Redaktion Wissenschaft: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 Münchner Merkur Nr. 147 | Mittwoch, 29. Juni 2011 MEDIZINKOLUMNE ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Man konnte es fast in jeder Zeitung lesen: „Tausende Opfer von Ärztefehlern!“ Es ist von Betrug und Ärztepfusch zu lesen. Sprechen wir von der Profitgier einiger weniger Ärzte und bewusster Täuschung der Patienten, mögen diese Schlagworte auch angebracht sein. Für den Medizinalltag sind diese Worte jedoch völlig unangebracht. Natürlich sind wir Ärzte in einer Verteidigungsposition und können nun sagen: Wo Menschen arbeiten, da passieren auch Fehler und wo viel gearbeitet wird, da passieren auch viele Fehler. Ein Fehler, insbesondere wenn er mit Schmerzen, Leid oder gar einer dauerhaften Beeinträchtigung unserer Patienten verbunden ist, ist natürlich nie zu entschuldigen. Trotzdem, sollte zunächst eine Statistik aufdecken, von welchen Zahlen wir überhaupt sprechen. 40 000 Patienten haben MEDIZIN Leben nach einer medizinischen Behandlung Beschwerde eingelegt, 10 000 haben Recht bekommen. Diese Zahlen müssen aber in Relation zu den stattgefundenen Arzt-Patienten-Behandlungen gestellt werden. Das sind pro Jahr nämlich 400 Millionen. Das heißt, einer von 40 000 behandelten Patienten ist falsch behandelt worden und hat auch Recht bekommen. Und was ist mit den restlichen 39 999? Zunächst sollte man unterscheiden, ob es sich bei dem „Ärztefehler“ um eine Komplikation oder um einen echten Behandlungsfehler handelt. Kommt es nach einer Hüft-OP zu einer Nachblutung – trotz korrekt durchgeführter Operation – spricht man von einer Komplikation und nicht von einem Behandlungsfehler. Der Patient wurde zuvor darüber informiert. Kommt es zu einer Nachblutung, weil der Patient vor der Hauptsache gesund Dr. Barbara Richartz Ärztefehler oder Komplikation? Priv.-Doz. Dr. med. habil. Barbara Richartz, Chefärztin in der Klinik Jägerwinkel in Bad Wiessee, erklärt den Unterschied. OP blutverdünnende Mittel eingenommen hat, sieht die Sache anders aus. Hätten diese vorher abgesetzt werden dürfen, spricht man von einer vermeidbaren Komplikation. Dürfen die Medikamente aus medizinischen Gründen (et- wa ASS oder Clopidogrel nach einem Herzinfarkt) nicht abgesetzt werden, handelt es sich „nur“ um eine Komplikation. Der Patient muss aber vorher schriftlich über das erhöhte Blutungsrisiko aufgeklärt werden. Bei diesen drei Beispielen liegt kein Behandlungsfehler vor. Wird die linke statt der rechten Hüfte operiert, handelt es sich dagegen klar um einen solchen. Hier lassen sich Komplikation, vermeidbare Komplikation oder Behandlungsfehler leicht abgrenzen. Oft ist die Behandlung aber so komplex, dass dies nicht mehr so gut möglich sind. Aber eines steht fest: Es ist weder Pfusch noch Betrug, denn es ist nie von vorsätzlichem Handeln auszugehen. Denn der ärztliche Vorsatz ist immer zu heilen und zu lindern. Wenn das misslingt, ist es oft schwer, sich selbst und anderen das einzugestehen. Was können wir Ärzte besser machen? An erster Stelle steht hier die Kommunikation mit den Patienten. Natürlich nicht erst, wenn Fehler aufgetreten sind. Solche müssen jedoch ehrlich offengelegt werden. Ein Ausdruck des Bedauerns vonseiten des Arztes hat ebenfalls große Bedeutung. Wichtig ist jedoch: Eine medizinische Behandlung, auch wenn sie nicht so, wie es angestrebt war, abläuft, ist nicht zwangsläufig ein Behandlungsfehler. Ein weiteres Problem ist die Überlastung vieler Ärzte. Schon jetzt haben wir einen erheblichen Ärztemangel in strukturschwachen Regionen. Viele Medizinstudenten gehen lieber in die theoretische Medizin oder schlagen andere Wege ein. Der Ärztemangel wird daher weiter zunehmen. Schade, denn gerade der Beruf des Arztes ist einer der schönsten und zugleich wichtigsten! ...................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... Myome: Ultraschall statt Skalpell Etwa ein Drittel der Frauen leidet daran: Myome. Führt eine solche gutartige Wucherung zu Problemen, entfernen Ärzte oft die Gebärmutter. Dabei können minimal-invasive Verfahren diese meist erhalten. Jetzt verspricht eine weitere Methode raschen Erfolg: die Therapie mit Ultraschall. VON SONJA GIBIS Die Blutungen kommen plötzlich. Jeden Monat werden sie stärker. Schuld ist ein Myom, eine gutartige Geschwulst, die in der Gebärmutter von Linda E. wächst. Eine Operation könnte der 55-Jährigen helfen. Doch wegen ihres behinderten Kindes schiebt sie den Eingriff vor sich her. Dann erfährt sie von einer neuen Methode, das Myom zu entfernen. Nicht mit dem Skalpell, sondern per Ultraschall. Sie lässt sich in der Uni-Klinik Lübeck bestrahlen. „Noch am Abend bin ich mit meinem Mann essen gegangen“, erzählt sie. Die Blutungen sind sofort gestoppt. Viele Frauen leiden unter ähnlichen Beschwerden wie Linda E. Denn bei mehr als jeder Dritten bilden sich bis zum 50. Lebensjahr in der Gebärmutter gutartige Muskelknoten, sogenannte Myome. Diese können in die Gebärmutter hineinwachsen, sich aber auch an ihrer Außenwand oder innerhalb der Schleimhaut bilden. Oft merken die Betroffenen nichts da- Behandlung ohne Schnitte: Eine Patientin wird im Münchner Uni-Klinikum für die Ultraschall-Therapie vorbereitet. von. Doch in manchen Fällen kommt es zu Beschwerden, etwa wenn große Myome auf innere Organe drücken. Einige Frauen haben Bauchschmerzen, andere leiden unter starken Blutungen, bis hin zur Blutarmut. Führt ein Myom zu Problemen, gab es bisher vor allem eine Therapie: die Entfernung in einer Operation. Zwar können auch Medikamente die Beschwerden lindern, indem sie die Betroffenen quasi künstlich in die Wechseljahre versetzen. Wie in den natürlichen Wechseljahren beginnen die Myome dann meist zu schrumpfen. „Das ist aber keine Langzeittherapie“, sagt Dr. Darius Dian, Frauenarzt am Klinikum der Universität München in der Innenstadt. Werden Myome entfernt, wird den Patientinnen auch heute noch oft ihre Gebärmutter entnommen – was teils zu erheblichen psychischen Problemen führt. „Drei Jahre nach der OP hat ein Drittel der Frauen den Verlust noch nicht verarbeitet“, sagt Dian. Dabei gibt es in vielen Fällen längst eine Alternative: In einem minimal-invasiven Eingriff, für den nur ein paar kleine Schnitte nötig sind, entfernen die Chirurgen nur die Myome. Der Eingriff ist allerdings durchaus aufwändig. Ergänzend zur Operation gibt es jetzt auch eine neue Methode mit Ultraschall: Als eines der wenigen deutschen Zentren bietet das Klinikum der Universität München die Therapie in der Innenstadt an. Eine Aufnahme im Magnetresonanztomografen (MRT) muss zunächst zeigen, ob die Myome sich mit dem Verfahren behandeln lassen. Nicht infrage kommt die Therapie wegen des starken Magnetfelds im MRT für Patientinnen mit einem Herzschrittmacher oder einem Innenohrimplantat. Auch starke Narben im Bauch können ein Hindernis sein. „Eine Kaiserschnittnarbe ist aber in der Regel kein Problem“, sagt Dian. KLAUS HAAG Gut therapierbar sind Geschwulste von drei bis zehn Zentimetern Größe. Bisher wurden nur Frauen behandelt, deren Familienplanung abgeschlossen war. In einer Studie sollen in der Münchner Uni-Klinik jetzt aber auch Patientinnen mit Kinderwunsch therapiert werden. Die Therapie komme ohne radioaktive Strahlen und Röntgenstrahlen aus, erklärt Dr. Ulrich Linsenmaier vom Institut für klinische Radiologie des Uni-Klinikums. Zerstört wird das Gewebe des Myoms durch Hitze, die ein gebündelter Ultraschallstrahl erzeugt. Im Innern des Myoms erhöht sich die Tempera- tur dann auf 60 bis 80 Grad. Während der Behandlung liegt die Patientin auf dem Bauch in einem MRT. So sehen die Ärzte während der Bestrahlung, was im Inneren der Patientin geschieht, auch wie sich die Temperatur im Gewebe verändert. Die Gefahr, andere Gewebe zu verletzen, werde so minimiert. Etwa 5000 Patientinnen wurden schon mit der neuen Methode behandelt. Schwere Nebenwirkungen gab es bisher nicht. Während der Therapie erhalten die Patientinnen dabei nur Schmerz- und Beruhigungsmittel. Manchmal kann es dabei zu leichten Schmerzen kommen. Je größer das Myom ist, desto weniger fühlen die Behandelten offenbar. Sie können noch am Tag des Eingriffs die Klinik verlassen. Nach der Ultraschallbehandlung wird das abgestorbene Gewebe vom Körper langsam abgebaut. Die Beschwerden können aber auch sofort verschwinden – wie bei Linda E. Denn das Myom wird danach nicht mehr durchblutet. Verursacht allerdings die Größe der Geschwulst die Probleme, kann es einige Zeit dauern, bis genug Gewebe abgebaut ist, damit sich diese verringern. Noch zögern die gesetzlichen Krankenkassen, die Kosten zu übernehmen. Doch sind die Mediziner zuversichtlich, dass die Methode bald in den Leistungskatalog aufgenommen wird. Zurzeit müssen die Patienten aber noch vorab mit ihrer Kasse verhandeln, ob die Behandlung bezahlt wird. STERNENHIMMEL IM JULI .............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Laue Nächte unterm Sommerdreieck Am abendlichen Himmel stehen jetzt die Sommersternbilder. Nach Einbruch der Dunkelheit erkennt man hoch im Osten ein Dreieck aus hellen Sternen, das von Wega in der Leier, Deneb im Schwan und Atair im Adler gebildet wird – das Sommerdreieck. Im Westen strahlt der orangefarbene Arktur. Wega und Arktur sind die hellsten Sterne des Nordhimmels. Wega sendet im Unterschied zu Arktur ein weißlich-bläuliches Licht aus, da sie viel heißer als der rötliche Arktur ist. Der Große Wagen ist hoch im Westen zu sehen, er steigt langsam hinab, während weit im Nordosten das Himmels-W, die Königin Kassiopeia, allmählich aufsteigt. Im westlichen Teil des Firmaments sieht man noch die Frühlingsbilder. Weit im Westen steht das große Sternen- trapez, das den Rumpf des Löwen bildet, schräg zum Horizont gerichtet. Im Südwesten trifft man auf die Jungfrau mit ihrem bläulichen Hauptstern Spica. Die Jungfrau wurde auch als Göttin Astraea angesehen, die Gerechtigkeitsgöttin. Sie hält eine Waage in der Hand, um die Seelen der jüngst Verstorbenen zu wiegen und zu entscheiden, ob sie in den Himmel auffahren dürfen oder in die Unterwelt gestürzt werden. Der Jungfrau folgt im Tierkreis das Sternbild Waage. Saturn ist der einzige helle Planet am Abendhimmel. Er entfernt sich langsam vom Jungfraustern Porrima. Nur im Teleskop kann man seinen Ring sehen. Der flinke Merkur bietet eine kleine Chance, ihn am Abendhimmel zu erspähen. Der Sternenhimmel im Juli N Kapella NO 2011 NW FUHRMANN GIRAFFE ANDROMEDA KASSIOPEIA Polarstern GR.BÄR PEGASUS GR.WAGEN Deneb DRACHE Wega SCHWAN HERKULES KRONE ADLER EK LIP TIK SC HÜ TZ E Himmelsanblick am 1. Juli um 24 Uhr MESZ bzw. am 15. Juli um 23 Uhr MESZ W BOOTES LEIER WASSERMANN W ASSERMANN Atair SO LÖWE KL.WAGEN KEPHEUS O LUCHS SCHLANGENTRÄGER SKORPION S Arktur JUNGFRAU Saturn R ATO ÄQU Spica WAAGE Antares SW 14884 Bei sehr guter Sicht kann man den sonnennahen Planeten in der ersten Juliwoche eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang tief am Westhimmel erkennen. In der zweiten Nachthälfte dominiert der hell strahlende Jupiter den Himmel. Der Riesenplanet hält sich zurzeit im Sternbild Widder auf. Venus bleibt unsichtbar, doch taucht Mars am Morgenhimmel auf. Eine Stunde vor Sonnenaufgang ist der Rote Planet tief im Nordosten zu erblicken. Mars eilt durch das Sternbild Stier und wandert an dessen Hauptstern Aldebaran am 6. Juli nördlich vorbei. Später in der Nacht ist auch der sonnenfernste Planet Neptun im Sternbild Wassermann zu sehen. Der bläuliche Planet ist so lichtschwach, dass man ihn mit bloßen Au- gen nicht sehen kann. Er wurde erst in der Nacht vom 23. auf 24. September 1846 von Johann Gottfried Galle und seinem Assistenten Heinrich d’Arrest auf der Berliner Sternwarte entdeckt, nachdem der Franzose Urbain J. J. Leverrier und der Engländer John C. Adams seine Position aus Bahnstörungen von Uranus errechnet hatten. Am 12. Juli 2011 hat Neptun seit seiner Entdeckung einen vollen Umlauf um die Sonne zurückgelegt. Denn er braucht 165 Jahre, um einmal die Sonne zu umrunden. Neptun ist dreißig Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde und zählt zu den Riesenplaneten. Am 1. Juli um exakt 10.54 Uhr ist Neumond. Am 15. Juli um 8.40 Uhr ist Vollmond und am 30. Juli um 20.40 Uhr ein zweites Mal Neumond. dpa 17 DIE AKTUELLE MEDIZIN Heute: Hilfe bei Kopfschmerzen Es wummert, bohrt oder pulsiert, oft kommt Übelkeit hinzu: Kopfschmerzen haben etwa 80 Prozent der Menschen in Deutschland in ihrem Schraubstock-Griff – viele davon nur einige Stunden, manche aber auch tagelang. Kinder und Jugendliche sind ebenso oft betroffen wie Erwachsene: Vier von fünf Schülern leiden zumindest gelegentlich an Kopfschmerzen. Damit der Schmerz nicht chronisch wird, sollte man früh eingreifen: „Die Prävention von Kopfschmerzen muss schon in der Schule beginnen“, rät Prof. Andreas Straube vom Klinikum der Universität München (LMU). Seit den 70er-Jahren habe sich die Zahl der jungen Kopfschmerzpatienten vervierfacht. Mädchen sind fast zweieinhalb Mal so oft betroffen wie Jungs – die Ursache dafür ist unklar. Auch Kinder leiden oft unter Kopfschmerzen. DPA Frühzeitig eingreifen Schon ein kurzes Aufklärungsprogramm in der Schule kann das Risiko für einige Arten von chronischem Kopfschmerz verringern, hat eine Studie aus Norwegen gezeigt. Straube will dies durch eine Untersuchung in Münchner Gymnasien untermauern: Die Schüler sollen über die Beziehung von Ernährung, zu wenig Bewegung und Kopfschmerzen informiert werden – und darüber, wie sich Stress vermeiden lässt. Auch Musikhören kann schädlich sein: „Wer mehr als eine Stunde MP3-Player hört, hat ein höheres Kopfschmerzrisiko“, warnt Straube. Auch wisse man heute, dass viel Bewegung und Sport das Risiko minimiere. Zu viel Musikhören kann Kopfschmerzen auslösen. Empfindliche Nerven Wer früh handelt, kann verhindern, dass Kopfschmerzen chronisch werden. Betroffene haben eine veränderte Schmerzwahrnehmung, eine Übererregbarkeit. „Die zentralen Verarbeitungssysteme sind dysreguliert“, sagt Prof. Hans-Christoph Diener von der Uniklinik Essen. So leiden Migräne-Patienten oft an einer Überempfindlichkeit der Haut, bei der jede Berührung schmerzt. Holländische Forscher berichten, dass Patienten mit Depressionen doppelt so oft an einer solchen Überempfindlichkeit leiden. Das zeige, dass bei Kopfschmerzen oft zugleich weitere Krankheiten behandelt werden müssten, sagt Diener – am besten in einer integrativen Therapie, zu der auch Entspannungstechniken, psycho- oder bewegungstherapeutische Elemente gehören. dpa