Leitthema Radiologe 2012 DOI 10.1007/s00117-011-2286-8 © Springer-Verlag 2012 M. Wolf · F. Zehentmayr · C. Belka Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Campus Großhadern, München Strahlentherapie des Rektumkarzinoms Durch die lokale Therapiemaßnahme der Strahlentherapie wird eine Verbesserung der lokoregionären Kontrollrate bei der Therapie des Rektumkarzinoms erzielt. Es ist unbestritten, dass das Rektumkarzinom in den Stadien UICC II/III präoperativ mit einer Radio- oder Radiochemotherapie behandelt werden sollte, so lautet auch die Empfehlung der S3Leitlinien. Selbst bei einer optimierten Operationstechnik (TME) hat die Strahlentherapie ihren festen Stellenwert in der multimodalen Behandlungsstrategie. Bei der Therapie stehen v. a. der Sphinktererhalt (unteres Drittel), das rezidivfreie sowie das Gesamtüberleben im Mittelpunkt. Hierfür wurden verschiedene Sequenzen von Operation, Radio- und Chemotherapie sowie verschiedene Radiotherapieschemata getestet. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die Bedeutung der Strahlentherapie im multimodalen Therapiekonzept darzustellen. Abkürzungen 5-FU Chx CRM DFS Gy LC LR LV pCR RCT RT TME 5-Fluorouracil Chemotherapie Zirkumferenzieller Resektionsrand Krankheitsfreies Überleben Gray Lokale Kontrolle Lokalrezidivrate Leukovorin Pathologische Vollremission Radiochemotherapie Radiotherapie Totale mesorektale Exzision Strahlentherapie trotz optimaler Chirurgie (TME) Die S3-Leitlinie besagt, dass in den UICCStadien II und III die neoadjuvante Radiotherapie (RT) oder Radiochemotherapie (RCT) indiziert ist (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke 1b, starker Konsens). Bereits vor Einführung der totalen mesorektalen Exzision (TME) wies eine große randomisierte schwedische Studie eine niedrigere Rezidivrate (27 vs.11%) wie auch einen Überlebensvorteil (58 vs. 48%) für eine neoadjuvante Kurzzeitstrahlentherapie mit hohen Einzeldosen nach [6]. Eine große holländische Studie (1861 Patienten) ergab, dass trotz TME eine vorgeschaltete RT mit 5-mal 5 Gy im Vergleich zur alleinigen TME das Lokalrezidivrisiko nach 5 Jahren von 10,9 auf 5,6% (p<0,001) reduzierte sowie eine höhere R0-Resektionsrate erzielt werden konnte. Das Gesamtüberleben unterschied sich in beiden Armen jedoch nicht voneinander, auch wurde aufgrund der zeitnahen Folge der Resektion erwartungsgemäß keine (Voll-)Remission der Tumoren erreicht [13, 21]. Die große britische MRC-CR-07-Studie randomisierte 1350 Patienten, die entweder eine präoperative RT (5-mal 5 Gy) oder eine primäre Operation mit selektiver adjuvanter RCT (45 Gy + 5-Fluorouracil [5-FU]), d. h. nur bei Patienten mit zirkumferenziellem Resektionsrand (CRM) ≤1 mm, erhielten. Sie demonstrierte sowohl eine signifikant bessere lokale Kontrolle (LC) als auch ein längeres krankheitsfreies Überleben (DFS) nach präoperativer RT. Im Gesamtüberleben (OS) war nach 5 Jahren noch kein signifikanter Unterschied festzustellen. Beachtenswert ist, dass die 3-Jahres-Lokalrezidivraten bei Patienten mit negativem CRM ohne postoperative RT 3-mal so hoch waren wie bei jenen, die trotz negativem CRM eine RT erhielten (3,3 vs. 8,9%). Bei Patienten, die einen positiven CRM hatten und keine RT erhielten, war die Lokalrezidivrate um den Faktor 1,5 höher (13,8 vs. 20,7%). Der Effekt der Strahlentherapie war in allen Rektumdritteln signifikant nachweisbar und in der multivariaten Analyse sogar größer als derjenige der TME [19]. Somit kann man feststellen, dass eine Radiotherapie auch bei Patienten mit TME und negativem CRM die LC verbessert. Verbesserung der Strahlentherapiewirkung durch Chemotherapie Die randomisierte französische FFCD9203-Studie mit 733 Patienten zeigte durch eine neoadjuvante RCT bestehend aus 45 Gy + 5-FU/Leukovorin (LV) gegenüber der alleinigen neoadjuvanten RT eine Verbesserung der pathologischen Vollremission (pCR): 11,4 vs. 3,6% im RCT-Arm und einen Vorteil bzgl. der LC (Rezidivrate 8,1 vs. 16,5% nach 5 Jahren [8]). Obwohl eine pCR möglicherweise ein Surrogatmarker für das Therapieansprechen ist, konnte bzgl. des primären Endpunkts der Studie, dem Gesamtüberleben, kein Unterschied zwischen beiden Therapiearmen nachgewiesen werden. Auch konnte trotz des verbesserten Therapieansprechens die Sphinktererhaltrate nicht gesteigert werden, da vermutlich das klinische Ansprechen nicht ausDer Radiologe 2012 | 1 Leitthema Tab. 1 Übersicht der wichtigsten randomisierten Studien und Erkenntnisse Therapie Studienarme Autoren Land Operation ± R(C)T Neoadjuvante Kurzzeit-RT vs. alleinige Operation Neoadjuvante Kurzzeit-RT vs. alleinige Operation Neoadjuvante Kurzzeit-RT vs. selektive adjuvante RCT Neoadjuvante RCT vs. neoadjuvante RT Neoadjuvante RT vs. neoadjuvante RCT vs. neoadjuvante RT + postoperative Chx vs. neoadjuvante RCT + postoperative Chx Neoadjuvante vs. adjuvante RCT Folkesson et al. [6] Peeters et al. [13]; van Gijn et al. [21] Schweden (Swedish Rectal Cancer Trial) Holland (Dutch Colorectal Cancer Group) Sebag-Montefiore et al. [19] England (MRC CR-07/NCICCTG C016) 1350 LR 4,4 vs. 10,6% Gerard et al. [8] Frankreich FFCD 9203 733 pCR 11,4 vs. 3,6% LC 92 vs. 83% Bosset et al. [3] EORTC 22921 1011 LR war in den ChxArmen deutlich niedriger (8,7, 9,6, 7,6 vs. 17,1%) pCR 5% vs. 14% durch Chx Sauer et al. [18] Deutschland (CAO/ARO/ AIO) 823 Neoadjuvante vs. adjuvante RCT Roh et al. [16] USA (NSABP R-03) 267 Neoadjuvante vs. adjuvante RCT Park et al. [12] Korea 240 LR 6 vs. 13% Sphinktererhalt 39 vs. 19% Geringere Toxizität nach neoadjuvanter RCT DFS 64,7 vs. 53,4% Tendenziell besseres OS Sphinktererhalt für tiefsitzende Rektumkarzinome 68 vs. 42% Neoad- juvante RT ± Chx RCT vor/ nach Operation Patientenanzahl 1168 1861 Ergebnisse LR 11 vs. 27% OS 58 vs. 48% (5 Jahre), 38 vs. 30% (13 Jahre) LR 5,6 vs. 10,9% (5 Jahre) Erhöhte R0-Rate R(C)T Radio(chemo)therapie, LR Lokalrezidivrate, OS Gesamtüberleben, Chx Chemotherapie, pCR pathologische Vollremission, LC lokale Kontrolle, DFS krankheitsfreies Überleben. reichend war, um die Entscheidung des Chirurgen zu beeinflussen. Eine große Studie der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) randomisierte 1011 Patienten in 4 Therapiearmen. Alle Patienten erhielten eine präoperative RT (45 Gy), im 1. Arm ohne Chemotherapie (Chx), im 2. mit präoperativer Chx, im 3. mit postoperativer Chx und im 4. Arm mit prä- und postoperativer Chx. Die Chx bestand aus 5-FU/LV, 2 Zyklen präoperativ in der 1. und 5. RT-Woche, 4 weitere Zyklen postoperativ. Nur ein Teil der Patienten erhielt eine TME. Es war kein Unterschied im 5-Jahres-OS zwischen den Chx-Guppen feststellbar. Die Lokal- 2 | Der Radiologe 2012 rezidivrate war in den Chx-Armen deutlich niedriger (8,7, 9,6, 7,6 vs. 17,1%). Die pCR-Rate wurde durch eine neoadjuvante RCT deutlich verbessert (14 vs. 5% [3]). Eine kontinuierliche 5-FU-Gabe ist dem üblichen Schema des National Cancer Institute (NCI; 5-FU in der 1. und 5. Woche) überlegen [11]. Ein Vorteil durch eine zusätzliche Gabe von Folinsäure konnte bisher nicht festgestellt werden. Daraus ergibt sich, dass eine neoadjuvante RT immer mit einer parallelen Chx kombiniert werden sollte. Ob jedoch eine zusätzliche adjuvante Chx sinnvoll ist oder auf bestimmte Untergruppen beschränkt werden kann, ist unklar. Verbesserung des Gesamtüberlebens durch Intensivierung der Chemotherapie Aufgrund verbesserter lokaler Kontrollraten manifestiert sich der Progress der Erkrankung zunehmend in Form von Fernmetastasen. Möglicherweise können durch die Integration einer effektiveren Chx das OS und das DFS gesteigert werden. Dies wird derzeit in einer großen deutschen Phase-III-Studie (CAO/ARO/ AIO-04) mit Oxaliplatin/5-FU vs. 5-FU mono untersucht. Der in einem Übersichtsartikel beschriebene Ansatz einer Induktionschemotherapie vor präoperativer RCT und Operation könnte sich positiv auf die systemische Tumorkontrolle auswirken [15]. Eine italienische Studie (STAR-01) stellte bzgl. des histopathologischen Ansprechens keinen Vorteil durch den zusätzlichen Einsatz von Oxaliplatin zu einer neoadjuvanten RCT mit 5-FU und eine signifikant erhöhte Toxizität fest [1]. Die französische ACCORD-12/0405PRODIGE-2-Studie, die eine neoadjuvante RT mit Capecitabine mit einer RT mit Capecitabine + Oxaliplatin verglich, kam zu dem Ergebnis, dass in dem Arm mit den 2 Agenzien, in dem jedoch auch eine höhere RT-Dosis verabreicht wurde, das lokale Ansprechen verbessert und zusätzlich die R0-Resektionsrate erhöht waren [7]. Bezüglich der systemischen Rezidivsituation bleiben Ergebnisse abzuwarten. Da bisher in allen Studien, in denen Oxaliplatin appliziert wurde, über eine deutlich erhöhte Akuttoxizität berichtet wird, sollte es außerhalb von Studien nur in begründeten Einzelfällen angewendet werden. Biologisch zielgerichtete Substanzen („targeted therapy“) wie Cetuximab und Bevacizumab werden noch bzgl. ihrer Sicherheit als Kombinationsagenzien überprüft. Bisher ist geklärt, dass die Strahlentherapie die lokale Kontrolle erhöht und die Kombination mit einer Chemotherapie sinnvoll ist. Unklar ist jedoch nach wie vor, wie sich der zeitliche Ablauf gestalten und in welcher Form die Strahlentherapie appliziert werden soll. Zusammenfassung · Abstract Neoadjuvante oder adjuvante Radiochemotherapie Theoretisch spricht für eine adjuvante Therapie eine optimale Selektion durch das Vorliegen des histopathologischen Stagings, sodass ein „overtreatment“ vermieden werden kann und dementsprechend weniger postoperative Komplikationen zu erwarten sind. Die große deutsche CAO/ARO/AIOStudie verglich die kombinierte RCT mit 50,4 Gy (zusätzlich 5,4 Gy Boost bei adjuvanter Behandlung) und parallel Chx mit 5-FU als Dauerinfusion in der 1. und 5. Woche der RT vor (6 Wochen nach der RT) und nach einer Operation. In beiden Armen erhielten die Patienten 4 weitere Zyklen im Anschluss [18]. Eine Verbesserung des Gesamtüberlebens um 10% (primärer Endpunkt der Studie) wurde nicht erreicht, jedoch war der Sphinktererhalt in der neoadjuvanten Gruppe signifikant höher (39 vs. 19%) und die Lokalrezidivrate um die Hälfte reduziert (13 vs. 6%). Diese verbesserte LC drückt sich (noch) nicht in verbessertem OS oder einem verbesserten DFS aus. Die akute und chronische Toxizität waren im neoadjuvanten Arm signifikant geringer, sodass hier auch die Patientencompliance deutlich besser war. In 90% der Fälle konnte die vorgesehene RCT-Dosis verabreicht werden, postoperativ hingegen nur in 50%. Die amerikanische NSABP-R-03-Studie zeigte im neoadjuvanten Arm eine geringere Gesamtrezidivrate (24 vs. 28%), ein besseres 5-Jahres-DFS (65 vs. 53%) und ein tendenziell besseres Gesamtüberleben, jedoch keinen Unterschied in der 5-Jahres-Lokalrezidivrate, möglicherweise bedingt dadurch, dass eine TME nicht zwingend gefordert war [16]. Eine koreanische Studie zeigte eine erhöhte Rate an Sphinktererhalt für tiefsitzende Rektumkarzinome durch RCT mit Capecitabine vor TME [12]. Die bisherigen Studienergebnisse und Erkenntnisse bzgl. der Fragen FOperation mit oder ohne R(C)T? FNeoadjuvante RT oder RCT? FRCT vor oder nach Operation? fasst . Tab. 1 zusammen. Radiologe 2012 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s00117-011-2286-8 © Springer-Verlag 2012 M. Wolf · F. Zehentmayr · C. Belka Strahlentherapie des Rektumkarzinoms Zusammenfassung Klinisches Problem. Trotz verbesserter Früherkennungsmöglichkeiten wird die Diagnose des Rektumkarzinoms meist in einem lokal weit fortgeschrittenem Stadium gestellt. Therapeutische Standardverfahren/Empfehlung für die Praxis. Das lokal fortgeschrittene Rektumkarzinom bedarf einer präoperativen Radiochemotherapie zur Verbesserung der Sphinktererhaltsrate, der lokalen Kontrolle und des Gesamtüberlebens. Es ist belegt, dass selbst bei optimaler Chirurgie die lokale Kontrolle durch eine Strahlentherapie verbessert werden kann. Innovationen, Zukunftsaussichten. Die neoadjuvante Therapie mit einem Langzeit- oder Kurzzeitschema wird kontrovers diskutiert. Der Einsatz neuerer Substanzen zur Verbesserung der systemischen Kontrolle wird derzeit untersucht. Durch moderne Strahlentherapietechniken stehen die Erhöhung der Effektivität der Radiochemotherapie und die Verminderung der therapieassoziierten Toxizität im Vordergrund. Schlüsselwörter Rektumkarzinom · Strahlentherapie · Neoadjuvante Radiochemotherapie · Sphinktererhalt · Therapieassoziierte Toxizität Radiotherapy of rectal cancer Abstract Clinical issue. Despite improved screening options, most patients with rectal cancer are diagnosed at a locally advanced disease stage. Standard treatment/practical recommendations. The treatment strategy includes preoperative radiochemotherapy as a cornerstone in order to improve sphincter preservation and local control. It is evident that radiotherapy can achieve improved local control even if optimal surgery (total mesorectal excision TME) is performed. Treatment innovations, future prospects. Whether the neoadjuvant therapy should be applied as a long-term or shortterm schedule is controversially discussed. The benefit of newer agents to improve systemic control is still under investigation. Modern radiotherapy techniques increase the effectiveness of radiochemotherapy and may reduce therapy-associated toxicity. Keywords Rectal cancer · Radiotherapy · Neoadjuvant radiochemotherapy · Sphincter preservation · Therapy-associated toxicity Verzicht auf Operation nach kompletter Remission und somit die Grundlage für zukünftige randomisierte Studien bildet [9]. Die Frage, ob nach kompletter Remission auf die Operation verzichtet werden kann, wird aufgrund der Ausdehnung des operativen Eingriffs, der zunehmend älteren Patienten sowie im Hinblick auf Aspekte des Sphinktererhalts immer mehr in den Vordergrund rücken. In Analogie zu anderen Gastrointestinaltraktentitäten (Anal- und Ösophaguskarzinom) könnte ein definitives Vorgehen sinnvoll sein. Eine aktuelle Studie kam zu dem Ergebnis, dass eine alleinige Nachbeobachtung „wait and see“ nach strengen Auswahlkriterien und engmaschigem Follow-up zu viel versprechenden Ergebnissen führt Kurzzeitstrahlentherapie über eine Woche vs. Radiochemotherapie über fünf Wochen Bereits geklärt und mehrfach belegt ist, dass sich eine neoadjuvante RT (. Abb. 1) sogar unabhängig von der Tumorlokalisation und dem T-Stadium günstig auf die LC und das OS auswirkt [6, 13, 20]. Beim Vergleich der vorliegenden Studien, die die Kurzzeittherapie mit 5-mal 5 Gy der konventionellen RCT gegenüberstellten, werden vergleichbare Ergebnisse allerdings an etwas unterschiedlichen Patientenkohorten erzielt. In einer Der Radiologe 2012 | 3 Leitthema Abb. 1 8 3-D-Bestrahlungsplan für die neoadjuvante Beckenbestrahlung unter Verwendung einer 3-Felder-Technik mit 15 MV Photonen und Dosierung nach ICRU (internationaler Dosierungsstandard) einzelnen Studie mit lediglich 316 Patienten zeigten sich sowohl hinsichtlich des primären Endpunkts (Sphinktererhalt) als auch im Hinblick auf LC, DFS und Toxizität keine signifikanten Unterschiede zwischen neoadjuvanter KurzzeitRT mit 5-mal 5 Gy und einer konventionellen neoadjuvanten RCT mit 50,4 Gy + 5-FU und LV vor Operation [5]. Auffällig waren jedoch hohe Lokalrezidivraten, die hohe Rate an Stadium-I-Patienten (40%), deutlich mehr postoperative Chx-Applikation im 5-mal-5-Gy-Arm und partielle Widersprüche zu den Ergebnissen der FFCD- und EORTC-Studie [3, 8], da das Downstaging nicht zu einem verbesserten Sphinktererhalt führte. Aufgrund der kleinen Fallzahl und des zu kurzen Followups (48 Monate) zur Bewertung der Spättoxizität ist die Aussagekraft dieser Studie eingeschränkt. Die Kollektive der schwedischen und holländischen Rektumkarzinom- sowie der MRC-07-Studie beinhalteten allerdings etwa 50% Patienten mit T1/T2-Tumoren und unterschieden sich somit von dem der deutschen Rektumkarzinomstudie (60% Patienten mit T3-Tumoren). Eine Subgruppenanalyse der holländischen Rektumkarzinomstudie wies zudem eine erhöhte Spättoxizität nach Anwendung hoher Einzeldosen von 5 Gy nach [14]. Ein Kurzzeitschema sollte interdisziplinär besprochen und nur dann einer konventionellen Radiochemotherapie vorgezogen werden, wenn ausreichend Abstand zum Sphinkter besteht, somit ein Downsizingeffekt nicht unbedingt angestrebt wird und die Tumorlast gering ist. 4 | Der Radiologe 2012 Vorgehensweise für das obere Rektumdrittel Die Empfehlungen zur Behandlung des Rektumkarzinoms des oberen Drittels sind uneinheitlich, der Stellenwert der Strahlentherapie wird kontrovers diskutiert, da der Evidenzlevel aufgrund fehlender randomisierter Studien niedrig ist (3A). Es kann eine neoadjuvante RCT oder, wie beim Kolonkarzinom, eine adjuvante Chx durchgeführt werden. Eine große holländische Studie demonstrierte nur geringfügig weniger Lokalrezidive, die MRC-CR-07-Studie eine um den Faktor 5 geringere Rate an Lokalrezidiven im oberen Drittel nach neoadjuvanter RCT. Eine retrospektive Analyse von 2450 Patienten zeigte, dass Patienten mit Rektumkarzinom des oberen Drittels ein höheres Risiko hatten, an ihrer Erkrankung zu versterben als Patienten mit Sigmakarzinom, da der Tumor umso fortgeschrittener war, je höher er gelegen war [17]. Die Tumorlokalisation ist zwar ein unabhängiger prognostischer Faktor, bei Sigmakarzinomen ergibt sich jedoch ein besseres krankheitsfreies Überleben als bei Rektumkarzinomen. Nebenwirkungen und Zweitkarzinome durch Radiotherapie Aus den Daten der deutschen Rektumkarzinomstudie hinsichtlich der akuten Nebenwirkungen geht hervor, dass eine präoperative RCT besser toleriert wird als eine postoperative, was auch die Compliance bzgl. der Gesamttherapie verbesserte. Auch hinsichtlich der Langzeitnebenwirkungen war eine bessere Verträglichkeit der präoperativen RCT erkennbar, insbesondere was die Anastomosenstrikturen betraf. Wie erwartet geht eine Radiochemotherapie im Vergleich zur alleinigen Bestrahlung mit mehr Stuhlinkontinenz und erektiler Dysfunktion einher [4]. Das Argument der Zweitkarzinome, das immer wieder ins Feld geführt wird, um die Bedeutung der Radiotherapie in Zweifel zu ziehen, wurde in einer Studie, die Daten aus 2 schwedischen Studien herangezogen hat, diskutiert [2]. Diese errechneten eine Verdopplung des Risikos für Zweitkarzinome nach Radiotherapie (das relative Risiko, ein Zweitkarzinom nach Radiotherapie zu bekommen beträgt 1,98), jedoch ist das Risiko, dass sich ein Zweitkarzinom außerhalb des bestrahlten Bereichs entwickelt, in dieser Gruppe ebenfalls nahezu doppelt so hoch wie in der Patientengruppe, die nur operiert wurden, was wahrscheinlich mit dem signifikant längeren Überleben der multimodal therapierten Patienten zusammenhängt. Dem erhöhten Risiko eines Zeitkarzinoms steht die definitiv verbesserte lokale Kontrolle gegenüber. Lebensqualität In einer niederländischen Studie wurden Fragen bzgl. der langfristigen Lebensqualität der Patienten mittels validierter Fragebögen untersucht („health-related quality of life questionnaire“, HRQLQ [10]). Es wurden 1530 Patienten befragt, die entweder eine TME oder eine präoperative Kurzzeitbestrahlung mit 5-mal 5 Gy erhalten hatten. Zwar berichteten die Patienten nach einer präoperativen RT über eine signifikant schlechtere Sexualfunktion, was jedoch keine signifikant schlech- tere Gesamtlebensqualität zur Folge hatte. Dies erklären die Autoren damit, dass Patienten ihre Sexualfunktion angesichts der Heilung von einer potenziell tödlichen Erkrankung als weniger wichtig einstufen. Bezüglich der Defäkation ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsarmen. Die Blasenfunktion war bei Patienten, die eine abdominoperineale Resektion hatten, schlechter als nach abdominaler Resektion. Stuhlschmieren oder Dranginkontinenz kamen häufiger bei tiefen Anastomosen vor. Vor Therapiebeginn müssen potenzielle Einschränkungen mit Bezug auf die langfristige Lebensqualität ausführlich mit dem Patienten besprochen werden. FDie langfristige gesamte Lebensqualität wird durch eine Strahlentherapie nicht nachhaltig beeinträchtigt. Korrespondenzadresse M. Wolf Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Campus Großhadern, Marchioninistr. 15, 81377 München [email protected] Interessenkonflikt. Die korrespondierende Autorin gibt für sich und ihre Koautoren an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur Fazit für die Praxis FDie präoperative RCT mit zeitgleicher Behandlung mit 5-FU verbessert die lokale Tumorkontrolle und ist der adjuvanten RCT überlegen. FDie präoperativ benötigte Strahlentherapiedosis ist geringer als die postoperative. FDie Höhe des Tumors ist hinsichtlich des Sphinktererhalts kritisch; bei sehr tief liegenden Tumoren ist auch nach neoadjuvanter RCT ein Sphinktererhalt nicht möglich. FMöglicherweise wird auch das Gesamtüberleben durch die präoperative RCT positiv beeinflusst. FWenn ein Downsizingeffekt erreicht werden soll, ist das Langzeit- dem Kurzzeitschema vorzuziehen. FEine TME ersetzt die Bestrahlung nicht, vielmehr wird durch letztere das Ergebnis einer optimalen Chirurgie weiter verbessert. FIn Bezug auf das Nebenwirkungsprofil ist die präoperative RCT besser als die postoperative. FLetztlich besteht bei neoadjuvanter RCT die Gefahr der Überbehandlung, da zum Zeitpunkt der Therapie noch kein exaktes pathologisches Staging vorliegt. FDas Zweitkarzinomrisiko wird zwar durch eine Radiotherapie erhöht, jedoch sinkt das Lokalrezidivrisiko signifikant. 1. 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