BILD am SONNTAG, A, 25.07.2010, Seite 42

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MEDIZIN
„Wegen der starken Ohrgeräusche
musste ich meinen Job aufgeben“
NAME: Tamara Oetting (55),
erwerbsunfähig.
VERLAUF DER ERKRANKUNG:
„Als kaufmännische Angestellte im Teppichhandel
hatte ich jahrelang eine 60Stunden-Woche. Oft wusste
ich nicht mehr, wo mir vor
Stress der Kopf stand. Plötzlich, als ich telefonierte, verstand ich auf dem linken Ohr
nichts mehr, hörte dafür ein
tiefes Rauschen. Die Diagnose war erschütternd: Hörsturz mit Hörminderung und
Tinnitus sowie eine Erkrankung des Innenohrs, Morbus
Menière. Drei Jahre später
hatte ich die Probleme auch
auf dem rechten Ohr.“
BEHANDLUNG: „Anfänglich
halfen durchblutungsfördernde Tabletten. Trotz sechsmonatiger Auszeit und ambu-
lanter Psychotherapie musste ich aufhören zu
arbeiten.“
SITUATION HEUTE: „Ich
habe einen Minijob in
der Tinnitus-Liga,
mache täglich autogenes Training, Reiki
und versuche dadurch, das starke
Rauschen im Ohr nicht
so wahrzunehmen.“
„Bei einem Konzertbesuch bekam ich ein
Knalltrauma – seitdem fiept es im Ohr“
mas, bei dem mein Innenohr
beschädigt wurde.“
BEHANDLUNG: „Ich bekam
Tabletten für eine bessere
Ohrdurchblutung, durfte
nicht mehr auf Konzerte.
Erst mit 17 Jahren habe ich
von der Tinnitus-Sprechstunde
gehört, dort ein Hörtraining
gelernt. Ein Hörgerät, das
Rauschen erzeugt, hat nur
anfangs über das Fiepen
hinweggeholfen.“
SITUATION HEUTE: „Das
Fiepen ist nur noch in
Stresssituationen aggressiv. Manchmal habe ich
das Gefühl, dass es
mich nicht mehr so
sehr stört.“
NAME: Susan Rudolph (30),
Abteilungsleiterin.
VERLAUF DER BEHANDLUNG: „Ich
hatte Mitte Mai eine schwere Mittelohrentzündung, nachdem ich wieder
eine Erkältung verschleppt hatte.
Ohr, Kopf, Augen und Nacken taten
schrecklich weh, sodass ich noch
nachts ins Krankenhaus fuhr.“
BEHANDLUNG: „Mein Trommelfell
drohte zu platzen und wurde durch
einen Schnitt geöffnet. Das Sekret
hinter dem Trommelfell lief ab, aber
dann war da plötzlich dieser hohe
Piepton im linken Ohr.
NAME: Nico (11), Schüler.
VERLAUF DER ERKRANKUNG: „Als Nico fünf
Jahre alt war, klagte er plötzlich über Piepen
in beiden Ohren“, sagt seine Mutter Nelly.
„Wir sind sofort zum Kinderarzt, denn mit einem Jahr war Nico bereits am Trommelfell
operiert worden, weil er schlecht hörte.“ Jetzt
sagte der Arzt: Nico hat einen durch Stress
ausgelösten Tinnitus. Nico: „Damals haben
sich meine Eltern getrennt.“ Seine Mutter:
„Nico war oft sehr traurig. Es war furchtbar
zu wissen, dass er so unter Stress litt.“
BEHANDLUNG: „Der Arzt verordnete Tropfen,
um die Entzündungen im Ohr zu lindern. Die
hat Nico einen Monat lang jeden Tag genommen. Danach war das Pfeifen weg.“
SITUATION HEUTE: „Nico hat kein Pfeifen
mehr“, sagt seine Mutter. „Ich achte heute
darauf, dass er nicht mehr viel Stress hat.“
Ich nahm vier Wochen Kortison, Antibiotikum und täglich 300 Milligramm
Magnesium, damit sich die Nervenhärchen im Mittelohr wieder aufbauen. Täglich mache ich vorm Einschlafen Übungen mit Chill-out-Musik.
Ich soll lernen, das Dauerpiepen zu
überhören.“
SITUATION HEUTE: „Der Ton ist leiser
geworden. Tagsüber höre ich ihn
kaum noch, nur abends, wenn es
ruhiger um mich herum wird, ist er
deutlicher. Ich hoffe, dass der
Tinnitus bald ganz verschwindet.“
„Ich vermeide die Stille,
sonst machen mich die
Dauertöne verrückt“
NAME: Peter Lieb (48), Verkaufsleiter.
VERLAUF DER ERKRANKUNG: „Vor drei Jahren
war das Geräusch zum ersten Mal da. Es
klang wie eine rauschende Autobahn. Ich
nahm das Rauschen nicht ernst, dachte, es
geht wieder weg. Sechs Monate später, als
ich im Flieger saß, stach es plötzlich heftig
im rechten Ohr, das Rauschen war schlagartig viel lauter – und ein Fiepen kam dazu.
Erst da bin ich zum Arzt. Der sagte, der Tinnitus komme vom Stress. Ich bin beruflich
viel unterwegs, fahre 200 000 Kilometer
pro Jahr.“
BEHANDLUNG: „Ich bekam eine Woche
blutverdünnende Mittel, aber die halfen
nicht mehr. Jetzt vermeide ich Stille,
sonst machen mich die Dauertöne
verrückt. Ich höre viel Musik und
telefoniere mit einem Bluetoothgerät
auf dem rechten Ohr, um Rauschen
und Fiepen zu übertönen.“
SITUATION HEUTE: „Der Fiepton
variiert je nach Stress. Nun höre
ich auch noch schlechter auf
dem rechten Ohr. Auch das
hängt mit dem Tinnitus
zusammen, meint die
Ärztin.“
Version vom:
22.07.2010 17:58 Uhr
Dokument:
25_07_10_VP_042_043
Benutzer:
Wassermann: 76627
Version vom:
22.07.2010 17:58 Uhr
Piepst’s bei Ihnen? Kein
Grund zur Panik. 20 Millionen Deutsche leiden
jedes Jahr unter Ohrgeräuschen. Bei den meisVon ANNA MEISSNER,
VOLKER WEINL und
ten verschwindet das
KERSTIN QUASSOWSKY
Piepen nach Sekunden
oder Minuten wieder, manchmal erst nach Tagen. Bei etwa 300 000 Patienten geht der sogenannte Tinnitus allerdings in einen Dauerton
über. Er wird zum ständigen Begleiter, zerstört jede Stille. Verzweifeln müssen Patienten dennoch
nicht. Experten erklären in BILD am SONNTAG,
wie Betroffene das Störgeräusch wieder aus dem
Kopf bekommen.
Ist Tinnitus eine Krankheit?
„Nein. Er ist ein Symptom, vergleichbar dem
Schmerz“, sagt Privatdozentin Dr. Birgit Mazurek,
leitende Ärztin am Tinnitus-Zentrum, Charité
Berlin. „Deshalb ist es wichtig, die zugrunde liegende Erkrankung zu erkennen und zu behandeln.
Wie beim Schmerz kann sich das Symptom Tinnitus aber verselbstständigen.“
Wie hört sich ein
Tinnitus an?
Professor Gerhard Hesse,
Chefarzt der Tinnitus-Klinik im Krankenhaus Bad
Arolsen: „90 Prozent dieser
Ohrgeräusche ähneln Pfeiftönen und sind im sehr
hochfrequenten Bereich
von 4000 bis 6000 Hertz
angesiedelt. Seltener sind
tiefe Töne, die sich anhören wie ein Brummen.
Generell reicht die Palette der Töne von Piepen,
über Pfeifen bis hin zum Geräusch wie das Sausen der Autos auf der Autobahn.“
Welche Krankheiten können hinter den
Ohrgeräuschen stecken?
Professor Gerhard Goebel, Chefarzt an der SchönKlinik Roseneck in Prien am Chiemsee: „Es gibt
sehr viele Ursachen. Tritt der Fall akut auf, können unter anderem ein Lärmschaden, Hörsturz,
allgemeine Schwerhörigkeit oder eine Luftdruckschädigung, zum Beispiel durch Tauchen, dahinterstecken. Auch Mittel- und Innenohrerkrankungen sind mögliche Ursachen. Außerdem ist in etwa einem Prozent der Fälle ein Akustikusneurinom die Ursache, kein Krebs, sondern ein gutartiger Tumor. In fast 40 Prozent der Tinnitus-Fälle kann der HNO-Arzt keine Ursache finden.“
Ist das Piepen also manchmal Einbildung?
Professor Hesse: „Keineswegs! Das zeigen Untersuchungen, die mit einem Kernspintomographen
gemacht wurden. Wird das Ohr beschallt, sind bestimmte Anregungszonen in der Hörrinde, die im
Cortex des Gehirns liegt, bei den Menschen mit
Tinnitus aktiver als bei denjenigen ohne Ohrgeräusche. Ihr Gehirn hat sich also verändert.“
Ist Tinnitus und Hörsturz
das Gleiche?
Professor Goebel: „Nein. Ein Hörsturz ist eine
plötzliche, oft einseitige Hörminderung, für die
man keine organische Ursache findet. Er wird
aber oft von dem Symptom Tinnitus begleitet.
Durch
Tinnitus
verändert
sich die
Hörrinde
im Gehirn
FOTOS: FRANK ZAURITZ, KLAUS BECKER, STEFFEN JÄNICKE, HERSTELLER
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NAME: Monika Eckert (18),
Schülerin.
VERLAUF DER ERKRANKUNG: „Ich war 13, als ich
beim Konzert drei Stunden
hinter der Box stand. Danach war das Fiepen im linken Ohr da. Es klingt wie eine fahrende Straßenbahn.
Erst nach einer Woche bin
ich zum Arzt. Diagnose:
Tinnitus, als Folge
eines Knalltrau-
Bei manchen piept’s im
Ohr, bei anderen pfeift’s
oder brummt’s. Diagnose:
TINNITUS (lateinisch für
Klingeln), so wie bei den
fünf Patienten auf unserem
Foto. Woher kommen die
nervigen Dauergeräusche
im Kopf? Und wie wird man
sie wieder los? Oder gibt
es sogar einen Trick,
um sie zu überhören?
„Durch Chill-out-Musik soll ich
lernen, das Dauerpiepen zu überhören“
„Als meine Eltern sich
trennten, piepte es im Ohr“
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