Weinstädter Papier 31.1.2009 Angestoßen durch eine Diskussion

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Weinstädter Papier
31.1.2009
Angestoßen durch eine Diskussion auf unserer Montagsdemo, Zukunft und Ziele der
Volksbewegung im Sinn, sollen folgende Thesen eine Basis für die Weiterentwicklung hin
zu einer bedeutenderen Bewegung gegen die 2010 anstehenden, noch tiefer greifenden
Sozialreformen mit dem Ziel sein, dass das deutsche Volk selbst über sein Sozialsystem
und insgesamt über die betriebene Politik bestimmen kann, und zwar durch Anwachsen
der Montagsdemos zu einer das Volk tatsächlich vertretenden Stimme. Wir sind uns einig,
dass 5000 Demonstranten in Berlin eine sehr schwache Stimme sind. Zur Erzeugung
öffentlicher Aufmerksamkeit muss die Bewegung um den Faktor 10, zu einer
Durchsetzung von Zielen um den Faktor 100 wachsen. Auch wenn die Wirtschaftskrise
das Heer der Armen verdoppeln könnte, müssen diese aktiviert, motiviert und ermutigt
werden, gegen die herrschende Klasse zu opponieren. Folgende 21 Thesen sollen das
Fundament bilden, als aus der Stuttgarter Diskussion kristallisierter möglicher
gemeinsamer Nenner der bunten und breiten Initiative Montagsdemo – M21.
1. Die Agenda 2010 ist falsch. Sie senkt das Volkseinkommen durch Ausweitung
geringfügiger Beschäftigung, Zeitarbeit und anderer unterbezahlter Tätigkeiten.
Gleichfalls wird Erwerbslosen ein Leben unterhalb des mit der Inflation steigenden
Existenzminimums zugemutet. Der Kurswechsel in der Gesetzgebung ist das Ziel.
2. Alternative kann beispielsweise, und das ist das beste Beispiel, ein
steuerfinanziertes Grundeinkommen sein. Die oftmals genannte Rückkehr zum
alten System ist hiergegen im Vergleich zu bürokratisch und bedeutet überdies
nicht den großen Durchbruch. Ein rückwärts gewandtes Konzept ist außerdem für
eine vorwärts gewandte Bewegung nicht gerade überzeugend in der Darstellung.
3. Hieraus wird auch klar, dass die Montagsdemo nicht nur gegen etwas sein muss –
Agenda 2010, Hartzreform, Lohnraub, Sozialabbau, Verarmung, Schikane und
Entmündigung – sondern auch für ein perspektivisches Ziel, zum Beispiel das
Grundeinkommen. Die Bewegung braucht eine positive Aussage: Das wollen wir!
4. Ein solches Ziel ist hauptsächlich zu verfolgen. Die Verbesserung der
Lebenssituation des Volks, dessen Stimme wir sein wollen, hat Vorrang vor allen
anderen weltpolitischen Themen, da sie die in Not geratenen Menschen in unserem
Land nur sehr am Rande betreffen. In Deutschland darf kein Kind mehr hungern,
das muss das zuvorderste Ziel der Montagsdemos sein.
5. Daher sind die durch Agenda 2010 und andere unsoziale Gesetzgebung in Not
geratenen Menschen die, die wir für unsere Sache gewinnen müssen und deren
Sprachrohr wir sein wollen. Wir wollen den Menschen die Chance geben,
einzubringen, was sie bewegt. Sie sind anzusprechen, mit einfacher Fragestellung.
Sie sollen sich gehört und verstanden fühlen.
6. Dazu müssen wir eine klare Sprache sprechen und in unserer Konzeption offen für
die Impulse der Bürger sein. Nur wenn wir uns offen zeigen und auch offen auf
den Montagsdemos aufstellen, werden wir durch Solidarisierungseffekte größere
Menschenmengen und letztlich bedeutende Volksmassen für uns gewinnen.
7. Das offene Mikrofon ist ein wichtiges Instrumentarium. Redebeiträge und Berichte
sollten aber ebenso in einem Blatt abgedruckt werden, das an Passanten verteilt
wird. Außerdem bilden sich die Moderatoren methodisch und rhetorisch fort.
8. Fachsprache, zum Beispiel die Sprache des wissenschaftlichen Sozialismus, wird
von den Menschen, mit denen wir uns langfristig zu großer Zahl zusammenballen
wollen, befremdlich und daher abschreckend, sowohl durch ihre nicht
verstandenen Termini als auch durch den Eindruck einseitiger ideologischer
Einfärbung. Daher sollten Mitglieder unterstützender Parteien nicht mit den
Menschen auf der Straße so abgehoben kommunizieren, wie sie untereinander
kommunizieren würden. Sowohl der Inhalt als auch Methode der
Gesprächsführung ist entscheidend dafür, ob Passanten zu Demonstranten werden.
9. Menschen, die wir für den Zusammenschluss von Volksmassen gewinnen möchten,
sollen unsere Ziele und unsere Gedanken verstehen und von deren Machbarkeit
angesprochen werden. Globale Problematiken beinhalten keine für die Bewegung
machbaren Herausforderungen. Die Herausforderungen liegen in der Veränderung
Deutschlands von unten, durch uns, das Volk, in kleinen Schritten.
10. Menschen ansprechen ist das eine. Ihnen die Hemmungen zu nehmen, bei der
Demo mitzuwirken, das andere. Viele finden uns gut! Aber nur wenige engagieren
sich, da wir einerseits in eine politische Ecke gestellt werden, was wir durch
Veränderung unserer Darstellung ändern müssen. Andererseits ermutigen erst
größere Zusammenballungen und Solidaritätsgesten der Verlierer unserer
Gesellschaft, dass andere Verlierer die Scham überwinden und öffentlich
zusammenstehen. Daher brauchen sie das unmittelbare Gefühl, dass wir an ihrem
Verlierertum etwas ändern können: Dass wir Viele sind, und so überzeugend, dass
wir siegen können. Und dass wir auch wissen, was wir wollen!
11. Die Montagsdemo ist eine außerparlamentarische Volksbewegung. Durch sie soll
das Volk sprechen, Ziel ist folglich, das Volk, oder einen größeren Teil davon,
durch mehrheitsfähige Aussagen für den Protest zu gewinnen. Erst dann bekommt
der Slogan “Wir sind das Volk” Bedeutung.
12. Die Menschen müssen durch klare Darstellung und erreichbare, für sie interessante
Ziele angesprochen werden. Hierzu muss jede Montagsdemo durch kreative
Methoden des Protests zunächst die Aufmerksamkeit der Menschen gewinnen.
Keinesfalls darf es so weiter gehen wie bisher. Ungewöhnliches bewirkt Beachtung.
Provokation bewirkt Beachtung, ihre Risiken werden solidarisch durch Bildung
einer festen Front geschultert. Die Bewegung muss aus dem Trott und auffallen.
13. Die Betroffenen der unsozialen Politik müssen das Gefühl bekommen, sie würden
durch die Montagsdemo vertreten. Daher gehört neben animierenden
Kulturbeiträgen eine Skandalberichterstattung auf jede Demo. Mobbing und
Behördenwillkür müssen laufend dokumentiert und präsentiert werden. Durch
Flugblätter oder das Internet wird eine größere Verbreitung konkreter Fälle und
somit eine Abschreckung der Amtstäter erreicht oder eine öffentlichkeitswirksame
juristische Auseinandersetzung initiiert, die bundesweit publiziert wird.
14. Ideen und Ziele müssen in der heutigen Zeit auch online verbreitet werden. Jede
Montagsdemo sollte eine Homepage haben, auf der berichtet wird, dazu sollte jeder
regelmäßige Teilnehmer in ein Mail-Infomationsnetzwerk eingebunden werden,
über das er in Krisenfällen – Willkür und Schikane, politische Verfolgung –
bundesweit Unterstützung bekommt. So sollten sich auch die Demos untereinander
austauschen, koordinieren und, damit sie nicht mehr als kleine Häuflein da stehen,
häufiger zu größeren regionalen Protestkundgebungen zusammenschließen.
15. Wir machen nicht nur die Presse aufmerksam und pflegen Kontakte dorthin, wir
werden zur Presse. Montagsdemo macht Berichterstattung über Politikfolgen in
Deutschland. Berichte von ganz unten, ohne den Filter, den die Medien durch die
Interessen ihrer Eigner und der Parteien haben. Das Mittel nennt sich Blogs, als Teil
eines Onlinenetzes aller Montagsdemos. Wir sind die Information!
16. Die außerparlamentarische Bewegung, die sich als Sprachrohr des Volks gegenüber
der politischen Klasse, also den Parteien, Verbänden und Interessenvertretern der
Wirtschaft versteht, ist eine breitgefächerte Ansammlung demokratischer Kräfte
aus der Volksmasse. Sie ist keine Partei, sondern eine Koalition verschiedener
Gruppen. Davon sind manche größer und manche kleiner. Sie kann von Parteien
unterstützt werden, die sich mit den Zielen der Bewegung identifizieren.
17. Da die Bewegung eine breite Volksbewegung mit der Bezeichnung “Bundesweite
Montagsdemo” ist, und nicht eine Partei, sollte sie auch einheitlich auftreten.
Flaggen, Banner und Flugblätter sollten daher von der jeweiligen Montagsdemo
sein und nicht von einer Partei oder Gewerkschaft, da die Bewegung nicht zu ihrer
Darstellung dient, sondern zur Durchsetzung von Volksinteressen.
18. Daher soll auf der Montagsdemo auch keine Werbung für Parteien gemacht
werden, denn sie ist keine Wahlkampfveranstaltung, sondern soll einzig Volkes
reine, ideologisch unverblümte Stimme sein. Dies entspricht auch den
Grundsätzen, denn die Bewegung ist ein überparteiliches Aktionsbündnis.
19. Die soziale Marktwirtschaft ist zu einer freien Marktwirtschaft geworden. Diese
führt, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird, zwangsläufig zu Anarchie und Chaos in
Deutschland. Alle Macht geht vom Volke aus, das ist die Theorie. Alle Macht geht
vom Gelde aus, das ist die Praxis. Politik wird von Wirtschaftsinteressen
beeinflusst. Sozialismus ist aber nur eine von mehreren möglichen Lösungen.
20. Klar ist, dass es eine Demokratisierung aller Bereiche des öffentlichen Lebens geben
muss – in Form einer direkten Volkskontrolle von Wirtschaft, Behörden und Politik.
Die Bewegung ist aber weltanschaulich pluralistisch, und wir haben verschiedene
Vorstellungen über den Weg. Dennoch bilden wir eine Front, denn was wir alleine
nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen...
21. Durchhaltevermögen allein führt nicht zum Ziel. Man muss auch wissen, welchen
Weg man durchhalten muss und was überhaupt das Ziel ist.
Weinstadt, 31.1.2009 (dy)
Wie kann die Zukunft der Montagsdemo aussehen?
Das Weinstädter Papier.
Diskussionsgrundlage der Stuttgarter Montagsdemo
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