KUNST UND PSYCHE Foto: Eberhard Hahne Werner Berges: Verwandte, 1971. Acryl auf Leinwand, 80 × 100 cm, verso signiert, datiert und betitelt (WVZ Werner Berges Nr. 1971.75) DEUTSCHE POP ART Aus der Werbung in die Kunst m das Jahr 1967 fand Werner Berges sein Bildthema, das ihn bis Mitte der 70er Jahre fesseln sollte: Das Bild der Frau. Als Vorlagen für seine Gemälde und Druckgrafiken verwendete er Fotografien schlanker, gestylter, strahlend lächelnder und erotisch verführerischer Frauen. Wie andere Künstler dieser Zeit griff er auf die Medienund Warenwelt als unsere Alltagsrealität zurück. Sie war inzwischen – vor allem ausgehend von den USA – bildwürdig geworden. Nur selten handelte es sich bei Berges allerdings um „Celebrities“ wie bei Andy Warhol. Ganz im Gegenteil bediente er sich einer bildnerischen Anonymisierungsstrategie, indem er die verwendeten fotografischen Vorlagen auf Umriss- und Schattenlinien reduzierte. Die so entstehenden, klar konturierten Flächen wurden mit homogen aufgetragenen, oft leuchtenden Farben, Rasterpunkten oder Streifen gefüllt. Die Herkunft der Motive aus der Werbung bleibt bei Berges zwar unübersehbar, aber er hat die Abbilder U 146 der schönen Frauen ihrer ursprünglichen Aufgabe entzogen: Sie werben für keinerlei Produkte mehr, sind keine Beigabe, sie stehen nur noch für sich selbst. Mit diesen Bildern wurde Werner Berges zu einem der herausragenden und heute erneut sehr beachteten Vertreter eines „German Pop“, wie die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt 2014/2015 betitelt war. Wenn der Leser sich nun fragt, was die vorstehenden Ausführungen mit dem hier gezeigten Bild zu tun haben, entpuppt sich dieses Bild sogleich als typisches Vexierbild. Wir sehen zunächst nur klar konturierte, zum Teil von schwarzen Streifen durchzogene Flächen in eher zarten Farbtönen. Eine diagonal verlaufende weiße Fläche teilt und beherrscht das Bild. Erst auf den zweiten Blick lassen sich drei nach links schauende Profile erkennen. Wie bei anderen Suchbildern ist es auch hier: Hat man sie erst einmal entdeckt, kann man sich kaum vorstellen, sie vorher nicht gesehen zu haben – bis man den Nächsten fragt, was er denn auf diesem Bilde sehe. Ob es sich um die für diesen Künstler typischen Gesichter oder Profile von Frauenköpfen handelt, muss offen bleiben. Auch der Titel „Verwandte“ erstaunt im Umfeld anderer Bildtitel dieser Zeit, die mit „Friseuse“ (1970), „Hautkontakt“ (1970), „Die Eitelkeit“ (1971) oder „For the bath“ (1971) eher an die Herkunft der Bildvorlagen erinnern als dies hier der Fall ist. Bei erneuter Näherung an das Bild wird offensichtlich, dass ein und dieselbe Vorlage oder Schablone dreimal verwendet wurde, wir also immer das gleiche Profil vor uns sehen. Diese Profile könnten auf die Ähnlichkeit unter Verwandten hinweisen, das Aufscheinen von Merkmalen der Großelterngeneration zum Beispiel bei den Enkelkindern. Neben einer solchen genealogischen Sichtweise gibt es aber auch noch andere Zugangswege. Angesichts der Herkunft der Bildvorlage aus der Werbung können wir nach der massenhaften Vervielfältigung der immer gleichen Bilder und Bildtypen fragen – oder auch danach, ob nicht alle Models Verwandte des gleichen standardisierten Schönheitsideals sind – heutzutage notfalls auch per Schönheitschirurgie. Prof. Dr. med. Hartmut Kraft Biografie Geboren 1941 in Cloppenburg i.O. 1960 bis 1963 Studium an der Staatlichen Kunstschule in Bremen, 1963 bis 1968 an der Staatlichen Hochschule der Bildenden Künste in Berlin, wo er schon zu Studentenzeiten Mitglied der Ausstellungsgemeinschaft „Großgörschen 35“ wurde. 1967 Burdapreis für Graphik in München. 1977 Übersiedlung von Berlin nach Schallstadt bei Freiburg, wo der Künstler heute lebt und arbeitet. LITERATUR 1. Berges W: Werner Berges. POP ART. Arbeiten 1965–1977. Ratingen: Museum der Stadt Ratingen und Kunstverein Münster 2000. 2. Berges W: Werner Berges 1962–2002. Oldenburg: Stadtmuseum 2002 3. Weinhart M, Hollein M (Hrsg.): German Pop. Schirn Kunsthalle Frankfurt. Köln: Verlag der Buchhandlung Walter König 2014. Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 4 | April 2015