Norbert Copray schreibt im Publik-Forum Newsletter

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Norbert Copray schreibt im Publik-Forum Newsletter: "Nun wird sich der Bundestag am
22. November in Erster Lesung mit der Regelung der Beschneidung befassen. Ein
fraktionsübergreifender Gesetzesentwurf sieht vor, die Beschneidung auch an Säuglingen
nach Maßgabe der »ärztlichen Kunst« nicht unter Strafe zu stellen. Der Gesetzgeber will
damit Betroffenen Rechtssicherheit geben, nachdem das Landgericht Köln im Mai die
religiöse Beschneidung eines minderjährigen Jungen als rechtswidrige Körperverletzung
gewertet hatte.
Nach einem weiteren fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf sollen Beschneidungen
Minderjähriger aus nicht medizinischen Gründen erst ab 14 Jahren zulässig sein. Bei der
Vorlage sollen die »Kinderrechte im Mittelpunkt« stehen, erklärten die Initiatoren heute in
Berlin. Federführend sind die Kinderbeauftragte der SPD, Marlene Rupprecht, und die
kinderpolitischen Sprecherinnen der Linksfraktion, Diana Golze, und der Grünenfraktion,
Katja Dörner. Die Rechte der Kinder dürften weder aus religiösen noch sonstigen
Erwägungen zur Disposition gestellt werden.
In der deutschen Debatte der letzten Wochen vermisste ich den Beitrag der liberalen Juden,
die auch hierzulande über die pluralistische Debatte im Judentum informieren. Vielleicht
kommen sie stärker im Bundestagshearing am 26. November zu Wort. Denn die jüdische
Haltung zum Thema ist nicht einhellig. Mitnichten. Die Politik und viele Bürger müssen
glauben, dass alle Juden und alle Moslems die Beschneidung wollen. Das ist nicht der Fall, ...
. Aber der Gruppendruck und die entsprechenden sozialen und moralischen Sanktionen sind
so stark, dass nur wenige sich trauen, als Muslime oder Juden die Beschneidung öffentlich
abzulehnen.
Der israelische Journalist und Arzt Gil Yaron hatte im Juni in der FAZ einen Beitrag
geschrieben mit dem Titel: »Primitive Gewaltrituale. Auch ohne Beschneidung ist der Sohn
intakt«. Dazu gab es eine heftige Diskussion. Und es gibt es eine Diskussion andernorts mit
Hinweisen zu einem weiteren Artikel. »Juden wider Beschneidung« sammeln sich in einem
eigenen Portal. Im Blog von Hans-Lutz Oppermann finden sich diverse Links und
Kommentare sowie Informationen zum Thema überwiegend aus jüdischer Sicht.
Er schreibt mir: »Ich denke, die restriktive Haltung vieler jüdischer Gemeinden zu diesem
Thema hat mehrere Gründe. Mir scheint der tiefenpsychologische Moment bei dieser Frage
sehr zentral zu stehen. Die Erfahrung mit der Shoah hat das ganze Judentum angegriffen. Für
die jüdischen Gemeinschaften hat die Beantwortung der Loyalitätsfrage, die mit dem Ritual
bekundet wird, ganz neue Bedeutung bekommen.
Die Beschneidung sollte man als eine Überlebensstrategie des Judentums verstehen, sie soll
die Bedrohung von außen abwehren. Lesen Sie dazu die entsprechenden Textstellen im AT.
Der Bund sollte die Juden schützen, und der nichtbeschnittene Jude war quasi ungeschützt.
Nehmen Sie Moses, er hatte seine Söhne nicht beschnitten, und im Moment der Bedrohung
holt seine Frau die Beschneidung nach, um ihren Sohn zu retten. Hier hat sich in der
jüdischen Realität eine Strategie entwickelt, die den geistigen und symbolischen Umgang mit
der existenziellen Bedrohung einer Gemeinschaft zum Thema hat.
Meiner Ansicht nach fehlt es den heutigen jüdischen Gemeinden an der Gelassenheit, um hier
Tradition und Moderne miteinander zu verbinden, wie es das Bestreben von Abraham Geiger
war. Das Mitgefühl für das Leiden des kleinen Kindes (Schmerzsensation) steht in
Konkurrenz zu einer existenziellen Angst des Kollektivs. Der Mensch ist wenig empathisch,
wenn er Angst hat. Viele in Deutschland lebenden Juden folgten seinem Geiste, doch die
Diskussion wurde abgebrochen durch den aufkommenden Antisemitismus zur
Jahrhundertwende und den Terror der Nazis. Für die überlebenden Juden, die heute in
Deutschland das Meinungsbild bestimmen, war der Gedanke der Assimilation, wie sie Mitte
des vorletzten Jahrhunderts aufkam, ursächlich für den Antisemitismus, und sie sahen darin
eine Falle, die das Judentum gefährdet.
Es gibt im Judentum die Brit Shalom, eine unblutige und symbolische Form der
Beschneidung. Auch das Judentum ist in den letzten 4000 Jahren immer wieder von
Wandlungsprozessen einschneidend verändert worden. Auch wenn der jüdische Mainstream
den Eindruck erweckt, dass die Brit Mila alternativlos sei, so ist das eben Teil der Art und
Weise, wie hier diskutiert wird. Die Diskussion findet nicht in einem Vakuum statt, es gibt
eine immer größer werdende Gruppe von Eltern in Israel, die dieses Ritual nicht mehr
widerspruchsfrei hinnehmen.
Das ist der eine Aspekt, der andere ist: die Frage des Schmerzmanagements. Sie gehen (in
Ihrem Kommentar) davon aus, wenn eine lokale Betäubung erfolgen würde, wären die Folgen
abgemildert. Hier sollten Sie Stellungnahmen von Kinderurologen anhören. Es ist so gut wie
unmöglich, den kleinen Penis eines Säuglings erfolgreich lokalanästhetisch zu versorgen. In 9
von 10 Fällen funktioniert das nicht, sicher wäre nur, wenn der Säugling unter Vollnarkose
behandelt würde. Die Risiken der Vollnarkose stehen dann auf einem weiteren Blatt.
Sigmund Freud hat seine Söhne nicht beschneiden lassen, ich überlasse es meinem Sohn,
diese Entscheidung zu treffen, so wie es auch meine Mutter getan hat, obwohl wir Juden sind.
Ich halte dieses Vorbild für nachahmenswert, und ich fühle mich keinesfalls ausgegrenzt oder
benachteiligt. Der Hinweis auf Abraham Geiger hat mir gut gefallen – denn genau dieser
Geist und die Menschen, die in dieser Tradition standen, wurden von den Nazis vernichtet
und zerstört. Er fehlt heute auch in der Diskussion!«
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