Geschichte - Universität Luzern

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8 . Au g u s t 20 1 3
D I E Z E I T No 33
Geschichte
Buddha
in Berlin
DIE ZEIT: Herr Baumann, gehört der Buddhis- Baumann: Sie priesen am buddhistischen Glauben
mus zu Deutschland?
all das, was sie als das Gegenteil der christlichen
Martin Baumann: Seit dem 18. und 19. Jahrhun- Re­li­gion ansahen, die sie abgelegt hatten. Dem
dert. Damals interessierten sich viele Gelehrte christlichen Dogma stellten sie die buddhistische
stark für buddhistische Ethik und Philosophie. Lehre als empirisch überprüfbare »Er­kennt­nis­reli­
Einer der Wegbereiter war Arthur Schopenhauer, gion« gegenüber. Statt einer Erlösung durch Gotder sich intensiv mit dem Buddhismus befasst hat. tes Gnade, die den Gläubigen zur Passivität verZEIT: Es ging mehr ums Intellektuelle als ums damme, predigten sie persönliche Verantwortung
und autonomes moralisches Handeln.
Spirituelle?
Baumann: Die buddhistischen Gesellschaften aus ZEIT: Und wie standen die Kirchen ihrerseits zur
der Zeit um 1900 priesen den Buddhismus als eine Konkurrenz?
»Re­li­gion der Vernunft«, ganz im Geist
Baumann: Man sollte nicht vergessen:
der Aufklärung. Er sei eine Lehre, die
Es war eine sehr kleine ­Minderheit.
allein auf Einsicht und Erkenntnis beZu Beginn des 20. Jahrhunderts dürfruhe – wie die modernen Naturwissente es im Kaiserreich kaum mehr als
schaften.
2000 bis 3000 Buddhisten gegeben
haben. Der Bud­dhismus spielte daher
ZEIT: Heute begreift man den Buddhisfür die Kirchen keine große Rolle.
mus ja meist als Gegenentwurf zur raDennoch wurde er teils scharf krititionalistischen Welt des Westens.
siert, zumeist von protes­tantischen
Baumann: Das gab es damals natürlich
Pfarrern. Das herrschaftliche, christauch. Viele frühe Buddhisten hierzulich geprägte Establishment stand
lande hatten durchaus esoterisch-spiri- Martin Baumann
dem importierten Glauben distantistische Motive. Viele kamen über die lehrt und forscht
ziert bis abweisend gegenüber. ChristTheosophische Gesellschaft, aus der an der Universität
auch Rudolf Steiners Anthroposophie Luzern zu buddhis­ licher Glaube und kaiserliches Reich
waren untrennbar verbunden, fremde
hervorging, zum Buddhismus. Oder tischen und hindu­
Glaubenssätze wurden als Gefahr geüber okkulte Zirkel. Etliche dieser istischen Religio­
brandmarkt.
Buddhisten standen in der Tra­di­tion nen in Europa
der Romantik und ihrer kulturkritiZEIT: Wie politisch war das Bekenntschen Haltung.Mithilfe des Buddhisnis zum Buddhismus? Richtete es sich
mus, der ihrer Meinung nach ältesten und weises- auch gegen den Militarismus des Kaiserreichs?
ten Re­li­gion der Menschheit, werde die europäi- Baumann: Einige führende Buddhisten verstanden
sche Kultur aus dem Dunkel des Fin de Siècle he- es durchaus als politischen Akt, Buddhas Lehre zu
raustreten und ihre alte Größe und Herrlichkeit verbreiten. Sie prangerten allerdings weniger den
wiedererlangen.
Militarismus als die »Dekadenz« an, die »Sattheit«
ZEIT: Reisten die frühen deutschen Buddhisten und den »Niedergang« der europäischen Kultur.
Teilweise kooperierten sie eng mit lebensreformeriauch nach Asien? Oder lasen sie nur?
Baumann: Im 19. Jahrhundert kam der Buddhis- schen Vereinigungen wie der Vegetarierbewegung.
mus über Schriften und Bilder hierher. Erst von Es ging ihnen darum, anders zu leben, um Selbst1900 an begegnen uns erste deutsche Reisende, die kultivierung und Läuterung. Zugleich musste sich
Asien mit der Seele suchten. Anton W. F. Gueth mancher von seinen Glau­bens­genos­sen anhören,
etwa, der Frankfurter Geigenvirtuose, lernte den ein bloßer »Salonbuddhist« zu sein und nur schön
Buddhismus über Schriften und die Theosophische daherzureden, statt den Idealen gemäß zu leben.
Gesellschaft kennen. 1902 reiste er nach Birma und ZEIT: Wer fühlte sich typischerweise von der
ließ sich dort als Mönch ordinieren. Oder der Berli- buddhistischen Lehre angezogen?
ner Arzt Paul Dahlke: Nach Reisen in den Südpazi- Baumann: Vor allem Gelehrte und Künstler. Aber
fik entdeckte er Ceylon und den Buddhismus als auch kaufmännische Angestellte und viele Vertre»seine zweite Heimat«. Aber das sind Ausnahmen.
ter der »neuen Berufe«, also Journalisten, RechtsZEIT: Wie standen die frühen Buddhisten zu den anwälte und selbstständige Ärzte.
christlichen Kirchen?
ZEIT: Nur Männer?
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Baumann: Ja, meist waren das reine Männergesellschaften, organisiert in Vereinen. Im August 1903,
vor genau 110 Jahren, wurde Leipzig mit der
Gründung des Buddhistischen Missionsvereins für
Deutschland zum wichtigsten Ort. Von den zwanziger Jahren an begannen Buddhisten, die Lehre
dann auch wirklich auszuüben und zu leben. Nun
wurden nicht mehr nur akademische Gesellschaften, sondern Gemeinden gegründet. Um den
Münchner Juristen Georg Grimm und Paul Dahlke in Berlin bildeten sich eigene Gruppen. Grimms
»altbuddhistische Gemeinde« verstand sich ausdrücklich als eine religiöse Gemeinschaft.
ZEIT: Hatten sie Zulauf?
Baumann: Zu Vorträgen von Grimm kamen bis
zu tausend Zuhörer. Man plante sogar, einen
buddhistischen Wanderprediger anzustellen, sobald das Geld reichen würde. Dahlke erbaute
1924 in Berlin-Frohnau das Buddhistische Haus,
das da heute noch steht. Er lebte hier zusammen
mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter ein
­asketisch-religiöses Leben nach Art der südasia­
tischen Mönche. Mitte der zwanziger Jahre errichtete Dahlke zudem auf Sylt ein etwa drei bis
vier Meter hohes buddhistisches Denkmal. In
großen Messingbuchstaben war auf diesem wohl
ersten größeren buddhistischen Gedenkstein
­Europas Namo Buddhaya zu lesen: »Verehrung
dem Buddha«.
ZEIT: Gab es keine Repressionen?
Baumann: Erst während der NS-Zeit. Da wurden
dann Grimms Bücher verbrannt, Versammlungen
von der Gestapo beobachtet, das Denkmal auf Sylt
wurde zerstört. Buddhisten galten als »Sonderlinge
und Pazifisten«. Direkt verfolgt, ins KZ verschleppt
aber wurden sie nicht, mit Ausnahme natürlich der
zum Buddhismus konvertierten Juden. Denn längst
nicht alle frühen Buddha-Anhänger waren ehe­
malige Protestanten und Katholiken: Ein überproportionaler Anteil von ihnen war vom Judentum
übergetreten.
ZEIT: War die Buddhismusbegeisterung um 1900
ein typisch deutsches Phänomen?
Baumann: Überhaupt nicht. Buddhistische Gesellschaften entstanden auch in London. In den USA
gab es mit Ralph Waldo Emerson und David Thoreau verklärende Fürsprecher der indischen und
buddhistischen Sache. Im Übrigen hatten asiatische Immigranten schon in den 1870er Jahren
erste Tempel in San Francisco gegründet.
ZEIT: Wirkte die Begeisterung im Westen auch
auf die Herkunftsländer zurück?
Baumann: Das gab’s. In Ceylon zum Beispiel, dem
heutigen Sri Lanka, seinerzeit eine britische Kolonie. Die Wertschätzung des Buddhismus in Europa
beflügelte dort durchaus den Stolz auf die eige­ne
Re­li­gion. Auch hatten Reformer wie Dharma­pala,
der mehrmals nach Europa reiste und 1925 Berlin
besuchte, ihrerseits das westliche Bild des
Buddhismus als »Re­li­gion der Vernunft« in Süd­
asien propagiert. Dieses eher rationalistische Bild
führte in Ceylon unter anderem dazu, dass sich
der Buddhismus dort von zahlreichen magischen
Ritualen lossagte.
ZEIT: In Europa hingegen scheint er sich von den
sechziger Jahren an in ein esoterisches New-AgeAngebot verwandelt zu haben ...
Baumann: Damals, in der Flower-Power-Zeit, erlebte er in der Tat einen erstaunlichen Aufschwung.
Antibürgerliche, alternativkulturelle Kreise, Künstler, Studenten, Indienreisende entdeckten den
Buddhismus auf ihrer Suche nach »östlicher Weisheit« und strebten nach körperlich-spirituellen Erfahrungen mittels Me­di­ta­tion.
ZEIT: Inzwischen ist er ja fast zu einer Well­ness­
reli­gion für alle geworden.
Baumann: In seiner verwässerten, völlig veräußerlichten Form – als Produkt der Kul­tur­indus­trie,
mit Buddha-Figuren, Klangschalen und Anleitungen zur Entspannung im Büro. Gelebt und praktiziert aber wird die buddhistische Lehre, die ja alles
andere ist als das geistige Schaumbad, als das sie
inzwischen verkauft wird, bis heute nur von einer
Minderheit in Deutschland – so wie einst.
Illustration: Smetek für DIE ZEIT/www.smetek.de; Fotos: Filmmuseum (r.); privat (u.);
Um 1900, im Kaiserreich, eine Provokation –
heute ein Lifestyle-Produkt:
Wie die Deutschen zum Buddhismus fanden.
Ein Gespräch mit dem
Religionswissenschaftler Martin Baumann
Das Gespräch führte Christian Staas
Anders leben
Wandervögel, Buddhisten,
Lebensreformer: Das neue
Heft ZEIT Geschichte
schildert den alternativen
Aufbruch um 1900
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06.08.13 17:05
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