Document

Werbung
Jagd nach Exoplaneten
Schon bald könnten
Astronomen eine zweite
Erde finden. Seite 67
Revolution auf dem PC
Mit Windows 8 geht
Microsoft ein grosses
Risiko ein. Seite 71
Clevere Säuger
Warum Delphine nur
mit einer Hälfte des
Hirns schlafen. Seite 69
SUZY DEL CAMPO / PYMCA
65
Wissen
DANITA DELIMONT
NZZ am Sonntag
21. Oktober 2012
Kurt April
SABINE ROCK
Der Psychiater und Psychotherapeut hat
langjährige Erfahrung als Paar- und
Sexualtherapeut. Er ist seit 2011 Präsident des Ärztevereins Aids-Aufklärung
Schweiz und publizierte unlängst das
Aufklärungsbuch «Sprechen über Sex
und über Infektionsrisiken». (mid.)
Mit Jeans ist man sicher – aber häufige Partnerwechsel erhöhen das Risiko, sich mit einer Geschlechtskrankheit anzustecken.
«Niemand will als Bünzli dastehen»
Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien: Sexuell übertragbare Krankheiten nehmen zu in der Schweiz. Der
Psychoherapeut Kurt April erklärt, warum die Menschen beim Sex wieder grössere Risiken eingehen
NZZ am Sonntag: Herr April, Sie finden, in der Schweiz rede man zu wenig
über Sex. Das kann ich kaum glauben.
Kurt April: Sagen wir so: Sex ist in
den Medien ein grosses Thema, im
Internet und am Stammtisch. In der
Regel wird aber in Liebesbeziehungen
zu wenig über Sex gesprochen.
Wirklich?
Im Grossen und Ganzen schon.
Vor allem über Tabuthemen wie Geschlechtskrankheiten spricht man zu
wenig. Obwohl viele Schweizerinnen
und Schweizer einmal im Leben eine
sexuell übertragbare Infektion haben,
ist das etwas, was unter Freunden
selten angesprochen wird.
Warum eigentlich?
Meiner Meinung nach liegt das an
unserer Kultur. In Indien zum Beispiel
hat man weniger Mühe, über solche
Themen zu sprechen. Doch die Zahlen zeigen, dass man gerade in der
Schweiz darüber reden muss. Seit
zehn Jahren nehmen sexuell übertragbare Krankheiten wieder stark zu. Im
ersten Halbjahr 2012 gab es je nach
gemeldeter Krankheit 10 bis 30 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr. Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien, Hepatitis C – all diese Krankheiten sind wieder auf dem Vormarsch.
Seit 25 Jahren werden wir mit SaferSex-Regeln bombardiert. Und trotzdem
gibt es mehr Ansteckungen?
Die Verbreitung von sexuell übertragbaren Infektionen hängt mit dem
Risikoverhalten zusammen, also mit
häufigem Partnerwechsel. Als Aids
aufkam, konnte man sich beim Sex
den Tod holen, und das machte die
Leute vorsichtiger. Doch seit den
1990er Jahren werden laufend bessere
Medikamente gegen die HIV-Infektion
entwickelt, und heute stellt Aids nicht
mehr diese tödliche Bedrohung dar.
Zudem spricht man an Schulen und in
der Öffentlichkeit viel weniger über
HIV, als dies noch vor zwanzig Jahren
der Fall war. Darum werden heute
wieder grössere Risiken eingegangen.
heute einer der Hauptgründe für Unfruchtbarkeit – das will ja keiner.
Ist das denn so schlimm? Die Infektionen lassen sich doch behandeln.
Wer sich etwas eingefangen hat,
sagt meistens: Hätte ich doch! Auch
wenn die Krankheiten nicht tödlich
verlaufen müssen, können sie sehr
unangenehm sein. Genitaler Herpes
zum Beispiel kann starke Schmerzen
verursachen und die Lebensqualität
und das Liebesleben beeinträchtigen.
Und Chlamydien-Infektionen sind
Sind Geschlechtskrankheiten nicht vor
allem ein Problem der Schwulenszene?
Nein, nicht nur. Chlamydien,
Herpes oder humane Papillomaviren
(HPV) sind sehr leicht übertragbar,
und es braucht nicht viele Partner, bis
man sich angesteckt hat – darum sind
dies Infektionen, die häufiger bei Heterosexuellen auftreten. Bei den etwas
schwerer übertragbaren Infektionen
wie Syphilis, Gonorrhö oder HIV
Häufigste Geschlechtskrankheiten
Ungebremster Anstieg
Ohne Behandlung droht Gefahr
Registrierte Ansteckungen mit einer
Geschlechtskrankheit in der Schweiz
Î HIV/Aids: Die wohl bekannteste sexuell
übertragbare Infektion. Erreger ist das
HI-Virus. Aids ist nicht heilbar, mit Medikamenten aber kontrollierbar.
Î Syphilis: 1998 gab es in der Schweiz
noch 50 Fälle, seither wieder am Aufflammen. Symptome: Geschwüre und
Ausschläge am Ort der Ansteckung. Mit
Antibiotika behandelbar.
Î Gonorrhö: Auch Tripper genannt.
Bakterielle Infektion, mit Antibiotika behandelbar. Symptome: eitriger Ausfluss,
Schmerzen beim Wasserlassen. Kann
unbehandelt zu Unfruchtbarkeit führen.
Î Chlamydien: Bakterielle Infektion, die
häufig unbemerkt bleibt. Symptome
ähnlich wie Gonorrhö. Mit Antibiotika gut
behandelbar, kann ohne Behandlung zu
Unfruchtbarkeit führen.
Chlamydien
6000 Fälle
4000
2000
1998
Î HPV: Humane Papillomaviren können
Genitalwarzen und Gebärmutterhalskrebs verursachen. Impfung empfohlen
für Mädchen vor dem ersten Sex.
1200
Î Genitaler Herpes: Fieberbläschen an
Geschlechtsorganen, durch das Herpesvirus ausgelöst. Symptome können mit
antiviralen Medikamenten gelindert werden. (mid.) www.aids-info.ch
400
00
02
04
06
2010
Gonorrhö
1000
800
08
HIV-Infektion
600
Syphilis
(1999–2005 keine Meldepflicht)
200
0
1998
00
02
04
Quelle: Bundesamt für Gesundheit
06
08
2010
braucht es in der Regel risikoreicheres
Verhalten, bis man sich ansteckt, da
sind Schwule häufiger betroffen.
Eigentlich weiss jeder und jede, dass
man bei Sex mit Unbekannten ein
Kondom verwenden sollte. Warum tun
das trotzdem viele nicht?
Meiner Erfahrung nach sind meist
Verdrängung oder Hemmungen der
Grund. Die meisten wollen ja beim
Partner gut ankommen. Und da ist die
Angst, blöd dazustehen, oftmals grösser als die Angst um die Gesundheit.
Steckt man den Kopf in den Sand?
Ja, genau. Wenn es um den Kondomgebrauch oder die Verhütung
geht, läuft das oft wie früher: Wenn
die Frau nichts sagt, denkt der Mann,
sie nehme die Pille. Dasselbe mit HIV.
Wenn der eine schweigt, nimmt der
andere an, alles sei in Ordnung. Gerade frisch verliebte Paare trauen
sich nicht, das Thema anzusprechen.
Niemand will als Bünzli dastehen.
Das ist doch eine Bankrotterklärung für
die «Stop Aids»-Kampagne.
So kann man das nicht sagen. Auf
dem Höhepunkt der «Stop Aids»Kampagne gab es viel weniger sexuell
übertragbare Infektionen. Aber trotz
aller Aufklärung sind Geschlechtskrankheiten noch immer ein Tabuthema, und es wird zu selten vor dem
..................................................................................
a Fortsetzung Seite 66
66
Wissen
NZZ am Sonntag V 21. Oktober 2012
TIM KLEIN / GALLERY STOCK
«Niemand will . . .»
..................................................................................
c Fortsetzung von Seite 65
ersten Sex darüber gesprochen.
Warum gehört ausgerechnet die
Schweiz zu den Spitzenreitern in Europa, was sexuell übertragbare Krankheiten betrifft?
Hierzulande herrscht ein liberales
Klima bezüglich Sexualität, und ein
Teil der Jungen scheint häufiger den
Partner zu wechseln als in anderen
Ländern. Bei jenen Infektionen, die
vor allem Männer betreffen, spielt
die grosse Homosexuellenszene von
Zürich eine Rolle, in welcher risikoreicherer Sex praktiziert wird. Zudem
können sich in der Schweiz mehr
Menschen Sextourismus leisten.
Warum gefährden Leute mit ungeschützten Seitensprüngen ihre Partner?
Viele wissen gar nicht, dass sie ihren Freund oder ihre Freundin gefährden. Sie unterschätzen das Risiko, das
sie eingehen, und wissen später nicht,
dass sie infiziert sind. Darum gibt es
gerade unter Heterosexuellen häufiger
HIV-Fälle, die erst nach vielen Jahren
entdeckt werden.
Aber man weiss doch zum Beispiel,
dass Prostituierte ein höheres Ansteckungsrisiko haben. Trotzdem gibt es
Freier, die ungeschützten Sex wollen.
Ein Teil dieser Männer verdrängt
einfach. Sie wollen nicht wahrhaben,
dass sie sich damit gefährden. Andere
kennen die Infektionsrisiken sehr
wohl, aber sie nehmen diese in Kauf,
weil sie guten Sex wollen und meinen,
dass es solchen nur ohne Kondom
gibt. Danach sagen sie ihrer Frau in
der Regel nichts, damit sie mit ihrem
Leben weiterfahren können.
Ist die Diagnose einer Geschlechtskrankheit unweigerlich mit Beziehungsproblemen verknüpft?
Es geht schnell um grundsätzliche
Fragen, das macht es ja so schwierig.
Wenn plötzlich Bläschen an den Genitalien auftauchen, wird schnell ein
Seitensprung des Partners vermutet.
«Wenn der eine über HIV schweigt, nimmt der andere an, alles sei in Ordnung.»
Viele wissen aber nicht, dass sie die
Krankheit schon jahrelang in sich tragen könnten. Andere versuchen, die
Symptome mit Antibiotika in den
Griff zu bekommen, ohne dies dem
Partner zu sagen. Doch dann stecken
sie sich sofort wieder an, weil der
andere unterdessen auch infiziert ist.
Es kann also sein, dass man zu Unrecht
eines Seitensprungs verdächtigt wird?
Genau. Das kommt gar nicht so
selten vor. Mit Herpes genitalis oder
Chlamydien kann man jahrelang angesteckt sein, ohne Symptome zu
haben. Wenn dann ein Schub ausgelöst wird, heisst das nicht unbedingt,
dass jemand fremdgegangen ist.
In Ihrem Buch kritisieren Sie auch den
Kondomgebrauch. Was kann man aus
gesundheitlicher Sicht dagegen haben?
..................................................................................
«Was viele nicht
wissen: Chlamydien
oder Syphilis sind unter
Umständen auch mit
Kondom übertragbar.»
..................................................................................
Es ist auf jeden Fall richtig, dass
jene, die ein riskantes Sexleben führen, Kondome verwenden. So kann
man sich vor schwerer übertragbaren
Infektionen wie HIV gut schützen.
Was aber viele nicht wissen: Herpes,
HPV, Chlamydien oder Syphilis sind
unter Umständen auch trotz Kondom
übertragbar. Darum finde ich es so
wichtig, dass man mit seinem Partner
über die sexuelle Vergangenheit
spricht, um zu wissen, was für Risiken
man eingeht – und bei vorhandenen
Risiken auch einmal einen Test macht.
Das Leben wird sexuell übertragen.
Sind Geschlechtskrankheiten überhaupt
auszurotten?
Kaum. Die Weltgesundheitsorganisation berechnete zwar, dass die HIVInfektion dank Medikamenten bis in
fünfzig Jahren ausgerottet werden
könnte. Das wäre theoretisch möglich,
wird aber schwierig werden. Mit den
bestehenden Impfungen liessen sich
auch Hepatitis B und das HP-Virus
deutlich dezimieren. Insbesondere die
leicht übertragbaren Infektionen wie
Herpes oder Chlamydien wird es aber
immer geben. Wer gar kein Risiko
will, muss also ins Kloster eintreten.
Interview: Simone Schmid
Umstrittene HIV-Selbsttests
Schnell ein Test, und
dann ab ins Bett
Etwa 20 Prozent aller HIV-Infizierten
wissen nicht, dass sie sich mit dem Virus angesteckt haben, und gefährden
so ihre Sexualpartner. Eine Studie aus
den USA propagiert nun eine neue
Strategie, um Nichtsahnende vor einer
Ansteckung zu bewahren: Menschen
mit einem turbulenten Sexleben sollten mit HIV-Schnelltests sich selbst
und ihre potenziellen Partner überprüfen. Seit Juli ist in den USA ein solcher
Test zugelassen: Der «Oraquick Test»
kostet rund 40 Dollar, funktioniert mit
einer Speichelprobe und liefert innerhalb von 20 Minuten ein Resultat.
Um die Akzeptanz des PartnerScreenings zu untersuchen, begleiteten
der Psychologe Alex Carballo-Diéguez
und sein Team von der Columbia University 27 junge New Yorker, die regelmässig ungeschützten Sex mit Fremden haben. Die Forscher statteten ihre
Probanden drei Monate lang mit HIVTestkits aus und befragten sie regelmässig. Die Männer machten in dieser
Zeit 140 Bekanntschaften, führten 100
Tests durch und entdeckten dabei 10
potenzielle Sexualpartner, die mit HIV
infiziert waren. 7 von ihnen wussten
selber nichts von der Infektion, 2 Personen gaben vor dem Test zu, HIV-positiv zu sein. Die meisten Männer waren überrascht, wie bereitwillig die anderen mitmachten, und wollten die
Testkits nach der Studie gar nicht mehr
hergeben. «In Szenen, in denen Hochrisiko-Sex praktiziert wird, könnten
HIV-Selbsttests eine günstige und
wirksame Präventionsmethode sein»,
schliessen die Forscher («Aids and Behavior», Bd. 16, S. 1753).
Doch nicht alle sind begeistert. Laut
«New York Times» halten einige Experten den Schnelltest für zu teuer, so
dass er gerade bei der erhofften Zielgruppe nicht verwendet würde. Andere bezweifeln, dass Frauen, die nicht
du hast es in der hand.
<wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0tzSwtAQAocR5tw8AAAA=</wm>
<wm>10CFWMMQ7DMAwDXySDlC1ZqsciW5AhyO6l6Nz_T427dSBIggfu-7CCn57bcW3nINBM2BOZI7SVCB3OXtLqPdIV1AeVzhodf7yA6RWYixFC6HOFJowJ2l3WwzKDlc_r_QXRGOSOgAAAAA==</wm>
Tetra Pak Getränkekartons bestehen überwiegend aus
dem nachwachsenden Rohstoff Holz. Das FSC®-Label*
auf der Verpackung bestätigt, dass dieses Holz aus verantwortungsvoll bewirtschafteten Wäldern und anderen
kontrollierten Quellen stammt.
* FSC C014047
www.tetrapak.ch
www.facebook.com/tetrapak.deutsch
auf Kondomen bestehen können, imstande sind, ihren Partner zu einem
HIV-Test zu bewegen.
In der Schweiz sind Heimtests zur
Erkennung von übertragbaren Krankheiten nicht zugelassen. Dennoch ist
der «Oraquick Test» via Internet auch
hierzulande erhältlich – nicht unbedingt zur Freude aller. «Wir sind zwar
grundsätzlich für alles, was dazu führt,
dass mehr Leute ihren HIV-Status kennen», sagt Michael Kohlbacher, Geschäftsführer der Aids-Hilfe Schweiz.
Man habe aber bei den Selbsttests
doch einige Bedenken, zum Beispiel
bezüglich Qualität. «Oraquick» habe
nur eine Genauigkeit von 92 Prozent,
wohingegen die Tests von Spitälern
und Beratungsstellen mittlerweile fast
100 Prozent erreichten.
«Zudem gibt es keinerlei Begleitung
bei einem positiven Resultat», bemängelt Kohlbacher. Eine HIV-Diagnose
sei oft mit einer grossen Krise verbunden, und es sei verantwortungslos, die
Leute in diesem Moment allein zu lassen. «Die Anbieter sollten mindestens
zu einem Telefon-Beratungsangebot
verpflichtet werden und Adressen von
Beratungsstellen auf der Packung abdrucken», findet Kohlbacher. Ein weiteres Argument gegen die Tests: Sie lösen das Problem der anderen sexuell
übertragbaren Krankheiten nicht.
«Wer nach einem negativen Resultat
auf Kondome verzichtet, kann sich
noch immer mit Syphilis anstecken»,
so Kohlbacher.
Trotzdem. Die Studie von Alex
Carballo-Diéguez zeigte, dass die
Selbsttests Lügner entlarven und die
Anwender sensibilisieren. Nach einem
positiven Befund haben alle Testpersonen auf Sex verzichtet, auch wenn das
den einen oder anderen Tobsuchtsanfall produzierte und ein Testkit zertrampelt wurde. Simone Schmid
Herunterladen