Auszug aus dem Reisebericht "Kulinarische Weltreise" von Anthynus Bordeander Meine heutige Reise führt mich direkt ins grüne Herz von Nord-West-Earhûn. Nach einem netten, durchaus leckeren und kulinarisch weit gefächerten Aufenthalt in Korand führt mich meine Reise weiter nach Süden ins Land Kher. Kher gehörte einst zu dem legendären Reich Arnior, zudem auch Galhadan, Korand, Teile Zadias und Arcrons sowie Ætherea und Orthalia gehörte. Heute ist Kher in fester Zwergenhand und zu einem netten, kleinen und für Zwerge sogar recht offenen Reich geworden, welches sich in das Gesamtbild der Länder Nord-West-Earhûns eingegliedert hat. Aber Zwerge sind und bleiben nun mal Zwerge. Auch wenn diese Oberlandzwerge nun eine gesündere Hautfarbe aufweisen als ihre Verwandten unter der Erdkruste und ihre Augen auch nicht mehr so die berühmte Lichtempfindlichkeit haben, welche ihre Vorfahren einst benötigten um in den Tiefen von Buzur Mor nach Gold, Eisenerzen und Edelsteinen zu schürfen, so sind sie doch immer noch Zwerge mit all ihren Seltsamkeiten und Skurrilitäten. Gerade im kulinarischen Bereich gibt es einige Besonderheiten der kherischen Zwerge. Neben dem traditionellen und für Menschen nahezu ungenießbaren Pilzbier das bei mir zum Beispiel tagelangen Durchfall und übelriechende Blähungen verursacht hat (von den Kopfschmerzen und dem tagelangen, schleimigen Geschmack im Mund ganz zu schweigen) - und recht bitteren Gallschnecken, gibt es so zum Beispiel noch das „Blaue Schneggla“, was wirklich nur für Kher-Zwerge eine kulinarische Delikatesse darstellt. Und nicht nur das. Aber fangen wir von vorne an. Die gemeine Baummuschel (Arcida arboriensis) gehört trotz des Namens zu Art der Schnecken. Die Form ihres massiven und stabilen Gehäuses ist der Grund für den eigentlich maritimen Namen des Tieres, welches eine Körperlänge von gut 25 Fingerbreiten misst. Die bräunlichen Schnecken mit den beinfarbenenperlmutartigen Häusern leben, wie ihr Name schon sagt, auf und unter Laubbäumen und ernähren sich von Blättern, Moosen und Flechten, welche auf der Rinde des Baumes leben. In den Geschichten der Zwerge von Kher heißt es, dass die Urahnen, welche als Erste die Erde verließen, um auf der Oberwelt Gaias zu leben, durch die dickfleischigen Baummuscheln vor dem Hungertod gerettet wurden. Das klingt auch recht logisch, denn ein Volk, das sich bis dato nur von Würmern, Wurzeln und anderem, unterirdisch hausendem Getier ernährt hatte, musste sich ja erst an das Leben an der Oberwelt gewöhnen. Man war auf der Suche nach Nahrungsmitteln, welche sie auch vertragen konnten, zuerst auf Produkte angewiesen, die jenen, die sie aus Buzur Mor schon kannten, ähnelten. Und da kamen ihnen die Baummuscheln gerade recht. Nun ist es aber so, dass die Baummuschel einen sehr massiven Panzer hat, der nur schwer zu knacken ist. Daher endeten die ersten Versuche, den Schneckenpanzer zu öffnen, bei einem Schneckenfleischbrei mit Beimischungen von Gehäusesplittern. Da die Zwerge bekannterweise ein sehr erfinderisches Volk von Tüftlern sind, machten sie sich an die Lösung des Problems. Das Resultat ist der so genannte "Baummuschelspreizer", der heute in jedem kherischen Zwergenhaushalt zu finden ist. Das Gerät erinnert an eine Mischung aus Geburtszange, wie man sie aus den Hospitälern und von Hebammen kennt, die mit einer rasiermesserscharfen Klinge kombiniert ist. Durch Betätigung der eines Hebels werden die Zangenschenkel geöffnet und gleichzeitig in Richtung Klinge gedrückt. Ist nun eine Baummuschel eingespannt, so werden die Öffnungsschenkel in die Öffnung des Schneckenhauses eingesetzt, während die Klingen gegen die Rückseite der Schale drückt. Wird der Mechanismus betätigt, so wird die Schnecke gegen die Klinge gedrückt, wodurch es zu einem feinen Haarriss kommt, der sich aber rasch ausdehnt, wodurch das Gehäuse bald in zwei Teile zerbricht. Die Spreizerschenkel hingegen ziehen dann das Gehäuse mit geringem Kraftaufwand auseinander und das Weichgetier fällt wie ein aufgeschlagenes Ei aus der Schale heraus. Die eigentliche Schnecke wird sodann entweder in heißem Essigwasser gekocht, was die Kher-Zwerge eben dann "Blaue Schnecke" oder "Blaue Muschel" - manchmal auch etwas derber als "Blaues Schneggla" oder "Blaue Muschi" - nennen oder sie backen es in heißem Fett geneinsam mit Zwiebelringen scharf aus. Traditionell sind "Blaue Schneggla" ein beliebtes Gericht der Kherzwerge, welches besonders zu Hochzeiten, aber auch ein hohen Feiertage, wie dem Tag zum Gedenken der Urväter, gemeinsam mit bitteren Wurzeln, saurem Wein und Pilzbier in einer großen Familienrunde gegessen wird. Daher gehört es sich auch für die Kher-Zwerge, dass jedes junge Ehepaar bei seiner Hochzeit einen Baummuschelspreizer als das erste Geschenk für die Haushaltsgründung überreicht bekommt, damit sie die Tradition weiter fortführen können. Für meinen Teil muss ich sagen, dass ich kein Fan von gekochter oder gebratener Baummuscheln bin und auch nie sein werde. Das Fleisch ist einfach zu schleimig und schmeckt nach irgendetwas, was schon länger gestorben ist. "Ungeniesbar" ist der wahrscheinlich noch harmloseste Ausdruck, der mir dazu einfällt. Und so kann ich mir auch nicht vorstellen, dass ein anderer Gourmetkoch - und ich kenne nicht viele, die einen solchen Saumagen haben, wie ich - jemals auf die Idee kommen würde, diese Großschnecken irgendwie auf nur irgendeiner Art und Weise zu verarbeiten. Deswegen glaube ich auch kaum, dass man außerhalb von Kher jemals einen Baummuschelspreizer stoßen wird. Höchstens vielleicht in einigen zwergischen Garküchen oder Kuriositätenantiquariate vielleicht. So lasse ich Kher, die Zwerge, die "Blauen Schnegglas" und die "Baummuschelspreizer" hinter mir und reise weiter gen Süden. Ich hörte, dass es in Delani einen exzellenten Käse geben sollte, den ich unbedingt mal probieren möchte.