Bildverarbeitung im Fliegenhirn Image processing in the fly brain

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Jahrbuch 2014/2015 | Borst, Alexander | Bildverarbeitung im Fliegenhirn
Bildverarbeitung im Fliegenhirn
Image processing in the fly brain
Borst, Alexander
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Fliegen vollführen in Sekundenbruchteilen die unglaublichsten Flugmanöver – und verlassen sich dabei zum
Großteil auf ihre Augen. Im Fliegenkopf sind mehr als die Hälfte der Nervenzellen mit dem Ausw erten und
Verarbeiten der gesehenen Bilder beschäftigt. Mithilfe moderner genetischer Methoden gelang es in den
letzten Jahren, die
entsprechenden Schaltkreise
bei der Fruchtfliege
Drosophila
in w ichtigen Teilen
aufzuklären. Dabei ergaben sich erstaunliche Parallelen zu den neuronalen Verschaltungen, w ie man sie in der
Netzhaut von W irbeltieren findet.
Summary
W hen flies perform their incredible aerobatic maneuvers, they rely, to a large extent, on visual cues.
Accordingly, flies dedicate more than 50% of all their nerve cells to process the images coming from their large
facet eyes. Thanks to the advent of sophisticated genetic methods available in the fruit fly Drosophila allow ing
for targeting and manipulating individual nerve cells, recent years have seen much progress in our
understanding of the neural circuits involved. The results reveal astonishing parallels to the ones found in the
mammalian retina.
Was wir "sehen", ist errechnet
Wenn w ir die Augen öffnen und umherblicken, erkennen w ir in Sekundenbruchteilen, w o w ir uns befinden, und
w issen, w elche Gegenstände uns umgeben. W ir erkennen ein Buch, sehen seine Farbe, w ir w issen, w ie w eit
entfernt von uns das Buch steht. Alle diese Informationen sind zw ar in den Bildern vorhanden, die unser
Gehirn von der Netzhaut empfängt, aber nicht explizit: Um diese Informationen zu erhalten, muss unser Gehirn
rechnen. Dies w urde in vollem Umfang deutlich, als man das erste Mal versuchte, Computer so zu
programmieren, dass sie, mit einer Kamera verbunden, die gleichen Informationen ausgeben, die w ir
Menschen so leicht aus den Bildern lesen. W ie aber errechnet das Nervensystem die Informationen aus den
Bildern, die von den Augen geliefert w erden? Diese Frage untersuchen die W issenschaftler in der Abteilung
Schaltkreise – Information – Modelle am MPI für Neurobiologie am Beispiel des Bew egungssehens. Neben dem
Erkennen von Gegenständen, der Tiefe im Raum und seiner Farbe ist Bew egung eine der w ichtigsten
Bildinformationen: W ir benutzen Bew egungsinformation, um unseren Weg zu steuern, w ir benutzen sie, um
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uns schnell auf den Gehsteig zu retten, w enn w ir beim Überqueren der Straße ein herannahendes Auto sehen,
oder w ir benutzen sie, w enn w ir einen Ball fangen w ollen, der uns zugew orfen w ird.
Warum die Fliege?
Die Martinsrieder Forscher untersuchen dieses Problem aus mehreren Gründen am Sehsystem der Fliege: Zum
einen ist die Fliege als schnell fliegendes Insekt auf Sehen und dabei speziell auf das Sehen von Bew egungen
spezialisiert. Mehr als 50 Prozent aller Nervenzellen im Fliegengehirn sind einzig der Bildverarbeitung
gew idmet. Zum anderen besteht das Gehirn der Fliegen aus nur w enigen 100 000 Nervenzellen. Dies ist im
Vergleich zu den circa 100 Milliarden Nervenzellen des menschlichen Gehirns eine nahezu bescheidene Anzahl,
w as die Analyse entscheidend erleichtert. Darüber hinaus steht der Forschung bei der Fruchtfliege Drosophila
eine große Menge genetischer Methoden zur Verfügung, um Nervenzellen gezielt zu manipulieren: Dabei legt
ein Gen fest, w elches Protein in der Zelle erzeugt w ird, ein anderer Genabschnitt legt die Adresse fest, also in
w elcher Zelle dies geschehen soll. Die Möglichkeiten sind schier unerschöpflich: (i) Es gibt Proteine, w elche die
Nervenzellen blockieren. Ist in Tieren, bei denen zum Beispiel Zelle A blockiert ist, die Reaktion auf
Bew egungsreize deutlich gestört, w eiß man, das Zelle A am Bew egungssehen beteiligt ist. (ii) Andere Proteine
erhöhen ihre Fluoreszenz, w enn die Nervenzelle aktiv ist. Damit lassen sich die Antw orten der Nervenzellen
auf Bew egungsreize mit dem Mikroskop optisch messen. (iii) Schließlich können auch Proteine in die Zellen
eingebracht w erden, w elche bei Belichtung die Zelle aktivieren. Diese ‚optogenetische‘ Methode erlaubt es, die
Verschaltung zw ischen einzelnen Nervenzellen nachzuw eisen, indem man eine Zelle anregt und die Aktivität in
der nachgeschalteten Zelle misst.
Das Sehsystem der Fliege
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A bb. 1: a .) Aufba u de s Se hsyste m s de r Flie ge (link s). Auf
Be we gung e ine s Stre ife ns re a gie re n die Lichtsinne sze lle n
una bhä ngig von de r R ichtung (obe n re chts); Ze lle n de r
Lobula pla tte hinge ge n ze ige n richtungsse le k tive Signa le
(unte n re chts). b.) Da s Ha sse nste in-R e icha rdt-Mode ll e ine s
Be we gungsde te k tors be schre ibt de n Me cha nism us de s
Be we gungsse he ns a uf e ine r a bstra k te n, m a the m a tische n
Ebe ne . M=Multiplik a tor. c.) Die wichtigste n Ne rve nze lle n, die
a n de r Ve ra rbe itung von Be we gungsinform a tion be te iligt sind.
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Das
Sehsystem der
Fliege
beginnt
mit
den
großen
Facettenaugen. In
jeder
Facette
liegen
acht
Lichtsinneszellen. Anders als oft angenommen sieht dabei jede einzelne Facette nur einen kleinen Bildpunkt,
liefert also zum Gesamtbild im Gehirn nur einen einzelnen Pixel. Der hinter den Augen liegende ‚optische
Lobus‘ besteht aus vier Schichten von Nervenzellen, w elche sich in einzelne Kolumnen (Säulen) gliedern (Abb.
1a). Diese Kolumnen entsprechen in Anzahl und Anordnung genau den Facetten des Auges und enthalten
ungefähr je 100 Nervenzellen. In der Fruchtfliege Drosophila gibt es ca. 750 Facetten pro Auge und
entsprechend nur 750 solcher Kolumnen. Das Bild w ird also in lediglich 750 Pixeln im Gehirn repräsentiert.
Bew egt sich nun ein Objekt von links nach rechts und w ieder zurück, antw ortet eine einzelne Lichtsinneszelle
beide Male gleich (Abb. 1a). Offensichtlich ist die Information über die Bew egungsrichtung also nicht aus den
Signalen einer einzelnen Lichtsinneszelle ablesbar. Geht man aber stattdessen zu einer der großen
Tangentialzellen, die sich in der 4. Schicht, der sogenannten ‚Lobulaplatte‘ befinden, erhält man ein anderes
Bild: Hier reagieren die Zellen auf Bew egung in eine Richtung mit einer elektrischen Erregung, auf Bew egung in
die
andere
Richtung
Verknüpfungsstellen
mit
w ird
einer
also
Hemmung.
aus
den
Die
Signale
sind
richtungsunspezifischen
richtungsselektiv.
Signalen
der
Innerhalb
w eniger
Lichtsinneszellen
ein
richtungsselektives Signal errechnet. W ie kann das sein?
Der Hassenstein-Reichardt-Detektor
Schon vor mehr als 50 Jahren schlugen Bernhardt Hassenstein und Werner Reichardt ein Modell vor, w elches
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genau dieses Phänomen erklärt (Abb. 1b). Um die zeitliche Abfolge der Signale in zw ei benachbarten
Sinneszellen und damit die Bew egungsrichtung zu erkennen, w ird das Signal einer Lichtsinneszelle durch
einen sog. Tiefpass-Filter zeitlich verzögert und anschließend mit dem nicht-verzögerten Signal der
Nachbarzelle multipliziert. W ird diese Operation in zw ei zueinander spiegelbildlichen Einheiten durchgeführt
und deren Signale anschließend voneinander subtrahiert, erhält man am Ausgang eine richtungsselektive
Antw ort: Bew egt sich das Objekt von links nach rechts, ist die Antw ort positiv, bew egt sich das Objekt von
rechts nach links, ist die Antw ort negativ, genau w ie das elektrische Signal der oben beschriebenen Zelle in
der Lobulaplatte der Fruchtfliege.
Das Modell beschreibt den Mechanismus des Bew egungssehens auf einer abstrakten, mathematischen Ebene.
Dies ist ein großer Vorteil, w eil man mithilfe von Computersimulationen präzise Vorhersagen machen kann,
w as man in den bew egungsempfindlichen Zellen der Lobulaplatte zu erw arten hat. Tatsächlich w urden auf
diese Weise eine Vielzahl von Simulationen und Experimenten gemacht, w elche das Modell in allen Punkten
bestätigten. Das Modell beschreibt also die Verschaltung zw ischen den Facettenaugen und der Lobulaplatte
sehr exakt. Es sagt aber überhaupt nichts darüber aus, w elche Nervenzellen des optischen Lobus an dieser
Verschaltung beteiligt sind. Die entsprechenden Schaltkreise blieben lange Jahre im Dunkeln. Erst in den
letzten Jahren gelang es mithilfe der oben beschriebenen genetischen Methoden, die Nervenzellen zu
identifizieren, die den verschiedenen Elementen des Hassenstein-Reichardt-Modells entsprechen und die
Information über die Bew egungsrichtung aus den Bildern extrahieren (Abb. 1c).
ON- und OFF-Kanäle
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A bb. 2: Aufspa ltung de r prim ä re n Lichtinform a tion in O N- und
O FF-Ka nä le . Be we gungsinform a tion wird in be ide n Ka nä le n
se pa ra t be re chne t: Die La m ina ze lle L1 bilde t de n Einga ng
zum O N-Ka na l, de r die Be we gungsrichtung von He ll-Ka nte n
e rre chne t, die La m ina ze lle L2 bilde t de n Einga ng zum O FFKa na l, de r die Be we gungsrichtung von Dunk e l-Ka nte n
e rre chne t.
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In der ersten Schicht des optischen Lobus, der sogenannten ‚Lamina‘, kontaktieren die Lichtsinneszellen des
Facettenauges in jeder Kolumne fünf verschiedene Lamina-Zellen, die w iederum mit unterschiedlichen
Nervenzellen in der nächsten Schicht verbunden sind. Offensichtlich w ird die primäre Bildinformation also in
verschiedene, parallele Kanäle geleitet und dort spezifisch w eiter verarbeitet. Welcher dieser Kanäle bildet
den Eingang zum Bew egungs-Detektor? Diese Frage konnte durch gezielte Blockierung der verschiedenen
Lamina-Zellen beantw ortet w erden [1]. W urde die Zelle L1 blockiert, w ar die Bew egungsantw ort auf ca. 50
Prozent reduziert, w urde die Zelle L2 blockiert, ebenfalls. W urden beide Zellen – L1 und L2 – blockiert, konnte
keine Bew egungsantw ort mehr beobachtet w erden. Daraus konnte geschlossen w erden, dass L1 und L2 die
Haupteingänge zum Bew egungsdetektor darstellen. Was aber w ar der Unterschied zw ischen den beiden
Kanälen? Dies w urde deutlich, als die W issenschaftler statt regelmäßiger Muster Hell- und Dunkel-Kanten als
Bew egungsreize verw endeten: Bei Blockierung von L1 w ar die Antw ort auf Hell-Kanten verschw unden,
w ährend die Antw ort auf Dunkel-Kanten intakt w ar. Das umgekehrte w urde bei Blockierung von L2
beobachtet: Hier w ar die Antw ort auf Hell-Kanten intakt, w ährend die Antw ort auf Dunkel-Kanten gleich Null
w ar. Diese und w eitere Experimente belegten, dass im Fliegengehirn die primäre Information über Helligkeit,
je nach ihrer zeitlichen HelligkeitsÄnderung aufgespalten und in zw ei parallelen Kanälen analysiert w ird (Abb.
2): Die Laminazelle L1 bildet den Eingang zum ON-Kanal, der die Bew egungsrichtung von Hell-Kanten
errechnet, die Laminazelle L2 bildet den Eingang zum OFF-Kanal, der die Bew egungsrichtung von DunkelKanten errechnet.
T4- und T5-Zellen
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A bb. 3: Signa le de r T4- (a ,a) und T5-Ze lle n (b,b). a ,b) T4Ze lle n re a gie re n spe zifisch nur a uf die Be we gung von He llKa nte n, T5-Ze lle n nur a uf die Be we gung von Dunk e l-Ka nte n.
a,b) T4- und T5-Ze lle n glie de rn sich in vie r Unte rgruppe n.
Je de die se r Gruppe n re a gie rt spe zifisch a uf e ine de r vie r
Ha uptrichtunge n (re chts, link s, obe n, unte n) und projizie rt
de m e ntspre che nd in e ine de r vie r Schichte n de r Lobula pla tte .
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Bereits seit längerer Zeit legten anatomische Befunde zw ei Bahnen durch den optischen Lobus nahe: eine L1Bahn, w elche über sogenannte T4-Zellen in die Lobulaplatte geht, und eine L2-Bahn, die über sogenannte T5Zellen in das gleiche Zielgebiet führt. Daher w ar es naheliegend, im nächsten Schritt die Signale von T4- und
T5-Zellen auf bew egte ON- und OFF-Kanten zu untersuchen. Dies gelang den W issenschaftlern im
vergangenen Jahr [2] und belegte die oben beschriebene Aufspaltung in ON- und OFF-Kanäle eindrucksvoll
(Abb. 3 a,b): W ährend T4-Zellen selektiv auf die Bew egung von ON-Kanten reagieren, sprechen T5-Zellen
selektiv auf die Bew egung von OFF-Kanten an. Weiterhin zeigten die Untersuchungen, dass sich beide
Zelltypen in je vier funktionelle Untergruppen aufteilen (Abb. 3 a,b): Eine Gruppe von T4/T5-Zellen reagiert
maximal auf Bew egung von vorne nach hinten vor dem Fliegenauge und projiziert in die vorderste Schicht 1
der Lobulaplatte. Eine andere Gruppe reagiert maximal auf Bew egung von hinten nach vorne und projiziert in
Schicht 2. Eine dritte Gruppe reagiert maximal auf Aufw ärtsbew egung und projiziert in Schicht 3, eine vierte
Gruppe reagiert maximal auf Abw ärtsbew egung und projiziert in Schicht 4. In der Lobulaplatte läuft die
Information der ON- und OFF-Kanäle w ieder zusammen: T4- und T5-Zellen kontaktieren gemeinsam in der
entsprechenden Schicht die großen Tangentialzellen. Bei Blockierung von T4- oder T5-Zellen reagieren die
Tangentialzellen spezifisch auf Hell- bzw . Dunkel-Kanten nicht mehr, genau so, als hätte man die Laminazellen
L1 oder L2 blockiert.
Diese Befunde sind in vielfacher Hinsicht erstaunlich. Zum einen gleicht der Aufbau des Bew egungsSehsystems bei der Fliege in mehreren Punkten der Informationsverarbeitung in der Netzhaut der W irbeltiere:
Auch dort w erden die Signale der Lichtsinneszellen zunächst in parallele ON- und OFF-Kanäle aufgespalten
und Bew egungsinformation in beiden Bahnen separat berechnet. Im nächsten Schritt w ird diese Information
von ON- und OFF-Kanälen auf der Ebene von richtungsspezifischen Ganglion-Zellen zusammengebracht. W ie
bei der Fliege existieren davon vier Untergruppen für die vier orthogonalen Hauptrichtungen. Dies ist umso
erstaunlicher, als bei der Fliege die visuelle Umw elt zunächst in einem hexagonalen Raster vorliegt. Dennoch
w ird
an
einer
Stelle
der
Informationsverarbeitung
von
dem
hexagonalen
in
ein
orthogonales
Koordinatensystem umgerechnet. Für all die genannten Gemeinsamkeiten scheint in der Evolution ein großer
Selektionsdruck am W erke gew esen zu sein.
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Zusammenfassung und Ausblick
A bbildung 4: Ze llulä re r Scha ltpla n de s e le m e nta re n
Be we gungsde te k tors be i de r Flie ge . TP = Tie fpa ss-Filte r.
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Die Erforschung des Bew egungssehens bei der Fliege hat dank des Einsatzes genetischer Methoden
erstaunliche Fortschritte gemacht. Heute ist bekannt, dass die Bew egungsrichtung in separaten ON- und OFFKanälen errechnet w ird und durch die T4- und T5-Zellen, sortiert nach den vier orthogonalen Hauptrichtungen,
in der Lobulaplatte vorliegt (Abb. 4). Eine naheliegende Frage ist, ob T4- und T5-Zellen die einzigen
bew egungsempfindlichen
Zellen
im
Fliegengehirn
sind.
Oder
gibt
es
dazu
parallel
noch
andere
Verarbeitungsbahnen, die auf visuelle Bew egung reagieren? Die klare Antw ort lautet: Nein. Werden beide
Gruppen von Neuronen blockiert, sind die Fliegen absolut bew egungsblind. Sie reagieren w eder auf die
Bew egungsrichtung großflächiger Muster, noch auf die Bew egungsrichtung kleiner Objekte.
Eine große W issenslücke existiert aber immer noch: Was passiert zw ischen den Lamina-Zellen L1 und L2 und
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den bew egungsempfindlichen T4- und T5-Zellen? Jüngste Untersuchungen haben eine Reihe von Neuronen
identifiziert, w elche die L1-Zellen mit den T4-Zellen verbinden, ebenso diejenigen, w elche die L2-Zellen mit den
T5-Zellen verbinden [3, 4]. Keine dieser Zellen zeigte aber eine spezifische Präferenz für eine bestimmte
Bew egungsrichtung. T4- und T5-Zellen sind also die ersten Zellen in der Verarbeitungsbahn, w elche
richtungsselektive Antw orten zeigen. Sie sollten somit dem Ausgang des Multiplikators des Modells
entsprechen. Der entscheidende Schritt muss daher in der Verbindung zw ischen diesen Zellen und den T4bzw . T5-Zellen passieren. Momentan laufende Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage, w elche dieser
Zellen dem verzögerten und w elche dem nicht-verzögerten Arm des Hassenstein-Reichardt-Detektors
entsprechen. Die nächste, ebenso w ichtige Frage ist die nach dem biophysikalischen Mechanismus, der diese
Signale miteinander multipliziert. Hier w erden zur Zeit zw ei Möglichkeiten diskutiert: Zum einen könnten die
Signale sich multiplikativ verstärken, w enn die Bew egung entlang der Vorzugsrichtung der Zelle läuft
(‚Vorzugsrichtungs-Verstärkung‘). Zum anderen könnten sich die Signale spezifisch auslöschen, w enn die
Bew egung in die Gegenrichtung läuft (‚Nullrichtungs-Unterdrückung‘). Beide Mechanismen könnten formal w ie
eine Multiplikation der Signale aussehen.
Die Antw orten auf diese Fragen w erden in naher Zukunft dazu führen, dass w ir an einem einfachen Beispiel
verstehen, w ie das Nervensystem auf der Ebene einzelner Nervenzellen und ihren präzisen Verknüpfungen
eine neuronale Berechnung durchführt, die für das Überleben des Individuums von entscheidender Bedeutung
ist.
Literaturhinweise
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A visual motion detection circuit suggested by Drosophila connectomics
Nature 500, 175–181 (2014)
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