bdw 2007-09 Schoepfung

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Schöpfung: mangelhaft!
In den aktuellen Streit um die Evolutionstheorie hat sich nun auch der Papst eingeschaltet.
Evolutionsbiologe josef Reichholfverteidigt die Wissenschaft.
In einem Punkt muss ich demPapstzustimmen:Die
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Wissenschaft kann die Evolution nicht vollständig erklären. Vollständige Erklärungen liefert allein der Glaube. Die Naturwissenschaft ist viel bescheidener. Stück für Stück arbeitet sie sich voran
und schafft Wissen, das hinterfragt und widerlegt werden kann.
Es gebe zwar "viele wissenschaftliche Nachweise" für die
Evolution, sagte Papst Benedikt XVI. im Juli bei einer Veranstaltung mit Priestern. Allerdings beantworte die Evolutionslehre
nicht alle Fragen, schon gar nicht die Frage, "woher alles kommt".
Bei der Tagung über "Schöpfung und Evolution" in Castel Gandolfo im vergangenen Jahr, deren Vorträge und Diskussionsbeiträge jetzt als Buch veröffentlicht wurden, war die päpstliche
Kritik an der Wissenschaft sogar noch deutlicher ausgefallen.
Rein formal betrachtet stimmt der Papst dennoch mit allen
Wissenschaftlern überein, die über die Evolution forschen: Den
Anspruch auf Vollständigkeit hat kein seriöser Vertreter unseres
Fachs je erhoben. Vollständigkeit zu beanspruchen, beschwört
nämlich geradezu die Gefahr der Fehlbarkeit herauf. Und der
Wunsch nach Unfehlbarkeit hat in der Naturwissenschaft
nichts zu suchen.
An der Wirklichkeit scheitern unsere Wunschbilder oft.
Auch die Naturwissenschaft ist dagegen nicht grundsätzlich gefeit. Doch das gereicht ihr nicht zum Schaden. Im Gegenteil:
Fehlbar zu sein, stellt ihre Stärke dar, weil Fehler die Möglichkeit zur Korrektur und damit zur Verbesserung offen halten.
Tauchen also, eineinhalb Jahrhunderte nach
Darwins epochalem Werk über den Ursprung der
Arten, lediglich die alten Missverständnisse zwischen Theologen und Wissenschaftlern wieder auf?
Das wäre bedauerlich. Denn die von Papst Benedikt
XVI.am 1. und 2. September 2006 einberufene Tagung über "Schöpfung und Evolution" sollte mit ausgewählten
Teilnehmern und herausragenden Vortragenden wohl einen
neuen Markstein in der Debatte setzen. Das aus der Tagung hervorgegangene gleichnamige Buch wurde dem Papst zum 80.
Geburtstag als "kleine Festgabe" von einem Kreis seiner Schüler
gewidmet. Der Inhalt darf deshalb durchaus als Positionsbestimmung des Vatikans gewertet werden, zumal Benedikt
XVI. in der ausführlich dokumentierten Diskussion immer wie-
Vorgehen des Kardinals folgendermaßen: "Mir kommt es vor,
dass es die Vorsehung war, die dich, Eminenz, dazu geführt hat,
in der New York Times eine Glosse zu schreiben, dieses Thema
wieder öffentlich zu machen und zu zeigen, wo die Fragen sind:
dass es nicht darum geht, sich entweder für einen Kreationismus zu entscheiden, der sich der Wissenschaft grundsätzlich
verschließt, oder für eine Evolutionstheorie, die ihre eigenen
Lücken überspielt und die über die methodischen Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinausreichende Fragen nicht sehen
will. Es geht vielmehr gerade um dieses Zusammenspiel von
verschiedenen Dimensionen der Vernunft, in dem sich auch der
Weg zum Glauben öffnet."
Der Auftrag der Tagung war damit klar formuliert. Kein Wunder, dass es der Wiener Chemiker und Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Peter Schuster, schwer
hatte, die Evolutionsbiologie zu vertreten. Von Seiten der Theologie und Philosophie trugen neben Kardinal Schönborn auch der
Philosoph Robert Spaemann, der Naturphilosoph und Jesuit Paul
Erbrich sowie im Anhang der Fundamentaltheologe und Dogmatiker Siegfried Wiedenhofer ihre Sicht der Evolution vor.
Das reichte für Medienschlagzeilen wie "Papst weist Naturwissenschaft in die Schranken" (Spiegel online). Reicht es auch
für eine neue Diskussion über die Evolution? Verpackt in päpstliche neue Kleider vielleicht? Denn das amerikanische Modewort "Intelligent Design" beschreibt nichts wirklich Neues:
Die Gegebenheiten in der Natur müssten
eher dazu verführen, auf eine zweite,
eine teuflische Intelligenz zu schließen
der das Wort ergriff und eigene Gesichtspunkte beisteuerte.
Eine besondere Rolle wurde dem Wiener Kardinal Christoph
Schönborn zuteil, der vor zwei Jahren mit einem Kommentar in
der New York Times ("Finding Design in Nature", zu Deutsch:
"Den Plan in der Natur entdecken") den in Kreisen amerikanischer Evangelikaler schwelenden Debatten um die Evolution
neuen Zündstoff geliefert hat. Im Buch ist er gleich zweimal
vertreten: Mit einem sehr ausführlichen Vorwort und mit dem
Vortrag "Zur Evolutionismusdebatte".
bild der wissenschaft 912007
Der Papst würdigte das
Inhaltlich drückt es kaum mehr aus als den mittelalterlichen
Glauben an die Weisheit Gottes, die überall in seiner Schöpfung
zu sehen sei. Die Natur stelle ein einziges Lob auf den Schöpfer
dar und den besten Gottesbeweis. Doch ist die Natur so perfekt?
Josef Kardinal Ratzinger waren anscheinend selbst Zweifel
gekommen, als er einst mit seinem Bruder das Naturhistorische
Museum in Wien besuchte und feststellte: "Wir waren bestürzt
über so viel Schreckliches in der Natur." Das Schreckliche in der
Natur bereitet der kirchlichen WeItsicht auch große Probleme.
Das Schlagwort vom "Intelligent Design" ändert nichts daran.
Im Gegenteil: Die konkreten Gegebenheiten in der lebendigen
Natur müssten eher dazu verführen, auf eine zweite, eine teuflische Intelligenz zu schließen! Ein paar Beispiele mögen das
verdeutlichen:
Da klettert in einer spätsommerlichen Wiese eine dicke
Ameise am Grashalm hoch, dreht sich kurz unterhalb der Spitze
um und fängt an, mit dem Hinterleib auf und ab zu wippen.
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Raffiniert wirken solche durch parasitische Würmer verursachten "Umprogrammierungen"
allemal. Doch was mag
Dennoch ist ihr Verhalten unnormal. Ausgelöst wird es nämlich
sich der intelligente Designer dabei gedacht haben, als er Derarvon einem fadendünnen, über fünf Zentimeter langen Wurm, tiges auf die Bahn brachte? Gar nicht raffiniert, sondern einfach
der den ganzen Hinterleib der Wanze ausfüllt und ausgefressen
eklig ist es, wenn die Larven bestimmter Fliegen manchen Kröhat. Das auffällige Wippen macht kleine Singvögel neugierig. ten Nase, Stirn und Augen zerfressen oder wenn die kindlichSie verzehren die süßlich schmeckende Wanze und nehmen da- rundlichen Köpfe "süßer" Kaninchen von Myxomatose-Viren
mit den Wurm auf, für den sie so zum Überträger werden. "Rot- so entstellt werden, dass die armen Tiere verschwollen herumrückiger Irrwisch" heißt diese Wanzenart, weil sie sich ihren torkeIn und elend zugrunde gehen. Doch all das gehört zur VielFeinden behände zu entziehen weiß. Nich( so die vom Wurm falt des gegenwärtigen Lebens.
parasitierte Larve: Sie bietet sich geradezu an, gefressen zu werWie lassen sich weiter die Millionen ausgestorbener Arten,
den. Schönintelligent - im Sinne des Wurms! Ähnliches verur- die vielen erdgeschichtlichen Großkatastrophen wie Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche, Überflutungen und Kontinensacht ein ganz anderer Parasit aus der Gruppe der Saugwürmer
im "Fühler" von Bernsteinschnecken. Er lässt den Augenstiel talverschiebungen mit einem intelligenten Plan vereinbaren?
Sind die "Entwürfe" misslungen? Was mag die Irrwisch-Wanze
anschwellen und pulsieren, was wiederum Singvögel anlockt.
"verbrochen" haben, dass sie mit solchen Parasiten "bestraft"
wird? Die Natur ist eben nicht so schön und gut, wie man sie
sich in Unkenntnis ihrer Wirklichkeit vorstellen mag.
Vor allem aber ist die Natur veränderlich. Seit Jahrhunderten
Die Naturwissenschaft kann die Evolution zwar nicht
ist dies bekannt. Und 250 Jahre ist es her, dass Carl von Linne
vollständig erklären, doch sie kann viele Beweise vorlegen.
auf den Bau der Blüten bezogen sein natürliches System der
Pflanzen begründet hat. Dieses System hat sich für die Pflanzen
Es gibt deshalb keinen Grund, einen Plan in der Natur zu
wie auch für die Tiere bis in die Gegenwart bewährt. Auch der
suchen oder von einem vollkommenen Schöpfer auszugehen.
Was wie eine Ameise aussieht, ist jedoch das Larvenstadium
~ einer Wanze. Sie ahmt die Ameisenform täuschend ähnlich nach.
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Mensch hat darin seinen Platz. Immer wieder ist dieses natürliche System durch neue Erkenntnisse und Methoden verbessert
worden. Es liefert die Stammbäume, welche die Darwin'sche
Evolutionslehre plausibel machen. Inzwischen kann die Evolutionsbiologie die Abstammungsverhältnisse der Organismen
häufig sogar mit mindestens drei voneinander unabhängigen
Methoden ermitteln. Über physikalische und chemische Methoden erhält sie Zeit- und Altersbestimmungen, mit der klassischen Methode des Vergleichs von Ähnlichkeiten macht sie die
Verwandtschaft plausibel, und über die Analyse von Übereinstimmungen und Unterschieden im Genom kann sie noch exaktere Stammbäume aufstellen: die Ahnentafeln der Natur.
se von weltgeschichtlicher Tragweite waren im 20. Jahrhundert
das Dritte Reich oder die Atombomben auf Hiroshima und
Nagasaki. Lag ihnen, lag dem verheerenden Tsunami von Weihnachten 2005 ein intelligenter Plan zugrunde?
Wie Neues entsteht, ohne dass die späteren Funktionen
oder gar die weltumspannende Bedeutung, die daraus hervorgingen, aus den Anfängen ersichtlich wären, dafür geben die
Entwicklung des Computers und des Internet überzeugende
Beispiele. Wer also zweifelnd fragt, wie es in der Natur zu den
"großen Schritten", etwa der Entstehung des Lebens oder der
Entwicklung des menschlichen Bewusstseins, gekommen sein
kann, ohne dass da jemand planend eingegriffen hat, der verDie neue molekulare Genetik eröffnet seit einigen Jahrzehnschließt die Augen vor den - ungeplanten - gegenwärtigen
ten direkte Einblicke in die Stammesgeschichte der Organis- technischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen.
men. Evolution kann mit dieser Methode bei Viren, Bakterien,
Daher mutet es schon merkwürdig an, wenn Kardinäle sich
Würmern und Insekten im Labor im Gegensatz zur päpstlichen
ausgerechnet auf schöpfungsgläubige Wissenschaftler stützen,
Annahme richtig experimentell verfolgt und erforscht werden. wenn es darum geht, die Evolution in Zweifel zu ziehen. Dies
Die angewandte Molekulargenetik hat über die Gentechnik
geschieht im Vorwort des Buchs "Schöpfung und Evolution", in
auch den direkter).Zugriff auf das Erbgut und seine gezielte Ver- dem Schönborn eine Rede Ratzingers aus dem Jahr 1999 zitiert:
änderung ermöglicht - und damit den Beweis erbracht, dass die Darin beruft sich der heutige Papst auf die bei den namhaftesten
Deutungen der Molekulargenetik richtig sind.
deutschen Kreationisten, Reinhard Junker und Siegfried ScheAn Beweisen fehlt es also nicht, und auch der Papst sieht in rer, und ihr Buch "Evolution. Ein kritisches Lehrbuch".
ihnen, wie er jetzt sagte, "eine Realität, die die Kenntnis des LeIn dieser prekären Lage ist ein befreiendes Wort erforderlich.
bens bereichert". Doch oft fehlt es am theoretischen Verständ- Der katholische Philosoph Robert Spaemann spricht es aus nis. Die Rolle des Zufalls in der
mit Friedrich Schiller: "FeindBiologie scheint jenen Schwieschaft sei zwischen euch, noch
"
kommt das Bündnis zu frühe!"
rigkeiten zu bereiten, die sich
Und weiter: "Wenn wir weder
gern auf einen festen Kanon "al- Noch kommt das Bündnis zu frühe!"
die Wissenschaft noch unser
ter Schriften" stützen, in diesem
Fall: auf die Bibel und auf Charles Darwin. Peter Schuster hat in menschliches Selbstverständnis preisgeben wollen, dann müssen wir an dem Dualismus beider Weltsichten festhalten."
Castel Gandolfo zwar tapfer versucht, über die molekularen
Mechanismen der Erbänderungen die Vorgänge der Evolution
Kardinal Schönborn klärt schließlich unfreiwillig mit seiner
verständlich zu machen. Doch anscheinend ist es ihm nicht ge- Kernfrage "Wieso ist der ,Evolutionismus' mit seinem ideologilungen, die alten - und falschen - Vorstellungen vom Zufall in schen Materialismus fast so etwas wie eine Ersatzreligion geder Evolution auszuräumen.
worden?", worum es in der neuen Debatte um die Evolution
Denn der Zufall ist kein Lotteriespiel. Möglich ist nur, was eigentlich geht: um Schwächen der Religion und nicht um verdas Vorhandene zulässt. Der "Zufall" ist stark eingeschränkt,
meintliche Mängel der sich selbst korrigierenden und beständig
und viele Fehler, die durch Mutationen entstehen, werden vom verbessernden Naturwissenschaften, die keinen dogmatischen
Genom korrigiert. Ordnung baut auf Ordnung auf, Neues geht Zwängen unterliegen. Gerade das macht sie so "verdächtig",
aus dem Vorhandenen hervor. So komplizierte Gebilde wie sprich: so erfolgreich!
Augen entstanden nicht durch Zufall, sondern über sehr viele
Wir Naturwissenschaftler können stolz das Haupt erheben:
Zwischen- und Übergangsstadien. Evolution geht aus der Die Erde wird sich weiter um die Sonne drehen, und die ForWechselwirkung eingeschränkter und sich wieder neu eröff- schung wird die Grenzen des Erforschbaren immer weiter ins
nender Freiheitsgrade hervor. Der bloße Zufall ist so bedeu- Unbekannte hinausschieben. Zum Unbekannten lassen sich
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tungslos wie die Unbestimmtheit im (sub)atomaren Bereich für keine Grenzen ziehen, die wir nicht überschreiten dürften.
die wirkliche Struktur der Materie.
Schließlich zweifelt doch niemand daran, dass sich auch im
Gang der menschlichen Geschichte stets klare Ursachen und
community
Zufälle miteinander vernetzt haben. Der tatsächliche Verlauf
Feindschaft sei zwischen euch.
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der Historie ist sehr wohl im Rückblick zu analysieren, auch
wenn es viele Lücken zu überbrücken gilt. Voraussagbar wird
Geschichte deshalb allerdings nicht. Die Kreuzzüge des Mittelalters, die (Un)Heilige Inquisition, die Hexenverfolgung oder
der Fall Roms lassen sich, wie alle historischen Großereignisse,
natürlich nicht aus unserer Gegenwart erklären. Wer solches für
die Evolution fordert, verkennt ihre Geschichtlichkeit. Ereignisbild der wissenschaft
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Vom Autor zum Thema:
josefH. Reichholf
WAS STIMMT?
EVOLUTION
Die wichtigsten Antworten
HerderVerlag
Freiburg 2007, € 7,90
Das im Essay behandelte
Buch:
S. O. Horn, S. Wiedenhofer (Hrsg.)
SCHÖPFUNG UND EVOLUTION
Eine Tagung mit Papst BenediktXVI. in Castel Gandolfo
Sankt Ulrich Verlag
Augsburg 2007, € 16,90
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