FEUILLETON 15 ||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| S O N NAB E N D / S O N NTAG 6./7. MAI 2017 SÄCHSISCHE ZEITUNG KULTUR & GESELLSCHAFT Bei „Schachmatt“ flippen sogar die Bratschen aus Jetzt auch Schlager im neuen Kulturpalast: Roland Kaiser feiert mit der Dresdner Philharmonie ausgelassen seine Hits und gibt den Don Giovanni. Ausschnitten wie Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre und Brahms’ „Ungarischen Tanz“. Roland Kaiser, standesgemäß im Frack, münzte den Abend zeitweise in eine kleine Lehrstunde in Sachen Klassik um. Wohl schaute manch Herr in Jeans und Camp-David-Hemd zunächst skeptisch, als der Sänger ankündigte: „Wir machen eine Reise von Bach über Händel bis Wagner, die die Schlagerkönige ihrer Zeit waren.“ Doch das passte erstaunlicherweise, weil der filmmusikerfahrene Dirigent Nic Raine einige der Kaiser-Songs im Stil von Händel oder Bach arrangiert hatte. Eine der gelungensten Symbiosen und eine völlig andere Sicht auf ein vertrautes Lied gelang, als Konzertmeister Wolfgang Hentrich den Sänger mit seiner Geige bei „Die Gefühle sind frei“ schwelgerisch begleitete. Von Bernd Klempnow R oland Kaiser auf ungewohntem Terrain: Der umgebaute Festsaal des Dresdner Kulturpalastes ist auch für Unterhaltungskünstler wie ihn eine ideale Bühne. Das bewies der Schlagerstar am Donnerstag mit einer opulenten Show – drei Stunden präsentierte er mit der Dresdner Philharmonie und deren Chor seine Hits im klassischen Gewand. „Joana“, „Dich zu lieben“, „Santa Maria“ mit Pauken, Geigen und Trompeten. Das Publikum war begeistert, klatschte alsbald rhythmisch, sang mit und feierte den 64-Jährigen, der überwältigt und mit einer Träne im Auge mit „das ist ja unglaublich“ dankte. Sein Konzert war eine Art zweite PalastTaufe. Das Gebäude war vergangene Woche nach gut dreijähriger Umbauzeit mit klassischen Konzerten wiedereröffnet worden. Demnächst sollen hier neben Klassikviele Schlager-, Pop- und Jazzveranstaltungen sowie Shows aller Art stattfinden. Beginn einer Klassik-Kaisermania Ritterschlag für den Schlagerkönig „Kaiser im Palast“ war das Motto des bis Sonnabend noch zweimal wiederholten Abends. Es sollte ein besonderer werden – für den Star, der in Dresden besonders viele Fans hat, jeden Sommer am Elbufer Zehntausende bei seiner Kaisermania begeistert und den Auftritt in einer Philharmonie als Ritterschlag empfand, wie auch für die Zuschauer. „Bitte nicht abreißen, nur anreißen“, baten Besucher beim Einlass. Für manche waren die Karten Unser-Roli-Devotionalien, für andere Dresden-Historie: „Ich habe noch die Eintrittskarten vom ersten Semperopern-Besuch 1985. Da lege ich die vom neuen Kulturpalast dazu. Das ist eine schöne Erinnerung“, so eine ältere Dame. Überpünktlich und froh gestimmt nahmen die Besucher Platz, begutachteten den Raum und allerorts wisperte es nach einer Weile des Staunens: „Ist sehr schön gewor- Im Frack, dem König der Herrenkleidung, sang Roland Kaiser seine Schlager im philharmonisch-aufgepeppten Gewand. den, der Saal, aber auch die Foyers.“ So nimmt der Dresdner seinen neuen Kulturpalast in Besitz. Nur der Start des Konzerts war unschön. Die Besucher warteten fast zehn Minuten, bis ein Moderator auf die Bühne kam und sie belehrte. Die Show werde vom MDR und für eine DVD aufgezeichnet, und daher sei es verboten, aufzustehen, zu tanzen oder gar zur Bühne vorzukommen: Ein Buh- und Pfeifkonzert setzte ein, wie es selbst der alte Kulturpalast wohl kaum erlebt hatte. Gerade bei Pop- und Schlagerkonzerten überreichen Fans ihren Idolen nur allzu gern Blumen oder Kuscheltiere. Das derart vergatterte Publikum hielt sich jedoch ans Stillsitzen. Freilich dauerte es zwei Lieder, bis sich die Spannung löste und die Party im stimmungsvoll vielfarbig ausgeleuchteten Saal begann: „Ich glaub, es geht schon wieder los“. Ein Höhepunkt wurde die Premiere des für den Palast ge- Vom Ur-Chaos zum singenden Triumph Elemente sind in der Musik oft Thema. Die Elblandphilharmonie hat sie jetzt im Programm. Von Karsten Blüthgen W ie der Urknall geklungen hat, wer weiß? Jean-Féry Rebel, einer der innovativsten Komponisten des Barock, wagte den seinerzeit wohl kühnsten Beginn eines musikalischen Werkes. Als die Elblandphilharmoniker am Donnerstag in Pirna in die Orchestersuite „Les Eléments“ einstiegen, hätte sich das Publikum gut auch im 20. Jahrhundert wähnen dürfen. Das Wort Cluster wurde erst da gefunden für das, was Rebel schon 200 Jahre eher einsetzte. Am Anfang seiner „Simphonie Nouvelle“ erklingen alle Töne der d-Moll-Tonleiter gleichzeitig. Eine Ballung als Symbol für das Ur-Chaos. Dirigent Jan Michael Horstmann hatte seine Hörerschaft mit flammenden Worten auf dieses unerhört beginnende Werk eingestimmt, bei dem es allerdings nicht lange dauerte, bis die Töne in eine gewohnte Ordnung fanden. Der Radebeuler Kapellmeister motivierte das Orchester vom Cembalo aus zu flottem Spiel und klaren Instrumentalfarben, die den Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft Kontur gaben. Nicht alles wirkte angemessen, die „Jagd“ verlief etwas müde – unterm Strich aber musste dieser Rebel als Entdeckung ankommen. Unalltägliches wartet auch dort, wo Jan Heinke auftritt. Bei der Elblandphilharmonie gastierte der Dresdner Multiinstrumentalist und Obertonsänger bereits. Auch Horstmann kennt Heinke und dessen Fä- higkeiten länger und brachte ihn mit dem Berliner Komponisten Lothar Hensel zusammen. Dieser schrieb „j.a.n. für Stahlcello, Obertongesang, Didgeridoo und Orchester“. Die 2010 in Freiberg uraufgeführte Musik gefällt, gibt dem Solisten Heinke jedoch nur begrenzte Möglichkeiten, seine Kunst zu entfalten. Am besten gelang dies im gesungenen langsamen Satz, am wenigsten im Satz für Heinkes Stahlcello, weil dessen grandiose Klangentfaltung Zeit und Stille braucht, woran Hensel aber nicht dachte. Mozarts „Jupiter-Sinfonie“ krönte den Abend. Nach einem viel zu hölzern gespielten ersten Satz fand Horstmann später besser zu einem singenden, triumphierenden Mozart-Gestus. schriebenen Songs „Grenzenlos“. Der hat zwar keinen Dresden- oder Palast-Bezug, erzählt aber von Grenzen im Kopf, Mauern im Herzen und Tränen vor Glück. Roland Kaiser war extrem aufgeregt, schaute ständig auf seinen Programmzettel, las den „Grenzenlos“-Text vom Blatt. Kein Wunder: Mit Sinfonieorchester und großem Chor war er noch nie aufgetreten. Und das Programm bot neben seinen Evergreens auch Klassiker der Philharmonie in Lückenhaftes Berliner Theatertreffen Dresden. Noch vor Ablauf der Frist am Sonnabend haben die Dresdner Sinfoniker das Spendenziel für ihr Open-Air-Konzert an der Grenzmauer zwischen Mexiko und den USA erreicht. Weltweit beteiligten sich bis Freitag mehr als 360 Unterstützer bei einer Crowdfunding-Aktion im Internet und brachten zusammen die Summe von 15 000 Euro auf. Die Sinfoniker planen für den 3. Juni unter dem Motto „Tear Down This Wall!“ ein Konzert, das gleichzeitig auf beiden Seiten der Grenze und unter Beteiligung zahlreicher Gäste stattfindet. (SZ/ada) Berlin. Am Sonnabend startet das wichtigste deutschsprachige Bühnenfestival. Das Berliner Theatertreffen stellt bis zum 21. Mai die zehn von einer Kritikerjury ausgewählten „bemerkenswertesten“ Inszenierungen der Saison vor. Das Treffen muss mit zwei Ausfällen auskommen: Die Inszenierung von „Der Schimmelreiter“ vom Hamburger Thalia Theater muss wegen Krankheit ausfallen. „Die Räuber“ vom Münchner Residenztheater wird aus technischen Gründen nicht gezeigt. (dpa) Wieder am 7.5., 18 Uhr, Theater Meißen sowie am 13.5., 19 Uhr, Landesbühnen Radebeul Von Jenny Tobien W as kann man von einer Band erwarten, die seit 35 Jahren am Start ist? Die 1982 in der Düsseldorfer Punk-Szene anfing und längst zu den kommerziell erfolgreichsten Gruppen des Landes gehört? Am Freitag bringen die Toten Hosen mit „Laune der Natur“ ihr nunmehr 16. Studioalbum heraus. Es ist mal krachend laut, mal sehr leise. Es erzählt von Abschied und Endlichkeit, feiert aber auch das Leben und die Liebe – mit all ihren Dramen. „Das Leben war eine Achterbahn.“ So beschreiben die Hosen selbst ihre vergangenen fünf Jahre im Beiheft der CD. Auf das Erfolgsalbum „Ballast der Republik“ (2012) folgte die größte Tour der Band vor mehr als einer Million Fans. Doch neben all den Reisen, Partys und Konzerten gab es auch bittere Momente und Verluste: Mit Bandmanager Jochen Hülder und Ex-Drummer Wolfgang „Wölli“ Rohde starben 2015 und 2016 gleich zwei enge Wegbegleiter. Vor ungefähr zwei Jahren, als die „Ballast“-Euphorie etwas verklungen war, fingen Andi, Breiti, Campino, Kuddel und Vom an, sich mit einem neuen Album zu beschäftigen. „Am Anfang ist es wie bei einem Feld, auf dem du stehst und alles ist neblig“, erklärt Sänger Campino. „Man tastet sich langsam nach vorne, dabei wirft man alles in den Ring und erlaubt sich erst einmal keine Schere im Kopf.“ Campino und die Toten Hosen neulich beim Dresden-Konzert. Foto: Bonß Wie schon beim Vorgängeralbum wurde der 54-Jährige bei vielen Songtexten von seinem Kumpel, dem Rapper Marteria, unterstützt. Die Freundschaft der beiden sei eine Glücksbegegnung, erklärt Campino. „Wir trafen uns vor sieben Jahren, sahen uns an, sprachen miteinander und wussten schnell, dass wir zusammengehören.“ Aus einem Sammelsurium von über 200 Songversionen sind letztlich 15 Stücke herausgekommen. Es knallt gleich zu Beginn mit dem sehr rasanten „Urknall“, etwas überproduziert kommt die Single „Unter den Wolken“ daher, die Mitte April direkt auf Platz zwei der Charts eingestiegen ist. Es gibt alberne Lieder wie „Wannsee“, aber auch melancholisch-nachdenkliche Songs wie „Geisterhaus“. Nach dem lauten ersten Teil finden sich in der zweiten Albumhälfte Liebeslieder wie „Alles pas- siert“, „Die Schöne und das Biest“ oder „Lass los“. Sie alle vereint, und das ist typisch für die Toten Hosen, dass sie kein gutes Ende nehmen. Kann Campino denn keine romantischen Songs mit Happy End schreiben? Er bekomme es einfach nicht hin, etwas Normales in dieser Richtung abzuliefern, ihn habe das Abgründige seit jeher fasziniert. „In meinen Liebesgeschichten muss immer einer sterben oder etwas Schreckliches passieren. Vielleicht habe ich zu viele schlechte Bücher darüber gelesen“, erklärt er. „Wenn ich es einmal geschafft haben sollte, ein positives, glückliches und dabei nicht kitschiges Liebeslied zu schreiben, wäre das vielleicht ein ernsthafter Moment, wo ich mich fragen sollte: Ist der Job getan?“ Den krönenden Abschluss des Albums bildet ein ganz besonderes Stück: „Kein Grund zur Traurigkeit“ ist ein Song, den Ex-Drummer Wölli, der 1999 wegen gesundheitlicher Probleme aus der Band ausgeschieden war, später auf einem Soloalbum veröffentlicht hat. Nach seinem Tod durchsuchten die Hosen mehrere Studios und Keller in Düsseldorf. Schließlich fanden sie die alten Aufnahmen, die Gesangsspuren wurden herausgefiltert, die Musik und der restliche Gesang neu eingespielt. „So ist es möglich, dass er noch ein letztes Mal mit uns zusammen Musik macht“, erklärt die Band. Insgesamt kann man sagen: Den Hosen gelingt es, mit „Laune der Natur“ ein durchaus temporeiches und lebensbejahendes Werk abzuliefern – auch wenn Tod, Trauer und Trennung ganz zentrale Themen sind. (dpa) Das Album: Die Toten Hosen, Laune der Natur, JKP Eine Aufzeichnung des Konzertes sendet der MDR am 1. Juli ab 20.15 Uhr. Sinfoniker haben Geld für Mauerkonzert beisammen Zwischen Trauer und Euphorie Ein wilder Gefühlsmix prägt „Laune der Natur“, das neue Album der Toten Hosen. Foto: Robert Michael Das Lied „Alles, was du willst“ wurde mit Koloraturen, wie sie die Königin der Nacht in der „Zauberflöte“ singt, aufgepeppt. Kaiser hatte dazu die Starsopranistin Simone Kermes eingeladen. Mit ihr sang er auch das zärtliche Duett „Reich mir die Hand, mein Leben“ aus Mozarts Oper „Don Giovanni“. Sein Debüt als Opern-Bariton war respektabel. Kermes, groß und auf hohen Absätzen, beugte sich zu ihm herunter, um ihn zu küssen. Der mit 1,82 Metern nicht gerade kleine Schlagerkönig war gerührt. Auch die Chorsänger und Musiker waren glücklich, lächelten sich an, wiegten sich im Disko-Takt. Und beim schmissigen „Schachmatt durch die Dame im Spiel“ riss es selbst die sonst so in sich ruhenden Bratscher mit. Sie schwenkten ihre Geigen, wippten mit. Orchester und Publikum waren eins und nehmen es als ein Versprechen, als Kaiser den Schlusstitel „Bis zum nächsten Mal“ anstimmte. Ovationen! 25. FESTIV AL