sueddeutsche.de Theater: Heut` Nacht Überraschungsei

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Ressort: München
URL: /muenchen/651/450373/text/
Datum und Zeit: 30.11.2009 - 12:52
05.12.2008
16:49 Uhr
Theater: Heut' Nacht
Überraschungsei
Mit der Koproduktion "Theater: Heut Nacht" haben das Jugendtheater
Schauburg und die Stiftung kids4kids ein dickes Ei gelegt: Spiel und Spaß zu
einem guten Zweck.
Von Agnes Fazekas
Der letzte Dialog des Abends verklingt noch
im Dunkeln, Applaus ertönt und brandet
wieder ab. Das Stück ist zu Ende, doch das
eigentliche Theater beginnt erst. Nachdem
Im Red Devil's Cabaret geht es
schaurig-unterhaltsam
und
zugleich rotzig-frech zu. (Foto:
Schauburg/oh)
der Nachtpförtner seinen Rundgang beendet
hat, können die Theatergeister die Bühne
endlich so nutzen, wie sie wollen.
Gestern Abend fand im Jugendtheater
Schauburg eine ungewöhnliche Premiere
statt: Kinder auf der Bühne und nicht wenig
Erwachsene im Publikum. Der Saal war voll
und die Nachwuchstalente um die bekannte
Opern- und Musicalsängerin Talia Refeld
konnten sich zu Gunsten der kids4kids-World-
Foundation in der Uraufführung von "Theater: Heut' Nacht" austoben. Die
gemeinnützige Stiftung soll das Verantwortungsbewusstsein junger Darsteller
für Gleichaltrige schärfen, deren Leben weniger glücklich begonnen hat.
Während die mitwirkenden Kinder und Jugendlichen professionell für die Bühne
geschult werden, kommen die Einnahmen der Musiktherapie für traumatisierte
Kinder zu Gute.
Theater: Heut' Nacht Überraschungsei
Theater:
Heut'
Nacht
"Heut' Nacht" spielen sie die Geister der Bühnen-Klassiker, die nach der
Aufführung nicht einfach abtreten können, sondern seit 150 Jahren zum
Inventar des Theaters gehören. Doch wenn der Vorhang abends fällt, ist endlich
Zeit für eigene Inszenierungen, für Rollentausch, Modernes und ganz Altes:
"Showtime" eben. Das Dienstmädchen Toinette, das sich in Molières Komödie
mit dem "Eingebildeten Kranken" herumschlagen muss, will eigentlich viel lieber
große Opern singen und bekommt ihren Auftritt in Mozarts Figaro, an der Harfe
begleitet vom Luftgeist Ariel. Shakespeares buckliger Richard III. möchte
einmal den verführerischen Jüngling geben. Die koboldigen Pucks sind die
einzigen Geister, die sich keine andere Rolle wünschen. Nur niemals
erwachsen werden, singt der elfjährige Leopold Nüßl in klarem Englisch.
Zum Sterben schöner Spaß
In einer Neuinterpretation des Sommernachtstraums wird Hamlet zum
Demetrius und Toinette spielt die Helena. Die beiden Pucks sind ganz in ihrem
Element: "Wenn dann zwei um eine werben, ist der Spaß schon fast zum
Sterben" und verwirren die Leidenschaft der alten Griechen mit einer
Zauberblume. Zwischen den Szenen fallen die Geister in ihre alten Rollen
zurück: Richard III. geht, um Clarence zu töten und Hamlet wandelt als Running
Gag mit seinem Totenkopf umher - persifliert von den zwei Pucks.
Mephisto hat seinen großen Auftritt in der Souffleusen-Luke und freut sich über
Patzer und Ungeprobtes, flüstert der Primaballerina, die so gerne steppen
möchte, Komplexe ein und hadert schließlich selbst in einem Musical-Song mit
seinem Schicksal als gefallener Engel. Wassernixe Undine möchte viel lieber
durch die Luft geistern wie Ariel oder breakdancen und überhaupt sollen alle
nach ihrem Motto tanzen, zumindestens die Mathelehrerin. Die heitere
Prinzessin im schwingenden Reifrock will "Heut' Nacht" nicht niedlich sein und
lockt als Hexe erst Hänsel und Gretel, um schon wenig später als Eliza Doolittle
(My fair Lady) in schnodderiger Mundart herumzualbern.
Man versteht jedes Wort der jungen Schauspieler - ob gesprochen oder
gesungen, deutsch oder englisch. Luftig-leicht springen sie durch Gattungen
und Stilrichtungen, ohne dabei die aufwendigen Choreographien zu vergessen.
Die Zank-Performance der vier Shakespeare-Griechen stellt alle Film-Stunts in
den Schatten und die Ariel-Darstellerin auf der Harfe beeindruckt mindestens
so sehr, wie der Sax-Puck im Frack mit seinen melancholischen Einlagen rührt.
Da schlägt die Uhr und der Pförtner (Thalia Refeld) begibt sich wieder auf
seinen Rundgang. Die Geister erstarren in Pantomime und der Nachtwächter
entdeckt seine eigene Bühnenpräsenz: Er schmettert eine Opernarie, dass den
Theatergestalten die Luft wegbleibt.
Dschungelbuch, rotzige Chansons und A Capella-Hiphop
Aber jetzt ist die Stunde des Teufels gekommen und der wünscht sich Varieté
und Kabarett. In seinem verruchten Nachtclub treten Chansonette Dominique
(aka Königin), die Gräfin als verführerisch singende Dschungelbuch-Schlange
Kaa und ein Zauberer aus Transsilvanien auf die Bühne. Dieser kann nicht nur
im Takt der Musik jonglieren, sondern auch noch eine Beatbox imitieren zur
sexy Hip-Hop-Show der Mädels.
Der phantasievolle Mix aus frechen Tanzeinlagen, Oper, Musical, Kabarett und
Anspielungen auf die klassische Bühnenliteratur zieht die Zuschauer sofort
hinein in einen Strudel aus Szenenwechseln, Stimmungen und
Theatergeschichte. Deswegen bleibt das Gefühl, sich in einer etwas
aufdringlichen Talentshow zu befinden, auch nur einen kurzen Augenblick.
Ganz im Sinne von SchauBurg-Intendant George Podt: Der will mit diesem
Projekt nicht nur die Begabung der Jungschauspieler fördern, sondern heißt vor
allem gut, dass die Jugendlichen - abseits von Superstargedanken - ihr Talent
einsetzen, um anderen zu helfen..
Auch wenn die Anspielungen und englischen Texte an sehr jungem Publikum
vorbei gehen dürften und in einer kurzen Szene aus der Dreigroschenoper die
Huren huren und Mackie Messer mordet und schändet und auch die
jugendliche Leidenschaft aus dem Sommernachtstraum recht überzeugend
wirkt, scheinen sich die Kinder im Publikum bestens zu unterhalten. Kein
Wunder, ein Gag jagt den nächsten, die Prinzessin und die Gräfin hauen einen
Ragtime in Rekordzeit in die Tasten, die fünfzehn Darsteller bombardieren sich
mit witzigen Dialogen und immer wieder erscheinen alle gemeinsam auf der
Bühne, um in Musical-Manier zu tanzen und zu singen.
Schließlich schlurft der Pförtner ein letztes Mal über die Bretter und lamentiert
über die Knechtschaft der Uhr: "Ich will Zeiten ohne Zeit". Währenddessen
ziehen sich die zeitlosen Theatergeister in ihre Schlupfwinkel zurück. Der
Vorhang fällt, doch die Darsteller scheinen noch immer nicht genug zu haben.
Hamlet lässt endlich seinen Totenkopf fallen, als die Königin sagt: "Ich auch".
Und erst jetzt - nach fast zwei Stunden sehr unterhaltsamen Musiktheaters bläst Puck mit etwas Sternenstaub endgültig das Licht aus.
Standing Ovations
Zweimal
Ovations
Theater.
Schmitz.
müssen die Darsteller noch Zugaben singen. Und mit Standing
zeigen sich die Zuschauer begeistert über das temperamentvolle
Buch und Regie stammt von Schauspielpädagogin Gisela Maria
Christoph Weinhart und Talia Refeld ergänzten die Musik von
Gershwin, Mozart, Flaherty oder Brahms mit eigenen Kompositionen. Für die
phantasievollen Kostüme und das schlichte Bühnenbild - die Bühne ist
schließlich genug Kulisse für die Theatergeister - ist Hannah Albrecht
zuständig, während Lena Vieweg die komplexen Choreographien mit den
Kindern einstudierte. Neben der Bühne unterstützt ein Drei-Mann-Orchester die
jungen Stimmen.
Wer jetzt neugierig geworden ist, sollte sich beeilen: "Theater: Heut' Nacht" wird
nur noch dieses Wochenende in der SchauBurg zu sehen sein. Am 5. und 6.
Dezember jeweils um 19 Uhr und am Sonntag jeweils um 11 und um 16 Uhr.
Ab 9 Jahren, die Karten kosten für Kinder 12,50 Euro, für Erwachsene 25 Euro
und können unter 089/23337155 bestellt werden.
(sueddeutsche.de/pfau)
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