scharf!

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Klaus Schumacher
SCHARF!
EIN LUST-SPIEL
 THEATERSTÜCKVERLAG · Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer, München 2005
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des
öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und/ oder Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen
sowie der öffentlichen Zugänglichmachung im Ganzen oder in Teilen.
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THEATERSTÜCKVERLAG
Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer (GbR)
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Die Vervielfältigung und Verbreitung des Manuskripts – bei pdf-Dateien insbesondere auch die
elektronische Weitergabe – an nicht dem Theater angehörende Dritte ist nicht gestattet.
***
Sollte das Manuskript in irgendeiner Weise fehlerhaft sein, melden Sie das bitte dem Verlag.
2
Personen
2 D, 2 H; 1 Musiker
1. Schauspielerin: Anne/ 1. Weise
2. Schauspielerin: Beate/ Annes Coach/ 2. Weise
1. Schauspieler: Christian/ 1. Weiser
2. Schauspieler: David/ Christians Coach/ 2. Weiser
Ein Ringrichter/ Musiker
Empfohlene Altersgruppe
13+
Vorbemerkung des Autors
Dieses Lust-Spiel findet auf mehreren Ebenen statt. Zunächst sind es die SchauspielerInnen selbst, die
agieren, dann die vier Identifikationsfiguren Anne, Christian, Beate und David – und schließlich die vier
Weisen, die auf einer sehr künstlichen Ebene, einer Art Outingshow, von ihren Erfahrungen berichten. Es
empfiehlt sich, die Ebenenwechsel filmisch zu verstehen. Konkret heißt das: Immer wenn der Ringrichter
’Und los!‘ sagt, gibt es einen harten, plötzlichen Schnitt im Spiel der Schauspieler.
Die Szenen mit dem Titel Selbstbewusstsein („Hallo ich heiße XXX. Ich habe einen Pickel“) müssen
natürlich jeweils auf die echten Makel der agierenden Schauspieler hin umgeschrieben werden.
Noch ein Wort zur Schlussszene, ab dem Rauswurf des Ringrichters, die nach der Uraufführung in
mehreren Varianten gespielt wurde: Der hier geschriebene Text ist nur ein Vorschlag und darf geändert
werden. Es geht vor allem um einen radikalen Wechsel in der Atmosphäre. Sind die Schauspieler bis hier
durch die Anweisungen des Ringrichters geführt worden, so nehmen sie jetzt nach dem Lustprinzip alles
selbst in die Hand, was zu einer unkontrollierten, anarchischen Situation führt, die dennoch oder gerade
deshalb sehr schön ist.
2006: Förderpreis der Freunde des Deutschen Schauspielhauses Hamburg für das Ensemble des
„Jungen Schauspielhauses“ Hamburg.
09.10.06: Rolf-Mares-Preis der Hamburger Theater für Klaus Schumacher, der als Regisseur (von
„Mutter Afrika“) besondere Zeichen gesetzt hat.
24.11.06: Deutscher Theaterpreis „Der Faust“ für Klaus Schumacher – beste Regie im KiJuTheater
(„Mutter Afrika“)
Uraufführung
19.10.96, Moks am Bremer Theater; R: Klaus Schumacher
Schweizer Erstaufführung
16.03.02, Theater zamt & zunder, in der Tuchlaube, CH-Aarau; R: Ueli Blum
Weitere Aufführungen
03.09.00, Landesbühne Niedersachsen Nord, Wilhelmshaven; R: Klaus Schumacher
3
Ein Ringrichter betritt den Raum und stellt vier Papiertüten in den Ring. Nach seinem
Startzeichen beginnt ein kurzes Verwirrspiel mit den vier SchauspielerInnen. Schließlich
verweist er auf die Tüten und jeder nimmt sich eine.
RINGRICHTER
Willkommen! Willkommen! Willkommen! Ladies and Gentlemen! Damen
und Herren! Sie betrachten heute den unerklärlichen, anrührenden,
spektakulären Kampf zweier Menschen. Sehen Sie mit uns über drei
Runden den Untergang und den Aufstieg von vier großen
Kämpfernaturen. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive
dieses Kampfes, sondern lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish.
Und nun begrüßen Sie mit mir: Anne und Beate.
Anne betritt den Raum mit leichten Aufwärmbewegungen, während Beate ihr in voller
Konzentration folgt. Sie betreten den Ring.
Und jetzt empfangen Sie mit mir: Christian und David.
Dasselbe Ritual, Christian vorweg und David hinterher. Auch sie betreten den Ring.
RINGRICHTER
Und los!
DAVID
Du, Christian?
CHRISTIAN
Ja, David.
ANNE
Beate?
BEATE
Anne?
ANNE
Wann hast du das letzte Mal?
BEATE
Wieso?
ANNE
Einfach so, sag es.
BEATE
Muss ich?
DAVID
Was ist los, Christian, du bist ja völlig durcheinander?
CHRISTIAN
Stimmt.
DAVID
Wer ist es?
BEATE
Du bist ja ganz aufgeregt.
ANNE
Bin ich nicht.
BEATE
Na ja. Manchmal glaube ich ...
ANNE
Also was ist jetzt?
CHRISTIAN
Du bist aber auch hartnäckig.
4
DAVID
Wieso?
CHRISTIAN
Man könnte meinen, du wolltest ...
DAVID
Du willst doch nur ...
BEATE
Ablenken kannst du wirklich gut.
ANNE
Das sagt ja die Richtige.
DAVID
Sagst du es jetzt oder nicht?
CHRISTIAN
Was?
DAVID
Warum du so unruhig bist.
BEATE
Ich bin nicht unruhig.
ANNE
Ich spüre doch, dass was ist.
BEATE
Das hat wohl mit dem Thema zu tun.
CHRISTIAN
Du willst aber auch immer alles als erster erfahren.
DAVID
Genau!
ANNE
Genau! ... Mensch Beate. Sei nicht so feige, ich sag’s dir dann auch.
BEATE
Also gut: Vorgestern.
ANNE
Mit wem?
BEATE
Erst musst du sagen, wann du zuletzt hast.
ANNE
Ist nicht so wichtig. Mit wem?
BEATE
Willst du es wirklich wissen?
ANNE
Was ist mit dir los? Du zierst dich doch sonst nicht so.
CHRISTIAN
Anne. Ich hab sie ständig im Kopf.
DAVID
(entsetzt) Ich dachte, du hättest mit Beate.
BEATE
Mit Christian.
ANNE
(entsetzt) Was, mit Christian?
5
CHRISTIAN
Ja, ja, ja, ich hab mit ihr ...
DAVID
... geschlafen.
CHRISTIAN
Ja. Es war sehr schön.
ANNE/ DAVID
Wann?
BEATE/ CHRISTIAN Erst vorgestern noch. ... Nach dem Fest.
ANNE/ DAVID
Scheiße!
ALLE
(singen)
Gib mir einen Blick
Ein Auge, das schaut
Ein Ohr, das hört
Gib nur einen Laut
Gib mir einen Satz
Eine Zunge, die spricht
Einen Ort, der stimmt
Gib mir ein Licht
Keiner weiß, wie’s geht, was kommt
Wie sie ist, wenn sie kommt, dass ich’s weiß
Was sie tut, wenn sie geht, ob ich’s weiß
Es ist schwer, aber schön
Keiner weiß wie’s geht was kommt
Wie er ist wenn er kommt dass ich’s weiß
Was er tut wenn er geht ob ich’s weiß
Es ist schwer aber schön
Gib mir eine Hand
Einen Arm, der hält
Einen Wink, der gibt
Was wem gefällt
Gib mir einen Tag
Eine Stunde mit Sinn
Die Nacht, die zeigt
Da will ich hin
Keiner weiß, wie’s geht, was kommt
Wie sie ist, wenn sie kommt, dass ich’s weiß
Was sie tut, wenn sie geht, ob ich’s weiß
Es ist schwer, aber schön
Gib mir einen Blick
Ein Auge, das schaut
Ein Ohr, das hört
Gib nur einen Laut
Gib mir einen Satz
6
Eine Zunge, die spricht
Einen Ort, der stimmt
Gib mir ein Licht
BEATE
Anne, es tut mir Leid, ich wollte es dir längst sagen.
DAVID
Das hättest du mir sagen müssen.
CHRISTIAN
Ich hab dir doch erzählt, dass ich was mit Beate ...
ANNE
Das mit Christian oder was?
DAVID
Nein, das mit Anne.
ANNE/ CHRISTIAN Oh nein. Und dann haben wir uns heute Nachmittag auch noch
verabredet.
RINGRICHTER
Die vier Weisen. Verliebtsein. Und los.
2. WEISER
Es ist ein wenig kompliziert.
1. WEISE
Ich weiß nicht, was mit mir los war: Vier verliebte Jungs.
2. WEISE
Was für ein Durcheinander.
1. WEISER
Michael, Markus und ich ...
2. WEISER
Ich muss mich konzentrieren.
1. WEISE
Martin, Patrick, Henning und Moritz.
2. WEISE
Jan, Jenny und Blanka.
2. WEISER
Ich hoffe, ich krieg es zusammen.
2. WEISE
Alle in einem Bett.
1. WEISER
Auf Amrum ...
1. WEISE
Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag.
2. WEISER
Also:
1. WEISE
Mit jedem Liebesgeständnis wurde ich ein Stück größer.
2. WEISE
Und dann Pit.
2. WEISER
Ich war mit Anja zusammen und scharf auf Louisa, aber Louisa war
verliebt in Benedikt.
7
1. WEISER
(kommt nicht dazwischen) Ähm.
2. WEISER
Benedikt.
1. WEISE
Patrick und Martin fielen sofort weg.
2. WEISE
Pit.
2. WEISER
Benedikt war in mich verliebt.
1. WEISE
Blieben Henning und Moritz.
1. WEISER
Äh.
1. WEISE
Henning hatte diese wunderschönen traurigen Rehaugen. Ich wollte
immer bei ihm sein.
2. WEISE
Pit schlief nebenan.
1. WEISE
Und Moritz und ich wie Magneten. Manchmal wurde ich schon schwach,
wenn ich nur seine Hände sah.
1. WEISER
Äh.
ALLE
Ja bitte.
Alle schauen den 1. Weisen an.
1. WEISER
Er schwamm immer Delphin. Das fand ich toll.
2. WEISE
Und obwohl eine Wand zwischen uns war, hatte ich den Eindruck, als sei
ich direkt bei ihm, als könnte ich ihn riechen.
2. WEISER
Das habe ich aber alles erst im Nachhinein erfahren. In dieser Zeit hatte
ich eben nur Louisa im Kopf. Jetzt wird es kompliziert.
1. WEISE
Ich war in beide verliebt.
1. WEISER
In Henning und Moritz?
1. WEISE
(für sich) Ja.
2. WEISE
Und dann auch noch Claudia.
2. WEISER
Hab ich schon von Inken erzählt ... Ach, egal.
2. WEISE
Claudia wollte mich mit Knut verkuppeln.
1. WEISER
Markus ...
1. WEISE
In der Schule hatte ich mit Moritz und abends mit Henning. Das Schlimme
war, dass sie in einer Wohnung wohnten.
2. WEISE
Ich hätte sie erwürgen können. Zweimal haben Pit und ich uns an diesem
Abend in die Augen geschaut. Ganz kurz.
8
1. WEISER
Ganz kurz ...
2. WEISE
Aber das reichte.
2. WEISER
Es war wirklich schwierig.
1. WEISE
Rasend kompliziert!
2. WEISE
„Warum hilft uns denn keiner?“, hätte ich am liebsten geschrieen.
2. WEISER
Also: Ich verbringe die Nacht mit Louisa, Benedikt mit Anja. Am nächsten
Morgen treffen wir uns alle zufällig im Café zum Frühstück. Eisiges
Schweigen. Totenstille.
1. WEISE
Ich konnte mich einfach nicht entscheiden.
2. WEISER
Jeder war sauer, obwohl alle auch einen Grund hatten, glücklich zu sein.
2. WEISE
Bilanz: Pit ist jetzt mit Claudia zusammen. Blanka mit Jan. Und ich war
tatsächlich drei Monate mit Knut zusammen.
1. WEISE
Verrückt! Sechs Monate später wollte ich nur mit Moritz zusammensein.
Aber er nicht mehr mit mir.
1. WEISER
(zu ihr) Dabei war es doch gerade so schön.
1. WEISE
Eigentlich schade.
2. WEISE
Man müsste vorher wissen, wie es ausgeht.
2. WEISER
Ein Desaster!
2. WEISE
Dann hätte man diese ganze Hampelei nicht.
ALLE
Oh je!
1. WEISER
(springt auf) Also kurz: Ich war mit Michael und Markus zwei Wochen
zelten auf Amrum. Wir hatten einen Riesenspaß. Vor allem mochte ich
Markus. Er wusste immer genau, was ich meine, wenn ich etwas erzählt
habe. Dann kam diese englische Familie, zu der auch Barbara gehörte.
Und die habe ich dann an einem Abend beim Feuer am Strand kennen
gelernt. Ich war unsterblich verliebt. Aber dann habe ich drei Tage nichts
von ihr gehört. Grauenhaft. Ich habe tatsächlich abends im Zelt gelegen
und geheult.
Markus lag neben mir und hat alles mitgekriegt. „Ich kann dich trösten“,
meinte er. Und dann hat er mich in den Arm genommen und mir in die
Augen geschaut. Nach kurzer Zeit lag er sogar in meinem Schlafsack und
hat mich gehalten und gestreichelt. Ich habe es richtig genossen, und
Barbara war für einen Moment auch vergessen, bis sie sich
höchstpersönlich zurückmeldete. Man sah ihren Schatten vorm Zelt und
sie kreischte irgendwas von „no unbelievable“. Markus und ich haben uns
total erschrocken. Plötzlich hatten wir das Gefühl, etwas Verbotenes
getan zu haben und dabei erwischt worden zu sein. (Pause)
(leise) Barbara ist nie wieder aufgetaucht, was nicht weiter tragisch ist.
Markus lebt jetzt mit seinem Freund in Köln.
9
Alle seufzen.
RINGRICHTER
Vorbereitung erstes Treffen
SCHAUSPIELERIN 1 Wer kämpft?
RINGRICHTER
(lost aus) Anne und Christian.
Beate und David sind völlig enttäuscht, während Christian und Anne auf einmal sehr nervös
werden. Beate und David verwandeln sich in die Coaches.
CHRISTIAN
Wenn Anne nun von mir enttäuscht ist und lacht. Soll ich meine Brille
auflassen? Ich wollte; wir hätten uns schon öfter gesehen.
CHRISTIANS COACH
Christian, warum sind wir denn so aufgeregt?
CHRISTIAN
Oh nein, bitte nicht auch noch der.
CHRISTIANS COACH
Na und, ich muss auch den ganzen Tag mit dir zusammensein.
CHRISTIAN
Und wenn sie gar nichts von mir will?
CHRISTIANS COACH
Klar will sie, hast du nicht gesehen, wie aufgeregt sie war, als sie dir den
Zettel gegeben hat mit der Verabredung.
CHRISTIAN
Verabredung: Noch zehn Minuten. Ich wollte, David wäre hier.
CHRISTIANS COACH
Da müssen wir jetzt alleine durch.
CHRISTIAN
Was ist eigentlich mit David los?
CHRISTIANS COACH
Bitte, konzentrier dich jetzt auf Anne.
CHRISTIAN
Scheiße, ich hab ’nen Pickel.
CHRISTIANS COACH
Stimmt.
CHRISTIAN
Und jetzt?
CHRISTIANS COACH
Was, und jetzt?
CHRISTIAN
Ich sehe so scheiße aus.
CHRISTIANS COACH
Wegen einem Pickel??? Außerdem, das Aussehen ist doch wirklich nicht
das Wichtigste.
CHRISTIAN
Man müsste sich gut finden, so wie man ist.
10
CHRISTIANS COACH
Aber ich finde uns gut.
RINGRICHTER
Selbstbewusstsein. Und los!
SCHAUSPIELER 1
Hallo, ich heiße Jens und ich habe einen Pickel. (zeigt ihn)
ALLE
Stimmt. Danke, Jens.
SCHAUSPIELERIN 2 Hallo, mein Name ist Nana, und ich habe ein Überbein am rechten
Mittelfinger.
ALLE
Stimmt. Danke, Nana.
SCHAUSPIELER 2
Hallo, ich heiße Tim, und ich habe hervorspringende Adern.
ALLE
Stimmt. Danke, Tim.
SCHAUSPIELERIN 1 Hallo, ich heiße Verena, und ich habe Zellulitis an den Unterschenkeln.
ALLE
Stimmt. Danke, Verena.
SCHAUSPIELER 2
Ich habe eine Narbe an der Schläfe.
ALLE
Stimmt. Danke, Tim.
SCHAUSPIELERIN 1 Ich habe Pickel auf dem Rücken.
ALLE
Stimmt. Danke, Verena.
SCHAUSPIELER 1
Ich habe keinen Waschbrettbauch.
ALLE
Stimmt. Danke, Jens.
SCHAUSPIELERIN 2 Ich habe Blutgerinnsel in der Kniekehle.
ALLE
Stimmt. Danke, Nana.
SCHAUSPIELER 2
Ich habe einen Eckzahn, der sich verfärbt.
ALLE
Stimmt. Danke, Tim.
SCHAUSPIELERIN 2 (geht ins Publikum) Hallo, ich bin Nana. Und wer bist du?
ZUSCHAUER
(z.B.) Tobias.
ALLE
Schön. Danke, Tobias.
SCHAUSPIELERIN 2 Hallo, ich bin Nana. Und wer bist du?
ZUSCHAUERIN
Christina.
ALLE
Schön. Danke, Christina.
11
SCHAUSPIELER 2
Hallo ...
RINGRICHTER
Erstes Treffen.
ALLE
(wollten eigentlich weitermachen) Wieso, aber wir haben doch ... Sie sind
doch ...
RINGRICHTER
Erste Runde. Bitte, erstes Treffen. Und los.
CHRISTIAN
Ich geh nicht.
CHRISTIANS COACH
Was?
CHRISTIAN
Mit dem Pickel geh ich nicht.
CHRISTIANS COACH
Mensch, was ist denn los mit dir?
CHRISTIAN
Wie viel Zeit ist noch? Zwei Minuten, mein Gott, was tu ich, hilf mir, sag
was Gutes.
CHRISTIANS COACH
Also gut. Wir sind charmant, wir haben nette Lachfalten, wir sind sensibel,
können uns gut unterhalten, wir sind schlank, wir haben schiefe Zähne ...
Christian erschrickt.
Wir haben eine gelungene Frisur, wir haben Persönlichkeit, schöne
Schuhe, wohlgeformte Füße, wir riechen gut, haben Klavierhände, genug
Bartwuchs, ein paar Haare auf der Brust, einen ziemlich großen ...
CHRISTIAN
Schon gut! Schon gut! Das reicht.
CHRISTIANS COACH
Okay! Jetzt gehst du los und sagst immer wieder: Ich bin toll, ich sehe gut
aus, ich habe Charme.
CHRISTIAN
Ich bin toll, ich sehe gut aus, ich habe Charme. Ich bin toll, ich sehe gut
aus, ich habe Charme. Ich bin toll, ich sehe gut aus, ich habe Charme.
(sieht sie) Da ist sie. Ich bin zu spät.
CHRISTIANS COACH
Ist vielleicht gar nicht schlecht.
CHRISTIAN
Und was sage ich jetzt?
CHRISTIANS COACH
Sag ihr, dass es dir Leid tut, dass du zu spät bist.
CHRISTIAN
Okay.
CHRISTIANS COACH
Und dann lächle und mach einen Witz.
12
CHRISTIAN
Okay.
CHRISTIANS COACH
Oder halt. Lächle und mach einen Witz über das Zuspätkommen.
CHRISTIAN
Okay.
CHRISTIANS COACH
Oder stopp. Komm noch später und sag, dass du noch über einen Witz
lachen musstest.
CHRISTIAN
Okay. ... Willst du mich verarschen?
CHRISTIANS COACH
Jetzt werd nicht frech, ich gehe gleich.
CHRISTIAN
Nein, nein, bitte nicht. Ich gehe jetzt hin, entschuldige mich und mache
einen Witz.
CHRISTIANS COACH
Okay. Ich bin bei dir.
CHRISTIAN
Hallo.
ANNE
Hallo.
Pause.
CHRISTIANS COACH
Was ist mit dem Witz?
CHRISTIAN
SS so villei ka ha wi psesis ... aßenbahn.
CHRISTIANS COACH
Interessant! Ist das Suaheli?
ANNE
Ich mn ds fo kat mo schu.
ANNES COACH
Sag mal Anne, hast du Pattex im Mund?
ANNE
Sehr komisch, hilf mir lieber.
ANNES COACH
Ganz ruhig. Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist, dass er WerderFan ist und du als Liebesbeweis mitkommen sollst zum Auswärtsspiel
nach Unterhaching. Zwölfter gegen siebzehnter! Verstehste?
ANNE
Na toll!
CHRISTIANS COACH
Ganz ruhig. Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist, dass sie
Vorsitzende des örtlichen Jeanette-Biedermann-Fanclubs ist und dich mit
auf ein Konzert schleppt.
CHRISTIAN
Sehr beruhigend. Wartest du schon lange?
13
CHRISTIANS COACH
Wie originell.
ANNE
Nö, bin gerade erst gekommen.
ANNES COACH
Ha! Ha! Ha! Dafür, dass er vorgestern noch mit Beate geschlafen hat,
erscheint er reichlich aufgeregt.
ANNE
Erinner mich bloß nicht an Beate.
CHRISTIAN
Ich bin ein bisschen aufgeregt.
ANNE
Echt, wieso?
ANNES COACH
Wieso wohl?
CHRISTIANS COACH
In was für eine Situation bringst du uns? Versuch zu verallgemeinern.
Sag, dass die meisten Menschen immer aufgeregt sind, es bloß nicht
nach außen zeigen. Das alle durch die Welt rennen und nach außen
einen Schein wahren, aber innen spielt sich das Chaos ab.
CHRISTIAN
Alle sind immer aufgeregt.
ANNE
Was?
ANNES COACH
Was will er sagen?
CHRISTIAN
Ich meine ...
CHRISTIANS COACH
Hat die schöne Augen.
ANNES COACH
Er lächelt so nett.
CHRISTIAN
Ich meine ... (schnipst sein Unterbewusstsein an)
CHRISTIANS COACH
Sag ihr, dass die meisten Menschen in sich eine Wüste tragen, das
Chaos und das ist auch der Grund dafür, dass Kriege entstehen.
CHRISTIAN
Ich meine, warum entstehen Kriege?
ANNES COACH
Ob er was genommen hat?
CHRISTIANS COACH
Sie hat es nicht verstanden. Gib ein Beispiel.
CHRISTIAN
Wenn man sich zum Beispiel eine Blumenvase anschaut.
CHRISTIANS COACH
Gut.
CHRISTIAN
Eine grüne. Oder blaue.
ANNE
Wie bei Michael.
14
CHRISTIANS COACH
Michael? Wer ist Michael?
CHRISTIAN
(irritiert) Im Grunde ist es egal. Stell sie dir vor mit einer wunderschönen
Blume darin. Einer Tulpe oder Nelke oder ...
ANNE
Rose.
CHRISTIANS COACH
Michael schenkt ihr Rosen!
CHRISTIAN
(völlig ernüchtert) Ist auch nicht wichtig. Aber das Wasser ist verfault, ich
meine innen.
ANNES COACH
Er hat Drogen genommen.
ANNE
Ja genau.
CHRISTIANS COACH
Jetzt versuch, den Bogen zu schließen: Aufregung, Schein wahren, innen
Chaos und so weiter.
CHRISTIAN
Ja, und darum entstehen Kriege.
ANNES COACH
Ob ich einen Arzt rufe.
ANNE
Ja klar. Ich mag dich.
CHRISTIANS COACH
Warum? Er redet doch nur Mist. Wahnsinn diese Augen. Sie hat gesagt,
sie mag dich.
CHRISTIAN
Mfgs sch i mbin aber schss. (beherrscht) Das ist so meine Philosophie.
ANNE
Toll. Findest du nicht auch. Gedanken sind wie Affen, sie springen von
Baum zu Baum.
CHRISTIAN
Ja, Affen sind ...
CHRISTIANS COACH
Stopp! Sie hat gesagt, sie mag dich. So einen Elfmeter kriegst du nie
wieder. Und du fängst an, von Affen zu reden. Sorry, aber aus der
Nummer musst du alleine raus. Ich gehe. (geht)
CHRISTIAN
Nein, geh nicht! Bitte!
ANNE
Bitte?
CHRISTIAN
(viel zu laut) Affen –
ANNES COACH
Wir müssen mal!
CHRISTIAN
Affen: In ihrem Lebensraum bewegen sie sich, als hätten sie ihn sich
selbst erfunden. Der Affe ist ein sehr menschenähnliches Tier. Zum
Beispiel sind Affenkinder sehr früh in der Lage zu zeigen, ja fast zu sagen:
15
(hält einen enorm langen und differenzierten Vortrag über Affen, während
sich Anne und ihr Coach in Krämpfen winden) ... haben nur 96 % des
menschlichen Erbguts.
ANNE
Ich muss mal.
CHRISTIAN
Ja klar, ich auch. (geht mit Anne mit)
ANNE
Das Männerklo ist da.
CHRISTIAN
Natürlich.
RINGRICHTER
Auszeit.
Jeder geht wie ein Boxer in seine Ecke und bekommt Handtuch und Trinkflasche.
ANNE
Ich hab gesagt, ich mag ihn, und er hat überhaupt nichts gesagt. Er mag
bestimmt Beate.
ANNES COACH
Doch, er mag dich, hast du nicht gesehen, wie er geschaut hat, und dann
fängst du an, von Affen zu reden.
ANNE
Ich konnte ja nicht wissen, dass er gleich einen biologischen Vortrag hält.
CHRISTIANS COACH
Sag mal spinnst du? Sie hat gesagt sie mag dich, und du redest von
Affen.
CHRISTIAN
Aber du kannst doch nicht einfach abhauen.
CHRISTIANS COACH
Okay, wir haben einen Elfmeter verschossen, aber das Spiel ist noch
nicht verloren. Wir haben ein Problem. Wenn du den Mund aufmachst,
kommt nur Scheiße raus. Lass sie reden, dann nick ihr zu und lächle.
ANNES COACH
Nimm das Gespräch mehr in die Hand.
ANNE
Ich will aber nicht mehr reden. Du willst immer reden.
ANNES COACH
Bitte, ich kann auch gehen.
ANNE
Nein! Was mach ich denn jetzt?
CHRISTIANS COACH
Nimm sie einfach in den Arm und sag ihr, dass du sie auch magst.
CHRISTIAN
Gut! Das mach ich.
ANNES COACH
Also gut, er hat die Hosen voll, du musst die Sache in die Hand nehmen.
ANNE
Ja, aber wie?
16
ANNES COACH
Fang an, über irgendetwas zu reden. Etwas Belangloses:
Wettersportmusik, verstehst du?
ANNE
Reden. Reden. Reden.
ANNES COACH
Du kannst dich natürlich auch sofort auf ihn schmeißen. Das wird ihm
sicher gefallen.
RINGRICHTER
Auszeit Ende.
CHRISTIANS COACH
Konzentration.
ANNES COACH
Also los: Sag was.
RINGRICHTER
Und los!
Anne und Christian stehen wie versteinert voreinander. Stille.
ANNES COACH
(flüstert) Sag was.
Christian bläst vor Verlegenheit seine Backen auf.
CHRISTIANS COACH
Blas deine Backen nicht auf.
ANNES COACH
Rede!
CHRISTIANS COACH
Mein Gott, tu doch was.
ANNES COACH
Wie süß er lächelt.
CHRISTIANS COACH
Dieses Gesicht.
Christians rechter Arm fällt runter und baumelt zwischen den Stühlen.
ANNES COACH
(völlig begeistert) Seine Hand.
CHRISTIANS COACH
Gut. Lass den Arm hängen, vielleicht ergibt sich ja was.
ANNES COACH
Nimm deine Hand und lass sie auch langsam herunter. Ganz zufällig.
CHRISTIANS COACH
Ihre Hand! Lass deinen Arm langsam hoch wandern. Ja, weiter, weiter,
weiter. Gut, du bist gleich dran. Und jetzt ... fahr dir durch die Haare.
CHRISTIAN
(nach hinten) Feigling!
CHRISTIANS COACH
Sorry.
17
ANNES COACH
Schade. Mach ein Angebot. Setz dich ganz entspannt hin und verschränk
die Arme hinter dem Kopf.
Anne verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Es sieht so aus, als täte es richtig weh.
Ja, das ist schön. Sei ganz lässig.
CHRISTIANS COACH
Wie sie dasitzt. Christian, ich hab eine Idee. Bleib jetzt ruhig. Verschränk
deine Arme auch ganz beiläufig. Dann sitzt ihr beide so da, und vielleicht
können sich eure Ellenbogen berühren.
Christian tut es im Astronautentempo, und tatsächlich: Die Ellenbogen berühren sich.
Wahnsinn. Eine Sensation. Das Unterbewusstsein ist in heller Aufregung.
Stille. Anne ergreift die Initiative und küsst Christian. Schock. Alles schreit durcheinander.
Stille.
CHRISTIANS COACH
Vielleicht sollten wir gehen?
CHRISTIAN
Vielleicht sollten wir gehen?
ANNES COACH
Vielleicht tut es uns Leid?
ANNE
Vielleicht tut es uns Leid?
CHRISTIANS COACH
Oh nein, bitte nicht.
CHRISTIAN
Ist schon okay. Kann jedem mal passieren.
CHRISTIANS COACH
Bitte sprich nicht weiter. Das halte ich nicht aus.
ANNE
Tja, schade.
ANNES COACH
Wieso schade? Darauf hast du die ganze Zeit gewartet.
CHRISTIANS COACH
Sag jetzt nichts. Bitte!
CHRISTIAN
Pffss ...
CHRISTIANS COACH
Ja, beiß drauf.
CHRISTIAN
Hey, es ist echt okay. Das ist mir schon hundertmal passiert.
ANNES COACH
Waaaaas?
CHRISTIANS COACH
Ja komm, reit uns noch weiter in die Scheiße.
ANNE
Ich muss los.
CHRISTIAN
Ja, du klar, ich auch.
18
CHRISTIANS COACH
Ja, du klar, was bleibt uns auch übrig?
ANNES COACH
Gut! Umdrehen und gehen.
Beide stehen wie versteinert da.
CHRISTIANS COACH
Tu mir das nicht an, sag nichts mehr.
CHRISTIAN
Alsoichbnklhbidsbckd bs ...aßenbahn.
ANNES COACH
Der kann sich echt gut ausdrücken. Umdrehen und gehen!
CHRISTIANS COACH
Raus hier
„Ganz lässig“ streicheln sich beide am Arm. Glücklicherweise verletzt sich keiner. Sie gehen.
RINGRICHTER
Die vier Weisen.
Schauspielerin 2 geht zum Ringrichter und versucht, eine Wiederholung auszuhandeln.
Schließlich akzeptiert sie und geht auf Position.
Das erste sexuelle Erlebnis. Und los!
Alle stöhnen.
In Worten!
1. WEISER
Tja also ich äh ...
1. WEISER
Puh, ss wsn llowsn ...
2. WEISE
Carsten Becker, er war der Schlimmste in unserer Klasse. Was der alles
gemacht hat. Und ich war die Liebste.
1. WEISER
Iris Richter.
2. WEISE
Carsten Becker.
1. WEISER
Wir kannten uns schon eine ganze Weile und trafen uns immer und wir
haben so dies und das gemacht.
1. WEISE
Mein erster Kuss stank nach Bier. Mit vierzehneinhalb muss man seinen
ersten Kuss bekommen, sagte Uwe, ... so hieß er.
2. WEISER
Tja, ähm ...
2. WEISE
Und weil ich die Liebste und er der Böseste war, saßen wir zusammen in
der Schule.
1. WEISE
Er war eigentlich ganz nett, und ich fand ihn schon lange gut.
19
1. WEISER
Und dann war es schließlich eines Abends so weit.
1. WEISE
Wir lehnten an seinem Auto, und ich fand ihn einfach toll.
2. WEISE
Eigentlich passten wir gar nicht zusammen. Ich war wahnsinnig verliebt,
aber er hat es gar nicht gemerkt.
2. WEISER
Äh. Also gut ich sag es.
Alle schauen ihn an.
... Quatsch ... (kichert)
1. WEISE
Ich weiß gar nicht, was ich mir vorgestellt habe, wahrscheinlich wartete
ich auf den Einsatz von Filmmusik und ein Liebesgeständnis. Er jedenfalls
umarmte und küsste mich. Da merkte ich, dass er nach Bier roch. Er fing
an, seine Zunge in meinen Mund zu schieben.
2. WEISE
Und ich musste immer denken, mein Gott, wenn der mich mal küsst,
verschenke ich all mein Geld. Ich hätte ihn auch sofort geheiratet, auch
mit elf, aber er hat mich halt nicht geküsst.
1. WEISER
Also gut, wir hatten uns oft gesehen und dachten: Jetzt muss es
passieren. Wir fingen an, zu knutschen, und streichelten uns überall und
drückten uns ganz fest aneinander, das war sehr schön, so fest und dann
... (hat einen Orgasmus)
2. WEISE
Und dann kam Tilmann Wörner.
1. WEISER
Aaah. Oh.
2. WEISE
Ich meine: Und dann kam Tilmann Wörner.
1. WEISE
Dieser Uwe, den ich so romantisch fand, war plötzlich ein Monster. Seine
Zunge erinnerte mich an die Kälberzunge, die es bei Tante Gerda einmal
zum Essen gab.
2. WEISER
Also gut, ich sag es.
1. WEISER
Mist! Zu früh.
2. WEISE
Das war wirklich mein Glück, dass wir uns getroffen haben.
2. WEISER
Ich weiß noch genau, wie ich zum erstenmal onaniert habe. Meine Eltern
hatten mich wirklich gut vorbereitet. Ich wusste, dass man an seinem
Penis reiben muss, eine Weile.
1. WEISER
Ich meine, ist das nicht schrecklich, da denkt man Monate an nichts
anderes und freut sich, dass es endlich passiert, und dann so ein Reinfall.
Mein Gott, ich war so ...
2. WEISER
Geil!
1. WEISER
... geil, dass ich gar nicht richtig realisiert habe, was da passierte.
20
2. WEISE
Als ich mehr oder weniger zufällig entdeckt habe, was ein Orgasmus ist,
habe ich das sofort am nächsten Tag meinem Freund gezeigt, und wie
das geht, und wo er mich streicheln soll. Und Tilmann hat alles richtig
gemacht. Ganz vorsichtig.
1. WEISE
Na ja.
2. WEISE
Und er hat mir auch viel gezeigt, es hat unheimlich Spaß gemacht.
1. WEISE
Uwe war eine große Enttäuschung, und wir haben uns danach nur noch
einmal gesehen.
1. WEISER
Danach haben wir uns noch einmal getroffen.
1. WEISE
Das war vielleicht furchtbar.
2. WEISER
Ich stellte mir die wildesten Sachen vor.
1. WEISER
Furchtbar!
2. WEISER
Mit Clara, mit der Aushilfe beim Bäcker, mit Biggi, mit Mareike, mit Frau
Roesner, meiner Englischlehrerin, mit Felia, und dann passierte es. Mein
erster Orgasmus. Was für eine Entdeckung.
1. WEISE
Ich wollte nie wieder etwas mit einem Jungen zu tun haben. ... Bestimmt
zwei Tage lang.
1. WEISER/ 1 WEISE
Und ich dachte: Wenn das jetzt immer so ist.
2. WEISER/ 2. WEISE
Und ich dachte: Wenn das jetzt immer so ist.
RINGRICHTER
Christian trifft David, Anne trifft Beate, David Anne, Beate Christian, Beate
David und Anne Christian. Und los.
SCHAUSPIELERIN 1 (versteht gar nichts, zum Ringrichter) Ich hab eine Idee.
RINGRICHTER
(würgt sie ab) Toll, ich schreib’s mir auf. Danke! Christian trifft David,
Anne trifft Beate, David Anne, Beate Christian und Beate David. Und los!
CHRISTIAN
Es war ein Desaster.
DAVID
Du, Christian.
CHRISTIAN
Ich hab’s nicht in der Hand. Das, was ich sagen will, kommt nicht raus,
und das, was raus kommt, ...
DAVID
... willst du nicht sagen. Ich will dir was sagen.
CHRISTIAN
Fühlst du dich oft einsam?
DAVID
(Pause) Nicht direkt einsam. Es gibt Dinge, die ich niemandem erzähle.
CHRISTIAN
Du wolltest mir doch was erzählen.
21
DAVID
Schon gut!
CHRISTIAN
War wohl nicht so wichtig.
DAVID
(schreit) Doch, es war sehr wichtig.
CHRISTIAN
(kapiert plötzlich) Ich Idiot!
BEATE
Red mit mir!
ANNE
Unvorstellbar.
BEATE
Was?
ANNE
Es kommt mir vor, als wäre die Welt in zwei Hälften geteilt, und es ist
nicht die Chinesische Mauer, die dazwischen liegt, oder die Klagemauer
in Jerusalem, obwohl ich manchmal denke, dass sie damit die meiste
Ähnlichkeit hätte.
BEATE
Anne, welche Mauer?
ANNE
Es ist die Mauer zwischen vorher und nachher.
BEATE
Vorher und nachher?
ANNE
Das erste Mal. Früher wusste ich nicht einmal, dass diese Mauer existiert.
Und jetzt kommt es mir so vor, als würde sie wachsen und wachsen, und
ich habe Angst, nicht mehr drüber zu kommen. Ein böser Traum.
BEATE
Es gibt Wichtigeres!
ANNE
Ich weiß, dass es Wichtigeres gibt im Leben ... aber im Moment wüsste
ich nicht was.
BEATE
Wie war euer ...?
ANNE
Eine Katastrophe. Ich glaube, das war’s!
DAVID
Hast du Christian getroffen?
ANNE
Das kann man wohl sagen.
BEATE
Anne hat mir alles erzählt.
CHRISTIAN
Aber ich komme doch gerade erst von ihr.
BEATE
Es war sehr schön neulich.
CHRISTIAN
Du meinst unseren gemeinsamen Abend.
DAVID
Ich wollte ihm was sagen.
22
ANNE
Und was?
DAVID
Pass auf, es ist so ...
CHRISTIAN
Und dann sind wir mit den Köpfen zusammengestoßen.
Beate lacht.
Sie umarmen sich.
Beate, es tut mir Leid.
BEATE
(gibt ihm eine Ohrfeige) Es soll dir nicht Leid tun.
ANNE
Das wusste ich doch.
DAVID
Echt?
ANNE
Ich habe Augen im Kopf. So verliebt gucken kann ich gar nicht, wie du ihn
immer anschaust.
DAVID
Ja und, was sagst du?
ANNE
Was soll ich sagen? Du bist nicht der erste und einzige, dem es so geht.
Und das mit Christian tut mir Leid.
CHRISTIAN
Was soll ich denn jetzt machen?
BEATE
Ruf sie an, trefft euch.
DAVID
Alle sagen, es sei schön, verliebt zu sein. Aber ich finde es nicht schön.
Wenn andere von einem angenehmen Kribbeln im Bauch sprechen, hab
ich Magenkrämpfe, wo andere ihr Herz schlagen hören, bekomm ich
Schweißausbrüche, wenn andere Liebesgedichte erfinden, möcht ich mir
die Zunge abbeißen, weil es so peinlich ist, was ich sage ... Wenn ich es
sage, lacht er mich doch nur aus.
BEATE
Das glaube ich nicht, aber er hat eben nur Anne im Kopf. Und du hast
dich immer nur in Jungs verliebt?
DAVID
Ja.
BEATE
Und jetzt in Christian. Bist du ...
DAVID
Willst du eine ehrliche Antwort?
BEATE
Ja!
DAVID
Ich weiß es nicht. Ich meine, wann weiß man das schon? Christian hat
mich gestern angerufen und gefragt, ob ich mit zum Sport komme.
(freut sich) Ich hätte schon Lust, aber ich will mich nicht zum Affen
machen.
23
BEATE
Schreib ihm!
DAVID
(lacht) Lieber Christian, ich kann leider nicht kommen, weil ich deine Nähe
nicht aushalte. Und wenn ich mir dann noch vorstelle, dass wir hinterher
... (Pause) ... Wenn ihr von Liebe redet, meint ihr eben alle das gleiche,
und ich meine eben etwas anderes.
BEATE
Ich glaube, es meint keiner das gleiche, jeder stellt es sich anders vor.
Christian hat gesagt, es täte ihm Leid. Das ist mies. Wir hatten es sehr
schön, obwohl ich genau wusste, dass es nicht die große Liebe ist ... bei
ihm. Ich weiß es doch auch nicht. Bei ihm kann ich so sein, wie ich bin.
Die Nähe stimmt, der Abstand. Wir haben nicht mehr nachgedacht.
Warum hat er das vergessen? Hat er es überhaupt gemerkt?
Es war ehrlich, aber jetzt stimmt gar nichts mehr.
(David und Beate umarmen sich, Christian kommt rein, sieht sie und ist erleichtert.
Kann es nicht alles viel einfacher sein: Ich mag ihn, er ... mag mich auch.
Das Schlimmste ist, dass ich mir Anne gegenüber sogar gemein
vorkomme. Ich würde so gerne heulen, aber ich weiß nicht, bei wem.
RINGRICHTER
Zweites Treffen.
Die Schauspieler debattieren eine neue Idee von Schauspielerin 1.
Bitte? Zweites Treffen.
Sehr schnell schalten alle Spieler auf die nicht vorgesehene Szene um.
SCHAUSPIELERIN 1 Hallo, das ist Tim. Er hat für sein schmales Gesicht relativ große Augen.
Er hat ein Hohlkreuz und sein Bauchnabel stülpt sich nach außen.
(zeigt alles)
ALLE
Stimmt! Danke. Tim.
SCHAUSPIELER 2
Das ist Nana. Sie hat mehrere Muttermale auf dem Bauch. (zeigt sie)
Eins, zwei, drei. Sie ist immer rot um die Nase. Und sie hat eine
vergrößerte Schilddrüse.
ALLE
Stimmt. Danke, Nana.
SCHAUSPIELERIN 2 Das ist Jens. Jens hat keinen Bartwuchs am Kinn. Er schwitzt schnell und
er hat nur sechs Haare auf der Brust. (zeigt sie und korrigiert sich) Acht!
ALLE
Stimmt! Danke, Jens.
SCHAUSPIELERIN 1 Das ist Verena. Sie hat ein relativ rundes Mondgesicht. Sie hat viele
Füllungen in den Zähnen und sie hat eine Narbe auf dem Rücken.
ALLE
Stimmt! Danke, Verena!
Auf einen Impuls schauen alle interessiert ins Publikum und mustern einzelne Zuschauer.
24
RINGRICHTER
Zweite Runde. Zweites Treffen. Und los!
ANNES COACH
Er hat dir geschrieben. Also will er auch was.
ANNE
Meinst du?
ANNES COACH
Nein, meine ich nicht, wahrscheinlich will er mit dir die aktuelle Situation in
der Champions League besprechen.
ANNE
Champio ... Jetzt hör auf mich zu verarschen.
Christian vergisst vor Aufregung zu atmen und hat einen hochroten Kopf.
CHRISTIANS COACH
Atmen.
Christian atmet.
ANNES COACH
Also, geh hin und klär die Sache. Das kann doch nicht so schwer sein.
ANNE
Gut.
CHRISTIANS COACH
Ein. Aus. Ein. Aus. ...
CHRISTIAN
Ich muss los.
Sie treffen sich.
Hallo, ich wollte dich noch mal sehen. Du siehst wirklich gut aus.
CHRISTIANS COACH
Hey, ein Kompliment bei voller Körperbeherrschung. Also los, küss sie
jetzt!
CHRISTIAN
Bitte?
CHRISTIANS COACH
Ganz ruhig. Bis jetzt läuft doch alles ganz gut, also los.
CHRISTIAN
Dazu hab ich nicht die Nerven.
ANNES COACH
So und jetzt steh ganz locker auf und stell dich dicht neben ihn.
ANNE
Wie dicht?
Annes Coach zeigt es mit den Händen.
Das ist aber sehr dicht.
CHRISTIANS COACH
Okay, sag ihr erst einmal, wie schön sie ist.
25
CHRISTIAN
Das hab ich doch schon getan.
CHRISTIANS COACH
Das kannst du ihr gar nicht oft genug sagen.
CHRISTIAN
Du bist wirklich die schönste Frau, die ich kenne.
ANNE
Oh, ich werde ja ganz verlegen.
CHRISTIAN
Nein, wirklich, du bist schön, du bist hübsch, du siehst wirklich
bezaubernd aus. Du bist so eine aparte Schönheit. Weißt du, wenn du
reinkommst, das ist, als würde die Sonne aufgehen. Schönheit mein ich
auch nicht irgendwie. Es ist mehr so ein Strahlen von innen.
CHRISTIANS COACH
Jetzt halt mal den Ball flach, das reicht.
ANNE
Das hat mir noch nie jemand gesagt.
ANNES COACH
Jetzt sagst du, dass er irgendwas in deinem Innern auslöst, das stärker ist
als du.
ANNE
Verstehst du, du bist unheimlich innen, und ich bin ganz stark ...
(schaut sich hilfesuchend um) Hä?
ANNES COACH
(genervt) Er löst etwas aus!
ANNE
Du löst etwas aus ... (zeigt, dass damit der Satz beendet ist)
CHRISTIAN
(kapiert überhaupt nichts) Aha.
ANNE
Er hat es geschluckt.
CHRISTIAN
Hast du verstanden, was sie meint?
CHRISTIANS COACH
Nö, aber es könnte gleich passieren. Atemkontrolle!
Christian überprüft seinen Atem. Negativ! Er sucht ein Hustenbonbon und steckt es heimlich in
den Mund.
ANNES COACH
Ganz ruhig, du bist fast am Ziel.
ANNE
Okay, kein Problem, was soll ich tun?
ANNES COACH
Leg deinen Arm um ihn.
ANNE
Alles klar. (versucht es, aber der Arm bleibt steif) Ich spüre meinen Arm
nicht mehr, er ist tot.
ANNES COACH
Nimm den anderen, zum Glück hast du ja zwei.
ANNE
Funktioniert, alles klar, geht los, bin ganz ruhig.
(boxt Christian aus Verlegenheit)
Christian spuckt sein Bonbon aus, als er geboxt wird.
26
(hebt das Bonbon mit der toten Hand auf) Oh. (starrt auf ihre Hand)
CHRISTIAN
Du zitterst ja.
ANNE
Ich, nein, nein, ich friere.
CHRISTIAN
Du frierst? Aber du hast Schweiß auf der Stirn.
ANNE
Schüttelfrost. Das hab ich seit einem Jahr. Meine Nieren sind auch völlig
hin, wenn ich nicht aufpasse, werde ich wohl nicht sehr alt.
ANNES COACH
Stop! Zurück. Das hält ja kein Mensch aus, du kannst ihm doch nicht
erzählen, dass du wahrscheinlich bald den Löffel abgibst. Also einmalige
Chance: Wir gehen noch mal zurück, und du versuchst es von Neuem.
Die ganze Szene wird rückwärts gespielt und gesprochen.
CHRISTIAN
Du zitterst ja.
ANNE
(völlig gelöst) Ja.
CHRISTIAN
Du, ich muss dir was sagen.
CHRISTIANS COACH/ ANNES COACH
Na jetzt bin ich aber gespannt.
Anne und Christian schicken ihre Coaches raus.
CHRISTIAN
Hör zu, ich muss dir, ich dachte, es ist wirklich nur so eine Frage und vor
allen Dingen angesichts unseres Gesprächs eben. Ich habe mich gefragt,
ob es irgendeine Frage äh Chance gibt – ach bestimmt nicht, denn ich bin
ja nur so ein grüner Junge, und es gibt ja auch ... obwohl ich dachte, es
kostet ja nichts, wenn ich es sage. Also kurz gesagt, äh
zusammengefasst, eine klarere Version in den Worten Lou Reeds gesagt,
als er seine zweite Solo LP verpa... äh verfasst hat: Ich denke, ich habe
mich in dich verliebt und ich habe mich nur gefragt, ob du nicht zufällig
gerne äh ... Ach Quatsch, natürlich nicht. Ich bilde mir was ein. Du bist
sicher jetzt ... es tut mir Leid. Okay, alles klar. Es war schön, dich zu
sehen. Ich glaube, ich verschwinde mal.
ANNE
Das war sehr charmant.
CHRISTIAN
Na ja, ich habe es vorher gut durchdacht, damit ich die richtigen Worte
finde. Es waren genau 67, glaube ich. 67? Mein Gott, was rede ich!
ANNE
Und was hast du genau gesagt?
CHRISTIAN
Ich sagte, na ja du weißt schon, was ich gesagt habe über Lou Reed und
seine Zeit allein ...
ANNE
Sei mal still.
Sie setzen zum Kuss an, kurz davor stoppt sie und flüstert ihm was ins Ohr.
CHRISTIAN
Ich dachte, du hättest.
27
RINGRICHTER
Die vier Weisen. Verhütung. Und los.
2. WEISER
Klara Weigel.
1. WEISE
Also die Pille ist einfach toll.
1. WEISER
Marion.
2. WEISER
Klara Weigel war die erste Frau, mit der ich geschlafen habe. Sie hat sich
die Pille verschreiben lassen. Wir hatten den ganzen Nachmittag Zeit, weil
meine Eltern nicht da waren ...
1. WEISER
Hey!
2. WEISER
... aber nach zwei Minuten war alles vorbei.
1. WEISER
Oh!
1. WEISE
Man kriegt Heulkrämpfe, man ist depressiv, man fühlt sich total unwohl.
Aber man nimmt sie jeden Tag wieder. Und man könnte schlafen,
morgens, mittags, abends. Eine tolle Sache: Minulette.
2. WEISE
Femovan.
1. WEISE
Minulette ist übrigens jetzt in Verruf geraten, soll total schädlich sein.
2. WEISE
Als ich die erste Pille nahm, musste ich sofort kotzen. (kämpft ab jetzt mit
dem Brechreiz)
2. WEISER
Aber sie hat drauf bestanden, sie zu nehmen. Ich hab sie nicht gedrängt.
1. WEISER
Marion war wirklich toll.
2. WEISER
Ich hätte gerne Kondome benutzt.
1. WEISER
Ganz locker packte sie einen Gummi aus und hat ihn mir übergestreift.
1. Weise würgt.
... aber dann, Schluss mit Lust.
1. WEISE
Alle Männer wollen ständig ohne Kondom.
1. WEISER
Also, ich hätte ja lieber ohne Kondom.
1. WEISE
Ständig, auch wenn sie nichts sagen, denken sie: Sie könnte doch die
Pille nehmen.
1. WEISER
Und dann dachte ich mir: Sie könnte doch die Pille nehmen.
2. WEISE
Ich dachte eben: Ich könnte doch die Pille nehmen. Aber wenn das dabei
rauskommt.
2. WEISER
Aber sie hatte die Pille ja schon einen Monat lang genommen.
28
1. WEISE
Man wollte mir tatsächlich weismachen: Die Pille wäre gut gegen Pickel.
1. WEISER
Und da hab ich versucht, ihr zu erklären, dass die Pille gut ist gegen
Pickel. Und dann hat sie die Pille genommen ...
2. WEISER
Hey!
1. WEISER
... und hat Pickel gekriegt.
2. WEISER
Oh!
1. WEISE
Das Miteinanderschlafen war natürlich viel schöner und einfacher, und
tatsächlich, die Pickel waren weg, aber ich bin aufgegangen wie ’ne
Dampfnudel.
2. WEISER
Wir haben uns dann getrennt, und seitdem hab ich nie wieder mit einer
Frau geschlafen, die die Pille nimmt.
1. WEISER
Und dann kam mein bester Freund und sagte: Schlag ihr doch mal die
Spirale vor.
2. WEISE
Als ich das erste Mal von der Spirale hörte, hab ich mich richtig
erschrocken.
1. WEISER
Meine Mutter hatte mal eine Spirale. ...
ALLE
Hey!
1. WEISER
So bin ich entstanden.
ALLE
Oh!
2. WEISE
Ich dachte zunächst, es handele sich um ein Metallteil von der Größe
einer Bettfeder, das dafür sorgt, dass die Eizellen zurückgeschleudert
werden. (demonstriert es)
Alle schauen.
1. WEISE
Und dann dachte ich irgendwann, ich sei schwanger. Ich bin durch die
Stadt gelaufen und habe lauter kleine Kinder gesehen und schwangere
Frauen.
2. WEISER
Einmal ging es daneben, oder eben nicht. Es war schrecklich, sie hat
dann einen Schwangerschaftstest gemacht.
1. WEISE
Diese Schwangerschaftstests.
1. WEISER
Immer diese Panik vor der Schwangerschaft.
2. WEISER
Man sieht sich schon vorm Kreissaal, wenn man dann vor dem Klo auf
und ab geht. Sie sitzt drin und pinkelt auf so einen Teststreifen. Und
irgendwann denkt man: Wird es ein Junge, wird es ein Mädchen?
1. WEISE
Ein Glück: rosa.
29
2. WEISER
(panisch) Rosa, und ich denke: Ein Mädchen. Bis sie mir jubelnd in die
Arme fällt.
1. WEISE
Im ersten Moment denkt man: So was will ich nie wieder erleben.
2. WEISER
Das nächste Mal haben wir dann mit Pille, Kondom, Diaphragma und
spermatötendem Schaum geschlafen. Eigentlich wollten wir auch noch
eine Spirale einsetzen lassen, ...
ALLE
Hey!
2. WEISER
... aber irgendwie sind wir dann beim Vorspiel hängen geblieben.
RINGRICHTER
Zweite Runde. Anne und Christian: Zweites Treffen mit Kuss. Und los!
CHRISTIAN
Also kurz gesagt, äh zusammengefasst, eine klarere Version in den
Worten Lou Reeds gesagt, als er seine zweite Solo-LP gemacht hat: Ich
denke, ich habe mich in dich verliebt, und ich habe mich nur gefragt, ob
du nicht zufällig gerne äh ... Ach Quatsch, natürlich nicht. Ich bilde mir
was ein. Du bist sicher jetzt ... es tut mir Leid. Okay, alles klar. Es war
schön, dich zu sehen. Ich glaube, ich verschwinde mal.
ANNE
Das war sehr romantisch.
CHRISTIAN
Na ja, ich habe es vorher gut durchdacht, damit ich die richtigen Worte
finde. Es waren genau 67, glaube ich. ... 67? Mein Gott, was rede ich!
ANNE
Und was hast du genau gesagt?
CHRISTIAN
Ich sagte, na ja du weißt schon, was ich gesagt habe über Lou Reed und
seine Zeit allein ...
ANNE
Sei mal still.
Wieder setzen beide zum Kuss an.
RINGRICHTER
(einen cm vorher) Stopp.
SCHAUSPIELERIN 2 (misst den Abstand) So’n Stück.
SCHAUSPIELER 2
Lass sie wenigstens noch das Lied singen.
RINGRICHTER
(zögert) Also gut.
ALLE
Komm her, ich meine dich
und weiß, es wird sehr schön
nimm meine Hand
und lass uns ein Stück zusammengehen
Komm her, ich will nur dich
das wirst du schon noch seh’n
dich hab ich gern
ich werd dich auch ohne ein Wort versteh’n
30
Komm her, halt dich fest
was haben wir zu verlier’n
wenn es nicht klappt
können wir es noch mal probier’n
Komm her, komm her
Komm her, komm her
Komm her, ich meine dich
und weiß, es wird sehr schön
gib deine Hand
und lass uns ein Stück zusammen geh’n
Anne und Christian setzen zum Kuss an.
RINGRICHTER
(einen halben cm vorher) Stopp. Bitte jetzt die Kondomaufklärung.
Alle sind empört.
Wer ist dran?
Keiner will.
Gut, dann bestimme ich. Jens! Die anderen haben frei. Und los!
Es folgt ein ausführlicher Vortrag über Sinn, Zweck und Verwendung von Kondomen.
Der Ringrichter korrigiert zunehmend, während die anderen Schauspieler sich einen Spaß
daraus machen alles mögliche mit Kondomen anzustellen, fast alles auf Kosten von
Schauspieler 1. Die Situation steigert sich in eine Art Orgasmus. Der Vortrag ist gegen Ende
kaum noch verständlich. Schauspieler 2 steht da wie ein begossener Pudel und verschwindet
wutentbrannt in der Garderobe. Alle sind erschrocken. Das war so nicht geplant. Schließlich
rennt Schauspielerin 1 auch in die Garderobe.
SCHAUSPIELERIN 1 (aus der Ferne) Was machst du? Du kannst doch nicht einfach abhauen.
SCHAUSPIELER 2
Klar kann ich. Es ist okay, dass ihr euren Spaß habt. Heute ich, morgen
du. Aber der sitzt da und lässt alles geschehen. Auf jeden Fall gehe ich
nicht mehr raus und rede über diese Dinger. Ewig dieses Gequatsche.
RINGRICHTER
(zu den anderen Schauspielern) Könnt ihr das klären?
SCHAUSPIELER 2
(rennt auch raus) Kommt ihr? Es geht weiter.
SCHAUSPIELER 1
Nein!
Man hört von draußen einen Schwall von Flüchen.
Ich hab eine Idee.
RINGRICHTER
(zu Schauspielerin 1) Kannst du etwas über die Pille improvisieren?
SCHAUSPIELERIN 2 Wie bitte? Die Pille?
RINGRICHTER
Die Pille. Und los!
31
SCHAUSPIELERIN 2 Ich stelle mich doch jetzt nicht hier hin und rede über die Pille.
RINGRICHTER
Oder das Diaphragma?
SCHAUSPIELERIN 2 Was?
RINGRICHTER
Das Diaphragma: Und los!
SCHAUSPIELERIN 2 Du bist vielleicht lustig.
Die anderen kommen zurück und werfen ihn raus. Ein Eklat! Alles was jetzt folgt, findet in einer
anarchischen Atmosphäre statt.
SCHAUSPIELERIN 2 (jetzt auf eigene Faust) Selbstbewusstsein! Teil drei:
SCHAUSPIELER 2
Hallo, ich bin Tim und ich möchte David spielen, der für eine Minute
kriegt, was er sich wünscht.
CHRISTIAN
Hör zu, ich muss dir, ich dachte, es ist wirklich nur so eine Frage, und vor
allen Dingen angesichts unseres Gesprächs eben. Ich habe mich gefragt,
ob es irgendeine Frage äh Chance gibt – ach bestimmt nicht, denn ich bin
ja nur so ein grüner Junge, und es gibt ja auch ... obwohl ich dachte, es
kostet ja nichts, wenn ich es sage. Also kurz gesagt, äh
zusammengefasst, eine klarere Version in den Worten Lou Reeds gesagt,
als er seine zweite Solo-LP verpa... äh verfasst hat: Ich denke, ich habe
mich in dich verliebt und ich habe mich nur gefragt, ob du nicht zufällig
gerne äh ...
DAVID
Sei doch mal still!
Sie küssen sich.
SCHAUSPIELER 2
Danke, Jens!
SCHAUSPIELER 1
Danke, Tim.
SCHAUSPIELERIN 2 Hallo, ich bin Nana und ich will, dass jetzt Beates Lied gespielt wird.
Die drei anderen verschwinden.
Beates Zeigefinger berühren sich. In diesem Moment wird ein Lied (zum Beispiel: „I will survive“
von Cake) eingespielt. Laut. Ein wilder Tanz beginnt.
Die anderen kommen dazu.
SCHAUSPIELERIN 1 (kaum hörbar) Ich heiße Verena und ich will, dass Christian und Anne
jetzt endlich ...
SCHAUSPIELER 1
(gleichzeitig) Ich heiße Jens und ich will, dass Christian und Anne jetzt
endlich ...
Anne und Christian gehen in den Boxring. Dort küssen sie sich und tanzen sehr langsam zu
schneller Musik. Schließlich verschwinden sie durch eine Luke unter den Boxring.
ANNE
Du, Christian?
CHRISTIAN
Ja.
32
ANNE
Eigentlich hab ich’s mir ganz anders vorgestellt.
CHRISTIAN
Wie denn?
ANNE
Ich habe gar nichts gespürt.
CHRISTIAN
Was? Ich dachte, es hätte dir gefallen.
ANNE
Ja, erst schon, aber dann war plötzlich alles wie im Film. Bist du jetzt
sauer?
CHRISTIAN
(unsicher) Nö!
ANNE
Mir ist kalt. (nimmt seine Hand)
Schattenspiel. Ein neuer Versuch. Sie lachen sehr viel. Musik.
ENDE
33
Klaus Schumacher: SCHARF!
Pressestimmen zur Uraufführung in Bremen
„’Ein Lustspiel’ über die erste Liebe und den ersten Sex, ’aber kein Aufklärungsstück’ wollte das MOKS
mit seinem neuentwickelten Schauspiel ’Scharf!’ auf die Bühne im Brauhaus bringen. Die Uraufführung
zeigte nun, dass noch etwas mehr gelungen ist: gute 90 Minuten Theater, in denen es nur um Liebe, Sex,
Verhütung, Küssen und Beischlafen geht, aber kaum nackte Haut zu sehen ist. [...]
Dennoch ist ’Scharf!’ kein bisschen prüde, sondern geht locker mit Gaudi und Offenheit viele Themen an,
die um das erste Verliebtsein und seine Folgen kreisen. Vom ersten Zungenkuss, bei dem sich der
Traumboy in ein Monster verwandelt. Von der Verhütung mit Pille oder mit Kondom. Oder was sich sonst
noch alles so mit Kondomen anstellen lässt. Von der Spannung, die vor der Toilettentür herrscht, hinter
der sie den Schwangerschaftstest durchführt ... Wenn Prisca Maier und Cornelius Nieden bei ihren ersten
drei Rendezvous so nervös sind, da jeder Annäherungsversuch an irgendeiner Tollpatschigkeit [...]
scheitert, sie sich aber dann doch mit Ausdauer und Durchhaltevermögen an einander heranarbeiten, fast
bis zum ersten Kuss, dann hält das gesamte Publikum den Atem an und spürt das Kribbeln im Bauch der
beiden auf der Bühne. Fast so als kreiselten die Schmetterlinge in der eigenen Magengegend.“ (Syker
Kreiszeitung, Alice Bachmann, 21.10.96)
„’Küssen ist noch einfach, doch dann wird’s kompliziert. Geht’s los, bist du plötzlich ahnungslos.’ Rockigpoppig beginnt ’Scharf’, das neue ’Lust-Spiel’ des KiJuTheaters Moks. Wenn es losgeht mit der Liebe und
der Sexualität, gibt es ein großes Durcheinander, das ist mal so. [...] Klaus Schumacher hat deshalb [...]
ein Stück über erste Liebe und Lust entwickelt. [...] Eineinhalb Stunden muss das Publikum darauf
warten, dass Anne und Christian ’sich kriegen’. Es ist aber auch zu schwierig mit den Gefühlen, dem
Sich-Anfassen-Wollen und Sich-nicht-Trauen, mit dem ’Wie sag ich es bloß, ohne mich zu blamieren’.
Immer wenn die Spannung steigt, wird die Haupthandlung durch eine Lautsprecherstimme unterbrochen.
Sie gibt Anweisungen, was als nächstes zu tun ist. Zum Beispiel: ’Jetzt ist die Kondomaufklärung dran.’
Und die wird so spritzig-witzig vermittelt, dass eine peinliche Unruhe gar nicht erst aufkommt. [...]
Entlassen wird das Publikum mit der tröstlich-aufmunternden Botschaft, dass das mit der Liebe zwar
schwierig, aber schön ist.“ (taz, Beate Hoffmann, 21.10.96)
„Die neue Moks-Produktion ist eine Revue und beginnt und endet mit dem Titelsong: Scharf!, dazwischen
brillieren die vier Darsteller mit einem Reigen von kurzen Szenen zum Thema Sex, Lust und Liebe. Und
die Inszenierung von Klaus Schumacher kommt weder moralisch noch belehrend daher, sondern zeigt
die ersten Liebesversuche als das was sie sind: ein Chaos von Gefühl und Verstand. Es gibt die Auftritte
der vier Weisen, die wie ausgestellt hinter dem Fensterrahmen sitzen und über ’Das erste Mal’ parlieren,
oder über die Pille und Verhütung. Das gewinnt seinen Witz durch das Gegen- und Miteinander des
Sprechens. Gerne auch platzieren sich Julia Klein, Prisca Maier, Cornelius Nieden und Tilmann Warnke
direkt vor dem Publikum. Sie sitzen in ihren Sesseln und führen sich und uns gegenseitig vor, was ihre
Körper so alles an Verunstaltungen hergeben. Platte Nasen, Pickel, Narben, magere Rippen werden
präsentiert, und artig bedanken sich die Mitspieler: danke Du! Überhaupt liegen die Stärken der
Aufführung in der szenischen Gestaltung. Wenn die Darsteller richtig loslegen, ihr gestisches Vermögen
einsetzen, dann macht das Zuschauen so richtig Spaß.“ (Weser Kurier, Knut Köstergarten, 21.10.96)
Pressestimmen zur weiteren Aufführungen
„Ob Heranwachsende tatsächlich – wie eine Statistik besagt – alle 15 Minuten an Sex denken, sei dahin
gestellt. Dass erotische Anspielungen nicht nur in der Werbung, sondern auch in den Medien unser
(Trieb-) Leben ständig stimulieren, ist offensichtlich. [...] Diese Bild soll Konturen erhalten in der ersten
Premiere der neuen Spielzeit im Jungen Theater unter dem vieldeutigen Titel ‘Scharf’. [...] Anne, Beate,
Christian und David treffen im Boxring aufeinander – in unterschiedlicher Besetzung und mit
wechselnden Vorzeichen. Im Gespräch unter Freundinnen erfährt Anne, dass nicht nur sie Christian liebt,
sondern auch Beate. Zeitweise interessiert sich auch David für Christian, der jedoch in zwei langen
Begegnungen, Anne näher zu kommen. Begrenzt wird das humorvolle Lust-Spiel vom Ringrichter und
Percussionist Thomas Schacht, der den Figuren wie beim Boxen ein strenges Reglement auferlegt.“
(Wilhelmshavener Zeitung, Martin Wein, 01.11.00)
„Alle lieben Christian. Christian hat sich in Anne verliebt. Beate hat vorgestern mit Christian geschlafen.
Anne will Christian treffen. David kann über seine Gefühle nicht reden. Vier Jugendliche auf der Suche
nach Liebe, Lust und Sex. Jeder versteht darunter etwas anderes, doch jeder glaubt, sein Glück darin zu
34
finden. Dabei einen kühlen Kopf zu bewahren und die richtigen Worte zu finden, ist nicht einfach. So
finden die Treffen zwischen Anne und Christian auch in einem Boxring statt. Ihre inneren Stimmen feuern
sie an und pfeifen sie zurück in dem Ringen um die Zuneigung des anderen. Doch auch die Coaches
verlieren bald die Kontrolle über ihre Schützlinge. [...] Vier Weise geben ihren reichen Erfahrungsschatz
zum Besten und wir erfahren um die Verwirrungen des Verliebtseins, die Vor- und Nachteile der Pille und
die Pannen beim ersten Mal. Aber auch die Schauspieler machen durch einen Dialog mit dem Publikum
deutlich: Selbstwertgefühl ist wichtig und die kleinen Fehler sind es, die einen Menschen zu etwas
Besonderem machen.“ (Diabolo, Julia Figdor, 10/2000)
„Scharf: Gut gewürzt, ist ganz gewonnen
Die mit Elementen der Pop-Kultur wie des Sports humorvoll umgesetzte Szenenfolge für Jugendliche
bescherte dem Jungen Theater [...] einen engagierten wie überraschend markanten Neuanfang.
Angesichts der Flut aus Versatzstücken geleimter ’Daily-Soaps’ oder neugierig vom ’Großen Bruder’
abgefilmter Pseudo-Normalität, platziert Regisseur Klaus Schumacher seine Akteure in einem neutralen
Spiel- und Erlebnisraum mit eigenem Reglement. [...]
Die zaghaften, unbeholfenen Begegnungen, erste Schritte auf neuem Terrain, dehnt Schumacher zu
atemberaubenden Sekunden-Thrillern. Was sonst oft Anlass für Peinlichkeiten und rote Ohren bietet,
gerät hier zur spannenden Entdeckungsreise. [...] Die Botschaft ist eindeutig: Jeder ist, wie er ist,
Klischee-Typen gibt es – aber nur im Fernsehen. [...]
Dieses Theater ist am Puls der Jugend und trotzdem weder reißerisch, noch anzüglich.“
(Wilhelmshavener Zeitung, Martin Wein, 05.11.00)
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