Strahlentherapie des Rektumkarzinoms

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Leitthema
Radiologe 2012
DOI 10.1007/s00117-011-2286-8
© Springer-Verlag 2012
M. Wolf  · F. Zehentmayr · C. Belka
Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie,
Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Campus Großhadern, München
Strahlentherapie des
Rektumkarzinoms
Durch die lokale Therapiemaßnahme
der Strahlentherapie wird eine Verbesserung der lokoregionären Kontrollrate bei der Therapie des Rektumkarzinoms erzielt. Es ist unbestritten, dass das Rektumkarzinom
in den Stadien UICC II/III präoperativ
mit einer Radio- oder Radiochemotherapie behandelt werden sollte, so
lautet auch die Empfehlung der S3Leitlinien. Selbst bei einer optimierten Operationstechnik (TME) hat die
Strahlentherapie ihren festen Stellenwert in der multimodalen Behandlungsstrategie. Bei der Therapie stehen v. a. der Sphinktererhalt (unteres
Drittel), das rezidivfreie sowie das Gesamtüberleben im Mittelpunkt. Hierfür wurden verschiedene Sequenzen von Operation, Radio- und Chemotherapie sowie verschiedene Radiotherapieschemata getestet. Das
Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die
Bedeutung der Strahlentherapie im
multimodalen Therapiekonzept darzustellen.
Abkürzungen
5-FU
Chx
CRM
DFS
Gy
LC
LR
LV
pCR
RCT
RT
TME
5-Fluorouracil
Chemotherapie
Zirkumferenzieller Resektionsrand
Krankheitsfreies Überleben
Gray
Lokale Kontrolle
Lokalrezidivrate
Leukovorin
Pathologische Vollremission
Radiochemotherapie
Radiotherapie
Totale mesorektale Exzision
Strahlentherapie trotz
optimaler Chirurgie (TME)
Die S3-Leitlinie besagt, dass in den UICCStadien II und III die neoadjuvante Radiotherapie (RT) oder Radiochemotherapie
(RCT) indiziert ist (Empfehlungsgrad A,
Evidenzstärke 1b, starker Konsens).
Bereits vor Einführung der totalen mesorektalen Exzision (TME) wies eine große randomisierte schwedische Studie eine
niedrigere Rezidivrate (27 vs.11%) wie
auch einen Überlebensvorteil (58 vs. 48%)
für eine neoadjuvante Kurzzeitstrahlentherapie mit hohen Einzeldosen nach [6].
Eine große holländische Studie
(1861 Patienten) ergab, dass trotz TME
eine vorgeschaltete RT mit 5-mal 5 Gy im
Vergleich zur alleinigen TME das Lokalrezidivrisiko nach 5 Jahren von 10,9 auf 5,6%
(p<0,001) reduzierte sowie eine höhere
R0-Resektionsrate erzielt werden konnte.
Das Gesamtüberleben unterschied sich in
beiden Armen jedoch nicht voneinander,
auch wurde aufgrund der zeitnahen Folge der Resektion erwartungsgemäß keine
(Voll-)Remission der Tumoren erreicht
[13, 21].
Die große britische MRC-CR-07-Studie randomisierte 1350 Patienten, die entweder eine präoperative RT (5-mal 5 Gy)
oder eine primäre Operation mit selektiver adjuvanter RCT (45 Gy + 5-Fluorouracil [5-FU]), d. h. nur bei Patienten mit zirkumferenziellem Resektionsrand (CRM)
≤1 mm, erhielten. Sie demonstrierte sowohl eine signifikant bessere lokale Kontrolle (LC) als auch ein längeres krankheitsfreies Überleben (DFS) nach präoperativer RT. Im Gesamtüberleben (OS)
war nach 5 Jahren noch kein signifikanter
Unterschied festzustellen. Beachtenswert
ist, dass die 3-Jahres-Lokalrezidivraten bei
Patienten mit negativem CRM ohne postoperative RT 3-mal so hoch waren wie bei
jenen, die trotz negativem CRM eine RT
erhielten (3,3 vs. 8,9%). Bei Patienten,
die einen positiven CRM hatten und keine RT erhielten, war die Lokalrezidivrate
um den Faktor 1,5 höher (13,8 vs. 20,7%).
Der Effekt der Strahlentherapie war in allen Rektumdritteln signifikant nachweisbar und in der multivariaten Analyse sogar größer als derjenige der TME [19]. Somit kann man feststellen, dass eine Radiotherapie auch bei Patienten mit TME und
negativem CRM die LC verbessert.
Verbesserung der Strahlentherapiewirkung
durch Chemotherapie
Die randomisierte französische FFCD9203-Studie mit 733 Patienten zeigte
durch eine neoadjuvante RCT bestehend
aus 45 Gy + 5-FU/Leukovorin (LV)
gegenüber der alleinigen neoadjuvanten RT eine Verbesserung der pathologischen Vollremission (pCR): 11,4 vs. 3,6%
im RCT-Arm und einen Vorteil bzgl. der
LC (Rezidivrate 8,1 vs. 16,5% nach 5 Jahren [8]). Obwohl eine pCR möglicherweise ein Surrogatmarker für das Therapieansprechen ist, konnte bzgl. des primären
Endpunkts der Studie, dem Gesamtüberleben, kein Unterschied zwischen beiden Therapiearmen nachgewiesen werden. Auch konnte trotz des verbesserten
Therapieansprechens die Sphinktererhaltrate nicht gesteigert werden, da vermutlich das klinische Ansprechen nicht ausDer Radiologe 2012 | 1
Leitthema
Tab. 1 Übersicht der wichtigsten randomisierten Studien und Erkenntnisse
Therapie
Studienarme
Autoren
Land
Operation
± R(C)T
Neoadjuvante
Kurzzeit-RT vs.
alleinige
Operation
Neoadjuvante
Kurzzeit-RT vs.
alleinige
Operation
Neoadjuvante
Kurzzeit-RT vs.
selektive
adjuvante RCT
Neoadjuvante
RCT vs. neoadjuvante RT
Neoadjuvante RT
vs. neoadjuvante
RCT vs. neoadjuvante RT + postoperative Chx vs.
neoadjuvante
RCT + postoperative Chx
Neoadjuvante vs.
adjuvante RCT
Folkesson
et al. [6]
Peeters et al.
[13]; van Gijn
et al. [21]
Schweden
(Swedish
Rectal Cancer
Trial)
Holland (Dutch
Colorectal Cancer Group)
Sebag-Montefiore et al.
[19]
England (MRC
CR-07/NCICCTG C016)
1350
LR 4,4 vs. 10,6%
Gerard
et al. [8]
Frankreich
FFCD 9203
733
pCR 11,4 vs. 3,6%
LC 92 vs. 83%
Bosset
et al. [3]
EORTC 22921
1011
LR war in den ChxArmen deutlich
niedriger (8,7, 9,6,
7,6 vs. 17,1%)
pCR 5% vs. 14%
durch Chx
Sauer et al.
[18]
Deutschland
(CAO/ARO/
AIO)
823
Neoadjuvante vs.
adjuvante RCT
Roh et al.
[16]
USA (NSABP
R-03)
267
Neoadjuvante vs.
adjuvante RCT
Park et al.
[12]
Korea
240
LR 6 vs. 13%
Sphinktererhalt 39
vs. 19%
Geringere Toxizität
nach neoadjuvanter RCT
DFS 64,7 vs. 53,4%
Tendenziell besseres OS
Sphinktererhalt für
tiefsitzende Rektumkarzinome 68
vs. 42%
Neoad- 
juvante  
RT ± Chx
RCT vor/
nach  
Operation
Patientenanzahl
1168
1861
Ergebnisse
LR 11 vs. 27%
OS 58 vs. 48%
(5 Jahre), 38 vs.
30% (13 Jahre)
LR 5,6 vs. 10,9%
(5 Jahre)
Erhöhte R0-Rate
R(C)T Radio(chemo)therapie, LR Lokalrezidivrate, OS Gesamtüberleben, Chx Chemotherapie, pCR pathologische Vollremission, LC lokale Kontrolle, DFS krankheitsfreies Überleben.
reichend war, um die Entscheidung des
Chirurgen zu beeinflussen.
Eine große Studie der European Organisation for Research and Treatment of
Cancer (EORTC) randomisierte 1011 Patienten in 4 Therapiearmen. Alle Patienten erhielten eine präoperative RT
(45 Gy), im 1. Arm ohne Chemotherapie
(Chx), im 2. mit präoperativer Chx, im 3.
mit postoperativer Chx und im 4. Arm
mit prä- und postoperativer Chx. Die
Chx bestand aus 5-FU/LV, 2 Zyklen präoperativ in der 1. und 5. RT-Woche, 4 weitere Zyklen postoperativ. Nur ein Teil der
Patienten erhielt eine TME. Es war kein
Unterschied im 5-Jahres-OS zwischen
den Chx-Guppen feststellbar. Die Lokal-
2 | Der Radiologe 2012
rezidivrate war in den Chx-Armen deutlich niedriger (8,7, 9,6, 7,6 vs. 17,1%). Die
pCR-Rate wurde durch eine neoadjuvante RCT deutlich verbessert (14 vs. 5% [3]).
Eine kontinuierliche 5-FU-Gabe ist
dem üblichen Schema des National Cancer Institute (NCI; 5-FU in der 1. und 5.
Woche) überlegen [11]. Ein Vorteil durch
eine zusätzliche Gabe von Folinsäure
konnte bisher nicht festgestellt werden.
Daraus ergibt sich, dass eine neoadjuvante RT immer mit einer parallelen
Chx kombiniert werden sollte. Ob jedoch
eine zusätzliche adjuvante Chx sinnvoll
ist oder auf bestimmte Untergruppen beschränkt werden kann, ist unklar.
Verbesserung des Gesamtüberlebens durch Intensivierung
der Chemotherapie
Aufgrund verbesserter lokaler Kontrollraten manifestiert sich der Progress der
Erkrankung zunehmend in Form von
Fernmetastasen. Möglicherweise können durch die Integration einer effektiveren Chx das OS und das DFS gesteigert
werden. Dies wird derzeit in einer großen
deutschen Phase-III-Studie (CAO/ARO/
AIO-04) mit Oxaliplatin/5-FU vs. 5-FU
mono untersucht.
Der in einem Übersichtsartikel beschriebene Ansatz einer Induktionschemotherapie vor präoperativer RCT und
Operation könnte sich positiv auf die systemische Tumorkontrolle auswirken [15].
Eine italienische Studie (STAR-01)
stellte bzgl. des histopathologischen Ansprechens keinen Vorteil durch den zusätzlichen Einsatz von Oxaliplatin zu einer
neoadjuvanten RCT mit 5-FU und eine signifikant erhöhte Toxizität fest [1].
Die französische ACCORD-12/0405PRODIGE-2-Studie, die eine neoadjuvante RT mit Capecitabine mit einer RT mit
Capecitabine + Oxaliplatin verglich, kam
zu dem Ergebnis, dass in dem Arm mit
den 2 Agenzien, in dem jedoch auch eine
höhere RT-Dosis verabreicht wurde, das
lokale Ansprechen verbessert und zusätzlich die R0-Resektionsrate erhöht waren
[7]. Bezüglich der systemischen Rezidivsituation bleiben Ergebnisse abzuwarten.
Da bisher in allen Studien, in denen
Oxaliplatin appliziert wurde, über eine
deutlich erhöhte Akuttoxizität berichtet
wird, sollte es außerhalb von Studien nur
in begründeten Einzelfällen angewendet
werden.
Biologisch zielgerichtete Substanzen
(„targeted therapy“) wie Cetuximab und
Bevacizumab werden noch bzgl. ihrer Sicherheit als Kombinationsagenzien überprüft.
Bisher ist geklärt, dass die Strahlentherapie die lokale Kontrolle erhöht und
die Kombination mit einer Chemotherapie sinnvoll ist. Unklar ist jedoch nach wie
vor, wie sich der zeitliche Ablauf gestalten
und in welcher Form die Strahlentherapie
appliziert werden soll.
Zusammenfassung · Abstract
Neoadjuvante oder adjuvante
Radiochemotherapie
Theoretisch spricht für eine adjuvante
Therapie eine optimale Selektion durch
das Vorliegen des histopathologischen
Stagings, sodass ein „overtreatment“ vermieden werden kann und dementsprechend weniger postoperative Komplikationen zu erwarten sind.
Die große deutsche CAO/ARO/AIOStudie verglich die kombinierte RCT mit
50,4 Gy (zusätzlich 5,4 Gy Boost bei adjuvanter Behandlung) und parallel Chx
mit 5-FU als Dauerinfusion in der 1. und
5. Woche der RT vor (6 Wochen nach der
RT) und nach einer Operation. In beiden
Armen erhielten die Patienten 4 weitere
Zyklen im Anschluss [18]. Eine Verbesserung des Gesamtüberlebens um 10% (primärer Endpunkt der Studie) wurde nicht
erreicht, jedoch war der Sphinktererhalt in
der neoadjuvanten Gruppe signifikant höher (39 vs. 19%) und die Lokalrezidivrate
um die Hälfte reduziert (13 vs. 6%). Diese
verbesserte LC drückt sich (noch) nicht in
verbessertem OS oder einem verbesserten
DFS aus. Die akute und chronische Toxizität waren im neoadjuvanten Arm signifikant geringer, sodass hier auch die Patientencompliance deutlich besser war.
In 90% der Fälle konnte die vorgesehene
RCT-Dosis verabreicht werden, postoperativ hingegen nur in 50%.
Die amerikanische NSABP-R-03-Studie zeigte im neoadjuvanten Arm eine geringere Gesamtrezidivrate (24 vs. 28%),
ein besseres 5-Jahres-DFS (65 vs. 53%)
und ein tendenziell besseres Gesamtüberleben, jedoch keinen Unterschied in der
5-Jahres-Lokalrezidivrate, möglicherweise bedingt dadurch, dass eine TME nicht
zwingend gefordert war [16].
Eine koreanische Studie zeigte eine erhöhte Rate an Sphinktererhalt für tiefsitzende Rektumkarzinome durch RCT mit
Capecitabine vor TME [12]. Die bisherigen Studienergebnisse und Erkenntnisse
bzgl. der Fragen
FOperation mit oder ohne R(C)T?
FNeoadjuvante RT oder RCT?
FRCT vor oder nach Operation?
fasst . Tab. 1 zusammen.
Radiologe 2012 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s00117-011-2286-8
© Springer-Verlag 2012
M. Wolf  · F. Zehentmayr · C. Belka
Strahlentherapie des Rektumkarzinoms
Zusammenfassung
Klinisches Problem. Trotz verbesserter Früherkennungsmöglichkeiten wird die Diagnose des Rektumkarzinoms meist in einem lokal
weit fortgeschrittenem Stadium gestellt.
Therapeutische Standardverfahren/Empfehlung für die Praxis. Das lokal fortgeschrittene Rektumkarzinom bedarf einer präoperativen Radiochemotherapie zur Verbesserung der Sphinktererhaltsrate, der lokalen
Kontrolle und des Gesamtüberlebens. Es ist
belegt, dass selbst bei optimaler Chirurgie die
lokale Kontrolle durch eine Strahlentherapie
verbessert werden kann.
Innovationen, Zukunftsaussichten. Die
neoadjuvante Therapie mit einem Langzeit-
oder Kurzzeitschema wird kontrovers diskutiert. Der Einsatz neuerer Substanzen zur Verbesserung der systemischen Kontrolle wird
derzeit untersucht. Durch moderne Strahlentherapietechniken stehen die Erhöhung der
Effektivität der Radiochemotherapie und die
Verminderung der therapieassoziierten Toxizität im Vordergrund.
Schlüsselwörter
Rektumkarzinom · Strahlentherapie ·
Neoadjuvante Radiochemotherapie ·
Sphinktererhalt · Therapieassoziierte Toxizität
Radiotherapy of rectal cancer
Abstract
Clinical issue. Despite improved screening options, most patients with rectal cancer are diagnosed at a locally advanced disease stage.
Standard treatment/practical recommendations. The treatment strategy includes
preoperative radiochemotherapy as a cornerstone in order to improve sphincter preservation and local control. It is evident that radiotherapy can achieve improved local control
even if optimal surgery (total mesorectal excision TME) is performed.
Treatment innovations, future prospects. Whether the neoadjuvant therapy
should be applied as a long-term or shortterm schedule is controversially discussed.
The benefit of newer agents to improve systemic control is still under investigation.
Modern radiotherapy techniques increase the
effectiveness of radiochemotherapy and may
reduce therapy-associated toxicity.
Keywords
Rectal cancer · Radiotherapy · Neoadjuvant
radiochemotherapy · Sphincter preservation ·
Therapy-associated toxicity
Verzicht auf Operation
nach kompletter Remission
und somit die Grundlage für zukünftige
randomisierte Studien bildet [9].
Die Frage, ob nach kompletter Remission
auf die Operation verzichtet werden kann,
wird aufgrund der Ausdehnung des operativen Eingriffs, der zunehmend älteren Patienten sowie im Hinblick auf Aspekte des Sphinktererhalts immer mehr
in den Vordergrund rücken. In Analogie
zu anderen Gastrointestinaltraktentitäten
(Anal- und Ösophaguskarzinom) könnte ein definitives Vorgehen sinnvoll sein.
Eine aktuelle Studie kam zu dem Ergebnis, dass eine alleinige Nachbeobachtung
„wait and see“ nach strengen Auswahlkriterien und engmaschigem Follow-up
zu viel versprechenden Ergebnissen führt
Kurzzeitstrahlentherapie über
eine Woche vs. Radiochemotherapie über fünf Wochen
Bereits geklärt und mehrfach belegt ist,
dass sich eine neoadjuvante RT (. Abb. 1)
sogar unabhängig von der Tumorlokalisation und dem T-Stadium günstig auf die
LC und das OS auswirkt [6, 13, 20].
Beim Vergleich der vorliegenden Studien, die die Kurzzeittherapie mit 5-mal
5 Gy der konventionellen RCT gegenüberstellten, werden vergleichbare Ergebnisse allerdings an etwas unterschiedlichen Patientenkohorten erzielt. In einer
Der Radiologe 2012 | 3
Leitthema
Abb. 1 8 3-D-Bestrahlungsplan für die neoadjuvante Beckenbestrahlung unter Verwendung einer 3-Felder-Technik mit
15 MV Photonen und Dosierung nach ICRU (internationaler Dosierungsstandard)
einzelnen Studie mit lediglich 316 Patienten zeigten sich sowohl hinsichtlich
des primären Endpunkts (Sphinktererhalt) als auch im Hinblick auf LC, DFS
und Toxizität keine signifikanten Unterschiede zwischen neoadjuvanter KurzzeitRT mit 5-mal 5 Gy und einer konventionellen neoadjuvanten RCT mit 50,4 Gy +
5-FU und LV vor Operation [5]. Auffällig
waren jedoch hohe Lokalrezidivraten, die
hohe Rate an Stadium-I-Patienten (40%),
deutlich mehr postoperative Chx-Applikation im 5-mal-5-Gy-Arm und partielle Widersprüche zu den Ergebnissen der
FFCD- und EORTC-Studie [3, 8], da das
Downstaging nicht zu einem verbesserten
Sphinktererhalt führte. Aufgrund der kleinen Fallzahl und des zu kurzen Followups (48 Monate) zur Bewertung der Spättoxizität ist die Aussagekraft dieser Studie
eingeschränkt.
Die Kollektive der schwedischen und
holländischen Rektumkarzinom- sowie
der MRC-07-Studie beinhalteten allerdings etwa 50% Patienten mit T1/T2-Tumoren und unterschieden sich somit von
dem der deutschen Rektumkarzinomstudie (60% Patienten mit T3-Tumoren).
Eine Subgruppenanalyse der holländischen Rektumkarzinomstudie wies zudem eine erhöhte Spättoxizität nach Anwendung hoher Einzeldosen von 5 Gy
nach [14].
Ein Kurzzeitschema sollte interdisziplinär besprochen und nur dann einer
konventionellen Radiochemotherapie
vorgezogen werden, wenn ausreichend
Abstand zum Sphinkter besteht, somit ein
Downsizingeffekt nicht unbedingt angestrebt wird und die Tumorlast gering ist.
4 | Der Radiologe 2012
Vorgehensweise für das
obere Rektumdrittel
Die Empfehlungen zur Behandlung des
Rektumkarzinoms des oberen Drittels
sind uneinheitlich, der Stellenwert der
Strahlentherapie wird kontrovers diskutiert, da der Evidenzlevel aufgrund fehlender randomisierter Studien niedrig
ist (3A). Es kann eine neoadjuvante RCT
oder, wie beim Kolonkarzinom, eine adjuvante Chx durchgeführt werden. Eine
große holländische Studie demonstrierte nur geringfügig weniger Lokalrezidive,
die MRC-CR-07-Studie eine um den Faktor 5 geringere Rate an Lokalrezidiven im
oberen Drittel nach neoadjuvanter RCT.
Eine retrospektive Analyse von 2450 Patienten zeigte, dass Patienten mit Rektumkarzinom des oberen Drittels ein höheres
Risiko hatten, an ihrer Erkrankung zu versterben als Patienten mit Sigmakarzinom,
da der Tumor umso fortgeschrittener war,
je höher er gelegen war [17]. Die Tumorlokalisation ist zwar ein unabhängiger prognostischer Faktor, bei Sigmakarzinomen
ergibt sich jedoch ein besseres krankheitsfreies Überleben als bei Rektumkarzinomen.
Nebenwirkungen und Zweitkarzinome durch Radiotherapie
Aus den Daten der deutschen Rektumkarzinomstudie hinsichtlich der akuten
Nebenwirkungen geht hervor, dass eine
präoperative RCT besser toleriert wird als
eine postoperative, was auch die Compliance bzgl. der Gesamttherapie verbesserte. Auch hinsichtlich der Langzeitnebenwirkungen war eine bessere Verträglichkeit der präoperativen RCT erkennbar,
insbesondere was die Anastomosenstrikturen betraf.
Wie erwartet geht eine Radiochemotherapie im Vergleich zur alleinigen Bestrahlung mit mehr Stuhlinkontinenz und
erektiler Dysfunktion einher [4].
Das Argument der Zweitkarzinome,
das immer wieder ins Feld geführt wird,
um die Bedeutung der Radiotherapie in
Zweifel zu ziehen, wurde in einer Studie,
die Daten aus 2 schwedischen Studien herangezogen hat, diskutiert [2]. Diese errechneten eine Verdopplung des Risikos
für Zweitkarzinome nach Radiotherapie
(das relative Risiko, ein Zweitkarzinom
nach Radiotherapie zu bekommen beträgt
1,98), jedoch ist das Risiko, dass sich ein
Zweitkarzinom außerhalb des bestrahlten Bereichs entwickelt, in dieser Gruppe ebenfalls nahezu doppelt so hoch wie
in der Patientengruppe, die nur operiert
wurden, was wahrscheinlich mit dem signifikant längeren Überleben der multimodal therapierten Patienten zusammenhängt. Dem erhöhten Risiko eines Zeitkarzinoms steht die definitiv verbesserte
lokale Kontrolle gegenüber.
Lebensqualität
In einer niederländischen Studie wurden
Fragen bzgl. der langfristigen Lebensqualität der Patienten mittels validierter Fragebögen untersucht („health-related quality of life questionnaire“, HRQLQ [10]).
Es wurden 1530 Patienten befragt, die
entweder eine TME oder eine präoperative Kurzzeitbestrahlung mit 5-mal 5 Gy
erhalten hatten. Zwar berichteten die Patienten nach einer präoperativen RT über
eine signifikant schlechtere Sexualfunktion, was jedoch keine signifikant schlech-
tere Gesamtlebensqualität zur Folge hatte. Dies erklären die Autoren damit, dass
Patienten ihre Sexualfunktion angesichts
der Heilung von einer potenziell tödlichen Erkrankung als weniger wichtig einstufen. Bezüglich der Defäkation ergab
sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsarmen.
Die Blasenfunktion war bei Patienten, die
eine abdominoperineale Resektion hatten, schlechter als nach abdominaler Resektion. Stuhlschmieren oder Dranginkontinenz kamen häufiger bei tiefen Anastomosen vor. Vor Therapiebeginn müssen potenzielle Einschränkungen mit Bezug auf die langfristige Lebensqualität
ausführlich mit dem Patienten besprochen werden.
FDie langfristige gesamte Lebensqualität wird durch eine Strahlentherapie
nicht nachhaltig beeinträchtigt.
Korrespondenzadresse
M. Wolf
Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie
und Radioonkologie, Klinikum der
Ludwig-Maximilians-Universität München,
Campus Großhadern,
Marchioninistr. 15, 81377 München
[email protected]
Interessenkonflikt. Die korrespondierende Autorin
gibt für sich und ihre Koautoren an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
Fazit für die Praxis
FDie präoperative RCT mit zeitgleicher
Behandlung mit 5-FU verbessert die
lokale Tumorkontrolle und ist der adjuvanten RCT überlegen.
FDie präoperativ benötigte Strahlentherapiedosis ist geringer als die postoperative.
FDie Höhe des Tumors ist hinsichtlich
des Sphinktererhalts kritisch; bei sehr
tief liegenden Tumoren ist auch nach
neoadjuvanter RCT ein Sphinktererhalt nicht möglich.
FMöglicherweise wird auch das Gesamtüberleben durch die präoperative RCT positiv beeinflusst.
FWenn ein Downsizingeffekt erreicht
werden soll, ist das Langzeit- dem
Kurzzeitschema vorzuziehen.
FEine TME ersetzt die Bestrahlung
nicht, vielmehr wird durch letztere
das Ergebnis einer optimalen Chirurgie weiter verbessert.
FIn Bezug auf das Nebenwirkungsprofil ist die präoperative RCT besser als
die postoperative.
FLetztlich besteht bei neoadjuvanter
RCT die Gefahr der Überbehandlung,
da zum Zeitpunkt der Therapie noch
kein exaktes pathologisches Staging
vorliegt.
FDas Zweitkarzinomrisiko wird zwar
durch eine Radiotherapie erhöht, jedoch sinkt das Lokalrezidivrisiko signifikant.
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Der Radiologe 2012 | 5
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