Kapitel 17 Schwingungen und Wellen In den bisherigen Kapiteln wurden Modellvorstellungen für die Erklärung von Phänomenen erarbeitet, die uns nun erlauben, Schwingungen und Wellenvorgänge zu modellieren. In physikalischen Systemen ist schwingendes Verhalten in Hydraulik, Elektrizität (und Magnetismus), Rotations- und Translationsbewegung leicht zu beobachten. In thermischen Systemen tritt es bei besonders tiefen Temperaturen oder speziell schnellen Vorgägngen auf, ist aber im Alltag kaum erkenntlich. Chemische Schwingungen gibt es zu hauf, sie sind aber nicht so einfach zu modellieren. In den Modellen, die in den Kapiteln 5, 14 und 15 erarbeitet wurden, kamen Schwingungen im Prinzip schon vor. Wir haben das Phänomen aber nicht weiter untersucht. In diesem Kapitel soll deshalb die Beschreibung von Schwingungen und Wellenausbreitung ausgebaut und vertieft werden. Schwingendes Verhalten. Schwingendes Verhalten erkennt man daran, dass ähnliche Muster wiederkehren, wobe weder die Stärke der Veränderungen noch die Periode der Wiederkehr immer gleich sein Muss (Abb.17.1). 2 Electric current 1.5 0 0.01 0.02 Time / s Number of furs / 1000 100 80 X X X Lynx Hare [ XX [ [ X [ [ [ X [ [ X 40 X X X [ [ X X [ X[ [ XX X X X 20 [X XX[ X [ X [ [ X[ [ [ [ [ [ X [ X X[ [ [ [ [ XX X 0[ 60 1900 1910 1920 Time / a 1930 4 10 2 Acceleration 0 0 -10 -2 -20 Speed / m/s Speed -4 0 2 4 Time / s 6 8 100 90 Utilization 50 85 0 80 -50 75 Utilization (%) 2.5 20 Acceleration / m/s^2 UC / V 3 0.08 0.06 0.04 0.02 0 -0.02 -0.04 -0.06 0.03 DInventory / 10^9 US$ Voltage Electric current / A 4 3.5 ∆Inventory -100 1960 1970 1980 Time / a 1990 70 2000 Abbildung 17.1: Beispiele von schwingendem Verhalten in physikalischen (oben), biologischen (unten links) und ökonomischen (unten rechts) Systemen. Oben links: Elektrischer Schwingkreis (Spule zwischen zwei Kondensatoren). Oben rechts: Klotz bewegt sich senkrecht an Gummiseil (bungee jumper). Unten links: Luchse fressen Hasen (Räuber-Beute System). Unten rechts: makroökonomische Zyklen. 404 Schwingungen und Wellen Schwingendes Verhalten kann man besonders klar in einer speziellen Datstellung erkennen, die man Phasendiagramm nennt (Abb.17.2). Wenn wir ein System haben, in dem sich wie in den Diagrammen in 17.1 zwei Variablen rythmisch ändern, dann kann man die eine gegen die andere auftragen. Obwohl die Zeit dann nicht mehr explizit im Diagramm ersichtlich ist, erkennt man deutlicher, dass es sich um zyklische Prozesse handelt: die Kurve, die man Trajektorie nennt, kurvt mehre Male in mehr oder weniger komplizierter Art durch den Phasenraum. 4 Start Start 0.05 Speed / m/s Electric current / A 0.1 0 -0.05 -0.1 0 End -2 -4 1.5 2 60 2.5 3 3.5 Voltage UC1 / V 4 -20 -15 -10 -5 0 5 10 Acceleration / m/s^2 X X X X 40 X X X 15 90 1968 Utilization X X X X Start X Utilization (%) X Lynx furs / 1000 2 X 20 X X X X X X X X X XX X X X XX X 0 0 20 40 60 80 Hare furs / 100 100 ÉÉÉÉ É É É ÉÉ É É É É É É É É É É É É É É É 1970 ÉÉ É ÉÉÉÉ É É 1980 É É É É É ÉÉÉ É É É ÉÉ É É É É É ÉÉ É É ÉÉ 1995 É 1990 É É É ÉÉ 1977 É ÉÉ É É É É É É ÉÉÉÉ É É É É É É É ÉÉ É É 1985 ÉÉ É É É É 1975 É É É É É É É É É É É ÉÉ É É 1982 É É É ÉÉ É 1973 85 80 75 -100 -50 0 50 100 Inventory Difference / 10^9 US$ Abbildung 17.2: Phasendiagramme der vier Beispiele von Schwingungen in Fig.17.1. In einem Phasendiagramm wird eine der beiden Variablen gegen die andere Aufgetragen – die Zeit ist nicht mehr direkt sichtbar. Ursachen für Schwingungen. Man kann die Ursachen für schwingendes Verhalten von Systemen in drei Kategorien zusammen fassen: 1. Systeme mit Speichern und Transporten, bei denen die Ströme Trägheit zeigen (induktives Verhalten); 2. Verzögerungen bei der Reaktion auf Änderungen in Systemen mit Speichern und Transporten; 3. Wechselwirkung zwischen zwei oder mehr Spezies (Speichergrössen), wie sie bei Räuber-Beute Systemen in der Biologie, bei chemischen Reaktionen oder in ökonomischen Systemen auftreten. Beispiele der ersten Kategorie kennen wir schon aus Kapitel 5. Dort haben wir gesehen, dass induktives Verhalten zu Schwingungen führt, wenn man induktive Elemente mit Speichern kombiniert – so beim elektrischen Modell des Blutkreislaufs, wo wir Kondensatoren, Widerstandselemente und Spulen für das Windkesselmodell verwendet haben. Das Selbe gilt natürlich für das hydraulische System des Blutkreislaufs. Allgemein heisst das, wenn wir Systemmodelle durch die Speicherung von fluidartigen Grössen (Volumen, Ladung, Impuls, Drehimpuls, Entropie, Stoffmenge) und deren Transport darstellen können, und wenn die Transporte dem Phänomen der Trägheit unterliegen, dann sind Schwingungen möglich. Wenn man schliesslich Modellteile dieser Art für räumlich ausgedehnte Materialien statt für homogene Sys- 405 teme zusammenfügt, so erhält man Darstellungen von Wellenausbreitung in ausgedehnten Medien. Der zweite Grund für Schwingungen ist mit dem Phänomen der Induktion stark verwandt. Wenn wir in Modellen der Speicherung und des Transports Verzögerungen einbauen, so kann es auch zu schwingendem Verhalten kommen. Beispiele dazu sind die Temperaturregellung in einer Dusche, bei der man verzögert auf die Änderung der Temperatur reagiert, oder die Änderung der Temperatur verzögert auf die Regelung folgt. In diese Kategorie gehören auch viele Phänomene im Wirtschaftlichen Bereich, so wenn man auf Änderungen in einem Lager (Inventar) verzögert mit Änderungen der Produktion (Auslastung der Kapazität) reagiert; so erklärt man zum Beispiel auch die makroökonomischen Zyklen mit den alle Jahre wieder auftretenden Hochs und Tiefs. Die letzte Kategorie hat mit der Wechselwirkung von zwei oder mehr Spezies zu tun, wie sie in der Populationsbiologie oder in bei chemischen Reaktionen auftreten. Konkurrenz zwischen zwei Spezies wie Luchsen und Hasen zeigen typisches Verhalten wie bei einfachen schwingenden physikalischen Systemen (sieh die beiden Diagramme in Abb.17.1, oben links und unten links): eine der Grössen reagiert mit ihren Änderungen verzögert auf die Änderungen der anderen. Box 15.1: Zwei Formen von Zeit In der altägyptischen Kultur war die Unterscheidung zwischen linearer und zyklischer Zeit gebräuchlich. (In alten nordamerikanischen Kulturen war sicher die Vorstellung von zyklischer Zeit vorhanden, wie weit lienare Zeit eine erst durch die Europäer gebrachte Vorstellung ist, scheint unklar.) Dahinter stehen zwei grundlegende Beobachtungen zur Dynamik in der Welt. Es gibt Dinge, die scheinen sich im wesentlichen in eine Richtung zu verändern. Im Gegensatz dazu stehen Veränderungen, bei denen ein System wieder zu seinem Ursprung zurück kehrt, worauf dann die Veränderung von Neuem beginnt. Heute sprechen wir im ersten Fall von säkularer Entwicklung – Evolution ist eine gute Art, diese Form der Veränderung zu bezeichnen. Biologische Evolution, Entwicklung des Universums oder von Sternen, Leben von Geburt zu Tod gehören in diese Kategorie. In alten Kulturen hätte man gesagt, dass diese Phänomene uns die lienare Zeit zeigen. Rythmen wie Tag und Nacht gehören demhingegen zu den Phänomenen, die zum Konzept der zyklischen Zeit geführt haben. 1. Sieht man in den Daten der CO2 Konzentration in der Erdatmosphäre in Abb.1.5 säkulare Veränderung (Trends)? Sieht man dort zyklische Veränderungen? 2. Gibt es in den Daten in Abb.17.3 säkulare und zyklische Veränderungen? 3. Wie lang sind die Zyklen im elektrischen Schwingkreis (Abb.1.5, oben links)? Sind sie konstant? Wie lang sind die Zyklen der Schwingung im Räuber-Beute System von Luchsen und Hasen (Abb.1.5, unten links)? 4. Wie kommt man von der Darstellung der Daten im Diagramm oben links in Abb.17.1 (elektrische Schwingungen) zum zugehörigen Phasendiagramm in Abb.17.2? Aufgaben 406 17.1 Schwingungen und Wellen Phänomene und Wortmodelle In physikalischen Systemen kommen Schwingungen in den verschiedensten Phänomenbereichen vor (nur bei thermischen Prozessen hat man Mühe, sie zu finden, aber es gibt sie auch dort). Wasser kann hin und her schwappen, elektrische Schwingkreise gibt es nicht nur im Radio, in mechanischen oder chemischen Systemen schwingt fast immer irgend etwas. Schwingunen in solchen Systemen sind oft relativ einfach, darum lohnt sich ihr Studium für den Anfang. Wir werden aber Beispiele von schwingenden Systemen der drei oben erwähnten Kategorien beschreiben und versuchen, die Gründe für schwingendes Verhalten in Wortmodellen festzuhalten. Chemische, biologische, ökologische und ökonomische Systeme machen Schwingungen aber zur wissenschaftlichen und mathematischen Herausforderung. 17.1.1 Hydraulische und elektrische Schwingungen Im Prinzip ist ein hydraulisches System aus zwei Tanks und einem verbindenden Schlauch am Boden (Abb.17.3, links) eine Einrichtung, in der eine Flüssigkeit hinund her schwingen kann. Da das aber bei einem dünnen Schlauch kaum auftritt, ist vermutlich die Reibung daran Schuld, dass es nicht zu Schwingungen kommt. Quecksilber im U-Rohr. Tatsächlich beobachtet man Schwingungen leicht, wenn man aus den beiden Behältern und dem Schlauch ein U-Ror macht und ein nicht zu zähes Fluid wählt (Wasser oder Quecksilber). Bläst man in einen der Schenkel, um die Flüssigkeit aus dem Gleichgewicht zu bringen, schaukelt sie eine Weile lang um die Gleichgewichtslage hin und her, bis sie schliesslich doch zur Ruhe kommt (Abb.17.3, rechts) – wie bei den beiden Tanks mit dem Schlauch ist die Reibung beim Fliessen Schuld am Abklingen der Amplitude der Schwungung. Level / mm 440 420 400 380 360 0 5 10 15 Time / s 20 Abbildung 17.3: Wenn man anstelle von zwei kommunizierenden Tanks mit dünnem Verbindungsrohr ein U-Rohr verwendet, schaukelt die Flüssigkeit hin und her. Im Diagramm rechts sieht man eine gedämpfte Schwingung: gemessen wurde die Füllhöhe von Quecksilber in einem der Schenkel des U-Rohres. Unsere bisherigen Modelle, die das Phänomen der Induktion vernachlässigen, kommen zu einem anderen Bild (Kapitel 2.1.2): Die beiden ursprünglich verschiedenen Füllniveaus nähern sich direkt einem gemeinsamen Gleichgewichtswert an; die Form ist die eines exponentiellen Angleichs. Man erhält übrigens das gleiche Bild bei einem U-Rohr, das man mit einer sehr zähen Flüssigkeit füllt. Dass ein System im Prinzip Schwingungen zulässt, heisst also noch nicht, dass es tatsächlich zu Schwingungen kommt. Wie kommt es nun zur Schwingung der Flüssigkeit im U-Rohr, und was hat der induktive Effekt damit zu tun? Wir lenken die Flüssigkeit aus, so dass sie im einen 17.1 Phänomene und Wortmodelle 407 Schenkel höher steht als im anderen. Damit haben wir einen Antrieb (Potentialdifferenz) für den hydraulischen Vorgang, die Flüssigkeit fängt an zu fliessen. Das heisst, dass die anfängliche Potentialdifferenz ganz für den Anschub des Stromes verantwortlich ist. Die Stromstärke nimmt zu, und wenn wir für den Moment Reibung vernachlässigen, dann wird die Stromstärke genau dann den höchsten Wert erreichen, wenn die Füllhöhen in beiden Schenkeln gleich geworden ist. Ohne den Einfluss der Trägheit des Stromes wäre die Situation gerade umgekehrt: wir hätten den höchsten Wert des Stromes genau am Anfang, und der Strom wäre Null, wenn die Füllhöhen links und rechts gleich geworden sind. Im Fall von Schwingungen wird die Flüssigkeit also überschwingen, das Niveau im ersten Schenkel wird unter den Gleichgewichtsstand sinken, und schliesslich wird die umgekehrte symmetrische Situation des Anfangszustands erreicht (falls wir keine Reibung haben). Darauf nimmt das Phänomen in umgekehrter Richtung seinen Fortgang. R L B A C D E C2 4 Voltage 3 2 0.06 Current 0 UC1 UC2 0 0.01 0.02 0.03 Time / s 0.04 -0.06 0.05 Electric current / A Usol Solenoid C1 Voltage UC / V Elektrischer Schwingkreis. Das selbe Verhalten sieht man, wenn man eine Spule zwischen zwei Kondensatoren in einen einfachen Stromkreis steckt (Abb.17.4), und wie schon so oft sind die Erklärungen für die hydraulischen und die elektrischen Systeme analog. Wenn sich die Spule einfach wie ein Widerstandselement verhalten würde, so ergäbe es keine Schwingung. Wir kennen das Verhalten aus Kapitel 4.1, Abb.4.1). Es ist genau gleich wie bei zwei Tanks mit einem dünnen Rohr dazwischen. Abbildung 17.4: Eine Spule — hier ohne Eisenkern — zwischen zwei (verschieden) geladenen Kondensatoren (C1 = 60 µF, C2 = 95 µF) führt zu einer Schwingung der elektrischen Grössen. Die Tatsache, dass es eine Spule braucht—und dass ein Eisenkern in der Spule den Effekt verstärkt—deutet darauf hin, dass Induktion an der Schwingung Schuld ist. Nun hatten wir beim Anfahren von Strömen auch schon mit Induktion zu tun, aber es gab keine Schwingungen. Deshalb ist induktives Verhalten nur die halbe Miete: es braucht auch noch Speicher (kapazitives Verhalten), damit eine fluidartige Grösse wie elektrische Ladung oder Volumen hin- und herpendeln kann. In Alltagssprache sieht die Erklärung etwa folgendermassen aus. Wegen der Differenz der elektrischen Potentiale bei A und E (Abb.17.4) sollte Ladung vom einen zum anderen Kondensator fliessen. Diese Spannung führt aber anders als bei einem Widerstandselement nicht augenblicklich zu einem elektrischen Strom – die Stromstärke muss von Null an wachsen. Dazu braucht es wegen des induktiven Elementes eine Spannung – eben die Spannung ϕA − ϕE . Wegen des Ladungstransports passieren nun zwei Dinge: die Spannung zwischen A und E nimmt ab, und der davon für die Änderung der Stromstärke zur Verfügung stehende Teil nimmt ab, weil die Spannung über dem Widerstandselement höher wird. Wenn wir für den Moment 408 Schwingungen und Wellen vom Effekt des Widerstandselementes absehen, passiert genau das Gleiche wie im Fall der Flüssigkeit im U-Rohr. Die Stromstärke erreicht genau dann ihr Maximum, wenn die Potentiale bei A und bei E gleich geworden sind. Nun fliesst die Ladung wegen ihrer (magnetischen) Trägheit weiter, das Potential bei E wird höher als bei A, und so weiter. Aufgaben 5. Zeigt das Beispiel des Windkesselmodells in Abb.3.24 oder Abb.4.3 nicht Schwingungen, die es gar nicht geben darf? 6. Wenn wir beim Phänomen der Induktion bei hydraulischen Vorgängen von Trägheit eines Stromes reden, worin besteht diese Trägheit? Worin besteht sie in elektrischen Systemen? 7. Warum nimmt der Ausschlag der Füllhöhe in Abb.17.3 (rechts) mit der Zeit ab? 8. Wenn man das U-Rohr in Abb.17.3 mit einer ganz zähen Flüssigkeit füllt und die Füllhöhen auslenkt, kommt es dann zu Schwingungen? 9. Was passiert mit der Schwingung in der elektrischen Schaltung in Abb.17.4, wenn man (a) die Kapazität der Kondensatoren ändert; (b) die Induktivität der Spule ändert; (c) den Widerstandswert des Spulendrahtes ändert? Gelten die Überlegungen analog für den hydraulischen Fall von zwei Tanks mit einem Verbindungsrohr? 10. In allen vier Diagrammen in Abb.17.1 sind die Phasen der zwei dargestellten Kurven gegeneinander verschoben (Maxima und Minima erfolgen nicht zur selben Zeit). Haben wir das Maximum der Kurve für die elektrische Stromstärke (oben links), wenn die Spannung das Minumum erreicht, oder wenn sich die Spannung am schnellsten ändert? Gilt diese Art Beziehung mehr oder weniger auch für die anderen Beispiele? 11. Wie sieht die Kurve für die Volumenstromstärke in Abb.17.3 aus? 12. Kann man das elektrische Schaltungsdiagramm als analoge Darstellung für eine Flüssigkeit in einem U-Rohr verwenden? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? 13. Sind die Ausschläge (Amplituden) der beiden gemessenen Spannungen über den Kondensatoren (Abb.17.4, rechts oben) gleich oder verschieden? Warum? 17.1.2 Torsionsschwingung Wenn man eine Torsionsfeder an aner Achse befestigt, so können an der Achse aufgehängte Körper hin und her schwingen (Abb.17.5). Wir haben das in Kapitel 14 durch die Wechselwirkung eines Drehimpulsspeichers (dem rotierenden Körper) und der Torsionsfeder gedeutet. In Abb.17.5 ist der Körper eine aus Stange und zwei Gewichten geformte Hantel. Die Achse steht senkrecht. Wenn man die Hantel aus der Ruhelage um einen bestimmten Winkel auslenkt, dann wird die Feder gespannt – Drehimpuls fliesst durch sie hindurch. Der rotierende Körper hat in Analogie zu den bisher untersuchten Systemen die Eigenschaft eines kapazitiven Elementes. Die Feder funktioniert als induktives Element: ein sich zeitlich ändernder Drehimpulsstrom durch die Feder ist mit der Änderung des Drehwinkels verbunden. (Zur Erinnerung: die Winkelgeschwindigkeit ist das Potential der Drehbewegung.) Da die zeitliche Änderung des Drehwinkels durch die Differenz der Winkelgeschwindigkeit zwischen Rotationskörper und fester Verankerung der Feder entspricht, haben wir die Bedingung eines induktiven Phänomens: die Änderungsrate des Drehimpulsstromes hängt mit der Differenz der zugehörigen Winkelgeschwindikeit über der Feder zusammen. 17.1 Phänomene und Wortmodelle 409 60 Angle / deg 40 20 0 -20 -40 -60 0 10 20 Time / s 30 40 Abbildung 17.5: Eine Hantel schwingt um eine senkrechte Achse. Die Achse ist durch einer Torsionsfeder mit der Aufhängung verbunden. Das System bildet eine Hantel, die um die senkrechte Achse schwingen kann. Rechts sieht man die Daten für den Drehwinkel des Stabes als Funktion der Zeit. Das Wortmodell für den Schwingungsvorhang ist – abgesehen von der Dämpfung – weitgehend analog zu den bisherigen Erklärungen. Wenn wir die Hantel in Abb.17.5 mit der Hand auslenken und fest halten, haben wir zwei Drehimpulsströme, einen von der Hand, den anderen durch die Feder, und die Winkelgeschwindigkeitsdifferenz zwischen Hantel und Halterung ist Null. Wenn wir nun los lassen, wird Drehimpuls in die Hantel fliessen (oder je nach gewählter Drehrichtung oder Anfangsbedingung aus der Hantel heraus). Dadurch ändert sich die Winkelgeschwindigkeit, die Differenz der Winkelgeschwindigkeit über der Feder wächst, und gleichzeitig ändert sich auch der Drehimpulsstrom – er wird schwächer. Also ändert sich die Winkelgeschwindigkeit weniger schnell, und so weiter. Wenn dann die Hantel durch die Ruhelage geht, ist der Drehimpusstrom null geworden, seine Änderungsrate und die Winkelgeschwindigkeitsdifferenz sind nun aber maximal. Die Hantel schiesst über die Gleichgewichtslage, die Bewegung geht in die andere Richtung bis zum vollen Ausschlag. Danach wiederholt sich das Spiel in umgekehrte Richtung. Maximum amplitude Wenn Reibung mit im Spiel ist, ist die Form der Bewegung allerdings nicht symmetrisch um die Ruhelage, die Amplitude nimmt mit der Zeit ab. Man sieht im Doagramm rechts in Abb.17.5, dass die Form der Abnahme anders ist als die bei den hydraulischen und der elektrischen Schwingungen (Abb.17.3 und 17.4). Das bestätigt sich durch Messung der maximalen Ausschläge (Abb.17.6). Electric J oscillator JH BJ B JB Torsion JBB JH B oscillator J BB J JJH BB BB JJ BB JJH B BB JJ JJJH BBB JJ H BB H BB U-Tube H H H B HBBH H Time Abbildung 17.6: Die Messungen der hydraulische Schwingung im U-Rohr in Abb.17.3, der elektrische Schwingung in Abb.17.4 und die Torsionsschwingung in Abb.17.5 erlauben us, die Maxima der Ausschläge als Funktionen der Zeit zu bestimmen (Amplituden und Zeit wurden so transformiert, dass alle drei Ergebnisse in das selbe Diagramm passen.) Bei den ersten beiden Beispielen klingen die Amplituden exponentiell ab, bei der Torsionsschwingung näherungsweise linear. 410 Schwingungen und Wellen Im Diagramm in Abb.17.6 werden die absoluten Werte der Maxima und Minima der gedämften Schwingung als Funktionen der Zeit aufgetragen. Damit alle drei Beispiele ins selbe Diagramm passen, sind sowohl die Zeit- als auch die AmplitidenAchsen skaliert worden – tatsächliche Werte sieht man dort also nicht mehr, nur noch die Verläufe. Und da ergibt sich ein wesentlicher Unterschied im Dämpfungsverhalten zwischen hydraulischer und elektrischer Schwingung einerseits und mechanischer Schwingung andererseits. Man sieht, dass die Amplituden im ersten Fall fast perfekt exponentiell abklingen, bei der Torsionsschwingung aber mehr oder weniger linear. Das deutet darauf hin, dass man die Dämpfung in den drei Beispielen verschieden modellieren muss. 17.1.3 Schwingung bei Translationsbewegung Elastische Materialien, seien sie nun fest, flüssig, oder gasförmig, können schwingen. Am einfachsten sieht man das, wenn man einen starren Körper an eine Feder hängt und ihn dann auf und ab schwingen lässt. Luft kann genauso schwingen, was in der Weiterführung dann zu Schallwellen führt (Abschnitt 17.1.8). Bungee Jumper. Ein interessantes aber immer noch relativ einfaches System, das Translationsschwingungen erlaubt, ist ein Bungee Jumper. In Abb.17.7 sind die Beschleunigung und die Geschwindigkeit eines schweren Klotzes, der sich an einer senkrechten Schiene bewegen kann, aufgezeichnet. Der Klotz ist an starken Gummiseilen oben an der Schiene befestigt. Man schiebt den Klotz nach oben und lässt ih dann los. Darauf ergibt sich eine stark gedämpften Translationsbewegung. Acceleration / m/s^2 Acceleration 10 2 0 0 Speed -10 -2 Speed / m/s 4 20 -4 -20 0 2 4 Time / s 6 8 Abbildung 17.7: Ein schwerer Klotz fällt an einer Schiene geführt senkrecht nach unten. Weil er an einem starken Gummiseil befestigt ist, schwingt er eine Weile auf und ab. Im Diagramm sieht man die gemessene Beschleunigung des Klotztes. 17.1 Phänomene und Wortmodelle 411 Position / m Luft als Feder: der Versuch von Rüchardt. Ein ganz ähnliches Schwingungsverhalten sieht man in einem berühmten Versuch von Rüchardt, der zu Untersuchung der thermischen Eigenschaften von Luft herangezogen wird. Man befestigt ein langes vertikales Glasrohr auf dem Hals einer grossen Flasche und lässt eine Stahlkugel in das Rohr fallen. Die Kugel wird dann auf der Luftsäule auf und ab schwingen (Abb.17.8). 1 0.5 Position 0 2 0 Speed Speed -2 0 1 2 3 Time / s 4 5 Abbildung 17.8: Eine Stahlkugel wird in ein senkrechtes Glasrohr, das auf den Hals einer grossen Flasche gesteckt ist, fallen gelassen (Photographie links). Die Kugel schwingt dann auf dem Luftpolster – die Luft in Rohr und Flasche wird rhytmisch komprimiert. In einem Film wurde die Position der Kugel in Funktion der Zeit aufgezeichnet. Durch die zeitlich beschränkte Auflösung der Kamera (25 Bilder pro Sekunde) wird die Kugel im Bild in die Länge gezogen (Photographie rechts) – dies wurde indirekt zur relativen Besitmmung der Geschwindigkeit herangezogen. 17.1.4 Wirtschaftszyklen Aus dem Alltag wissen wir, dass die Wirtschaft alle Jahre schrumpft und wieder wächst – wir sehen Schwankungen um eine über serh viel längere Zeit meist wachsende Wirtschaft (Abb.17.9). Diese Schwankungen haben nichts mit besonderen Ereignissen oder gar Katastrophen zu tun – sie sind sozusagen in die Wirtschaft eingebaut. 90 90 1968 85 0 80 -50 75 Utilization (%) Utilization 50 Utilization (%) ∆Inventory / 10^9 US$ 100 ÉÉÉÉ É É É ÉÉ É É É É É É É É É É É É É 1970 É ÉÉÉ É É É ÉÉ É É 1980 É É É É ÉÉ É ÉÉÉ É É É É É É É ÉÉ É É É 1995 É 1990 É É 1977 É ÉÉÉÉ ÉÉ É É É É É É 1985 ÉÉÉÉ É É É É É É É ÉÉ É É É ÉÉ É É É ÉÉ É É É É É É É 1975 É É É ÉÉ É É 1982 É É É ÉÉ É 1973 85 80 ∆Inventory -100 1960 1970 1980 Time / a 1990 70 2000 75 -100 -50 0 50 100 Inventory Difference / 10^9 US$ Abbildung 17.9: Makroökonomische Zyklen am Beispiel der Beziehung zwischen Auslastung (Utilization) und Lager (Difference of Inventory: Differenz des Wertes der Lager im Vergleich zum langjährigen Trend von 1968 bis 1995) für die US Wirtschaft. Inventory: http://www.bea.gov/bea/dn/nipaweb/TableViewFixed.asp#Mid. Utilization: http://www.economagic.com/em-cgi/data.exe/frbg17/B50001_utlsa. 412 Schwingungen und Wellen 17.1.5 Schwingungen in Räuber-Beute Systemen X 60 X 80 X X X Lynx Hare [ XX [ [ X [ [ [ X [ [ X 40 X X X [ [ [ X [ XX[ X X X 20 XXX [X[ [ XX[ X [ [ [ XX[ [ [ [ [ X X[ [ [ [ [ XX X 0[ 60 1900 1910 1920 Time / a 1930 Lynx furs / 1000 Number of furs / 1000 100 X X X 40 X X X X X X Start X Start X X 20 X X X X X X X X X XX X X X XX X 0 0 20 40 60 80 Hare furs / 100 100 Abbildung 17.10: Die Hudson-Bay Company hat über viele Jahrzehnte Buch über die Zahl der abgelieferten Felle von kanasichen Luchsen und von Schneehasen geführt. Hier sieht man einen Ausschnitt der Zahlen von 1900 bis 1920. Siehe auch http://www-rohan.sdsu.edu/~jmahaffy/courses/f09/math636/lectures/lotka/qualde2.html. 17.1.6 Chemische Schwingungen 17.1.7 Resonanzerscheinungen 17.1.8 Wasserwellen und Schallwellen 17.1.9 Wellen in elektrischen RCL Ketten 17.1.10 Reaktions-Diffusions-Erscheinungen Abbildung 17.11: Eine Abfolge von Bildern aus einem Film über die Ausbreitung von Wellenförmigen Mustern bei einer oszillierenden chemischen Reaktion (Belouzov-Zhabotinski Reaktion) in einer flachen Schale. Hier beeinflussen sich räumliche und zeitliche Änderungen gegenseitig. Die Musterbildung im Fell von Tieren wird zum Beispiel so erklärt. (rkraig, 200: http://www.youtube.com/watch?v=bH6bRt4XJcw) 17.2 Beschreibung einfacher Schwingungsformen 17.2 413 Beschreibung einfacher Schwingungsformen Schwingungen bestehen darin, dass dynamische Grössen eines Systems bildlich gesprochen hin- und herschaukeln. Im aller einfachsten Fall von Schwingungen wiederholen sich Vorgänge deshalb in gleicher Form in festen Perioden—zum Beispiel wie eine einfache Winkelfunktion (Sinus in Abb.17.12, links). Im Allgemeinen weichen Schwingungsvorgänge aber von diesem Fall ab: die Form des Verhaltens kann von Periode zu Periode anders sein, die Amplitude kann sich ändern, und auch die Perioden müssen nicht fest sein (einfaches Beispiel in Abb.17.12, rechts). Ungedämpfte harmonische Schwingung 0.08 0.08 0.04 0.04 IQ / A IQ / A 17.2.1 0 -0.04 0 -0.04 -0.08 -0.08 0 0.01 0.02 Time / s 0.03 0.04 0 0.01 0.02 Time / s 0.03 0.04 Abbildung 17.12: In diesen Diagrammen sind Simulationsergebnisse eines Modells für den Stromkreis in Abb.17.4 gezeigt (Modell in Abb.17.19). Links: sogenannte ungedämpfte Schwingung mit RS = 0 Ω und IQ (0) = 0 A. Rechts: das selbe Modell für vier verschiedene Werte des elektrischen Widerstandes der Spule (0, 0.77, 7.1, 65 Ω). Die Simulation mit RS = 65 Ω zeigt einen Fall, wo die Dämpfung überkritisch ist: es gibt gar keine Schwingung mehr. Die ungedämpfte Schwingung, die der Form nach einer Sinus-Funktion entspricht, kann durch drei oder vier Parameter verändert werden (Abb.17.13, links). Man kann die Amplitude x̂ wählen, die Periode T anpassen, die Kurve horizontal verschieben (zeitliche Phasenverschiebung φt ) und auch noch vertikal. Die dargestellte Funktion kann man folgendermassen als analytische Funktion schreiben: x (t) = x̂ sin 2π (t − φt ) T (17.1) Diese Art Verhalten kommt bei ungedämpften linearen Schwingungssystemen vor. Ungedämpft gibt es in Realität nicht, deshalb ist die gedämpfte lineare Schwingung (Abb.17.13, rechts) ein wichtiger praktischer Fall. Dabei ändert sich die Amplitude exponentiell abnehmend. Zur Beschreibung von Schwingungen gehört noch der Begriff Frequenz. Dabei handelt es sich um den Kehrwert der Schwingungsperiode: f = 1/T (17.2) 414 Schwingungen und Wellen 2 2 T Envelope 1 1 φt x(t) x(t) x̂ 0 0 -1 -1 T -2 -2 -1 0 1 2 Time / s 3 4 -1 0 1 2 Time / s 3 4 Abbildung 17.13: In diesen Diagrammen sind Simulationsergebnisse eines Modells für den Stromkreis in Abb.17.4 gezeigt (Modell in Abb.17.19). Links: sogenannte ungedämpfte Schwingung mit RS = 0 Ω und IQ (0) = 0 A. Rechts: das selbe Modell für vier verschiedene Werte des elektrischen Widerstandes der Spule (0, 0.77, 7.1, 65 Ω). Die Simulation mit RS = 65 Ω zeigt einen Fall, wo die Dämpfung überkritisch ist: es gibt gar keine Schwingung mehr. Aufgaben 17.2.2 Gedämpfte Schwingung 17.2.3 Darstellung in Phasendiagrammen 14. Wie gross ist die Amplitude der in Abb.17.12 links gezeigten Funktion? 15. Wie lang ist die Schwingungsperiode der in Abb.17.12 gezeigten Funktionen? Was ist die Frequenz? 16. Schätzen Sie die zeitliche Phasenverschiebung der Funktion in Abb.17.17. 17. Bestimmen Sie graphisch so genau wie möglich die Funktionsgleichung der Ein- hüllenden Kurve für die Maxima der Funktion in Abb.17.13 rechts. Bestimmen Sie eine Funktionsgleichung für die in diesem Diagramm gezeigte schwingende Funktion. 17.3 Energie bei Schwingungen Um die Rolle der Energie bei Schwingungen verstehen zu lernen, betrachten wir die Schwingung einer Flüssigkeit in einem U-Rohr. Zuerst wollen wir zur Vereinfachung annehmen, die Flüssigkeit könne ohne Reibung fliessen. Dann ergibt sich folgendes Bild. Die Flüssigkeit steht am Anfang im einen Schenkel höher, im anderen tiefer als das Gleichgewichtsniveau. Darum hat das hydraulische System mehr Energie gespeichert, als wenn die Flüssigkeit in Ruhe im Gleichgewicht wäre. Sowohl positive als auch negative Abweichungen vom Gleichgewichtsniveau sind mit positiven Werten der Energie verbunden. Wir setzten die im Ruhezustand gespeicherte Energie gleich null, also haben wir am Anfang der Schwingung eine bestimmte (positive) Menge Ehyd,0 im hydraulischen Speicher. Nun beginnt die Flüssigkeit zu fliessen, sie bewegt sich. Ein bewegter Körper hat auch Energie, genau wie ein geladener oder ein heisser Körper. Da die Flüssigkeit schneller wird, kriegt sie aus dem hydraulischen Speicher mehr und mehr Energie. Diese Verschiebung dauert so lange, bis die Flüssigkeit am schnellsten ist, was genau dann der Fall ist, wenn die Flüssigkeitsniveaus in der Gleichgewichtslage sind. Also 17.4 Induktion und Schwingungen 415 haben wir dann keine Energie mehr, Ehyd = 0 , dafür ist alle Energie in der bewegten Flüssigkeit: Ebew,max = Ehyd,0 . Nun geht die Flüssigkeit im anderen Schenkel in die Höhe, die Strömung wird langsamer, Energie geht aus dem “Bewegungsspeicher” in den hydraulischen Speicher. Wenn das System keine Energie verliert, was bei Reibung aber der Fall wäre, wiederholt sich das Spiel der Energie ständig. Während einer Viertel-Periode einer Schwingung geht immer die ganze Menge Energie aus einem Speicher in den anderen; in der nächsten Viertel-Periode geht es wieder zurück. Durch Reibung geht laufend ein Teil der gesamthaft im System vorhandenen Energie verloren, die Amplitude der Schwingung nimmt ab. An der Form der Prozesse ändert sich dabei aber nichts. H H Energy M H M H M M H M Abbildung 17.14: Im Laufe einer Viertel-Periode einer ungedämpften (reibungsfreien) Schwingung geht die Energie gänzlich aus dem ersten Speicher (H) in den zweiten (M), während der zweiten Viertel-Periode geht die Energie wieder aus M nach H zurück (H: hydraulischer Speicher, M: Bewegungsspeicher). Hier ist eine halbe Periode einer Schwingung dargestellt. 17.4 Induktion und Schwingungen In Kapitel 5, Abschnitt 5.1.4 wurde schon darauf hingewiesen, dass die Trägheit von Strömen wesentlich für das Phänomen von Schwingungen mit verantwortlich ist. In diesem Abschnitt führen wir die Idee quantitativ aus: wir analysieren Daten von einfachen Schwingungsvorgängen und zeigen, dass (verallgemeinerte) Spannungen über induktiven Elementen mit der Änderungsrate der Ströme durch diese Elemente zusammen hängen. 17.4.1 Schwingung in einem U-Rohr Die Erklärung einer hydraulischen Schwingung wie beim U-Rohr ist relativ leicht zu erhalten. Wir sogen dafür, dass die Flüssigkeit in einem der Schenkel höher steht als im andern. Dann lassen wir die Flüssigkeit fliessen. Wir haben eine hydraulische Triebkraft (Druckdifferenz 4pC oder Gravitationspotential-Differenz zwischen links und rechts), aber das Fluid fliesst (noch) nicht. Deshalb sagen wir, dass der 416 Schwingungen und Wellen ganze Antrieb4pC im Moment nur dafür sorgt, dass das Fluid anfängt zu fliessen. In Analogie zu Gl.(5.6) erwarten wir, dass es zwischen der Druckdifferenz 4pL für das induktive Phänomen und der Änderungsrate des Stromes einen direkten Zusammenhang geben sollte: dIV ∼ 4pL (17.3) dt Level / mm 440 420 400 380 360 0 5 10 15 Time / s 20 Abbildung 17.15: Wenn man anstelle von zwei kommunizierenden Tanks mit dünnem Verbindungsrohr ein U-Rohr verwendet, schaukelt die Flüssigkeit (Quecksilber) hin und her. Im Diagramm rechts sieht man eine gedämpfte Schwingung: gemessen wurde die Füllhöhe in einem der Schenkel des U-Rohrs als Funktion der Zeit. Der Antrieb führt zu einer Änderung des Stromes. Sobald der Strom fliesst, passieren zwei Dinge: (1) die kapazitive Druckdifferenz zwischen den Schenkeln wird niedriger und (2) wegen der Reibung ist nun ein Teil der tatsächlichen Druckdifferenz mit dem dissipativen Transport verbunden: 4pR = RV IV (17.4) Für die weitere Änderung der Volumenstromstärke steht nun nur noch eine kleiner Druckdifferenz zur Verfügung: 4pL = 4pC − 4pR (17.5) Der Strom verstärkt sich weiter, aber nicht mehr so schnell. Die Flüssigkeit wird ihre grösste Geschwindigkeit gerade dann erreichen, wenn die beiden Flüssigkeitsniveaus links und rechts gleich geworden sind. Der hydraulische Antrieb ist weg, aber wir sind nicht im Gleichgewicht. Wegen ihrer Trägheit fliesst die Flüssigkeit nun “bergauf”: dort, wo das Niveau ursprünglich hoch war, geht es unter die Gleichgewichtslage, auf der anderen Seite geht es nun darüber hinaus. Jetzt verlangsamt sich das Fluid aber, bis es im zweiten Schenkel den Höchststand erreicht hat. Dieser Höchststand wäre gleich wie am Anfang auf der anderen Seite, gäbe es nicht die Reibung. Die führt dazu, dass Energie aus dem System verloren geht: der Vorgang des Hin- und Herschaukelns ist nicht symmetrisch. Langsam nehmen die Maxima und Minima der Niveaus ab, und die Amplitude der Schwingung nimmt ab, wie wir in Abb.17.3 und 17.4 sehen. Aufgaben 18. Wann ist bei der Schwingung im U-Rohr 4pR am grössten? 19. Wasser schwingt in einem U-Rohr. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sind die Füllhö- hen in den beiden Schenkeln zum ersten Mal gleich. Wie gross ist dann die kapazitive Druckdifferenz zwischen den beiden Schenkeln? Heisst das, dass das Fluid dann nicht fliesst? 17.4 Induktion und Schwingungen 417 20. Wenn man bei Schwingungen zwei zueinander gehörige Funktionen (wie Spannung und Stromstärke beim elektrischen Schwingkreis oder Füllhöhe und Volumenstrom beim U-Rohr) anschaut, sieht es aus, als ob eine davon ihr Maximum dann hat, wenn sich die andere am schnellsten ändert. Stimmt diese Beobachtung genau? Hat Dämpfung etwas mit dieser Frage zu tun? 17.4.2 Analyse des elektrischen Schwingkreises R L B A C D E C2 4 Voltage 3 2 0.06 Current 0 UC1 UC2 0 0.01 0.02 0.03 Time / s 0.04 -0.06 0.05 Electric current / A Usol Solenoid C1 Voltage UC / V In Abb.17.4 sehen wir die über den beiden Kondensatoren gemessenen Spannungen als Funktionen der Zeit. Zudem kennen wir den Widerstandswert des Drahtes, aus dem die Spule gemacht ist (7.0 Ω) und die Kapazitäten der beiden Kondensatoren (60 µF und 95 µF). Mit diesen Angaben kann man nun Schritt für Schritt analysieren, welche Prozesse im Schwingkreis stattgefunden haben, und wie die Spule zu charakterisieren ist—insbesondere werden wir die Induktionsbeziehung zwischen Änderungsrate des Stromes und der induktiven Spannung für das konkrete Beispiel herleiten können. Abbildung 17.16: Eine Spule ohne Eisenkern zwischen zwei (verschieden) geladenen Kondensatoren (C1 = 60 µF, C2 = 95 µF) führt zu einer Schwingung der elektrischen Grössen. Der erste wichtige Schritt besteht darin, die elektrische Stromstärke aus den bisher erhobenen Daten zu bestimmen. Das geht hier, indem man die Änderungsrate der Spannung eines der Kondensatoren (oder von beiden zusammen gemittelt) bestimmt. Die Spannung eines Kondensators ist über die Kapazität mit seiner Ladung verbunden, die Änderungsrate der Ladung muss laut Bilanz gleich der Stromstärke sein: Q̇ = C U̇C (17.6) Q̇ = ±IQ (17.7) Die Daten für die Spannungen liegen als Vektor vor, also kann man die Änderungsrate durch numerische Differentiation (Differenzenquotient) und anschliessende Glättung gewinnen. Das Resultat ist in Abb.17.17 im linken Diagramm dargestellt. Offensichtlich schwingt die Ladung hin und her, wobei die Schwingung wegen der Widerstandswirkung des Spulendrahtes gedämpft ist. Aus diesem Resultat ergibt sich nun direkt die Spannung URS , die man wegen der Widerstandswirkung des Drahtes erwarten sollte: URS = RS IQ (17.8) Das Resultat muss genau die gleiche Form wie IQ (t) haben: es ist im Diagramm rechts in Abb.17.17 zu sehen. 418 Schwingungen und Wellen Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass URS nicht in dem einfachen Sinn wie die Spannung über der Spule existiert. Die Spannung über der Spule kann man messen. Sie ist übrigens laut Schaltungsdiagramm in Abb.17.4 gleich der Differenz der beiden gemessenen Spannungen über den Kondensatoren: (17.9) Usol = UC1 − UC2 URS stellt einen Teil von Usol dar, da die Spule noch einen anderen Vorgang durchmacht: den der Induktion. Die Induktionsspannung UL ist dann einfach das, was noch übrig bleibt: UL = Usol − URS (17.10) 0.04 0.3 URS / V 0.6 IQ / A 0.08 0 -0.04 0 -0.3 -0.08 -0.6 0 0.01 0.02 0.03 Time / s 0.04 0.05 0 0.01 0.02 0.03 Time / s 0.04 0.05 Abbildung 17.17: Stromstärke in der Schaltung von Abb.17.4 (links) und resistive Spannung über dem Draht der Spule (rechts). Diese Spannung ist in Abb.17.18 links als Funktion der Zeit dargestellt; sie ist eine gedämpfte Schwingung wie die vorhergehenden Funktionen. Da wir erwarten, dass diese induktive Spannung mit der Änderungsrate des Stromes verknüpft sein sollte, bestimmen wir dIQ /dt numerisch im Datenblatt und erhalten die zweite Datenreihe, die in Abb.17.18 links durch Punkte dargestellt ist. Bei geeigneter Streckung der Werte sind die beiden Funktionen fast deckungsgleich. 0 -0.5 -1 -1.5 60 40 dIQ/dt / A/s URS / V 1 0.5 45 UL [ [ [ [ [ [ [ dIQ/dt [[ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [[ [[ [ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ 0 [ [[ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [[ [ [[ [ [ -45 [ [ 0 0.01 0.02 0.03 0.04 0.05 Time / s dIQ/dt / A/s 1.5 [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ 20 0 -20 [ [ [ [ [ [ [ [ -40 -60 -2 -1 0 UL / V 1 2 Abbildung 17.18: Induktive Spannung und Änderungsrate des Stromes als Funktionen der Zeit (links) sind fast deckungsgleich. Im charakteristischen Diagramm (dIQ /dt als Funktion von UL ) sieht man, dass die induktive Spannung und die Änderungsrate des Stromes fast perfekt proportional zueinander sind. Diesen Sachverhalt kann man noch besser untersuchen, wenn man dIQ /dt in einem Diagramm gegen UL aufträgt (Abb.17.18, rechts). Dieses Diagramm heisst charak- 17.4 Induktion und Schwingungen 419 teristisches Diagramm der induktiven Beziehung und zeigt, dass dIQ 1 = UL dt L (17.11) mit konstantem Faktor L ist. Dieser Faktor misst so etwas wie die Trägheitswirkung der Spule im Stromkreis. Ist L grösser, so ändert sich für gegebenes UL die Stromstärke langsamer: der Stromkreis ist träger. Man sieht, dass L der Kehrwert der Steigung der charakteristischen Geraden im Diagramm Abb.17.18 (rechts) ist. Numerisch erhalten wir hier L = 0.035 H. H (Henry) ist die Standardeinheit der Grösse, die offiziell Induktivität der Spule heisst. Induktion Transporte (Volumen in der Hydraulik, elektrische Ladung in der Elektrizität, Impuls und Drehimpuls bei Translations- und Rotationsbewegungen, Entropie bei thermischen Vorgängen) unterliegen einer Art “Trägheit”: der Strom ändert sich nicht einfach so, sondern seine Änderung ist mit einer zugehörigen Potentialdifferenz verbunden: dI (17.12) 4ϕL = −L dt Man nennt das Phänomen Induktion und die zugehörige Potentialdifferenz induktive Potentialdifferenz. L nennt man die Induktivität eines Elementes; sie misst die Trägheit des Phänomens. Das Minuszeichen bedeutet, dass ein in Stromrichtung abnehmendes Potential zu einer Verstärkung des Stromes führt. 17.4.3 Torsionsschwingung eines Rades Konzepte 420 17.5 Schwingungen und Wellen Dynamische Modelle und Simulationen In diesem Abschnitt werden ein paar dynamische Modelle für Beispiele aufgebaut, die wir vorher diskutiert haben. Damit sollten wir ein vertieftes Verständnis der Zusammenhänge—der Grundideen—und des konkreten Verhaltens von Systemen, speziell von schwingungsfähigen, erhalten. Im folgenden Abschnitt wollen wir durch Simulation ein wichtiges Phänomen untersuchen, nämlich das der Resonanz. 17.5.1 Modell der Schwingung in einem U-Rohr 17.5.2 Modell eines elektrischen Schwingkreises In Abb.17.4 ist ein elektrischer Schwingreis mit zugehörigen Daten aus einem Experiment dargestellt. Dieses System zu modellieren ist nun nicht mehr schwierig. Wir wissen, wie man die induktive Wirkung einer Spule darstellt. Was wir dazu brauchen, ist die Bestimmung der induktiven Spannung. Wir sehen im Schaltungsdiagramm von Abb.17.4, dass diese sich aus dem Maschensatz ergibt, wenn es uns gelingt, die anderen drei Spannungen zu bestimmen. Die Spannung über der Spule können wir durch die Differenz der Spannungen über den beiden Kondensatoren bestimmen. Aus Usol folgt dann UL , indem man URS = RS IQ subtrahiert. Der wesentliche neue Aspekt des Modells ist also die Berechnung der Spannungen der Kondensatoren. Das bedeutet, dass man den Teil des Modells von zwei kommunizierenden Kondensatoren hinzufügt, den wir schon aus Kapitel 4.2.1 kennen—die Bilanz der elektrischen Ladung für die beiden Speicher und die Berechnung ihrer Spannungen aus der Ladung und den zugehörigen Kapazitäten. Das so entstehende gesamte Modell ist in Abb.17.19 links dargestellt. 0.08 [ [ [ IQ / A 0.04 [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ [ [ [[ [ [ [ [ 0 -0.04 -0.08 0 0.01 0.02 0.03 t / s Abbildung 17.19: Diagramm eines dynamischen Modells des elektrischen Schwingkreises auf Abb.17.4 (links). Rechts sehen wir den Vergleich einer Simulation des Modells für die Stromstärke im Vergleich mit der aus den Daten direkt berechneten Stromstärke (Abb.17.19 links). Die Logik des Modells geht etwa so: Die Ladung der beiden Kondensatoren bestimmt ihre Spannungen, diese bestimmen die Spannung über der Spule. Mit der Stromstärke, die den Transport der Ladung von Kondensator zu Kondensator bestimmt, erhält man die resistive Spannung der Spule und zusammen mit den Spannungen über der Spule die induktive Spannung. Diese führt auf die Änderungsrate der Stromstärke, die man integriert, um die Stromstärke zu erhalten. Diese führt auf die Änderung der gespeicherten Ladung und damit auf die Ladung der Kondensatoren, 17.5 Dynamische Modelle und Simulationen 421 worauf das Spiel von vorne beginnt. Eine Simulation des Modells zeigt eine sehr gute Übereinstimmung mit den Daten für die elektrische Stromstärke (Abb.17.19 rechts). Die Werte für die Parameter, die einer guten Anpassung an die Daten entsprechen, sind nahe an den vorgegebenen Werten. Die Simulation wurde mit Kapazitäten von 55 µF und 94 µF durchgeführt. Der Wert des Widerstandes des Drahtes, aus dem die Spule gemacht ist, beträgt 7.02 Ω . Die Induktivität wurde aus der Analyse in Abb.17.18 übernommen. Wenn man dann noch einen Wert für den anfänglichen elektrischen Strom von 4.03·10−2 A nimmt, erhält man das gezeigte Resultat. 21. Woran sieht man in den Daten in Abb.17.4, dass die beiden Kondensatoren nicht die gleiche Kapazität haben? Welcher Kondensator hat die grössere Kapazität? 22. Welche Eigenschaften werden gebraucht, dass es zu Schwingungen kommt? (Widerstand? Kapazität? Induktivität?) 23. Was für Veränderungen in den gemessenen Daten in Abb.17.4 erwarten Sie, wenn Sie (a) die Kapazität beider Kondensatoren vergrössern, (b) den Widerstandswert des Spulendrahtes vergrössern, (c) eine Spule mit grösserer Induktivität nehmen? 24. Warum sehen die beiden Kurven in Abb.17.17 gleich aus? 25. Zeichnen Sie von Hand so genau wie möglich ein Diagramm, das alle vier Spannungen entsprechend dem Schaltungsdiagramm in Abb.17.4 als Funktionen der Zeit enthält. Überzeugen Sie sich über die Zusammenhänge zwischen diesen Grössen. 26. Bestimmen Sie graphisch so genau wie möglich die Änderungsrate der elektrischen Stromstärke aus dem linken Diagramm in Abb.17.17. Vergleichen Sie das Resultat mit dem linken Diagramm in Abb.17.18. 27. Warum können wir im Experiment von Abb.17.4 schliessen, dass die Induktivität der Spule einen konstanten Wert hat? 28. Wie gross ist die gesamte Kapazität der beiden Kondensatoren im Stromkreis für das Modell in Abb.17.19? 29. Formulieren Sie alle Gleichungen für das in Abb.17.19 dargestellte Modell eines Schwingkreises. 30. Wie sieht das Modelldiagramm für die hydraulische Schwingung einer Flüssigkeit in einem U-Rohr aus? Formulieren Sie die Gleichungen für den Fall, dass die Strömung immer laminar ist. 17.5.3 Simulationen des Modells für den Schwingkreis Modelle kreieren ist das Eine, sie als virtuelle Labors für Untersuchungen verwenden das Andere. Wir wollen nun das eben erstellte Modell verwenden, um auf experimentelle Art zu erfahren, wie die Schwingungsperiode vom System (seiner Grösse, d.h. seinen Parametern) abhängt. Ein Beispiel einer Simulation mit Parametervariation ist in Abb.17.20 dargestellt. Das hier untersuchte Modell entspricht im Wesentlichen dem vorher aufgebauten, enthält aber nur einen einzigen Kondensator. Zuerst überlegen wir uns, was die Paramter des Systems sind. Zu den Anfangswerten für Spannung über dem Kondensator und Stromstärke kommen Widerstand, Kapazität und Induktivität. Wenn man bei Simulationen die Anfangswerte einzel oder zusammen änert und alle anderen Grössen bestehen lässt, so bleibt die Schwingungsperiode unverändert—sie Aufgaben 422 Schwingungen und Wellen hängt also nicht von diesen beiden Werten ab. Auch der Widerstand scheint auf den ersten Blick keinen Einfluss zu haben. Das Diagramm rechts in Abb.17.12 zeigt keine (sichtbare) Änderung für die ersten drei Werte des Widerstandes (0, 0.77, 7.1 Ohm). Der letzte Wert (65 Ohm) zeigt allerdings, dass etwas drastisch passiert sein muss: es gibt keine Schwingung mehr, die Periode ist quasi unendlich lang geworden. Tatsächlich ändert die Periode merklich, wenn man den Widerstand in die Nähe des kritischen Wertes (hier etwa 63 Ohm) bringt. 5 URS 2.5 UC UC / V RS C 0 -2.5 L UL -5 0 2 4 t/s 6 8 Abbildung 17.20: Modell eines elektrischen Schwingkreises mit einem einzelnen Kondensator und einer Spule (links). Das Diagramm rechts zeigt drei Simulationsergebnisse für UC,init = 4, IQ,init = 0, RS = 0, L = 1 und verschiedenen Kapazitäten C = {0.25, 1, 4}. Im Folgenden wollen wir den Einfluss des Widerstandes auf die Schwingungsperiode ausser Acht lassen, was für nicht zu starke Dämpfung offensichtlich gerechtfertigt ist. Dann kann die Periode nur noch von der Kapazität und der Induktivität von Kondensator und Spule abhängen. Diese Abhängigkeit soll nun bei einem Schwingkreis mit R = 0 untersucht werden. Einige Ergebnisse für verschiedene Werte von C und L sind in Tabelle 17.1 aufgeführt. Tabelle 17.1: Schwingungsperiode in Abhängigkeit von C und L C/L 0.25 0.50 0.25 2.0 4.0 2.0 4.0 3.142 0.50 1.0 1.0 3.142 3.142 4.443 6.283 4.443 6.283 8.886 6.283 8.886 12.57 12.57 12.57 Man sieht schon im Diagramm rechts in Abb.17.20, dass sich die Schwingungsperiode verdoppelt, wenn man die Kapazität vervierfacht; das selbe Ergebnis sehen wir in der Tabelle 10.1, wenn wir die mittlere Zeile betrachten. Offensichtlich ist die Schwingungsperiode proportional zur Wurzel aus der Kapazität: √ T ∼ C Die Ergebnisse in der Tabelle zeigen auch, dass die Wirkung von Änderungen der Induktivität gleich wie bei Änderungen der Kapazität ist; also ist √ T ∼ L 17.5 Dynamische Modelle und Simulationen 423 Wenn man die beiden Beobachtungen kombiniert, so ergibt sich √ T ∼ CL (17.13) (ist eine Grösse proportional zu zwei anderen, so ist sie auch proportional zu deren Produkt). Dieses Ergebnis hätten wir auch auf anderem Weg vermuten können. Die Periode ist von L und C abhängig, und sie wird länger, wenn eine oder beide der Grössen grösser werden (das folgt wohl schon aus der Anschauung). Da ein RCLSystem (ein System mit Elementen mit R, C und L) von zwei Zeitkonstanten (der kapazitiven und der induktiven) beeinflusst wird, wäre deren Produkt vielleicht ein Mass für das Quadrat einer Zeitdauer, also der Periode: T 2 ∼ τC τL = R C L =CL R Das sind natürlich alles keine Beweise. Auch die Konstruktion mit Hilfe von Einheiten, die auf die selbe Form führt, ist kein Beweis. Immerhin haben wir nun sehr starke Hinweise, dass die Periode der Schwingung eines ungedämpften Schwingkreises proportional zur Wurzel aus dem Produkt von Kapazität und Induktivität sein sollte. Was ist aber die endgültige Form der Beziehung? Was ist der Proportionalitätsfaktor in Gl.(17.13)? Hier gibt die Tabelle der Simulationsergebnisse Auskunft. Wenn sowohl die Kapazität als auch die Induktivität einen Wert von 1 haben, ist die Schwingungsdauer nahe bei 2π. Also vermuten wir, dass √ (17.14) T = 2π C L Das stimmt tatsächlich, was man beweisen kann, wenn man das Anfangswertproblems des Schwingkreises analytisch löst. Wir werden das an anderer Stelle (Kapitel 15) tun. 31. Die Schaltung in Abb.17.20 mit nur einem Kondensator lässt Schwingungen zu (auch in Realität, nicht nur im Modell). Wenn man aber ein hydraulisches System mit nur einem Tank (und einem Rohr) baut, so kommt es nie zu einer Schwingung. Warum nicht? Was ist der Unterschied der beiden Systeme? 32. Wie lang müsste laut den Ergebnissen in Tabelle 10.1 die Schwingungsperiode für C = 0.25 und L = 2 sein? Stimmt das mit einer Berechnung nach Gl.(17.14) überein? 33. Bestimmen Sie für den Stromkreis aus Beispiel Abb.17.4 die Kapazität des Systems (Sie müssen die beiden Kondensatoren als in Serie geschaltet betrachten). Messen Sie dann aus den Daten die Periode der Schwingung und benutzen Sie das, um die Induktivität der Spule zu bestimmen. Stimmt das mit dem Ergebnis der Analyse in Abb.17.18 überein? 34. Wie gross ist die gesamte Kapazität der beiden Kondensatoren im Stromkreis für das Modell in Abb.17.19? 35. Formulieren Sie alle Gleichungen für das in Abb.17.19 dargestellte Modell eines Schwingkreises. 36. Wie sieht das Modelldiagramm für die hydraulische Schwingung einer Flüssigkeit in einem U-Rohr aus? Formulieren Sie die Gleichungen für den Fall, dass die Strömung immer laminar ist. 17.5.4 ... Der Rüchardt-Versuch Aufgaben 424 Schwingungen und Wellen 17.5.5 Resonanz in einem schwingenden System Resonanz ist ein im Alltag gut bekanntes Phänomen. Wenn man zum Beispiel will, dass der kleine Bruder auf der Schaukel möglichst hoch schwingt, muss man ihn im gleichen Rhythmus (mit der gleichen Frequenz) anstossen, mit der er von selbst auf natürliche Weise hin und her schwingt. Diese Frequenz nennt man natürliche Frequenz oder Eigenfrequenz des schwingenden Systems. Wenn man ihn mit einer anderen Frequenz schiebt, so verringert sich die Amplitude (Auslenkung), mit der er schliesslich schwingt. Das System spricht also auf eine Anregung am besten an, wenn diese die gleiche wie die Eigenfrequenz hat. Bemerkung: Ein reales System kann man sich aus Teilen zusammengesetzt denken, die alle ein einfaches schwingendes System mit einer eigenen Eigenfrequenz darstellen. So ein System hat mehrere bis sehr viele Eigenfrequenzen, kann also auf verschiedene Anregungen ansprechen. Ein Modell für einen einfachen Schwingkreis, den man anregen kann, ist schnell aufgebaut. Im Fall eines elektrischen Schwingkreises nehmen wir das Modell aus Abb.17.20 und fügen einfach einen Generator (Spannungsquelle) hinzu (Abb.17.21, a und b). a. b. C IQ URS RS UC ^ US UL L Usol Solenoid US c. d. 0.6 2 0.3 1 IQ / A UC / V , IQ / A UC 0 0 -0.3 -1 -0.6 -2 0 50 100 Time / s 150 -2 -1 0 UC / V 1 2 Abbildung 17.21: (a) Schaltkreis eines angetriebenen Schwingers. (b) Modelldiagramm, von Abb.17.20 abgewandelt. (c) Simulation des Modells mit UC (t) und IQ (t). (d) Phasenplot der selben Simulation, wobei IQ als Funktion von UC dargestellt wurde. Im Phasenplot sieht man besonders einfach den Einschwingvorgang und die spätere stationäre (eingeschwungene) Phase, während der sich das System immer wiederkehrend auf der selben geschlossenen Kurve bewegt. Wenn man nun die Spannung des Generators sinusförmig macht, so spricht man von einer harmonischen Anregung des Schwingkreises. Das heisst, man macht US (t) in 17.5 Dynamische Modelle und Simulationen 425 der Schaltung zum Beispiel eine Sinusfunktion mit einer bestimmten Amplitude ÛS und einer Frequenz f : US (t) = ÛS sin (2π f t) (17.15) Die Frequenz ist der Kehrwert der Periode, siehe Gl.(17.2). Es ist üblich, den Faktor 2π f im Argument der Funktion abzukürzen: 2π Ω = 2π f = (17.16) T Man nennt diese Grösse Kreisfrequenz, um sie von der Frequenz zu unterscheiden. Eine Kreisfrequenz von 2π 1/s bedeutet, dass man in einer Sekunde eine volle Schwingung beschreibt, oder dass die harmonische Funktion in Gl.(17.15) einmal den vollen Kreis beschreibt. Mit der Kreisfrequenz wird Gl.(17.15) zu (17.17) US (t) = ÛS sin (Ω t) Das Modell in Abb.17.21b wird um diesen Ausdruck ergänzt, und die Spannung über der Spule ändert sich entsprechend: (17.18) Usol = UC + US Steady state amplitude of current (IQ / A) Man interessiert sich nun dafür, wie das einfache schwingende System auf die harmonische Anregung reagiert. Dazu ändert man—bei vorgegebenen Werten für die Parameter R, C, L—die Kreisfrequenz der treibenden Spannung US und misst die Auslenkung (Amplitude) im eingeschwungenen Zustand, zum Beispiel für die Stromstärke. Experimente oder Simulationen zeigen, dass das System dann am stärksten reagiert, wenn die Kreisfrequenz in Gl.(17.17) der Eigenfrequenz Ω0 des Schwingkreises entspricht. Wenn wir das Ergebnis in Gl.(17.14) benutzen, erhält man für die Eigenfrequenz 1 (17.19) Ω0 = √ LC Für die Ergebnisse in Abb.17.22, die durch Simulationen des Modells in Abb.17.15b erhalten wurden, ist Ω0 = 1.0 1/s. 6 RS = 1/6 Ω 4 RS = 2/6 Ω 2 RS = 2/3 Ω 0 0 0.5 1 1.5 2 Angular frequency / 1/s 2.5 Abbildung 17.22: Resonanzkurven für den Schwingkreis in Abb.17.21, der harmonisch angetrieben wird (C = 1.0 F, L = 1.0 H). Für verschieden grosse Widerstandswerte (und ÛS = 1.0 V) ergeben sich verschiedene Kurven. Diese zeigen an, wie stark das System im eingeschwungenen Zustand schwingt (Amplitude des elektrischen Stromes als Funktion der Anregungsfrequenz). Man sieht den Resonanzkurven in Abb.17.22 an, dass das System bei Ω = Ω0 am stärksten reagiert. Je mehr sich die Frequenz der Anregung von der Eigenfrequenz des Schwingkreises unterscheidet, um so geringer ist die Amplitude der Schwingung im eingeschwungenen Zustand. 426 Schwingungen und Wellen 17.5.6 Ketten von Kondensatoren und Induktoren 17.5.7 Schallwellen 17.6 Quellen Konzepte und Beziehungen Induction and Oscillation Lecture notes and books · Fuchs H. U. (2010): The Dynamics of Heat. Springer, New York, Chapter 1.6. · Fuchs H. U. (1995): Inductive Phenomena and Oscillations. Chapter 3 of Lecture Notes FEHM. · Hydraulic ram. http://en.wikipedia.org/wiki/Hydraulic_ram. 17.6 Konzepte und Beziehungen Aufgaben 37. . . . 38. . . . 39. . . . 427 428 Schwingungen und Wellen