LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. KOLUMBIEN STEFAN JOST 21. Februar 2011 www.kas.de/kolumbien www.kas.de Kolumbien: Die Parteien im Wahljahr Nach den Kongress- und Präsident- Die Trennlinie zwischen Santistas vs Uri- schaftswahlen 2010 ist für Kolumbien bistas, sei diese nun inhaltlich oder „ge- auch 2011 ein Wahljahr. Ende Oktober fühlsmäßig“ begründet, geht durch die Par- werden alle Bürgermeister und Gemeinde- tei. Dies hat bislang vor allem zu einer räte sowie alle Gouverneure und Parla- Lähmung als Partei geführt. mente in den 32 Departments gewählt. Diese Wahlen werfen ihre Schatten vor- Uribe wiederum hat sich nicht aufs politi- aus. Die Parteien sind auf der Suche nach sche Altenteil zurückgezogen. Er bemüht Kandidaten und Koalitionen. Themen ste- sich, einen politischen Führungs- oder Mit- hen noch nicht auf der Tagesordnung. gestaltungsanspruch zur Sicherstellung der von ihm gestalteten Politik zu formulieren. Ausnahmslos alle Parteien befinden sich in Allerdings ist ihm dies allein in der „de la U“ einer komplexen Ausgangssituation. Selbst- nicht möglich oder ausreichend. verschuldete innerparteiliche Probleme, unklare Koalitionsoptionen, schwierige Kan- Seit Februar 2011 führt er mit ehemaligen didatennominierungen und für vier von Mitstreitern, aber auch aktuellen Politikern ihnen ihre Zugehörigkeit zur Regierung der der „de la U“ sogenannte „talleres democrá- „Nationalen Einheit“ sind dabei die aktuell ticos“ (demokratische Workshops) auf eige- wichtigsten Faktoren. ne Rechnung durch, um auf diese Weise Themen, Kandidaten und Koalitionen zu Die Präsidentenpartei „de la U“ schmieden und seinen Einfluss vor allem in den Regionen zu stärken. Die Präsidentenpartei „de la U“ befindet sich in einer mehrfach öffentlich sichtbar gewor- Eine Schlüsselstellung kommt dabei der denen Schieflage zwischen der notwendigen Hauptstadt Bogotá zu, mit über 8 Millionen Unterstützung von Präsident Santos und der Einwohnern das wichtigste politische Zent- Uribe geschuldeten Loyalität als ehemali- rum des Landes. Der Bürgermeisterposten gem Präsidenten. Bogotás gilt als der wichtigste nach dem Amt des Staatspräsidenten. Die “de la U“ ist weniger Partei denn Präsidentenwahlmaschine, dies aber sehr erfolg- In Bogotá haben alle Parteien ein Kandida- reich. Starkes, eigenständiges Führungsper- tenproblem. Aktuell gibt es keine Kandida- sonal ist nicht nachgewachsen. tur, die als Selbstläufer gilt. Selbst Uribe, dem Ambitionen auf die Kandidatur nachge- Der entscheidende Faktor ist Santos als sagt wurden, brachte die Unterstützung Staatspräsident, der im Rechtskontext eines eines Kandidaten der Grünen Partei ins präsidentialistischen Regierungssystems Spiel. zwar keine unmittelbare Parteipolitik betreiben darf, allerdings über die entsprechen- Auch wenn Uribe eine Kandidatur bislang den „cuotas burocráticas“ d.h. über Ämter ausgeschlossen hat, sollte man dies nicht und Pfründe verfügt, was noch immer als als sein letztes Wort ansehen. Hier könnte loyalitätsbegründendes Mittel ausreicht. noch eine Überraschung ins Haus stehen. 2 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Ein fast schon altes Thema: Santistas vs Die Konservative Partei Uribistas Die Konservative Partei (PC) erlitt in den KOLUMBIEN Von Beginn an hatten viele in Politik und Präsidentschaftswahlen im Juni 2010 eine Medien die Frage auf dem Bildschirm, wann bittere Niederlage. Aufgrund ihres guten Uribe und Santos aneinander geraten wür- Wahlergebnisses bei den Kongresswahlen den. Intern ist das Beziehungsthermometer im März, sie wurde zweitstärkste Partei, ist www.kas.de/kolumbien dem Vernehmen nach um deutliche Grade sie jedoch eine der Säulen der Regierung www.kas.de angestiegen. Nach außen wird von beiden der „Nationalen Einheit“ von Staatspräsident nach wie vor eher Deeskalation betrieben, Santos. STEFAN JOST 21. Februar 2011 auch wenn die eine oder andere Stellungnahme Bände spricht. Sie stellt die Mehrzahl der Minister und einflussreiche dazu. Dennoch ist die Hand- Rational betrachtet besteht zu dieser teils schrift der Konservativen Partei nach dem artifiziellen Diskussion im Kern jedoch kaum Empfinden der Partei nicht ausreichend einen Anlass. erkennbar. Auch gibt es in Schwerpunktsetzung wie Einzelfragen der Reformpolitik der Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Regierung Santos deutliche Kritik. Ein Rück- Uribe und Santos. Dies betrifft zum einen zug aus der Koalition ist jedoch aktuell nicht den Regierungsstil. Uribe war deutlich kon- zu erwarten. frontativer, deutlich ab- und ausgrenzender als Santos, der viel dialogorientierter, integ- Der Ende vergangenen Jahres neu gewählte rierender wirkt. Parteivorsitzende Salazar bemüht sich um eine Profilschärfung der Partei auch in der Und selbstverständlich setzt Santos eigene Regierung, ohne sich aber in die Hände von Akzente, sicher auch stärker als von dem Uribe zu begeben. Eine Einladung Uribes an ein oder anderen seiner konservativen Wäh- den „talleres democráticos“ teilzunehmen ler und Förderer erwartet worden war. lehnte die PC ab, ohne allerdings Koalitionen mit dem Uribe-Lager auszuschließen. Die Betrachtungsweise des Übergangs von Man will jedoch erkennbar nicht gänzlich in Santos zu Uribe ist in der politischen Arena das Uribe-Boot einsteigen, sondern sich verständlicherweise weit entfernt von einer hinreichend Spielraum erhalten. naheliegenden Zwei-Phasen-Analyse. Die eher konservativen Strömungen, die Santos hätte keinen Raum, seine jetzt auf während des Präsidentschaftswahlkampfes den Weg gebrachten Reformen zu themati- zu Santos übergelaufen waren, da sie sich sieren oder gar umzusetzen, wenn die „Poli- mit der Kandidatur von Noemí Sanín nicht tik der demokratischen Sicherheit“ der Re- repräsentiert sahen, sind jetzt überwiegend gierung Uribe zwischen 2002 und 2010 diejenigen, die sich in ihren Erwartung der nicht dazu geführt hätte, dass der kolumbi- Weiterführung der Politik von Uribe durch anische Staat in einem beträchtlichen Um- Santos enttäuscht bis verraten fühlen. Dies fang wieder das staatliche Gewaltmonopol hat interessanterweise dazu geführt, dass aus der Verfassung auch in die territoriale Santos Schützenhilfe des letzten durch die Wirklichkeit umgesetzt hätte. Konservative Partei gestellten Staatspräsidenten Pastrana erhält, obwohl gerade er Die Bevölkerung sieht diesen Streit eher die Kandidatur von Sanín mit dem Argu- gelassen. Santos verfügt über äußerst hohe ment, man dürfe Santos nicht die Konserva- Zustimmungswerte, was der positiven Be- tive Partei übergeben, befördert hat. wertung der Regierungszeit Uribes auf der anderen Seite aber keinen Abbruch tut. Die öffentlich aus Madrid formulierte Kritik, der PC-Parteichef verhalte sich illoyal und wie ein Provinzbürgermeister hat in der Partei zu einer breiten Solidarität mit Salazar geführt. Auch Santos unterstützte auf 3 dem jüngsten Ideologiekongress der PC Die Fraktionen von PL und CR haben sich in demonstrativ die aktuelle Parteiführung und den beiden Kammern des Kongresses zu KOLUMBIEN erklärte konstruktive Kritik explizit als will- einer gemeinsamen Fraktion zusammenge- STEFAN JOST kommen. schlossen und damit die konservative Frak- 21. Februar 2011 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass Un- Vereinigung der beiden Parteien steht auf behagen bis Unmut in der Konservativen der Tagesordnung. Abzuwarten bleibt, ob es www.kas.de/kolumbien Partei über den Protagonismus, den Santos flächendeckend zu einer gemeinsamen www.kas.de der PL zuweist, weiter fortbestehen. Es Kandidatur beider Parteien bei den Wahlen bleibt abzuwarten, zu welchem Zeitpunkt 2011 kommt, und welche Ergebnisse diese und bei welchem Thema die Konservativen bringen. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. tion auf den dritten Platz verwiesen. Eine ihre in Gang gesetzte Profilschärfung nicht nur auf Parteitagen, sondern im Gesetzge- Ob diese liberalen Wiedervereinigungen die bungsprozess manifest werden lassen. ersten Vorboten einer mit Santos abgesprochenen Präsidentschaftskandidatur von Die liberale Partei Vargas Lleras als liberaler Spitzenkandidat 2014 anzusehen sind, bleibt abzuwarten. Während die Konservative Partei darunter leidet mehr Minister als öffentlich erkennba- Die Lesart, dass der Stratege Santos in der ren Einfluss zu haben ist es bei der Libera- „Unidad Nacional“ nicht nur ein Mittel zur len Partei (PL) umgekehrt. Umsetzung seines Reformpaketes, sondern auch die einmalige Chance sieht, die aus Santos verweist recht häufig auf seine libe- dem liberalen Lager stammenden Parteien rale Herkunft und lässt den Liberalen viel PL, CR und „de la U“ bei den nächsten Wah- Spielraum. Die Ernennung des Sohnes von len wieder unter einem Dach zu vereinen, Samper, des letzten liberalen Staatspräsi- gewinnt an Anhängern. denten der 90er Jahre, zum Beauftragten für die Kongressbeziehungen des Staatsprä- Die anderen Parteien sollten sich jedenfalls sidenten sind sensibel verfolgte Signale. darauf einstellen, dass Santos, der schon öffentlich damit kokettiert, dass er nicht Das „Leiden“ der Liberalen könnte sich bald unbedingt eine zweite Amtszeit will, sich abschwächen. Im Kongress dürfte bis Mitte nicht zur Wiederwahl stellt. des Jahres ein Gesetz verabschiedet werden, durch das zwei Geschäftsbereiche aus Der „Polo Democrático“ bisherigen Verknüpfungen ausgegliedert und selbständige Ministerien werden, das Ausgesprochen schwierig stellt sich die Lage Justiz- und das Umweltministerium. Allge- für das linke Parteienbündnis Polo Democrá- mein wird davon ausgegangen, dass Rafael tico dar. Die seit dessen Gründung schwe- Pardo, liberaler Parteichef und Präsident- lende latente Auseinandersetzung zwischen schaftskandidat 2010, oder einer seiner dem eher pragmatisch/ sozialdemokratisch Vertrauten neuer Justizminister wird. gesinnten Flügel und den dogmatischen linken Hardlinern konnte im Präsident- Der „Cambio Radical“ schaftswahlkampf überdeckt werden, obwohl der aus der Guerillabewegung M-19 Der ebenfalls aus dem liberalen Lager ent- stammende Präsidentschaftskandidat Gus- standene, bis zum Wiederwahlstreit in der tavo Petro dem pragmatischen Flügel ange- Uribe-Koalition verbliebene Cambio Radical hört. Petro erzielte einen beachtlichen 4. (CR) ist mit seinem Präsidentschaftskandi- Platz bei den Präsidentschaftswahlen. Seine daten Vargas Lleras als Innen- und Justiz- Kritik an den korrupten Klientelbeziehungen minister im Kabinett Santos vertreten. Lle- vor allem in der Polo-Regierung Bogotás hat ras spielt eine herausragende Rolle in der zu staats-anwaltlichen Ermittlungen u. a. Umsetzung des Reformpakets im Kongress. gegen den Bürgermeister des Polo, Samuel Moreno und seinen Bruder, einen PoloSenator, geführt. Es gilt als ausgeschlossen, 4 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. dass der Polo Bogotá erneut gewinnen 2011 für eine territoriale Konsolidierung kann. ihrer politischen Strukturen zu nutzen tatsächlich erreichen können. Sollte ihnen dies KOLUMBIEN STEFAN JOST 21. Februar 2011 Ende 2010 erklärte Petro seinen Austritt aus nicht gelingen, dürften die GRÜNEN wieder dem Polo. Seitdem ist offen, ob er eine in den Status einer Splitterpartei zurückfal- eigene Partei gründen will oder sich einer len. der bestehenden anschließt. Sein denkbarer www.kas.de/kolumbien Anschluss an die GRÜNEN stieß dort nicht www.kas.de gerade auf einhellige Begeisterung. PIN- „Partei der Nationalen Integration“ Diese aus dem rechten und paramilitäriDie Wahlen des Jahres 2011 könnten das schen Milieu kurz vor den Wahlen 2010 Ende dieses Wahlbündnisses und damit dem entstandene Partei konnte bei den Kon- Versuch einer linken Alternative zu der der gresswahlen erstaunlich gut abschneiden, Sozialistischen Internationale angehörenden spielt in der Öffentlichkeit keine Rolle, arbei- Liberalen Partei bedeuten. tet aber an der Penetrierung weiterer Regionen. Es steht zu befürchten, dass sich Die „Grüne Partei“ diese parteipolitische Form camouflierter Interessenpolitik illegaler Gruppierungen Die „Grüne Partei“, trotz ihres Namens nicht auch bei den Wahlen 2011 in bestimmten mit der ideologischen Ausrichtung gleich- Departments durchsetzen kann. namiger europäischer Parteien zu verwechseln, konnte in den Präsidentschaftswahlen Ausblick mit dem ehemaligen Bürgermeister von Bogotá, Mockus, einen beachtlichen Erfolg Der Ausgang der Wahlen 2011 ist vor dem erzielen und in den 2. Wahlgang einziehen. oben geschilderten Hintergrund für alle Damit war aber auch der bisherige Höhe- Parteien von einer über die eigentlichen punkt dieser Partei erreicht. Ihre wenigen Wahlen hinausgehenden Bedeutung. Nach Kongressmitglieder werden in der Öffent- knapp über einem Jahr der Regierung San- lichkeit nicht wahrgenommen. Der Schwung tos werden diese Wahlen ein erstes landes- der Präsidentschaftswahlen konnte erkenn- weites Stimmungsbarometer darstellen und bar nicht für die Konsolidierung eines neuen die kommunale und regionale Machtvertei- Parteiprojekts mitgenommen werden. Die lung für die nächsten vier Jahre determinie- Wahlkampfstärke der Partei, Personalismen ren. Dies wiederum kann erste Aufschlüsse in ein geschlossenes Führungsquartett al- über denkbare Positionierungen für die lerdings sehr unterschiedlicher Naturelle Präsidentschaftswahlen des Jahres 2014 wie einzubinden und mit inhaltlichen Botschaf- die künftige Strukturierung eines unter ten zu verbinden und so ein kritisches, für Umständen deutlich stärker bipolar ausge- das politische System Kolumbiens noch richteten kolumbianischen Parteiensystems nicht verlorenes Wählerpotential zu mobili- ergeben. sieren, erlitt im Vorfeld der innerparteilichen Debatte um die Kandidatur in Bogotá unter Die mit diesen Wahlen verbundene Dynamik Umständen irreparable interne wie externe beschränkt sich zurzeit weitgehend auf Schäden. parteiinterne Ebenen. Ob und inwiefern die zunehmend externen Wirkungsfaktoren Das Kokettieren des schließlich nominierten schon pre-elektorale Spaltungstendenzen in Kandidaten Penalosa mit der Unterstützung die „Unidad Nacional“ hineintragen oder durch Uribe hat die Sollbruchstellen zwi- solche erst nach dem Wahltag zum Tragen schen Personalismus und inhaltlich orien- kommen, bleibt abzuwarten. tiertem Parteiprojekt auch bei den Gründen offengelegt. Die Enttäuschung in der grünen Wählerschaft ist unverkennbar. Aktuell scheint durchaus fraglich, ob die GRÜNEN ihr strategisches Ziel, die Wahlen