16_Welt der w Religionen Philosophie oder Religion? Fragen nach Gott und dem Verständnis von Gesellschaft und Welt berühren zunächst die Grundfrage, ob der Buddhismus eher als Religion oder Philosophie angesehen wird. Im letzten Teil der Serie zum Buddhismus wird erklärt, warum der Buddhismus immer auf Glauben begründet bleibt. Teil 4 BEITRAG_MICHAEL FUSS L ange Zeit wurde besonders im westlichen Verständnis das logische System des frühen Buddhismus als philosophische Lehre angesehen, die auf eigener Einsicht ­gegründet ist und keinen übernatürlichen Glauben verlangt. Dahingegen muss betont werden, dass der Buddha keine ontologischen, sondern soteriologische Aussagen (Anm.: Aus­ sa­ gen über das Heil und die Heilswege der Menschen) treffen wollte. Das Gleichnis des im Urwald von einem vergifteten Pfeil getroffenen Menschen zeigt, dass es müßig ist, darüber zu spekulieren, aus welchem Holz der Pfeil geschnitzt war oder ob er von einem erfahrenen Jäger oder einem Amateur abgeschossen wurde. Es kommt einzig darauf an, ihn möglichst schnell zu entfernen und die Wunde zu heilen. Darum lehnt es der Buddha ab, theoretisch über Gott und Welt zu philosophieren; vielmehr ermahnt er seine Schüler, alles, aber auch nur das Menschenmögliche zu tun, um zur Befreiung des Nirvana zu ­gelangen. Über die Existenz Gottes oder einer transzendenten Wirklichkeit bewahrt der Buddha ein mystisches Schweigen. Buchtitel wie „Buddhismus – eine atheistische Religion“ (H. von Glasenapp) betrachten die negative Annäherung unzutreffend aus einer rein westlichen Perspektive. Hingegen weist der Buddha die nutzlosen Spekulationen der brahmanischen Priesterkaste zurück, die oft rein von Eigeninteressen geleitet sind. Das Ideal der buddhistischen Gläubigen ist eine völlige Besitzlosigkeit, ein „Vergessen“ des eigenen Seins im Leerwerden von allen Anhänglichkeiten. So gelangt missiothek 1102 man durch das „Gehen in die Hauslosigkeit“ – Synonym für die buddhistische Praxis – zu den „göttlichen Wohnungen“ der Tugenden des Mitgefühls. Hier fallen Tempeldienst und Tugendpraxis in eins, wie auch die (müßige) Spekulation über ein göttliches Wesen und dessen Verwirklichung im religiösen Vollzug. Anstelle von einem abstrakten Gottesbegriff bestimmt die Gotteswirklichkeit das Denken des Buddha, und diese ist die Bedingung der Möglichkeit der sichtbaren und kontingenten Welt: „Es gibt, ihr Mönche, ein Nichtgeborenes, Nichtgewordenes, Nichtgeschaffenes, Nichtaufgebautes. Wenn es dieses Nichtgeborene, Nichtgewordene, Nichtgeschaffene, Nichtaufgebaute nicht gäbe, dann wäre ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Aufgebauten nicht zu erkennen.” (Udana 8.3) Wenngleich eine höchste Wirklichkeit nicht bewusst in Frage gestellt wird, so gibt es doch keine spezifische Verehrung oder Gebete, mit Ausnahme einer respektvollen Verehrung Buddhas, dessen überweltliche Funktionen anerkannt werden, dem man aber keine göttliche Natur zuspricht. So kommt seine Botschaft einer Offenbarung sehr nahe, seine Nachfolge hilft den Menschen zur Erlösung und er vermittelt ein unermessliches Mitleid, aber für Buddhisten bleibt die Frage offen, „wer“ sich da offenbart oder Mitleid schenkt. Im Gegensatz zu der christlichen Vorstellung von einem personalen Charakter des Göttlichen und des Menschen als individuellem Selbstbesitz sehen die Buddhisten das Selbst in der Dialektik einer wesensmäßigen Bezogenheit. Diese Sicht hat bereits der spirituelle Lehrer Shantideva (7. - 8. Jhdt.) in der Metapher von der Welt als Körper ausgedrückt und folgerichtig und deshalb das Austauschen des Selbst und der Anderen angemahnt. Alle Wesen sind mit Fotos: Ernst Zerche Welt der ihren unterschiedlichen Funktionen als Glieder eines Leibes verbunden. Darum kann man das eigene Ich nur in der Hingabe für Andere verwirklichen. Ohne auf ein göttliches Gebot zur Begründung der Nächstenliebe zu pochen, wird hier die Grundhaltung des Mitgefühls aus der gemeinsamen Menschennatur abgeleitet: „,Mit den Anderen bin ich verbunden.’ Versichere dich dessen, mein Geist! Nun darfst du an nichts anderes mehr denken als an den Nutzen aller Wesen.” Heute spricht der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh (*1926), der weithin als Brückenbauer eines europäischen Buddhismus gilt, vom „Intersein“, weil alle Phänomene des Universums, der Mensch und die göttliche Wirklichkeit, nur als komplexes Netz von gegenseitigen Bedingtheiten existieren. Der kambodschanische Mönch Maha Ghosananda (1929-2007) hat aus diesem Geist seinen gewaltlosen Einsatz für Frieden und Versöhnung motiviert. Die universale Verantwortungsethik konkretisiert sich in einer Fürsorgege- FACTBOX CHRISTENTUMKI • Will sich in der Interaktion mit Philosophie bewähren und diese reinigen. • Christen reden über den sich offenbarenden Gott, aber können ihn nicht voll erkennen. • Das Ich ist durch die Beziehung zu Gott und dadurch zu allen anderen Menschen. w Religionen_17 meinschaft entsprechend den sechs Richtungen des brahmanischen Opfers. Nach dem Sigalovada Suttanta (Digha-nikaya, III, 180) sollen sich Kinder um die Eltern kümmern (Osten), Schüler um die Lehrer (Süden), Männer um Frau und Kinder (Westen), Freunde um ihre Gefährten (Norden), Obere um Untergebene (Erde) und Laien um religiöse Lehrer und Mönche (Himmel). Das Bild der mütterlichen Sorge um das Kind als Ausdruck der Ehrfurcht vor jeglichem Leben wird auf alle Bereiche der Gesellschaft übertragen. In großer Nähe zur konfuzianischen Ethik spiegelt der buddhistische „edle Mensch“ (der „Heilige“, „Vollendete“) die universale Ordnung wieder. Für Buddhisten konkretisiert sich die kosmische Wirklichkeit im Menschen, in seiner sozialen wie psychologischen Struktur. Vorstellungen von Himmel oder Göttern (devas) haben eine ganz andere Bedeutung als in der westlichen Kultur. Sie meinen überirdische Glückszustände, die aber irgendwann aufgebraucht sein werden. Dann müssen selbst die Götter in einem Menschenleib erscheinen, um das Nirvana zu erreichen. Die Welt mit ihren verschiedenen Sphären entspricht den Stufen der Versenkung, die allmählich von der materiellen Befindlichkeit zu substanzlosen, „leeren“ Bewusstseinszuständen führen. Im Unterschied zu theistischen Religionen ist die buddhistische Gottesvorstellung wie auch sein Gesellschaftsund Weltbild von einem relationalen Personbegriff geprägt. Der japanische Philosoph K. Nishitani nennt dies eine “unpersönlich-persönliche Beziehung”. In dieser herausfordernden Begegnung sieht sich das Christentum heute auf einer interreligiösen Pilgerfahrt, welche die Menschen von einer Selbst-Fixierung zu einem „offenen“ und „verantwortlichen“ Selbst führt. In der Enzyklika Fides et ratio (1998; Nr. 1-2) beginnt Papst Johannes Paul II. diesen Weg mit dem Spruch des delphischen Orakels, „Erkenne dich selbst“. Im Streben nach Selbsterkenntnis vermag der Mensch die Wahrheit zu berühren, die für Christen im Antlitz eines persönlichen Gottes aufscheint. Auf den Straßen der Welt vollzieht sich die Mission der Kirche als eine “Diakonie an der Wahrheit,” die schrittweise im Geheimnis des Menschen das göttliche Geheimnis entdeckt. < UNTERSCHIEDE BUDDHISMUSI MISSIOTHEK.AT • Der Buddhismus ist keine Philosophie und fordert auch keine Interaktion mit ihr. • Buddhisten schweigen über das „Ungeschaffene“, aber verneinen es nicht. • Das Ich ist durch Bezogenheit auf alle anderen Menschen. Aufgeben der versklavenden Abhängigkeiten. • Exklusiv online: Sie finden diesen Artikel auch als PDF online: Ausdrucken und in der Klasse gemeinsam lesen! missiothek 1102