In dünner Luft - oder wie das Leben wurde, was

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In dünner Luft Teil 2
DEUTSCHLANDFUNK
Forschung Aktuell – Wissenschaft im Brennpunkt
ErzählerIn:
SprecherIn:
Übersetzer:
Produktion: Axel Scheibchen (25.-27.3.2007)
Redaktion: Christiane Knoll
Manuskript: 21. März 2007
In dünner Luft
oder wie das Leben wurde, was es ist
Teil 2:
Sauerstoff formt die Welt
von
Dagmar Röhrlich
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In dünner Luft Teil 2
Aus DIRA: Wissenschaft im Brennpunkt
Atmo Afrika und Musik
Erzählerin: Afrika, in den Hügeln oberhalb des Malawisees. Jenseits des Tals lodert
ein Lagerfeuer, der Wind trägt Gesang und den Klang von Trommeln herüber. Seit
zweieinhalb Millionen Jahren leben hier Menschen. Damals durchstreifte Homo
rudolfensis lichte Wälder an den Ufern längst vergessener Flüsse. Er war es wohl,
der gelernt hat, aus Steinen Werkzeuge zu machen. Ob er auch nachts das Kreuz
des Südens bemerkt hat? Gerade erhebt es sich hoch über dem dunklen
Schattenriss eines uralten Mangobaums. Es ist bald Mitternacht. Der Mensch
entstand in Afrika. Aber zwischen der Entstehung des Lebens und seinem Auftritt
lagen vier Milliarden Jahre. Eine Ewigkeit – in der der Zufall die Weichen stellte.
Sprecher: Bereits der erste Organismus hat damit begonnen, die Erde nach seinen
Bedürfnissen umzugestalten. Zunächst richtete das Leben kaum etwas aus – aber
mit jedem neuen Trick der Evolution formte es den Planeten ein wenig mehr. Der
größte Coup war zweifellos die Erfindung der Photosynthese, als die Cyanobakterien
entdeckten, wie es sich von Wasser, Luft und Licht leben lässt. Den Abfall Sauerstoff
verklappten sie einfach in die Umwelt. Damit legten die Cyanobakterien vor mehr als
zweieinhalb Milliarden Jahren die Basis für unsere Welt. Inzwischen haben Millionen
verschiedener Organismen selbst den letzten Winkel erobert. Diese Vielfalt hängt
von einem Lebenselixier ab: vom Sauerstoff. Neue Untersuchungen verraten, dass
der Sauerstoffgehalt in der Luft alles andere als stabil war. Er schwankte stark, und
erst dieses Auf und Ab soll die Evolution der Tiere vorangetrieben haben.
Titel:
In dünner Luft - oder wie das Leben wurde, was es ist
Von Dagmar Röhrlich
Teil 2 – Sauerstoff formt die Welt
Atmo Straßenverkehr
Sprecher: Für Fans der Neogotik ist die Yale University in New Haven ein
architektonisches Paradies. Selbst die Sporthalle wirkt wie eine Kathedrale. Lediglich
die Plakate mit der Ankündigung eines Basketball-Spiels verraten, was sich hinter
der Prunkfassade verbirgt. Im Uni-Viertel fühlen sich romantische Naturen an
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In dünner Luft Teil 2
viktorianische Zeiten erinnert. Aber dann steht man vor dem Kline Geology
Laboratory: eine moderne Festung der Wissenschaft, mit dunkler Klinkerfassade und
Fenstern wie Schießscharten. Hinter einem dieser Fenster arbeitet der Geologe Bob
Berner in einem nüchternen Büro, schmal, die Wände senfgelb gestrichen, mit
Bücherregalen bis unter die hohe Decke.
O-Ton 1, Bob Berner
I have been an oceanographer, then a terrestrial geochemist, now I am an
Earth system scientist, interested in everything, air, live, water, rock, soil,
plants you name it.
Sprecher: Neben den Computern hängt ein verblichenes Schwarz-Weiß-Foto von
Duke Kahanamoku: hawaiianischer Schwimm-Olympiasieger und Erfinder des
modernen Surfens. Früher war Bob Berner selbst begeisterter Surfer. Diese
Leidenschaft ließ sich wunderbar mit seinem ersten Forschungsgebiet verbinden, der
Ozeanographie. Inzwischen widmet er sich dem System Erde, und seine
Aufmerksamkeit gilt besonders dem Sauerstoff.
Nachdem sich kosmischer Staub vor mehr als viereinhalb Milliarden Jahren zum
Planeten Erde zusammengeballt hatte, war die Luft dick von Kohlendioxid und
später, als das Leben entstanden war, auch von Methan. Aber es gab keinen freien
Sauerstoff, der kam erst in die Welt, als ein Cyanobakterium vielleicht zwei Milliarden
Jahre später die Photosynthese erfand. Dann krempelte der Sauerstoff jedoch die
Erde um: Er ließ die Steine rosten, und das Leben musste sich auf ihn einstellen.
Denn Sauerstoff ist ein gefährliches Zellgift. Wer sich nicht daran gewöhnen konnte,
fand sich in sauerstofflose Refugien verdrängt. Den anderen gehörte die Welt.
O-Ton 2, Berner 0.38 – 1.15
I become interested in oxygen,
Ich begann mich für den Sauerstoff zu interessieren, weil mich die chemischen
Prozesse, die über geologische Zeiten hinweg den Sauerstoffgehalt in der Luft
kontrollieren, faszinieren.
O-Ton 3, Berner, New Haven, 1,19
We have the production of oxygen
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In dünner Luft Teil 2
Bäume, Algen oder photosynthetische Bakterien füllen Tag für Tag die
Atmosphäre mit dem Sauerstoff, den sie herstellen. Es gibt aber auch die
gegenläufige Reaktion: Sauerstoff wird verbraucht, wenn er die Biomasse
wieder zersetzt, und dabei entstehen Kohlendioxid und Wasser.
Sprecher: Ein Teil der Biomasse landet jedoch in der Erde, verwandelt sich in Torf,
Kohle, Erdöl oder Erdgas und ist aus dem Spiel heraus. Jedes im Stein begrabene
Atom Kohlenstoff lässt ein Atom Sauerstoff in der Luft zurück, und so reichert sich
unser Lebenselixier an. Das Ganze ist keine Einbahnstrasse, denn Steine verwittern,
auch der Kohlenstoff darin. Er wird wieder zu Kohlendioxid. Mit der Zeit entsteht so
ein labiles Gleichgewicht: Neue Pflanzen, die effizienter Photosynthese betreiben,
verschieben es in die eine Richtung, auseinanderbrechende Kontinente oder
aufsteigende Gebirge in die andere. Und dann gibt es noch globale Katastrophen,
die die Welt immer wieder ins Chaos stürzen und die Karten neu mischen.
O-Ton 4, Berner
Could you pass me this book, no, open, leave it open at that page …
Sprecher: Bob Berner greift zu einer Fachzeitschrift. Auf Seite 41 ist eine seiner
Graphiken abgedruckt. Sie zeigt, wie der Sauerstoffgehalt im Lauf der vergangenen
Jahrmillionen schwankte. Die Kurve zappelt auf und ab, zeigt große Ausschläge nach
oben und unten. Noch vor zehn, 15 Jahren hätte niemand so etwas für möglich
gehalten. Nachdem die Cyanobakterien und Pflanzen die Luft erst einmal langsam
mit Sauerstoff gefüllt hatten, sollte sein Anteil in der Atmosphäre mehr oder weniger
gleich geblieben sein: bei 21 Prozent wie heute, plus minus ein, zwei Prozentpunkte.
Große Unterschiede, die einen Einfluss auf die Evolution hätten haben können,
schienen unmöglich. Aber dann veröffentlichten Forscher Daten von modernen
geochemischen Messungen an Gesteinen – und plötzlich war klar, dass der
Sauerstoffgehalt ebenso auf 30 Prozent hochschnellen wie auf zwölf Prozent
abfallen konnte. Bei solchen Unterschieden mußten die Organismen reagieren.
Atmo/Musik
Erzählerin: Die Erde vor mehr als 500 Millionen Jahren. Das Land ist kahl, nur ein
paar Algen und Bakterienmatten überziehen feuchte Senken mit einem grünen
Schimmer. Alles Leben spielt sich in den flachen, lichtdurchfluteten Küstenzonen der
Meere ab. Dort kriecht Opabinia über den Sand und stochert mit ihrem Rüssel nach
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Würmern. Erwischt sie einen, packt sie mit ihren Greifstacheln zu und schiebt das
sich windende Etwas zum Mund. Opabinia ist wachsam. Mit fünf Augen, die wie
kleine Pilze auf dem Kopf wachsen, behält sie alles im Blick. Feinde hat sie viele, und
gerade nähert sich einer von ihnen: ein Anomalocaris. Opabinia zwängt ihren
asselförmigen Körper so tief es geht unter einen Stein. Als der Schatten des schwer
gepanzerten Riesen über sie hinweg gleitet, lugt nur die Stachelspitze ihres Rüssels
hervor und eine Kiemenreihe, die ihren Körper wie ein Saum umgibt. Mit dem
vordersten Auge beobachtet Opabinia, wie sich ihr Feind entfernt. Davongekommen.
Atmo/Musik Ende
O-Ton 5, Berner, 55.20 – 55.53
When people read about oxygen they always read about the rise
Wenn Leute über Sauerstoff in der Geologie lesen, geht es um den ersten
Anstieg des Sauerstoffs vor 2,5 Milliarden Jahren. Aber damals lebten nur
Mikroben. Uns interessiert, wie sich der Sauerstoffgehalt in der Luft verändert
hat, seitdem es Tiere auf der Erde gibt. Wir glauben, dass der Einfluss des
Sauerstoffs entscheidend für die Evolution war. Aber noch sind wir die armen
Stiefschwestern der Kollegen, die mit dem frühen Sauerstoff arbeiten.
Sprecher: Alle großen Tierstämme, die heute noch die Erde bevölkern, tauchten vor
542 Millionen Jahren auf – scheinbar wie aus dem Nichts. Deshalb erhielt das
Ereignis den Namen Kambrische Explosion. Seitdem soll vor allem der Sauerstoff die
Weichen in der Evolution gestellt haben – die einen leitete er aufs Abstellgleis, die
anderen schickte er auf die Siegerstrasse.
O-Ton 6, Bob Berner, 10.30
At the /Cambrian boundary
An der Grenze zum Kambrium entstanden plötzlich Tiere mit harten Schalen,
Schalen aus Kalk. Vorher gab es so etwas nicht. Diese „Erfindung“ der
Hartteile ist der Grund, warum uns das erste Auftreten der Tiere „explosiv“
erscheint, und wir meinen, dass sie etwas damit zu tun hat, dass der
Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre angestiegen war.
O-Ton 7, Bob Berner, bis 12.16
The standard explanation for the shelly organisms
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Die Standard-Erklärung für die Entstehung der Tiere bestand darin, dass sie
die Hartteile ausbildeten, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Inzwischen
denken viele Kollegen, dass hier der Sauerstoff die Hauptrolle spielte.
Sprecher: Ohne Hartteile schafft man es kaum zum Fossil, und um die aufzubauen,
braucht ein Tier immens viel Energie.
O-Ton 8, Bob Berner
Today the oxygen in the atmosphere is 21 per cent.
Heute liegt der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre bei 21 Prozent. Das hört
sich nach nicht viel an, aber es hat sehr, sehr lange gedauert, ehe sich so viel
in der Luft angesammelt hatte.
Sprecher: Vor vielleicht zweieinhalb Milliarden Jahren begannen die Cyanobakterien,
die Luft mit Sauerstoff anzureichern. Sie bauten mit Hilfe des Sonnenlichts aus
Wasser und Kohlendioxid neue Biomasse auf, und dabei entstand Sauerstoff als
Abfallprodukt. Aber für Äonen blieb er ein Spurengas. So lange lebte auf der Erde
nichts anderes als Schleim. Bis genügend Sauerstoff in der Luft war, mussten alle
Organismen klein und träge bleiben. Tiere, die sich aktiv bewegen und viele
spezialisierte Zellen versorgen wollten, brauchten mindestens zwölf, 13 Prozent
Sauerstoff. Die gab es wohl erst vor 542 Millionen Jahren – und plötzlich krabbelten
riesige Tiere über den Meeresboden, mit einem Gehirn, Augen, Kiefern, Beinen und
schützenden Schalen. Sie lagen nicht tatenlos auf dem Schlamm, sondern sie jagten
ihre Beute. Es war eine Revolution.
Musik/Atmo:
Erzählerin: Der Urkontinent Pangäa vor 290 Millionen Jahren. In dichten Wäldern
wuchern riesige Bäume und mannshohe Farne und Bärlappen. Ein Sirren und
Schnurren kommt näher, wird immer lauter, stoppt dann abrupt. Eine Libelle hat sich
auf der Lichtung niedergelassen: Sie ist riesig, ihre Spannweite ist so groß wie die
eines Turmfalken. Ihre Flügel schimmern metallisch im Sonnenlicht. Es dauert eine
Weil, dann pumpt ihr Köper allmählich langsamer. Es raschelt. Ein Dimetrodon
schiebt sich zwischen den Schachtelhalmen durch. Ein echsenartiges Raubtier, mit
einem bizarren Segel auf dem Rücken, das von den verlängerten Dornfortsätzen
seiner Wirbel aufgespannt wird. Er ist auf der Suche nach etwas Fressbarem, hofft,
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am Bach auf fette Beute zu stoßen. An der Libelle ist er nicht interessiert. Dafür
nimmt Megarachne sie ins Visier. Die Riesenspinne putzt ihre Mundwerkzeuge….
Musik Ende
Sprecher: Die Welt des Karbons vor mehr als 290 Millionen Jahren erscheint uns
gruselig. Es war die Epoche der Rieseninsekten. In den vorausgegangenen mehr als
100 Millionen Jahren hatte das Leben mühsam die Kontinente erobert. Die Pflanzen
waren die ersten, die den Sprung aufs Trockene schafften. Sie überzogen in
Sümpfen und entlang der Flüsse und Küsten als dichter, grüner Pelz das Land,
waren zunächst nicht mehr als ein Gewirr aus einfachen Stämmchen und Ausläufern
mit keulenförmigen Verdickungen, die ein paar Zentimeter nach oben ragten. Obwohl
sie noch niedrig waren, kurbelten sie die Photosynthese an. Es ist das erste Mal,
dass überhaupt jemand an Land tatkräftig „mitarbeitete“. Auf 25 Prozent soll der
Sauerstoffgehalt geklettert sein – vier Prozent mehr als heute, erklärt Bob Berner.
O-Ton 9, Bob Berner, New Haven
The idea is that oxygen encourages
Unsere These ist nun, dass erst dieser hohe Sauerstoffgehalt es den Tieren
erlaubt hat, das Festland zu erobern. Es waren vor allem Gliedertiere, also
Insekten oder Skorpione. Es war ein gewaltiger Schritt, denn an Land taugen
Kiemen nicht zur Atmung, und bei der Landnahme war das schwierigste, neue
Atmungsorgane zu entwickeln. Damals wurden die Tracheen erfunden. Sie
waren die ersten landtauglichen Atmungsorgane, und sie sind bis heute wenig
effizient. Es sind Röhrensysteme, mit denen die Gliedertiere den Sauerstoff in
ihre Körper bringen. Der Sauerstoff diffundiert passiv ins Blut. Sie atmen nicht
aktiv wie wir. Und deshalb brauchten sie einen hohen Sauerstoffgehalt. Er half
ihnen bei der Landnahme.
Sprecher: Bald krabbelten überall kleine Gliedertiere durch den Landpflanzenpelz.
Die Invasion der Kontinente lief auf Hochtouren. Alles schien vorprogrammiert – aber
dann brach die Entwicklung plötzlich ab. Wer den Sprung aufs Trockene geschafft
hatte, blieb, aber der Strom der Neuankömmlinge versiegte fast völlig.
O-Ton 10, Bob Berner, New Haven, drehen
The invasion of land started at about 410 million
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Die Invasion der Kontinente begann vor etwa 410 Millionen Jahren vor heute
und wurde dann unterbrochen. Etwa 60 Millionen Jahre dauerte die Pause.
O-Ton 11, Bob Berner, New Haven, drehen
And the hypothesis that we have is that the gap between these two
Unserer Hypothese zufolge ist ein niedriger Sauerstoffgehalt die Ursache für
diese Lücke zwischen beiden Invasionswellen. Wir wissen, dass während
dieser Lücke ein Massenaussterben vor allem die Meeresbewohner
vernichtete. Danach stieg das Sauerstoffniveau wieder an, womit der zweite
Teil der Invasion begann.
Sprecher: Der Auslöser dafür war eine Erfindung der Evolution: die Bäume. Und
damit ist Bob Berner bei seinem Lieblingsthema:
O-Ton 12, Berner, bis 20.21
The second rise, a yes, that is my specialty, I can say you a lot about that.
O-Ton 13, Berner, New Haven
Trees brought about a very large effect on the atmosphere
Die Bäume hatten einen sehr großen Effekt auf die Atmosphäre, sogar auf die
Erde allgemein. Für mein Gefühl sind sie ebenso wichtig für die Entwicklung
des Lebens wie der erste Anstieg des Sauerstoffs im Präkambrium, nachdem
die Cyanobakterien die Photosynthese erfunden hatten. Ich weiß, das klingt
ketzerisch, aber lassen Sie mich erklären, warum.
Sprecher: Und Berner erzählt, wie die Bäume den Sauerstoffhahn aufdrehten und tief
in das System Erde eingriffen:
O-Ton 14, Berner, New Haven
They do a little bit of etching on the rocks underneath their
Was bis dahin an Bärlappen, Farnen, Moosen, Flechten und Algen das
Festland besiedelt hatte, lebte genügsam auf den Steinen. Die Bäume
brauchten jedoch für den Holzaufbau sehr viel mehr Nährstoffe und Wasser
als alles andere zuvor. Diesen Bedarf deckten sie, indem sie tiefe Wurzeln mit
feinen Wurzelfasern entwickelten und in die Erde trieben. An ihren Wurzeln
hielten sie sich eine säureabsondernde Mikroflora, die im großen Stil
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Nährstoffe aus den Mineralen holte. So kurbelten Bäume die Verwitterung in
einem nie gekannten Maß an, und sie wuchsen und wuchsen.
Sprecher: Wälder breiteten sich aus und veränderten den Planeten radikal. An Land
wurde jetzt in gigantischem Maßstab Photosynthese betrieben. Und die Bäume
veränderten das Klima: Sie brauchten viel Kohlenstoff zum Holzaufbau, ließen
gleichzeitig durch ihre Wurzeln tiefe Böden entstehen, die ebenfalls viel organisches
Material, sprich Kohlenstoff, speicherten.
O-Ton 15, Berner, New Haven (Ende O-Ton sehr schön)
the trees got bigger and bigger,
Die Bäume wuchsen groß und größer, fielen irgendwann um und starben.
Aber sie hatten einen neuen Stoff ins Spiel gebracht: das Holz, genauer, das
Lignin, die Grundsubstanz des Holzes. Es ist biologisch schwer abbaubar.
Selbst heute schaffen das nur Spezialisten, die es damals aber noch nicht
gab. Es dauerte viele Millionen Jahre, ehe jemand den Trick erlernte. Also
verrottete das Holz der toten Bäume nicht. Das bei der Photosynthese in der
Biomasse gebundene Kohlendioxid wurde mit ihnen im Boden begraben und
der Kohlenstoff verwandelte sich mit der Zeit in Kohle. Wir sind im Karbon, als
die großen Kohleflöze entstanden. Die Folge: Der Kohlenstoff endete in den
Flözen, der Treibhauseffekt sank, die Gletscher wuchsen. Die Erfindung der
Bäume löste eine der größten Eiszeiten aller Zeiten aus. Der Sauerstoff aus
der Photosynthese aber blieb in der Luft, und er stieg an und stieg an.
Sprecher: Vor rund 290 Millionen Jahren erreichte er das Allzeithoch von 30 Prozent
oder sogar 32 Prozent. Es war die Epoche der Giganten: Damals gab es einen
zweieinhalb Meter großen Tausendfüßer namens Arthropleura, Riesenspinnen und
gigantische Lurche. In unseren Augen wirken sie wie die Hauptdarsteller aus einem
Horrorfilm.
O-Ton 16, Berner, New Haven
We find giant dragon-flies in this / period with high oxygen with
Es gab beispielsweise riesige Libellen mit einer Spannweite von bis zu 70, 80
Zentimetern. Heute messen die größten Libellen wenige Zentimeter. Mir
haben Physiologen erzählt, dass die Libellen von damals heute gar nicht
fliegen könnten, weil sie nicht genug Sauerstoff bekämen.
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Sprecher: Bei 30 Prozent Sauerstoff ist es gleichgültig, dass die Tracheen-Atmung
ineffizient ist: Die Gliedertiere wuchsen über sich selbst hinaus. So weit Berners
Theorie. Aber wachsen Insekten wirklich nur deshalb, weil mehr Sauerstoff da ist?
Die Idee ist neu, und in den USA und Großbritannien laufen Experimente, um sie
abzuklopfen. Dabei schicken Paläontologen Fruchtfliegen und Käfer auf Zeitreise.
Das Getier wächst in Containern heran, bei verschieden hohen Sauerstoffgehalten:
O-Ton 17, Berner, New Haven
There had been experiments / using fruit-flies which have a very
Bei Experimenten mit Fruchtfliegen ließ sich aufgrund ihrer schnellen
Generationenfolge beobachten, was geschieht. Das Ergebnis: Ist mehr
Sauerstoff in der Luft als heute, werden die Fruchtfliegen dauerhaft größer.
Sprecher: Das Merkmal vererbte sich sogar. Aber nicht alle Insekten wuchsen,
Grashüpfer etwa blieben klein, egal, ob sie fünf Prozent Sauerstoff atmeten oder 40
Prozent. Die Fachwelt reagierte auf die Versuche abwartend aber interessiert. Auf
jeden Fall zeigen Fossilien, daß vor 290 Millionen Jahren nicht nur die Insekten
gigantisch wurden, sondern auch die Wirbeltiere. Dimetrodon mit seinem
Rückensegel etwa war so groß wie ein Jaguar – seinerzeit ein Rekord.
O-Ton 18, Berner, New Haven
We have done experiments. …
Einer meiner Studenten hat Alligator-Eier bei unterschiedlich hohem
Sauerstoffgehalt ausgebrütet und beobachtet, wie sich die Embryonen
entwickeln. Der Sauerstoff diffundiert aus der Atmosphäre durch die
Eierschale hindurch und geht in die Blutgefäße des Embryos über. Uns
interessierte jetzt, ob ein höherer oder niedrigerer Sauerstoffgehalt in der Luft
auf die Embryonen von so komplexen Tieren wie Reptilien Einfluss hat. Das
Ergebnis der Experimente war eindeutig: Ein höherer Sauerstoffgehalt steigert
den Stoffwechsel. Die Alligator-Embryonen wachsen in ihren Eiern schneller
heran und schlüpfen eher.
Sprecher: Bei 27 Prozent entwickelten sie sich optimal. Erst als der Sauerstoffgehalt
über 30 Prozent stieg, zeigten sich die dunklen Seiten des Elements: Das Gewebe
der Embryonen begann zu verbrennen. Die Dosis macht das Gift.
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Musik/Atmo:
Erzählerin: 250 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Die Erde gleicht einem Totenhaus.
Es fehlt nicht viel, und der Planet hätte wieder den Bakterien gehört. Die Riffe sind
tot. Die Wälder verdorrt. Pilze wachsen auf ihrem verrottenden Holz. Staubstürme
fegen über leere Weiten, verdüstern tagelang die Sonne. Die Katastrophe war
unvorstellbar gewesen. Weit weg, in Sibirien, war die Erde aufgerissen,
Lavafontänen waren aus dem Boden geschossen, Meere von Magma heraus
gequollen, weit wie ein Kontinent. Der Vulkanausbruch vergiftete das Wasser und die
Luft, der Tod ging um. Die Überlebenden fanden sich wieder in einer fremden Welt..
Musik Ende
Sprecher: Vor 250 Millionen Jahren löste der größte Vulkanausbruch, den die Erde je
erlebt hat, ein Inferno aus. Der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre schnellte hoch,
der Treibhauseffekt explodierte. Die Erde überhitzte, saurer Regen tötete die
Pflanzen. Die Welt brach zusammen.
O-Ton 19, Berner, New Haven
My calculation show that the carbon
Meinen Berechnungen zufolge ist kaum noch Biomasse produziert worden.
Alles war aus den Fugen, der Sauerstoffgehalt fiel und fiel und fiel, von etwa
30 Prozent auf 15 oder gar nur 13 Prozent. Und die Luft blieb „stickig“, fünf
Millionen Jahre lang. Das hatte Auswirkungen auf die Organismen.
Sprecher: Die neue Welt mit ihrem geringen Sauerstoffniveau bremste viele Tiere
aus. Sie kamen aus einer Welt mit Sauerstoff im Überfluss. Bislang hatte die Qualität
ihrer Lungen beim Überlebenskampf kaum eine Rolle gespielt. Das war jetzt anders,
und das traf auch jene Reptilien, aus deren Kreis sich später einmal die Säugetiere
entwickeln sollten. Vor der Katastrophe standen sie an der Spitze der Nahrungskette,
das Zeitalter der Säugetiere deutete sich schon an. Doch dann machten ihnen ihre
altmodischen Lungen einen Strich durch die Rechnung. Wir hatten damals Glück.
Der Urahn aller Säugetiere überlebte immerhin. Doch das Rennen machten zunächst
einmal andere: Die Epoche der schrecklichen Echsen dämmerte.
O-Ton 20, Berner, New Haven bis 36.42
Because of this low oxygen organisms that could use low oxygen
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In dünner Luft Teil 2
Organismen, die wenig Sauerstoff brauchten, profitierten von dieser Welt. Die
ersten Saurier tauchen vor etwa 230 Millionen Jahren auf, als der
Sauerstoffgehalt am geringsten war. Wären Sie damals am Meeresstrand
spazieren gegangen, hätte die Luft ähnlich viel Sauerstoff enthalten wie heute
in 3000, 4000 Metern Höhe. Da braucht man sehr gute Lungen, und die frühen
Saurier hatten sie. Neue Forschungen zeigen, dass ein Luftsacksystem ihre
Atmung stützte. Sie nutzten noch den letzten Rest an Sauerstoff aus. Unsere
Vögel sind die Nachfahren der Saurier, und sie haben das ausgefeilte
Atmungssystem geerbt. Deshalb fliegen sie selbst über den Himalaya,
während wir Menschen dort oben nur für eine sehr begrenzte Zeit überleben.
Sprecher: Auch das zweibeinige Laufen soll sich durch den Sauerstoffmangel
entwickelt haben. Nicht der Mensch, der Saurier war es, der es erfand. Warum, das
führt eine flüchtende Zauneidechse heute vor. Auf der Flucht ermüdet sie schnell.
Rennen und atmen gleichzeitig ist schwierig für sie, denn bei jeder ihrer
schlängelnden Laufbewegungen presst sie mal die eine, mal die andere
Lungenhälfte zusammen. So kommt man schnell aus der Puste. Ein aufrecht
laufender Saurier hatte das Problem nicht: Er rannte jeden nieder.
O-Ton 21, Bob Berner
There is a whole bench of factors
Nach dem Tief verschob sich das Gleichgewicht durch ein ganzes Bündel von
Faktoren allmählich wieder in Richtung Sauerstoff. Das hatte mit der Evolution
der Pflanzen zu tun, wie effizient die neuen Photosynthese betrieben und wie
sie über Bodenbildung und Verwitterung den Sauerstoff in der Luft
zurückließen, weil sie den Kohlenstoff herausholten.
Sprecher: Als es dann wieder mehr Sauerstoff gab, als die Saurier zum bloßen
Überleben brauchten, entwickelten sie ihren immensen Formenreichtum. Ein paar
eroberten die Lüfte, anderen ging es wie einst den Insekten: Sie wurden groß und
größer. Sauriergiganten trotteten über den Planeten. Nichts schien sie aufzuhalten –
bis vor 65 Millionen Jahren ihr Ende kam – sei es nun durch einen zweiten MegaVulkanausbruch oder einen Asteroideneinschlag. Der Zufall mischte die Karten
einmal mehr neu. Jetzt endlich schlug die Stunde der Säugetiere. Die hatten sich
„heimlich“ vorbereitet. Auch sie hatten profitiert, als der Sauerstoffgehalt den Sauriern
ihre Blüte bescherte. Im Schatten der Riesenechsen erfanden sie neue Strategien,
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bildeten ebenfalls neue Formen aus. Und warteten, bis der Untergang der alten
Herrscher besiegelt war:
O-Ton 22 Berner, 49.06 – 49.56 (Am Ende stark vernuschelt)
curve published in science
Im Wissenschaftsmagazin Science haben Kollegen eine Sauerstoffkurve für
die Zeit vor rund 50 Millionen Jahren vor heute veröffentlicht, das war die Zeit,
als die Säugetiere die Welt schon erobert hatten. Vor 50 Millionen Jahren gab
es wieder einen scharfen Anstieg im Sauerstoffgehalt auf etwa 28 Prozent.
Meine Kollegen schlagen vor, dass dieser Sauerstoffschub das
Gehirnwachstum der Säugetiere anregte. Aber das ist eine relativ neue
Geschichte, da müssen wir noch dran arbeiten.
Sprecher: Bob Berner steht am Fenster, schaut auf den regennassen Parkplatz, in
dem sich die Straßenlichter spiegeln. Seit wenigen Wochen ist er emeritiert. Jetzt
kann er endlich mit dem Forschen anfangen, sagt er und lacht. Was er vorhat:
Weitermachen. Berner will dem Sauerstoff auf der Bühne der Evolution eine
Hauptrolle verschaffen. Sauerstoff liefert Energie. Sein Auf und Ab bremste manches
Lebewesen aus, trieb die Entwicklung von anderen voran, glaubt er. Und so kam es,
dass vor 42 Millionen Jahren irgendwo in Asien Eosimias durch die Bäume kletterte,
ein winziges Fellbündel mit ausgeprägtem Gehirn, nicht größer als ein Daumen:
Eosimias war der Urahn aller Affen.
Musik /Atmo
Erzählerin: Das Lagerfeuer auf der anderen Talseite ist erloschen. Es ist still
geworden, nur hin und wieder kräht in der Ferne ein Hahn. Aber der Tag ist noch
fern. Wenn gerade ein Raumschiff vorbeiflöge, Lichtjahre entfernt, und die Besatzung
ihre Sensoren auf die Erde ausrichten würde, wäre sie elektrisiert beim Anblick der
Sauerstoff-Linie im Spektrum unseres Planeten. Sie beweist, dass es hier Leben gibt.
Weil viel Sauerstoff in der Atmosphäre ist, wüsste jeder an Bord, dass nicht nur
Mikroben Photosynthese betreiben, sondern auch Algen, Gräser, Büsche und
Bäume. Sie wüssten, dass es Tiere gibt, dass sich vielleicht Intelligenz entwickelt hat
… denn Sauerstoff ist der Schlüssel zu all dem.
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In dünner Luft Teil 2
Absage:
In dünner Luft. Oder wie das Leben wurde, was es ist. Sie hörten Teil 2 des
Zweiteilers: Sauerstoff formt die Welt. Von Dagmar Röhrlich.
Es sprachen:
Technik:
Produktion: Axel Scheibchen, Redaktion: Christiane Knoll
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