende und Teilnehmer darüber, dass ein Grundübel für mangelhafte Daten auch in der mangelnden Vernetzung der Hilfebereiche zu suchen ist. Die Suche nach validen Zahlen beherrschte indes nur einen Teil der Tagung. Daneben nahm die Genderperspektive in der Suchtentstehung und -behandlung einen großen und vieldiskutierten Raum ein. Dr. Peter Subkowski skizzierte sie an der männlichen Suchtentwicklung und Dr. Andrea Möllering beschrieb in einem sehr spannenden Vortrag die Traumfolge-Störungen bei Frauen. Welche Bedeutung Emotionen in der Suchtentstehung und -therapie haben, machte Prof. Heiner Ellgring deutlich. Seine Erfahrungen wurden vom Neurobiologen Prof. Dr. Andreas Heinz (Charité) bestätigt: Es lohnt sich, positive Emotionen bei den Patienten zu stärken. Auch um Rückfällen vorzubeugen. Ein Thema, mit dem sich der Diplom-Psychologe Heinz C. Vollmer beschäftigte. Er stellte ein neues Modell zur Rückfall-Prophylaxe vor. Wie sich Abhängigkeiten über Generationen in Familien „fortpflanzen“ und wie nötig es ist, diese Zusammenhänge als Therapeut zu erkennen, zeigte Dr. Ruthard Stachowske in seinem Vortrag über den ICF in Diagnose und Behandlung. Seit dem Jahr 2004 sind Kontextfaktoren in Diagnose und Therapie zu beachten. Damit habe ein „paradigmatischer Wandel begonnen“, so Stachowske, „der große Auswirkungen auf die Therapie“ haben werde. Ein zentrales Thema in der Tagung war auch Therapeut selber: sein Verhalten, seine Beziehung zum Patienten, seine Rolle im Heilungsprozess. Dr. Uwe Büchner sprach darüber, wie viel Nähe versus Distanz die Beziehung zum Patienten haben sollte. Und Dr. Andreas Diekmann provozierte mit seinem Vortrag über die professionelltherapeutische Ich-Spaltung eine lebhafte Diskussion zwischen den Verhaltenstherapeuten und den Psychoanalytikern unter den Teilnehmern. 6 Tagungsbericht Claudia Biehahn Mit der Frage der Wirksamkeit des Therapeuten beschäftigte sich zum Ende der Tagung auch Irene Helas, langjährige Leiterin des GVS-Instituts Fort- und Weiterbildung. Ihr Fazit ist, dass es „bei der therapeutischen Wirksamkeit um viel mehr als das bloße Erlernen von Techniken geht.“ Eine positive psychische Haltung bekomme ein Therapeut nur, wenn er fürsorglich und bewusst mit sich selber umgehe: „Heilung ist nur möglich, wenn ein Therapeut selbst heil ist, nur dann kann er dem Patienten mit Respekt und Akzeptanz begegnen.“ Auf diese psychischen Wirkfaktoren beim Therapeuten ziele auch die GVS-Weiterbildung ab. Insofern sei sie auch eine Investition in die eigene Zukunft, so Irene Helas. Mehr als 4000 Absolventen haben diese Investition schon getätigt. Den Schlusspunkt der Tagung setzte die Theologin Heidemarie Langer. Auch ihr ging es um die Wirksamkeit des Therapeuten, aber auf einer spirituellen Ebene. Sie zeigte, am Beispiel heilender Geschichten wie der Glauben Kraftquellen freisetzen kann, in den Patienten und in den Therapeuten. Ihr Fazit: „Das Echo ist immer nachhaltiger als der Ton.“ 7 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie 1 Berlin, 08. September 2010 GESAMTVERBAND FÜR SUCHTKRANKENHILFE im Diakonischen Werk der EKD e.V. GVS Fachkonferenz zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie vom 8. bis 10. September in Berlin - Spandau Prof. Dr. Harald Rau, Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut Vorstandsvorsitzender der Zieglerschen, [email protected] Wirksamkeit: Beispiel Akupunktur bei Migräne GERAC: German Acupuncture Trials Endres, Diener, Maier, Böwing, Trampisch, Zenz (2007). Akupunktur bei chronischen Kopfschmerzen. Dtsch Arztebl 2007; 104(3): A-114 / B-105 / C-101 794 Pat., Standardbehandlung (n=187), Shamakupunktur (n=317), echte Akupunktur (n=290) 1. Sechs Monate nach Akupunkturbehandlung: klinisch relevante Verringerung der Migränetage (-33%). 2. Die nachgewiesen wirksame medikamentöse Migräneprophylaxe ist der Akupunkturbehandlung nicht überlegen. 3. Kein signifikanter Unterschied zwischen Echt- und Scheinakupunktur hinsichtlich der Verringerung der Migränetage. 8 2 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 3 Psychotherapieforschung Grawe, Klaus; Donati, Ruth; Bernauer, Friederike (2001). Psychotherapie im Wandel - von der Konfession zur Profession. 5. unveränd. Aufl. Hogrefe-Verlag, 2001. 4 Evidenzbasierung – weshalb? 1. Nachweis zuverlässiger Wirksamkeit: wofür soll die Öffentlichkeit bezahlen? 2. Nachweis von spezifischer Wirksamkeit: Rehabilitation … > Spontanremission / Reifung / Wachstum > Placebo-Effekt > Rosenthal-Effekt (Versuchsleiter- / Therapeutenerwartung) 3. Nachweis anhaltender Wirksamkeit 4. Verbesserung des Kosten-Nutzen-Effekts: neues Verfahren besser oder günstiger als alte Verfahren 5. Was genau wirkt (Wirkfaktorenforschung)? 9 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 5 Randomisierte (doppelblinde) Kontrollgruppenstudie Randomized controlled trial (RCT) Vl. / Th. Untersuchungsstichprobe Ausgangsdaten; „baseline“ Pat. Randomisierung Kontrollgruppe(n) Warteliste Standardbeh. Experimentalgruppe Behandlungsergebnis Nachuntersuchung (Katamnese) Das bio-psycho-soziale Gesundheitsmodell der WHO „Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit“ 10 6 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 7 Akut- vs. Rehabilitationsmedizin Kurative Versorgung im Sinne des SGB V Medizinische Rehabilitation im Sinne des SGB IX Focus klinisches Bild als Manifestation einer Krankheit/ Schädigung Krankheitsfolgen Ziele • • • • • Heilung bzw. Remission Vermeidung einer Verschlimmerung / Linderung der Krankheitsbeschwerden (chron. Krankheiten) Vermeidung weiterer Krankheitsfolgen • Partizipation Vermeidung einer Verschlimmerung / Linderung der Krankheitsbeschwerden (chron. Krankheiten) Vermeidung weiterer Krankheitsfolgen Orientierung kausal aufrechterhaltende Faktoren Konzeptionelle Bezugssysteme • das bio-medizinische Krankheitsmodell • • Klassifikation: ICD / DSM • bio-psycho-soziales Modell von funktionaler Gesundheit und deren Beeinträchtigung Klassifikation: ICF Zielvariablen in der quantitativen Forschung Befindlichkeit Selbsteinschätzung Fremdeinschätzung (z.B. GCI) Konsum Selbsteinschätzung Fremdeinschätzung Laborparameter Körperliche und psychische Verfassung Somatischer Untersuchungsbefund Psychischer Untersuchungsbefund Mortalität Merkmale der gesellschaftlichen Teilhabe Arbeitsplatz (sozialversicherungspflichtig) soziales Netz Freizeit Lebensqualität Versorgungssysteme: Wie viele Betroffene erhalten Hilfe? 11 8 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 9 Wichtige „Fallen“ bei der quantitativen Forschung 1. Validität der Zielvariablen: Sagen sie das Richtige/Gewünschte aus? 2. Ausgangswerte: Wird die Stichprobe hinreichend beschrieben? a. b. c. Oft problematisch oder gar fehlend: Beurteilung der Krankheitsschwere, z.B. bei Vergleich ambulant – stationär Wie werden Unterschiede bei der Erfolgsmessung berücksichtigt? Findet Selektion der „guten Risiken“ statt? 3. Werden Wechselwirkungen mehrerer Wirkvariablen hinreichend berücksichtigt oder können diese überhaupt erfasst werden? 4. Gibt es eine Verzerrung bei der Veröffentlichung? a. b. „publication bias“ Folgen für Metaanalysen 5. Welche Grundgesamtheit wurde beforscht? 6. Herkunft der Studien: Verfügbare Studien aus dem angelsächsischen Raum sind nicht ohne weiteres auf D übertragbar; in D sind nur wenige Studien verfügbar (Watzl, 2007). 10 Prognos-Studie: Prä-Post-Effektgrößen Hintergrund: Entwicklung des Arbeitskräftemangels von 2005 bis 2025 Die Effektgröße d 0,35 Sucht Auf der Grundlage der Literaturanalysen und in Psychosomatik Abstimmung mit dem DEGEMED-Projektbeirat wurden die integrativen Bewertungen weiter Rückenschmerzen differenziert und folgende Prä-Post-Effektgrößen (d) als Ausgangspunkt für die Szenarien und Pneumologie Modellierungen zugrunde gelegt. Die Schätzungen der Wirksamkeit erfolgten dabei auf konservativer Kardiologie Basis. 0,00 0,40 0,25 0,50 0,40 0,10 0,20 0,30 0,40 0,50 0,60 Effektgröße d Prognos (2009). Die medizinische Rehabilitation Erwerbstätiger – Sicherung von Produktivität und Wachstum. Auftraggeber: Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation e.V. (DEGEMED), Berlin; Verband der Privatkliniken Nordrhein Westfalen e.V. (VDPK NRW), Düsseldorf; Verband der Privatkliniken in Thüringen e.V. (VPKT), Bad Klosterlausnitz 12 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau Wirksamkeit in der Prognos-Studie 11 Prognos (2009). Die medizinische Rehabilitation Erwerbstätiger – Sicherung von Produktivität und Wachstum. 12 Sozialmedizinischer Verlauf Buschmann-Steinhage, R. & Zollmann, P. (DRV-Bund). Vortrag „Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit im Zwei-Jahresverlauf nach medizinischer Rehabilitation“ am 18. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium vom 09. bis 11.03.2009 in Münster. 13 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 13 Katamneseuntersuchungen: Kriterium Abstinenz Abstinenzquoten: Abstinenz + abstinent nach Rückfall (>3 Monate zum Befragungszeitpunkt) Berechnungsform Grundgesamtheit BUSS FVS FVS Drogen Befragte responder 8.963 40,2% 10.983 58,8% 429 41,5% DGSS 1 alle responder, die planmäßig entlassen wurden 82,0% 73,7% 55,1% DGSS 2 alle planmäßig Entlassenen 35,7% 45,8% 24,4% DGSS 3 alle responder 80,9% 71,7% 52,3% alle 39,3% * 42,2% 21,5% DGSS 4 • Berechnungsformen nach der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DGSS) • BUSS: Entlassjahrgang 2008 (n=8.963), FVS: Entlassjahrgang 2007 (n=10.983) * Einschluss: nur Einrichtungen mit Mindestrücklauf von 45% BUSS (2010). Auswertung der Katamnesedaten zum Entlassjahrgang 2008. http://www.suchthilfe.de/themen/basisdaten2008_090914.pdf Fischer, M. et al. (2007). Ergebnisqualität in der stationären medizinischen Rehabilitation von Drogenabhängigen („Drogenkatamnese“) – Teil II: Abstinenz und Rückfall in der Halbjahres- und Jahreskatamnese. SuchtAktuell 14, 37-46. Missel, P. et al. (2010). Effektivität der stationären Suchtrehabilitation – FVS-Katamnese des Entlassjahrgangs 2007 von Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige. SuchtAktuell, 17, 9-20. Prädiktoren für Abstinenz nach Entwöhnung (FVS) Geschlecht: w 44,0%; m 41,4% Partnerschaft: keine feste 37,0%; feste 47,9% Erwerbstätigkeit bei Aufnahme: ja 50,6%; nein 34,6% Abhängigkeitsdauer: bis 10 Jahre 43,8%; über 10 Jahre 41,2% Entgiftungen: keine 44,2%; >= eine 50,7%; >= zwei 36,3% Entlassart: planmäßig 45,8%; nicht planmäßig 20,9% Behandlungsdauer bei planmäßigen Entlassungen: bis 12 Wo 45,5%; über 12 bis 16 Wochen 47,1%; über 16 bis 52 Wochen 41,3% Missel, P. et al. (2010). Effektivität der stationären Suchtrehabilitation – FVS-Katamnese des Entlassjahrgangs 2007 von Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige. SuchtAktuell 1, 9-20. 14 14 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 15 Wann ereignet sich der erste Rückfall? Anteil Rückfälle 30,0% 29,3% 20,0% 15,6% 13,4% 10,0% 9,7% 6,5% 8,1% 4,7% 3,4% 2,1% 2,7% 0,0% 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 3,3% 1,1% 11 12 Monat nach Entlassung Missel, P. et al. (2010). Effektivität der stationären Suchtrehabilitation – FVS-Katamnese des Entlassjahrgangs 2007 von Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige. SuchtAktuell, 9-20. Das deutsche Suchthilfesystem (Wienberg) 16 16 15 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 17 Leistungen des deutschen Suchthilfesystems Wienberg, 2001 18 Dosis-Wirkungsbeziehung Auswirkung der Anzahl der Beratungskontakte auf Abstinenzrate (N=45 Studien; Fiore et al., 2000) Anzahl Kontakte / Sitzungen Anzahl Gruppen Odds Ratio (95% CI) Geschätzte Abstinenz nach 6 Monaten (95% CI) 0 – 1 Kontakt 43 1,0 12,4% 2 – 3 Kontakte 17 1,4 (1,1 – 1,7) 16,3% (13,7 – 19,0) 4 – 8 Kontakte 23 1,9 (1,6 – 2,2) 20,9% (18,1 – 23,6) > 8 Kontakte 51 2,3 (2,1 – 3,0) 24,7% (21,0 – 28,4) 16 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 19 Intensivbehandlung: ALITA ALITA ist ein neues biopsychosoziales Behandlungsprogramm für schwer Alkoholkranke, das sich direkt an die stationäre Entgiftung anschließt und über zwei Jahre erstreckt. 20 ALITA: Ergebnisse 20 17 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 21 ALITA: Wesentliche Elemente Hochfrequente Kurzgesprächskontakte Strukturierte, sichernde Anbindung durch supportive, wenig fordernde Kurzgespräche; initial täglich 15 Minuten, einschließlich an Wochenenden und Feiertagen; langsame Reduktion der Kontaktfrequenz mit dem Ziel einer regelmäßigen und dauerhaften wöchentlichen Gruppenteilnahme. Kriseninterventionsbereitschaft Das ALITA-Team ist im Notfall für die Patienten und deren Angehörige immer erreichbar: 4 Stunden, 365 Tage. Soziale Reintegration Gezielte Unterstützung beim Wiederaufbau eines abstinenzfördernden sozialen Umfelds; Aktive Hilfe bei Problemen mit Angehörigen und Freunden; Angehörigen- und Paargespräche; Beratung und Unterstützung bei Wohnungssuche, Umzug, Behörden, Wiedereinstieg ins Berufsleben, Schuldentilgung und Klärung juristischer Angelegenheiten. Schaffung einer Alkoholunverträglichkeit Einnahme von Disulfiram (Antabus ®) als sogenanntes Alkoholaversivum (die Hemmung des alkoholabbauenden Enzyms Acetaldehyd-Dehydrogenase führt im Falle der Aufnahme von Alkohol zur Anhäufung des toxischen Acetaldehyds mit den Folgen einer "inneren Vergiftung", der sogenannten "Antabusreaktion", d.h. knallroter Kopf, Blutdruckentgleisung, Pulsrasen, Übelkeit, Erbrechen, eventuell "Kreislaufkollaps"). Kontrolle Regelmäßige Urin- und Blutuntersuchungen auf Alkohol und andere Suchtstoffe; wenn notwendig zusätzlich Atemtests. Kontrollierte Einnahme der Aversiva und Fokussierung auf ihre psychologische Wirkung. "Aggressive Nachsorge" Sofortige Beendigung beginnender oder Verhinderung drohender Rückfälle durch "aggressive therapeutische Einsätze": Patienten, die einen Therapiekontakt versäumt haben, werden aufgefordert, die Therapie weiterzuführen oder die Abstinenz wieder aufzunehmen; Beispiele der "aggressiven Nachsorge" sind spontane Hausbesuche, Telefonanrufe, Einbeziehen von nahen Freunden und Verwandten. Therapeutenrotation Ein Team aus sechs bis sieben Therapeuten (Leitender Psychiater, Psychologe, Arzt, Sozialpädagoge, Krankenpfleger, Medizindoktorand, Psychologiediplomand) ist gleichermaßen für alle Patienten zuständig. Die klassische Zuweisung des Patienten zu einem Einzeltherapeuten wurde aufgehoben. 22 Trends bzgl. des Rauschtrinkens Suchtsurvey 18 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 23 Weitere Wirksamkeitshinweise Aktivitäten von ehemaligen Patientinnen und Patienten der Einrichtungen Jahresfeste Förderkreistätigkeit Spendenprojekte Zitate „Zweite Geburt“ „großer Einschnitt in meinem Leben“ „Klinik ist mir zur Heimat geworden“ Aussagen von Arbeitgebern / Personalbeauftragten Betrieb, der gerne ehemalige Pat. einstellt, weil sich diese als zuverlässig und reflektiert erwiesen haben Bereitschaft, Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen 24 Die Rettung !? 19 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Suchttherapie Prof. Dr. Harald Rau 25 Abstract / Thesen 1. Die auch künftige feste Verankerung der Postakutbehandlung (Rehabilitation) von Abhängigkeitserkrankungen („Entwöhnungsbehandlung“) im Gesundheits- und Rehabilitationswesen benötigt möglichst anerkannte Nachweise der spezifischen Wirksamkeit (Evidenz). 2. Mit zunehmender Objektivität und Reliabilität der Zielvariablen geht oft eine eingeschränkte „ökologische Validität“ einher: Bessere „Wissenschaftlichkeit“ führt zu zwar stärker gesicherten, aber möglicherweise auch stärker eingeschränkten Aussagen. 3. Für den deutschsprachigen Raum liegen keine aussagekräftigen randomisierten Studien vor; die prä-post-Messungen sprechen für einen mäßigen bis mittelgroßen Effekt, ähnlich dem Effekt anderer Disziplinen medizinischer Rehabilitation. 4. Es existieren weitere wesentliche Hinweise auf die Wirksamkeit der Entwöhnungsbehandlung, die oft schwer objektivierbar sind. 5. Weiterhin erreicht das traditionelle Suchthilfesystem zu wenig die schwer Betroffenen. Damit einhergehend ist es fraglich, die Abstinenz als einzige Zielvariable zu nutzen. Merkmale der Teilhabe und der Aktivitäten stehen nach der WHO-Definition der Gesundheit gerade bei chronischen Erkrankungen mindestens so sehr im Zentrum wie die eigentliche Störung. 20 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Forschung für die Versorgung Aktuelle Ergebnisse aus der systemischen Versorgungsforschung Ludwig Kraus & Daniela Piontek Interdisziplinäre Weiterbildungstagung: „Zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Suchttherapie“ Institut für Therapieforschung München 8.-10. September 2010, Berlin 1 Übersicht Institut für Therapieforschung München Definition Versorgungsforschung im Bereich Sucht - Bedarf - Inanspruchnahme - Ressourcen - Strukturen - Prozesse - Ergebnisse 2 21 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Definition Institut für Therapieforschung München Versorgungsforschung Ö Befasst sich mit „Bedarf, Inanspruchnahme, Ressourcen, Strukturen, Prozessen, Ergebnissen und zuschreibbaren Resultaten (Outcomes) von systemisch organisierten Ansätzen der Krankheitsverhütung, -bekämpfung oder -bewältigung“ (Badura, Schaeffer & Troschke, Z f Gesundheitswiss 2001, 9(4), 294-311) Grundlagenforschung - Neuropsychologie (z.B. Neuroimaging), Gehirnforschung (z.B. Rolle von Neurotransmittern) Interventionsforschung - Effektivität von Behandlungsverfahren (z.B. Heroinstudie), Therapien (z.B. Match) oder Präventionsmaßnahmen (z.B. schulisches Nichtraucherprogramm) Forschung in der Versorgung - Verwendung klinischer Stichproben im ambulanten oder klinischen Setting. Optimierung von Prävention, Beratung, Behandlung 3 Versorgungsforschung Versorgungsnahe Förderschwerpunkte des BMBF Public Health 1992-2003 Epidemiologie 2001-2005 Rehabilitationswissenschaften 1998-2006 Allgemeinmedizin 2001-2007 Versorgungsforschung (+GKV) 2001-2007 Schmerzforschung 2002-2008 Pflegeforschung 2003-2008 Hormonersatztherapie 2005-2008 Angewandte Brustkrebsforschung 2005-2008 17 Kompetenznetze in der Medizin 1999-2008 Präventionsforschung 2005-2011 Chronische Krankheiten und Patientenorientierung (+RV+GKV+PKV) 2007-2013 Gesundheit im Alter 2007-2013 Kompetenznetze (neue Generation) ab 2008 Institut für Therapieforschung München Bundesministerium für Bildung und Forschung (2008). Ergebnisse der gemeinsamen Förderung durch das BMBF und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (2000 – 2008) 22 4 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Versorgungsforschung BMBF-Förderung Institut für Therapieforschung München Deutsches Suchtforschungsnetz German Addiction Research Network GARN Das Suchtforschungsnetz besteht aus vier vom BMBF geförderten Forschungsverbünden, die sich seit 2001 (20012004 - 1. Förderphase; 2004-2007 - 2. Förderphase) mit unterschiedlichen Methoden und inhaltlichen Schwerpunkten mit Aufklärung, den Entstehungsbedingungen, den Verlauf beeinflussenden Faktoren und der Verbesserung von Therapieund Versorgungsmaßnahmen von Suchterkrankungen beschäftigen Dabei werden grundlagen- und anwendungsbezogene Fragestellungen in über 42 geförderten Einzel- und assoziierten Projekten verfolgt http://www.psychologie.tu-dresden.de/bmbf/ 5 Versorgungsforschung BMBF-Förderung Institut für Therapieforschung München Forschungsverbund Sachsen/Bayern: Allocating Substance Abuse Treatment to Patients Heterogeneity (ASAT) Projekt F1 Epidemiologisch basierte Bedarfs- und Bedürfnisanalysen als Grundlage für die Planung und Priorisierung von institutionellen und therapeutischen Zuordnungsstrategien bei Substanzstörungen Projekt F4 Raucherentwöhnungs-Maßnahmen in der allgemeinärztlichen Versorgung: Implementierung, Effektivität und Zuordnungsprinzipien http://www.psychologie.tu-dresden.de/bmbf/ 6 23 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Bedarf Institut für Therapieforschung München (1) Prävalenz und Inzidenz (2) Risikofaktoren (3) Verlauf und Stabilität (4) Soziale Folgen (5) Remission 7 Bedarf Prävalenz und Inzidenz Institut für Therapieforschung München (1) Prävalenz und Inzidenz Anstieg der Prävalenz des Cannabiskonsums (Perkonigg et al., 2008, Addiction 103, 439-449; Kraus et al., 2008 , Sucht 54, S16-25; BZgA, 2009) Vorverlagerung des Erstkonsumalters von Cannabis sowie des Beginns von Abhängigkeit und Missbrauch (Perkonigg et al., 2006, Eur Add Res 12, 187-196) Schnelle Suchtentwicklung bei Cannabis, zwei Jahre nach Konsumbeginn (Behrend e al., 2008, Drug Alc Dep; Wittchen et al., 2008, Int J Meth Psych 17(S1), S16-29) Konsum illegaler Drogen fördert sekundäre Nikotinabhängigkeit (Perkonigg et al., 2006, Eur Add Res 12, 187-196) Steigende Fallzahlen von Jugendlichen, die wegen akuter Intoxikation im Krankenhaus behandelt werden (Müller et al., 2009, D Med Wochenschr 21, 1101-05) Konstanter Rückgang der Prävalenz des Rauchens in den letzten 10-15 Jahren (Kraus et al., sumitted) 8 24 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Bedarf Prävalenz und Inzidenz 4.500.000 Institut für Therapieforschung München 3,8 Mio. Alkohol 4.000.000 Mißbrauch Abhängigkeit Behandlung Tabak 3.500.000 Abhängigkeit Psychoaktive Medikamente 3.000.000 Abhängigkeit Hypnotika/Sedativa 2,0 Mio. 2.500.000 Abhängigkeit 1,4 Mio. Behandlung 1,3 Mio. 2.000.000 1.500.000 Cannabis Missbrauch Abhängigkeit Behandlung 0 Alkohol Tabak Med. Hyp./Sed. 1 Cannabis 138.000 problematischer Konsum 103.000 180000 95.000 25.800 380000 220.000 380.000 500.000 Illegale Drogen außer Cannabis 9.000 405.000 1.000.000 Behandlung Opiate problematischer Konsum Andere Drogen Opiate Behandlung (Kraus, L. & Bühringer, G., http://www.ift.de/index.php?id=216; zuletzt aktualisiert 12.08.2008) 9 Bedarf Prävalenz und Inzidenz Institut für Therapieforschung München Schätzungen der Inzidenz (neue Fälle) problematischer Heroinkonsumenten zeigen in Europa eine rückläufige Tendenz - England: De Angelis, Hickman & Yang, American Journal of Epidemiology 2004 160:994-1004 - Italien: Rava, et al., UN Bulletin on Narcotics 2001 1/2:135-55 - Schweiz: Nordt & Stohler, Lancet 2006 367:1830-34 - Barcelona, Spanien: Domingo-Salvani 2005; submitted Zunahme der Inzidenz in Australien Law, Lynskey, Ross & Hall, Addiction 2000 96:433-43 10 25 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Bedarf Prävalenz und Inzidenz Institut für Therapieforschung München Trends der Heroin-Inzidenz in der Schweiz, England, Italien und Australien Nordt & Stohler, Lancet 2006;367:1830-34 11 Bedarf Prävalenz und Inzidenz Institut für Therapieforschung München Schätzungen der Inzidenz (neue Fälle) problematischer Kokainkonsumenten • Barcelona, Spanien: Sánchez-Niubó et al., Gac Sanit 2005 500 450 COCAINE 400 350 300 N 250 200 150 100 HEROIN 50 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Año de primer consumo (Sánchez-Niubó et al., Gac Sanit 2005) 26 12 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Bedarf Riskofaktoren Institut für Therapieforschung München (2) Risikofaktoren Kinder nikotinabhängiger Mütter haben ein 3-fach erhöhtes Risiko für regelmäßigen Tabakkonsum, nahezu ebenso erhöht für Tabakabhängigkeit (Lieb et al., 2008, Eur Add Res 9, 120-130) Erhöhtes Risiko für starken Alkoholkonsum, wenn beide Elternteile Störungen durch Alkoholkonsum aufweisen (Lieb et al., 2006, Psych Medicin 31, 63-78) Kinder mit Aufmerksamkeits- und Verhaltensstörungen haben höheres Risiko für späteren Tabakkonsum (Laucht et al., 2005, Z f Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 34, 258-65) Psychische Störungen oder Tod der Eltern sowie Erfahrungen mit legalen Drogen begünstigen Entwicklung von cannabisbezogenen Störungen (von Sydow et al., 2002, Drug Alcohol Dep 68, 49-64) Hohe Belohnungsabhängigkeit und Bezug zu devianten Peers beeinflussen Trinkmenge und Alkoholprobleme (Barnow et al., 2004, Z f Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 32, 85-95) 13 Bedarf Riskofaktoren Institut für Therapieforschung München (3) Verlauf und Stabilität 45% der mehrfachen Cannabisnutzer konsumieren im Erwachsenenalter weiter (Perkonigg et al., 2008, Addiction 103, 439-449) Chronischem Alkoholkonsum gehen frühe Alkoholprobleme voraus (Perkonigg et al., 2008, Addiction 103, 439-449) Hohe 10 Jahres Stabilitätsraten von >50% für gefährlichen Alkoholkonsum (Perkonigg et al., 2005, Der Nervenarzt 76, 137) 14 27 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Bedarf Folgen Institut für Therapieforschung München (4) Folgen Personen mit einem Cannabis Missrauch bzw. einer Cannabis Abhängigkeit, haben ein hohes Risiko für somatische und soziale Beeinträchtigungen (Zimmermann et al., 2005, Vortrag) Männer mit Rauschtrinken (mindestens einmal die Woche) haben das höchste Risiko für soziale Folgen (Kraus et al., 2009, Alcohol and Alcoholism 44 (3), 314-320). - Diese Gruppe trägt den größten Anteil aller alkoholbezogenen sozialen Probleme in der Gesamtbevölkerung bei: 59% aller Probleme könnten verhindert werden, wenn diese Gruppe wie die Referenzgruppe trinken würde. In der Gruppe ohne Rauschtrinken würden lediglich 5% der Probleme verhindert werden - Obwohl Frauen weniger trinken, zeigen die Risikokurven ähnliche Muster 15 Bedarf Folgen Institut für Therapieforschung München 0,5 0,4 kein Rauschtrinken monatl. Rauschtrinken wöchentl. Rauschtrinken Inzidenz 0,3 0,2 0,1 0 bis 1/2 bis 1 Glas bis 2 Glas (7 (14 gr) Gläser gr) (28 gr) bis 3 Gläser (42 gr) bis 4 Gläser (56 gr) bis 5 Gläser (70 gr) bis 7 Gläser (98 gr) bis 9 mehr als Gläser 9 Gläser (126 gr) (>126 gr) Durchschnittliche Alkoholmenge/Tag (Kraus et al., 2009, Alcohol and Alcoholism 44 (3), 314-320). 16 28 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Bedarf Folgen Institut für Therapieforschung München 0,12 kein Rauschtrinken monatl. Rauschtrinken wöchentl. Rauschtrinken 0,1 BDAF 0,08 0,06 0,04 0,02 0 bis 1/2 Glas (7 gr) bis 1 Glas (14 gr) bis 2 Gläser (28 gr) bis 3 Gläser (42 gr) bis 4 Gläser (56 gr) bis 5 Gläser (70 gr) bis 7 Gläser (98 gr) bis 9 mehr als Gläser 9 Gläser (126 gr) (>126 gr) Durchschnittliche Alkoholmenge/Tag (Kraus et al., 2009, Alcohol and Alcoholism 44 (3), 314-320). 17 Bedarf Remission Institut für Therapieforschung München (5) Remission Amerikanische Studien schätzen den Anteil von Personen mit Alkoholproblemen, die ohne formelle Hilfen remittieren auf 75-77% (Sobell, Cunninham & Sobell, 1996) Resilienzfaktoren für Remission ohne formelle Hilfen sind „geringere Schwere der Störung“ sowie das Vorhandensein „psychosozialer Unterstützung“ (Sobell et al., 1993; Graufield & Coud, 1996) Personen, die ohne formelle Hilfen nach Alkoholerkrankung remittierten, weisen eine höhere nicht-physiologische Abhängigkeit, einen geringeren sozialen Druck zur Abstinenz und mehr Fahrten unter Alkoholeinfluss auf (Bischof et al.,2001, Addiction 96, 1317-36) Remissionsraten in Deutschland unbekannt (Bischof et al., 2001, Addiction 96, 1317-36) Bis zu 91 % der Exraucher nahmen keine professionellen Hilfen in Anspruch (Meyer et al., 2000; Kraus & Augustin, 2001; Lampert & Burger, 2004) 18 29 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Inanspruchnahme Institut für Therapieforschung München U.S. Studien - 10% aller Personen mit alkoholbezogenen Störungen fragen nach formellen Hilfen nach (letzte 12 Monate) (Grant, 1996) Illegale Drogen Missbrauch & Abhängigkeit (14-24 Jahre, Region München) - 23 % aller Personen mit Missbrauchs- oder Abhängigkeitssymptomatik - 15% mit Missbrauchs- oder Abhängigkeitssymptomatik in Bezug auf illegale Drogen nahmen jemals das Hilfesystem in Anspruch - Hilfe wird eher in Anspruch genommen, wenn gleichzeitig eine Angststörung besteht - Personen mit problematischem Konsum suchen nur in sehr geringem Ausmaß Kontakt zum Suchthilfesystem. Wenn, dann hauptsächlich bei Psychotherapeuten und Hausärzten (Perkonigg et al., 2004, Suchtmed 6(1), 22-31) 19 Inanspruchnahme Institut für Therapieforschung München Illegale Drogen Missbrauch & Abhängigkeit (14-24 Jahre, Region München, … fortgesetzt) - Suchthilfesystem gekennzeichnet durch eine große Zahl von Patienten/Klienten in Therapie- und Substitutionseinrichtungen und relativ wenig Kontakt zu jüngeren Patienten/Klienten - Spezifische Präventionseinrichtungen haben nur geringe Kapazität oder sind kaum vorhanden - In der Suchthilfe werden nur zu einem geringen Teil Patienten/Klienten mit leichten Abhängigkeitsproblemen oder Vorstadien betreut oder behandelt - Cannabis und Ecstasy als Hauptproblemsubstanzen bei jungen Erwachsenen haben insgesamt geringen Anteil in der Suchthilfe. Die häufigsten Kontakte bestehen wegen Opiaten (Perkonigg et al., 2004, Suchtmed 6(1), 22-31) 20 30 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Inanspruchnahme 1-4mal Hausarzt 1.7 Psychiater 2.1 Suchtklinik Psychiatr. Klinik 5.4 3.1 6.7 2.2 2.6 Suchtberatung Erziehungsberatung 3.5 5mal mit Prob. Abhängigkeit 4.3 9.4 Psychotherapeut Schulpsychologe 5mal ohne Prob. Institut für Therapieforschung München 10.4 17.3 25.3 6 3.7 14.7 1.7 .4 2.2 2.2 11.2 9.2 .7 3.4 10 (Perkonigg et al., 2004, Suchtmed 6(1), 22-31) 21 Inanspruchnahme Institut für Therapieforschung München Pathologisches Glücksspiel (Jugendliche und Erwachsene in Bayern) - Personen mit Glücksspielproblemen in ambulanten Einrichtungen der Suchthilfe weisen zu 95 % die Diagnose PG und einen hohen Anteil komorbider Störungen auf (Substanzstörungen, psychische Störungen Achse I und II) - Schätzungen von 2009 in Bayern weisen eine Inanspruchnahme von ca. 10% auf (letzte 12 Monate, inkl. niedergelassener Psychologen, ohne Selbsthilfe) (Kraus et al., 2010, Forschung zur Optimierung der Versorgung von Personen mit glücksspielbedingten Störungen in Bayern, Bericht) 22 31 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Inanspruchnahme Institut für Therapieforschung München Erreichungsquote für ausgewählte Substanzkategorien (jeweils Diagnosegruppen „schädlicher Gebrauch/ Missbrauch“ und „Abhängigkeit“; bei Glücksspiel „Pathologisches Glücksspielen“) (Hildebrand et al., 2009, Sucht, 55, 15-34) Erreichungsquote Hauptdiagnose Unterer Wert Oberer Wert Alkohol 5% 6% Opiate 45% 62% Cannabis 4% 8% Pathologisches Glücksspiel 2% 7% Zum Vergleich: Europa weit nahmen 25,7 % mit einer Diagnose „psychische Störung“ (in den letzte 12 Monate) in diesem Zeitraum Hilfen in Anspruch (Alonso et al., 2004, Acta Psychiatr Scand 109, 47-54) Ressourcen 23 Institut für Therapieforschung München In der Regel haben nur Schwerstabhängige Kontakt mit dem Suchthilfesystem 75% der Ressourcen gehen an die Versorgung Schwerstabhängiger, die jedoch nur 5% des Gesamtanteils illegaler Drogenabhängiger ausmachen (Perkonigg et al., 2004, Suchtmedizin 6(1), 22-31) Missverhältnis zwischen Ressourcenallokation hinsichtlich der Versorgung chronisch Abhängiger und dem Einsatz von Frühinterventionen (Perkonigg et al., 2004, Suchtmedizin 6(1), 22-31) 24 32 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Strukturen Institut für Therapieforschung München Alkoholerkrankungen in der medizinischen Grundversorgung (John et al., 1996) - 17,5% der stationären Patienten (18-64 Jahre) mit Abhängigkeits-/Missbrauchssymptomatik - 10,7% in Allgemeinarztpraxen 33,8% in Krankenhausambulanz Zusätzliche Verdachtsfälle für Frühintervention, 9,7% stationär 25 Strukturen Institut für Therapieforschung München SNICAS Studie: Raucher und Personen mit Nikotinabhängigkeit in der Primärversorgung (Hoch et al., 2004, Addiction 99, 1586-98) - 29% Raucher, 13,9% DSM-IV Abhängigkeit (Vergleichbar mit Allg. Bev.) In 25% der Fälle wird Raucher- bzw. Abhängigkeitsstatus nicht erkannt 56% erhielten jemals Rat oder Beratung über Tabakabstinenz, 12% nahmen jemals an einem Tabakentwöhnungsprogramm teil Smoking and Nicotin Dependence Awareness and Screening (SNICAS) Studie (Hoch et al., Suchtmed 2004, 6(1), 32-46, 47-51) - Versorgungsdefizit von Rauchern und Tabakabhängigen in der Primärversorgung Schwierigkeiten bei der Umsetzung: geringe Aufhörmotivation, zeitaufwändig, mangelnde finanzielle Vergütung, Beratung alleine nicht effizient 33 26 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Strukturen Institut für Therapieforschung München Weiter Programme der Früherkennung - Hart am Limit (HALT) Intervention bei akuter Intoxikation Jugendlicher im Krankenhaus (Müller et al., 2009, D Med Wochenschr 21, 1101-05) - Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten (FeD) (Görgen & Rometsch, 2004, Suchttherapie 5(2), 76-79) - Frühintervention bei alkoholbezogenen Störungen in der Allgemeinarztpraxis: ein stepped-care Ansatz (Rumpf et al., 2003, Suchtmed 5, 37-40) - Kommunale Suchtprävention „Wegschauen ist keine Lösung“ im Landkreis Karlsruhe (Interfraktionelle Arbeitsgruppe zur Suchthilfe und Suchtvorbeugung im Landkreis Karlsruhe, 2007) 27 Prozesse Institut für Therapieforschung München Prozessforschung innerhalb der Versorgungsforschung beinhaltet die Untersuchung von Schnittstellen - Drogentod nach Entlassung aus dem Gefängnis (Merrall et al., 2010, Addiction 105(9), 1545-54) Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse zeigen ein erhöhtes Risiko für Drogentod in den ersten zwei Woche nach Entlassung, das Risiko bleibt bis zu vier Wochen nach Entlassung erhöht - Übergang von Entzugsbehandlung in Rehabilitationsmaßnahme - U.v.m. 28 34 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Ergebnisse Institut für Therapieforschung München Untersuchungen zu den Outcomes systemisch organisierter Ansätze der Krankheitsverhütung, -bekämpfung oder -bewältigung - Beispiel einer systematischen Untersuchung systemischer Ansätze: Evaluation of treatment outcomes for cocaine dependence (DATOS Studie) (Simpson et al., 1999, Arch Gen Psychiatry 56, 507-514) Naturalistischer, nicht experimenteller Vergleich von outcomes (Abstinenz, Urinanalysen) verschiedener ambulanter und stationärer Behandlungsprogramme unter statistischer Kontrolle der Schwere der Abhängigkeit und der Behandlungsdauer 29 Zusammenfassung und Diskussion Institut für Therapieforschung München Vielzahl von Ergebnissen aus der Epidemiologie zu Bedarf und Inanspruchnahme Bisher nur wenige systematische Untersuchungen systemischer Versorgungsansätze in Bezug auf Ressourcen, Strukturen, Prozesse und Ergebnisevaluation Kritik am bestehenden Versorgungssystem mit Schwerpunkt auf Schwerstabhängige wird gestützt durch epidemiologische Daten, die die Notwendigkeit von niedrigschwelliger Frühintervention unterstreichen Vorschläge zur Struktur einer effektiven Versorgung (primär (Allgemeinärzte, -krankenhäuser), sekundär (Allg. psychosoziale Dienste) und tertiär (amb. und stat. Suchteinrichtungen) (Bühringer et al., 2009, Suchtaktuell, ??) 30 35 Forschung für die Versorgung – aktuelle Ergebnisse aus der Versorgungsforschung Dr. PH Ludwig Kraus, München Institut für Therapieforschung München Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 31 36 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Emotionen und Sucht Heiner Ellgring Interdisziplinäre Weiterbildungstagung „Zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Suchttherapie“ des GVS in BerlinSpandau, 8—10 September 2010 Basis- and Soziale Emotionen • Basis Emotionen: – Freude – Trauer – Furcht – Ärger – Überraschung – Abscheu – Interesse • Soziale Emotionen: – Eifersucht – Verlegenheit – Schuld – Scham – Stolz – Verachtung 37 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Ebenen emotionalen Geschehens 1. Subjektives Erleben = Psychologisches Signal nach innen 2. Physiologische Erregung = Biologisches Signal nach innen 3. Ausdruck des Gefühls = Soziales Signal nach außen 1. und 2. = Entstehen einer Handlungsbereitschaft 3. = Kommunikation von Handlungsbereitschaft und Stimmungsübertragung Buck, 1999 38 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Kriterien der Abhängigkeit nach ICD-10 • • • • • • Starkes, oft unüberwindbares Verlangen, die Substanz einzunehmen Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren (was den Beginn, die Beendigung und die Menge des Konsums betrifft) körperliche Entzugssymptome Benötigen immer größerer Mengen, damit die gewünschte Wirkung eintritt fortschreitende Vernachlässigung anderer Verpflichtungen, Aktivitäten, Vergnügen oder Interessen (das Verlangen nach der Droge wird zum Lebensmittelpunkt) fortdauernder Gebrauch der Substanz(en) wider besseres Wissen und trotz eintretender schädlicher Folgen. Lernen emotionaler Bedeutung: Klassische Konditionierung 39 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Limbisches System LeDoux: Zwei Wege der Angst 40 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Appraisal -Theorien Situation Wahrnehmung Einschätzung Appraisal Aktivität vorprogrammierter neuraler Strukturen Erlebtes Gefühl Physiologische Reaktion AusdrucksVerhalten Nucleus Accumbens 41 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Dopamin - Serotonin Funktionen von Emotionen • Motivationale Funktion – Aktivierung von Handlungsbereitschaft, „Action Tendencies“ • “Interface” zwischen Ereignissen und Verhalten – Entkoppelung von Stimulus und Reaktionen • Soziale Funktion – Beziehungsregulation – Aktivierung von sozialer Unterstützung und sozialer Responsivität durch „Stimmungsübertragung“ 42 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Relapse Situations with Alcoholics, Smokers, Heroin Addicts, Compulsive Gamblers and Dieters. Marlatt, 1985 Emotionen und Drogen-Kognitionen • Sucht-Motive als Moderator-Variablen • Motiv: Befindlichkeitsverbesserung -> positive Emotionen lösen explizite und implizite Alkohol-Kognitionen aus • Motiv: Problembewältigung -> negative Emotionen lösen explizite AlkoholKognitionen aus 43 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Psychodynamische Sichtweise der Sucht • Sucht als Symptom der Genußunfähigkeit • Strategie und Lösungsversuch innerer Konflikte • Unzureichende Ich-Funktionen • exzessive Befriedigung der oralen Impulse • die Freisetzung von destruktiven Impulsen im Überich Affektive Merkmale bei Sucht • Geringe Frustrationstoleranz • Ungenügende Affektdifferenzierung – Unfähigkeit der Benennung und Einordnung von Affekten – Gefühle als bedrohlich, beängstigend erlebt • Affektregulierung und Affektdämpfung durch Drogen 44 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Schuld und Scham • Schuld und Scham als primären Gefühle bei Suchtstörungen, auf die Wut und Ärger folgen • Negative Ereignisse auf eigene Person attribuiert -> Scham • interpersonale Schuld als ätiologischer Faktor • Drogenabhängige leiden an exzessiver, fehlangepasster und irrationaler Schuld Persönlichkeitsmerkmale der Emotionalität • „Temperamente“ • Typologie nach vorherrschenden Abwehrmechanismen • Typologie nach vorherrschenden Bewältigungsmechanismen (z.B. Typ AVerhalten) • Emotionale Intelligenz • Alexithymie 45 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Emotionale Intelligenz Definition der Alexithymie (Sifneos,1996; Taylor, 2000) (1) Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu beschreiben und anderen mitzuteilen (2) Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu identifizieren und von körperlichen Empfindungen zu unterscheiden (3) Mangel an Fantasie und Vorstellungsfähigkeit (4) Extern orientierter Denkstil (pensée opératoire) - Konkret, realitätsbezogen, handlungsorientiert, fehlende Tagträume und Erinnerung an Träume 46 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Beschreibung von Gefühlen in emotionalen Situationen • Verwirrung – „Ich weiß es nicht“ • Vage oder einfache Antworten – „Ich habe mich schlecht gefühlt“ • Bericht von Körperempfindungen – „Ich hatte Magenschmerzen“ • Beschreibung von Verhalten oder externen Faktoren – „Er hat dies getan, und ich habe das getan“ Prävalenz: Internationale Daten (TAS) 100% 90% 80% Häufigkeit 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 10,2 13 31,4 42,2 53 50 77 27,5 37,5 55,3 sch nisch pielen gen ndrom ungen ungen rthritis erosa rtonie eut c run in S pe nk sy tör e A itis ul St ö v . d bev . f ches Hy e erz erkra e Ess atoid b ol is in in s hm rm um hn / C me geme holog atofo if . Sc igkeit e e h g t l l o g R m Al Al ro n Pa Cr So hän Ch M. Ab 47 • Allgemeinbev. Deutsch (n = 2047; Brosig 2004) • Allgemeinbev. Finnisch (n = 1285; Salminen, 1999) • Pathologisches Spielen (n = 1147; Lumley, 1995) • Somatoforme Störungen (n = 45; Bach, 1994) • Chron. Schmerzsyndrom (n = 55; Cox, 1994) • Abhängigkeitserkrankung (n = 169; Haviland, 1994) • Esstörungen (n = 48; Bourke, 1992) • Rheumatoide Arthritis (n = 40; Fernandez, 1989) • M. Crohn/Colitis ulcerosa (n = 112; Porcelli, 1995) • Essenzielle Hypertonie (n = 114; Todarello, 1995) Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Alexithymie & Gesundheitsprobleme • Verglichen mit Gesunden ist Prävalenz von Alexithymie erhöht bei Patienten mit: – Rheumatoider Arthritis, Bluthochdruck, entzündlicher Darmerkrankung, KHK, Brustschmerz, Brustkrebs, Diabetes, Kopfschmerzen, Fettsucht, chronischen Schmerzen, Essstörungen, Nierenerkrankungen, Magengeschwüren, HIV, Fibromyalgie, Panikstörung, Impotenz, Sexueller Dysfunktion,…. • Alexithymie als Risikofaktor? • Wirkmechanismus? 4 mögliche Interpretationen (Lumley et al., 1996; nach Cohen & Rodriguez, 1995) 1) Alexithymie trägt bei zur biologischen Ebene von Erkrankungen (Gewebepathologie: Sterblichkeit, Laborbefunde, klinische Beobachtungen) a) über physiologische Veränderungen b) über ungesundes Verhalten 2) Alexithymie trägt bei zur psychosozialen Ebene von Erkrankungen (Bericht und Verhalten: Schmerzen, Symptome, Behinderung, Stimmung, Behandlungssuche) a) über Symptome Drittvariablen b) über Behandlungssuche Physiologischer Pfad 3) Alexithymie resultiert aus Krankheit (“sekundäre Alexithymie”) Alexithymie Verhaltenspfad Kognitiver Pfad Krankheit Störung Biologisch 4) Drittvariablen verursachen Alexithymie und Krankheit 48 Psychosozial Sozialer Pfad Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Hinweise für den Verhaltenspfad • Alexithymie erhöht bei: – – – – – – Essstörungen Alkohol- und Drogenmissbrauch Schlechter Ernährung Sitzendem Lebensstil Spielsucht Selbstverletzendem Verhalten • Wenig bekannt über die meisten gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen (Compliance, Risikoverhalten, Körperpflege) Schlussfolgerung: Alexithymie und Krankheit 1. Wenig Hinweise für Verursachung biologischer Erkrankungen durch A. – Kaum Hinweise für physiologische Hyperreaktivität – u ungesundes Verhalten möglich 2. A. als Risikofaktor für psychosoziale Krankheitsfaktoren – u Symptombericht – Mögl. u Behandlungssuche, u Prävalenz 3. Sekundäre Alexithymie in manchen Fällen Drittvariablen Alexithymie ? Physiologischer Pfad Verhaltenspfad Kognitiver Pfad Sozialer Pfad ? 99 ? ? ± 4. Drittvariablen denkbar, die Alex. und Krankheiten verursachen (Hirnläsionen, Negative Affektivität) Krankheit Störung Biologisch t Ursache für erhöhte Prävalenzraten bei unterschiedlichen Erkrankungen unklar 49 Psychosozial Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Bewusste und willkürliche Steuerung von Emotionen • Was an den Emotionen ist bewußt? – Große Teile des emotionalen Geschehens sind unbewußt. • Lassen sich Emotionen willkürlich steueren? – Eine willkürliche Steuerung ist möglich über • • • • • Psychotrope Substanzen Auswahl von Situationen Kognitionen Veränderung von Körperfunktionen Willkürliches Verhalten Emotionsregulation nach Gross, 2000 50 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Strategien zur Verbesserung schlechter Stimmung (Thayer et al., 1994) Am häufigsten angewandte Strategien: • abwarten, Augen schließen oder schlafen (42%) • Bewegung, Sport (37%) • lustige Aktivität (35%) • Humor, etwas essen (34%), • fernsehen (32%) Erfolgreiche Strategien zur Verbesserung schlechter Stimmung (Thayer et al., 1994) 1. Aktives Stimmungsmanagement – meistens (6,8 - 7,0): Bewegung, Entspannungstechniken, reflektieren, duschen, Gedanken kontrollieren, Sex, Humor 2. Angenehme Aktivitäten, Ablenkung – meistens (6,4 - 6,6): Hobby, Musik hören, Ort wechseln, lesen 3. Rückzug, Vermeidung – (6,3=meistens) (3,9=selten - manchmal): alleine sein, Ursache (Person, Sache) vermeiden, emotionale Handlungen wie z.B. weinen, schreien etc. 4. Soziale Unterstützung, Belohnung – manchmal (5,8 - 4,7): mit jemandem sprechen, Zigaretten, essen 5. Passives Stimmungsmanagement (5,6=manchmal) (4,2= selten - manchmal): fernsehen, Koffeinhaltiges trinken, essen, schlafen 6. Direkte Anspannungsreduktion - selten (3,5 - 3,2): Drogen, Sex, Alkohol * Selbsteinschätzungen auf 9-stufiger Skala mit immer, meistens, manchmal, selten und nie erfolgreich; Therapeuten-Einschätzung kursiv) 51 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Taxonomie von Strategien zur Stimmungsregulation (Larsen, 2000) Verhaltensorientiert Fokus auf Situation Fokus auf Stimmung Kognitiv • • • • Problemorientiertes Handeln Lösungen suchen Zukunft planen Mit jemandem darüber sprechen • Weiter daran arbeiten • Rückzug / Vermeidung / Flucht • Neubewertung der Situation • Erfolg auf anderen Gebieten thematisieren • Nach unten orientierter sozialer Vergleich • Hoffnung fördern • Fatalismus • Ablenkung, sich beschäftigen • Sozialisieren • Gefühl ausdrücken, sich Luft verschaffen • Gefühl unterdrücken • Physische Aktivität • Essen, Trinken, psychotrope Substanzen • • • • Meditieren / Entspannung Stoizismus Phantasieren / Tagträumen An problemfreie Zukunft denken • Aktives Vergessen • Intellektualisieren Zielbereiche der Emotionsregulation in der DBT • • • • Interne Gefühlszustände, d.h. das subjektive Erleben von Emotionen, Emotions-bezogene Kognitionen, d.h. gedankliche Reaktionen auf die Situation, Emotions-bezogene physiologische Prozesse, z.B. Herzrate, hormonale oder andere physiologische Prozesse und Emotions-bezogenes Verhalten, z.B. Handlungen oder mimische Ausdrucksweisen. 52 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Emotionale Ferigkeiten in der DBT • Identifizieren und Benennen von Emotionen • Identifizieren von Widerständen gegenüber der Veränderung von Emotionen • Reduktion der Vulnerabilität gegenüber emotionaler Überfoderung • Vermehren positiver emotionaler Ereignisse • Erhöhung der Achtsamkeit auf augenblickliche Emotionen • Eine gegenteilige Handlung beginnen • Anwendung von Techniken zur Erhöhung der Distress-Toleranz „Geschichte der Emotion“ • • • • • • • Auslösendes Ereignis Interpretation des Ereignisses Körperliche Empfindungen Körpersprache Handlungstendenz Handlung Emotions-Bezeichnung, basierend auf der vorherigern Liste. 53 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Veränderungen Emotionaler Zustände Ebene Ungeeignete Veränderungsversuche Verhaltenstherapeutische Maßnahmen Somatischphysiologische Ebene Veränderung von negativen Emotionen (Angst, Depression, Spannung, Stress) durch Pharmaka, Alkohol, Drogen Biofeedback Medikamente Entspannung Habituation Systematische Desensibilisierung Kognitive Ebene Negative Bewertungen von sich, der Umwelt und der Zukunft in der Depression, Irrationale Gedanken, Angst vor Ausbleiben sexueller Erregung Kognitive Umstrukturierung RET Selbstwahrnehmung Verhaltensebene Flucht, Vermeidung Aktivität (Depression) Gefühle mitteilen Training sozialer Kompetenz Emotionale Fertigkeiten • Physiologische Reaktionen – Interpretation physiologischer Reaktionen – Kontrolle physiologischer Reaktionen • Subjektives Erleben – Differentielles Erleben – Regulation und Bewältigung des Erlebens • Ausdruck von Emotionen – – – – Spontaner Ausdruck Willkürlicher Ausdruck Hemmung - Inhibition Darstellung - Display • Erkennen von Emotionen Anderer 54 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München 55 Emotionen und Sucht Prof. Dr. Heiner Ellgring, München Soziale Funktion von Emotionen • Es findet eine kontinuierliche Regulation statt: – Sympathie, Bewertung – Aktivität – Status • Stimmungsübertragung bzw. Kommunikation von Gefühlen ist Teil unserer sozialen Interaktion Dimensionen der Beziehungsregulation Sympathie Status Aktivität gut - schlecht stark - schwach ruhig - erregt angenehm unangenehm groß - klein müde - wach positiv - negativ dominant submissiv aktiv - passiv 56 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Sucht und Gender – Erklärungsansätze und therapeutische Zugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. med. P. Subkowski Arzt f. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Arzt f. Neurologie und Psychiatrie -Psychoanalyse (DPV/IPA), Sozialmedizin, Rehabilitationswesen- Vortragsgliederung 1. Einleitung – zur Genderforschung 2. Statistisch/epidemiologische Daten zur Geschlechtsverteilung bei Suchterkrankungen 3. Typische Ausprägungen männlicher Sozialisation 4. Genderbedingte Ursachen der Suchterkrankungen bei Männern 5. Psychodynamische Modelle der männlichen Suchtentstehung 6. Zur genderspezifischen bzw. gendersensiblen Suchttherapie 7. Fallbeispiel 57 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Was bedeutet Gender? • Sex: das biologische Geschlecht • Gender: die sozialen Eigenschaften, Verhaltensweisen und Identitäten von Männern und Frauen, die das Verhältnis zwischen den Geschlechtern prägen. Gender ist historisch, kulturell und gesellschaftlich geprägt und deshalb auch grundsätzlich veränderbar und bewusst gestaltbar. ÄL Dr. Peter Subkowski 3 Gender beeinflusst • das Körperbewusstsein • das Gesundheitsverhalten • die Inanspruchnahme der Gesundheitsdienste • Krankheit und Tod • die Gesundheitsberufe (eher männlich geprägt, wie die Chirurgie, oder auch eher weiblich, wie die Psychotherapie) ÄL Dr. Peter Subkowski 4 58 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Genderberücksichtigung in der Medizin In der naturwissenschaftlichen Medizin werden Entstehung, Verlauf und Therapie von Krankheiten i.d.R. unabhängig vom Kranken und seiner Umwelt betrachtet, also vermeintlich objektiv, wertfrei und genderneutral. Genderaspekte werden dabei bei Frauen und Männern oft entweder ganz ignoriert oder aber pathologisiert (z. B. Schwangerschaft, Menopause). Auch Sucht wird gemeinhin als geschlechtslos betrachtet. Der einzelne suchtkranke Mensch zeigt aber eine deutliche geschlechtsspezifische Ausprägung seiner Abhängigkeit. Die Gründe und Ursachen für einen Suchtmittelkonsum sind bei Frauen und Männern sehr oft unterschiedlich! ÄL Dr. Peter Subkowski 5 Erklärungsansätze für Genderdifferenzen bei Gesundheit und Krankheit: • genetische und andere biologische Faktoren, • geschlechtsspezifische Lebens- und Arbeitsbedingungen, • unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Vorstellungen und Selbstkonzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit, • psychodynamische Erklärungsmodelle. Auch für Abhängigkeitserkrankungen geht die interdisziplinäre Forschung von multifaktoriellen Theoriemodellen aus, die psychologische, soziologische, kulturelle und biochemische Faktoren einschließen. Die Heterogenität in der Gruppe der Süchtigen resultiert dabei aus dem Zusammenspiel individuell unterschiedlicher Faktoren. 6 59 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen 1. Einleitung – zur Genderforschung 2. Statistisch/epidemiologische Daten zur Geschlechtsverteilung bei Suchterkrankungen 3. Typische Ausprägungen männlicher Sozialisation 4. Genderbedingte Ursachen der Suchterkrankungen bei Männern 5. Psychodynamische Modelle der männlichen Suchtentstehung 6. Zur genderspezifischen bzw. gendersensiblen Suchttherapie 7. Fallbeispiel Männer haben häufiger als Frauen einen problematischen Suchtmittelkonsum. In Deutschland sind ca. 75% der behandelten Suchtpatienten Männer (Welsch u. Sonntag 2005). In den USA missbrauchen in der erwachsenen Bevölkerung 10% der Männer und 5% der Frauen Alkohol bzw. illegale Drogen (Weiss et al. 2003). Abhängigkeit Geschlechterverteilung Alkohol 1/3 Frauen 2/3 Männer Illegale Drogen 1/3 Frauen 2/3 Männer Raucher (>20 Zigaretten/Tag) 1/3 Frauen 2/3 Männer Medikamente 2/3 Frauen 1/3 Männer Path. Glücksspiel 10% Frauen 90% Männer 90% Frauen 10% Männer Bulimie + Anorexie Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 2002 60 8 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Deutsche Suchthilfestatistik der DHS des Entlassjahrgangs 2007 ambulante Behandlung 9 3. Typische Ausprägungen männlicher Sozialisation • Externalisierung und Außenorientierung in Wahrnehmung und Handeln mit wenig Bezug zu eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. • geringere Empathiefähigkeit. • geringere Verbalisierungsfähigkeit: eingeschränkte Fähigkeit über sich zu reden, vor allem über Gefühle und Hilflosigkeit. • risikoreichere Verhaltensweisen. • Gewaltanwendung gegen sich und Frauen, Kinder und Männer. • Einzelkämpfer u. Einzelgänger mit wenig Freunden, mit denen Persönliches ausgetauscht wird. • Größere Körperferne – der Köper soll funktionieren ohne viel Beachtung, Rücksicht und Pflege. Vernachlässigung der eigenen Gesundheit. • Kontrollhaltung und narzisstische Abwehr gegen Gefühle und 10 Impulse, sich fallen zu lassen. 61 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen 1. Einleitung – zur Genderforschung 2. Statistisch/epidemiologische Daten zur Geschlechtsverteilung bei Suchterkrankungen 3. Typische Ausprägungen männlicher Sozialisation 4. Genderbedingte Ursachen der Suchterkrankungen bei Männern 5. Psychodynamische Modelle der männlichen Suchtentstehung 6. Zur genderspezifischen bzw. gendersensiblen Suchttherapie 7. Fallbeispiel Genderbedingte Suchtursachen bei Männern • Höheres genetisches Risiko bei Männern für Suchterkrankungen (Remschmidt 2002). • Allgemein schlechteres Gesundheitsverhalten. • Höherer beruflicher und persönlicher Erfolgsdruck. • Einengend erlebte Rollenerwartungen mit Überforderung durch familiäre Verpflichtungen/Vaterschaft. • Externalisierendes Verhalten und riskantere Konsummuster in Bezug auf Quantität und Qualität. • Narzisstische Abwehr von Ohnmachtgefühlen und Abhängigkeitsbedürfnissen. Instrumentell/funktionell geprägtes Selbst- und Körperkonzept. • Positive Erwartungshaltung an Drogen als Ersatz für Emotionalität, Machtzuwachs etc.. • Unsicherheiten in der Geschlechtsidentität durch zunehmendes Fehlen von männlichen Bezugspersonen. 12 62 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Männliches „doing Gender with drugs“ - mit Hilfe von Suchtmitteln Vorstellungen von Männlichkeit leben und aufrecht erhalten • Drogen erleichtern die physische Inszenierung von Stärke, Macht, Gewalt über Frauen und Geschlechtsgenossen (Stöver 2007). • Ausleben von hegemonialer Männlichkeit im Rausch mit Größenvorstellungen und Unverletzlichkeitsphantasien. • Aufrechterhaltung der Averbalität, Rationalität und Kontrolle/Abwehr der eigenen Gefühle. • Abbau von inneren Blockaden mit Verstärkung des risikoreichen Verhaltens. • Intensiveres Erleben von Gruppendynamik. Rausch auch als Initiationsritus und Kommunikationsenklave bei Männerbünden. Reduktion von Komplexität in der Umwelt. • Verstärktes (Sich-)Erleben im Kampf- und Komatrinken. • Unter Suchtmitteleinsatz werden Herausforderungen künstlich hergestellt, um einerseits „thrill“ und „Kick“ zu erleben, aber auch um diese Gefahren zu meistern und sich so als Mann zu beweisen (Apter 1992). Männliches „doing Gender with drugs“ Umgang mit Unsicherheiten in der männlicher Geschlechtsrolle • Alkohol dient bei Männern stärker als bei Frauen als Stimulationsmittel für Kampfbereitschaft und Kompensationsmittel für nicht erfüllte männliche Leistungsansprüche. • MOA-These (Macht-Ohnmacht-Alkoholkonsum, Siebers 1996): Zusammenhang zwischen erlebter Ohnmacht, dem Bedürfnis nach Macht und Alkoholkonsum, der Machtgefühle verschafft. Bei trinkenden jungen Männern ist das Dominanzstreben am höchsten. Ihr starker Wunsch nach größerer persönlicher Macht korreliert mit starkem Trinken. • Alkohol dient als Ersatz für abgewehrte Gefühlswahrnehmungen und wird als Konfliktregulierungsmittel eingesetzt. • Alkohol kann dabei im Rahmen traditioneller Männlichkeit typische männliche Abwehrstrategien wie Verdrängen, Abspalten und narzisstischer Rückzug verstärken. Fazit: Männliche Rollenzwänge prädestinieren zum Alkoholkonsum! 63 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Gewalterfahrung wirkt als Suchtursache auch unabhängig von anderen sozialen Faktoren. Gewalterfahrung ist in der Vorgeschichte von Frauen häufiger: 74% aller Sucht-Reha-Patientinnen haben vor dem 16. Lebensjahr Gewalt erlitten: Seelische (80%), körperliche (30%) und sexuelle Gewalt (45% der Frauen, aber nur 16% der Männer!). Gewalterf. Süchtige Nicht – Süchtige _________________________________________ Frauen ca. 60% ca. 25% _________________________________________ Männer ca. 30% ca. 5% 15 Die allgemeine Genderdifferenz wird in den westlichen Ländern zunehmend kleiner, was auf die veränderten sozialen Rollen der Frauen zurückgeführt wird, deren Lebensentwürfe und Verhaltensweisen sich denen der Männer stetig annähern. Da diese Trends auch für Jungen und Männer gelten, wird von einer Geschlechterkonvergenz bzw. kulturellen Konvergenz gesprochen. > Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Prävalenz des Drogenkonsums verringern sich! Z. B. steigender Tabak- und Alkoholkonsum junger Mädchen, v. a. in Ostdeutschland, und steigende Lungenkrebsraten bei Frauen. 16 64 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Zur Bedeutung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern Je belastender die traumatischen Lebenserfahrungen sind, desto früher treten seelische Störungen bzw. eine Sucht auf, desto schwerer sind sie und ziehen dann unabhängig vom Gender einen jeweils anderen Drogengebrauch nach sich. Es ist fraglich, ob die suchtbezogenen Gemeinsamkeiten zwischen weiblichen und männlichen Alkoholikern nicht größer sind als die zwischen einer Alkoholikerin und einer ´ von illegalen Drogen abhängigen Patientin? > Nicht die Therapiethemen an sich unterscheiden sich geschlechtsspezifisch, sondern die Erfahrungen eines individuellen Patienten müssen gendersensibel bearbeitet werden! 1. Einleitung – zur Genderforschung 2. Statistisch/epidemiologische Daten zur Geschlechtsverteilung bei Suchterkrankungen 3. Typische Ausprägungen männlicher Sozialisation 4. Genderbedingte Ursachen der Suchterkrankungen bei Männern 5. Psychodynamische Modelle der männlichen Suchtentstehung 6. Zur genderspezifischen bzw. gendersensiblen Suchttherapie 7. Fallbeispiel 65 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Psychodynamische Modelle der männlichen Suchtentwicklung • Alkohol stellt ein ideales Medium für eine Realitätsverleugnung mit positiverem Selbstbild und emotionalerem Erleben dar. • Rado (1934): Kompensation eines instabilen Selbstgefühls. Heigl-Evers (1991): das Suchtmittel erfüllt die Aufgaben einer primitiven guten Teilobjekt-Beziehung bei Ich-struktureller Störung. Fenichel (1945): „Das Über-Ich ist derjenige Teil des Selbst, der gut in Alkohol löslich ist“. • Satre u. Knight (2001): Vor allem junge Männer schreiben dem Alkohol umfassend positive Effekte zu. Mit dem Ziel: einerseits Steigerung der Genuss- und Arbeitsfähigkeit, andererseits Abwehr negativer Affekte. • Müller (1996): Durch die Abwesenheit männlicher Bezugspersonen entsteht über das Fehlen von Identifikationsfiguren eine Verunsicherung in der männlichen Geschlechtsrolle. • Bilitza (2009): bei der Suchtentstehung spielt der „not good enough father“ eine entscheidende Rolle. Modell der männlichen Suchtentwicklung (Bilitza 2009) 66 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Versagen des Vaters in der männlichen Entwicklung Strukturelle Störung: aufgrund das Fehlens oder Versagens eines frühen triangulierenden männlichen Objekts kann die fusionäre frühe Mutterbeziehung nicht überwunden werden. > Persistenz einer hochgradig ambivalenten Abhängigkeit von der Mutter mit bewusster Idealisierung des weiblichen Objekts bei abgespaltener unbewusster destruktiver Tendenz und strukturellen Störungen der Trieb-, Ich-, narzisstischen Selbstwert- und Über-Ich-Organisation, welche die eigentliche psychische Abhängigkeitsstruktur ausmachen. > Männliche Konfliktpathologie: auch in der ödipalen Phase stehen dem Jungen für die männliche Identitätsentwicklung keine orientierenden, haltgebenden männlichen Objekte zur Verfügung, bzw. sie versagen in der ödipalen Triangulierung. Daher können die ödipalen Konflikte, wie die Identifizierung mit dem Vater, nicht bewältigt werden > Verstärkte Ich-Schwäche, Störung der männlichen Selbstwertregulation und fehlende Entwicklung eines autonomen Über-Ichs. > In der Pubertät können die äußeren Anforderungen nicht erfüllt werden. Der ausprobierende Substanzkonsum dient hier noch als vorläufiger künstlicher Ersatz für nicht ausreichende Ich-Funktionen > Manifeste Sucht: Fehlen dann korrigierende und haltgebende äußere Bezugspersonen bildet der männliche Patient über Missbrauch und Gewöhnung die eigentliche Substanzabhängigkeit aus. Die Droge dient: • als Ersatzbildung ungenügender Selbst-Strukturen und/oder • im Sinne künstlicher Ich-Funktionen und/oder • zur illusionären Konfliktbewältigung. 22 67 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Die Gewöhnung an den Alkohol führt dazu, dass dieser aufgrund seiner omnipotenten Wirkung als apersonale PartialobjektRepräsentanz (unbelebtes Objekt) erlebt wird und so das Unvereinbare von Fusion und Getrenntsein scheinbar miteinander vereinbart. Das unbelebte Objekt „Alkohol“ (Voigtel 1996) ist verlässlich, berechenbar, verfügbar, nicht enttäuschend oder beschämend, ängstigend und stellt keine unerfüllbaren Ansprüche wie menschliche Objekte. So kommt ein Kompromiss zwischen Abhängigkeitsangst und Beziehungswunsch zustande. Alkohol schafft die Illusion, jederzeit die Abhängigkeit von Menschen aufgeben zu können. Am Ende kehrt die Abhängigkeit im Sinne der Wiederkehr des Verdrängten aber wieder: als Abhängigkeit von der Droge, die immer mit Trennung oder Tod endet. Das Versagen des Vaters bzw. Fehlen der väterlichen Funktion in der Geschichte eines Süchtigen lässt sich nachweisen in der: • Entwicklungspsychologischen Perspektive: In der Lebensgeschichte des Pat. ist auffallend häufig ein unzureichender oder fehlender Vater festzustellen. • Psychogenetischen Perspektive: Das Versagen des Vaters als triangulierendes Objekt in der Ablösung von der Mutter hemmt beim Betroffenen die Entwicklung der Selbststruktur bei der frühen Triangulierung und/oder der ödipalen Triangulierung > spezifische Störung der Abhängigkeits- und Autonomieentwicklung. • Behandlungstechnischen Perspektive: Im Prozess der ÜbertragungsGegenübertragungs-Verschränkung lassen sich die unbewältigten Triangulierungsprobleme als Reinszenierungen wiederfinden. 68 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen 1. Einleitung – zur Genderforschung 2. Statistisch/epidemiologische Daten zur Geschlechtsverteilung bei Suchterkrankungen 3. Typische Ausprägungen männlicher Sozialisation 4. Genderbedingte Ursachen der Suchterkrankungen bei Männern 5. Psychodynamische Modelle der männlichen Suchtentstehung 6. Zur genderspezifischen bzw. gendersensiblen Suchttherapie 7. Fallbeispiel Neue korrigierende emotionale Erfahrungen treten im Verlauf der Therapie auf: • wenn der triangulierende Vater im Übertragungsgeschehen die „strukturierende“ Funktion einer hilfreichen väterlichen Präsenz erfüllt (z. B. durch das psychoanalytischinteraktionelle Prinzip „Antwort“ Stellung nimmt), • wenn er eine triangulierende Lösung aus dualen Abhängigkeiten im Rahmen der Therapie fördert > dies kann zu Trennungen im Schutz eines verlässlichen väterlichen Objekts als Entwicklungs- bzw. Reifungsschritt führen. • Der analytische Prozess wird bei ausreichend stabiler Selbststruktur des Pat. natürlich auch durch klassische Deutungen gefördert. 69 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Die Triangulierung kann auch im Rahmen einer integrativen psychoanalytischen Entwöhnungsbehandlung (Jansen 1987; Jansen u. Subkowski 1992; Subkowski 2000, 2008) gefördert werden: ¾ Analytische Psychotherapie im multimodalen und multiprofessionellen Team mit somatischer Mitbehandlung. Der Patient kann die gesamte Klinik als Feld für unbewusste Reinzenierungen primitiver und pathologischer Teilobjektbeziehungen nutzen. ¾ In das Kernstück der analytischen Gruppentherapie werden nonverbale Psychotherapieverfahren, wie KBT, Sport- und Bewegungstherapie, Kreativ- und Musiktherapie etc., Einzeltherapie und spezifische indikative Gruppen integriert. ¾ In den regelmäßigen Teamsitzungen werden die unterschiedlichen Beziehungsaufnahmen und das Übertragungs-/Gegenübertragungserleben vom Team reflektiert und zu einem Gesamtverständnis der ubw.Szene bzw. des zentralen Beziehungskonfliktthemas (ZBKT) (Luborsky 1987) integriert. ¾ Die in den Teamsitzungen gewonnene Einsicht gibt Orientierung für die Behandler in ihren jeweiligen therapeutischen Bereichen und dient auch der psychischen Entlastung der Mitarbeiter. Unsere Therapiebezugsgruppen sind grundsätzlich gemischt: Vorteil, dass sich in ihnen die Lebenswirklichkeit der Patienten widerspiegelt, so dass die Möglichkeit besteht, Konflikte und Probleme zwischen den Geschlechtern zu bearbeiten und das andere Geschlecht besser kennen zu lernen und zu verstehen. Das Sprechen über Befindlichkeiten löst dabei die stoffinduzierte Beruhigung ab (Schmitt 2009). Diese werden ergänzt durch eine indikative Männergruppe und eine Frauengruppe, die von männlichen Therapeuten bzw. Therapeutinnen geleitet wird. Hier können geschlechtsspezifische Probleme, wie Gewalterfahrungen, sexueller Missbrauch etc. in einem geschützten Rahmen gendersensibel bearbeitet werden. Bei der begleitenden Einzeltherapie wird das Geschlecht der Therapeuten und die Wünsche des Patienten berücksichtigt. Z. B. fällt es vielen Patientinnen mit sexuellem Missbrauch in der Vorgeschichte leichter mit einer Therapeutin zu arbeiten. Männern mit sexuellen Funktionsstörungen dagegen können sich oft leichter einem männlichen Therapeuten anvertrauen. 70 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Männerspezifische/sensible Suchttherapie nach Vosshagen (2005) Psychotherapieanforderungen Männlichkeitsansprüche Preisgeben privater Erlebnisse Aufgabe von Kontrolle Nicht-sexuelle Intimität Zeigen von Schwäche Erleben von Scham Zeigen von Verletzlichkeit Hilfe suchen Gefühlsausdruck Introspektion, Innenwahrnehmung Äußern von Beziehungsproblemen Auseinandersetzen mit Schmerz Akzeptieren von Misserfolgen Eingestehen von Ungewissheit Aushalten von Spannungen Verbergen privater Erlebnisse Bewahren von Kontrolle Sexualisierung von Intimität Zeigen von Stärke Ausdruck von Stolz Zeigen von Unbesiegbarkeit Selbständigkeit Gefühlskontrolle Externalisierung, im Außensein Vermeiden von Konflikten Verleugnung von Schmerz Beharren auf dem Weg Vortäuschen von Allwissenheit Ausagieren von Spannungen 7. Fallbeispiel Hr. A., Mitte 50 Jahre, 16wöchige Entwöhnungsbehandlung · seit über 20 Jahren Barbiturat-, später Lexothanil- und Distraneurinabhängigkeit. Seit 16 Jahren Alkoholabhängigkeit. · In der Familie Abhängigkeit zweier Brüder und des Großvaters mütterlicherseits sowie der Mutter. · Auslösendes Ereignis: mit 33 Jahren Herzangst und „Kollaps“ auf der Arbeit, als ihn der väterliche, verlässliche Mitarbeiter verlässt. Die verschriebenen Medikamente werden als „kleine Helfer“ erlebt. · Streng katholisch ohne Vater (Gefangenschaft) bei der Mutter bis zum 3,5 Lebensjahr aufgewachsen; vom Patienten verleugnet. · Hohe verinnerlichte Leistungsnormen und Ansprüche (rigides Über-Ich), die schon als Kind mit Angstzuständen einher gingen. Kurzfristig als Kind deswegen Krankenhausbehandlung. · Zur weichen, gefühlvollen, künstlerischen 76jährigen Mutter habe er immer den besseren Kontakt gehabt (bewusste Idealisierung). Diese habe sich aber durchweg dem Vater unterordnen müssen. Von ihr habe er aber auch „die schlechten Nerven geerbt“. · Sein Vater ist vor 9 Jahren 71jährig verstorben. Er sei dominant, intelligent, „über alles erhaben“ und den Söhnen gegenüber autoritär gewesen. Der Patient bewunderte ihn, hatte aber auf die Entfernung zu ihm immer eine angespannte Beziehung. Erst lehnte er den Beruf des Einzelhandelskaufmanns ab, eiferte aber dann doch dem Vater nach. · Psychodynamik: Überwiegen der fusionären negativen S-O-Erfahrungen mit der alkoholabhängigen Mutter, die abgespalten und verleugnet werden mussten. Fehlen des präödipalen Vaters in der Frühzeit (mangelhafte männliche Identifikation), kein triangulierender Ausgleich zur Mutterbeziehung. Mit 4 Jahren Diphtherie mit länger dauernder stationärer Behandlung, ausgeprägte Geschwisterrivalität, Tod des nachfolgenden Bruders > falsches Selbst mit kontraphobischen und narzisstischen Zügen und forcierter Autonomie. In der Beziehung zur Ehefrau Wiederholung der ambivalenten Autonomie/ Abhängigkeitsproblematik. Überlassung an das unbelebte Objekt Droge und symbiotische Verschmelzung im Rausch. 71 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen Fallbeispiel 31 71 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen 72 Sucht und Gender – Erklärungsansätze und Behandlungszugänge bei der männlichen Abhängigkeit Dr. Peter Subkowski, Bad Essen 73 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Klinik für psychotherapeutische und psychosomatische Medizin EVKB Dr. Andrea Möllering Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie 1 „Ich wußte dass wird immer an mir kleben. Ich werde mich immer schuldig fühlen für das was ich mit mir machen lassen mußte. Aber mein Mund verschloss sich und ich habe bis heute nicht darüber gesprochen, nur nachts holt mich der Schrecken wieder ein“ (Worte einer Frau2009, die bei Kriegsende 1945 mehrfach brutal vergewaltigt wurde) 74 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Ein kurzer Überblick über die Geschichte der Psychotraumatologie • Seit Jahrtausenden gibt es Rituale zur Milderung traumatischer Erfahrungen • 1860 Veröffentlichung eindrucksvoller gerichtsmedizinischer Studien über Missbrauch und Misshandlung von Kindern • 1882 zunehmend Veröffentlichungen, die Frauen und Kindern „hysterische Lügengeschichten“ unterstellen • 1895 erarbeitet Sigmund Freud das Krankheitsbild der Hysterie als eine auf Traumatisierungen zurückgehende Erkrankung. 1897 widerruft er die Traumatheorie (zumindest scheinbar) Geschichte der Psychotraumatologie • • • • • Erster Weltkrieg „Kriegszitterer“ Zweiter Weltkrieg und Holocaust Vietnamkrieg Frauenbewegung in den 70´er Jahren Seit den 80´Jahren wieder zunehmende Beschäftigung mit dem Thema: Traumatisierung und psychische Folgen • Ramstein, Eschede, Erfurt, 11. September 2001, weltweiter Terror, Tsunami, weltweite Kriege... • Aktuelle Debatte um Mißhandlungen und Mißbrauch im kirchlichen/institutionellen Kontext • Inflation des Traumabegriffes??? 75 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld 6 76 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld 77 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Nährboden für Angst Kriminalitätsstatistik BRD 2009 (BKA) - Mord/Totschlag/fahrlässige Tötung 2277 Fälle - Vergewaltigungen u. bes. schwere sex. Nötigung 7315 Fälle - Gefährliche und schwere Körperverletzung 149 301 Fälle 78 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eine PTBS zu entwickeln? (Angaben gemäß der Leitlinie PTBS AWMF: www.awmf.org) • Die Häufigkeit ist abhängig von der Art des Traumas – Ca. 50% Prävalenz nach Vergewaltigung – Ca. 50% Prävalenz bei Kriegs- und Vertreibungsopfern – Ca. 25% nach anderen Gewaltverbrechen – Ca. 15% bei schweren Organerkrankungen ….. nach aktueller Studienlage ist soziale Unterstützung nach einer Traumatisierung einer der wichtigsten Faktoren zu sein, um die Ausbildung einer Traumafolgestörung zu verhindern!!!!! 12 79 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Trauma-Begriff nach ICD-10 Traumadefinition Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10 F43.1 „ ....... ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde... “ (WHO 1994) Essstörungen Suchterkrankungen Angststörungen Depressionen Somatoforme St. PTSD TRAUMA Pers.störungen Sonst. Psych. St. Psychosen Keine Psychopath. Dissoziative St. 80 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1 Intrusionen (immer wieder einschießende Bilder, Gerüche, Gedanken etc.), Albträume.. Vermeideverhalten (Vermeidung von Orten, Personen aber auch Gefühlen ..) Hyperarousal (Schreckhaftigkeit, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit, Schlafstörungen etc.) „Reguläre Stressreaktionen“ Amygdala „Alarm“ Großhirn „Bewußtes“ Handeln Hippocampus „Einordnung“ in Raum, Zeit, etc Stressrkt. Herzfr.anstieg Blutdruckan. Angst Etc. Erlebnis wird zusammenGeführt und als Ganzes abgespeichert 81 Logik und bewußtes Handeln Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Bild Ellert Nijenhuis • Trauma als Unmöglichkeit von Kampf und Flucht • Ohnmacht und Hilflosigkeit Was passiert bei Traumatisierungen? Amygdala „Alarm“ Stressrkt. Herzfr.anstieg Blutdruckan. Angst Etc. Vollständige Großhirn Oder teilweise „Bewußtes“ Handeln Blockierungen i.B. des Hippocampus Hippocampus „Einordnung“ in Raum, Zeit, etc Erlebnis wird zusammenGeführt und als Ganzes abgespeichert 82 Logik und bewußtes Handeln Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Bild Ellert Nijenhuis Bild Ellert Nijenuis 83 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Besonderheiten Trauma-Frauen • Die Traumatisierungen, die oft die größten Probleme bereiten erfolgen meist schon im Kindesalter: – V.a. innerfamiliärer sex. Mißbrauch • Traumatisierung aufgrund des Geschlechtes in einer Phase in der die Identitätsentwicklung noch nicht erfolgt ist • Gesellschaftliche Bewertung und Tabuisierung • Oftmals keine Hilfe durch die Mütter • „wäre ich keine Frau, wäre ich nicht traumatisiert worden“ PsychodynamischeHypothesen zu Traumatisierungen Trauma zeigt: Die Wirklichkeit ist schlimmer als jede Phantasie. die Bewältigungsmöglichkeiten des Ich sind außer Kraft u.U. Flucht in die Dissoziation Versuch durch Verleugnung und Ungeschehenmachen das Trauma zu verarbeiten Getrennthalten von Ich-Zuständen erniedrigte Reizschwelle (die traumatischen Erfahrungen brechen immer wieder durch „Intrusionen“) Täterintrojekte 22 84 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Traumatisierungen und Suchterkrankungen • Untersuchung an repräsentativer deutscher Bevölkerungsstichprobe (18.-59.LJ): gaben 2,8% der Männer und 8,6% der Frauen an vor dem 16.LJ sexuellen Handlungen ausgesetzt gewesen zu sein (10% körperliche Misshandlungen bei beiden Geschlechtern) (Wetzels et al 1997) • Nach neusten Studien liegen die Raten für schwere Traumatisierungen bei Suchtkranken durchschnittlich bei 7090% (Brown 1994; Giakonia et al 1995; Schäfer et al 2000; Langeland 2003; Driessen 2008) (Lüdecke, Sachsse, Faure: Sucht-Bindung-Trauma Schattauer 2010) 23 Hypothesen Beziehung Suchtmittelmissbrauch und PTBS (nach Lüdecke, Sachsse, Faure: Sucht-Bindung-Trauma) • 1. Selbstmedikationshypothese (Khantzian 1985 und viele folgende Studien):Einsatz von psychoaktiven Substanzen, um Symptome der PTBS zu reduzieren • 2. Sensibilitätshypothese: erhöhte Sensibilisierung des limbischen Systems bei Suchterkrankten • 3. Hochrisikohypothese: Drogenkonsum hochriskantes Verhalten und damit erhöhtes Risiko einer Traumaexponierung Das neuroanatomische Korrelat der Suchterkrankung hat den Hauptsitz im mesokortikolimbischen Belohnungssystem 24 85 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Traumatherapie Das oberste Prinzip jeglicher Traumatherapie ist die Herstellung von Sicherheit im Außenfeld und im Inneren 1.Keine weitere Traumatisierung oder direkte Gefährdung durch die Täter bis hin zu keinem Täterkontakt generell 2. Den Betroffenen muß dabei geholfen werden zu verstehen, dass das Ereignis in der Vergangenheit lag, abgeschlossen ist und heute keine Gefahr mehr droht 25 Bild Ellert Nijenhuis S afety first! 86 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Theorie der strukturellen Dissoziation n. Ellert Nijenhuis • Strukturelle Dissoziation (psychisch-somatisch) • Basierend auf den Erkenntnissen Janets entwickelte Theorie über Folgen von Traumatisierungen unter Berücksichtigung neuerer hirnorganischer Forschungsergebnisse • Beobachtungen, dass u.U. Suchtmittelkonsum „innerhalb“ einer Person sehr unterschiedlich besetzt sein kann 87 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Traumatherapie Stabilisierende Maßnahmen Außen: Versorgung der Grundbedürfnisse, Sicherheit, Im Vordergrund stehende Symptome (körperlicher u./o. psychischer Art)etc. Stabilisierende Maßnahmen Innen: Imagination (Arbeiten mit der Vorstellungskraft). Bspl.: „innerer sicherer Ort“, „Tresor“, „Fokussierung auf positive Erfahrungen“, „innere Kind Arbeit“ etc. Direkte Traumabearbeitung: Bspl.: „Screentechnik“, „innere Kind Arbeit“, „EMDR“, Verhaltenstherapeutische Interventionen, psychodynamische Interventionen Integration des Erlebten in die Persönlichkeit: oft „klassische“ Psychotherapieverfahren 29 Probleme Sucht-Traumabehandlung • „aber ich trinke/konsumiere doch nur, weil ich traumatisiert bin, wenn das Trauma bearbeitet ist, kann ich auch aufhören“ • In „Traumakliniken“ ist akute Sucht oft eine Kontraindikation • In „Suchtkliniken“ gibt es oftmals noch keine ausreichend auf Traumafolgen ausgerichtete Therapieangebote • Folge: viele Pat. sind „nirgendwo richtig“ 88 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Grundregel Therapie Trauma-Sucht (aus: Sucht-Bindung-Trauma: Lüdecke, Sachsse, Faure Schattauer 2010) • Stabilisierung der Sucht vor • Stabilisierung der komorbiden Störungen vor • Stabilisierung der Trauma-Störung vor • Trauma-Konfrontation 31 Trauma-Sucht: Therapie die Therapieansätze müssen! ineinander greifen Z.B kann die Arbeit am mesokortikolimbischen Belohnungssystem die Amygdala in höchstem Maße stressen Fragen etwa des Umgangs mit Substitution unter Traumatherapie 32 89 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Notfallkoffer Anleitung an Pat.: gestalten Sie sich einen Notfallkoffer für die Psyche, in den sie für allle Sinne etwas nur gutes hineinlegen (es empfiehlt sich z.B. eine kleine Tasche zu nehmen, die man immer bei sich haben kann): – – – – – Etwas Etwas Etwas Etwas Etwas gutes gutes gutes gutes gutes für für für für für die Augen (z.B. ein Bild..) die Ohren (Musik oder ein Ton..) die Nase (z.B. ein Duftöl,..) die Haut (z.B. ein Stoff..) den Geschmack (eine Süßigkeit etc.) Wichtig ist, dass es nur gute Gefühle erzeugen darf und nicht ambivalent besetzt ist! Rahmenbedingungen der Therapie • Berücksichtigung der Besonderheiten, dass bereits die Anwesenheit eines Mannes, die Kombination verschiedener Gerüche oder Stimmlagen Traumaerfahrungen reaktivieren können • Frage der Modifikation von Behandlungssettings von „reinen“ Frauenstationen bis hin zu speziellen Behandlungsangeboten für Frauen in gemischtgeschlechtlichen Behandlungseinheiten • (Psychodynamisches) Verstehen bedeutet nicht, dass alles toleriert wird und auf alle individuellen Befindlichkeiten eingegangen werden muß. Manchmal ist Empathie „kontraindiziert`“!!! 90 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld PITT: insb. Zur Behandlung von komplexen Traumafolgestörungen entwickelt Psychodynamisch-imaginative Traumatherapie (Prof.Dr.Luise Reddemann) PITT: Psychotherapie auf der inneren Bühne • Innerseelisches wird als Gestalt, d.h. verschiedene Gestalten beschrieben • Dadurch wird das innere Drama handhabbar (Kontrolle) • Beispiel: Umgang mit Täterintrojekten © Veronika Engl 35 Weitere Formen der Traumatherapie Screentechnik: TherapeutIn und PatientIn stellen sich vor, sie erleben das traumatische Erlebnis wie einen Film in der Form, dass die Pat. die Fernbedienung in der Hand hat (imaginär) und das Geschehene somit „kontrolliert“ erzählen und erleben kann!!! 36 91 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld EMDR (eye movement desensitization and reprocessing) • Erfolgt anhand eines strukturierten Protokolls • Fokussierung auf einen umschriebenen Aspekt der Traumatisierung • Frage nach negativer (überdauernder) Kognition (Einordnung SUD 0-10) • Identifizierung der entspr. Körperfixierung • Erarbeitung einer positiven Kognition (Einordnung VOC 1-7) • Vereinbarung eines Stoppsignals • Bilaterale Hirnstimulation (Augenbewegungen, Tapping, Gehör etc.) Trauma und Medikation (Behring et.al ZPPM 2009 Heft 3) • Die Psychopharmakotherapie ist als Ergänzung zur Psychotherapie zu sehen und schweren Fällen vorbehalten • Der Studienvergleich macht deutlich, dass zur Behandlung der PTBS SSRIs als Pharmakon der Wahl anzusehen sind • Der Verlaufstyp der PTBS ist bei der psychopharmakologischen Behandlungsstrategie zu berücksichtigen • Die Erfahrung zeigt, dass die AD ein günstiges Wirkprofil entfalten, zwischen den „ego states“ der Vermeidung und Übererregung zu vermitteln • Cave insb. Bei Benzoediazepinen (siehe auch AWMF-Leitlinie: akute Folgen psychischer Traumatisierung) 92 Suchtentwicklung bei Frauen im Rahmen von Trauma-Folgestörungen: Chancen und Grenzen der Suchttherapie Dr. Andrea Möllering, Bielefeld Literaturhinweise (eine kleine Auswahl) • • • • • • • • • Sucht-Bindung-Trauma: Psychotherapie von Sucht und Traumafolgen im neurobiologischen Kontext. Lüdecke, Sachsse, Faure, Schattauer 2010 Trauma und Sucht: Konzepte-Diagnostik-Behandlung. Schäfer, Krausz, Klett-Cotta 2006 Trauma und Sucht in Zeitschrift für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin 2005, Heft 3 Reddemann Trauma und Persönlichkeitsstörung. Wöller. Schattauer Trauma: ein Übungsbuch. Reddemann, Dehner-Rau Trias 2004 Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie Klett-Cotta. Reddemann 2004. Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. Kindler 1993 Hofmann. EMDR in der Therapie psychotraumatische Belastungssymptome Thieme 1999 Und viele mehr!! !Ressourcenorientierung! Und auch das unglücklichste Leben hat seine Sonnenstrahlen und seine kleinen Glücksblumen zwischen dem Sand und Gestein (Hermann Hesse) 93 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Neurobiologie und Suchttherapie Andreas Heinz Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Charité Universitätsmedizin Berlin Charité Campus-Mitte Schädlicher Gebrauch z.B. Depression 94 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Hirnatrophie bei Alkoholabhängigkeit Toleranzentwicklung & Entzugssymptomatik 95 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin GABAerge Neurotransmission und Alkoholwirkung Chronischer Alkoholkonsum GABA-artig GABA GABA-A Frühe Abstinenz GABA GABA-artig GABA-A Reduzierte GABA-A Rezeptoren bei abstinenten Alkoholabhängigen Abi-Dargham et al., Am J Psychiatry, 1998 96 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Alkohol & glutamaterge Neurotransmission: Glutamat-Rezeptor Glutamat Exzitation Normal Ethanol Ethanol Inhibition Hyperaktivitätstadium Exzitotoxizität Entzug Schumann et al., Nervenarzt 2005; Spanagel et al., Nat Med 2005 Verlangen & Kontrollminderung 97 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Akute Alkoholwirkung Dopamin L-Tyrosin MAO DOPA COMT MAO DA Transporter COMT 3-Methoxytyrumin Vor der Konditionierung Light Reward Reward erhalten = 1, R erwartet = 0: 1-0 = 1 Nach der Konditionierung Light CS-R erhalten = 1, CS-R = 0: Beginerwartet of 1-0arm = movement 1 Reward Schultz et al., 1993 98 R erhalten = 1, R erwartet = 1: 1-1 = 0 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Alkoholabhängigkeit: DA Dysfunktion F-DOPA D2 Dopamin L-Tyrosin MAO DOPA COMT MAO DA Transporter COMT 3-Methoxytyrumin Dopamine D2-receptor availability and craving Cortex white matter Ventricle Caudate Putamen Nucleus accumbens Claustrum SPM-overlay BP Talairach-atlas (Thieme 1988) Plot of the correlation at xyz 16 / 14 / -6 ACQ 99 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Alcohol Craving & [18F]DOPA-uptake (left) / [18F]DOPA-uptake/[18F] DMFP BP (right) Cortex white matter Ventricle Caudate Putamen Nucleus accumbens 0.012 0.010 0.008 ratio Ki/BP Ki 0.010 0.008 0.006 0.004 0.006 0.002 0.004 0.000 40 60 80 100 120 140 40 60 80 ACQ 100 120 ACQ Heinz et al., Am J Psychiatry 2004 & 2005 Belohnungsanzeigende versus belohnende Reize Cue Reward Knutson et al., J Neurosci 2001 Schultz et al., Science 1996 100 140 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Fehlende Aktivierung des ventralen Striatums bei Gewinnerwartung & Alkoholverlangen Wrase et al. (eingereicht) Reversal learning Paradigma 2 runs * 100 trials 6 – 10 conditions per run 101 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Vermindertes belohnungsabhängiges Lernen bei Alkoholabhängigen Fehlende Feedback-bezogene präfrontale Modulation bei Alkoholabhängigen & verminderte Lerngeschwindigkeit Lerngeschwindigkeit wird vorausgesagt durch Feedbackbezogene Modulation der functionalen Konnektivität: (R2 = 0.15, p < 0.05) 102 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Schultz et al., Science 1997 R erhalten = 1, R erwartet = 0: 1-0 = 1 R erhalten = 1, R erwartet = 1: 1-1 = 0 R erhalten = 0, R erwartet = 1: 0-1 = -1 103 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin 104 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin For presentation P<0.001 uncorrected Vor der Konditionierung Light Reward Reward erhalten = 1, R erwartet = 0: 1-0 = 1 Nach der Konditionierung Light CS-R erhalten = 1, CS-R = 0: Beginerwartet of 1-0arm = movement 1 Reward Schultz et al., 1993 105 R erhalten = 1, R erwartet = 1: 1-1 = 0 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Heinz et al., Arch Gen Psychiatry 2004 normaliz ed [11C]Car fentanil concentr ation Alcoholics alcoholics healthy controls ve 4 controls 1 ventral striatum ventral striatum ntr al stri atu 3 m (V3 ") +1 SD mean ± SEM 2 -1 SD 1 occipital cortex 1 0-60 min. p.i. Valenz Arousal International Affective Picture System: Lang et al., 1990 106 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Positive versus neutrale Bilder: Alkoholabhängige > Kontrollen Heinz … Mann, ACER 2007 Neurobiologische Korrelate alkohol-abhängigen Verhaltens • Neuroadaption und Entzugssymptomatik • Genuss assoziiert mit opioiderger Neurotransmission • Verlangen assoziiert mit dopaminerger Neurotransmission • Verlangen nach Alkohol trotz Wunsch/Willen, abstinent zu bleiben: Dysfunktionelle Verbindung ventrales Striatum – präfrontaler Kortex • Protektive Wirkungen hedoner Erlebnismöglichkeiten? 107 Neuere Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie und ihre Bedeutung für die Suchttherapie Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin Wrase J, Hein J, Beck A, Schlagenhauf F, Gallinat J, Grüsser SM+. Kienast T Charité Campus Mitte Kooperationen: Mann K, Flor H ZI Mannheim, University of heidelberg Schumann G Institute of Psychiatry, London Bares R, Reimold M, Machulla HJ PET Center Univ. Tübingen Knutson B Stanford University Jones DW, Higley JD, Goldman D, Hommer D, Weinberger DR National Institutes of Health, Bethesda, MD 108 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Interdisziplinäre Weiterbildungstagung: „Zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Suchttherapie“ 8. – 10. September 2010 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Folie 1 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ Die Entwicklung von Abhängigkeiten wurde bisher überwiegend in einer „individualzentrierten Perspektive“ erklärt Æ dies ergibt sich auch aus der ICD-10 und den für Suchttherapie anerkannten Therapieverfahren Folie 2 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 109 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Æ diese individual-zentrierte Perspektive verstellt gleichsam den Blick auf das Mikrosystem Familie und das Makrosystem Gesellschaft und Kultur Æ der Kontext, der individuelle Lebensentwürfe nachhaltig beeinflusst, bleibt in Diagnose und Therapie weitgehend unberücksichtigt Folie 3 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ daher hat die WHO 2001 beschlossen, weltweit ein neues Klassifikationssystem für Krankheiten, Gesundheitsstörungen und Behinderungen einzuführen, die ICF Æ „International Classification of Functioning, Disability and Health“ = „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) Folie 4 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 110 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Inhalt...in den nächsten 45 Min. Æ die ICF vorstellen Æ in die „erste“ Geschichte des Themas einführen Æ den Kontextfaktor in der ICF erklären Æ die ICF in der Medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankungen Æ in die „zweite“ Geschichte des Themas einführen Æ Frage: „Was wird durch die ICF Kontextfaktoren neu?“ Æ Resumee Folie 5 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ Vortrag und PowerPoint auf: www.stachowske.de Berlin 2010 Æ Download der ICF: www.dimdi.de Klassifikationen ICF Æ www.asanger.de Suchwort: ICF Folie 6 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 111 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Æ die ICD 10 definiert und erklärt mit einer individualzentrierten Symptom- bzw. Defizit-Orientierung Krankheiten „linear“ Æ die ICF beschreibt ergänzend dazu auch die retrospektivischen, perspektivischen und kontextuellen Folgen einer Krankheit/Störung für den Betroffenen „dialogisch“. ICF ICD 10 = ICD Kodifizierung + Folgen einer Krankheit/Störung = Definition von Krankheit Folie 7 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Struktur der ICF ICD 10 ICF Teil 2 Kontextfaktoren Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Partizipation Umweltfaktoren Folie 8 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 112 personenbezogene Faktoren Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Æ „Das medizinische Modell begreift „Behinderung“ als ein Problem der Person, welches unmittelbar von einer Krankheit, einem Trauma oder einem anderen Gesundheitsprobleme verursacht wird, das der medizinischen Versorgung bedarf“ Æ „Das soziale Modell der Behinderung hingegen betrachtet Behinderung hauptsächlich als ein gesellschaftlich verursachtes Problem und im wesentlichen als eine Frage der vollen Integration Betroffener in die Gesellschaft. Hierbei ist ‚Behinderung‘ kein Merkmal einer Person, sondern ein komplexes Geflecht von Bedingungen“ ICF 2005, 25-pdf Folie 9 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ komplexe Entwicklungsbedingungen, auch systemische Æ kontextuelle Einflussfaktoren Æ und komplexe Auswirkungen von Störungen der Gesundheit werden in Diagnose und Therapie integriert Folie 10 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 113 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Æ In Deutschland sind wesentliche Prinzipien der ICF in das Sozialgesetzbuch, Teil IX Æ in den Richtlinien über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Rehabilitations-Richtlinien) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 SGB V des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 01.04.2004 integriert GBA Æ somit ist die ICF „Rechtsgrundlage“ Æ Sie wirkt „verordnet“ Æ und noch wenig „geliebt“ Folie 11 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ die Philosophie und Struktur der ICF ist, historisch betrachtet, nicht neu Æ sie schließt an altes Wissen an, das durch die Prinzipien der ICF neu rekonstruiert wird Folie 12 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 114 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Medizin Æ „Krankheit entsteht immer dann, wenn das gerechte Gleichgewicht der Teile gestört ist, im Organismus ebenso wie im Staat.“ Æ (arabische Medizin ca. 4000 v. Chr.) Lauer 1994, 182 Folie 13 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Einflüsse unsichtbarer, übernatürlicher Mächte Geister – Dämonen – Götter – Gott Weltseele – ideae morbosae Astropathologie Magnetismus Einflüsse der Zivilisation – vo Mitwelt und Gesellschaft, von Affekten, von Informationen Aetiologische Außen-Einflüsse Geisterwelt Spiritukinese Spiritudynamik Mitwelt Soziokinese Umwelt Oekokinese Soziodynamik Seele Psychogenese Interpsychische Dynamik Submentalpathologie Mentalpathologie Biographische Pathologie Personale Pathologie Emotionalpathologie Psychodynamik Einflüsse der natürlichen Umwelt, der Lebensweise, mechanischer, chemischer, elektrischer, belebter usw. Art Oekodynamik Körper Physicogenese Leben Biogenese Physikodynamik Biodynamik Pathogenetische Innen - Vorgänge Solidarpathologie, Humoralpathologie, iatrophysikalische, iatromorphologische, iatrophysiologische Pathologie Phychiatrische Pathologie Pathologie der facultates und instrumenta Pneumopathologie, Vitalkräftepathologie Naturhistorische Pathologie Missproportionen der Lebenspotenzen Folie 14 (Rothschuh 1978, 13) Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 115 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Psychoanalyse Freud: „Das Unbehagen in der Kultur“ (1930) Æ „Das hysterische Unglück, mit dem die psychoanalytische Aufklärungsarbeit konfrontiert ist, ist kein Organgeschehen, das man aus dem lebensgeschichtlichen Zusammenhang des Betroffenen herauspräparieren könnte; es ist vielmehr eingebunden in einen ganz bestimmten kulturellen Zusammenhang, ein Kultur-Konflikt, der in seiner lebenspraktischen Unmittelbarkeit Ausdruck sucht“ (Lorenzen/Görlich 1994, 8/9). Folie 15 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Kontextuelle Familientherapie Æ Sie führen aus: „Geradlinig kausalem Denken erscheint Krankheit als durch eine Ursache oder eine Kette von Ursachen determiniert. Der dialektisch geschulte Blick dagegen achtet auf die dualistische psychische Realität jeder Beziehung. Ein Dialog wiederum ist niemals nur auf zwei Personen beschränkt. In jedem Dialog begegnet ein Mensch mit seiner Welt einem anderen Menschen mit dessen Welt.“ (Boszormenyi-Nagy und Spark 2001, 50) Folie 16 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 116 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Kontextuelle Familientherapie Æ „Wir erkennen heute, dass Verhalten aus sozialen Systemen heraus entsteht und dass sich Verhaltensänderungen – zumindest teilweise – aus der Änderung von sozialen Systemen ergeben.“ Pattison 1986, 9 Folie 17 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Kontextuelle Familientherapie Æ „Familientherapeuten gehen von der therapeutischen Annahme aus, dass der Mensch Teil seiner Umgebung ist und dass eine individuelle Veränderung eine Veränderung der Beziehung des Menschen in seinem Kontext erfordert. Die Familientherapeuten suchen nach Störungen zwischen Individuum und seinem sozialen Netz“ Minuchin, zit. a. Kaufmann & Kaufmann 1986, 20 Folie 18 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 117 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Soziologie „Unsere Lebensform ist mit der Lebensform unserer Eltern und Großeltern verbunden durch ein schwer entwirrbares Geflecht von familialen, örtlichen, politischen, auch intellektuellen Überlieferungen – durch ein geschichtliches Milieu also, das uns erst zu dem gemacht hat, was und wer wir heute sind “ Habermas 1986/1, zit. N. Heimannsberg 1992, 18 Folie 19 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Soziologie Æ „[…] daß durch die Berücksichtigung der kulturellhistorischen Kontextbedingungen von Entwicklungsprozessen u. U. wesentliche Varianzanteile in entwicklungs-psychologischen Daten aufgeklärt werden können […]. Ein umfassenderes Verständnis von Entwicklungsdynamiken im Lebenslauf setzt also voraus, daß die Einbettungen ontogenetischer und lebenszyklischer Entwicklungsprozesse in umgreifende historische und kulturelle Evolutionsprozesse berücksichtigt werden.“ Brandstätter 1990, 331 Folie 20 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 118 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Theologie „Werden die Missetaten der Väter heimgesucht bis ins dritte und vierte Glied“ (Römer II) Folie 21 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Kontextuelle Therapie 2005 Æ „Leben vollzieht sich in Beziehungen. […] . Es ist meine Beziehung zur Umwelt und zu Menschen, die mir die Fähigkeit gibt, etwas zu wissen. Bubers Satz, ‚Das Ich wächst am Du‘ ist so zu verstehen: Damit ein Ich sich selbst verstehen kann, muss es in Beziehung zu einem Du treten. (...) Menschliches Leben ist ohne Beziehungen undenkbar.“ Pfitzer & Hargrave 2005, 19f; Hervorh. i. Orig. Folie 22 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 119 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Æ „Im weiteren lebensgeschichtlichen Entwicklungsprozess werden im Verlauf der Zeit diese früheren Fakten ‚Umwelt‘ und ‚Lebenserfahrung‘ wiederum mit neuen Faktoren ‚Umwelt‘ und ‚Lebenserfahrung‘ interagieren“ Pfitzer & Hargrave 2005, 33 Folie 23 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg „Allgemein gesagt, ist die menschliche Entwicklung ein biopsycho-sozialer Prozess, in dem genetische Faktoren, der Einfluss sozialer Kontexte und die Eigenaktivität des Individuums als Mitgestalter seiner Entwicklung zusammenspielen. Für die Herausbildung des Substanzkonsums wichtige soziale Kontexte sind vor allem die Familie und die Gruppe Gleichaltriger (Peergruppe) (...) und globalen gesellschaftlichen Faktoren (z. B. kulturelle Normen bezüglich des Substanzgebrauchs) die die Entwicklung des Substanzkonsums beeinflussen.“ Folie 24 (Thomasius/Küstner 2005, 13) Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 120 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Der Begriff „Kontext“ Æ Mit Kontext ist im etymologischen Sinne ein Sinn- und Sachzusammenhang gemeint, aus dem heraus etwas verstanden werden soll Æ Kontext meint einen Zusammenhang, der einen Sinn ergibt. Folie 25 Æ Der Begriff „Kontext“ stellt einen inhaltlichen und einen Sinn-Zusammenhang zu den verschiedenen Teilen des „Ganzen“ her – erst aus der Betrachtung dieses komplexen Gesamtzusammenhanges wird der Inhalt verständlich Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ Mit dem Begriff Kontext ist das erklärt, was mit der Philosophie der ICF gemeint ist – die sinnhafte Beachtung aller Teile, die im Zusammenhang einer Störung der Gesundheit, hier der Abhängigkeit, eine Relevanz haben. Folie 26 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 121 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Æ diesem Begriff könnte eine „Brückenfunktion“ zukommen, der eine Verbindung zwischen verschiedenen wissenschaftlicher Disziplinen, Schulen der Psychotherapie und der ICF ermöglicht. Folie 27 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Die ICF in der medizinischen Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankung auch „Drogenabhängigkeit“ genannt Folie 28 I Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 122 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Wie kann der Prozess der Integration der ICFPhilosophie in Theorie und Praxis gelingen? Æ Dies ist dem Grunde nach einfach zu realisieren... Æ ...gemäss der ICF in Diagnose und Therapie von Abhängigkeit zu handeln ist wissenschaftlich und methodisch „vorbereitet“ Folie 29 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ „Kontextfaktoren“ (ICF Teil 2) betreffen den sozialen Lebenshintergrund des Menschen, sein So-gewordenSein. Störungen seiner Gesundheit sind aus diesem Kontext heraus entstanden, diese Æ „Kontextfaktoren“ sind somit als Teil von Diagnose und Therapie in der Behandlung der so entstandenen Störungen der Gesundheit zu beachten.... Æ so einfach ist das.... Æ in der Theorie Folie 30 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 123 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Zeitdimension Gesellschaft Großelterngeneration Elterngeneration Individuum Folie 31 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg die ICF in 5 Minuten erklärt … Folie 32 I Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 124 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Struktur der ICF ICD 10 ICF Teil 2 Kontextfaktoren Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Partizipation Umweltfaktoren personenbezogene Faktoren Folie 33 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Struktur der ICF ICD 10 ICF Teil 2 Kontextfaktoren Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Partizipation Änderungen Körperfunktionen Änderungen Körperstrukturen Leistungsfähigkeit Item-Ebenen 1-4 Item-Ebenen 1-4 Item-Ebenen 1-4 Umweltfaktoren Leistung Item-Ebenen 1-4 Folie 34 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 125 Förderfaktoren Barrieren Item-Ebenen 1-4 personenbezogene Faktoren Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg ICF Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Klassifikation der Körperfunktionen: Kapitel 1: Mentale Funktionen Kapitel 2: Sinnesfunktionen und Schmerz Kapitel 3: Stimm- und Sprechfunktionen Kapitel 4: Funktionen des kardiovaskulären, hämatologischen, Immun Atmungssystem Kapitel 5: Funktionen des Verdauungs-, des Stoffwechsels- und des endokrinen Systems Kapitel 6: Funktionen des Urogenital- und reproduktiven Systems Kapitel 7: Neuromuskuloskeletale und bewegungsbezogene Funktionen Kapitel 8: Funktionen des Haut und der Hautanhangsgebilde Folie 35 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Klassifikation der Körperfunktionen: Kapitel 1: Mentale Funktionen Kapitel 1: Mentale Funktionen Globale mentale Funktionen (b110–b139) b110 Funktionen des Bewusstseins b114 Funktionen der Orientierung b117 Funktionen der Intelligenz b122 Globale psychosoziale Funktionen b126 Funktionen von Temperament und Persönlichkeit b130 Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs b134 Funktionen des Schlafes b139 Globale mentale Funktionen, anders oder nicht näher bezeichnet Spezifische b140 b144 b147 … mentale Funktionen (b140-b189) Funktionen der Aufmerksamkeit Funktionen des Gedächtnisses Psychomotorische Funktionen Folie 36 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 126 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Klassifikation der Körperfunktionen: Kapitel 1: Mentale Funktionen b122 - Globale psychosoziale Funktionen Sich über das gesamte Leben entwickelnde allgemeine mentale Funktionen, die für das Verständnis und die konstruktive Integration jener mentalen Funktionen erforderlich sind, die zur Bildung interpersoneller Fähigkeiten führen, welche für den Aufbau reziproker sozialer Interaktionen, die sinnvoll und zweckmäßig sind, benötigt werden. Folie 37 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Klassifikation der Körperfunktionen: Kapitel 1: Mentale Funktionen b130 - Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs Allgemeine mentale Funktionen, die physiologische und psychologische Vorgänge betreffen, welche bei einer Person ein nachhaltiges Streben nach Befriedigung bestimmter Bedürfnisse und die Verfolgung allgemeiner Ziele verursachen b1300 - Ausmaß der psychischen Energie b1301 - Motivation b1302 - Appetit b1303 - Drang nach Suchtmitteln b1304 - Impulskontrolle b1308 - Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs, anders b1309 - Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs, nicht näher bezeichnet bezeichnet Folie 38 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 127 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg ICF Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Klassifikation der Körperstrukturen: Kapitel 1: Strukturen des Nervensystems Kapitel 2: Das Auge, das Ohr und mit diesen in Zusammenhang stehende Strukturen Kapitel 3: Strukturen, die an der Stimme und dem Sprechen beteiligt sind Kapitel 4: Strukturen des kardiovaskulären, des Immun- und des Atmungssystems Kapitel 5: Mit dem Verdauungs-, Stoffwechsel und endokrinen System in Zusammenhang stehende Funktionen Kapitel 6: Mit dem Urogenital- und dem Reproduktionssystem im Zusammenhang stehende Funktionen Kapitel 7: Mit der Bewegung in Zusammenhang stehende Strukturen Kapitel 8: Strukturen der Haut und Hautanhangsgebilde Folie 39 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Klassifikation der Körperstrukturen: Kapitel 1: Strukturen des Nervensystems Kapitel 1: Strukturen des Nervensystems s110 - Struktur des Gehirns s120 - Struktur des Rückenmarks und mit ihr im Zusammenhang stehende Strukturen s130Struktur der Hirnhaut s140 - Struktur des sympathischen Nervensystems s150 - Struktur des parasympathischen Nervensystems s198 - Struktur des Nervensystems, anders bezeichnet s199 - Struktur des Nervensystems, nicht näher bezeichnet Folie 40 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 128 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Klassifikation der Körperstrukturen: Kapitel 1: Strukturen des Nervensystems s110 - Folie 41 Struktur des Gehirns s1100 - Struktur der Großhirnhälften s11000 - Stirnlappen (Frontallappen) s11001 - Schläfenlappen (Temporallappen) s11002 - Scheitellappen (Parieallappen) s11003 - Hinterhauptslappen (Occipitallappen) s11008 - Struktur des Großhirns, anders bezeichnet s11009 - Struktur des Großhirns, nicht näher bezeichnet s1101 - Struktur des Mittelhirns s1102 - Struktur des Zwischenhirns s1103 - Basalganglien und mit ihnen in Zusammenhang stehende Strukturen s1104 - Struktur des Kleinhirns s1105 - Struktur des Hirnstamms … Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg ICF Teil 2 Kontextfaktoren Umweltfaktoren Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 1: Produkte und Technologien Kapitel 2: Natürliche und vom Menschen veränderte Umwelt Kapitel 3: Unterstützung und Beziehungen Kapitel 4: Einstellungen Kapitel 5: Dienste, Systeme und Handlungsgrundsätze Folie 42 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 129 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 3: Unterstützung und Beziehungen Kapitel 3: Unterstützung und Beziehungen e310Engster Familienkreis e315 Erweiterter Familienkreis e320 Freunde e325 Bekannte, Seinesgleichen (Peers), Kollegen, Nachbarn und andere Gemeindemitglieder e330 Autoritätspersonen e335 Untergebene e340 Persönliche Hilfs- und Pflegepersonen e345 Fremde e350 Domestizierte Tiere e355 Fachleute der Gesundheitsberufe e360 Andere Fachleute e398 Unterstützung und Beziehungen, anders bezeichnet e399 Unterstützung und Beziehungen, nicht näher bezeichnet Folie 43 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 3 – Unterstützung und Beziehungen e310 e315 - engster Familienkreis erweiterter Familienkreis e310 - engster Familienkreis e315 - erweiterter Familienkreis Personen, die infolge von Krankheit oder Heirat verwandt sind oder andere Beziehungen, die von der Kultur als engster Familienkreis bekannt sind, wie Ehepartner, Lebensgefährten, Eltern, Geschwister, Kinder, Pflegeeltern, Adoptiveltern und Großeltern Personen, die über Familie oder Heirat verwandt sind oder andere Beziehungen, die von der Kultur als erweiterter Familienkreis anerkannt sind, wie Tanten, Onkel, Neffen, Nichten Folie 44 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 130 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 4 – Einstellungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen Allgemeine oder spezifische Meinungen und Überzeugungen, die im allgemeinen von Mitgliedern einer Kultur, Gesellschaft oder subkulturellen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen zu anderen Menschen oder zu sozialen, politischen und ökonomischen Themen vertreten werden, und die Verhaltensweisen oder Handlungen einer Einzelperson oder Personengruppe beeinflussen Folie 45 e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen Sitten, Praktiken/Bräuche, Regeln sowie abstrakte Wertsysteme und normative Überzeugungen, welche innerhalb gesellschaftlicher Kontexte entstehen, und die gesellschaftliche und individuelle Gewohnheiten und Verhaltensweisen beeinflussen oder schaffen, wie gesellschaftliche Normen der Moral, der religiösen Verhaltensweisen oder Etikette, religiöse Lehren und daraus abgeleitete Normen und Konventionen, Normen, die Rituale oder das Zusammensein sozialer Gruppen bestimmen. Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ ....ist systemisch – wird jedoch nicht so genannt... Folie 46 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 131 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Kontextfaktoren bei Abhängigkeiten dargestellt am Beispiel der Drogenabhängigkeit Folie 47 I Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ ich bitte Sie in den nächsten Minuten mir in die Welt der Pharmaziegeschichte zu folgen … Æ einem Kontextfaktor der „Drogenabhängigkeiten“ Æ diese Art einer Analyse des Kontextes von kann für Abhängigkeiten ICD 10 F 10 - F.19f., also für alle Arten von Abhängigkeit, erarbeitet werden. Folie 48 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 132 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Dieses Thema hat eine alte Geschichte … Æ diese lehrt uns, wenn wir sie hören wollen, dass das Thema „Abhängigkeit, Familie, Generationen eine jahrtausendealte Geschichte hat Æ aus der wir für Prävention und Therapie viel lernen können Æ ...einige Beispiele Folie 49 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Bibel … Æ „Die Eltern essen saure Trauben, und den Kindern werden die Zähne stumpf.“ Bibel in gerechter Sprache 2006, 886 Folie 50 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 133 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Seefelder … Æ „Die Griechen haben diesem mächtigen Extrakt den Namen Opium, das heißt ‚Saft‘, gegeben. Opium – diese älteste überlieferte Bezeichnung ist bis in unsere Zeit gültig geblieben.“ Seefelder 1990, 8 Folie 51 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Aristoteles in Hausväterliteratur … Æ ‚Zu wenig thun/ oder zu viel/ die beede sind deß Teuffels Ziel. das Mittel ist die Tugend=bahn/ die wandle/ so bleibst du ein Mann.‘ (Thieme S. 48)“ Æ „‘Zuwenig und zuviel/ verderbet alle Spiel.‘ (Fischer Hausbuch) S. 120“ Julius Hoffmann 1959, 104 Folie 52 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 134 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Paracelsus … Æ „Paracelsus nannte das Opium den ‚Stein der Unsterblichkeit‘. Er prieß sein Laudanum, wie er es nannte, in den höchsten Tönen. ‚Ich hab ein Arcanum, heiß ich Laudanum, ist über das alles, wo es zum Tode weichen will.‘“ zit. n. Seefelder 1990, 122 Folie 53 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Paracelsus … Æ „Paracelsus […:] ‚Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, das ein Ding kein Gift ist. Um ein Beispiel zu nennen: Eine jede Speise und ein jedes Getränk, das über seine Dosis eingenommen wird, ist schon ein Gift; das beweist sein Ausgang. Ich gebe zu, daß Gift Gift sei, daß es aber darum verworfen werde, das möge nicht sein. Weil nun nichts ist, das nit Gift sei, warum korrigiert ihr? Doch nur, daß das Gift keinen Schaden tue.‘“ zit. n. Seefelder 1990, 124 Folie 54 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 135 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Die „Hausväterliteratur“ in Hoffmann … Æ Æ Æ „Für die energische Wendung gegen die Trunksucht scheint jedoch die weite Verbreitung ‚in teutschen landen‘ ausschlaggebend gewesen zu sein. Die erscheint deshalb so gefährlich, weil der Alkohol die Vernunft ertränkt, die das Handeln des Menschen leiten sollte. ‚Da/wo der Wein glatt gehet ein/ pflegt die Vernunft gar fern zu sein‘, heißt es bei Hohberg. (III, S. 108)“ „Der trunksüchtige Hausvater verpraßt und verschenkt sein Vermögen […]. Damit handelt der Hausvater der Grundregel des Haushaltens zuwider.“ Julius Hoffmann 1959, 102 Folie 55 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Die Beschreibung dieser Abhängigkeiten von diesen Substanzen bezieht sich auf die Beschreibung von Abhängigkeiten und ihre Folgen – im vorgeburtlichen leben – im individuellen Leben – in Familiensystemen – im System der Generationen – in der Kultur Folie 56 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 136 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Phantastica – Die betäubenden und erregenden Genußmittel – Für Ärzte und Nichtärzte Louis Lewin 1927 Folie 58 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 137 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Drogen-Substanzen Jahr d. Isolierung/ Synthese Internationaler Freiname Entdeckung / Isolierung durch Zitiert nach 1806* (1) Morphin Sertuerner III : 596 1817 Emetin Pelletier I : 462 1819 Coffein Runge II : 745 1826 Brom 1829 Nicotin Posselt-Reimann II : 745 1832 Narcein Pelletier II : 745 1833 Codein Robiquet II : 745 1833 Atropin Geiger-Hesse-Main III : 596 1860 Cocain Niemann, Göttingen 1874 Salicylsäure synth. Kolbe 1875 Codein wird als Hustensedativum angewandt Folie 59 III : 596 III : 597 III : 598 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Drogen-Substanzen Jahr d. Isolierung/Synthese Internationaler Freiname Entdeckung / Isolierung durch Zitiert nach III : 598 1884 Cocain wird in die augenärztliche Anästhesie eingeführt 1887 Ephedrin T Nagai I : 461 1887 Amphetamin synth. Edelano III : 598 1888* (5) Dionin/therap.Anwendung 1889* (6) Sulfonal 1893 Migränin 1895 Barbitursäure Synthese Fischer III : 599 1896 Eucaine Vinci/Harries III : 599 III : 598 Raumann/Kast III : 598 RMI 10.391 Folie 60 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 138 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Drogen-Substanzen Jahr d. Isolierung/ Synthese Internationaler Freiname Entdeckung / Isolierung durch Zitiert nach 1898* (7) Heroin/Diacetylmorphin T Dreser III : 599 1898 Mescalin Heffter III : 599 1899 Aspirin/Anti-Pyreticum Dreser III : 599 1903* (8) Veronal T/ Einführung in die Therapie III : 599 1904 Novocain/Pro-cain, Lokalanästhetika III : 600 1906* (9) Eukodal 1907* (10) Bromural III : 600 1908 Pantapon I : 387 Folie 61 1910-1918 Freund Dilaudid T Dicodid T Knoll Knoll I : 386 I : 387 I : 387 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Drogen-Substanzen Jahr d. Isolierung/Synthese Internationaler Freiname Entdeckung / Isolierung durch Zitiert nach 1912* (11) Trivalin 1912 Luminal III : 600 1920 Ephedrin/ Synthese T III : 601 1922 Barbitursäuren/synth. und asymmetrische III : 601 1938 Pervitin 1940 Dolantin 1942 Polamidon/ Methadon III : 605; III : 605 1943 Dexedrin/ Appetithemmer III : 605 1943 Folie 62 LSD T 1948 Antabus/Alk.Prof. Dr. RuthardEntziehung Stachowske - Lüneburg Schaumann Hoffmann III : 605 III : 606 139 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg … Welt Opium Produktion 1906 und 1922. Folgende Mengen wurden produziert in 1 9 0 6 79) K leinasien und M azedonien . . . 480 000 kg P ersien . . . . . . . . . . . . . . 850 000 “ V orderindien . . . . . . . . . . . 7 000 000 “ H interindien . . . . . . . . . . . . 5 000 “ C hina . . . . . . . . . . . . . . . 35 300 000 “ M ittelasien . . . . . . . . . . . . . ? Insgesam t . . . . . . . . . . . . . 43 635 000 kg in 1 9 2 2 80) B ulgarien . . . . . . . . . . . . . . 10 000 kg G riechenland . . . . . . . . . . . . 22 700 “ Jugoslavien . . . . . . . . . . . . . 107 000 “ A egypten . . . . . . . . . . . . . . 2 300 “ T ürkei . . . . . . . . . . . . . . . . 295 000 “ P ersien . . . . . . . . . . . . . . . 205 000 “ A fghanistan . . . . . . . . . . . . . 11 750 “ T urkestan . . . . . . . . . . . . . . C hina (w ahrscheinlich viel zu niedrig) 20 000 “ 1 997 000 “ Indien (einschl. Burm a) . . . . . . . 887 000 “ Indochina . . . . . . . . . . . . . . 4 700 “ Japan (einschl. Korea und Form osa) . 5 000 “ S iam . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 000 “ Insgesam t . . . . . . . . . . . . . . 3 574 450 kg ...“ Source: Redlich “Rauschgifte und Suchten” ( Narcotics and Addictions), 1929. Raw opium imports to morphine producing countries in kg Völkerrecht Resulat Germany 1921-1926 404 506 kg Resulat Great Britian 1921-1926 347 820 kg Resulat Japan 1920-1926 701 639 kg Resulat Switzerland 1921-1926 205 611 kg Total Resulat 1 659 576 kg Folie 64 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 140 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Gesundheitsrecht 141 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg 142 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Rassengesetze Æ „[In der] ‚Reichszentrale zur Bekämpfung von Rauschgiftvergehen‘ spielte zwar der Alkoholismus (und der Tabakmissbrauch) eine gewisse Rolle, doch ‚erfuhren Heroin und Cannabis im Nationalsozialismus kaum Aufmerksamkeit, weder von Konsumenten noch von staatlicher Stelle‘ , während das neu entdeckte und ausgiebig verwendete Pervitin (heute auch Chrytal, Speed) ‚die strenge Orientierung an der Leitidee Rassenhygiene zugunsten der in diesem Falle konkurrierenden Idee ‚Leistungssteigerung‘ verdrängte“ Stephan Quensel. Rezension zu: Tilmann Holzer2007. Folie 69 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg „‘Es war für mich eine bittere Erkenntnis, daß der zweite Mann im Staate Morphinist war. Nun erklärte sich so vieles, namentlich seine stets falschen Voraussagen über die Abwehr feindlicher Fliegerangriffe. Als Morphinist sah Göring alles in rosigem Lichte, verschloß sich gegen die unangenehme Wirklichkeit.‘“ Fetcher in Shelliem 2006, 100f Folie 70 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 143 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Aus Hitler Apotheke Folie 71 Neumann, Hans-Joachim und Eberle, Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Henrik 2009, 146 f Neumann, Hans-Joachim und Eberle, Henrik 2009 Folie 72 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 144 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Folie 74 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 145 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg das Arzneimittel „Subutex“ Æ … Buprenorphin ist 1967 entwickelt worden … Æ ...es wurde später als Arzeneimittel „Fortral“ zugelassen... Æ …und 1980 als Arzeneimittel „Temgesic“ Æ „Temgesic wurde in der Bundesrepublik wegen der sich seit 1982 epidemieartig ausbreitenden Missbrauchs am 1.9.1984 den Regeln der BtmVV unterstellt“ Keupp 1980 Folie 75 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ der Wirkstoff „ Buprenorphin“ ist dann ca.1990 f. als „ neues “ Substitut unter dem Warennammen „Subutex“ nach Methadon und Polamidon als drittes Arzeneimittel für die Substituion zugelassen worden Folie 76 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 146 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Pharmaziegeschichte Æ übrigens – die allermeisten der heute bekannten Drogen sind in Deutschland entwickelt Æ einige auch in Frankreich und der Schweiz0 Folie 77 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 4: Einstellungen e410e415 e420 e425 e430 e435 e440 e445 e450 e455 e460 e465 e498 e499 - Individuelle Einstellungen der Mitglieder des engsten Familienkreises Individuelle Einstellungen der Mitglieder des erweiterten Familienkreises Individuelle Einstellungen von Freunden Individuelle Einstellungen von Bekannten, Seinesgleichen (Peers), Kollegen, Nachbarn und anderen Gemeindemitgliedern Individuelle Einstellungen von Autoritätspersonen Individuelle Einstellungen von Untergebenen Individuelle Einstellungen von persönlichen Hilfs- und Pflegepersonen Individuelle Einstellungen von Fremden Individuelle Einstellungen von Fachleuten der Gesundheitsberufe Individuelle Einstellungen von anderen Fachleuten Gesellschaftliche Einstellungen Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen Einstellungen, anders bezeichnet Einstellungen, nicht näher bezeichnet Folie 78 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 147 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 4 – Einstellungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen Allgemeine oder spezifische Meinungen und Überzeugungen, die im allgemeinen von Mitgliedern einer Kultur, Gesellschaft oder subkulturellen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen zu anderen Menschen oder zu sozialen, politischen und ökonomischen Themen vertreten werden, und die Verhaltensweisen oder Handlungen einer Einzelperson oder Personengruppe beeinflussen e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen Sitten, Praktiken/Bräuche, Regeln sowie abstrakte Wertsysteme und normative Überzeugungen, welche innerhalb gesellschaftlicher Kontexte entstehen, und die gesellschaftliche und individuelle Gewohnheiten und Verhaltensweisen beeinflussen oder schaffen, wie gesellschaftliche Normen der Moral, der religiösen Verhaltensweisen oder Etikette, religiöse Lehren und daraus abgeleitete Normen und Konventionen, Normen, die Rituale oder das Zusammensein sozialer Gruppen bestimmen. Folie 79 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ Wenn wir jedoch die aktuell „gültigen wissenschaftlichen Aussagen“ analysieren, dann fällt auf, dass die Geschichte der aktuellen Drogenepedemie durch die Wissenschaften „negiert“ oder „nicht erinnert“ oder abgespalten sind. Folie 80 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 148 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Individualzentrierte Perspektive Petzold: Æ „Im Drogenbereich werden Behandlungsmodelle gleichsam über Nacht entwickelt, weil die Drogenepidemie – erst Anfang der 70er Jahre konnte man von einer solchen sprechen – über Nacht auftrat und zwar mit einer solchen Heftigkeit und mit einer Intensivität, die von niemandem antizipiert worden war …“ Petzold 1989 Folie 81 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ Die existente Geschichte der aktuellen Drogenepidemie in ihrer generationalen und zeitgeschichtlichen Bedeutung wird durch die wissenschaftlichen Grundlagen „abgespalten“. Folie 82 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 149 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Struktur der ICF ICD 10 ICF Teil 2 Kontextfaktoren Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Partizipation Umweltfaktoren Folie 83 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ Die ICF in der medizinischen Rehabilitation „ Abhängigkeit... Æ zwei Beispiele Folie 84 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 150 personenbezogene Faktoren Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Folie 85 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg ICF Teil 2 Kontextfaktoren Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Partizipation b 1260 - positive Extraversion b1264 - Neugier/positiv b1304 - Störung der Impulskontrolle b1303 - Drang nach Suchtmitteln s560 - Hepatitis C s8100 - vorgealtert s3200 - Zahnprobleme (erheblich) d2202 - alleinerziehend d830 - höhere Bildung d850 - bezahlte Tätigkeit Leistungsfähigkeit -vollschichtig Folie 86 Umweltfaktoren Leistung -doppelte Berufstätigkeit -Doppelbelastung Kinder/Beruf Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 151 e410 - Frauenhass e415 - Suchtgeneration Nationalsozialismus Suizide Flucht-Kriegserlebnisse e455 - ...Schwager,,,, e330 - Bezugstherapeut e355 - TG Wilschenbruch e450 - Drogenfreiheit e430 - Bindung personenbez. Faktoren -Mehrsprachigkeit -sportlich -Dissozialität Förderfaktoren Barrieren -Langzeitkonzept -Familientherapie GENO 2 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Folie 87 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg ICF Teil 2 Kontextfaktoren Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Partizipation b1303 - Alkohol b1304 - Störung der Impulskontrolle b1521 - Störung der Affektkontrolle d830 - Sanitäterin Folie 88 Änderung Körperstruktur Leistungsfähigkeit b7800 - Muskelverspannung (Härte) -traumabedingt reduziert (d830) Umweltfaktoren e415 e410 - Gewalt/Missbrauch Krieg/Gefangenschaft Alkoholismus Drogen/Kriminalität Gewalt e455 - drogenabhängiger Mann gewalttätiger Mann e410 - „Drogentote“ Migration e330 - Bezugstherapeut e355 - TG Wilschenbruch e2150 - demographischer Wandel durch Krieg Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 152 personenbez. Faktoren -Deutsch-Russin -nicht gelungene Integration GENO 4 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Resumee Folie 89 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ Vortrag und PowerPoint auf: www.stachowske.de Berlin 2010 Æ Download der ICF: www.dimdi.de Klassifikationen ICF Æ www.asanger.de Suchwort: ICF Folie 90 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 153 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 4: Einstellungen e410e415 e420 e425 e430 e435 e440 e445 e450 e455 e460 e465 e498 e499 - Individuelle Einstellungen der Mitglieder des engsten Familienkreises Individuelle Einstellungen der Mitglieder des erweiterten Familienkreises Individuelle Einstellungen von Freunden Individuelle Einstellungen von Bekannten, Seinesgleichen (Peers), Kollegen, Nachbarn und anderen Gemeindemitgliedern Individuelle Einstellungen von Autoritätspersonen Individuelle Einstellungen von Untergebenen Individuelle Einstellungen von persönlichen Hilfs- und Pflegepersonen Individuelle Einstellungen von Fremden Individuelle Einstellungen von Fachleuten der Gesundheitsberufe Individuelle Einstellungen von anderen Fachleuten Gesellschaftliche Einstellungen Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen Einstellungen, anders bezeichnet Einstellungen, nicht näher bezeichnet Folie 91 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 4 – Einstellungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen Allgemeine oder spezifische Meinungen und Überzeugungen, die im allgemeinen von Mitgliedern einer Kultur, Gesellschaft oder subkulturellen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen zu anderen Menschen oder zu sozialen, politischen und ökonomischen Themen vertreten werden, und die Verhaltensweisen oder Handlungen einer Einzelperson oder Personengruppe beeinflussen Folie 92 e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen Sitten, Praktiken/Bräuche, Regeln sowie abstrakte Wertsysteme und normative Überzeugungen, welche innerhalb gesellschaftlicher Kontexte entstehen, und die gesellschaftliche und individuelle Gewohnheiten und Verhaltensweisen beeinflussen oder schaffen, wie gesellschaftliche Normen der Moral, der religiösen Verhaltensweisen oder Etikette, religiöse Lehren und daraus abgeleitete Normen und Konventionen, Normen, die Rituale oder das Zusammensein sozialer Gruppen bestimmen. Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 154 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg VIELEN DANK für Ihre Aufmerksamkeit. Folie 93 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Æ ImFT Institut für mehrgenerationale Forschung und Therapie Prof. Dr. Ruthard Stachowske Schlesienstraße 2 21391 Reppenstedt Telefon 04131 / 67 11 44 Telefax 04131 / 67 11 45 [email protected] www.stachowske.de Folie 94 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 155 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Struktur der ICF ICD 10 ICF Teil 2 Kontextfaktoren Teil 1 Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Partizipation Umweltfaktoren personenbezogene Faktoren Folie 95 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 4 – Einstellungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen Allgemeine oder spezifische Meinungen und Überzeugungen, die im allgemeinen von Mitgliedern einer Kultur, Gesellschaft oder subkulturellen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen zu anderen Menschen oder zu sozialen, politischen und ökonomischen Themen vertreten werden, und die Verhaltensweisen oder Handlungen einer Einzelperson oder Personengruppe beeinflussen Folie 96 e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen Sitten, Praktiken/Bräuche, Regeln sowie abstrakte Wertsysteme und normative Überzeugungen, welche innerhalb gesellschaftlicher Kontexte entstehen, und die gesellschaftliche und individuelle Gewohnheiten und Verhaltensweisen beeinflussen oder schaffen, wie gesellschaftliche Normen der Moral, der religiösen Verhaltensweisen oder Etikette, religiöse Lehren und daraus abgeleitete Normen und Konventionen, Normen, die Rituale oder das Zusammensein sozialer Gruppen bestimmen. Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 156 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 4 – Einstellungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen e460 - Gesellschaftliche Einstellungen e465 - Gesellschaftliche Normen, Konventionen und Weltanschauungen Allgemeine oder spezifische Meinungen und Überzeugungen, die im allgemeinen von Mitgliedern einer Kultur, Gesellschaft oder subkulturellen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen zu anderen Menschen oder zu sozialen, politischen und ökonomischen Themen vertreten werden, und die Verhaltensweisen oder Handlungen einer Einzelperson oder Personengruppe beeinflussen Sitten, Praktiken/Bräuche, Regeln sowie abstrakte Wertsysteme und normative Überzeugungen, welche innerhalb gesellschaftlicher Kontexte entstehen, und die gesellschaftliche und individuelle Gewohnheiten und Verhaltensweisen beeinflussen oder schaffen, wie gesellschaftliche Normen der Moral, der religiösen Verhaltensweisen oder Etikette, religiöse Lehren und daraus abgeleitete Normen und Konventionen, Normen, die Rituale oder das Zusammensein sozialer Gruppen bestimmen. Folie 97 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Pharmazie-Geschichte ab 1800 Morphin 1806 Urgroßeltern Codein 1833 Kokain 1860 Ephedrin 1887 1880 Heroin 1898 Großeltern Eltern 1910 Barbiturate 1922 Methadon/ 1942 Polamidon 1940 LSD 1943 Kinder 1970 2000 Folie 98 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 157 Appetithemmer 1943 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Æ in individuellen Lebensentwicklungen Æ in Familiensystemen Æ im System der Generation Æ in der pränatalen Entwicklung (Beispiele) Folie 99 Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg Großeltern 1910 Eltern 1940 Kinder 1969/70 Legende: männlich Folie 100 weiblich Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 158 Bedeutung der Kontextbezogenheit des ICF in Diagnose und Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen Prof. Dr. Ruthard Stachowske, Lüneburg Großeltern Eltern 1910 X X 1940 Kinder 1969/70 Alkohol- oder Medikamentabhängigkeit Drogenabhängigkeit Folie 101 polytokikoman lebt clean Embryopathie (Alkohol-, Drogen,Medikamentenembryopathie) Prof. Dr. Ruthard Stachowske - Lüneburg 159 Zur Wirksamkeit des Therapeuten – Professionalität durch die Weiterbildung zum Sozialtherapeuten/Sucht Dipl.-Päd. Irene Helas, Berlin Zur Wirksamkeit des Therapeuten Professionalität durch die Weiterbildung zum Sozialtherapeuten/ Sucht Irene Helas, Dipl.Päd., Berlin 1. Was ist mit Wirksamkeit im suchttherapeutischen Handeln gemeint ? 160 Zur Wirksamkeit des Therapeuten – Professionalität durch die Weiterbildung zum Sozialtherapeuten/Sucht Dipl.-Päd. Irene Helas, Berlin 2. Was ist eine wirksame Therapeutenhaltung ? Das emotionale „ Operationsfeld „ 3. Wie erwirbt der Suchttherapeut eine Haltung, die auch wirksam ist ? Struktur zentraler Lernprozesse in der GVS Weiterbildung 161 Zur Wirksamkeit des Therapeuten – Professionalität durch die Weiterbildung zum Sozialtherapeuten/Sucht Dipl.-Päd. Irene Helas, Berlin 5.Was den Therapeuten im „ Innersten zusammenhält“ ! Bedeutung der Selbstwahrnehmung 6.Das Glück der seelischen Gesundheit des Patienten …… das Glück des Therapeuten ? 162 Referenten Abram, Miriam Leitende Diplom-Psychologin, Paracelsus-Berghof-Klinik Bad Essen Büchner Dr. med., Uwe Lehr- und Kontrollanalytiker (DPG), Klinikdirektor a.D., Berlin Dieckmann Dr. med., Andreas Chefarzt der Vivantes Entwöhnungstherapie, Hartmut-Spittler Fachklinik, Berlin Ellgring Prof. Dr. phil., Heiner Em. Universitäts-Professor für Psychologie der Universität Würzburg, Psychologischer Psychotherapeut, München Heinz Prof. Dr. med., Andreas Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité-Universitätsmedizin, Berlin Helas, Irene Diplom-Pädagogin, Leiterin des GVS Instituts für Fort- und Weiterbildung, Berlin Kraus, Dr. PH Ludwig IFT Institut für Therapieforschung München Langer, Heidemarie (M.A.) Theologin, Kommunikationsberaterin in freier Praxis, Hamburg Lohmann, Bettina Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin, Münster; Leiterin der Supervisions-Weiterbildung der IFT-Gesundheitsförderung, München Möllering Dr. med., Andrea Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, FA Psychiatrie, Klinik für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin, Bielefeld Rau Prof. Dr. phil., Harald Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Vorstandsvorsitzender der Zieglerschen Anstalten, Wilhelmsdorf Redecker Dr. med.,Thomas Diplom-Psychologe, Ärztlicher Direktor der Hellweg-Klinik, Oerlinghausen bei Bielefeld Schilling, Sieghard Vorsitzender Vorstand des GVS, Geschäftsführer des Diakoniewerks Duisburg GmbH Stachowske Prof. Dr. phil., Ruthard Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Leiter der Therapeutischen Gemeinschaft Wilschenbruch, Lüneburg Subkowski, Dr. med. Peter Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, FA Neurologie und Psychiatrie, Lehrund Kontrollanalytiker DPV/ IPA, Ärztlicher Direktor des Paracelsus-Therapiezentrums Bad Essen Tabatabai, Darius Chahmoradi Oberarzt, Hartmut-Spittler-Klinik, Berlin Vollmer, Heinz C. Diplom-Psychologe, Salus-Klinken, Qualitätsmanagement, München Wessel Dr. PH, Theo Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Geschäftsführer des GVS, Berlin 163