Mithilfe der TCM zurück ins Leben - topfit

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20 Diagnose & Therapie
Polyneuropathie
Mithilfe der TCM
zurück ins Leben
Wer an Polyneuropathie erkrankt ist, hat
mit einer Vielzahl von Beeinträchtigungen zu kämpfen. Therapeutische Hilfe
ist allerdings schwer zu bekommen: Mit
klassischen Behandlungsmethoden lässt
sich die Nervenerkrankung meist kaum
erfolgreich in den Griff bekommen.
Deutlich besser sieht die Bilanz aus,
wenn die Polyneuropathie mit chinesischen Arznei-Rezepturen behandelt
wird: In der Klinik am Steigerwald in
Gerolzhofen, wo die Polyneuropathie zu
den Hauptindikationen gehört, erfährt
ein Großteil der Patienten eine nachhaltige Linderung ihrer Beschwerden.
Von Dr. Nicole Schaenzler
E
s kribbelt, es zuckt, es sticht, es brennt – und
oft tut es höllisch weh: zwischen den Zehen,
in den Zehen, den Fußsohlen, im Mittelfußbereich, in der Ferse. Tatsächlich beginnt eine Polyneuropathie meist an den Füßen und zeigt sich
vor allem durch Empfindungsstörungen. Besonders häufig sind Taubheitsgefühle und Missempfindungen, die sich z. B. als tausend kleine
Stiche, »Ameisenlaufen« oder als plötzlich einschießende, elektrisierende Schmerzen äußern.
Aber auch ein Fremdkörpergefühl etwa in den
Fußsohlen oder ein Gefühl der Eingeschnürtheit (»Manschettengefühl«) sind möglich. Hinzu kommt eine Überempfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen. Dann genügen oft schon
geringe Berührungen, um eine Schmerzattacke
hervorzurufen, ausgelöst z. B. durch die eigentlich bequemen Schuhe, die Strümpfe, das lauwarme Badewasser, die Bettdecke. Es kann aber
auch sein, dass die Empfindungsfähigkeit eingeschränkt und das Warnsystem »Schmerz« weitgehend außer Kraft gesetzt sind. So können dem
Betroffenen z. B. Druckstellen, Schwielen und
Verletzungen an den Füßen verborgen bleiben,
weil er die durch sie verursachten Beschwerden
nicht mehr richtig spürt – ein Problem, das bei
Diabetikern z. B. mitverantwortlich für die Entstehung des gefürchteten diabetischen Fußes
ist. Eine weitere Symptomvariante sind motorische Beeinträchtigungen, die von einer Muskelschwäche bis hin zu Lähmungserscheinungen
reichen.
Dass das Beschwerdebild so heterogen ist, liegt
am Wesen der Krankheit selbst. Denn bei der
Polyneuropathie handelt es sich um eine (entzündlich-)degenerative Erkrankung der peripheren Nerven, also der Nerven, die außerhalb
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von Gehirn und Rückenmark (zentrales Nervensystem) liegen. »Poly« bedeutet, dass mehr
als ein peripherer Nerv betroffen ist. Ausgangspunkt ist eine Schädigung entweder des Fortsatzes der Nervenzelle (Axon) oder der Umhüllung
des Nervs (Myelinscheide). Beides hat zur Folge, dass die Reizweiterleitung gestört ist, d. h. die
Sig­nale werden nicht mehr fehlerfrei und schnell
genug übertragen. Je nachdem, welche der peripheren Nerven – die motorischen, sensorischen
oder autonomen Nerven – betroffen sind, gestaltet sich auch das Krankheitsbild. So entstehen Empfindungsstörungen wie Kribbeln oder
Taubheitsgefühl, wenn die sensorischen Nerven geschädigt sind, und ein Muskelschwund
geht auf eine Funktionsstörung der motorischen
Nerven zurück. Meist sind die längsten Nervenfasern, die die Zehen oder Finger versorgen, zuerst betroffen.
Eine aufsteigende
Symptomatik ist typisch
Im Allgemeinen entstehen die Symptome symmetrisch und selten asymmetrisch mit Betonung auf einer Seite. Unabhängig davon, haben
Polyneuropathie-Beschwerden die Tendenz,
sich auszubreiten: »Häufig findet man eine von
Jahr zu Jahr aufsteigende Symptomatik von den
Fußsohlen über Füße, Knöchel zu den Knien
bis hin zu Fingern und Händen«, erklärt der
Direktor der Klinik am Steigerwald Dr. Christian Schmincke. Bei etwa jedem fünften Polyneuropathie-Patienten tritt im weiteren Verlauf
zudem ein Restless-Legs-Syndrom auf: Vor allem in Phasen der Ruhe, etwa in den Abend-
stunden oder nachts im Bett während des Einschlafens, werden die Betroffenen von einem
unkontrollierbaren und meist schmerzhaften
Bewegungsdrang in den Beinen heimgesucht.
Und auch dies ist eine häufige Folge der Poly­
neuropathie: Der Erkrankte verliert seine Gangsicherheit. Dann hat er besonders im Dunkeln
oder auf unebenem Boden das Gefühl, »wie auf
Watte« zu gehen und den Boden unter den Füßen nicht mehr richtig zu spüren. Mit der Gang­
unsicherheit geht auch das Empfinden für die
eigene Schwere und die Sicherheit in der Koordination verloren. Oft werden Gehhilfen unvermeidlich – erst der Stock, dann der Rollator,
schließlich der Rollstuhl.
Zu wenig bekannt,
oft zu spät erkannt
Obwohl hierzulande Schätzungen zufolge jedes
Jahr bis zu 10 000 Menschen neu daran erkranken und jeder dritte Diabetiker betroffen ist, gehört die Polyneuropathie nach wie vor zu den
eher unbekannten Erkrankungen. Selbst Ärzte
tun sich bisweilen schwer, die Nervenerkrankung zeitnah zu diagnostizieren. Ein Grund
ist, dass eine Polyneuropathie meist Folge oder
Symptom einer anderen Erkrankung ist. In den
westlichen Industrienationen tritt eine Poly­
neuropathie besonders oft im Rahmen eines
Dia­betes oder einer Alkoholsucht auf. Aber auch
entzündliche Krankheiten wie eine rheumatoide
Arthritis oder eine Entzündung von Blutgefäßen
(Vaskulitis), bestimmte Infektionskrankheiten,
Toxine (z. B. Schwermetalle), ein Nierenschaden,
ein ausgeprägter Vitaminmangel (vor allem ein
Diagnose & Therapie 21
Mangel an Vitamin B1, B6 und B12), verschiedene Krebserkrankungen, einige Wirkstoffe der
Chemotherapie, mitunter auch ein GuillainBarré-Syndrom können eine Polyneuropathie
hervorrufen. Insgesamt sind der Wissenschaft
inzwischen mehr als 200 verschiedene Ursachen
für Polyneuropathien bekannt, darunter auch
einige seltene erblich bedingte Formen. Es gibt
aber auch Fälle, bei denen sich keine Ursache
feststellen lässt – hiervon sind immerhin 20 bis
30 Prozent der Patienten betroffen.
Nicht zuletzt von der Ursache hängt es ab, wie
rasch die Nervenschädigung voranschreitet: »Es
sind galoppierende Verläufe möglich, die den
Patienten innerhalb eines Jahres in den Rollstuhl bringen. Häufiger entwickelt sich eine
Polyneuropathie jedoch schleichend über Jahre und Jahrzehnte vom ersten Auftreten der
Symptome bis zu ernsthaften sensorischen und
motorischen Beeinträchtigungen«, erklärt Dr.
Schmincke.
Uns geht es darum, den Organismus
zu Heilreaktionen zu provozieren,
ohne ihn dabei zu überfordern.
Dr. Christian Schmincke,
Chefarzt der Klinik am Steigerwald
Die konventionelle Medizin richtet sich bei der
Festlegung der Polyneuropathie-Behandlung
im Wesentlichen nach der ursächlichen Erkrankung. So steht z. B. bei einer diabetesbedingten
Polyneuropathie eine optimale Einstellung der
Blutzuckerwerte im Vordergrund, um so einem
Fortschreiten der Polyneuropathie entgegenzuwirken. Zudem kommen Medikamente zum
Einsatz, mit der eine Schmerzlinderung bzw.
bei entzündlichen Formen eine Hemmung der
Entzündung angestrebt wird; begleitend werden
oft Maßnahmen der physikalischen Therapie
verordnet.
Allerdings: Bei den meisten Formen der Poly­
neuropathie sind die Behandlungsergebnisse
der Schulmedizin mehr als ernüchternd. Diese Erfahrung hat auch Rita Groß-Grevenbroich
machen müssen: Die medikamentöse Therapie
zur Linderung ihrer Polyneuropathie-Beschwerden brachte nicht nur keine Besserung, sondern
trug sogar zu einer Verschlechterung ihres Allgemeinzustands bei. Zu diesem Zeitpunkt lag
bereits eine achtjährige Leidenszeit hinter ihr:
»Vor allem nachts tobten wahre Gewitter in
meinen Füßen, ich konnte kaum mehr gehen
und trug auch im Winter Sandalen, weil ich
den Druck von normalen Schuhen nicht mehr
ertragen habe. Aber auch meine Psyche litt: Ich
bekam depressive Verstimmungen und hatte
immer mehr das Gefühl, dass meine Situation
aussichtslos ist«, erinnert sie sich. Eine Recher-
Behandlungsmethoden der TCM
Linsenfußbäder
Linsenfußbäder sind
gerade für Polyneuropathie-Patienten mit
einer eingeschränkten
Empfindungsfähigkeit
eine wichtige Therapiemaßnahme, um das Gefühl in den Fußsohlen
zurückzuerhalten.
Akupunktur
Die hierzulande wohl
­bekannteste Therapie­
methode der TCM ist
ebenfalls ein bewährtes
Verfahren, um in Kombination mit der chinesischen Arzneitherapie Polyneuropathie-Beschwerden wie Taubheitsgefühle, Missem­p­findungen
und Gang­unsicherheit zu
mildern.
Moxibustion
Bei der Moxibustion
werden kleine Mengen getrockneter Beifuß (Artemisia vulgaris)
über Moxibustionspunkten abgebrannt.
Wie bei der Akupunktur
wird die Wirkung über
Anregung der körpereigenen Energieflüsse
erreicht. Chinesische
Arzneitherapie
Die Chinesische Arzneitherapie mittels Dekokten aus chinesischen
Rohdrogen spielt in
der TCM eine wichtige
Rolle. Ein Dekokt ist ein
wässriger Extrakt, der
durch das Kochen von
festen Drogen (z. B. Hölzern, Wurzeln, Rinde)
gewonnen wird.
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22 Diagnose & Therapie
Die chinesische Diagnostik stützt sich auf eine
ausführliche Anamnese sowie auf eine sorgfältige Zungen- und Pulsdiagnostik. Beispiels­weise
kennt die Traditionelle Chinesische Medizin
28 verschiedene Pulse, die an drei Stellen und
in drei Tiefen an den beiden Handgelenken
­getastet werden können.
Therapie nach den
Leitsätzen der TCM
Die Klinik am Steigerwald in Gerolzhofen, wo
die Polyneuropathie seit fast 20 Jahren zu den
Hauptindikationen gehört, behandelt nach den
Methoden der Traditionellen Chinesischen Medizin. Die chinesische Medizin beruht auf einer
eigenen Krankheitstheorie. Die krankmachenden Faktoren sucht sie nicht in einzelnen Substanzen und Mikroorganismen, sondern in »klimatischen« (äußeren) und »emotionalen« (inneren) Gegebenheiten. Dementsprechend verfolgt
die Traditionelle Chinesische Medizin einen
ganzheitlichen Ansatz, der sich individuell am
Patienten orientiert: Es steht nicht die isolierte
Krankheit allein, sondern der Patient mit seinen
ganz eigenen Disharmoniemustern im Fokus.
Wichtigste Behandlungsmethode ist die Arzneitherapie mittels Dekokten aus chinesischen
Rohdrogen. Welche Zusammenstellung im Einzelfall angezeigt ist, wird vorab durch die Erhebung eines ganzheitlichen Status im Rahmen
der chinesischen Diagnostik (Anamnese, Pulsund Zungendiagnose) geklärt.
Bei Polyneuropathie-Patienten richtet sich das
therapeutische Augenmerk der Traditionellen Chinesischen Medizin vor allem auf das
Tan. Tan wird mit »Schleim« bzw. »versteckter
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Schleim« übersetzt und umfasst alle Stoffe, die
sich den Klärungs- und Ausscheidungsaktivitäten des Körpers entzogen haben. »Diese unerwünschten Substanzen haben die Tendenz, sich
im Alter anzuhäufen, in die unteren Körperpartien abzusinken und sich an Gewebestrukturen
oder Kapillarwänden anzulagern. Auch besitzen sie laut chinesischem Begriff die Neigung,
ein entzündliches, gewebeschädigendes Potenzial zu entwickeln. Da sie die Mikrozirkulation
im Gewebe beeinträchtigen und damit dessen
Versorgung und Entsorgung behindern, liegt
hier ein sich selbst verstärkender Prozess vor.
Hat die »Verschleimung« erst einmal begonnen, unterhält sie sich sozusagen selbst«, erläutert Dr. Schmincke. Ziel der chinesischen Therapie ist es, die biochemischen Substrate des Tan
aufzulösen, in die Zirkulation zu überführen
und über geeignete Schleimhautventile auszuscheiden und so den Organismus zu Heilreaktionen zu provozieren – ohne ihn jedoch dabei
zu überfordern. Dies setzt eine engmaschige Registrierung und Bewertung der Behandlung voraus und stellt zugleich hohe Anforderungen an
den Therapeuten: »Bei jedem neu auftretenden
Symp­tom muss er sich fragen: Ist dieses neue
Leiden gut oder nicht gut? Führt es weiter, oder
wirft es zurück? Und er muss die Bewertung mit
dem Patienten diskutieren. Das ist die Kunst, die
die Chinesische Arzneitherapie ausmacht: unsere für diese Krankheit entworfenen Basisrezepturen passend zu modifizieren. Sie müssen an
den einzelnen Patienten und an den individuellen Therapieverlauf immer wieder neu angepasst
werden«, sagt Dr. Schmincke.
Unterstützt wird der Heilungsprozess durch
Akupunktur, verschiedene physiotherapeutische Verfahren und behandlungspflegerische
Maßnahmen wie Blutegel, bewegende Linsenfußbäder und Einreibungen; mitunter gehört
auch eine Psychotherapie dazu.
Mittlerweile sind in der Klinik am Steigerwald
knapp 2000 Patienten auf diese Weise erfolgreich behandelt worden: Eine Dokumentationsstudie zeigt, dass deutlich über 50 Prozent der
Patienten auch langfristig von ihrer Therapie
profitierten. Eine dieser Patientinnen ist Rita
Groß-Grevenbroich: »Schon während meines
stationären Aufenthalts bemerkte ich beinahe
Tag für Tag eine Verbesserung meines Befindens. Inzwischen bin ich nahezu beschwerdefrei: Ich kann wieder gut gehen, meinen Alltag
ohne Schmerzen bewältigen, mit einem guten
Lebensgefühl wieder meinen Beruf ausüben und
meine Freizeit genießen.« Ihre Therapie führt sie
nun zu Hause fort – unterstützt durch die Ärzte der Klinik, mit denen sie in regelmäßigen Telefonkontakt steht und die ihr von Zeit zu Zeit
Kräuter für die Zubereitung ihrer Dekokte schicken; Medikamente nimmt Rita Groß-Grevenbroich nicht mehr ein.
Zur Person
Dr. rer. nat. Christian Schmincke
ist Biochemiker und Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren; seit 1996 ist er Chefarzt
der Klinik am Steigerwald. Nach
mehrjähriger wissenschaftlicher
Tätigkeit am Max-Planck-Institut für Virusforschung
und anschließendem Medizinstudium in Tübingen
erfolgte seine Ausbildung in chinesischer Medizin
bei Lehrern in Europa und China. Er wurde bei Prof.
Glaser in Atemtherapie ausgebildet und arbeitete mit
Prof. Li Bo Ning, Sichuan-Akademie für Traditionelle
Chinesische Medizin zusammen. Vor der Eröffnung
der Klinik am Steigerwald führte Dr. Schmincke über
zwölf Jahre eine naturheilkundliche Allgemeinpraxis.
Seine Erfahrungen fließen in seine umfangreiche
Vortrags- und Lehrtätigkeit ein. Zudem ist Dr.
Schmincke Supervisionsarzt der DECA (Gesellschaft
für die Dokumentation von Erfahrungsmaterial der
Chinesischen Arzneitherapie GmbH).
Fotos: Klinik am Steigerwald, Gerolzhofen
che im Internet leitete schließlich die Wende ein:
»Dort stieß ich auf die Klinik am Steigerwald
und machte mich erstmals bekannt mit dem
Weg der chinesischen Medizin.« Die behandelnden Ärzte, der Hausarzt, ein Neurologe und ein
Gynäkologe, unterstützten ihre Entscheidung,
sich in der Klinik am Steigerwald einer stationären Behandlung zu unterziehen; in seinem
Bericht wies der Neurologe darauf hin, dass er
außer einer Erhöhung der Medikamentendosis
nichts Weiteres mehr für sie tun könne.
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