DIPLOMARBEIT Titel der Diplomarbeit „Die k.u.k. Außenpolitik während und nach der Annexionskrise 1908/1909“ verfasst von Mihriban Acikalin angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag.phil.) Wien, 2014 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 190 347 313 Studienrichtung lt. Studienblatt: Lehramtsstudium UF Französisch und UF Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung Betreuer: Univ.-Doz. Dr. Bertrand Michael Buchmann Eidesstaatliche Erklärung Ich, Mihriban Acikalin, erkläre hiermit an Eides Statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und lediglich unter Benutzung der angegebenen Quellen und Hilfsmittel verfasst habe. Die Diplomarbeit wurde bisher weder in gleicher noch ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Wien, am 07.Jänner 2014 Unterschrift (Mihriban Acikalin) Danksagung Die Erstellung einer Diplomarbeit verlangt nicht nur viel Geduld und Zeit, sondern auch tatkräftige Unterstützung. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei all denen bedanken, die mir bei der Anfertigung meiner Forschungsarbeit und auf dem Weg dorthin geholfen haben. An erster Stelle möchte ich ganz besonders meinen Eltern danken, die nicht nur mein Studium finanziert haben, sondern mich auch über die gesamte Dauer meiner Hochschulausbildung mental unterstützt haben. Ich möchte die vorliegende Arbeit meinen Eltern Melahat und Kenan Müldür widmen. Sehr bedanken möchte ich mich außerdem bei meinem Ehemann Yunus Acikalin, ohne dessen emotionalen Beistand und hilfreichen Anregungen ich niemals fertig geworden wäre. Einen ganz herzlichen Dank möchte ich Herrn Professor Bertrand Michael Buchmann aussprechen, der mir jederzeit bei Fragen und Anliegen zur Verfügung stand und mich während des gesamten Verlaufes der Arbeit mit seiner fachlichen Kompetenz aufgeschlossen unterstützt hat. Bedanken möchte ich mich außerdem bei meinem Bruder Mazlumi für die konstante Unterstützung und für das Interesse an meiner Arbeit. Und schließlich danke ich dem Rest meiner Familie und meinen FreundInnen, die immer für mich da waren und jederzeit ein offenes Ohr für mich hatten, wenn ich Kraft tanken wollte. Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ............................................................................................................................ 1 2 Bosnien und Herzegowina in der Donaumonarchie ........................................................... 4 2.1 2.1.1 Aufstand von 1875 ............................................................................................... 4 2.1.2 Serbisch-Türkischer Krieg ................................................................................... 5 2.1.3 Russisch-Türkischer Krieg ................................................................................... 6 2.1.4 Berliner Kongress ................................................................................................. 6 2.2 3 4 Balkankrise .................................................................................................................. 4 Okkupation von Bosnien-Herzegowina....................................................................... 9 2.2.1 Artikel XXV des Berliner Vertrages .................................................................... 9 2.2.2 Militärische Besetzung und Verwaltung ............................................................ 10 Die Entstehung der Jungtürkischen Bewegung ................................................................ 13 3.1 Die Jungosmanen ....................................................................................................... 13 3.2 Die Anfänge der Jungtürken ...................................................................................... 14 3.3 Die Jungtürkische Revolution ................................................................................... 15 3.3.1 Mürzsteger Programm ........................................................................................ 15 3.3.2 Jungtürkische Erhebung 1908 ............................................................................ 16 Reaktion der Donaumonarchie auf die Jungtürkische Revolution.................................... 18 4.1 Kaiser ......................................................................................................................... 18 4.1.1 Franz Joseph I..................................................................................................... 18 4.1.2 Reaktion des Kaisers .......................................................................................... 22 4.2 Thronfolger ................................................................................................................ 23 4.2.1 Franz Ferdinand von Österreich-Este ................................................................. 23 4.2.2 Reaktion des Thronfolgers ................................................................................. 26 4.3 Außenpolitik .............................................................................................................. 27 4.3.1 Alois Lexa von Aehrenthal ................................................................................ 27 4.3.2 Reaktion des Außenministers ............................................................................. 31 4.4 4.4.1 Max Wladimir Freiherr von Beck ...................................................................... 41 4.4.2 Reaktion Becks ................................................................................................... 42 4.4.3 Sándor Wekerle .................................................................................................. 45 4.4.4 Reaktion Wekerles ............................................................................................. 47 4.5 Stephan Burián ................................................................................................... 49 4.5.2 Reaktion des Finanzministers............................................................................. 50 Militär ........................................................................................................................ 52 4.6.1 Franz von Schönaich .......................................................................................... 52 4.6.2 Reaktion des Kriegsministers ............................................................................. 53 4.6.3 Franz Conrad von Hoetzendorf .......................................................................... 54 4.6.4 Reaktion des Generalstabchefs ........................................................................... 57 Die Annexion Bosniens und der Herzegowina ................................................................. 59 5.1 Gründe der Annexion ................................................................................................ 59 5.2 Annexionserklärung................................................................................................... 60 5.2.1 Annexionserklärung in Österreich-Ungarn ........................................................ 60 5.2.2 Annexionsverkündung an die europäischen Herrscher ...................................... 61 5.2.3 Mitteilung an die k.u.k. Botschaften .................................................................. 62 5.2.4 Annexionserklärung an das Osmanische Reich ................................................. 63 5.2.5 Proklamation an die annektierten Gebiete.......................................................... 64 5.3 6 Finanzministerium ..................................................................................................... 49 4.5.1 4.6 5 Ministerpräsidenten ................................................................................................... 41 Völkerrechtliche Begriffserklärung und Beurteilung der Annexion ......................... 64 5.3.1 Begriff der Annexion ......................................................................................... 64 5.3.2 Beurteilung der Annexion von Bosnien und der Herzegowina.......................... 66 Die Annexionskrise ........................................................................................................... 69 6.1 Internationale Reaktionen .......................................................................................... 69 6.1.1 England............................................................................................................... 70 6.1.2 Russland ............................................................................................................. 70 6.1.3 Frankreich........................................................................................................... 71 6.1.4 Italien .................................................................................................................. 71 6.1.5 Deutschland ........................................................................................................ 72 6.1.6 Serbien ................................................................................................................ 73 6.1.7 Türkei ................................................................................................................. 74 6.2 7 Die Beilegung der Krise ............................................................................................ 75 6.2.1 Konferenzpläne Russlands ................................................................................. 75 6.2.2 Österreichisch-türkische Einigung ..................................................................... 76 6.2.3 Österreichisch-serbischer Konflikt ..................................................................... 79 6.2.4 Beendigung der Krise ......................................................................................... 80 Zusammenfassung............................................................................................................. 82 ANHANG................................................................................................................................. 84 8 9 Quellen-und Literaturverzeichnis ..................................................................................... 85 8.1 Quellen....................................................................................................................... 85 8.2 Literatur ..................................................................................................................... 86 Internetquellen .................................................................................................................. 89 10 Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................... 92 11 Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................................... 94 12 Abstract ............................................................................................................................. 95 13 Lebenslauf ......................................................................................................................... 96 1 Einleitung Die Annexion Bosniens und der Herzegowina 1 durch Österreich-Ungarn am 5.Oktober legt den Keim für die Urkatastrophe des 20.Jahrhunderts, wie der Historiker George F. Kennan den Ersten Weltkrieg genannt hat. 2 Das Vorspiel des Ersten Weltkrieges begann mit der Ankündigung der Annexion von Bosnien und der Herzegowina, „eines der markantesten Ereignisse der Geschichte der Monarchie im ersten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts“ 3, durch Kaiser Franz Joseph I. im Jahre 1908. Die vorliegende Forschungsarbeit wird die Annexion der beiden Gebiete und die unmittelbar daran anschließende Annexionskrise, die den europäischen Kontinent ein halbes Jahr lang beschäftigte, behandeln und soll somit einen wichtigen Beitrag zur Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges leisten. Zum vorliegenden Themenkomplex liegt eine umfangreiche Quellen- und Literaturauswahl vor. Deshalb war es anfangs sehr schwierig und zeitaufwändig das Material einzugrenzen. Da in dieser Arbeit in erster Linie mit österreichischen Materialien gearbeitet wird, kann wenig über die türkische Sichtweise gesagt werden. Der erste Teil meiner Arbeit behandelt, um die historische Entwicklung näher zu bringen und den Zeitraum vor der Annexion im Jahre 1908 zu skizzieren, die Balkankrise im 19.Jahrhundert. Diese kurze Betrachtung soll den LeserInnen vor allem darlegen, wie Österreich-Ungarn überhaupt das Verwaltungs- und Okkupationsrecht über BosnienHerzegowina erhielt. Auch ist es wichtig zu veranschaulichen, dass Österreich-Ungarn nicht als einzige europäische Macht Interesse am Balkan hatte. Als Hilfe zum Verfassen dieses Kapitels dienten die wissenschaftlichen Arbeiten - um nur einige zu nennen - „Das Osmanische Reich“ von Josef Matuz (Darmstadt 1996), „Österreich und das Osmanische Reich“ von Bertrand Michael Buchmann (Wien 1999) und „Annexion und Erwerb Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahre 1908“ von 1 Im gesamten Text wird diese Schreibweise verwendet. Johannes Ebert, Die Chronik- Geschichte des 20.Jahrhunderts bis heute, Gütersloh (u.a.) 2006, 65. 3 Géza Andreas von Geyr, Sándor Wekerle 1848-1921, Die politische Biographie eines ungarischen Staatsmannes der Donaumonarchie, R.Oldenbourg Verlag, München 1993, 289. 2 1 Heinz-Georg Kamler (Wien 1967) Das folgende Kapitel enthält einen historischwissenschaftlichen Teil über die Entstehungsgeschichte der Jungtürken. Es wird untersucht, wie die Jungtürken überhaupt entstanden sind und warum es zu einem jungtürkischen Aufstand im Osmanischen Reich gekommen ist. Das Hauptaugenmerk der Arbeit, das im vierten Kapitel bearbeitet wird, basiert auf den Reaktionen der verschiedenen Funktionsträger und Politiker in der Donaumonarchie vom Moment der jungtürkischen Revolution (Juli 1908) bis zum Beschluss der Annexion (Oktober 1908). Die Untersuchung ist dabei ausschließlich auf der außenpolitischen Ebene angesiedelt. Die Reaktion des Kaisers Franz Joseph I., des Thronfolgers Franz Ferdinand, der beiden Ministerpräsidenten Beck und Wekerle, des Außenministers Aehrenthal, des Kriegsministers Schönaich, des Finanzministers Burián und des Generalstabchefs Conrad, werden quellenkritisch analysiert. Der Quellenschwerpunkt dieses Kapitels basiert auf den Protokollen des gemeinsamen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monarchie und auf den Aktenstücken aus „Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914“, herausgegeben von Johannes Lepsius, Albrecht Mendelssohn Bartholdy und Friedrich Thimme und aus „Österreich-Ungarns Aussenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch“, herausgegeben von Ludwig Bittner und Hans Uebersberger. Im Anschluss daran werden die Gründe der Annexion und der völkerrechtliche Status von Bosnien und der Herzegowina nach der k.u.k. Annexionserklärung am 5.Oktober 1908 untersucht. Die Frage der Geltung und des Inhalts des Effektivitätsprinzips im klassischen Völkerrecht wird ausführlich behandelt. Als Hilfe für die Analyse, inwieweit die Annexion Bosnien und Herzegowinas völkerrechtlich akzeptabel war, wurden in erster Linie die Dissertationen „Okkupation und Annexion Bosniens und der Herzegowina in historischer und völkerrechtlicher Sicht“ von Peter Krämmer (Wien 1971) und „Annexion und Erwerb Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahre 1908“ von Kamler herangezogen. In den letzten beiden Teilen dieser Arbeit wird genauer auf die Folgen der Einverleibung und die Beilegung der Annexionskrise eingegangen. Welche Konsequenzen ergaben sich durch das Vorgehen der Donaumonarchie? Wie reagierten die europäischen Mächte (England, Russland, Frankreich, Italien, Deutschland) bzw. die Länder des Balkans (Türkei, Serbien) 2 auf die Annexion? Abschließend werden die diplomatischen Bemühungen des k.u.k. Außenministers Aehrenthal, eine Beendigung der Annexionskrise herbeizuführen, behandelt. 3 2 Bosnien und Herzegowina in der Donaumonarchie 2.1 2.1.1 Balkankrise Aufstand von 1875 Von allen Provinzen des Osmanischen Reiches war die Lage in Bosnien und der Herzegowina am schlimmsten. Es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen katholischen Kroaten, orthodoxen Serben, moslemischen „Bosniaken“ (das sind Serben und Kroaten) und Türken. Eine wichtige Rolle spielten auch panslawistische Bewegungen, - deren Zentrum in Moskau war - die eine breite Propaganda für die Einigung aller Slawen unter russischer Führung entfaltet hatten. Unter der christlichen Bevölkerung, deren Lage sich im Laufe des 19.Jahrhunderts in religiöser wie auch wirtschaftlicher Hinsicht drastisch verschlechtert hatte, brach am 9.Juli 1875 ein Aufstand in der Herzegowina aus. Der Kampf weitete sich zunächst auf die gesamte Provinz, dann auf Bosnien und schließlich auf den europäischen Teil der Türkei aus. 4 Der Versuch des Osmanischen Reiches, den Aufstand eigenhändig und ohne fremden Einfluss niederzuschlagen, scheiterte von Anfang an. Obwohl der bosnische Aufstand eine interne Angelegenheit der Osmanen war, mischten sich die europäischen Mächte Österreich-Ungarn und Russland ein. 5 Unmittelbar nach dem Aufstand der christlichen Bevölkerung kam der Gedanke in Österreich hoch, die beiden Provinzen in Österreichs Einflussbereich zu ziehen. Doch man wartete zunächst ab und schlug Reformen vor, die aber nicht durchgeführt werden konnten, weil weder die Christen noch die Moslems zustimmten. Die christliche Bevölkerung lehnte den Reformplan ab, weil sie nicht daran glaubten, dass das Osmanische Reich die Reformen 4 Vgl. Heinz-Georg Kamler, Annexion und Erwerb Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahre 1908 (Dissertation), Wien 1967, 7ff. 5 Vgl. Karl Vocelka, Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie 1848-1918. In: Adam Wandruszka/ Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918, Band 6/2, Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1993, 257. 4 durchführen werde. Die Angehörigen des Islam stimmten nicht zu, weil sie eine Gleichstellung mit der christlichen Bevölkerung verhindern wollten. 6 2.1.2 Serbisch-Türkischer Krieg Nach den erfolglosen Friedensbemühungen weitete sich der Aufstand aus, und Anfang Mai 1876 lehnte sich auch die bulgarische Bevölkerung auf. Als im selben Jahr auch die Serben in den Konflikt eintraten, war der gesamte Balkan betroffen und man sprach von einer allgemeinen „Balkankrise“. 7 Die Serben schickten den Osmanen ein Ultimatum, in welchem sie verlangten, dass Bosnien unter serbische und Herzegowina unter montenegrische Verwaltung gebracht werden solle. Serbien erklärte daraufhin, ohne auf die Antwort des türkischen Reiches zu warten, der Pforte am 2.Juli 1876 den Krieg und marschierte in die beiden Provinzen ein. 8 Beide Mächte erlitten Niederlagen, weshalb Russland Serbien bereits im Herbst drängte, Frieden zu schließen. Im Dezember 1876 traten die europäischen Staaten zur Besprechung der brisanten Lage auf dem Balkan in Konstantinopel zusammen. Kurz vor Verhandlungsbeginn schaffte Sultan Abdülhamid II 9, um ein Entgegenkommen von den europäischen Großmächten zu erhalten, den Absolutismus ab und führte den Parlamentarismus ein. 10 Die während der Konstantinopler Konferenz erarbeiteten Bestimmungen zur Lösung der Balkankrise wurden 1877 im sogenannten „Londoner Protokoll“ formuliert, darunter war auch ein autonomer Status für Bosnien und Herzegowina vorgesehen. 11 Doch die im Dezember 1876 begonnene Konferenz endete im Jänner 1877 ohne Ergebnis, weil die Osmanen den zwei wichtigsten Grundsätzen des Protokolls nicht zugestimmt hatten 12: • Mitwirkung der Großmächte bei Ernennung der Gouverneure in den christlichen Provinzen 6 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 10f. Vgl. Josef Matuz, Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Primus Verlag, Darmstadt3 1996, 235. 8 Vgl ebd., 12. 9 Im gesamten Text wird diese Schreibweise verwendet. 10 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 235. 11 Ebd. 238. 12 Vgl. Bertrand Michael Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich. Eine bilaterale Geschichte, WUVUniv.-Verlag, Wien 1999, 224. 7 5 • Einsetzung einer aus Bevollmächtigten der Großmächte bestehenden Aufsichtskommission 13 2.1.3 Russisch-Türkischer Krieg Das Zarenreich schloss noch vor Kriegsbeginn mit Kaiser Franz Joseph eine Geheimkonvention in Budapest ab, die den österreichischen Monarchen zur Neutralität verpflichtete, falls es zu einem Krieg zwischen der Pforte und den Russen kommen sollte. Als Gegenleistung würde Österreich-Ungarn, das Recht, Bosnien und Herzegowina zu besetzen, erhalten. 14 Kurz nach diesem Vertrag folgte am 24.April 1877 die Kriegserklärung der Russen an das Osmanische Reich. Noch am selben Tag passierten die Truppen die Grenze. Wider Erwarten hatte das Zarenreich kein leichtes Spiel. Es gelang ihnen erst nach langen Kämpfen, die Osmanen im Dezember 1877 zu besiegen. 15 Die Russen, die im Zuge des Krieges die Vororte der osmanischen Hauptstadt erreichten, zwangen das Osmanische Reich, am 3.März 1878 den Frieden von San Stefano (heute: Yeşilköy/Istanbul), der den Verlust fast aller europäischer Territorien bedeutete, zu unterzeichnen. 16 Der Friedensvertrag bestimmte die Unabhängigkeit Serbiens und Montenegro. Während Montenegro um das Dreifache wuchs, erhielten die Serben kaum Gebietserweiterung. Außerdem führte der Vertrag von San Stefano zu einem Gebietszuwachs für Bulgarien und Rumänien. Bosnien und Herzegowina sollten zu einer selbständigen Provinz vereinigt werden, welche unter Österreich-Ungarns Verwaltung gestellt werden solle. 17 2.1.4 Berliner Kongress Die Reaktion Europas auf den Vertrag von San Stefano war alles andere als erfreulich: „Ganz Europa, ausgenommen Bulgarien und Montenegro, waren über seinen Inhalt empört [...].“18 13 Vgl. ebd. Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 224. 15 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 20. 16 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 238. 17 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 23f. 18 Ebd. 26. 14 6 Die europäischen Mächte, die sich in ihren eigenen Interessen bedroht fühlten, leisteten Widerstand. Um die drohende Kriegsgefahr zu beseitigen, vermittelte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck zwischen den Großmächten. 19 Er berief alle am Konflikt beteiligten Mächte zu einer Konferenz in Berlin zusammen. An dem Kongress, der am 13.Juni 1878 begann, nahmen zweiundzwanzig Vertreter aus sieben Ländern (England, Deutschland, Russland, Italien, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich) teil. Der Friede von San Stefano wurde artikelweise bearbeitet. Die Besprechungen lassen sich in drei Teile gliedern. Zuerst wurde das Problem Bulgarien behandelt. Die zweite größere Frage betraf Bosnien und Herzegowina. In der letzten Etappe der Beratungen wurden verschiedene Probleme behandelt. Nach dreißig Tagen endete der Kongress am 13.Juli 1878 mit der Unterzeichnung des Berliner Vertrages. 20 Der Berliner Kongress brachte schließlich die Beendigung der Balkankrise. Der Berliner Kongress wurde auf Wunsch des Berliner Magistrates vom Künstler Anton von Werner bildlich festgehalten. Auf Bitte Bismarcks ließ der Maler, der Sonderbefugnisse erhielt, um an den Sitzungen teilzunehmen, die Kongressteilnehmer in ihren offiziellen Kleidungen erscheinen. 21 19 Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 225. Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 29f. 21 Vgl. Der Berliner Kongress WWW: http://kunstkommtvonkoennen.blogspot.co.at/2009_04_01_archive.html [Zugriff am: 29.08.2013]. 20 7 Abb.1: Anton von Werner, „Der Berliner Kongress von 1878“, Erste Skizze. WWW: http://kunstkommtvonkoennen.blogspot.co.at/2009_04_01_archive.html [Zugriff am:29.08.2013] Dieser Entwurf enthält alle Elemente, die auch auf dem fertiggestellten Gemälde am 22.März 1881 enthalten sind. Der Hofmaler Anton von Werner hatte den Auftrag zu diesem Gemälde frühzeitig erhalten und war bei der letzten Sitzung des Berliner Kongresses am 13.Juli 1878, die hier dargestellt ist, anwesend. 22 Den Mittelpunkt des Bildes stellt das Trio im Vordergrund dar, genauer genommen der Handschlag zwischen Bismarck und dem russischen Diplomaten Schuwalow. Der österreichisch-ungarische Außenminister Andrássy schaut den beiden Politikern zu. 23 22 Vgl. Der Berliner Kongress (Entwurf) WWW : http://antonvonwerner.blogspot.co.at/2010/02/1878-der-berliner-kongress-entwurf.html [Zugriff am: 29.08.2013]. 23 Vgl. Bilder-Militär und internationale Beziehungen WWW:http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_image.cfm?image_id=1419&language=german [Zugriff am: 23.08.2013] 8 2.2 Okkupation von Bosnien-Herzegowina 2.2.1 Artikel XXV des Berliner Vertrages Viele wichtige Entscheidungen wurden auf dem Berliner Kongress getroffen, darunter die Okkupation Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn in Artikel XXV: Die Provinzen Bosnien und Herzegowina werden durch Österreich-Ungarn besetzt und verwaltet. Da die österreichisch-ungarische Regierung nicht den Wunsch hegt, auch die Verwaltung des Sandschak 24 Novi Pazar 25, der sich zwischen Serbien und Montenegro in südöstlicher Richtung bis über Mitrovitza hinaus erstreckt, zu übernehmen, wird dort die ottomanische Verwaltung weiterdauern. Um aber für die Fortdauer des neuen politischen Zustandes sowie für die Freiheit und Sicherheit der Verkehrswege Gewähr zu leisten, behält sich Österreich-Ungarn das Recht vor, im ganzen Bereich dieses Teils des vormaligen Vilajets von Bosnien Garnisonen zu halten und Militär-und Handelsstraßen zu besetzen. Zu diesem Zwecke behalten sich die Regierungen von Österreich-Ungarn und der Türkei vor, sich über die Einzelheiten zu verständigen. 26 Der Artikel 25 gab der Donaumonarchie das Recht der Besetzung und Verwaltung der beiden osmanischen Provinzen. Novi Pazar hingegen blieb weiterhin unter der Verwaltung der Osmanen. 27 Hier hatte aber Österreich-Ungarn das Recht, Truppen aufzustellen und Handelswege zu errichten. 28 Der Artikel 25 enthält aber keinerlei zeitliche oder inhaltliche Eingrenzung: „Er gibt also weder darüber Aufschluss, ob dieser Zustand als provisorisch oder endgültig zu betrachten ist, noch ob die Monarchie die diesbezüglichen Rechte und Pflichten in eigenem Namen ausüben solle.“ 29 Um den Berliner Akten zuzustimmen, stellten die Türken eine Bedingung auf: Österreich-Ungarn soll schriftlich erklären, dass die Okkupation nur provisorisch sei. In einer Geheimkonvention, die am 13.Juli 1878 zwischen Wien und 24 Im gesamten Text wird diese Schreibweise verwendet. Im gesamten Text wird diese Schreibweise verwendet. 26 Otto Frass, Quellenbuch der österreichischen Geschichte. Von Joseph II. bis zum Ende der Großmacht, Band 3, Birken-Verlag, Wien 1962, Nr.181, 279. 27 Vgl. W.M. Carlgren, Iswolsky und Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise. Russische und österreichisch-ungarische Balkanpolitik 1906-1908,Uppsala 1955, 2. 28 Vgl. Leopold von Chlumecky, Erzherzog Franz Ferdinands Wirken und Wollen, Verlag für Kulturpolitik, Berlin 1929, 95. 29 Kamler, Annexion und Erwerb, 54. 25 9 Konstantinopel abgeschlossen wurde, wurde seitens der Monarchie nochmals der provisorische Charakter der Provinzen bestätigt. In der „Konstantinopeler Konvention“ vom 21.April 1879 wurde die Souveränität des Sultans gesichert. 30 Zusammenfassend ist zu sagen, dass „Österreich-Ungarn auf Grund der völkerrechtlichen Vereinbarungen von 1878 und 1879 die volle Ausübung der Staatsgewalt - nicht aber letztere selbst - in Bosnien und der Herzegowina eingeräumt worden war.“ 31 2.2.2 Militärische Besetzung und Verwaltung Österreich rechnete mit einer sofortigen Inbesitznahme Bosniens. Als aber die ersten Truppen am 29.Juli 1878 nach Bosnien einmarschierten, stand die österreichisch-ungarische Armee vor einem großen Widerstand. Moslemische Gruppen, unterstützt von den Osmanen, lieferten den Österreichern blutige Kämpfe. Daraufhin verdoppelte die Habsburgermonarchie ihre Truppen von 72.000 auf 155.000 Mann. 32 Die Auseinandersetzungen waren sehr schwierig, und erst nach vielen Gefechten wurde am 6.August 1878 Mostar und zwei Wochen später Sarajewo eingenommen. Nach Erhöhung der Truppen auf 160.000 Mann konnte auch die Okkupation der Herzegowina am 23.September 1878 abgeschlossen werden. Bosnien fiel am 20.Oktober. 33 Der Monarchie gelang es also erst nach drei Monaten, das osmanische Staatsgebiet Bosnien-Herzegowina, wie es in der folgenden Karte zu sehen ist, zu okkupieren. 30 Vgl. Rubina Möhring, Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich 1908-1912 (Dissertation), Wien 1978, 1f. 31 Kamler, Annexion und Erwerb, 58. 32 Vgl. Buchmann, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich, 227. 33 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 46f. 10 Abb.2: Zerfall der europäischen Türkei (vor 1878). Vgl. Brzobohaty/ Salmeyer/Zellhofer (u.a.), Zeitfenster 6. Lehrbuch für Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung für AHS, Wien 2013, 111. WWW: http://www.hoelzel.at/einzelnews.html?&cHash=727b94a6fdf552fecec6cd2ad7932afb&tx_ttn ews[sViewPointer]=1&tx_ttnews[tt_news]=73 [Zugriff am: 13.11.2013] Zwischen dem Osmanischen Reich und Bosnien-Herzegowina bestand nach 1878 kaum politischer Bezug mehr. Der einzige Zusammenhang war, dass in den Moscheen für den 11 Sultan als Landesherrn gebetet wurde und dass das religiöse Oberhaupt der Moslems die Investitur in Konstantinopel beantragen musste. 34 Die neue Provinz wurde wie eine Kolonie vom gemeinsamen k.u.k. Finanzministerium verwaltet. Sie wurde weder in die österreichische, noch in die ungarische Reichshälfte eingegliedert. Obwohl Bosnien und Herzegowina formal dem Osmanischen Reich angehörten, wurde den Bewohnern die rechtliche Gleichstellung mit den Bewohnern der Donaumonarchie gewährt. Österreich hatte ein „Einrichtungswerk“ zu vollbringen: Das sich selbst überlassene Gebiet musste neu gestaltet werden. Das Leben in der von der Pforte völlig ruinierten Provinz wurde an das übrige Leben in der Monarchie angepasst. Es wurde mit der agrarischen Urbarmachung begonnen. Schulen, Spitäler, Waisenhäuser und Pflegeheime wurden errichtet. Die Verkehrsinfrastruktur wurde von Null begonnen: Straßen und Bahnen wurden angelegt. Der Neuaufbau der Kolonie kostete Unsummen an Geld. Die Donaumonarchie musste aufgrund der desolaten Lage von Bosnien und Herzegowina sehr viel in das Einrichtungswerk investieren. 35 34 Vgl. Freiherr von Musulin, Das Haus am Ballhausplatz. Die Erinnerungen eines österreichisch-ungarischen Diplomaten, Verlag für Kulturpolitik, München 1924, 164. 35 Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 227ff. 12 3 3.1 Die Entstehung der Jungtürkischen Bewegung Die Jungosmanen Im langsam zusammenbrechenden Osmanischen Reich kam im 19.Jahrhundert unter einem bestimmten Teil der Bevölkerung der Gedanke hoch, das Reich der europäischen Welt anzupassen. Besonders nach dem Krimkrieg fing man an, den europäischen Einfluss im Osmanischen Reich zu spüren. Es bildete sich eine gewisse Intellektuellenschicht heraus, die begann, Begriffe wie „Parlament“, „Vaterland“ oder „Verfassung“ zu verwenden. 36 Konservative Gegner des Sultans im Osmanischen Reich vermehrten sich, darunter die in den 60er-Jahren des 19.Jahrhunderts entstandene Bewegung der „Jungosmanen“ (türk. „Genç Osmanlilar“), die sich 1865 geheim konstituiert hatten. Zu den wichtigsten Gründungsmitgliedern gehörten der berühmte Dichter Namik Kemal, Ziya Bey und Ali Suavi. Die Gruppe richtete sich gegen die Tanzimat-Reformen des Sultans, die nach Ansicht der Jungosmanen keine Demokratie herbeischafften, sondern vielmehr den Absolutismus des Herrschers absicherte. 37 Um das erwünschte Ziel zu erreichen, musste der absolutistische Regierungsstil des Sultans abgeschafft werden. Denn dieser stellte ein Hindernis für die von den Jungosmanen geforderte Europäisierung dar. 38 Als die im Untergrund gegründete Bewegung 1867 von der osmanischen Regierung entdeckt wurde, mussten alle (inzwischen umfasste die Bewegung ungefähr 250 Mitglieder) nach Paris emigrieren. Im Exil gaben die Jungosmanen verschiedene Zeitschriften heraus, darunter die noch heute in der Türkei existierende Zeitung „Hürriyet“. 1870 konnten die Exilanten heimkehren. Sie setzten in Konstantinopel ihre publizistische Tätigkeit fort. Da aber das gesellschaftliche Fundament fehlte, konnten sie keinen Erfolg erzielen. 39 Sultan Abdülhamid II. beseitigte in den 70er-Jahren des 19.Jahrhunderts, in der sogenannten „zulüm dönemi“ (d.h. „Unterdrückungsära“), alle ihm politisch gefährlich erscheinenden 36 Vgl. Mehmet Hacisalihoglu, Die Jungtürken und die Mazedonische Frage (1890-1918), Oldenbourg Verlag GmbH, München 2003, 58f. 37 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 237. 38 Vgl. Metin Yildirim, Türkischer Nationalismus Gestern und Heute, Die Auswirkungen des nationalistischen Diskurses auf die türkische Gesellschaft vom 19.Jahrhundert bis zur Gegenwart (Magisterarbeit), Freiburg 2010, 24. WWW:http://books.google.at/books?id=jIu73oRDhNgC&pg=PT30&lpg=PT30&dq=jungosmanen&source=bl& ots=jG4GCill45&sig=sqthEkTHnY_JkdWinUOLLnNkjYs&hl=de&sa=X&ei=G7EcUprIPKrP4QSTwIFI&sqi= 2&ved=0CF4Q6AEwCQ#v=onepage&q=jungosmanen&f=false [Zugriff am: 27.08.2013]. 39 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 237. 13 Personen und Gruppen. In dieser Zeit fanden auch die Jungosmanen ihr Ende: Sie wurden verbannt, kamen ins Gefängnis oder übernahmen verschiedene staatliche Ämter. 40 3.2 Die Anfänge der Jungtürken Nach der Vernichtung der Jungosmanen dauerte es zwei Jahrzehnte, bis sich die Opposition gegen den absolutistisch und ohne Parlament herrschenden Sultan Abdülhamid II. 41 neu bilden konnte. 1885 wurde in Paris von Emigranten die Zeitschrift „La Jeune Turquie“ (dt. „Die Junge Türkei“) gegründet, die namensgebend für die spätere Erneuerungsbewegung im Osmanischen Reich, der „Jungtürkischen Bewegung“, wurde. Nicht nur im Ausland, sondern auch in der Heimat wurden die Stimmen der Opposition laut. Die Welle der Verhaftungen und Verfolgungen begann - wie schon zuvor bei den Jungosmanen. Doch diesmal konnte der Terror des Sultans nicht viel bewirken. Die Opposition war erstarkt. 1889 wurde das Geheimkomitee „Ittihat ve Terakki“ (d.h. Einheit und Fortschritt) von Studenten der Militärärztlichen Akademie in Istanbul gegründet. Bald traten dieser politischen Gruppierung auch Studenten anderer Universitäten, sowie Beamte, Intellektuelle und Offiziere bei. 42 Auch die Mitglieder dieser Gruppe waren Abdülhamid II. ein Dorn im Auge, weshalb viele ins Ausland emigrieren mussten (v.a. nach Westeuropa) und dort „in verschiedenen Gruppierungen Front machten und eine rege publizistische Tätigkeit entfalteten“. 43 Das Hauptziel aller Gruppen war die Wiederherstellung der Verfassung von 1876. 1902 misslang das gemeinsame Vorgehen der Exilgruppen, und es bildeten sich zwei Parteien heraus: die „Liberalen“ und die „Nationalisten“. Die Nationalisten unter Ahmet Riza fanden in der Heimat größeren Beifall bei den Intellektuellen als die liberalistische Fraktion des Prinzen Sabaheddin. 44 40 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 240. Abdülhamit II. hatte 1878 das Parlament wieder aufgelöst. 42 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 249. 43 Ebd. 249. 44 Vgl. ebd. 250. 41 14 3.3 Die Jungtürkische Revolution 3.3.1 Mürzsteger Programm Die weitgehende Unwirksamkeit der bisherigen Reform- und Friedensversuche der europäischen Großmächte am Balkan veranlasste den Zaren Nikolaus II. und den österreichisch-ungarischen Kaiser Franz Joseph I., einander zu treffen. 45 Die beiden kamen am 30.September 1903 im steirischen Mürzsteg zusammen, um die Lage des Balkans zu besprechen - „zum letzten Mal fanden die beiden Mächte zu einer gemeinsamen Regelung.“ 46 Die Verhandlungen dauerten bis 3.Oktober 1903. In den Beratungen erarbeiteten Goluchowski und Lambsdorff, die Außenminister beider Reiche, eine Reihe von Reformen, die als „Mürzsteger Programm“ in die Geschichte eingingen. Die in Mürzsteg entworfenen Ideen dienten bis 1908 als Grundlage in der mazedonischen Reformfrage. Um nur die wichtigsten Punkte zu nennen: • Reorganisation der Justiz-und Finanzverwaltung • Reorganisation der Gendarmerie • Einführung von Kontrollinstanzen • Ernennung eines österreichisch-ungarischen und eines russischen Zivilagenten. Deren Aufgabe war es, den türkischen Generalinspektor der drei makedonischen Wilajets Üsküp (Skopje), Monastir und Saloniki zu beraten und zu kontrollieren 47 Da mit der Forderung, die im letzten Punkt vorkommt, die Souveränität des Sultans verletzt wurde, lehnte Abdülhamid II. die Beschlüsse des Mürzsteger Abkommens zunächst strikt ab. Der osmanische Herrscher akzeptierte erst am 24.November 1903 „nach fast vierwöchigem Sträuben“ 48 das „Mürzsteger Programm“. Das makedonische Reformprogamm dauerte bis zum Jahre 1908. 49 Die durch innere Unruhen und Aufstände geschwächten Osmanen zeigten gerade in der mazedonischen Frage, „wie wenige Bereiche der Handlungsfreiheit das Osmanische Reich 45 Vgl. Isabel F. Pantenburg, Im Schatten des Zweibundes, Probleme österreichisch-ungarischer Bündnispolitik 1897-1908, Böhlau, Wien [u.a.] 1996, 330. 46 Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 245. 47 Vgl. Pantenburg, Im Schatten des Zweibundes, 331. 48 Ebd. 345. 49 Vgl. Vocelka, Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, 266. 15 sich noch zu bewahren imstande war, alle wichtigen Fragen wurden in erster Linie von den Großmächten entschieden, und die Türken konnten darauf nur in einem sehr bescheidenen Umfang reagieren.“ 50 3.3.2 Jungtürkische Erhebung 1908 „Gegen all diese Verfallserscheinungen im Reiche“ 51 bildeten sich nach 1905 nun auch im Osmanischen Reich oppositionelle Gruppen, um das autokratische Regime des Sultans zu stürzen. Das Zentrum der Jungtürken war die makedonische Stadt Thessaloniki. Seit dem Jahre 1906 waren hier die Mitglieder des „Ittihat ve Terraki“ im Untergrund tätig. 52 Das Mürzsteger Reformprogramm, das von Russland und der Habsburgermonarchie beschlossen wurde, „brachte der jungtürkischen Opposition einen weiteren Auftrieb“. 53 Sie hatte nun freien Kontakt zu europäischen Streitkräften und konnten somit ihr abendländisches Gedankengut erweitern. Nicht nur in Makedonien, sondern auch in den anderen Teilen des Reiches war die revolutionäre Bewegung der Jungtürken im Gange. 1907 fassten die verschiedenen Gruppierungen der Jungtürkischen Bewegung in Paris den Entschluss, den Kampf für die konstitutionelle Monarchie zu starten und begannen dieses Ziel ein Jahr später offen zu vertreten. Abermals reagierte der Herrscher des Osmanischen Reiches mit harten Sanktionen. 54 Die Unruhen in Makedonien zum Anlass nehmend, kam es Anfang Juni 1908 zu einem Treffen des englischen Königs Eduard VII. und des russischen Herrschers Nikolaus II. in Reval (heute: Tallin). Das Treffen behandelte tatsächlich in erster Linie die Mazedonische Frage. Großbritannien, das bis 1906 den Balkan vor russischem Einfluss schützen wollte, begann sich für die Unabhängigkeit Mazedoniens einzusetzen. Mitte Juni wurde ein Reformprogramm erarbeitet, das zunächst den anderen Großmächten, dann dem Sultan vorgelegt werden wollte. 55 50 .Vocelka, Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, 266. Vocelka, Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, 266. 52 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 251. 53 Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 247. 54 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 251. 55 Vgl. Hacisalihoglu, Die Jungtürken und die Mazedonische Frage, 164. 51 16 Über dieses Vorhaben waren die Jungtürken sehr beunruhigt. Denn das Treffen kündigte ihrer Ansicht nach den baldigen Verlust Makedoniens an. Die Inlandzentrale der Jungtürken, die aus Talaat Bey, Hakki Bey, Ismail Bey, Cemal Bey und Enver Bey bestand, zog einen Aufstand in Betracht. Am 25.Juni 1908 wurde in Saloniki die Entscheidung getroffen: Enver Bey sollte in die Berge gehen und von dort den Aufstand anzetteln. Auch Ahmed Niyazi Bey, ein Offizier albanischer Herkunft, zog mit 200 Männern am 3.Juli 1908 in die Berge. Somit begann die „Jungtürkische Revolution“. 56 Als die jungtürkische Vereinigung mit einem Marsch in die makedonische Hauptstadt drohte, war der Sultan Abdülhamid II. gezwungen am 24.Juli 1908 die Verfassung von 1876 wiedereinzuführen. 57 Abb.3: Sultan Abdülhamid II. nach der Wiedereinführung der Verfassung auf dem Weg in die Moschee zum Freitagsgebet. Vgl. Ebert, Die Chronik-Geschichte des 20.Jahrhunderts bis heute, 67. 56 57 Vgl. Hacisalihoglu, Die Jungtürken und die Mazedonische Frage, 163f. Matuz, Das Osmanische Reich, 251. 17 4 Reaktion der Donaumonarchie auf die Jungtürkische Revolution Mit dem Inkrafttreten der Verfassung kam der Parlamentarismus im Osmanischen Reich zu Kräften. Aus allen Provinzen sollten Delegierte gewählt und in das Zentralparlament nach Konstantinopel geschickt werden. In Bosnien gab es noch keine Verfassung. Da stellte sich nun folgende Frage: „Was konnte die österreichisch-ungarische Regierung dagegen tun, wenn ein Teil der Bosnier sich dem türkischen Parlament unterordnet und Abgeordnete nach Stambul [Istanbul, Anm.d.V.] schickte?“58 Österreich-Ungarn war durch diesen Wandel verängstigt und musste sofort reagieren. Denn ansonsten wäre die langjährige Aufbauarbeit in Bosnien-Herzegowina vergebens gewesen. 59 Nicht nur die Furcht, die Interessen auf dem Balkan könnten durch die Jungtürken beeinträchtigt werden, sondern auch Gegensätze zu Serbien 60 veranlassten die Regierungsstellen der k.u.k. Monarchie zu verschiedenen Beurteilungen. Im Folgenden wird daher versucht, nach einer biographischen Darstellung der k.u.k. Funktionäre auf die Reaktion der einzelnen Regierungsstellen einzugehen. Dabei wird der Zeitabschnitt vom Ausbruch der Revolution im Juli 1908 bis zur Durchführung der Annexion im Oktober 1908 behandelt. 4.1 4.1.1 Kaiser Franz Joseph I. Am 18.August 1830 kam das erste Kind der Erzherzogin Sophie und des Erzherzogs Franz Karl in Wien auf die Welt. Es erhielt den Namen des Vaters und des Großvaters, des Kaisers Franz. Obwohl Sophie noch drei Söhne gebar, bildete Franz den Mittelpunkt des Lebens der Erzherzogin Sophie. 61 Sie erzog den Erzherzog, auf dessen glanzvolle Zukunft hoffend, gezielt zum Thronfolger, wie Redlich in der Biographie des Kaisers Franz Joseph schreibt. „Früh muß sie sich mit dem Entschluss vertraut gemacht haben, die Thronfolgerechte ihres 58 Hantsch Hugo, Geschichte Österreichs, Band 2, Verlag Styria, Graz; Wien (u.a.) 1953, 522. Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 248. 60 Zwischen der Donaumonarchie und dem serbischen Reich herrschten seit dem „Schweinekrieg“ im Jahre 1906 zollpolitische Gegensätze und somit eine feindliche Stimmung. 61 Vgl. Joseph Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich, Verlag für Kulturpolitik, Berlin 1928, 17f. 59 18 Gatten und ihre eigene Hoffnungen auf den Rang der Kaiserin zu Gunsten ihres Sohnes zurücktreten zu lassen.“ 62 Der Erzherzog Franz hatte eine anstrengende Kindheit und Knabenzeit gehabt. Er bekam eine sorgfältige und vielseitige Erziehung. Aufgrund seines Sprachtalentes lernte Franz viele Sprachen: er sprach Deutsch, Magyarisch, Tschechisch, Italienisch, Französisch und Latein. Obwohl er streng religiös erzogen wurde, war Franz Joseph nie ein Frömmler. 63 Nebst sprachlicher, kultureller und musikalischer Erziehung erhielt er als erster Thronfolger auch eine militärische Ausbildung zum Offizier. 64 Nach der Niederschlagung der Oktoberrevolution und der Abdankung des Kaisers Ferdinand I. am 2.12.1848 in Olmütz folgte Erzherzog Franz im Alter von 18 Jahren seinem Onkel auf dem Thron. 65 Bei der Thronbesteigung nahm er den Namen Franz Joseph I. an, um an den „Volkskaiser“ Joseph II. zu erinnern. 66 Da Franz den Thron in einer Zeit der Wirren (Revolution, Nationalitätenproblem, u.a.) bestieg, mussten baldigst politische Veränderungen im Reich erfolgen: Ausgestattet mit manchen Talenten, getragen von einer hohen Anschauung von seiner kaiserlichen Würde und Macht, beseelt von einem tatendurstigen guten Willen, gefestigt in Selbstdisziplin und Pflichtbewußtsein, ging Franz Joseph mit dem feurigen Eifer eines jugendlichen Optimismus daran, die durch die Revolution schwer erschütterte Monarchie in jeder Weise zu regenerieren, vor allem die kaiserliche Autorität und die Integrität seines Reiches wieder herzustellen. 67 Doch weder das gut funktionierende Polizeisystem noch die Verwaltung waren imstande, die innere Probleme, die das Jahr 1848 gebracht hatte, gänzlich zu beseitigen. 68 62 Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich, 18. Vgl. ebd. 31. 64 Vgl. Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich, 34. 65 Vgl. Hugo Hantsch, Franz Joseph. In: Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 5, Berlin 1961, 361-364. WWW: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118535013.html [Zugriff am: 27.10.2013] 66 Vgl. Martin Mutschlechner, Franz Joseph I. WWW: http://www.habsburger.net/de/personen/habsburger-herrscher/franz-joseph-i [Zugriff am: 30.10.2013] 67 NDB 5, Franz Joseph. 68 Vgl. ebd. 63 19 1853 überlebte der Kaiser das Attentat des ungarischen Schneidergesellen János Libényi. Zum Gedenken an diese unglückliche Begebenheit wurde die Votivkirche in Wien errichtet. 69 Noch im selben Jahr lernte Franz Joseph in Ischl die Tochter des Herzogs Max von Bayern und der Herzogin Ludovika, Elisabeth von Bayern kennen, die er schließlich am 12.April 1854 heiratete. 70 Aus der Ehe entstammten vier Kinder: Sophie Friederike, Gisela, Rudolf und Marie Valerie. Obwohl Franz Joseph wenig kunstinteressiert war, waren seine kulturellen Taten dennoch so treffend, dass bis heute noch Zeugnisse erhalten sind, wie zum Beispiel die Anlage der Ringstraße und die Stadterweiterung Wiens im Jahre 1857. 71 Das folgende Relief, das im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen ist, bildet ein „Denkmal“ der Ringstraße bzw. der Stadterweiterung: Abb.4: Werke und Taten des Kaisers, KHM. WWW: http://www.viennatouristguide.at/Ring/KHM/Stiegenhaus/khmarch.htm [Zugriff am: 30.10.2013] Nach zehn Regierungsjahren hatte der Kaiser seine wichtigsten politischen Ziele erreicht: Die Monarchie stand auf festen Füßen, die Autorität wurde nicht mehr in Frage gestellt, Ansehen und Machtstellung waren anerkannt, wirtschaftliches und geistiges 69 Vgl. Stephan Gruber, Franz Joseph, der oberste Bürokrat. WWW: http://www.habsburger.net/de/kapitel/franz-joseph-der-oberste-buerokrat [Zugriff am: 30.10.2013] 70 Vgl. Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich, 152. 71 Vgl. NDB 5 Franz Joseph. 20 Leben waren in sichtbarem Aufschwung begriffen. Es waren wahrscheinlich die glücklichsten Jahre eines noch lange währenden Lebens. 72 Seit den militärischen Niederlagen 1859 73 und 1866 74, die das politische Selbstbewusstsein des Kaisers Franz Joseph I. geschwächt haben, begannen die Unruhen im Reich wieder. Österreich schied nach der verlorenen Schlacht bei Königgrätz aus dem Deutschen Bund aus. 75 Im Jahre 1867 kam es zum Ausgleich mit Ungarn: „Von nun an hielt Franz Joseph unverbrüchlich am Dualismus fest, und neben den gemeinsamen Angelegenheiten (Außenpolitik, Armee, Reichsfinanzen) bildete seine Person als Kaiser von Österreich und König von Ungarn das stärkste einigende Band der Monarchie.“ 76 Trotz der tiefen Kluft zwischen Franz Joseph und seinem Sohn Rudolf - im Gegensatz zu seinem Vater, sympathisierte Rudolf mit dem Liberalismus und mit der ungarischen Opposition - war der Selbstmord des Kronprinzen am 30.1.1889 der schwerste Schlag im Leben des Kaisers. Ca. zehn Jahre später, am 10.9.1898, wurde die Gemahlin Franz Josephs, Kaiserin Elisabeth, von einem italienischen Anarchisten ermordet. 77 Franz Joseph zog sich mit zunehmendem Alter immer mehr aus dem politischen Geschehen zurück. Nach der Annexion Bosnien und Herzegowinas im Jahre 1908 war Österreich-Ungarn stark isoliert. Im europäischen Raum herrschte eine sehr brisante Lage. Als in dieser gefährlichen Zeit der Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin von dem Serben Gavrilio Princip ermordet wurden, erklärte Österreich dem serbischen Reich den Krieg. Es folgten weitere Kriegserklärungen und somit begann im Jahre 1914 der Erste Weltkrieg. 78 Der Kaiser starb am 21.November 1916, inmitten des Weltkrieges, an den Folgen einer Lungenentzündung. 79 72 NDB 5, Franz Joseph. Nach der verlorenen Schlacht bei Solferino musste Franz Joseph die Lombardei, die reichste Provinz des Landes, abtreten. 74 Österreich verlor die Schlacht bei Königgrätz gegen Preußen und wurde de facto aus Deutschland ausgeschlossen. 75 Vgl. Wandruszka, Österreich-Ungarn vom ungarischen Ausgleich bis zum Ende der Monarchie (1867-1918). 386. 76 NDB 5, Franz Joseph. 77 Vgl. Wandruszka, Österreich-Ungarn vom ungarischen Ausgleich bis zum Ende der Monarchie (1867-1918). 386. 78 Vgl. Mutschlechner, Franz Joseph I. 79 Vgl. Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich, 462. 73 21 4.1.2 Reaktion des Kaisers Kaiser Franz Joseph I. konnte den neuen Ereignissen in der Türkei nicht tatenlos zusehen. Denn die Jungtürken beabsichtigten nach der wiedereingeführten Verfassung die Provinzen wieder unter die osmanische Herrschaft zu bringen und Vertreter aus allen Provinzen - auch aus Bosnien und Herzegowina - ins neue Parlament nach Konstantinopel zusammenzurufen. 80 Als Aehrenthal dem Kaiser die Annexion der beiden Provinzen und die Räumung des Sandschaks von Novi Pazar vorschlug, um die Mission in diesem Einrichtungswerk zu vollenden, stimmte Franz Joseph dem Vorhaben zu. Der k.u.k. Außenminister brachte bei der Ministerratsversammlung vom 19.August 1908 die Billigung des Monarchen bezüglich der Annexion von Bosnien und der Herzegowina zum Ausdruck: „Seine Majestät habe diesem Vorschlag mit dem Auftrage allergnädigst zuzustimmen geruht, behufs Vorbereitung dieser Aktion mit den beiden Ministerpräsidenten das Einvernehmen zu pflegen […].“ 81 Nach den beiden Ministerratsversammlungen, die am 19.August und am 10.September stattfanden, um die Annexion der beiden osmanischen Provinzen vorzubereiten, verständigte Kaiser Franz Joseph in Privatschreiben die europäischen Mächte über die Einverleibung von Bosnien und der Herzegowina und das Zurückziehen der Truppen aus dem Sandschak von Novi Pazar. 82 80 Vgl. Francis Roy Bridge, Österreich (-Ungarn) unter den Grossmächten. In: Adam Wandruszka/ Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie, Band 6/1, Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1989, 314f. 81 GP, Nr.40,42. 82 Siehe Kapitel 5.2 22 4.2 4.2.1 Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich-Este Franz Ferdinand - seit 1875 „von Österreich-Este“ - kam am 18.Dezember 1863 in Graz auf die Welt. Er genoss eine vorbildliche Erziehung in humanitären und militärischen Gegenständen. Nachdem er bei den oberösterreichischen Dragonern und der böhmischen Infanterie gedient hatte, wurde er als Oberst-Regimentskommandant nach Ungarn geschickt. Er konnte keine Bindung zu den ungarischen Soldaten aufbauen, von daher rührt seine Abneigung gegenüber den Magyaren. 83 Nach dem Selbstmord des Kronprinzen (1889) wurde Erzherzog Franz Ferdinand, der Neffe Franz Josephs, im Jahre 1894 zum Thronfolger. Auch zwischen Onkel und Neffe herrschte, wie zwischen dem Kaiser und seinem Sohn Rudolf, eine tiefe Kluft. Franz Ferdinand war streng konservativ und katholisch. Seine Beziehung mit der Gräfin Sophie Chotek verschlechterte das Verhältnis Franz Josephs und des Thronfolgers noch mehr. 84 Franz Ferdinand hatte sich in die Gräfin Sophie Chotek verliebt und beschloss sie zu heiraten. Die an Franz Joseph gerichtete Bitte, diese Ehe zu bewilligen, regte den Kaiser äußerst auf. Denn der Monarch war strikt gegen diese Heirat, „weil das alte Geschlecht der böhmischen Grafen nicht zu jenen Familien gehörte, denen aufgrund der deutschen Bundesakte 1814 […] das Connubium mit den regierenden Häusern zuerkannt war.“ 85 Der Kaiser gab schlussendlich der Ehe seine Zustimmung, aber mit der Bestimmung der nicht standesgemäßen Heirat. Der Thronfolger musste vor der Vermählung den Thronverzicht für seine Kinder in einem offiziellen Akt bestätigen: Bevor wir aber zur Schließung des ehelichen Bundes schreiten, fühlen Wir Uns veranlaßt, unter Berufung auf die oberwähnten Hausgesetze des durchlauchtigsten Erzhauses, deren Bestimmungen Wir noch ganz besonders im Hinblick auf die gegenwärtige von Uns einzugehende Ehe vollinhaltlich und als bindend erklären, festzustellen, daß Unsere Ehe mit Gräfin Chotek nicht eine ebenbürtige, sondern eine 83 Vgl. Rudolf Kiszling, Franz Ferdinand. In: Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 5, Berlin 1961, 364-365. WWW: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118535005.html [Zugriff am: 27.10.2013] 84 Vgl. Wandruszka, Österreich-Ungarn vom ungarischen Ausgleich bis zum Ende der Monarchie (1867-1918), 386. 85 Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich, 422. 23 morgantische Ehe […] ist, demzufolge weder Unserer Frau Gemahlin, noch den mit Gottes Segen aus dieser Unserer Ehe zu erhoffenden Kindern und deren Nachkommen jene Rechte […] zustehen […].86 Am 1.Juli 1900 erfolgte die Eheschließung auf dem Schlosse Reichstadt. 87 Die Außenpolitik Franz Ferdinands war gekennzeichnet durch die enge Freundschaft mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. Der Thronfolger war stets bemüht, den Frieden zu erhalten. Aus diesem Grunde lehnte er beispielsweise den Krieg gegen Serbien im Jahre 1909 ab. Im Sommer 1913 ernannte Franz Joseph seinen Neffen zum „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht“. Am 28.Juni 1914 war Franz Ferdinand als Generalinspektor der österreichisch-ungarischen Armee zusammen mit seiner Gattin Sophie an den Manövern in Bosnien beteiligt. Der serbische Geheimdienst sah den Besuch des Thronfolgerpaares als Provokation an und organisierte mit jungen Nationalisten ein Attentat, dem der Thronfolger samt seiner Gemahlin am 28.Juni zum Opfer fiel. 88 Einen Tag nach dem Attentat wurden die ersten Berichte in den Zeitungen veröffentlicht. Bis die ersten Fotos aber publiziert werden konnten, dauert es eine Woche. Denn diese wurden damals mit der Bahn zu den Redaktionen übermittelt. Am 5. Juli erscheint das erste Bild in „Wiener Bilder“ und am 9. Juli erscheint dasselbe Bild im „Interessanten Blatt“. Der Fotograf des Bildes wird in beiden Zeitungen nicht angegeben. 89 86 Frass, Quellenbuch 3, Nr.198, 303. Vgl. ebd. 423. 88 Vgl. NDB 5, Franz Ferdinand. 89 Anton Holzer, Der Mörder, der keiner war. In: Die Presse. 15.06. 2012. WWW: http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/766288/Der-Morder-der-keiner-war [Zugriff am: 27.10.2013] 87 24 Abb. 5.: Attentat von Sarajewo. In: Das Interessante Blatt, 9.Juli 1914. WWW: http://www.habsburger.net/de/medien/attentat-von-sarajewo-zeitungsillustration-1914 [Zugriff am: 12.11.2013] 25 4.2.2 Reaktion des Thronfolgers Dass eine Annexionsabsicht der osmanischen Provinzen bestand, erfuhr Franz Ferdinand erstmals im August 1908. 90 Daraufhin richtete er am 6.August 1908 ein Schreiben an den Außenminister Aehrenthal, in welchem er seine Ablehnung gegen die Annexion zum Ausdruck brachte: Im allgemeinen bin ich überhaupt bei unseren desolaten inneren Verhältnissen gegen alle solche Kraftstückeln.- Meiner Ansicht nach kann sich solche Sachen nur ein konsolidierter, kräftiger Staat erlauben; […] Sollten aber die Räte der Krone doch die Annexion für unbedingt notwendig halten, so bin ich für keine Mobilisierung, da dieselbe zu ganz unnötigen Deutungen Anlaß geben könnte, sondern bloß für eine Standeserhöhung, die ganz gut ohne Befragung der Parlamente durchzuführen ist. Hat man den Mut zur Annexion, muß man auch den Mut haben, dies ohne Befragen der Parlamente zu tun.[…] also ich resumiere: keine Annexion… Muß Annexion sein, für die ich nicht bin, dann Reichsland unbedingt. Absolut nicht für Stephanskrone […] 91 Das Schreiben Franz Ferdinands zeigt, dass er keine „außenpolitische Risiken in einer Phase der inneren Schwäche und Zerrissenheit des Habsburgerreiches“ 92 eingehen wollte. Er betrachtete die Außenpolitik der Monarchie aus einer innen- und verfassungspolitischen Perspektive. Den Rechten der ungarischen Krone bezüglich Bosniens, die Wekerle bei der Ministerratssitzung vom 10.September 1908 in Erwägung zieht, sollten auf keinen Fall zugestimmt werden. 93 Auf Wunsch des Außenministers und mit Billigung des Kaisers, wusste Ende August der Erzherzog noch immer nicht, dass der Beschluss der Annexion bald bevorstand. Denn es bestand einerseits die Gefahr, dass der Thronfolger dem deutschen Kaiser Wilhelm II. Informationen weitergeben könnte. 94 Andererseits zeigt die Haltung Franz Josephs I. und Aehrenthals, dass Franz Ferdinand „kein Mitspracherecht in außenpolitisch brisanten Angelegenheiten zugebilligt wurde.“ 95 90 Vgl. Günther Kronenbitter, Krieg im Frieden. Die Führung der k.u.k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906-1914,R.Oldenbourg Verlag, München 2003, 337. 91 Frass, Quellenbuch 3, Nr. 205 , 310 92 Kronenbitter, Krieg im Frieden, 337. 93 siehe Kapitel 4.4.4 94 Vgl. Kronenbitter, Krieg im Frieden, 338. 95 Ebd. 338 26 Der Außenminister erhielt am 26.August 1908 von Schiessl, dem Kabinettsdirektor Franz Josephs, die Mitteilung, dem Thronfolger Anfang September die Annexionsabsicht bekanntzugeben, damit der Erzherzog nicht in eine unangenehme Lage gerät: 96 Ich halte es für möglich, daß Erzherzog Franz als zum Oberbefehle der Armee gehörend militärische Einsichtsstücke erhält, die ihm klar machen müssen, was vorgeht. […] Welches ist dann die Position des Erzherzogs, wenn er ahnungslos zu den Manövern kommt und dort Eröffnungen [über die Entscheidung der Annexion, Anm. d. V.] erhält? Und wie ist die Position des Allerhöchsten Herrn und die deine gegenüber dem Erzherzog, wenn er von Berufenen oder Unberufenen oder gar durch den fremden Monarchen von der Sache hören sollte? 97 Von Aehrenthal über den bevorstehenden Schritt benachrichtigt, stimmte er schließlich widerwillig der Einverleibung zu und griff von nun auch in den außenpolitischen Prozess ein. Für Franz Ferdinand war die „Friedenswahrung ohne Prestigeverlust“ das wichtigste Ziel. Dies entsprach auch dem Wunsch des Außenministers. 98 Der Thronfolger musste im Oktober 1908 die Annexion als fait accompli akzeptieren. Da nichts mehr zu ändern war, rechtfertigte er sie den anderen Mächten gegenüber. Innerlich war Franz Ferdinand aber mit dem Schritt der Annexion niemals einverstanden gewesen entgegen der herrschenden Meinung, dass Franz Ferdinand der geistige Anstifter der Annexion war. 99 Denn der Plan der Annexion ist dem Reichsfinanzminister Burián zuzuschreiben. 100 4.3 4.3.1 Außenpolitik Alois Lexa von Aehrenthal Alois Lexa Freiherr von Aehrenthal ist am 27.November 1854 in Groß-Skal geboren worden. Er war der zweite Sohn des Freiherrn Johann Baptist Lexa von Aehrenthal und der Gräfin 96 Vgl. ebd. NL Ae, Nr.458, 617. 98 Vgl. Kronenbitter, Krieg im Frieden, 338. 99 Vgl. Chlumecky, Erzherzog Franz Ferdinands Wirken und Wollen, 102. 100 Siehe Kapitel 4.5.2 97 27 Marie von Thun-Hohenstein. 101 Aehrenthal, der einem niederen Adelsgeschlecht entstammte, hatte aufgrund der Herkunft seiner Mutter und seiner Gattin Gräfin Széchenyi Kontakte zum böhmischen und ungarischen Hochadel. 102 Nach dem Studium der Rechtswissenschaften begann er im Jahre 1877 im österreichischungarischen Ministerium des Äußeren zu arbeiten und wurde als Gesandtschaftsattaché nach Paris geschickt. 103 Ein Jahr später wurde er der Botschaft in St.Petersburg zugeteilt. Dort hatte er verschiedene Funktionen inne, bis er 1899 Botschafter in St.Petersburg wurde. 104 Aehrenthal, der als Privatsekretär des österreichisch-ungarischen Außenministers Kálnoky in den Achtzigerjahren als Gesandter in Bukarest und Diplomat in Russland gearbeitet hatte 105, wurde im Jahre 1906 von Franz Joseph I. als Nachfolger Goluchowskis zum österreichischungarischen Außenminister ernannt. Alois Lexa von Aehrenthal selbst wollte nicht das Amt des Außenministers innehaben und willigte nur ein, weil der Kaiser es verlangte. 106 Die Außenpolitik der Donaumonarchie musste in Einigkeit und mit der Zustimmung der österreichischen und der ungarischen Regierung geführt werden. Denn das außenpolitische Handeln, das Kriegs- und Finanzwesen gehörten zu jenen Angelegenheiten, die für beide Reichshälften als gemeinsam erklärt wurden: Unter den drei gemeinsamen Ministern -, Aussen-, Kriegs-, und Finanzminister- nahm der Außenminister den ersten Platz ein und hatte das Präsidium in dem gemeinsamen Ministerrat, an dessen Sitzungen ausser den drei genannten Ministern auch die Ministerpräsidenten der beiden Regierungen in Wien und Budapest teilnahmen, mitunter auch andere österreichische und ungarische Regierungsmitglieder oder höhere Beamte wie Repräsentanten der gemeinsamen Kriegsmacht, in erster Linie der Generalstabschef. 107 101 Vgl. Berthold Molden, Alois Graf Aehrenthal. Sechs Jahre äußere Politik Österreich-Ungarns, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und Berlin 1917, 15. 102 Vgl. Bridge, Österreich (-Ungarn) unter den Grossmächten, 310. 103 Vgl. Molden, Alois Graf Aehrenthal, 15. 104 Vgl. Ludwig Bittner, Aehrenthal, Aloys Leopold Johann Baptist Graf Lexa von. In: Otto Graf zu StolbergWernigerode (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 1, Berlin 1953, 89. WWW: http://www.deutsche-biographie.de/pnd119182033.html [Zugriff am: 27.10.2013] 105 Vgl. Bridge, Österreich (-Ungarn) unter den Grossmächten, 310. 106 Vgl. Carlgren, Iswolsky und Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise. Russische und österreichischungarische Balkanpolitik 1906-1908, 100. 107 Carlgren, Iswolsky und Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise, 124 f. 28 Unter Alois Lexa Graf Aehrenthal betrieb die k.u.k. Monarchie eine bestimmtere Balkanpolitik. Aber auch Aehrenthals russischer Gegenspieler Iswolski 108 suchte nach Erfolgen auf dem Balkan. Dies konnte nur zu Österreichs Lasten geschehen und trug daher wesentlich zum Aufbau von Spannungen in dieser sensiblen Zone bei. 109 Außerdem wollte der k.u.k. Außenminister unbedingt die Abhängigkeit Österreichs von Deutschland verringern. 110 108 Im gesamten Text wird diese Schreibweise verwendet. Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 246f. 110 Bridge, Österreich(-Ungarn) unter den Grossmächten, 311. 109 29 Abb.6. Alois Graf Aehrenthal. Vgl. Carlgren, Iswolsky und Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise, 112. 30 Der größte politische Misserfolg des Freiherrn Aehrenthals war die nicht genügend vorbereitete Annexion Bosniens und der Herzegowina im Oktober 1908. Die Einverleibung der beiden osmanischen Provinzen löste eine internationale Krise aus, und somit verlor die Monarchie an Vertrauen: „Verschärfte Feindschaft Rußlands und Serbiens, offene Gegnerschaft Englands, ein Abgleiten Italiens aus dem Dreibundverhältnis, somit also eine Förderung des Zusammenschlusses der künftigen Gegner im Ersten Weltkrieg waren die Folge.“ 111 Nach zahlreichen Verhandlungen kam es schließlich im Februar 1909 zur friedlichen Lösung mit der Türkei. 112 1911 kam es zu einem Konflikt zwischen dem k.u.k. Außenminister und dem Generalstabchef Conrad, im Zuge dessen Hoetzendorf aus dem Amt entlassen wurde. 113 Ein Jahr später musste Aehrenthal aufgrund seiner fortschreitenden Krankheit - er war an Leukämie erkrankt - vom Dienst enthoben werden und starb am 17.Februar 1912 in Wien. 114 4.3.2 Reaktion des Außenministers Als der Reichfinanzminister Burián Anfang Juli dem k.u.k. Außenminister seinen Plan über die Annexion Bosnien und Herzegowinas bekanntgab, nahm Aehrenthal diesen mit Wohlwollen auf. 115 Denn der österreichisch-ungarische Außenminister war schon seit längerem der Überzeugung, „dass über kurz oder lang die Annexion der okkupierten Provinzen sich als unabweisliche Notwendigkeit darstellen würde.“ 116 Der Vorschlag des k.u.k. Finanzministers fiel zeitlich zusammen mit der jungtürkischen Revolution und mit der Aide-mémoire des russischen Außenministers Iswolski vom 2.Juli 1908, der einerseits über die Meerengenfrage, andererseits über die Annexionsfrage erörterte. Der Vorschlag Buriáns und das Schreiben Iswolskis mussten den österreichisch-ungarischen Außenminister zutiefst angeregt haben, so dass er keine Sekunde zögerte und sofort mit den Vorbereitungen für die förmliche Einverleibung begann. 117 111 NDB 1, Aehrenthal. Aehrenthal, Aloys Gf Lexa von. In: Österreichisches Biographisches Lexikon, Band 1, 8f. WWW: http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_A/Aehrenthal_Aloys_1854_1912.xml [Zugriff am: 27.11.2013] 113 vgl. ebd. 114 Vgl. ebd. 115 Vgl. Musulin, Das Haus am Ballhausplatz, 164. 116 Ebd. 165. 117 GP, 15, siehe Kommentar. 112 31 Wie der Diplomat Musulin in seinem Werk Das Haus am Ballhausplatz bekanntgab, „hätte er noch im Juli von Aehrenthal den Auftrag erhalten, nach den von ihm gegebenen Direktiven die beiden Noten zu verfassen, in denen zu Beginn des Oktobers 1908 der Türkei und den anderen Mächten des Berliner Vertrages die Ausdehnung der Souveränitätsrechte des Kaisers Franz Joseph auf die okkupierten Provinzen mitgeteilt werden sollte.“ 118 Am 12.August legte Musulin die beiden Entwürfe Aehrenthal in Ischl vor, die genauestens besprochen wurden. Auf Basis dieses Gespräches schrieb der k.u.k. Außenminister Iswolski eine Antwort auf seine Aide-mémoire vom 2.Juli 1908.119 Am 7.August 1908 schrieb der k.u.k. Außenminister an den österreichischen Ministerpräsidenten Beck anlässlich der veränderten Lage nach der jungtürkischen Revolution: Der Sieg der jungtürkischen Revolution hat zunächst eine Détente in dem Verhältnis der Mächte untereinander bewirkt. Die englischen und russischen Vorschläge sind theils zurückgezogen theils suspendirt […] Welches soll nun die Haltung ÖsterreichUngarns gegenüber den kommenden Ereignissen sein? Ich denke, darüber kann eine wesentliche Meinungsverschiedenheit nicht bestehen […] Die strikte Durchführung des Nicht-Interventionsprinzip ist aber insolange gefährdet, als wir im Sandschak von Novi Pazar unsere Garnisonen stehen […] der Ausbruch einer anarchischen Bewegung oder ein Christenmassacre in diesen Gegenden kann eine Intervention unsererseits mit ansehnlichen militärischen Kräften gegen unseren Willen und gegen unser Interesse zu Folge haben. 120 Aehrenthal sah deshalb als letzte Maßnahme die Annexion Bosniens und Herzegowinas, die „sich aus der unhaltbaren Lage der Gemeinsamen Regierung in der Frage der Gewährung einer bosnischen Autonomie mit einem Provincial-Landtage“ 121 ergab. Um über den Annexionsplan zu sprechen, schlug der Außenminister dem österreichischen Ministerpräsidenten vor, sich zu versammeln: „Aus diesen Erwägungen heraus habe ich mich entschlossen, bei seiner Majestät um die Ermächtigung einzukommen, mit den beiden Herren 118 Musulin, Das Haus am Ballhausplatz, 166. Vgl. GP, 15, siehe Kommentar 120 ÖUAP, Nr. 29, 24. 121 Ebd. 119 32 Ministerpräsidenten und mit den Collegen im gemeinsamen Ministerium über die Vorbereitungen zur Durchführung der Annexion in Verhandlung zu treten.“ 122 Aehrenthal führte folgende drei Aspekte im Privatschreiben an Beck an, die oberste Priorität für ihn hatten: • Notwendigkeit der Zurückziehung der Truppen aus dem Sandschak Novi Pazar • Mission Österreich-Ungarns durch Einführung einer Autonomie vollenden • Angliederung Bosniens an ein anderes Staatsgebiet nicht möglich 123 Der Außenminister gab außerdem im Brief an, dass er den ungarischen Ministerpräsidenten Dr. Wekerle mündlich über die Ministerratssitzung informiert habe und dieser möchte, dass sie am 19. oder 20.August in Wien zusammentreffen und über diese wichtigen Angelegenheiten sprechen. 124 Was die internationale Situation betraf, beabsichtigte er, den verletzten türkischen Stolz der Osmanen durch die Rückgabe des Sandschaks zu entschädigen. 125 Aehrenthal entschied sich für den Verzicht Novi Pazars, da dessen Verteidigung auf Dauer zu kostspielig wäre. Außerdem hätte die Rückgabe des Sandschaks als Kompensation für das Osmanische Reich angesehen werden können. 126 Wenn die Türken die Annexion nicht als Teil einer Expansionspolitik betrachten, sondern als letzten Schritt, eine notwendige Abgrenzung zwischen österreichischem und türkischem Gebiet, so hätte das sogar die Beziehungen verbessern können. 127 Unter dem Vorsitz des österreichisch-ungarischen Außenministers Aehrenthal kamen der ungarische Ministerpräsident Dr. Wekerle, der österreichische Ministerpräsident Dr. Freiherr von Beck, der Reichskriegsminister Freiherr von Schönaich, der Reichsfinanzminister Freiherr von Burián und der Generalstabchef Conrad von Hoetzendorf am 19.August 1908 in Wien zusammen, um die „Auswirkungen der neuen Ereignisse in der Türkei auf Bosnien und Herzegowina und Annexion dieser Provinzen bei gleichzeitiger Zurückziehung der Truppen aus dem Sandschak Novi Pazar“ 128 zu besprechen. Aehrenthal, den Gegenstand der 122 Ebd. Vgl. ÖUAP, Nr.29, 24f. 124 ÖUAP, Nr.29, 24f. 125 Vgl. Bridge, Österreich(-Ungarn) unter den Grossmächten, 315. 126 Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 248. 127 Bridge, Österreich(-Ungarn) unter den Grossmächten,315 128 ÖUAP, Nr.40, 41. 123 33 Versammlung als bekannt voraussetzend, sprach über die internationale Lage, die sich nach der jungtürkischen Revolution verändert hatte. Durch die Umgestaltungen im Osmanischen Reich mussten zwei wichtige Fragen baldigst besprochen werden: Die eine dieser Fragen sei die der Monarchie von den Mächten im Berliner Vertrage übertragene Besetzung und Verwaltung von Bosnien und Herzegowina, die zweite die ebenfalls auf Grund des genannten Traktates erfolgte Besetzung des Sandschaks von Novi Pazar. 129 Seit 29 Jahren waren Garnisonen im Limgebiet (Nordteil des Sandschaks) stationiert. Doch nun war der Zeitpunkt gekommen, diese zurückzuziehen. Denn es konnte dort jederzeit zu Zwischenfällen kommen, die Österreich-Ungarn in eine sehr schwierige Lage gebracht hätten. Um die Annexion aber durchzuführen, mussten zunächst die beiden Regierungen in der Monarchie ein Einvernehmen erzielen. 130 Aehrenthal hatte bis zum Zeitpunkt der Ministerratssitzung vom 19.August noch keine Verhandlungen mit den anderen europäischen Mächten durchgeführt, doch war er sich beispielweise der Unterstützung Deutschlands sicher. Auch Russland würde ihn nicht im Stich lassen. Denn das russische Reich hatte der Monarchie mehrmals den Besitz der beiden Provinzen in geheimen Verträgen zugesichert. Italien, England und Frankreich waren auch nicht besorgniserregend. 131 Aehrenthal glaubte im Gegensatz zu Hoetzendorf nicht, dass Italien ein Problem darstellen werde, weil aufgrund des Dreibundvertrages Italien sogar verpflichtet war, Bosnien und Herzegowina zu verteidigen. 132 Der Vorsitzende des Ministerrates rechnete einzig mit dem Widerstand der Türkei. In den Vorschlag Wekerles, dass die Annexion in Bezug auf die ungarischen Rechte erfolgen sollte, willigte der Außenminister nicht ein. Denn dies könnte den Anschein erwecken, dass die Monarchie weitere Ansprüche erheben will. 133 Der Anregung Wekerles, dass die diplomatischen Vorbereitungen sehr genau erfolgen mussten, stimmte der österreichisch-ungarische Außenminister zu. Doch der Ansicht Aehrenthals nach reichte es, wenn Russland diesem Vorhaben zustimmte. 129 ÖUAP, Nr.40, 41. Ebd. 42. 131 Vgl. ÖUAP, Nr.40, 43. 132 Vgl. ÖUAP, Nr.40, 50. 133 Vgl. Anatol Schmied-Kowarzik, Die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der ÖsterreichischUngarischen Monarchie, Band 6: 1908-1914, Verlag der Österreichischen Akademie, Budapest 2011, 186. 130 34 Außerdem sei keine weitere Zwangslage nötig - wie der österreichische Ministerpräsident Beck verlangte -, da „für die Monarchie sowohl nach innen wie nach außen eine Zwangslage“ 134 bestand. Der k.u.k. Außenminister schloss die Sitzung mit dem Vorschlag, am 10.September 1908 in Budapest zusammenzutreffen, um die Frage der Annexion wieder zu erörtern und vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Aehrenthal antwortete am 27.August 1908 - wie schon oben angeführt - auf die Aidemémoire Iswolskis. Hier ein Auszug aus der Antwort Aehrenthals: „Si toutefois des circonstances impérieuses obligaient l’autriche-Hongarie, à s’annexer la Bosnie et l’Herzégovine, le Gouvernement Impérial donnerait l’assurance de vouloir observer à l’égard de cette mésure une attitude bienveillante et amicale.“ 135 Übersetzung : Wenn unabweisliche Umstände Österreich-Ungarn dazu zwingen, Bosnien und Herzegowina zu annektieren, versichert das Kaiserreich, dass in dem Fall eine wohlwollende und freundliche Haltung eingenommen wird. 136 Ende August bestand zwar offensichtlich der Wunsch der Annexion, wie sowohl den Ministerratsprotokollen aus August 1908 als auch aus der Antwort an den russischen Außenminister zu entnehmen ist, doch war die Annexionsabsicht noch nicht fest beschlossen. In einem Brief des deutschen Grafen Brockdorff-Rantzau, der am 1.September 1908 an Bülow, den Reichskanzler des deutschen Reiches, verfasst wurde, erfahren wir, dass Aehrenthal keinerlei Berichterstattungen in der Presse über eine Annexion wünschte: Bevor ich mich verabschiedete, ersuchte der Minister [Aehrenthal, Anm. d .V.] mich, Euere Durchlaucht zu bitten, nach Möglichkeit auf die Presse dahin wirken lassen zu wollen, daß die Frage der Annexion Bosniens und Herzegowina nicht gerade in diesem wenig günstigen Augenblick des langen und breiten erörtert werde. Die Regierung beabsichtige jetzt nicht, an die Lösung der Frage heranzutreten, und Baron Aehrenthal wünscht offenbar, Erörterungen in der Presse vermieden zu sehen […].137 Dem Schreiben des deutschen Staatssekretärs von Schoen vom 5.September an Fürst Bülow entnimmt man recht deutliche Anspielungen über die Annexionspläne Aehrenthals. Von 134 ÖUAP, Nr.40, 47. GP, siehe Kommentar,15. 136 Übers. d. V. 137 GP, Nr.8924, 21 135 35 Schoen hatte sich vor dem Verfassen des Briefes in Berchtesgarden mit dem k.u.k Außenminister getroffen, und es wurde unter anderem auch über die Balkanfragen gesprochen. Aehrenthal versicherte von Schoen gegenüber, dass sich Österreich Ungarn solange ruhig verhalten werde, bis keine ungewöhnlichen Umstände auftreten, doch „werde Österreich-Ungarn nicht umhin können, mit der Zeit einer endgültigen Regelung des Verhältnisses von Bosnien und der Herzegowina näherzutreten, und diese Lösung könne und werde keine andere sein können als die der Annexion.“ 138 Auf den Sandschak werde die Donaumonarchie hingegen verzichten. Denn mit der dort stationierten „schwachen Brigade würde Österreich-Ungarn eine nationalistische Bewegung nicht unterdrücken können; das Hineinwerfen weiterer Truppen aber würde nur Öl ins Feuer gießen.“ 139 Wenn Russland diesen Bedingungen zustimmen würde, „was er annehme, aber noch nicht bestimmt wisse, so sei er bereit, über die Frage der Öffnung der Meerengen für russische Kriegsschiffe mit sich reden zu lassen.“ 140 Wie das Treffen mit dem deutschen Diplomaten zuvor, verlief auch die Unterredung Aehrenthals mit dem italienischen Außenminister Tittoni am 5.September 1908 in Salzburg, sehr freundschaftlich und es trat keinerlei Widerstand hinsichtlich der Annexionsfrage auf. Tittoni versicherte dem österreichisch-ungarischen Außenminister seine positive Haltung und betonte, dass Bosnien und Herzegowina der Donaumonarchie gehören. 141 Am 10.September 1908 wurde die bei der Sitzung vom 19.August angekündigte Ministerratsversammlung abgehalten. Es nahmen wieder mit Ausnahme Conrads alle bei der letzten Sitzung anwesenden österreichisch-ungarischen Funktionäre teil. Der Gegenstand dieses Ministerrates war die Besprechung der Maßnahmen zur Vorbereitung der Annexion Bosniens und der Herzegowina. 142 Aehrenthal gab im Laufe der Sitzung den Konferenzteilnehmern einen Überblick über die bisher getätigten diplomatischen und staatsrechtlichen Vorbereitungen der Annexion 143: • Antwortschreiben an Iswolski: Aehrenthal hatte am 27.August dem russischen Außenminister ein Memorandum geschickt, in welchem er die Annexion der beiden okkupierten Provinzen zum Ausdruck brachte. Iswolski nahm das Schreiben wohlwollend auf. Deshalb erwartete er sich keine Schwierigkeiten seitens der Russen. 138 ÖUAP, Nr.32, 27. Ebd. 140 ÖUAP, Nr. 32, 27. 141 Vgl. ÖUAP, Nr.67, 73. 142 Vgl. ÖUAP, Nr.75, 78. 143 Vgl. ÖUAP, Nr.75, 78f. 139 36 • Treffen mit von Schoen: Auch kam es zu einem Treffen mit dem deutschen Staatssekretär von Schoen in Berchtesgaden, welchem er auch seine Annexionsabsichten mitteilte. Von Schoen zeigte vollkommenes Verständnis, und auch dieser versprach Beistand. • Treffen mit Tittoni: Nach dem Gespräch mit dem italienischen Außenminister Tittoni in Salzburg ist Aehrenthal überzeugt, dass auch Italien keine Schwierigkeit bereiten wird. • Pallavincis Gespräch mit Ferid Pascha: Des Weiteren hatte Aehrenthal den Markgrafen Pallavicini dazu veranlasst, den Großwesir Ferid Pascha zu besuchen und zu erfahren, wie die Türkei im Falle einer Annexion reagieren würde. Der türkische Regierungschef betrachtete das Zurückziehen der Truppen aus dem Sandschak als große Konzession, dennoch würde er von einer Annexion abraten, da es keine Regierung in der Türkei gab, mit der die Donaumonarchie verhandeln könnte. 144 • Aehrenthal kündigte die Konstantinopeler Konvention vom 21.April 1879, um die Freiheit hinsichtlich Bosnien und Herzegowina wieder zurückzuerlangen. Er ließ die Note während der Sitzung vorlesen. 145 Aehrenthal fügte darüber hinaus in der Versammlung vom 10.September hinzu, dass er nur einen Abbruch der diplomatischen Kontakte mit der Türkei befürchtet. Doch nach der „Annexion und nachdem der erste Lärm sich gelegt haben werde, würden dann aber die Beziehungen zur Türkei aller Voraussicht nach wieder wesentlich besser werden als vor dem Abbruche, weil dann zwischen der Türkei und der Monarchie ein klares Verhältnis hergestellt sein werde.“ 146 Der Außenminister der Donaumonarchie nannte drei wesentliche Gründe, die ein rasches Vorgehen verlangten 147: • Türkisches Parlament kann einen Beschluss bezüglich Bosnien fassen • Gefahr der Konstituierung eines Parlaments in Bosnien • Sofortiger Auszug der Truppen aus dem Sandschak kennzeichnet Akt der Großzügigkeit 144 Vgl. ÖUAP, Nr.75, 80. Vgl. ÖUAP, Nr.75, 82. 146 ÖUAP, Nr.75, 81. 147 Vgl. ebd. 145 37 Der Vorsitzende der Ministerratssitzung schloss die Versammlung mit der Anmerkung, dass zur Beseitigung aller offenen Fragen in nächster Zeit nochmals eine Konferenz notwendig wäre, ab. 148 „Um nun die Frage der Annexion mit dem geringsten Risiko zu verbinden“ 149 - wie der Außenminister in seinem Brief vom 26.September 1908 an Bülow schrieb - traf sich Aehrenthal am 16.September mit Iswolski. Sie haben sich als Gäste des Botschafters Graf Berchtold auf Schloss Buchlau getroffen. 150 Es gibt keine schriftliche Aufzeichnung des Gespräches. Iswolski wollte eine Niederschrift des Vereinbarten anfertigen und diese dem Wiener Kabinett zusenden. Doch diese Aufzeichnung kam nie in Wien an. Das Fehlen eines Schriftstückes führte später zu erheblichen Auseinandersetzungen und Beschuldigungen. 151 Über die Einzelheiten des Treffens erfahren wir in Aehrenthals Schreiben an den Fürst Bülow vom 26.September 152 und durch Iswolskis Unterredungen mit von Schoen vom 26.September 1908 153. Aehrenthals teilte Bülow Folgendes über das Treffen mit dem russischen Außenminister mit: Iswolski hat natürlich die Gelegenheit wahrgenommen, um die Rückwirkung der Annexion Bosniens und der Herzegowina auf die Balkanverhältnisse zur Erörterung zu bringen. […] Iswolski denkt sich auch den Augenblick gekommen, wo er auf sein großes Ziel - eine Modifizierung der Bestimmungen betreffend die Meerengenfragezusteuern könnte. […] Die Meerengen bleiben somit nach wie vor unter der Herrschaft der Türkei. Die Änderung würde sich bloß auf die Einführung des Rechtes an die Uferstaaten des Schwarzen Meeres beziehen, daß Kriegsschiffe einzeln die Meerengen passieren dürfen. Als Gegenleistung für die freundschaftliche Haltung Rußlands bei der Durchführung der Annexion Bosniens habe ich Iswolski eine gleich freundschaftliche Haltung der Monarchie in Ansehung des erwähnten russischen Petites in Aussicht gestellt […].154 Es wurde folglich bei dem Treffen vereinbart, dass sich Russland nur dann ruhig verhalten wird, wenn die Monarchie den Russen die Durchfahrt durch die Dardanellen gestattet. 148 Vgl. ÖUA, Nr.75, 83. GP, Nr.8934, 36. 150 Vgl. ebd., 30. 151 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 81. 152 Vgl.GP, Nr.8934, 35-39. 153 Vgl. ebd., Nr.8935, 39-43. 154 GP, Nr.8934, 36f. 149 38 Aehrenthal stimmte aber der Abmachung zu „nur unter der ausdrücklich betonten Voraussetzung, daß die an den geltenden Bestimmungen vorzunehmenden Änderungen die Selbständigkeit und die Sicherheit des Sultans nicht tangieren zu dürfen.“ 155 In Iswolskis Äußerungen zum deutschen Staatssekretär erfahren wir, dass Aehrenthal dem russischen Außenminister nicht nur den Annexionsplan bekanntgab, sondern dass Iswolski auch den Eindruck erhielt, dass die Annexion bald durchgeführt wird. Von Schoen berichtet Folgendes an den Fürsten von Bülow: Herr Iswolski hat den Eindruck, daß Baron Aehrenthal, vielleicht mehr durch innerpolitische wie durch äußere Erwägungen gedrängt, schon bald an die Lösung dieser Probleme heranzutreten wünsche. Ohne bestimmte Angaben in dieser Richtung von Baron Aehrenthal erlangt zu haben, neigt er der Annahme zu, daß der österreichisch-ungarische Minister bereits den bevorstehenden Delegationen den Plan der Annexion vorlegen möchte. 156 Damit schien auch mit Russland die Annexionsfrage geklärt zu sein. Da es nur eine mündliche Abmachung war, wie schon oben erwähnt, hielt sich - im fünften Kapitel wird darauf näher eingegangen - das Zarenreich nicht an die Vereinbarung. 157 Im Telegramm Tschirschkys, des deutschen Botschafters in Wien, das am 28.September 1908 an das Auswärtige Amt des deutschen Kaiserreiches verfasst wurde, wird deutlich, dass Aehrenthal die Annexion in naher Zukunft durchführen wird. Einerseits drängten die Verhältnisse im Sandschak infolge der serbischen Hetzerei, andererseits vermutete der österreichisch-ungarische Außenminister, dass Bulgarien die Unabhängigkeit erklären wird. Aehrenthal sah die Räumung des Sandschaks als wertvolle Entschädigung für die Türken. 158 Außerdem würde sich das Verhältnis zwischen der Türkei und der Donaumonarchie bessern, denn „die militärische Besetzung des Sandschak durch österreichische Truppen sei bisher ein Element steter Gefahr gewesen.“ 159 Die Annexion der Provinzen sollte auch gleichzeitig Antwort auf die großserbische Propaganda, die von Belgrad aus betrieben wurde, sein. Über die Art der rechtlichen Verhältnisse in den Provinzen hat sich Aehrenthal nicht geäußert. 155 Ebd. 37. GP, Nr.8935, 40. 157 Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 249. 158 Vgl. GP, Nr.8936, 43f. 159 Ebd. 44 156 39 Doch Tschirschky vermutete, dass die beiden Provinzen weder zu Österreich noch zu Ungarn gehören, sondern dem gemeinsamen Finanzministerium unterstellt werden. 160 Aehrenthal teilte vom 25.September bis zum 30.September 1908 in geheimen Briefen den Außenministern der Großmächte schriftlich mit, dass Österreich-Ungarns Annexion von Bosnien-Herzegowina und der Rückzug aus dem Sandschak Novi Pazar bevorstehe. Er nannte aber kein genaues Datum. 161 Aehrenthal kündigte am 25.September dem italienischen Außenminister Tittoni die bevorstehende Räumung des Sandschaks und die Annexion der beiden osmanischen Provinzen an: Je puis aujourd’hui Vous annoncer que la question du Sandjak a formé tout dernièrement l’objet de délibérations dans les conseils des Ministres de Sa Majesté Impériale et Royale Apostolique et que l’opinion a prévalu, non pas de renfoncer les troupes […] mais au contraire de les retirer et renoncer [...] mon auguste Maître se verra en même temps obligé de s’occuper d’une autre question, celle de la Bosnie et de l’Herzégovine dont l’annexion devra être prononcée. 162 Übersetzung : Heute kann ich Ihnen mitteilen, dass die Frage des Sandschaks den Gegenstand der gemeinsamen Ministerratssitzung gebildet hat und es hat sich die Meinung durchgesetzt, die Truppen nicht zu verstärken […] sondern im Gegensatz diese zurückzuhalten und zurückzuziehen […] Mein Herr, der Erhabene, fühlte sich zugleich gezwungen sich mit einer anderen Frage zu beschäftigen, und zwar jener von Bosnien und der Herzegowina, deren Annexion verkündet werden muss. 163 Dem Reichskanzler Bülow versicherte der k.u.k. Außenminister im Privatschreiben vom 26.September, dass die Annexion die beste Lösung sei, die er hinsichtlich der beiden osmanischen Provinzen Bosnien-Herzegowina treffen konnte. Denn Aehrenthals Ansicht nach wird die förmliche Einverleibung erstens den eigenen Interessen der Monarchie gerecht und zweitens hat sie am wenigsten Auswirkung auf die Stellung der anderen Mächte. Er entschied sich daher, die „Truppen aus dem Sandschak herauszuziehen, auf eine Okkupation jener Gebiete definitiv zu verzichten, gleichzeitig aber die Annexion der beiden Provinzen als fait 160 Vgl. ebd. 44f. Kamler, Annexion und Erwerb, 81f. 162 ÖUAP, Nr.88, 98. 163 Übers. d. V. 161 40 accompli auszusprechen.“ 164 Aehrenthal beendete das Schreiben, indem er äußerte, dass er in dieser Gelegenheit mit der Unterstützung Deutschlands rechnet. Franz Joseph I. wird dem Kaiser Wilhelm vor der Annexion schreiben und ihm die Beweggründe genau schildern. 165 Zwei Tage nach dem Schreiben an Bülow kündigte Aehrenthal dem englischen Auswärtigen Amt die bevorstehende Annexion an. Er nannte die Beweggründe, die die Monarchie dazu führten, die beiden okkupierten Provinzen zu annektieren und den Sandschak zu räumen. Aehrenthal äußerte am Ende des Schreibens, dass der Verzicht auf den Sandschak der Türkei einen Beweis ihrer vertrauensvollen Freundschaft erbringen sollte: „En agissant ainsi et en retirant nos troupes du Sandjak nous donnons à la Turquie une preuve éclatante de notre confiante amitié […].“ 166 Übersetzung: Indem wir unsere Truppen aus dem Sandschak zurückziehen, beweisen wir der Türkei unsere vertrauensvolle Freundschaft. 167 4.4 4.4.1 Ministerpräsidenten Max Wladimir Freiherr von Beck Max Wladimir Freiherr von Beck wurde am 6.September 1854 in Wien geboren. Er war der Sohn des Direktors der Hof- und Staatsdruckerei Anton von Beck. 168 Nach abgeschlossenem Studium der Rechtswissenschaften begann er im Jahre 1878 in der Finanzprokuratur zu arbeiten. Er war von 1880 bis 1906 als Ackerbauminister tätig. Beck war der wichtigste Berater des Thronfolgers Franz Ferdinand, sowohl in politischen als auch in persönlichen Angelegenheiten. 169 1906 kam es aufgrund des ungarischen Ausgleiches zu einer Krise im Parlament, infolgedessen Beck zum neuen Ministerpräsidenten ernannt wurde. Bis 1908 hatte er das Amt des Ministerpräsidenten inne. 1907 führte Max Wladimir Freiherr von Beck in der Hoffnung 164 Ebd., 100. Vgl. ebd. 166 ÖUAP, Nr.92, 104. 167 Übers. d. V. 168 Vgl. Beck, Max Wladimir von. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1957, 61. WWW: www.biographien.ac.at/oebl_1/61.pdf [Zugriff am:27.11.2013] 169 Vgl. ebd. 165 41 auf Frieden zwischen den Deutschen und Tschechen das allgemeine gleiche Wahlrecht in Österreich ein. 170 . An der Politik Becks fand nicht jeder Gefallen. Der Ministerpräsident versuchte immer den Mittelweg zu finden, was im Vornhinein zum Scheitern verurteilt ist: Denn „der goldene Mittelweg verläuft im Niemandsland.“ 171 Sowohl Aehrenthal als auch der Thronfolger Franz Ferdinand taten alles, um die Politik Becks zu bekämpfen, mit der sie nicht zufrieden waren. Beck wurde am 15.November 1908 entlassen. Franz Ferdinand erreichte die Entlassung Becks zu einem Zeitpunkt, als sich Monarchie wegen der Annexion Bosniens und der Herzegowina in einer außenpolitischen Krise befand 172 Weitere Funktionen Becks waren: 1919-1938 Präsident des Roten Kreuzes und 1915-1934 Präsident des Obersten Rechnungshofes. 173 Am 20.Jänner 1943 starb jener Mann, der sich immer bezüglich „einer Politik des Ausgleichs auf der Grundlage gegenseitigen Verstehens“ 174 eingesetzt hatte. 4.4.2 Reaktion Becks Als Aehrenthal während der Ministerratssitzung vom 19.August 1908 auf eine baldige Annexion drängte, vertrat Beck eine gegenteilige Meinung. Der Ansicht des k.k. Ministerpräsidenten nach waren die Aufschlüsse über die Annexion zwar interessant, aber er hatte dennoch Bedenken, was die diplomatische Durchführung betraf. Er konnte nicht zur Gänze die Gefahr eines Konfliktes mit einer anderen europäischen Macht ausschließen. Denn der österreichische Ministerpräsident glaubte, dass die Mächte Forderungen stellen würden, um dem geplanten Schritt der Monarchie zuzustimmen. Auch wenn es zu keinem Zusammenstoß mit einer anderen Macht komme, sei ein Konflikt mit der Türkei unumgänglich. 175 170 Vgl. Hellmuth Rößler, Beck, Max Wladimir Freiherr von. In: Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 1, Duncker & Humblot, Berlin 1953, 706f. WWW: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118654373.html [Zugriff am: 27.10.2013] 171 Johann Christoph Allmayer-Beck, Ministerpräsident Baron Beck, Ein Staatsmann des alten Österreich, Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1956, 286. 172 Vgl. Wandruszka, Österreich-Ungarn vom ungarischen Ausgleich bis zum Ende der Monarchie (1867-1918). 385. 173 Vgl. ÖBL 1, Beck. 174 Allmayer-Beck, Ministerpräsident Baron Beck, 286. 175 Vgl. ÖUAP, Nr.40, 45. 42 Beck richtete sich außerdem gegen den von Wekerle vorgeschlagenen für die Annexion geltend zu machenden Rechtstitel und bezeichnete die historischen Ansprüche Ungarns auf Bosnien und die Herzegowina als für einen solchen keineswegs geeignet, das hiedurch dem Auslande gegenüber der Anschein hervorgerufen werden würde, als ob Ungarn mit Beihilfe Österreichs die Annexion vollziehen würde, während tatsächlich doch nur die Monarchie als solche die Annexion vornehmen könne. 176 Der österreichische Ministerpräsident beurteilte die Einverleibung der beiden Provinzen als vollkommene Verletzung des Berliner Vertrages. Die Annexion sollte, seiner Auffassung nach, erst dann erfolgen, wenn ein zwingender Grund bestand: Wenn man unter dem Drucke einer Zwangslage zur Annexion schreiten würde, würde man sogar überhaupt keines Rechtstitels hierzu bedürfen, da eine solche Lage ihre innere Rechtfertigung in sich trage und man sich auf dieselbe nicht nur dem Auslande, sondern auch den eigenen Legislativen gegenüber berufen könnte. Die erforderliche Zwangslage könne eventuell durch einen die kaiserlichen und königlichen Truppen im Sandschak betreffenden Zwischenfall oder auch durch den Eintritt anarchischer Zustände in der Türkei entstehen. 177 Dr. Freiherr von Beck erklärte sich zwar gegen Ende der Sitzung bereit, eine Gesetzesvorlage mit Wekerle zu erarbeiten, doch wäre er keinesfalls mit der Annexion in eigenem Namen einverstanden. Er werde die Sache, um im Namen der österreichischen Regierung zuzustimmen, den Gegenstand der Annexion im österreichischen Ministerrat besprechen. Der österreichische Ministerpräsident, der anfänglich gegen eine Annexion war, hatte seine Meinung nach Erhalt der Berichte des 9.Gebirgsbrigadekommandos in Plevje, die ihm Aehrenthal zukommen ließ, vollkommen geändert. Denn seit der Wiederherstellung der Verfassung im Osmanischen Reich attackierte die muslimische Bevölkerung des Sandschaks 176 Vgl. Schmied-Kowarzik, Die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, 6, 188. 177 ÖUAP, Nr.40,. 46. 43 von Novi Pazar österreichisch-ungarische Soldaten. 178 Das Schreiben des Brigadekommandos vom 20.August führte die missliche Lage deutlich vor Augen: Seit der Verkündung der Verfassungsherstellung in der Türkei hat sich eine Erhitzung der Leidenschaften im Sandschak entwickelt, deren Spitze sich nun mehr […] ausschließlich gegen die österreichisch-ungarischen Besetzungstruppen […] richtet und sich bis zur Erbitterung steigert. Schon vor 14 Tagen, gelegentlich des Einzuges der Abgesandten des jungtürkischen Kommitees, welche die Bevölkerung auf die jungtürkischen Ideen vereidigten, kam es zu ziemlich unverblümten Äußerungen des Hasses gegen uns. […] ;Dolje sa Svabom‘ (Nieder mit den Schwaben), welche Ruf fortwährend wiederholt und fortgepflanzt und nunmehr zum ständigen Losungswort wurde. […] Von da ab begannen Provokationen unserer Soldaten. Man schmähte hinter ihnen, spuckte vor ihnen aus und endlich begannen […] Steinwürfe von halbwüchsigen Burschen und Kindern (auch Mädchen), hinter denen aber stets Erwachsene in Bereitschaft standen. 179 Nach Erhalt dieser schlechten Nachrichten aus dem Sandschak schrieb Beck am 1.September 1908 an Aehrenthal und stimmte in diesem Schreiben der Bedrohung der Situation in den Okkupationsgebieten - somit der Annexion - zu: „Ich verkenne den Ernst der Lage daselbst keinen Augenblick und erkenne an, daß dieser ein ernster Motiv für die hinsichtlich des Okkupationsgebietes zu fassenden Entschließungen bildet.“ 180 Am 10.September 1908 äußerte Beck folglich bei der Ministerratssitzung, dass er die Annexion als erforderlich betrachte und es keiner weiteren Zwangslage bedarf. Doch war er gegen die vorgeschlagene Teilmobilisierung. Diese sollte vermieden werden und erst dann erfolgen, wenn eine Zwangslage eintritt. 181 178 Vgl. ebd. 53f ÖUAP, Nr.40, 53f. 180 Solomon Wank (Hrsg.), Aus dem Nachlaß Aehrenthal, Briefe und Dokumente zur österreichisch-ungarischen Innen- und Aussenpolitik 1885-1912, Zweiter Teil, Wolfgang Neugebauer Verlag, Graz 1994, Nr.461, 619. 181 Vgl. ÖUAP, Nr.75, 83. 179 44 4.4.3 Sándor Wekerle Sándor Wekerle (dt. Alexander Wekerle) ist am 14.November 1848 in Mór (Ungarn) auf die Welt gekommen. Er stammte aus einer gehobenen bürgerlichen Familie, die im schwäbischen Raum ihre Wurzel hat. Seine Eltern waren Sándor und Antónia Wekerle. 182 Nach der Absolvierung seines juristischen Staatsexamens im Jahre 1872 trat er verschiedene Auslandsreisen an. Nachdem er einige Jahre im Finanzministerium gearbeitet hatte, war er seit 1877 als Universitätsdozent an der Universität Budapest tätig. Noch im selben Jahr heiratete er Gizella Molnár, die einer wichtigen ungarischen Adelsfamilie entstammte. Die Familie Gizellas akzeptierte die Ehe aus zweierlei Gründen: einerseits aus dem Grund, dass die Wekerles trotz ihrer Abstammung ein hohes Ansehen hatten, andererseits, weil Sándor hervorragende persönliche Eigenschaften besaß. 183 1887 wurde er zum Staatssekretär im Finanzministerium ernannt. Noch im selben Jahr erhielt er ein Mandat in der Liberalen Partei. Nach zweijährigem Dienst im Finanzstaatssekretariat wurde er im Jahr 1889 zum Finanzminister nominiert. Zum ersten Mal bekleidete jemand als „Beamter“ diese Funktion. Ansonsten sind es immer Parlamentarier gewesen, die zu diesem Amt berufen worden sind. 184 Am 17.November 1892 wurde Sándor Wekerle zum Ministerpräsidenten ernannt. Wekerle war der erste bürgerliche Ministerpräsident des Landes. Da er über ein ausgezeichnetes Fachwissen in der Finanzpolitik und genügend politische Erfahrungen verfügte, war er für dieses Amt geeignet. Bis 1895 hatte Dr. Wekerle die erste Ministerpräsidentschaft inne und von 1906 bis 1910 die zweite. Seine dritte Übernahme, die 1917 erfolgte, dauerte nur ein Jahr. 185 182 Vgl. Geyr, Sándor Wekerle 1848-1921, 27ff. Vgl. ebd. 59ff. 184 Vgl. ebd. 88ff. 185 Vgl. ebd. 124ff. 183 45 Abb.7: Sándor Wekerle, offizielles Portraitfoto, um 1906. Nachlass Wekerle. Vgl. Geyr, Sándor Wekerle, 224. 46 Im Oktober 1918 fand ein politischer Umbruch, die sogenannte „Asternrevolution“, in Ungarn statt. Im Zuge der neuen Regierung, die anschließend an diese Revolution gebildet wurde, kam es zur Verhaftung Wekerles. Nach viereinhalb Monaten ging seine Gefangenschaft zu Ende. 186 Wekerle starb am 26.August 1921. Er wurde im Kerepeser Friedhof in Budapest bestattet. 187 4.4.4 Reaktion Wekerles Wekerles Rolle beim Zustandekommen der Einverleibung ist nicht unerheblich. Da es sich bei der Annexion um eine außenpolitische Angelegenheit handelte, musste auch der königlich ungarische Ministerpräsident seine Zustimmung zur Einverleibung geben. Am 22.Juli 1908 bat Wekerle den ungarischen Politiker Thalloczy, ihm ein Memorandum über den bosnisch-herzegowinischen Sachverhalt vorzubereiten, da er am 19.September die Annexionsfrage im ungarischen Ministerrat besprechen wollte. 188 Nachdem Wekerle im August 1908 die Denkschrift des Reichsfinanzministers Burián, die den ursprünglichen Plan der Annexion beinhaltete, zum ersten Mal las, schloss er sich der Konzeption an. 189 Bei der Ministerratssitzung vom 19.August 1908 meinte Wekerle, dass Österreich-Ungarn weder finanziell noch militärisch in der Lage sei, „sich einem Konflikte mit einer fremden Macht auszusetzen.“ 190 Er sprach sich aber dennoch unter zwei Voraussetzungen für eine Annexion aus: • Der österreichisch-ungarische Dualismus sollte nicht gefährdet werden. 191 • Die beiden Provinzen sollten nach dem ungarischen Recht „wiederangegliedert“ werden: Wekerle schlug als Rechtstitel das Recht der ungarischen Krone vor, auf 186 Vgl. Geyr, Sándor Wekerle 1848-1921, 441ff. Vgl. ebd. 473. 188 Vg. ebd. 291. 189 Vgl. Geyr, Sándor Wekerle 1848-1921, 291. 190 Vgl. ÖUAP, Nr.40, 44. 191 Vgl. Geyr, Sándor Wekerle 1848-1921, 292 187 47 dessen Grundlage die ehemals zu Ungarn gehörigen Provinzen zurückerobert und an die ungarische Krone angeschlossen werden sollten. 192 Weiters vertrat er die Ansicht, dass die Donaumonarchie durch das Zurückziehen der Truppen aus Novi Pazar nach außen beweisen konnte, dass sie kein weiteres Interesse auf dem türkischen Territorium habe. Außerdem war er fest entschlossen, dass die Annexion eine „Konsolidierung der Zustände“ in den beiden Provinzen herbeiführen werde. Nur mit der Durchführung der Annexion könne die Provinzialverfassung eingeführt und die Frage der Staatsbürgerschaft der Bewohner der beiden Provinzen geregelt werden. Auch würde die Annexion den Gewalttätigkeiten der Serben in Bosnien und Herzegowina ein Ende setzen. 193 Im Gegensatz zu Beck stufte Wekerle das Abwarten auf eine Zwangslage als zu gefährlich ein. Das sofortige Zurückziehen der Truppen aus dem Sandschak würde erstens dem Prestige der Monarchie nicht schaden und zweitens würde sie eine friedliche Haltung demonstrieren. 194 Wekerle stimmte im Gegensatz zu dem österreichischen Ministerpräsidenten Beck nur aus eigener Überzeugung zu und musste die Annexionsfrage in seiner Regierung besprechen. 195 Am 10.September 1908 vertraten der k.k. Ministerpräsident Beck und der kgl. ungarische Ministerpräsident ähnliche Meinungen, doch Beck hielt weiterhin die Forderung Wekerles, die Annexion im Namen der Ungarischen Krone durchzuführen, als inakzeptabel. Es wurde vereinbart, die Einverleibung spontan zu verwirklichen. 196 Um die Annexion durchzuführen, arbeiteten Beck, Wekerle, Aehrenthal und Burián an einem Gesetzesentwurf. Ende September akzeptierte die österreichische Hälfte den Text. Da sich aber die ungarische Regierung gegen die Konzeption auflehnte, musste mit Wekerle eine Übereinkunft getroffen werden. Deshalb traf der Reichsfinanzminister am 1.Oktober 1908 in Budapest ein, und erst nach mühsamen Verhandlungen konnte am 3.Oktober 1908 die definitive Proklamation nach Wien geschickt werden. 197 192 Vgl. Schmied-Kowarzik, Die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, 6, 185. 193 Vgl. ÖUAP, Nr.40, 44f. 194 Vgl. ebd. 46. 195 Vgl. ebd. 49 196 Vgl. Geyr, Sándor Wekerle, 292. 197 Vgl. ebd.293. 48 4.5 4.5.1 Finanzministerium Stephan Burián Stephan Burián von Rajecz ist am 16.Jänner 1851 in Stampfen bei Preßburg geboren. 198 Nach der Absolvierung der Konsularakademie versah er diplomatische Dienste in Alexandria, Bukarest, Sofia und Belgrad. In den Jahren 1882 bis 1886 war er Leiter des Generalkonsulats in Moskau. Von 1887 an war er in verschiedenen Städten Europas als Gesandter tätig, so in Sofia, Stuttgart und Athen. 199 1903 wurde er zum gemeinsamen Finanzminister („Reichsfinanzminister“) ernannt. Dieses Amt hatte er bis 1912 inne. Als Minister der Finanzen war er nach der förmlichen Annexion Bosnien und Herzegowinas mit der Zivilverwaltung dieses Staatsgebietes betraut worden. Er wurde trotz der Reformen, die er dort durchführte, wie zum Beispiel Durchführung von Landtagswahlen, sehr kritisiert. 200 Burián fungierte von 1915 an, nach dem Rücktritt Berchtolds, als österreichisch-ungarischer Außenminister. Während des Ersten Weltkrieges konnte er trotz großer Bemühungen weder Italiens noch Rumäniens Eintritt in den Krieg verhindern. Er trat auch vehement gegen den UBootkrieg auf. 201 Ein Jahr nach seiner Ernennung zum Außenminister wurde er 1916 wieder Finanzminister. Am 18. April 1918 trat er neuerlich als Nachfolger Czernins den Dienst im Außenministerium an. 202 Mehrmals unternahm er erfolglos Schritte, um dem Krieg ein friedliches Ende zu setzen. Deshalb dankte er am 24.Oktober 1918 ab. 203 198 Vgl. Burian von Rajecz, Stefan Graf. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1957, 129. WWW: http://www.biographien.ac.at/oebl_1/129.pdf [Zugriff am: 27.11.2013] 199 Vgl. ebd. 200 Vgl. Reinhold Lorenz, Burián von Rajecz, Stephan Graf. In: Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 3, Berlin 1957, 52. WWW: http://www.deutsche-biographie.de/pnd124541755.html [Zugriff am: 27.10.2013] 201 Vgl. ebd. 202 Vgl. ebd. 203 Vgl. ebd. 49 Er starb am 20.10.1922 in Wien. 204 4.5.2 Reaktion des Finanzministers Burián, der Reichsfinanzminister war, hatte im Jahre 1908 die Verwaltung der beiden osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina inne. Es gab zahlreiche Probleme in diesem Verwaltungsgebiet. In Bosnien und Herzegowina lebten die drei Bevölkerungsgruppen Serben, Moslems und Kroaten zusammen. Die Hauptaufgaben Buriáns bestanden darin, die okkupierten Gebiete mit abendländischem Geist zu führen, eine Assimilation zwischen der Bevölkerung BosnienHerzegowinas und den anderen Ländern der Monarchie herzustellen und die serbischen Aufwiegler zu bekämpfen. 205 Nach der jungtürkischen Revolution ergaben sich neue Schwierigkeiten für Burián. Es bestand die Gefahr, dass Bosnien-Herzegowina nach der Revolution in der Türkei auch am parlamentarischen Geschehen teilhaben könnte. Deshalb machte der Reichsfinanzminister Aehrenthal den Vorschlag, daß eine diplomatische Aktion unternommen werde, um die, wenn auch unbefristete, so doch provisorische Okkupation von Bosnien und der Herzegowina in eine definitive Annexion zu verwandeln. Durch die Annexion, die definitive staatsrechtliche Einverleibung der okkupierten Provinzen, sollte die Möglichkeit geboten werden, die Bewohner derselben zu staatlichem Patriotismus zu erziehen, es sollte die Voraussetzung geschaffen werden, der serbischen Werbearbeit auf rechtlicher Grundlage mit mehr Erfolge entgegenzutreten, es sollte endlich die Vorbedingung erbracht werden für die Konstituierung eines bosnisch-herzegowinischen Landtages, für die autonome Selbstverwaltung der beiden Provinzen und für die Beteiligung des heimischen Elementes an der Regierung des eigenen Landes. 206 204 Vgl. NDB 3, Burian von Rajecz. Vgl. Musulin, Das Haus am Ballhausplatz, 163. 206 Musulin, Das Haus am Ballhausplatz, 165. 205 50 Burián, der Anfang Juli - gleichzeitig mit der Aide-mémoire Iswolskis, in welchem der russische Außenminister über die Annexionsfrage einerseits, über die Meerengenfrage andererseits erörtert - an Aehrenthal mit der Idee herangetreten ist, die Okkupation von Bosnien-Herzegowina in eine definitive Einverleibung zu verwandeln, schrieb in seinem Tagebucheintrag vom 5.August 1908 Folgendes: „Aehrenthal hat meine Idee der Annexion, wie ich sie in meiner Denkschrift vom April 1908 dargelegt habe, völlig angenommen.“ 207 Burián gab auf der Ministerratsversammlung vom 19.August bekannt, dass er schon vor der Revolution der Jungtürken dem Kaiser in einem Mémoire eine baldige Ausführung der Annexion angeraten habe. Die neuen Umstände in der Türkei stellten seiner Ansicht nach eine Zwangslage dar und es bedarf keiner anderen. Er hatte schon seit einem längeren Zeitpunkt ein Programm für die „Errichtung von Vertretungskörpern“ in Bosnien und der Herzegowina ausgearbeitet, das möglichst bald in die Tat umgesetzt werden muss. Die Bewohner der beiden Provinzen würden durch die Annexion nicht überrascht sein, und es würden außer einzelnen Protesten einiger Moslems und Anhängern der Idee des großserbischen Reiches keine Probleme entstehen. Seiner Ansicht nach waren die Gefahren, die durch die Annexion entstehen könnten viel geringer, als jene, die sich aus dem jetzigen Zustand ergeben können. 208 Bei der Versammlung am 10.September 1908, die in Budapest zustande kam, war Burián wie der österreichische Ministerpräsident Beck gegen eine Mobilisierung. Der k.u.k. Reichsfinanzminister schlug vor, dass die Mobilmachung a posteriori erfolgen soll, „wenn man etwa sehen werde, dass die Sache nicht ganz ruhig abläuft, wodurch dann ein grosser moralischer Effekt erzielt werden würde.“ 209 207 Geyr, Sándor Wekerle 1848-1921, 291. Vgl. ÖUAP, Nr.40, 48f. 209 ÖUAP, Nr.75, 83. 208 51 4.6 4.6.1 Militär Franz von Schönaich Franz von Schönaich ist am 27.Februar 1844 in Wien geboren. Er war der Sohn des Hofrates Franz Schönaich. Er stammte von einer bedeutenden Patrizierfamilie ab. 210 Nach dem Tode des Vaters wuchs er bei seinem Stiefvater Josef Standthartner auf, wo Schönaich mit wichtigen Vertretern des Kunstlebens Bekanntschaft machte, so zum Beispiel mit Richard Wagner. 211 Nach dem Besuch der Militärerziehungs- und Bildungsanstalt wurde er im Jahre 1862 Leutnant und absolvierte dann die Ausbildung zum Generalstabsoffizier. 212 Bevor er 1876 Major wurde, begann er im Kriegsministerium in der 5.Abteilung zu arbeiten. Im Jahre 1887 erfolgte die Zuteilung Schönaichs zur persönlichen Dienstleistung bei Generaltruppeninspektor Erzherzog Albrecht von Österreich. Diese Tätigkeit war ein wichtiger Wendepunkt in seinem Leben. Schönaich war bis zum Jahre 1895 im Dienste des erfolgreichen Erzherzogs Albrecht. Noch im selben Jahr stieg er zum Feldmarschall-Leutnant auf. 1899 nahm er seine Tätigkeit im Reichskriegsministerium wieder auf, diesmal als Sektionschef. Am 19.12.1902 wurde er Korpskommandant und 1905 erfolgte sein Amtsantritt als k.k. Minister für Landesverteidigung. 213 Im Jahre 1906 wurde Freiherr von Schönaich zum k.u.k. Reichskriegsminister ernannt. 214 1908 heiratete er die Witwe Mathilde und adoptierte auch ihre beiden Söhne, „die seinen Namen und das Adelsprädikat erhielten.“ 215 210 Vgl. Walther Hetzer, Franz von Schönaich, Reichskriegsminister von 1906-1911 (Dissertation), Wien 1968, 3. 211 Vgl. Peter Broucek, Schönaich, Franz Xaver Freiherr von. In: Hans Günter Hockerts (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 23, Berlin 2007, 382-383. WWW: http://www.deutsche-biographie.de/pnd129442577.html [Zugriff am: 27.10.2013 ] 212 Vgl. ebd. 213 Vgl. Hetzer, Franz von Schönaich, 4f. 214 Vgl. NDB 23, Schönaich. 215 Hetzer, Franz von Schönaich, 7. 52 Im September 1911 erfolgte die Absetzung vom Amt des Kriegsministers. Freiherr von Schönaich beschäftigte sich nach seiner Entlassung mit karitativen Organisationen: Er errichtete beispielsweise im Jahre 1914 den Militär-, Witwen-, und Waisenfonds. 216 Er starb am 26. Jänner 1916 in Wien. 217 4.6.2 Reaktion des Kriegsministers Bei der Ministerratssitzung vom 19.August 1908, die die Besprechung der Annexionsfrage zum Gegenstand hatte, erwiderte Schönaich auf die Frage Becks, welche militärischen Vorbereitungen für die Annexion getätigt werden müssen, dass es reiche, die Zahl der Truppen in den okkupierten Provinzen zu erhöhen. 218 Am 24.August 1908 schrieb Schönaich nach Erhalt des Schreibens des Generalstabchefs dem Kaiser. 219 Er verharmloste aber in seinem Vortrag im Gegensatz zu Conrad die Dringlichkeit der Mobilisierungsmaßnahmen, verlangte aber eine Erhöhung der Truppenzahlen des 15.Korps. 220 Der Kriegsminister ließ Franz Joseph wissen, dass er dem Kommandanten des 15.Korps nach der Sitzung vom 19.Juli streng geheim angeordnet habe, über „alle Eventualitäten vorzudenken und [über; Anm. d. Verf.] Forderungen, [mit; Anm. d. Verf.] denen er mit den im Okkupationsgebiete [vorhandenen; Anm. d. Verf.] Mitteln nicht genügen könnte“ 221, ihn zu verständigen. Auch teilte Schönaich dem k.u.k. Monarchen mit, dass er den Außenminister Aehrenthal über das Inkrafttreten einer Verschlechterung in den beiden Provinzen informiert habe und eine Zusammenkunft diesbezüglich wünsche. Schönaichs Ansicht nach sind folgende militärische Vorbereitungen unbedingt nötig: „Einstellung aller Beurlaubungen, Stärkung der Stände, Vorsorgen für die Verfügungen über die 9.Gebirgsbrigade, aber insbesondere eine amtliche Instruktion für den kommandierenden General und [die; Anm. d. Verf.] isolierten höheren und Truppenkommandanten.“ 222 Nach 216 Vgl. NDB 23, Schönaich. Vgl. ebd. 218 Vgl. ÖUAP, Nr.40, 49. 219 Vgl. Conrad, AMD 1, 110f. 220 Vgl. Kronenbitter, Krieg im Frieden, 336. 221 Conrad, AMD 1, 111. 222 Ebd. 217 53 einer Einverständniserklärung Aehrenthals wird er dem Kaiser die für Bosnien erarbeiteten Erlassentwürfe zukommen lassen. 223 Als der Außenminister auf der Versammlung vom 10.September 1908 von den militärischen Schritten sprach, schlug Schönaich die Teilmobilisierung des 15.Korps vor - obwohl er die Sorge trug, dass diese Maßnahme einen schlechten Eindruck in der Öffentlichkeit verursachen würde. Die Truppenstände sollten von 20000 auf 64000 Mann erhöht werden. Die Mobilisierung würde im ersten Monat 48 Millionen Kronen kosten. Pro Monat würden 6 Millionen dazu kommen. Da die Truppen bis zum Frühjahr 1909 stehen müssten, würden sich die Gesamtkosten auf 100 Millionen Kronen belaufen. 224 Er legte aber nach dem Gespräch Becks nahe, dass man vorläufig ohne Mobilmachung auskommen und erst dann mobilisieren sollte, wenn der Landeschef ein Gesuch stellt. 225 4.6.3 Franz Conrad von Hoetzendorf Franz Conrad von Hoetzendorf ist am 14.November 1852 in Wien geboren. 226 Nach der Absolvierung der Theresianischen Militärakademie, wurde er Jägeroffizier und anschließend besuchte er die Generalstabsschule in Wien. Er nahm in den Jahren 1878-1879 als Generalstabsoffizier bei der Okkupation Bosnien und Herzegowinas teil. 227 Nach diversen Generalstabsdiensten befand er sich im Frühjahr 1899 als Oberst und Regimentskommandant in Schlesien. Am 9.April 1899 wurde er zum Brigadier in Triest ernannt. Drei Wochen später wurde er Generalmajor. 228 Im Herbst 1903 wurde er Kommandant der 8.Infanterie-Division in Innsbruck. 1906 reiste er auf Einladung des Erzherzogs Franz Ferdinand nach Wien. Der Thronfolger schlug dem Kaiser Conrad von Hoetzendorf als Chef des Generealstabes vor. Hoetzendorf lehnte aber ab, denn es fiel ihm schwer, sich von seiner Tätigkeit in Tirol zu trennen. Im November 1906 223 Vgl. ebd. Vgl. ÖUAP, Nr.75, 82f. 225 Vgl. ebd., 83. 226 Vgl. Oskar Regele, Conrad von Hötzendorf, Franz Xaver Josef Freiherr, Graf. In: Otto Graf zu StolbergWernigerode (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 3, Berlin 1957, 336-339. WWW: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118676768.html [Zugriff: 27.10.2013] 227 Vgl. ebd. 228 Vgl. Feldmarschall Conrad: Aus meiner Dienstzeit 1906–1918. Erster Band: Die Zeit der Annexionskrise 1906–1909. Rikola Verlag. Wien/Berlin/Leipzig/München 1921-1925, 29. 224 54 erfolgte eine abermalige Einladung nach Wien. 229 Diesmal musste sich Franz Conrad seinem Schicksal fügen: Ich hatte mich also abermals im Belvedere eingefunden; diesmal gab es für mich keinen Ausweg […] und mir erübrigte nichts, als mich zu fügen. Ich verließ das Belvedere, wie ich offen gestehen muß, in nachdenklichster, eigentlich gedrückter Stimmung; […] Tags darauf wurde ich von Sr. Majestät Kaiser Franz Joseph in Audienz empfangen und mit kurzen Worten zum Chef des Generalstabes ernannt. Ein Handschreiben vom 18.November 1906 veröffentlichte die Ernennung. Mein Schicksal war entschieden. 230 Am 3.Dezember 1911 wurde Conrad des Amtes enthoben, weil es zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Außenminister kam. Als Italien und Serbien territoriale Ansprüche auf österreichisches Gebiet erhoben, schlug Conrad einen Präventivkrieg vor. Doch Aehrenthal, der Zeit seines Lebens immer eine friedliche Lösung suchte, lehnte diesen Vorschlag vehement ab und so kam es zur Entlassung Hoetzendorfs. Nur ein Jahr später aber trat er seinen Dienst wieder an und blieb bis 1.März 1917 Generalstabschef. 231 Conrad von Hoetzendorf, der 1916 zum Feldmarschall ernannt wurde, starb am 25.August 1925 in Bad Mergentheim, wo er sich auf Kur befand. Er wurde auf dem Hietzinger Friedhof in Wien bestattet. 232 Am 2.September 1925 fand- wie auf der folgenden Abbildung zu sehen ist- eine pompöse Begräbnisfeier für den Feldmarschall in Wien statt. 229 Vgl. Conrad, AMD 1, 31f. Conrad, AMD 1, 35. 231 Vgl. NDB 3, Conrad von Hoetzendorf. 232 Vgl. ebd. 230 55 Abb. 8: Feldmarschalls Conrad von Hoetzendorfs letzte Fahrt, Gebrüder Knozer, Wien. In: Wiener Bilder, 6.September 1925, 1. WWW: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=wrb&datum=19250906&seite=1. [Zugriff am: 11.12.2013] 56 4.6.4 Reaktion des Generalstabchefs Als Conrad am 19.August 1908 bei der gemeinsamen Ministerratsversammlung zu Wort kam, äußerte er Aehrenthal gegenüber seine vollkommene Zustimmung bezüglich der Annexion der beiden Provinzen. Im Gegensatz zu Beck war der Generalstabchef der Ansicht, dass die Zwangslage durch die jungtürkische Revolution schon in Kraft getreten sei. Wider dem k.k. Ministerpräsidenten vertrat Hoetzendorf die Meinung, dass das Zurückziehen der Garnison erst nach Eintritt eines Zwischenfalles dem Ansehen der Donaumonarchie Schaden zufügen würde. Nicht nur ist es wichtig, die Gefahren zu besprechen, die durch die Annexion entstehen würden, sondern es soll auch vor Augen gehalten werden, „welche sich ergeben würden, wenn man sich nicht rechtzeitig zur Annexion entschlösse.“ 233 Dieser Vermutung Hoetzendorfs widersprach der Außenminister, indem er ihn auf den Dreibundvertrag aufmerksam machte. 234 Als Beck im Weiteren die Frage aufwarf, wie die militärische Bereitschaft ÖsterreichUngarns im Falle eines Konfliktes mit einer anderen europäischen Macht sei, beruhigte der Generalstabchef die Konferenzteilnehmer: Russland sei nicht in der Lage einen Krieg zu führen und Deutschland komme nicht in Frage. Einzig mit Italien könne die Monarchie in eine militärische Auseinandersetzung geraten. 235 In seinem Werk „Aus meiner Dienstzeit“ schreibt Conrad folgendes: „Schließlich bemerkte ich, daß ich Tittoni im Vorjahre bei den Rennen des 6.Husarenregiemtes in Klagenfurt kennen gelernt hätte und er mir den Eindruck eines sehr gewandten Politikers gemacht habe, dem gegenüber Vorsicht am Platze sei.“ 236 Das Ergebnis der Ministerratssitzung vom 19.August 1908 war „die Anerkennung der Notwendigkeit der Annexion Bosniens und der Herzegowina.“ Es war die Aufgabe Conrads, die Einverleibung militärisch vorzubereiten. Deshalb richtete er gleich nach dem Ministerrat am 22.August ein Schreiben an den Kriegsminister Schönaich. Conrad gab in diesem Brief bekannt, dass der Zeitpunkt der Durchführung der Annexion gekommen sei, und deshalb mussten folgende militärische Maßnahmen getroffen werden: • Standeserhöhung des 15.Korps (Sarajevo) • Vorbereitung der Mobilisierung des 7. und 15.Korps 233 ÖUAP, Nr.40, 47. Vgl. Kronenbitter, Krieg im Frieden, 336. 235 Vgl. ÖUAP, Nr.40, 49f. 236 Conrad, AMD 1, 106. 234 57 • Kommandant des 15.Korps soll dazu verpflichtet werden, jeden Aufstandsversuch niederzuschlagen • Heranziehung der 9.Gebirgsbrigade (Plevlje) 237 Die Kommandanten sollten von diesen Maßnahmen erfahren, damit sie diesbezüglich Anträge stellen. Noch am selben Tag verfasste Conrad dem Außenminister ebenfalls ein Schreiben, in welchem er die sofortige Annexion als unbedingt notwendig erachtet: Ich bin nach wie vor der Ansicht, daß es höchste Zeit ist, den gedachten Schritt, nämlich die Annexion zu vollführen. Jedes Zögern könnte dazu führen, daß wir in Komplikationen verwickelt werden, welche diesen Schritt dann nur immer schwieriger gestalten würden. 238 Conrad fügte dem Schreiben an Aehrenthal außerdem hinzu, dass bevor es zu gröberen Ausschreitungen zwischen österreichisch-ungarischen Soldaten und dem muslimischen Volk im Lim-Gebiet komme, Überlegungen angestellt werden sollen, „was geschehen soll, wenn das provokatorische Auftreten der Bevölkerung im Lim-Gebiet noch größere Dimensionen annehmen sollte.“ 239 Anfang Oktober erteilte Conrad Befehle an das Generalstabsbüro, um mit der Mobilisierung und dem Aufmarsch gegen Serbien zu beginnen. Er setzte sich aber nicht durch. Denn Aehrenthal wollte den Krieg vermeiden. 240 237 Conrad, AMD 1, 110 NL Ae, 615. 239 NL Ae, 615. 240 Kronenbitter, Krieg im Frieden, 339. 238 58 5 5.1 Die Annexion Bosniens und der Herzegowina Gründe der Annexion Bosnien-Herzegowina hatte als okkupiertes Gebiet einen temporären und somit unsicheren Status. Mehrmals gab es Annexionsbestrebungen der Monarchie, so 1887, 1892 und 1896. 241 Warum kam es aber ausgerechnet im Jahre 1908 zur Annexion der beiden Provinzen? Der Außenminister Aehrenthal erklärte in der Versammlung der österreichischen Delegation vom 16.Oktober 1910 die Gründe für die Einverleibung mit folgenden Worten: „Bestimmend für die Annexion war die Einführung der Konstitution in der Türkei und das unzweifelhafte Vorhandensein einer auf die Lostrennung der beiden Provinzen von der Monarchie gerichteten, vom Ausland aus genährten und unterstützten Bewegung.“ 242 Die Annexion richtete sich folglich einerseits gegen den osmanischen Staat - die Interessen Österreichs auf dem Balkan könnten durch die Jungtürken beeinträchtigt werden. Unter den Jungtürken erhoben sich bald Stimmen, die die Rückgabe von Bosnien und der Herzegowina forderten. Überhaupt schien es von nun an schwierig, dass Österreich die beiden Provinzen autoritär regiert, da alle anderen Teile der Türkei eine parlamentarische Körperschaft erhalten hatten. Es bestand die Wahrscheinlichkeit (und auch Möglichkeit), dass die Pforte die beiden Provinzen auffordert, Abgeordnete nach Konstantinopel zu entsenden. Verhandlungen mit dem Osmanischen Reich schienen bei den herrschenden Machtverhältnissen und wegen der allgemeinen Unsicherheit der türkischen Politik unmöglich. 243Andererseits gegen die Serben, weil sie die treibende Kraft für die Einheitsbestrebungen der Balkanslawen waren. 244 Die panslawistische Propaganda erreichte im Frühjahr 1908 ihren Höhepunkt. Sie hatte ihr geistiges Zentrum in Belgrad, erblickte seit dem Jahr 1903 ihre Ziele in einem Großserbischen Reich und drohte durch Benutzung der vorhandenen Unzufriedenheit mit der österreichischen Verwaltung zu einer ersten Gefahr für die Monarchie zu werden. 245 241 Vgl. Geyr, Sándor Wekerle 1848-1921, 289. Theodor von Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns seit 1866, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, Berlin 1914, Band 2, 229. 243 Vgl. Kamler Heinz-Georg, Annexion und Erwerb Bosniens, 78f. 244 Vgl. Matuz, Das Osmanische Reich, 252. 245 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 78. 242 59 Dieser ganze Komplex an Erwägungen veranlasste die österreichisch-ungarische Monarchie den Entschluss zu fassen, die provisorische Okkupation von Bosnien und der Herzegowina in eine definitive Annexion umzuwandeln. 246 5.2 5.2.1 Annexionserklärung Annexionserklärung in Österreich-Ungarn Am 5.Oktober 1908 erklärte Kaiser Franz Joseph I. die seit 1878 okkupierten Provinzen Bosnien und Herzegowina für annektiert und ordnete gleichzeitig den Abzug der Truppen aus dem Sandschak Novi Pazar an. Der Akt erfolgte in Form von vier Schreiben an den Außenminister, an den Reichsfinanzminister und an die beiden Ministerpräsidenten, welche das Datum 5.Oktober trugen und am 6.Oktober veröffentlicht wurden. 247 In dem die Annexion betreffenden kaiserlichen Handschreiben an Aehrenthal stand Folgendes: Lieber Freiherr von Aehrenthal! Durchdrungen von der unerschütterlichen Überzeugung, daß die hohen kulturellen und politischen Zwecke, um derentwegen die österreichisch-ungarische Monarchie die Besetzung und Verwaltung Bosniens und der Herzegowina übernommen hat, und die mit schweren Opfern erzielten Erfolge der bisherigen Verwaltung nur durch Gewährung von ihren Bedürfnissen entsprechenden verfassungsmäßigen Einrichtungen dauernd gesichert werden können, für deren Erlassung aber die Schaffung einer klaren und unzweideutigen Rechtstellung der beiden Länder die unerläßliche Voraussetzung bildet, erstrecke ich die Rechte meiner Souveränität auf Bosnien und die Herzegowina und setze gleichzeitig die für Mein Haus gültige Erbfolgeordnung auch für diese Länder in Wirksamkeit. Zur Kundgebung der friedlichen Absichten, die Mich bei dieser unabweislichen Verfügung geleitet haben, ordne Ich gleichzeitig die Räumung des Sandschaks von Novi Pazar von den dahinverlegten Truppen Meiner Armee an. 248 246 Vgl. Peter Krämmer, Okkupation und Annexion Bosniens und der Herzegowina in historischer und völkerrechtlicher Sicht (Dissertation), Wien 1971, 107. 247 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 85. 248 Frass, Quellenbuch 3, Nr.206, 311. 60 5.2.2 Annexionsverkündung an die europäischen Herrscher Am 29.September verkündete Franz Joseph I. den Kaisern von Deutschland und Russland, dem italienischen und englischen König und dem französischen Präsidenten durch eigenhändige Schreiben die bevorstehende Annexion. Die Handschreiben gelangten erst am 6.Oktober 1908 zu den Machthabern. 249 Der österreichisch-ungarische Herrscher teilte dem deutschen Kaiser Wilhelm II. den geplanten Schritt mit und nannte ihm zugleich die Gründe, die ihn zu dieser Entscheidung geführt haben. Da die Einführung der Verfassung in der Türkei auch Rückwirkung auf die von Österreich-Ungarn okkupierten Provinzen haben könnte, sah sich der Kaiser gezwungen die Annexion von Bosnien und Herzegowina auszusprechen. 250 Als Beweis der friedlichen Absicht sprach der Kaiser den Verzicht auf den Sandschak aus: Wir verständigen von dieser Sachlage die Kaiserliche Ottomanische Regierung und eröffnen ihr gleichzeitig, daß wir zum Beweise unserer eminent friedlichen und jeden Gedanken einer territorialen Erwerbung am Balkan abweisenden Politik die im Sandschak garnisonierenden Truppen zurückziehen und für die Zukunft auf die Ausübung der Vorrechte verzichten, die uns der Berliner Vertrag bezüglich des Sandschaks von Novi Pazar eingeräumt hat. 251 Dem König Eduard VII. von England kündigte er ebenfalls am 29.September 1908 in einem Privatschreiben, das auf Französisch verfasst war, die bevorstehende Annexion und die Räumung des Sandschaks an: „[…] j‘ai autorisé Mon Gouvernement à renoncer au moment de l’annexion de la Bosnie et de l‘Herzégovine à l’exercice des droits militaires et administratifs que le traité de Berlin nous a conférés dans le Sandjak de Novibazar.“ 252 Übersetzung: Ich habe Meine Regierung bevollmächtigt, im Zuge der Annexion Bosnien und 249 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 85. Vgl. Johannes Lepsius [u.a.], Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914. Sammlung der Diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. 26.Band. Die Bosnische Krise 1908-1909. Erste Hälfte, Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte, Berlin 1925, Nr.8978, 97. 251 Ebd. 252 Bittner Ludwig/ Uebersberger Hans (Hrsg.), Österreich-Ungarns Aussenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren, Band 1, Wien/Leipzig 1930; Nr.93, 105: 250 61 Herzegowinas auf die Militär- und Verwaltungsrechte des Sandschak Novi Pazar, die uns der Berliner Vertrag verliehen hat, zu verzichten. 253 Auch dem Präsidenten der französischen Republik berichtete der Kaiser über die Einverleibung Bosnien und Herzegowinas, zu der er aufgrund der Geschehnisse in der Türkei gezwungen werde: „Les événements qui viennent de se dérouler en Turquie ont fait mûrir un problème qui formait déjà depuis longtemps l’objet de la sollicitude de Mon Governement. Il s’agit de la Bosnie et Herzégovine. […] Je Me verrai obligé d’en prononcer l’annexion définitive.“ 254 Übersetzung: Die Ereignisse, die sich in der Türkei abspielen, haben ein Problem heranreifen lassen, das seit längerem Meine Regierung beunruhigt. Es handelt sich um Bosnien und Herzegowina. […]Ich sehe mich gezwungen, die definitive Annexion auszusprechen. 255 Der italienische König Viktor Emanuel II. und der russische Kaiser Nikolaus II. wurden gleichfalls über die nach unvorhergesehenen Ereignissen - sprich nach der durch die Jungtürkische Revolution veränderten Situation im Osmanischen Reich - erforderlich gewordene Annexion informiert. 256 5.2.3 Mitteilung an die k.u.k. Botschaften Am 3.10.1908 schrieb der österreichische Außenminister den Botschaftern in Paris, Berlin, St. Petersburg, Rom und London, dass sie ihre Regierungen über die Annexion informieren sollen. 257 Den Text der Noten an die europäischen Mächte sowie an die Türkei hatte Freiherr von Muslin schon am 12.August 1908 im Auftrage Aehrenthals verfasst. 258 Die k.u.k. Botschaften in Berlin, Paris, St.Petersburg, London und Rom erhielten folgende Mitteilung des österreichisch-ungarischen Außenministers: Aussi le Gouvernement Impérial n’a-t-il pas hésité à informer la Sublime Porte qu’il renonçait à faire valoir à l’avenir les droits que la convention de Constantinople lui a conférés par rapport au Sandjak de Novibazar. […] La Bosnie et l’Herzégovine sont 253 Übers. d. V. ÖUAP, Nr. 95, 105. 255 Übers. d. Verf. 256 ÖUAP, Nr. 96 und Nr. 97, 106 f. 257 Kamler, Annexion und Erwerb, 87. 258 Vgl. Musulin, Das Haus am Ballhausplatz, 164f. 254 62 arrivées aujourd’hui […] à un haut degré de culture matérielle et intellectuelle ; le moment parait donc venu de couronner l’œuvre entreprise en octroyant à ces provinces les bienfaits d’un régime autonome et constitutionnelle. […] Veuillez, Monsieur l’Ambassadeur, porter ce qui précède à la connaissance du Gouvernement […].259 Übersetzung: So zögert die kaiserliche Regierung nicht, die Hohe Pforte zu informieren, dass sie in Zukunft auf die Geltendmachung der Rechte die ihr die Konstantinopler Konvention bezüglich des Sandschaks von Novi Pazar gewährt hat, zu verzichten. […] Bosnien und Herzegowina sind heute […] zu einem hohen Grade materieller und geistiger Kultur gelangt. Der Augenblick ist gekommen, das Werk zu krönen, indem diesen Provinzen die Wohltat des autonomen und konstitutionellen Regimes gewährt wird […]. Herr Botschafter, informieren Sie bitte über die oben genannten Ausführungen die Regierung. 260 5.2.4 Annexionserklärung an das Osmanische Reich Am 3.Oktober schickte Aehrenthal an den Botschafter in Konstantinopel, Pallavicini, eine Note, die er am 6.Oktober der Pforte überreichen sollte. In diesem Schriftstück war zunächst mit ausführlicher Begründung der Verzicht auf die Rechte im Sandschak ausgesprochen. Außerdem wurde der Beschluss mitgeteilt, Bosnien und Herzegowina zu annektieren und den Vertrag vom 21.April 1879 zu kündigen. Pallavicini las den Text zuerst dem Großwesir Kiamil-Pascha vor: 261 Bosnien und die Herzegowina sind heute dank der fleißigen Arbeit der österreichischungarischen Verwaltung zu einem hohen Grade materieller und geistiger Kultur gelangt. Der Augenblick scheint also gekommen, das unternommene Werk zu krönen und diesen Provinzen die Wohltat des von der Bevölkerung gewünschten autonomen und konstitutionellen Regimes zu gewähren. […] Österreich-Ungarn sieht sich daher vor der gebieterischen Notwendigkeit, sich der in der Konstantinopler Konvention 259 Kamler, Annexion und Erwerb, 198f. Übers. d. V. 261 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 86f. 260 63 erhaltenen Vorbehalte zu entledigen, um, was Bosnien und die Herzegowina betrifft, seine frühere Aktionsfreiheit wieder zu erlangen. 262 Der Annexionsakt Österreich-Ungarns wurde von einem zweiten fait accompli verstärkt, denn der König von Bulgarien erklärte gleichzeitig die Unabhängigkeit. 263 5.2.5 Proklamation an die annektierten Gebiete Franz Joseph I. verkündete außerdem eine Proklamation an die Einwohner von Bosnien und Herzegowina, in welcher er den Annexionsakt mit dem Wunsch rechtfertigt, den beiden Gebieten eine verfassungsmäßige Einrichtung zu gewähren. Ein Auszug aus der Erklärung: Um Bosnien und die Herzegowina auf eine höhere Stufe des politischen Lebens zu heben, haben Wir uns entschlossen, den beiden Ländern verfassungsmäßige Einrichtungen, welche deren Verhältnissen und den allgemeinen Interessen Rechnung tragen, zu gewähren und so eine gesetzliche Grundlage für die Vertretung ihrer Wünsche und Bedürfnisse zu schaffen.[…] Für die Einführung dieser Landesverfassung bildet aber die Schaffung einer klaren und unzweideutigen Rechtsstellung der beiden Länder die unerläßliche Voraussetzung. Aus diesem Grunde, wie auch eingedenk der in alten Zeiten Unseren glorreichen Vorfahren auf dem ungarischen Thron und diesen Ländern bestandenen Bande erstrecken Wir die Rechte Unserer Souveränität auf Bosnien und Herzegowina […].264 5.3 5.3.1 Völkerrechtliche Begriffserklärung und Beurteilung der Annexion Begriff der Annexion Der Terminus „Annexion“ wurde im 19.Jahrhundert, unter der Zeit Napoleons III., eingeführt. Damals verstand man darunter den Erwerb fremden Gebietes einerseits auf Grund eines 262 Ebd., 196. Vgl. Vocelka, Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, 268. 264 Kamler, Annexion und Erwerb, 192. 263 64 vertraglichen Aktes, andererseits durch eine einseitige Handlung. 265 In der modernen Völkerrechtswissenschaft ist der Begriff „Annexion“ umstritten. Es ist sehr schwer, eine abgeschlossene Erklärung des Begriffes zu finden. 266 Im „Wörterbuch des Völkerrechts“ führt Bindschedler folgende Definition des Terminus „Annexion“ an: Unter Annexion versteht man den gewaltsamen Gebietserwerb eines Staates auf Kosten eines anderen. Im Unterschied zu anderen Arten des Erwerbes der Gebietshoheit (z.B. friedliche Besetzung oder Erwerb auf Grund eines völkerrechtlichen Rechtsgeschäftes) erscheint hier das Element der Gewalt als entscheidend. Damit eine Annexion zustande kommt, ist die Inbesitznahme des in Frage stehenden Gebietes sowie der Wille zur endgültigen Aneignung (corpus et animus) notwendig, Annektiert werden können sowohl einzelne Teile als auch das gesamte Gebiet eines anderen Staates. 267 Die Annexion, bei der die territoriale Souveränität eines Gebietes erworben wird, kann als einseitige Erklärung oder in Form eines Vertrages auftreten. Bei der einseitigen Annexionserklärung muss das betreffende Gebiet erobert werden und eine endgültige Beendigung des Kriegszustandes bzw. die Einstellung der Feindseligkeiten erfolgen. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Gebietserwerb muss beim Vertrag „ein Element der Gewalt in Form des Zwanges“ erhalten sein (z.B. Friedensvertrag, Abmachung). 268 Um die Gesetzmäßigkeit eines Annexionsaktes zu überprüfen, sind die allgemeinen völkerrechtlich bestimmten Regeln zu beachten: „Ein internationaler Akt kann rechtswidrig sein, entweder durch Zuwiderhandeln gegen eine vertragliche Verpflichtung oder aber durch Verletzung einer allgemeinen Norm des Völkerrechts.“ 269 Walter Schätzel zum Beispiel negiert absolut die Rechtsmäßigkeit einer Annexion. Für ihn ist und bleibt die Annexion gesetzeswidrig: „Annexion ist die gewaltsame Einverleibung fremden Staatsgebietes. Es liegt also stets eine Mißachtung, eine Verletzung, ja vielleicht eine Vernichtung eines fremden Staatswillens vor.“ 270 Bindschedler hingegen, der eine gemäßigtere Ansicht vertritt, spricht der Annexion die Rechtmäßigkeit im Falle von Gewalt zu. Denn nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts ist eine Annexion rechtmäßig, wenn sie in Form von 265 Vgl ebd. 215. Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 69. 267 Rudolf L. Bindschedler, Annexion. In: Hans-Jürgen Schlochauer/ Karl Strupp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 1, Verlag Walter de Gruyter & Co, Berlin2 1960, 68. 268 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 69. 269 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 75. 270 Walter Schätzel, Die Annexion im Völkerrecht. In: Walter Schätzel/Hans-Jürgen Schlochauer (u.a.) Archiv des Völkerrechts, Band 2, Verlag J.C.B. Mohr, Tübingen 1950, 1. 266 65 Gewaltanwendung (Krieg, Repressalie) erfolgt. 271 Wenn wir von der Annexion im Sinne einer neutralen Handlung sprechen, so kann es aus zweierlei Gründen zu einer Rechtsverletzung kommen: • Eine der durchgeführten Handlungen ist gesetzwidrig (z.B. Exzess). • Der Annexionsakt hat keinen Rechtsgrund (Fehlen des Rechtstitels). 272 Wenn der Einverleibung nicht ein Krieg vorausgegangen ist, ist die einseitige Annexionserklärung von einem fremden Gebiet ohne Vertrag nicht rechtmäßig. Dabei ist es unwesentlich, „ob das annektierte Gebiet sich bereits in der tatsächlichen Gewalt des die Annexion aussprechenden Staates befindet.“ 273 5.3.2 Beurteilung der Annexion von Bosnien und der Herzegowina Um den Annexionsakt rechtsmäßig zu verteidigen, suchte Österreich-Ungarn nach einem Vorwand und beurteilte die Einführung der Verfassung im Osmanischen Reich als Bedrohung der österreichisch-ungarischen Interessen. Somit war österreichischer Ansicht nach eine Zwangslage bzw. ein Vorwand gegeben. Jedoch ist die Annexion der beiden osmanischen Provinzen vom völkerrechtlichen Standpunkt aus gesehen sehr problematisch. Denn sie wird in der Literatur weitgehend als Verletzung des Völkerrechts angesehen. Im Folgenden werden die Gründe erfasst, warum die Annexion von Bosnien und der Herzegowina nicht rechtmäßig war: • Als die Einverleibung von Bosnien und der Herzegowina durchgeführt wurde, gehörten die beiden Gebiete formell dem Osmanischen Reich an, und deshalb stellte sich die Annexion als „Verletzung eines fremden Staatswillens“ dar. 274 • Die Einverleibung der beiden Provinzen verletzte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, da eine Annexion nur unter dem Vorhandensein eines Rechtstitels 271 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 76. Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 75f. 273 Bindschedler, Annexion, 69. 274 Vgl. Krämmer, Okkupation und Annexion, 217f. 272 66 erfolgen kann. Österreichischer Ansicht nach hätten sie aus dem Titel der Ersitzung die Provinzen rechtlich annektiert. Jedoch ist nach völkerrechtlichem Standpunkt die Annexion, die unter der Voraussetzung einer Ersitzung, ausgeübt wird, erst dann rechtmäßig, wenn die Okkupationsmacht als „Detentor“ die Herrschaft ausübt. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben. 275 Erst ab dem Moment der Annexionserklärung begann die Herrschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie. D.h. nur eine von diesem Zeitpunkt an erfolgte ununterbrochene und unbestrittene Herrschaftsausübung konnte eine Heilung der Rechtswidrigkeit der Annexion herbeiführen. 276 • In dem Berliner Vertrag vom 13.Juli 1878 und in der Konstantinopler Konvention vom 21.April 1879 war die Souveränität des Sultans garantiert. In dem Abkommen vom 13.Juli 1878 wurde überdies festgesetzt, dass der Zustand der Provinzen nur „provisorisch“ ist. Obwohl dieser Zustand rechtliche Relevanz besaß, wurden die Rechte des Sultans von der Monarchie praktisch gesehen als bedeutungslos betrachtet. 277 • Die Annexion verletzte nicht nur die Souveränitätsrechte des Sultans, sondern auch den Inhalt des Berliner Vertrages von 1878. Denn der Artikel XXV besagte, dass der Zustand, der in den Provinzen bestand, „bis zu einer anderweitigen Verfügung der Signatarmächte auch aufrecht bleiben sollte.“ 278 Deshalb ist der Einspruch der Mächte des Berliner Vertrages gegen die Annexion berechtigt. Der Annexion hätte daher eine Änderung dieses Artikels folgen müssen oder sie musste vorher geändert werden. 279 • Außerdem war die Annexion ein Verstoß gegen das Londoner Protokoll aus dem Jahre 1871. Denn der Donaumonarchie war es als Unterzeichner dieses Protokolls nicht erlaubt, die Bestimmungen eines internationalen Aktes durch einen einseitigen Akt zu verletzen. 280 So muss einer Annexion nach allgemeinem Völkerrecht beispielsweise ein Krieg vorausgehen, sonst ist er ohne Vertrag widerrechtlich. 275 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 90f. Vgl. Krämmer, Okkupation und Annexion, 240f. 277 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 88f. 278 Ebd. 89f. 279 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 89f. 280 Vgl. Möhring, Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, 4. 276 67 Die territoriale Souveränität konnte erst durch den Zessionsvertrag vom 26.Februar 1909 erworben werden. 281 281 Siehe Kapitel 6.2.2 68 6 6.1 Die Annexionskrise Internationale Reaktionen Der Annexionsakt der Donaumonarchie löste eine internationale Krise aus. Trotz der Besprechungen mit dem russischen und italienischen Außenminister und der eigenhändigen Handschreiben Franz Josephs an die Monarchen und an den Präsidenten der französischen Republik führte die diplomatisch nicht genügend vorbereitete Annexion von Bosnien und der Herzegowina zu einer Entrüstung in Europa und auf dem Balkan. Im Grunde genommen war die Annexion aber nichts anderes als ein formeller Akt. Denn es änderte nichts an dem Verhältnis zwischen der österreichisch-ungarischen Monarchie und den beiden Provinzen: „Aus der Okkupation war eben eine Annexion, aus einem Provisorium ein Definitivum geworden.“ 282 Die Großmächte fühlten sich beleidigt und protestierten gegen die Annexion. Die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens steigerte die Erbitterung noch mehr. Die österreichisch-ungarische Monarchie wurde verdächtigt, die Hand im Spiel zu haben. Tatsächlich war bereits beim Treffen in Buchlau von Bulgarien die Rede. Aehrenthal wollte Bulgarien auf seiner Seite haben. Obwohl der Außenminister später sich vehement gegen die Vorwürfe wehrte, wissen wir aus Äußerungen des österreichischen Botschafters Khevenhüller zu Fallières, dem Präsidenten Frankreichs, dass das Wiener Kabinett seine Zustimmung zur Unabhängigkeit in Aussicht gestellt hatte. 283 Fallières fragte den Botschafter beim Empfang der Annexionserklärung „est-ce que l’Autriche-Hongrie n’a pas songé qu’elle pousse la Bulgarie à la suivre en proclamant son indépendance“ 284, woraufin Khevenhüller folgende Antwort gab: „non la Bulgarie ne nous suivra pas, elle nous précédera par cette proclamation.“ Übersetzung : Nein, Bulgarien wird uns nicht folgen, die Unabhängigkeitserklärung wird der Annexion vorausgehen. 285 282 Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns 2, 154. Vgl. Krämmer, Okkupation und Annexion, 124f. 284 GP, Nr. 8987, 105. 285 Übers. d. V. 283 69 6.1.1 England Auch Englands Reaktion fiel zur Überraschung der Monarchie anders als erwartet aus. Obwohl keine Gegensätze zwischen den beiden Reichen bestanden, herrschte plötzlich eine Spannung. Die Hauptursache war vermutlich in der wachsenden Feindschaft zwischen London und Berlin zu suchen. Als König Eduard im Juli 1908 Franz Joseph in Ischl besuchte und diesen für sich gegen Deutschland zu gewinnen versuchte, scheiterte der englische König an der Treue des österreichisch-ungarischen Herrschers. Um diese Haltung der Monarchie zu rächen, stellte sich auch England gegen die Donaumonarchie. 286 London zeigte sich äußerst empört über die einseitige Abänderung des Berliner Vertrages. Das englische Reich stützte sich auf das Londoner Protokoll vom 17.Jänner 1871: Erstens darf Österreich-Ungarn als Unterzeichner dieses Protokolls nicht die Bestimmungen eines internationalen Aktes durch einen einseitigen Akt verletzen und zweitens darf eine Änderung „nach vorheriger freundschaftlicher Übereinkunft und mit Zustimmung aller Signatarmächte“ aufgehoben bzw. geändert werden.“ 287 Die englische Presse organisierte in der Folge eine regelrechte Hetze gegen Österreich-Ungarn. 288 6.1.2 Russland Wider Erwarten Aehrenthals, der sich Russlands Unterstützung sicher war, fiel die russische Haltung völlig anders aus. Iswolski erfuhr in Paris von der Annexionserklärung der Monarchie. In der Zwischenzeit gelang es Stolypin, dem russischen Ministerpräsidenten, der slawophil eingestellt war, den Zaren von seinem panslawistischen Standpunkt zu überzeugen. Noch in Paris erhielt der russische Außenminister die Anweisung des russischen Herrschers, die Annexion abzulehnen und für die Interessen der Südslawen einzutreten. 289 Iswolski, der sein Amt zu verlieren fürchtete, begann nun zu beteuern, dass er von der Annexion überrascht worden ist. Da am 4.Oktober in Paris die Annexion in der Zeitung „Le Temps“ frühzeitig 286 Vgl. Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns 2, 157f. Sasse Heinz Günther, War das deutsche Eingreifen in die Bosnische Krise im März 1909 ein Ultimatum? Ein Beitrag zur diplomatischen Geschichte der Vorkriegszeit und zur Bestimmung des Begriffs Ultimatum, Verlag W.Kohlhammer, Stuttgart 1936, 20, Fußnote 33. 288 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 102f. 289 Vgl. ebd. 97f. 287 70 publiziert worden war, fühlte sich Iswolski hintergangen und brachte seine Erbitterung gegen die Annexion zum Ausdruck. 290 Russland leugnete strikt, dass Aehrenthal den russischen Außenminister von der Annexionsabsicht berichtet habe und forderte Kompensationen. Doch die Russen waren sich bewusst, dass sie nach der Niederlage gegen Japan nicht imstande waren, einen Krieg gegen die Monarchie zu führen. 291 Dass der russische Außenminister aber sehr wohl über die Annexionsabsicht der Monarchie aufgeklärt worden war, wissen wir aus den Äußerungen Iswolkis an von Schoen: Baron Aehrenthal, mit dem er [Iswolski ist gemeint, Anm. d. V.] kürzlich eine Begegnung gehabt, hat ihn in seine Pläne eingeweiht, deren Stichworte sind: Annexion von Bosnien und der Herzegowina, Verzicht auf den Vormarsch auf Saloniki, Zurückziehen der Garnisonen aus dem Sandschak, Bereitwilligkeit, mit Rußland über dessen Wünsche nach freier Durchfahrt durch die Meerengen zu sprechen. 292 6.1.3 Frankreich Frankreichs Haltung fiel erheblich anders aus als die des Bündnispartners Englands. Frankreich richtete sich zwar in gleicher Weise gegen die Annexion und bezog sich ebenfalls auf den Londoner Vertrag 1871. Jedoch fiel die Haltung der französischen Regierung gemäßigter aus. 293 Die maßvolle Reaktion spiegelte sich vor allem im Antwortschreiben des Präsidenten Fallières auf die Annexionserklärung an Franz Joseph wider. Deshalb fand auch keine anti-österreichische Stimmung in der französischen Presse statt. 294 6.1.4 Italien Italien richtete sich trotz des Bündnisses mit der Monarchie und dem einvernehmlichen Gespräch Tittonis mit Aehrenthal Anfang Oktober in Salzburg gegen die Annexion. König 290 Vgl. Möhring, Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, 11f. Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 100f. 292 GP, Nr. 8935, 40. 293 Vgl. ebd. 107 294 Vgl. Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns 2, 163. 291 71 Viktor Emanuel betrachtete die Einverleibung als Verletzung des Berliner Vertrages. Die italienischen Zeitungen begannen, sich der englischen Presse anschließend, eine Hetzkampagne gegen die Monarchie. 295 6.1.5 Deutschland Deutschland war die einzige Macht, die Österreich-Ungarn Beistand leistete. Kaiser Wilhelm II. war trotz der Bündnispartnerschaft auf dieselbe Weise und zur gleichen Zeit wie die anderen Staaten informiert worden. Deshalb war der deutsche Kaiser zunächst zutiefst beleidigt und reagierte sehr erbost: Die Tat Aehrenthals gewinnt immer mehr den Schein eines Fähnrichs-Streiches! Uns hat er nichts gesagt; Iswolski und Tittoni so verschleierte Andeutungen gemacht, daß sie sich als total betrogen vorkommen; den Sultan total unberücksichtigt gelassen, auf den es doch vor allen Dingen ankommt; […] den Berliner Vertrag in Stücke geschlagen und das Konzert der Mächte auf das heilloseste verwirrt […].296 Doch stellte sich Deutschland dann nach anfänglicher Verärgerung auf die österreichische Seite. 297 Als Antwort auf das Privatschreiben des österreichisch-ungarischen Monarchen vom 29.September, schrieb der deutsche Kaiser Wilhelm II. am 14.Oktober 1908 Folgendes: Mein teurer Freund! Herzlich danke ich dir für das freundliche Schreiben, in welchem Du mir die Einverleibung Bosniens und der Herzegowina mitzuteilen die Güte hattest. Die Gründe, die Dich zu diesem wichtigen Schritte bewogen haben, weiß ich sehr wohl zu würdigen; Du kannst auch in dieser Frage auf meine unwandelbare persönliche Freundschaft und Verehrung sowie auf die enge Bundesfreundschaft zählen, die unsere Reiche verbindet. Die Einverleibung wird gewiß den beiden Provinzen, die sich unter Deiner Verwaltung so ausgezeichnet entwickelt haben, zum Segen gereichen. 298 295 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 108f. Möhring, Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, 16 zit. nach, Ottokar Czernin, Graf von, Politische Betrachtungen, Wien 1908, 66f. 297 Vgl. Kamler Annexion und Erwerb, Nr. 111f. 298 GP, Nr. 9006, 129. 296 72 6.1.6 Serbien Serbien war durch die Annexion äußerst erbittert. Denn das serbische Reich war sich sicher, dass dieser Schritt viel mehr als Gegenmaßnahme gegen die großserbische Propaganda gedacht war als gegen das Osmanische Reich. 299 Es war fraglich geworden, ob nach dem endgültigen Verlust Bosniens und der Herzegowina, die großserbische Idee noch Zukunft besaß. Die Serben schickten der Donaumonarchie eine Protestnote. Diese wurde aber von Aehrenthal mit der Begründung, dass das serbische Reich kein Recht habe, zur Annexion Stellung zu nehmen, zurückgewiesen. Obwohl de facto Serbien weder an der Unterzeichnung des Berliner Vertrages beteiligt war, noch einen Anspruch auf die Provinzen hatte, stellte es folgende zwei Forderungen an Österreich: erstens die Autonomie Bosnien und Herzegowinas, zweitens die Abtretung des Hafens an der Adria an Serbien. 300 Es wurden Protestversammlungen veranstaltet und der „heilige Krieg“ wurde gegen die Monarchie gepredigt. 301 Als Reaktion auf die Annexion setzten die Serben, unterstützt von Russland, England und Italien, erste Schritte in Richtung einer Mobilmachung und beriefen Reservisten ein. 302 Als die Serben demonstrativ begannen zu rüsten, war die österreichisch-ungarische Monarchie gezwungen, am 14.Oktober 1908 eine Teilmobilmachung der k.u.k. Armee zu beauftragen. 303 Der Generalstabchef Conrad war der Meinung, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, den Serben den Krieg zu eröffnen, und wenn Italien eingreifen würde, wäre auch dieses zu bekämpfen. Franz Ferdinands Reaktion auf Conrads Forderung war am 20.Oktober 1908 folgende: „Es wäre ja großartig und sehr verlockend, diese Serben und Montenegriner in die Pfanne zu hauen, aber was nützen uns diese billigen Lorbeeren, wenn wir uns dadurch eine allgemeine europäische Verwicklung heraufdividieren und dann womöglich mit zwei bis drei Fronten zu kämpfen haben und das nicht aushalten können.“ 304 299 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 117. Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 117f. 301 Vgl. Krämmer, Okkupation und Annexion, 128. 302 Vgl. Perlin Kurt Konrad, Der Zweibund im Spiegel der Annexionskrise (Diplomarbeit), Wien 2008, 87. 303 Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 250. 304 Herre Franz, Kaiser Franz Joseph von Österreich. Sein Leben-seine Zeit, Kiepenheuer&Witsch, Köln 1978, 416 300 73 6.1.7 Türkei Das Osmanische Reich war die einzige Macht, die durch die Annexion nach formalem Recht geschädigt worden war und eindeutig Grund zum Protest hatte. Denn der Berliner Vertrag sprach der österreichisch-ungarischen Monarchie nur die Verwaltung und Besetzung der Länder zu, aber nicht ihre Annexion. Außerdem wurde in der Konstantinopler Konvention der provisorische Charakter der Okkupation bestätigt. Die bulgarische Unabhängigkeitserklärung, die zeitgleich mit der Annexionserklärung erfolgte, versetzte einen weiteren Schlag. Die Abneigung gegen die Donaumonarchie, die im Jahre 1878 begonnen hatte, erreichte mit der Verkündung der Annexion ihren Höhepunkt: Erstens hatte Österreich-Ungarn diese Provinzen seit 30 Jahren selbst verwaltet und die Chance auf eine Rückgabe war gering, und zweitens wäre selbst eine Restituierung der beiden Gebiete ein Danaergeschenk für die Türkei gewesen, da dieser Unruheherd nur zu einer Vermehrung der Probleme des Staates beigetragen hätte. 305 Dennoch reagierte Kiamil Pascha im Vergleich zu den anderen Herrschern - vor allem im Gegensatz zu Serbien, das eigentlich den letzten Grund zur Aufregung hatte - ruhiger auf die Nachricht der Einverleibung. Die Türkei erhob lediglich formellen Einspruch gegen den Schritt der Monarchie und reagierte mit einem Boykott über österreichisch-ungarische Waren. Sie hegte keinerlei Absichten, dem „Protest mit Waffengewalt Nachdruck zu verleihen“ 306 Österreich-Ungarn litt enorm unter dem verhängten Embargo und musste deshalb das Verhältnis mit der Pforte wieder normalisieren. Kiamil Pascha erklärte beim Empfang der Annexionserklärung, dass der Rückzug der Truppen aus dem Sandschak keine Kompensation für den Verlust Bosnien und Herzegowinas darstelle und verlangte eine Geldentschädigung. 307 305 Vocelka, Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, 269. Kamler, Annexion und Erwerb, 125. 307 Vgl. Krämmer, Okkupation und Annexion, 127f. 306 74 6.2 Die Beilegung der Krise 6.2.1 Konferenzpläne Russlands Um die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens und die Annexionserklärung zu besprechen, setzte Iswolski Schritte, um eine internationale Konferenz zusammenzurufen. Hierfür arrangierte er Treffen mit den europäischen Regierungen, um ein Programm auszuarbeiten. Iswolski nutzte die Gespräche mit den Großmächten aber gleichzeitig für die Besprechung der Meerengenfrage aus. Der russische Außenminister musste aber in dieser Angelegenheit seine Erfolglosigkeit erkennen. Denn weder die europäischen Staaten, noch die Türkei waren gewillt, die von Russland gestellte Forderung zu akzeptieren. 308 Mitte Oktober wurde das vorläufige Programm der Versammlung, das in neun Punkte aufgeteilt war, in London durch die Zusammenarbeit Iswolskis und Greys, dem britischen Außenminister, ausgearbeitet. Im Folgenden ein Auszug aus dem Konzept: • Punkt 1: Die Anerkennung der Unabhängigkeit Bulgariens. • Punkt 2: Die Konstatierung der Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn. • Punkt 3: Die Rückgabe des Sandschaks Novi Pazar an die Türkei. • Punkt 7: Vorteile, welche Serbien und Montenegro zugewiesen werden. 309 Aehrenthal widersetzte sich zwar der Konferenz nicht, doch lehnte er strikt ab, über die Frage der Annexion und des Sandschaks zu diskutieren. Iswolski sollte die Annexion als fait accompli anerkennen und eine Abänderung des Berliner Vertrages in Gang setzen. Deutschland schloss sich ebenfalls seinem Verbündeten an und verweigerte die Teilnahme an der Konferenz, wenn es zu keiner Änderung des Programms komme. Russland lehnte die Forderungen Aehrenthals ebenfalls ab, und das Verhältnis beider Reiche verschlechterte sich noch mehr. 310 308 Vgl. Möhring, Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, 17f. Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns 2, 197. 310 Vgl. Möhring, Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, 34. 309 75 6.2.2 Österreichisch-türkische Einigung Nach dem Versuch Iswolskis, eine internationale Konferenz einzuberufen, begann Aehrenthal direkte Gespräche mit dem Osmanischen Reich aufzunehmen. Aehrenthal war sich von Anfang an bewusst, dass die Verständigung mit dem Osmanischen Reich der einzige Weg war, „den Widerstand der Mächte zu brechen“. 311 Die Verhandlungen mit der Hohen Pforte gestalteten sich äußerst schwierig und erst nach mehreren Gesprächen kam es am 26.Februar 1909 zum Abschluss eines „protocolle d’entente“ („Abkommen“) zwischen den beiden Mächten. 312 Die auf Französisch verfasste Note auf türkischem Papier - ein türkisches Wasserzeichen befindet sich auf jedem Blattwurde vom k.u.k. Botschafter Pallavicini, vom Großwesir Hilmy und dem türkischen Außenminister Noradounghian unterzeichnet. Die letzte Textseite schreibt die Ratifikation binnen zwei Monaten vor. Sie wurde am 26. April 1909 durchgeführt. Die folgende Abbildung stellt das blütenweiße, mattglänzende Pergament, bestehend aus zwei Spalten dar: links wurde in französischer und rechts in türkischer Sprache geschrieben. Die Ratifizierung erfolgt durch den türkischen Außenminister Rifaat. 313 311 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 141. Vgl. ebd. 313 Vgl. Protokoll zwischen Österreich-Ungarn und der Pforte über die Annexion von Bosnien-Herzegowina. In: Ernst Bruckmüller/Peter Urbanitsch (Hrsg.), Ostarrîchi - Österreich 996-1996. Menschen, Mythen, Meilensteine. Katalog der Österreichischen Länderausstellung in Neuhofen an der Ybbs und St. Pölten. Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums. N.F. 388. – Horn: Berger 1996. XXIV, 736. 4°. Objekt-Nr.: 17.46b, 711. WWW: http://wwwg.uni-klu.ac.at/kultdoku/kataloge/20/html/1831.htm [Zugriff am: 16.11.2013] 312 76 Abb.9: Protokoll zwischen Österreich-Ungarn und der Pforte über die Annexion von BosnienHerzegowina, Fotostudio Otto, Wien. In: Ernst Bruckmüller/ Peter Urbanitsch (Hrsg.), Ostarrîchi - Österreich 996-1996. Menschen, Mythen, Meilensteine. Katalog der Österreichischen Länderausstellung in Neuhofen an der Ybbs und St. Pölten. Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums. N.F. 388. – Horn: Berger 1996. XXIV, 736. 4°. Objekt-Nr.: 17.46b, 711. WWW: http://wwwg.uni-klu.ac.at/kultdoku/kataloge/20/html/1831.htm [Zugriff am: 16.11.2013] 77 In dem aus neun Artikeln bestehenden Abkommen verzichtete die Monarchie auf den Sandschak und erhielt alle Rechte über Bosnien und der Herzegowina (Artikel 1 und 2). Außerdem wurde Österreich dazu verpflichtet, den Osmanen eine Kompensationszahlung in der Höhe von 2,5 Millionen türkischer Pfund zu entrichten (Artikel 5): • Artikel 1: L’Autriche-Hongrie déclare renoncer d’une façon expresse à tous les droits qui lui ont été conférés par rapport à l’ancien Sandjak de Novi-Bazar par le Traité de Berlin et la Convention de Constantinople du 21 avril 1879. 314 Übersetzung : Österreich-Ungarn erklärt den Verzicht auf alle Rechte des Sandschaks von Novi Pazar, die ihm durch den Berliner Vertrag und die Konstantinopler Konvention vom 21.April 1879 übertragen wurden. 315 • Artikel 2: Die Konvention vom 21.April 1879 ebenso wie der Protest der Hohen Pforte gegen die Entschließung der gemeinsamen österreichischen-ungarischen Regierung betreffend Bosnien und die Herzegowina ferner alle andern dieser Entschließung widersprechenden, seitens der hohen vertragschließenden Teile erfolgten Verfügungen und Abmachungen werden aufgehoben und durch das gegenwärtige Protokoll ersetzt, welches feststellt, daß zwischen den hohen vertragschließenden Teilen jede Meinungsverschiedenheit (Divergenz) bezüglich jener beiden Provinzen beseitigt ist, und daß die Ottomanische Regierung ausdrücklich den durch die oben erwähnte Entschließung geschaffenen Zustand anerkennt. 316 • Artikel 5: Da eine schiedsgerichtliche Entscheidung festgestellt hat, daß der ottomanische Staat nach dem ottomanischen Gesetz über den Grundbesitz in Bosnien und der Herzegowina verschiedenartiges unbewegliches Eigentum besaß, verpflichtet sich die gemeinsame österreichisch-ungarische Regierung, binnen fünfzehn Tagen nach der Ratifizierung des gegenwärtigen Protokolls der ottomanischen Regierung in Konstantinopel den Betrag von 2 ½ Millionen türkischer Pfund (54 Millionen Kronen) in Gold als Gegenwert dieser unbeweglichen Güter. 317 314 Kamler, Annexion und Erwerb, 201. Übers. d. Verf. 316 Frass, Quellenbuch 3, 311. 317 Frass, Quellenbuch 3, 311. 315 78 Nach dem Februarvertrag wurde auch der Boykott der österreichisch-ungarischen Waren eingestellt. 318 Auch mit Bulgarien einigte sich die Türkei auf finanzieller Basis und legte damit die Krise bei. 319 6.2.3 Österreichisch-serbischer Konflikt Die guten Beziehungen zwischen den Osmanen und der Donaumonarchie waren wiederhergestellt, und seit dem Abkommen ließ das Interesse der europäischen Mächte nach. Doch war die Krise noch immer nicht vollkommen gelöst, „weil Serbien weiter auf territorialen Kompensationen beharrte, fortgesetzt gegen Österreich rüstete und Freischärler an der Grenze zur Monarchie organisierte.“ 320 Die Einigung zwischen dem Osmanischen Reich und Österreich-Ungarn empörte das serbische Reich noch mehr. Serbien war fest entschlossen, seine Forderungen mit allen Mitteln durchzusetzen. Die k.u.k. Regierung hingegen ließ sich durch die herrschende Lage nicht aus der Ruhe bringen. Erst wenn es zu Verletzungen des österreichischen Territoriums kommen würde, wollte Kaiser Franz Joseph handeln. 321 Aufgrund der immer explosiv werdenden Lage forderte Conrad von Hoetzendorf Ende Feburar 1909 einen Präventivkrieg. Das Parlament verlangte aber eine friedliche Lösung der Krise. 322 Auch Franz Joseph und Aehrenthal lehnten eine bewaffnete Auseinandersetzung ab und sprachen sich für einen diplomatischen Weg aus. Der Außenminister schützte nur die Grenzen und ließ einen Teil des Heeres in Kriegsbereitschaft setzen. 323 Aehrenthal wollte den Serben in freundschaftlicher Weise erklären, dass er mangels eines Rechtstitels die Forderungen Serbiens nicht akzeptieren könne. Wenn das serbische Reich aufhört Forderungen zu stellen und zu rüsten, wird Österreich im Gegenzug Konzessionen auf wirtschaftlichem und verkehrspolitischem Wege gewähren. Sollte jedoch das serbische Reich keine friedlichen Erklärungen abgeben, so werde die Monarchie ein Ultimatum stellen und 318 Kamler, Annexion und Erwerb, 141f. Vgl. Vocelka, Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, 270. 320 Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 252. 321 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 148f. 322 Vgl. Hantsch, Die Geschichte Österreichs, Band 2, 527. 323 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 151f. 319 79 nach drei Tagen einmarschieren. Aehrenthal wünschte direkte Verhandlungen mit Serbien und wies somit die Vermittlung der anderen Mächte ab. 324 Um die bilateralen Verhandlungen zu eröffnen, sandte der Graf Forgách im Auftrage Aehrenthals am 6.März 1909 ein Schreiben an Serbien und forderte darin die Änderung der serbischen Haltung und direkte Verhandlungen. Das serbische Reich richtete daraufhin in einer Zirkularnote an alle Mächte, dass Serbien keinen Krieg beabsichtige und auch keine territorialen Kompensationen stelle. Außerdem überlasse es die Angelegenheit den Mächten. Am 15.März erhielt die österreichische Regierung eine Antwort auf das Schreiben vom 6.März: Weder von der Friedenserklärung noch von direkten Verhandlungen war die Rede. Die serbisch-österreichische Krise verschärfte sich. Aehrenthal war äußerst gekränkt. Beide Seiten verstärkten ihre Truppen. 325 6.2.4 Beendigung der Krise Aehrenthal erkannte, dass es keinen anderen Weg gab, Serbien zu einer Änderung zu bewegen, als in Petersburg einen energischen Vorstoß zu machen. Er wusste, dass Serbien ohne russische Unterstützung machtlos war. Deshalb nahm die Monarchie Gespräche mit Russland auf, um die Krise zu beenden. Der österreichisch-ungarische Außenminister drohte der russischen Regierung, geheime Aktenstücke zu veröffentlichen, die sich auf den der Annexion vorangegangen Gedankenaustausch mit Iswolski beziehen, falls Russland den Serben nicht die Erklärung abgibt, „daß nach der Unterzeichnung des Konstantinopler Protokolls (26.2.1909) die Tatsache der Annexion von den Mächten materiell nicht weiter erörtert werden können und dem Wesen nach als bereinigt anzusehen sei.“ 326 Nach mehreren Gesprächen mit Russland und Vermittlungen der deutschen und englischen Reiche gab Russland schließlich nach und erkannte die Annexion an. 327 Der Reichskanzler von Bülow musste aber einen starken Druck ausüben, ehe Russland seine Politik änderte. 328 Als der russische Außenminister erkannte, dass er mit Deutschland in einen Konflikt geraten 324 Vgl. ebd. 153f. Vgl. Kamler, Anenxion und Erwerb, 158f. 326 Ebd. 161. 327 Ebd. 328 Vgl. Hantsch, Die Geschichte Österreichs, Band 2, 527f. 325 80 könnte, zog er sich zurück. Dieser Rückzug des Russischen Reiches veranlasste Serbien ebenfalls zur Umkehr. 329 Ende März erreichte die Krise ihren Höhepunkt: Wien war zum Krieg gegen Serbien gerüstet und auch bereit, ihn zu führen. Österreich erhielt von allen Großmächten, die einen europäischen Krieg vermeiden wollten, eine Zustimmung zur Annexion und außerdem wurde ein Kollektivschreiben an Serbien gerichtet. Die europäischen Staaten forderten in einem Aide-mémoire die serbische Regierung auf, sofort eine Note an die österreichisch-ungarische Regierung zu verfassen. 330 Daraufhin lenkten die Serben ein und beauftragten Simić, den serbischen Gesandten in Wien, am 31.März 1909 die auf Grund der österreichischungarischen Forderungen ausgearbeitete Note der Donaumonarchie zu überreichen: Serbien erkennt an, daß es durch die in Bosnien geschaffene Tatsache in seinen Rechten nicht berührt werde, und daß es sich demgemäß der Entscheidung fügen wird, die die Mächte bezüglich des Artikels XXV des Berliner Vertrages [Okkupation von Bosnien-Herzegowina] treffen werden. In Befolgung der Ratschläge der Großmächte verpflichtet sich Serbien, von nun an die protestierende und oppositionelle Haltung aufzugeben, die es seit dem letzten Herbst der Annexion gegenüber eingenommen hat, und es verpflichtet sich ferner, die Richtung in seiner gegenwärtigen Politik gegenüber Österreich-Ungarn zu ändern und künftig auf dem Fuße guter Nachbarschaft mit letzterem zu haben. 331 Nach der friedlichen Lösung der österreichisch-serbischen Krise durch die serbische Note vom 31.März gaben die europäischen Mächte im Zeitraum vom 7. bis 19.April 1909 die formelle Zustimmung zur Aufhebung des Artikels XXV und anerkannten damit ausdrücklich die Annexion. 332 Damit war die seit Oktober 1908 andauernde bosnisch-herzegowinische Krise beendet und die Rechtmäßigkeit der Annexion erfolgt, und es bedurfte keiner Konferenz mehr. 329 Vgl. Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns 2, 218. Vgl. Buchmann, Österreich und das Osmanische Reich, 252f. 331 Krämmer, Okkupation und Annexion, 212f. 332 Vgl. Kamler, Annexion und Erwerb, 178. 330 81 7 Zusammenfassung Das Ziel dieser Diplomarbeit war es, die Reaktionen der verschiedenen Regierungsträger der Donaumonarchie auf die Jungtürkische Revolution, der die Annexion von Bosnien und der Herzegowina folgte, zu untersuchen. Zu Beginn wird ein historischer Abriss geboten, wie die Monarchie überhaupt zu Bosnien kam. Wir haben erfahren, dass durch den Artikel XXV des Berliner Vertrages, dessen Schlusssitzung am 13.Juli 1878 staatfand, die österreichischungarische Monarchie das Recht zu Verwaltung und Besetzung von Bosnien und der Herzegowina erhalten hatte. Österreich-Ungarn investierte sehr viel Geld in das Einrichtungswerk, da die beiden Provinzen sich in einem äußerst desolaten Zustand befanden. Daran anschließend wird die Entstehungsgeschichte der Jungtürkischen Bewegung vorgestellt. Um dem Absolutismus im Osmanischen Reich zu trotzen, bildete sich eine Reihe von Gegenbewegungen, und erst der Jungtürkischen Bewegung gelang es im Juli 1908, den autoritären Sultan dazu zu bewegen, die Verfassung von 1867 wiedereinzuführen. Im Anschluss daran wird die Reaktion der verschiedenen Regierungsstellen der österreichischungarischen Monarchie auf die Jungtürkische Revolution untersucht. Hierfür wurden diverse Aktenstücke, Privatschreiben, Korrespondenzen und Ausfertigungen des Jahres 1908 der Aktensammlungen „Große Politik der europäischen Kabinette“ und „Österreich-Ungarns Außenpolitik“ analysiert. Eine kurze Biographie der jeweiligen k.u.k. Funktionsträger ging der Analyse der verschiedenen Reaktionen voraus. Bei der gründlichen Analyse der Haltungen der k.u.k. Politiker und des k.u.k Herrschers haben wir erfahren, dass die Jungtürkische Revolution nicht der einzige Grund war, die die Monarchie zur Annexion von Bosnien und der Herzegowina, dessen Okkupation im Jahre 1878 erfolgt ist, veranlasst hat, sondern dass die Bedrohung der großserbischen Bewegung ein weiterer ausschlaggebender Grund war. Im Folgenden fand ein Abriss über die Proklamation der Annexionserklärung und die Rechtmäßigkeit der Annexion statt. Nach einem allgemeinen Teil über die Definition des problematischen Begriffes der Annexion wird mit der völkerrechtlichen Beurteilung der Annexion von Bosnien und der Herzegowina fortgesetzt. Wir haben festgestellt, dass die Einverleibung aus mehreren Gründen nicht rechtmäßig war: Verletzung des Berliner Vertrages, Verstoß gegen das Londoner Protokoll, Fehlen eines Rechtstitels, Verletzung der Souveränitätsrechte des osmanischen Herrschers. In der Folge wird auf die internationale Reaktionen und der Beilegung der Annexionskrise eingegangen. Der Außenminister Aehrenthal hatte die internationale Reaktion falsch eingeschätzt und verursachte mit der 82 Einverleibung der beiden Gebiete eine Welle der Entrüstung. Die Einverleibung hatte nicht nur das Osmanische Reich, sondern auch die europäischen Mächte empört. Während die Reaktion der Türkei im Vergleich zu der Haltung Russlands, Englands, Frankreichs, Serbiens und Italiens gemäßigter ausfiel, stand das Deutsche Reich als einziger europäischer Staat zu Österreich-Ungarn. Nach dem gescheiterten Konferenzplan des russischen Außenministers, schaffte es Aehrenthal, sich mit den Osmanen zu einigen. Auch die serbische Bedrohung wurde binnen kürzester Zeit beseitigt, und damit fand die Annexionskrise, die den europäischen Raum von Oktober 1908 bis März 1909 beunruhigt hatte, ihr Ende. 83 ANHANG 84 8 8.1 Quellen-und Literaturverzeichnis Quellen Bittner Ludwig/ Uebersberger Hans (Hrsg.), Österreich-Ungarns Aussenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren, Band 1, Wien/Leipzig 1930. Chlumecky, Leopold von, Erzherzog Franz Ferdinands Wirken und Wollen, Verlag für Kulturpolitik, Berlin 1929. Feldmarschall Conrad: Aus meiner Dienstzeit 1906–1918. Erster Band: Die Zeit der Annexionskrise 1906–1909, Rikola Verlag, Wien/Berlin/Leipzig/München 1921-1925. Frass Otto, Quellenbuch zur österreichischen Geschichte. Von Joseph II. bis zum Ende der Großmacht, Band 3, Birken-Verlag, Wien 1962. Freiherr von Musulin, Das Haus am Ballhausplatz. 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Online unter: http://wwwg.uni-klu.ac.at/kultdoku/kataloge/20/html/1831.htm Letzter Aufruf: 16.11.2013 Regele Oskar, Conrad von Hötzendorf, Franz Xaver Josef Freiherr, Graf. In: Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 3, Berlin 1957, 336-339. Online unter: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118676768.html Letzter Aufruf: 27.10.2013 Rößler Hellmuth, Beck, Max Wladimir Freiherr von. In: Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band 1, Duncker & Humblot, Berlin 1953, 706f. Online unter: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118654373.html Letzter Aufruf: 27.10.2013 Yildirim Metin, Türkischer Nationalismus Gestern und Heute. Die Auswirkungen des nationalistischen Diskurses auf die türkische Gesellschaft vom 19.Jahrhundert bis zur Gegenwart (Magisterarbeit), Freiburg 2010. Online unter: http://books.google.at/books?id=jIu73oRDhNgC&pg=PT30&lpg=PT30&dq=jungosmanen&s ource=bl&ots=jG4GCill45&sig=sqthEkTHnY_JkdWinUOLLnNkjYs&hl=de&sa=X&ei=G7 EcUprIPKrP4QSTwIFI&sqi=2&ved=0CF4Q6AEwCQ#v=onepage&q=jungosmanen&f=false Letzter Aufruf: 27.08.2013 91 10 Abbildungsverzeichnis (Ich habe mich bemüht, sämtliche Inhaber der Bildrechte ausfindig zu machen. Sollte dennoch eine Urheberrechtsverletzung bekannt werden, ersuche ich um Meldung bei mir.) 1.Abb.: Anton von Werner, Der Berliner Kongress 1878, Erste Skizze. Quelle: http://kunstkommtvonkoennen.blogspot.co.at/2009_04_01_archive.html Letzter Aufruf : 29.08.2013 2.Abb.: Zerfall der europäischen Türkei (vor 1878). Quelle: Johannes Brzobohaty/Robert Salmeyer/Christa Zellhofer (u.a.), Zeitfenster 6. Lehrbuch für Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung für AHS, Wien 2013. Online unter: http://www.hoelzel.at/einzelnews.html?&cHash=727b94a6fdf552fecec6cd2ad7932afb&tx_ttn ews[sViewPointer]=1&tx_ttnews[tt_news]=73 Letzter Aufruf: 13.11.2013 3.Abb.: Sultan Abdülhamid II. Quelle: Ebert Johannes, Die Chronik- Geschichte des 20.Jahrhunderts bis heute, Chronik Verlag, Gütersloh [u.a.] 2006. 4.Abb.: Werke und Taten des Kaisers. Quelle: http://www.viennatouristguide.at/Ring/KHM/Stiegenhaus/khmarch.htm Letzter Aufruf : 30.10.2013 5.Abb.: Attentat von Sarajewo. Quelle: Das Interessante Blatt, 9.Juli 1914. Online unter: http://www.habsburger.net/de/medien/attentat-von-sarajewozeitungsillustration-1914 Letzter Aufruf: 12.11.2013 92 6.Abb.: Alois Graf Aehrenthal. Quelle: Carlgren Wilhelm Mauritz, Iswolsky und Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise. Russische und österreichisch-ungarische Balkanpolitik 1906-1908. Almqvist & Wiksell, Uppsala 1955. 7.Abb.: Sándor Wekerle, offizielles Portraitfoto, um 1906. Nachlass Wekerle. Quelle: Geyr Géza Andreas von, Sándor Wekerle 1848-1921. Die politische Biographie eines ungarischen Staatsmannes der Donaumonarchie, R.Oldenbourg Verlag, München 1993. 8.Abb.: Feldmarschalls Conrad von Hoetzendorfs letzte Fahrt, Gebrüder Knozer, Wien. Quelle: Wiener Bilder, 6.September 1925. Online unter: ANNO, Historische österreichische Zeitschriften, http://anno.onb.ac.at/cgicontent/anno?apm=0&aid=wrb&datum=19250906&seite=1. Letzter Aufruf: 11.12.2013 9.Abb.: Protokoll zwischen Österreich-Ungarn und der Pforte über die Annexion von Bosnien-Herzegowina, Fotostudio Otto, Wien. In: Ernst Bruckmüller/ Peter Urbanitsch (Hrsg.), Ostarrîchi - Österreich 996-1996. Menschen, Mythen, Meilensteine. Katalog der Österreichischen Länderausstellung in Neuhofen an der Ybbs und St. Pölten. Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums. N.F. 388. – Horn: Berger 1996. XXIV, 736. 4°. Objekt-Nr.: 17.46b. Quelle: http://wwwg.uni-klu.ac.at/kultdoku/kataloge/20/html/1831.htm Letzter Aufruf : 16.11.2013 93 11 Abkürzungsverzeichnis Anm. d. V. Anmerkung der Verfasserin AMD Aus meiner Dienstzeit ebd. ebenda f. folgende ff. fortfolgende GP Große Politik der europäischen Kabinette 1871-1914, Sammlung der Diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes, herausgegeben von Johann Lepsius (u.a.), Berlin 1922. Hrsg. Herausgeber kgl. königlich k.k. kaiserlich-königlich k.u.k. kaiserlich und königlich NDB Neue Deutsche Biographie NL Ae Aus dem Nachlass Aehrenthal ÖUAP Österreich-Ungarns Aussenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914, Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren, Band 1, herausgegeben von Ludwig Bittner, Hans Uebersberger, Wien/Leipzig 1930. ÖBL Österreichisches Biographisches Lexikon u.a. und andere Übers. d. V. Übersetzung der Verfasserin vgl. vergleiche 94 12 Abstract Die vorliegende Diplomarbeit richtet das Hauptaugenmerk auf die Reaktionen der verschiedenen Regierungsstellen der österreichisch-ungarischen Monarchie nach der Jungtürkischen Revolution im Jahre 1908. Die Analyse beginnt mit der Balkankrise, um zu verdeutlichen, wie Österreich-Ungarn das Okkupationsrecht von Bosnien und der Herzegowina erhält. Im Folgenden widmet sich die Arbeit der Geschichte der Jungtürkischen Bewegung und daran anschließend setzt der Hauptteil meiner Untersuchung, die Reaktionen der k.u.k. Regierungsträger auf die Revolution, an. Hier werden die gemeinsamen Ministerratsprotokolle Österreich-Ungarns und die diplomatischen Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren benutzt, um die Haltungen der verschiedenen Regierungsstellen zu untersuchen. Nach der Analyse der Rechtmäßigkeit der Annexion von Bosnien und Herzegowina, wird im letzten Teil der Arbeit auf die internationalen Reaktionen und die Beilegung der Krise eingegangen. 95 13 Lebenslauf Angaben zur Person Name: Mihriban Acikalin Nationalität: Österreich Familienstand: verheiratet Ausbildung 1995-1999 Volksschule in Wien 1999-2007 Bundesgymnasium in Wien 06/2007 Matura mit ausgezeichnetem Erfolg 2007/08-2014 Lehramt Französisch und Geschichte an der Universität Wien Auslandsaufenthalt September 2010- Februar 2011 Erasmus an der Université de Strasbourg Sprachkenntnisse Zazaki (Muttersprache) Deutsch (fließend in Wort und Schrift) Türkisch (fließend in Wort und Schrift) Englisch (sehr gute Kenntnisse in Wort und Schrift) 96