Leben im Tank

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Nr. 02 / April 2014
Leben im Tank
Blake Matthews
In Mesokosmen lässt sich untersuchen, wie Veränderungen der Umwelt oder des
Artengefüges die aquatischen Lebensräume beeinflussen. Experimente in solchen künstlichen Ökosystemen zeigen, dass Arten an der Spitze der Nahrungspyramide eine bedeutende Rolle spielen. Das ist ein erster Schritt, um besser zu
verstehen, unter welchen Bedingungen ein Fluss oder See seine Funktionsfähigkeit bewahren kann.
Abb. 1: Eine Versuchsanordnung mit Mesokosmen auf dem Gelände der Eawag Kastanienbaum am Vierwaldstättersee. Die blauen Tanks fassen 1000, die schwarzen 300 Liter.
Funktionsfähige Wasserlebensräume sind für den Menschen von essenzieller Bedeutung – man
denke nur ans Trinkwasser oder die Produktion von Nahrungsmitteln. Die Prozesse in den aquatischen Ökosystemen beruhen auf einem komplexen Zusammenwirken geologischer, chemischer
und biologischer Faktoren. Umweltveränderungen, zum Beispiel der Klimawandel oder andere
anthropogene Eingriffe, können Bäche, Flüsse, Tümpel oder Seen und ihre Funktionen beeinträchtigen. Um Vorhersagen machen zu können, ist es notwendig zu verstehen, wie sich solche Veränderungen beispielsweise auf die Zusammensetzung der Arten auswirken und welche Rolle dies
wiederum bei der Funktionsfähigkeit des gesamten Ökosystems spielt.
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Bakterien haben wichtige Funktion
Bislang untersuchte man vor allem, wie einzelne Arten auf spezifische Veränderungen reagieren.
Das ist sinnvoll bei Spezies, die ökonomisch bedeutend sind, oder bei solchen, die in einem Ökosystem eine Schlüsselfunktion einnehmen. Mit diesem Ansatz ist es aber meist nicht möglich, die
Auswirkungen auf einen ganzen Lebensraum zu ermitteln. Dazu braucht es ein Verständnis davon,
wie Umweltveränderungen die Interaktionen zwischen den verschiedenen Arten auf allen Ebenen
eines Nahrungsnetzes beeinflussen – von den Bakterien über das Plankton und die Kleinlebewesen bis zu den Fischen.
Aus diesem Grund haben wir in den vergangenen Jahren die Bakteriengemeinschaften in mehr
als 20 Schweizer Seen erforscht. In aquatischen Ökosystemen spielen Mikroorganismen eine
Schlüsselrolle bei der biogeochemischen Umwandlung von organischer Materie. Sie stehen an
der Basis der aquatischen Nahrungsnetze und stellen eine wichtige Ernährungsgrundlage für die
Arten der höheren Ebenen dar. Die Wissenschaft erkennt ausserdem zunehmend, dass die Wasserqualität in Flüssen und Seen stark von der Bakterienvielfalt abhängt [1].
Unsere Untersuchungen sollten aufzeigen, wie die Umweltbedingungen (Temperatur, pH-Wert,
Nährstoffbedingungen, Sauerstoffgehalt, Anteil an gelöstem organischem Material etc.) die Zusammensetzung und Diversität der Bakteriengemeinschaften beeinflussen (Abb. 2). Einen eindeutigen Zusammenhang konnten wir allerdings nicht nachweisen. Dieses Verdikt deckt sich mit
vergleichbaren Studien in anderen Regionen, die ebenfalls kaum mehr als fünf Prozent der Unterschiede erklären konnten.
a) Anzahl Individuen pro Liter
b) Anzahl Arten
Gr
Ha
Tu
Zu
Ru
Se
Zg
Ba
Bu So
Vi
Ro
In
Bi
Ne
Mu
Th
Br
Me
Gr
Ha
Ru Zu
Se Ba Tu
Zg
Bu
So
Vi
Ro
In
Bi
Lg
Ne
Ca
Mu
Me
Lg
Ca
Br
7000
3500
350
80
60
40
Abb. 2: Je nach Umweltbedingungen kommen Mikroorganismen in den Schweizer Seen unterschiedlich häufig
(a) und mit unterschiedlich vielen Arten (b) vor. Wovon dies genau abhängt, ist noch weitgehend unklar.
Mesokosmen: Ökosysteme en miniature
Obwohl solche Biodiversitätserhebungen interessante Muster aufdecken können, ist es mit
diesem Ansatz offensichtlich schwierig, die treibenden Umweltfaktoren dahinter zu identifizieren. Das gilt in besonderem Mass bei Mikroorganismen, über deren Ökologie man noch sehr
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wenig weiss. Prognosen, wie sich Umweltveränderungen auf mikrobielle Gemeinschaften auswirken, sind auf dieser Basis daher nicht möglich – von Effekten auf die Ökosystemfunktionen
ganz zu schweigen.
Neue Experimente mit Mesokosmen sollen nun mehr Licht ins Dunkel bringen. Mesokosmen
sind mit Seesedimenten und -wasser gefüllte Outdoor-Tanks, mit denen sich aquatische Ökosysteme in einem kleinen Massstab simulieren lassen (Abb. 1). Eine derartige Versuchsanordnung ermöglicht kontrollierte und gezielt manipulierbare Bedingungen. Indem man spezifische
Parameter verändert, kann man etwa untersuchen, wie sich dies auf die Ökosystemprozesse
auswirkt. In unseren Experimenten besetzen wir beispielsweise einzelne Mesokosmen mit
Fischen oder variieren den Eintrag von Nährstoffen und gelöstem organischem Material.
Bevor die Experimente beginnen können, muss sich in den Mesokosmen allerdings ein Ökosystem ausbilden. Dazu füllen wir die 300 und 1000 Liter fassenden Tanks jeweils mit Kies,
Sand und Seesedimenten, geben Seewasser sowie Nährstoffe dazu und inokulieren die Behälter mit Plankton verschiedener Gewässer. Nach einigen Wochen hat sich eine vielfältige Lebensgemeinschaft aus Mikroorganismen, Wirbellosen und Wasserpflanzen entwickelt. So stehen zu Beginn der Versuche 20 bis 100 Mesokosmen mit identischen Bedingungen bereit.
Räuber stimulieren die Artenvielfalt
Eines der Hauptziele unserer Experimente ist herauszufinden, wie Räuber die Artenstruktur und
Dynamik in den Mesokosmos-Lebensräumen beeinflussen. Dabei liegt der Fokus auf der Biodiversität von Bakteriengemeinschaften. Man weiss heute, dass das Vorkommen räuberischer
Arten, die in der Hierarchie eines Nahrungsnetzes an der Spitze stehen, ein Ökosystem tiefgreifend verändern können [2]. Überdies nehmen die Hinweise zu, dass nahverwandte Räuberarten, die sich in ihren Merkmalen nur subtil unterscheiden, trotzdem völlig verschieden auf das
ökologische Gefüge einwirken können [3]. So haben Studien nachgewiesen, dass Fische mit
sehr ähnlichen nahrungsspezifischen morphologischen Anpassungen und ähnlichem Verhalten
bei der Nahrungssuche bei ihren jeweiligen Beutepopulationen teils deutlich verschiedene
Effekte hervorrufen. Das kann dazu führen, dass auch andere Ökosystemprozesse unterschiedlich reagieren.
In einem Mesokosmen-Experiment haben wir nun diese Zusammenhänge weiter untersucht. Wir
wollten herausfinden, wie verschiedene Formen des Dreistachligen Stichlings (Gasterosteus aculeatus) die Zusammensetzung von Bakteriengemeinschaften beeinflussen. Während mehr als 150
Jahren Evolution haben sich beim Dreistachligen Stichling eine Fluss- und eine Seeform herausgebildet, die sich in ihren Körper- und Verhaltensmerkmalen unterscheiden [4].
Wir besetzten die Mesokosmen entweder mit der Fluss- oder der Seeform oder beliessen die
Tanks ohne Fische. Gegenüber den fischlosen Mesokosmen stieg die Bakteriendiversität in den
Behältern mit Stichlingen frappant an (Abb. 3). Die Versuche zeigten, dass sich sogar die subtilen
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Unterschiede der Körpermerkmale und des Verhaltens von beiden Stichlingformen auf die mikrobiellen Gemeinschaften auswirkten [5]. Die Resultate deuten darauf hin, dass Arten an der Spitze
der Nahrungspyramide einen erheblichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften an der Basis ausüben.
Um sich die Biodiversitätsmuster von Kleinstlebewesen in natürlichen Gewässern erschliessen zu
können, braucht es demzufolge ein besseres Verständnis der ökologischen Effekte der grösseren
Organismen, etwa des Planktons und der Fische. Ebenso gilt es, die evolutive Geschichte insbesondere der räuberischen Arten an der Spitze der Nahrungspyramide in die Betrachtungen
miteinzubeziehen.
Anzahl Bakterienarten
70
Ohne
Fische
Seeform
Flussform
60
50
40
30
20
B
P
B
Nahrungsregime
P
Abb. 3: Die Anzahl der Bakterienarten erhöhte
sich in Anwesenheit von Stichlingen deutlich.
Um den Einfluss des Beutesuchverhaltens
getrennt von den evoluierten Körpermerkmalen zu untersuchen, wurde bei beiden Stichlingformen ein Teil der Fische unter einem
seetypischen pelagial (P), ein Teil unter einem
flusstypischen Nahrungsregime benthisch (B)
aufgezogen.
Wirkmechanismen verstehen
Modellökosysteme im kleinen Massstab wie die Mesokosmen erlauben es, die Ursachen und
Konsequenzen von Veränderungen in aquatischen Lebensräumen besser zu verstehen. Sie
bilden eine entscheidende Brücke zwischen Laborversuchen und Erhebungen im Feld [6]. Unsere Experimente liefern erste Antworten auf die grosse Frage, wie aquatische Ökosysteme
auf Umweltveränderungen reagieren.
Über die zugrunde liegenden Mechanismen wissen wir allerdings noch weniger als über die
Auswirkungen. Welche Prozesse laufen zum Beispiel ab, wenn die Anwesenheit von Fischen
in den Mesokosmen die Bakteriendiversität verändert? Fische ernähren sich nicht direkt von
Mikroorganismen; aber beeinflussen sie die mikrobielle Artengemeinschaft womöglich, indem
sie die Fressfeinde der Bakterien verzehren oder die Fressfeinde dieser Räuber? Oder verbessern sie das Angebot an Nährstoffen?
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Das komplexe Netzwerk von Interaktionen zwischen Bakterien und Fischen zu verstehen, bleibt
eine grosse Herausforderung für die Wissenschaft. Um das Zusammenspiel von Umweltveränderungen, organismischer Diversität und der Funktionsfähigkeit der Ökosysteme begreifen
zu können, ist ein tieferes Verständnis dieser Wirkmechanismen jedoch essenziell [7].
Blake Matthews
Leiter der Gruppe Nahrungsnetze der Abteilung Aquatische Ökologie
[email protected]
[1] Bradley J. et al. (2012): Biodiversity loss and its impact on
humanity. Nature 486: 59–67
[2] Schmitz O. J., Hawlena D., Trusell G. C. (2010): Predator control of ecosystem nutrient dynamics. Ecology Letters 13: 1199–1209
[3] Harmon L. J., Matthews B., Des Roches S., Chase J. M., Shurin J. B., Schluter D. (2009): Evolutionary diversification in stickleback affects ecosystem functioning. Nature 458: 1167–1170
[4] Lucek K., Roy D., Bezault E., Sivasundar A., Seehausen O. (2010): Hybridization between distant lineages increases adaptive
variation during a biological invasion: Stickleback in Switzerland. Molecular Ecology 18: 3995–4011
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[5] Sullam K. (2012): The symbiotic gut bacteria of fish – Dynamics
of diet, physiology and the environment. Dissertation Universität Drexel
[6] Matthews B., De Meester L., Jones C. G., Ibelings B. W., Bouma T. J., Nuutinen V., van de Koppel J., Odling-Smee J. (2014): Under niche construction – An operational bridge between ecology, evolution, and ecosystem science. Ecological Monographs, im Druck
[7] Matthews B., Narwani A., Hausch S., Nonaka E., Peter H., Yamamichi M., Sullam K. E. (2011): Toward an integration of evolutionary biology and ecosystem science. Ecology Letters 14(7): 690–701
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