Handbuch zur Kleinwasserkraft 7. Hydraulische Grundlagen (Hydromechanik im Bauwesen, ZUPPKE, 1992) Die Hydraulik ist in Hydrostatik und Hydrodynamik zu teilen. Die folgende Zusammenfassung befasst sich ausschließlich mit der Hydrodynamik. 7.1 Kontinuitätsbedingung Da die Flüssigkeit inkompressibel ist, muß die pro Zeiteinheit dt in die Stromröhre einfließende Wassermenge dV1 gleich der pro Zeiteinheit abfließenden Wassermenge dV2 sein. A1 ⋅ v1 = A2 ⋅ v2 = Q = konstant Daraus folgt allgemein: Q = v. A Q = Durchfluß (m3/s) V = Fließgeschwindigkeit (m/s) A = Querschnittsfläche (m2) 7.2 Energiehöhengleichung nach Bernoulli In dieser Gleichung ist festgehalten, dass in einem durchströmten Rohr die in dem Flüssigkeitsteilchen enthaltene Energie sich aus drei Bestandteilen zusammensetzt. • • • die geodätische Höhe z die Druckhöhe p/γ die Geschwindigkeitshöhe v2/2g v12 2 g + p1 γ + z1 = v22 2 g + p2 γ + z2 = H (konstant in Falle der verlustfreien Strömung) H nennt man die Energiehöhe. Der Anteil der einzelnen Glieder an der Summe kann sich durch äußere Einflüsse ändern. (z.B. Änderung der Höhenlage des Rohres oder des Rohrquerschnittes. Tatsächlich gibt es keine verlustfreie Strömung und somit auch keine konstante Energiehöhe entlang eines Fließvorganges. Die Energiehöhe lässt sich in Form der Energielinie darstellen, deren Neigung von den Fließverlusten (Energieverbrauch während des Fließvorganges) abhängig ist. Die Energiehöhengleichung unter Berücksichtigung der Verlusthöhe lautet somit: v12 2 g + p1 γ + z1 = v22 2 g + p2 γ + z2 + hv = H 38 Handbuch zur Kleinwasserkraft 7.3 Abflußzustände im offenen Gerinne Die Strömung in einem offenen Gerinne ist dadurch gekennzeichnet, dass sie mit freier Wasseroberfläche erfolgt. Verglichen mit der Rohrströmung ist somit der Querschnitt nicht durch äußere Einflüsse (Rohrdimension) begrenzt, sondern variabel. Das kompliziert die erforderlichen Berechnungsschritte. Die Energiehöhengleichung ist aber ebenfalls anwendbar und vereinfacht sich zu folgender Form: v12 2 g + z1 = v22 2 g + z2 + hv = H Auch hier ist die Energiehöhe keine Konstante. Die Energiehöhe liegt im Abstand der Geschwindigkeitshöhe über der freien Wasseroberfläche. Aufgrund des zusätzlichen Freiheitsgrades bzw. des quadratischen Formelaufbaues kann der Abfluß für eine vorgegebene Energiehöhe H mit zwei Wassertiefen h1 oder h2 erfolgen. Welche der beiden Wassertiefen sich einstellt ist von äußeren Einflüssen abhängig.(z.B. vom Gefälle). Die Gleichung weist ein Minimum Hmin auf. Die dazugehörige Wassertiefe wird als Grenztiefe hgr bezeichnet. Hmin ist die Energiehöhe, die mindestens erforderlich ist, um einen Abfluß Q durch eine bestimmte Gerinneform abzuführen. Dabei stellt sich die Grenztiefe hgr und die Grenzgeschwindigkeit vgr ein. Die allgemeine Grenzbedingung lautet: Q 2 ⋅ bs g ⋅ A3 = 1 bs = Spiegelbreite 39 Handbuch zur Kleinwasserkraft Für einen Rechteckquerschnitt vereinfachen sich die Formelzusammenhänge und es ergibt sich für die Grenztiefe Folgendes: H min = 1,5 ⋅ hgr v gr = g ⋅ hgr Abflüsse, die mit h < hgr und damit mit v > vgr erfolgen werden als "schießend" bezeichnet, solche mit h > hgr und V< Vgr als "strömend". Während der Übergang von strömenden zum schießenden Abfluß kontinuierlich erfolgt, ist der Übergang vom "Schießen" zum "Strömen" unstetig und mit der Ausbildung eines sogenannten " Wechselsprunges" verbunden. In der Regel erfolgt der Abfluß in offenen Gerinnen strömend. Der Quotient aus der vorhandenen Geschwindigkeit v und der Grenzgeschwindigkeit wird als FROUD'sche Zahl bezeichnet. Fr < 1 strömender Abfluß Fr > 1 schießender Abfluß Fr = 1 Grenzfall Je größer Fr wird, desto "stärker" schießt die Strömung und desto intensiver ist der Wechselsprung beim Übergang in den strömenden Abfluß. Dabei wird überdurchschnittlich viel Energie verbraucht. 7.4 Impulssatz Nicht alle hydraulischen Fragestellungen können mit der Energiehöhengleichung beantwortet werden. Der Impulssatz geht von folgender Überlegung aus: Betrachtet man einen aus der Stromröhre "herausgeschnittenen" ortsfesten Flüssigkeitskörper, so wirken auf ihn folgende Kräfte: Im Schwerpunkt des Körpers das Eigengewicht G. An den Außenflächen ggfls. Reibungskräfte T. An den Schnittflächen: die Druckkraft P = p.A die Impulskraft J der in den Körper eindringenden oder austretenden Wassermengen. 40 Handbuch zur Kleinwasserkraft Das Produkt aus Masse m und Geschwindigkeit v wird als Impuls bezeichnet. Daraus ergeben sich folgende Impulskräfte: (ρ = γ g J 1 = v1 ⋅ ρ ⋅ Q J 2 = v2 ⋅ ρ ⋅ Q Damit ist es möglich, die Kräfteverhältnisse an den Grenzflächen eines Flüssigkeitskörpers zu ermitteln, ohne dabei die Vorgänge im Inneren berücksichtigen zu müssen. Die praktische Anwendung des Impulssatzes ergibt sich z.B. bei Querschnittsveränderungen oder Krümmungen in Rohrleitungen. Diese verursachen Kräfte, die z.B. durch Widerlager aufgefangen werden müssen. 7.5 Stützkraftsatz Die Anwendung des Impulssatzes auf einen Abschnitt eines offenen Gerinnes stellt sich unter Vernachlässigung der Reibungskraft T fiir die Breite b = 1 folgendermaßen dar: Aus Gründen des Gleichgewichtes ist J1 + W1 = J2 + W2 = S Die Kraft S wird Stützkraft genannt. Allgemein gilt: S = ρ ⋅ Q2 h + γ ⋅ h2 2 Die Beziehung findet vor allem bei der Berechnung des Wechselsprunges und des Schwall und Sunkes Anwendung. 7.6 Strahldruck Trifft ein freier Strahl auf ein Hindernis, so übt er auf dieses Hindernis eine Kraft aus. Diese kann mit Hilfe des Impulssatzes berechnet werden. W = J 1 ⋅ sin α = ρ ⋅ v1 ⋅ Q1 ⋅ sin α Beträgt die Umlenkung 180° wird a = 90° und der Strahldruck wird zur Summe beider Impulskräfte. W(180°) = 2 J (Anwendung bei der Peltonturbine) 41 Handbuch zur Kleinwasserkraft 7.7 Rohrströmung 7.7.1 Örtliche Verluste Die Ursache örtlicher Verluste sind zum überwiegenden Teil Ablösungen der Strömung von den Wandungen. Es bilden sich Strömungswirbel, deren Bildung Energie braucht. Diese Art der Verluste ist direkt proportional der Strömungsgeschwindigkeit bzw. der Geschwindigkeitshöhe v2/2g. Die Größe des Verlustes wird durch den Multiplikator ζ dargestellt. Im Einzelnen gibt es folgende Verluste: Einlaufverluste Krümmungsverluste 42 Handbuch zur Kleinwasserkraft Verluste bei Querschnittsänderung Verluste bei Verschlußorganen Rechenverluste 7.7.2 Kontinuierliche Verluste Durch die äußere Reibung des strömenden Wassers an der Rohrwandung sowie durch eine Art innere Reibung (Stoß- und Mischverluste) nimmt die Verlusthöhe hv entlang der Stromröhre kontinuierlich zu. Der Verlust ist direkt proportional der Länge des Rohres und indirekt proportional dem Querschnitt des Rohres. Der Proportionalitätsfaktor wird λ genannt. hv = λ d ⋅ L ⋅ v 2 2 g Der Wert λ muß ermittelt werden. Er ist abhängig von der Reynold'schen Zahl und von der Rauhigkeit (Sandrauhigkeit) des Rohres. Dieser Wert wird vom Rohrhersteller angegeben. 43 Handbuch zur Kleinwasserkraft Das folgende Diagramm zeigt die Zusammenhänge. 7.8 Gerinneströmung Die Gerinneströmung ist im Grundsatz ähnlich zu berechnen wie die Rohrströmung, wobei folgende Annahmen getroffen werden: Der Rohrdurchmesser d wird 4R (der hydraulische Radius R = A/U, U = der benetzte Umfang) Die Ermittlung von λ kann wieder über ein Diagramm erfolgen. Zum praktischen Gebrauch hat sich - obwohl fehlerbehaftet - die Fließformel von ManningStrickler durchgesetzt. Sie wurde rein empirisch ermittelt und lautet v = k s ⋅ R 2 3 ⋅ I s1 2 v = mittlere Fließgeschwindigkeit ks = Rauhigkeitsbeiwert Is = Energieliniengefälle R = hydraulischer Radius Natürliche Flussbetten haben k-Werte zwischen 25 - 40 Künstliche Kanäle haben k-Werte zwischen 50 - 100 Es gibt Tabellen zur genauen Auswahl. 7.9 Überfallströmung Unter Überfallströmung versteht man den Abflussvorgang, der sich einstellt, wenn das Wasser über eine normalerweise horizontale Überfallkante eines Staubauwerkes zum Abfluß gelangt. Es gibt drei Möglichkeiten der Anströmung: • Rechtwinkelig (normales Überfallwehr) • Radial (ringförmiger Überfall) • Parallel zur Strömung (Streichwehr) 44 Handbuch zur Kleinwasserkraft Die Überfallströmung wird durch die Formel von Poleni beschrieben. Q = 2 3 ⋅ µ ⋅ b ⋅ (2 g ) ⋅ ho3 2 12 Die Überfallbeiwerte µ sind Formbeiwerte Es gibt die Abflussform des vollkommenen und des unvollkommenen Überfalls. Im ersten Fall erfolgt keine Beeinflussung der Überfallströmung von Unterwasser - im zweiten Fall schon. 7.10 Abfluß unter Schützen Einen in der wasserbaulichen Praxis sehr häufigen Sonderfall bildet der sogenannte Grundstrahl. Der Abfluß errechnet sich nach folgender Formel: Q = c ⋅ µ ⋅ a ⋅ b ⋅ (2 g ⋅ ho ) 12 c = Beiwert, der die Abflußart berücksichtigt (vollkommen oder unvollkommen) m = Abflussbeiwert b = Breite des Grundstrahl ho = Oberwasserstand 45 Handbuch zur Kleinwasserkraft 7.11 Abfluß aus Öffnungen Bei der hydraulischen Betrachtung des Ausflusses aus Öffnungen spielt das Verhältnis zwischen der Höhe der Ausflussöffnung a und der mittleren Druckhöhe h eine wesentliche Rolle. Der Ausfluß ergibt sich formelmäßig als Q = µ ⋅ A ⋅ (2 g ⋅ h ) 12 7.12 Schwall und Sunk (Instationärer Fließvorgang) Wird der Abfluß in einem offenen Gerinne plötzlich verändert - z.B. durch Öffnen oder Schließen einer Wehranlage, kommt es infolge der Massenträgheit des Wassers zu einem kurzzeitigen Anheben (Schwall) oder Absinken (Sunk) des Wasserspiegels flussauf oder flußab des Verschlusses. Dabei unterscheidet man in • Absperrschwall flussauf • Absperrsunk flußab • Öffnungsschwall flußab • Öffnungssunk flußauf 7.13 Schleppspannung, Geschiebebewegung Unter Geschiebe versteht man Feststoffe (meist Gestein), die durch den Fließvorgang an der Gewässersohle rollend, gleitend oder hüpfend bewegt werden. Einflussfaktoren auf diese Geschiebebewegung sind Wassertiefe und Gefälle. Maßgebend ist die Schleppspannung an der Flusssohle. Diese ist formelmäßig folgendermaßen definiert: S = 10.000 ⋅ t ⋅ I (N m 2 ) t = Wassertiefe über der Sohle I = Gefälle der Energielinie Für den Wasserkraftplaner ist die Kenntnis der Geschiebeführung eines Flusses von großér Bedeutung, da er mit konstruktiven Mitteln danach trachten muß, möglichst wenig oder gar kein Geschiebe in den Turbinenzulauf gelangen zu lassen. 7.14 Schwebstoffe Unter Schwebstoff versteht man jene Feststoffe, die zufolge Turbulenzen im Wasser in Schwebe gehalten werden. Insbesondere bei Hochwässern ist nicht nur die Geschiebe- sondern auch die Schwebstofführung eines Flusses im allgemeinen sehr hoch. Der Eintrag in die Turbine lässt sich kaum vermeiden – allerdings ist auch das Beschädigungspotential wesentlich geringer. 46