Leseprobe AiD3 02

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THEMA RÖMISCHE INGENIEURSKUNST
Das größte Amphitheater der Antike, das Kolosseum
in Rom, hatte ein Fassungsvermögen bis 50 000 Zuschauer, die dank der ausgeklügelten Konstruktion,
hier im Anschnitt zu sehen, in wenigen Minuten
zu ihren Plätzen gelangen oder das Theater verlassen
konnten. Bei Veranstaltungen wurde ein Zeltdach
an 240 Masten in der Mauerkrone aufgezogen.
Mit der römischen Kaiserzeit beginnt auch
der berufliche Aufstieg des römischen Baumeisters und Ingenieurs, der nach Vitruv
»in allen Zweigen der Kunst und Wissenschaft mehr leisten muss als die, die einzelne Gebiete durch ihren Fleiß und ihre Tätigkeit zu höchstem Glanz geführt haben«.
Herausragende Leistungen auf dem Gebiet
der Architektur und der Ingenieurskunst
waren das Ergebnis dieser Maxime.
W
ahrscheinlich wäre es in der
römischen Antike weder einem
Baumeister noch einem Ingenieur in
den Sinn gekommen, zwischen diesen beiden Berufen, die im Rahmen
einer ganzheitlichen Ausbildung und
Arbeitsweise untrennbar zusammengehörten, zu unterscheiden. Das änderte sich jedoch mit dem Beginn
der römischen Kaiserzeit. Die Arbeit
als Ingenieur (mechanicus) war nun
Vorstufe einer beruflichen Entwicklung, an deren Ende der Baumeister
(architectus) stand.
Heere Caesars für Konstruktion und
Instandhaltung von Wurfgeschossen verantwortlich, ehe er als Architekt den Auftrag zur Errichtung einer
Basilica in Fanum erhielt. Ähnliches
gilt für Apollodor von Damaskus,
der in Diensten der Truppen Trajans
im Dakerkrieg eine Brücke über die
Donau konstruiert hatte und später
als Staatsarchitekt für Entwurf und
Bau großer Repräsentationsbauten
des Kaisers in Rom verantwortlich
war.
Höchste Ansprüche
und den Göttern gleich
Wie Vitruv im Vorwort seiner zehn
Bücher über Architektur schreibt,
darf sich ein römischer Baumeister
qualitativ keine Grenzen setzten
und seine Bemühungen müssen »ad
summum templum« auf ein Ziel gerichtet sein, das einer den Göttern
eigenen Sphäre gleicht. Anspruchs-
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Ein Aquädukt als architektonisches Meisterwerk
Dass die römischen Baumeister ihre
architektonischen Fähigkeiten weiterhin mit ihren Kenntnissen im Bereich des Ingenieurwesen verbanden, zeigen Bauwerke von hoher
Funktionalität und beeindruckender
Architektur. Hierzu gehört beispielsweise der Pont du Gard, mit dem eine mehr als 50 km lange Wasserleitung zur Versorgung von Nîmes in
einem Aquädukt von ungewöhnlicher Prägnanz und Wirkung über
das Flussbett des Gard geführt wurde. Nach dem damaligen Stand der
Technik hätte die Wasserleitung
auch mit Hilfe von Rohren und Siphons ohne die Konstruktion eines
Aquädukts gelegt werden können,
trotzdem entschied man sich hier
für ein mit größtem Aufwand errichtetes Zeichen römischer Baukunst, das durch seine perfekte Einbindung in die umgebende Landschaft ein Musterbeispiel gelungener Architektur ist.
Ein Bauwerk
der Weltarchitektur
Solche Verknüpfungen von besonders schwierigen Ingenieurkonstruktionen mit nicht weniger anspruchsvollen Architekturentwürfen waren kein Einzelfall, wie das
etwa 100 Jahre jüngere Kolosseum
in Rom zeigt. Seine ausgeklügelte
Hohe Ingenieurskunst erforderten
solche ausgeklügelten Wurfgeschosse
wie sie als Rekonstruktion hier im Limes-Museum Aalen
vorgeführt werden.
VON INGENIEUREN UND BAUMEISTERN
Vom Brückenkonstrukteur
zum Staatsarchitekten
Durch Erweiterung seines Wissens,
seiner Erfahrung und durch Leistungssteigerung konnte ein Ingenieur den Rang eines Baumeisters erreichen. Ein Beispiel dafür ist der berufliche Werdegang Vitruvs, den er
im Vorwort seiner zehn Bücher über
Architektur beschreibt. Hiernach
war er zuerst als Militäringenieur im
Eine Rekonstruktion auf den Aalener Römertagen
zeigt, welch technisch aufwändige
Maschinen die
Ingenieure bauten,
hier ein Tretrad
mit Flaschenzug
zum Steineheben.
voller konnte das Tätigkeitsfeld des
Baumeisters, das den gesamten Kanon der Wissenschaften und Künste
umfassen und zugleich als deren
Mutter an die Spitze rücken sollte,
kaum qualifiziert werden. Diese hohen Anforderungen stellten den
Baumeister gesellschaftlich auf eine
Stufe mit den maßgeblichen Trägern
und Repräsentanten von Kunst und
Wissenschaft.
Ein architektonisches Meisterwerk
und ein Aquädukt von höchster
Qualität: Der 275 Meter lange und
knapp 49 Meter hohe dreigeschossige Pont du Gard führt eine 50 km
lange Wasserleitung für Nîmes über
den Fluss Gard.
Skelettkonstruktion würde noch
heute jedem Bauingenieur zur Ehre
gereichen und die Ausstattung mit
Arkadenreihen, die nicht nur für
eine aufgelockerte Gestalt des riesigen Baukörpers, sondern auch
für eine Belichtung der zahlreichen
Treppen des inneren Erschließungssystemes sorgten, macht es zu einem herausragenden Bauwerk der
Weltarchitektur. Solche und andere
Beispiele zeigen, dass die von Vitruv (1.13,2) für Architektur sehr betont und programmatisch eingeforderten Kardinaltugenden nach konstruktiver und baulicher Festigkeit,
sachgerechter und zielgerichteter
Funktionalität sowie gestalteter Anmut oder Schönheit keine theoretischen Ansprüche waren, sondern
von römischen Baumeistern oft in
Vollendung umgesetzt wurden.
HEINER KNELL
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