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Musikstunde Sinne Folge 3: „Mit der Zunge hören“ (Doris Blaich)
Süß, sauer, salzig, bitter – diese Geschmacksqualitäten kann unsere Zunge
schmecken. Dazu kommt „umami“ – ein herzhafter Suppenwürfelgeschmack; immer
noch ein Fremdling im eingebürgerten Kanon der Geschmäcker, obwohl er seit gut
100 Jahren bekannt ist. „Scharf“ gehört übrigens nicht dazu – es ist kein Geschmack,
sondern eine Schmerzempfindung, die gleiche, die wir empfinden, wenn wir uns den
Mund verbrannt haben – zum Beispiel beim ersten morgendlichen Kaffee-Schluck –
der gehört in die Geschmackskategorie „bitter“ und je nach Zuckermenge und
Kaffeedurst natürlich auch süß – wie hier.
Ei, wie schmeckt der
Coffee süße, lieblicher
M0232362 01-014
als tausend Küsse.
aus der
„Kaffeekantate“ BWV
Bach, Johann
Sampson,
Sebastian Henrici,
Carolyn; Suzuki,
Christian Friedrich
Masaaki
4'44
211
Egal ob Arabica oder Robusta, Espresso schwarz oder entkoffeinierter Filterkaffee –
die Information, die die Zunge beim Kaffeegenuss aufnimmt, heißt schlicht „bitter“ –
bzw. in diesem Fall, nach kräftigem Umrühren auch „zuckersüß“. Das war Carolyn
Sampson als kaffee-versessenes Lieschen in Bachs Kaffeekantate. Masaaki Suzuki
leitete das Bachcollegium Japan.
„Süß“ ist unser erstes Geschmackserlebnis. Die Geschmacksknospen der Zunge
entwickeln sich schon im zweiten Monat der Schwangerschaft, und das Ungeborene
kann den Geschmack von Fruchtwasser wahrnehmen. Der ist leicht süßlich –
genauso wie die Muttermilch. Kinder wissen intuitiv: Etwas Süßes kann eigentlich
nicht schaden! (Sehr zum Leidwesen von Zahnärzten und vieler Eltern, gerade auch
im Kassenbereich von Supermärkten, wo die Süßigkeiten die berüchtigte
Quengelzone bilden). Gegen Bitteres haben Kinder dagegen eine ausgeprägte
Abneigung. Die ist von der Evolution klug eingerichtet: Bittere Pflanzen sind häufig
mal giftig, im Gegensatz zu süßen. Was süß schmeckt im Pflanzenreich, ist meistens
reich an Kohlenhydraten, die der Körper schnell und unkompliziert in Energie
umwandeln kann.
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Energie, die man zum Leben braucht – zum Wachsen und zum Bewegen: Hier
kommt Tschaikowskys Tanz der Zuckerfee aus dem Ballett „Der Nussknacker“:
Danse de la Fée
Dragée. Andante
M0123756 01-007
non troppo aus:
Tschaikowsky,
Nussknacker-Suite Peter
für Orchester, op.
Radio-Sinfonieorchester
Stuttgart des SWR;
1'47
Norrington, Roger
71a
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart unter Leitung von Roger Norrington mit dem
„Tanz der Zuckerfee“ von Peter Tschaikowsky. Bei Ballett-Tänzern ist alles, was dick
macht, verpönt, und besonders natürlich Süßigkeiten. Obwohl es für die Tänzerinnen
sicher hilfreich wäre, eine kleine Praline oder ein paar Gummibärchen zu naschen,
bevor sie sich in die Spitzenschuhe zwängen. Der Genuss von Zucker lindert nämlich
den Schmerz, den der Spitzentanz den strapazierten Füßen zumutet. Zucker setzt
Endorphine frei, und die reduzieren die Heftigkeit von Schmerzen – allerdings nur,
wenn man rechtzeitig nascht, bevor sich der Schmerz ausbreitet.
Lange hat man angenommen, dass wir süßen Geschmack am besten ganz vorne an
der Zungenspitze wahrnehmen. Inzwischen weiß man, dass die
Geschmacksrezeptoren aller Richtungen relativ gleichmäßig über die Zunge verteilt
sind. Honig und Sirup schmecken also auch noch ganz hinten auf der Zunge süß.
„Süßes“ ist in erster Linie eine geschmackliche Qualität – aber nicht nur, es kann im
übertragenen Sinn auch mit anderen Sinnesorganen wahrgenommen werden - als
süßer Duft von Rosen, Jasmin oder Geißblatt zum Beispiel, als eine süß klingende
Musik; oder auch im Sinne von ‚niedlich’ als optische Kategorie – wobei die
Geschmacksgrenze zwischen Süßem und Süßlichem meist hauchdünn ist: ein
Milligramm zu viel des Süßen, und das Angenehme kippt ins Klebrig-Aufdringliche.
In früheren Jahrhunderten ging man großzügiger mit der Kategorie „süß“ um als
heute: viele mittelalterliche Gebete und Andachtstexte preisen die Süßigkeit des
neugeborenen Jesuskinds und bezeichnen auch die Liebe des Erwachsenen
Christus als „süß“ – und die von Maria sowieso: dulcis virgo Maria (süße Jungfrau
Maria) heißt eine der häufigsten Anredefloskeln für die Gottesmutter.
Kaum ein Liebesgedicht aus Renaissance und Barock kommt ohne den Begriff „süß“
aus, wenn es von der Schönheit der Angebeteten spricht oder von den Freuden der
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Liebe. Hier ist ein Beispiel von tausenden: ein Lied mit Lautenbegleitung von dem
englischen Komponisten Ben Jonson, einem Zeitgenossen von Shakespeare. Um
die Liebste angemessen zu schildern, greift der Text zu allerlei Symbolen – und zu
allen Sinnen: Die schöne Dame sieht strahlend aus wie eine weiße Lilie, ihre Haut
fühlt sich weich an wie die Daunen eines Schwans, sie duftet zart wie eine Rose und
ihr Geschmack ist süß wie Nektar.
Have you seen the
Johnson,
M0093567 01-009 bright lily grow? Lied Robert
mit Lautebegleitung Jonson, Ben
Johnson,
Robert
Scholl,
Andreas;
2'51
Behr, Julian
Andreas Scholl und Julian Behr mit einem Lied von Ben Jonson: „Have you seen the
bright lily grow“, in dem die süße Schönheit einer jungen Dame besungen wird.
Nach so viel Süßem ist es Zeit für etwas herzhaft-Salziges, und hier erstmal ein
bisschen Biochemie: Ein Salzkorn auf der entsprechenden Geschmacksknospe
erzeugt im Inneren der Zelle eine schwache elektrische Spannung. Die Nerven leiten
diesen Impuls weiter, und über mehrere Zwischenstationen landet er schließlich in
der Großhirnrinde. Die analysiert den Reiz blitzschnell und bringt ihn mit
verschiedenen Botenstoffen in unser Bewusstsein: sodass wir erkennen, ob der
Fisch angenehm salzig schmeckt oder fad oder vielleicht auch versalzen. Die Dosis
ist bekanntlich eine Sache des persönlichen Empfindens und der Gewohnheit. Die
Deutschen essen und trinken sechs bis acht Gramm Salz pro Tag, wobei eigentlich
zwei Gramm ausreichen würden. Die braucht der Körper allerdings. Zwischen 200
und 300 Gramm Natriumchlorid (bzw. Kochsalz) fließen im Blut und in den
Gewebeflüssigkeiten und sorgen dafür, dass die Nervenzellen richtig funktionieren
können: Jede Sinnes- und jede Hirnzelle braucht Natrium als Ladungsträger, mit dem
sie Strom in die Zellen transportiert und elektrische Signale weiterleitet.
Salz gibt’s natürlich vor allem am Meer, und dahin reisen wir jetzt auch musikalisch:
Mit Felix Mendelssohn Bartholdy auf die Hebriden. Diese Inselgruppe in Schottland
hat den jungen Mendelssohn besonders fasziniert und zu einer Konzertouvertüre
angeregt, in der man das Meer rauschen und die Wellen schäumen hört.
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Die Hebriden.
M0014566 01-005
Konzertouvertüre für
Orchester Nr. 2, op.
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Chamber
Mendelssohn
Orchestra of
Bartholdy,
Europe;
Felix
Harnoncourt,
10'15
Nikolaus
Die Hebriden von Felix Mendelssohn Bartholdy mit dem Chamber Orchestra of
Europe und Nikolaus Harnoncourt.
Jeder Koch wäre beleidigt, wenn man ihm sagen würde „das Essen hat köstlich
gerochen“ – auch wenn das eigentlich ein Kompliment sein sollte und den
Sachverhalt tatsächlich auch genauer trifft als zu sagen, etwas habe köstlich
geschmeckt. Wenn Sie Schnupfen haben, oder sich die Nase beim Essen zuhalten,
dann merken Sie es: Auch das raffinierteste Menü schmeckt dann nur fade und
langweilig. In diesem Fall isst nämlich ausschließlich die Zunge mit, das
Geschmacksorgan – oder präziser: das gustatorische Organ. Die Zunge ist beim
Essen nur fürs Grobe zuständig. Die Feinarbeit macht die Nase – und zwar
hintenrum, durch den Rachen; von da gelangen die Geruchsmoleküle zu den
Riechrezeptoren, und wir nehmen die Aromen war: Erdbeere und Holunder, Estragon
oder Liebstöckel im Salat, würzigen Gruyere oder die wunderbare Kombination aus
Laugenbrezel mit Butter und einer Tasse Kaffee. Für Getränke gilt das übrigens
genauso: der Geschmack ist zu 80 % Geruch. Beim Essen spielen natürlich auch die
anderen Sinne mit: Das Auge isst mit und entscheidet sich lieber für den frischen
grünen Brokkoli als für den mit der blässlichen Graunote, der schon ziemlich verkocht
aussieht. Das Ohr isst ebenso mit – und freut sich am Popcorn-Geräusch im Kino,
am appetitlichen Knacken von Chips und hoffentlich an der Geräuschlosigkeit beim
Verzehr von Steinpilzen, die ein Zeichen dafür ist, dass kein Sand mehr zwischen
den Pilzlamellen steckt. Und natürlich ist auch der Tastsinn beim Essen dabei – bzw.
auch schon davor, wenn wir prüfen, ob eine Mango reif oder vielleicht auch überreif
ist und die Kartoffeln schon gar.
Das ist zusammengenommen sehr viel mehr als nur salzig, sauer, bitter, süß und
herzhaft. Dennoch haben wir immerhin zwischen 2000 und 5000
Geschmacksrezeptoren auf der Zunge und im Mundraum, um diese
Geschmacksrichtungen zu identifizieren. Säuglinge haben übrigens noch doppelt so
viele davon, ab dem Alter von 20 Jahren werden es dann zahlenmäßig immer
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weniger, und auch die Leistung ihrer Wahrnehmungsfähigkeit nimmt ab. Die
Menschheit lässt sich einteilen in Superschmecker, Normalschmecker und
Nichtschmecker, und in der letzten Gruppe sind deutlich mehr alte als junge
Menschen.
Superschmecker sind ausgesprochen sensibel für Bitteres und können es auch aus
Lebensmitteln herausschmecken, die für Normalschmecker keine wahrnehmbaren
Bitterstoffe haben – Kohl oder anderes Gemüse zum Beispiel. Schon Neugeborene
verziehen bei bitterem Geschmack das Gesicht, im Gegensatz zum entspannt
lächelnden „Süßgesicht“. Ein angeborener Reflex also, der sich auch bei einem
sauren Geschmack unwillkürlich zeigt. Bei Salatsoße oder Zitronensaft zum Beispiel.
Unser nächstes Stück ist deshalb kein Sprung ins Säurebad, sondern hat eine milde
Säure, die auch die Genuss-Mimik des dolce vita mit einbezieht. „Wo die Zitronen
blühn“ heißt dieser Walzer von Johann Strauß. Er ist – wie die meisten StraußWalzer – mit einer ausgeklügelten Technik der Arbeitsteilung komponiert: Die
Melodie (also die Grund-Geschmacksrichtung) stammt vom Meister selbst, der auch
die wesentlichen Entscheidungen für Klangfarben und Harmonik getroffen hat.
Ausgeführt haben diese Anweisungen dann die Mitarbeiter in der Straußschen
Walzer-Manufaktur; und sie haben natürlich auch die Einzelstimmen abgeschrieben,
sodass ein Orchester daraus spielen konnte. Der letzte Feinschliff (das endgültige
Aroma) stammt dann wieder vom Chef – eine Aufgabenteilung, die direkt mit dem
Teamwork in einem guten Restaurant vergleichbar ist.
Wo die Zitronen
M0035079 01-003
blüh'n Walzer für
Strauß,
Orchester, op. 364
Johann
Strauß,
Wiener
bearbeitet für 2
Leopold,
Johann
Streichsextett
Violinen, 2 Violen
Rudolf
8'05
und 2 Violoncelli
Sauer macht lustig – oder zumindest walzerselig: Der Walzer „Wo die Zitronen blühn“
von Johann Strauss in einer Bearbeitung für Streicher, die hier das Wiener
Streichsextett spielte.
Zwischendruch brauchen wir jetzt ganz kurz was Süßes, vielleicht ein Stück
Schokolade – für die Wahrnehmung ihrer Süße sind wie gesagt die Süßrezeptoren in
der Zunge zuständig. Sie liegen in den Geschmacksknospen, angeordnet wie die
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Blätter einer Blüte. Den Bau und die genaue Funktion der Süßrezeptoren hat Ende
der 1990er Jahre ein amerikanischer Biologe entschlüsselt – passender Weise mit
dem Namen Charles Zuker. Insgesamt gibt es drei verschiedene Rezeptoren für
Süßes – ziemlich wenig. Denn für Bitteres gibt es gleich fünfundzwanzig Rezeptoren.
Wahrscheinlich sind war hier so differenziert ausgestattet, weil so viele bittere
Pflanzen Stoffe in sich tragen, die für uns Menschen giftig sind. 2006 hat man den
ersten genetischen Code eines Bitter-Rezeptors entschlüsselt. TAS 2R16 ist sein
pragmatisch-charmanter Name.
Bitter, das mag geschmacklich zwar interessant sein – bei Chicoreé, in Kräutern, im
Kaffee oder in manchen Schnäpsen – aber die meisten Menschen verbinden es eher
mit Unangenehmem. Wortkombinationen wie der bittere Nachgeschmack, bitterlich
weinen oder bitterböse bringen das ganz unmittelbar zum Ausdruck.
Die bitteren Qualen des Todes klingen in unserem nächsten Stück an. Henry Purcell
hat es geschrieben, im Jahr 1695, als Begräbnismusik für Königin Mary von England.
„Deliver us not into the bitter pain of death“ heißt der Text in der letzten Zeile: Setze
uns nicht den bitteren Schmerzen des Todes aus. Purcells Musik windet sich vor
diesen bitteren Schmerzen: Die Singstimmen arbeiten sich mühsam in
Halbtonschritten nach oben – besonders gut hört man es in der Sopranstimme, die
jäh abstürzt, als sie gerade auf dem Plateau des höchsten Tones angekommen ist.
Ausdrucksstärkere und gewagtere Musik findet man schwerlich in dieser Zeit.
CD Take 13
Henry Purcell: In the midst of life we are in death
aus den Funeral sentences
The Choir of the King’s Consort
The King’s Consort
Leitung: Robert King
Hyperion CDA66677, LC 7533
4’07
Musik über die Bitternis der Todesqualen: Eines der Funeral sentences von Henry
Purcell, Robert King leitete King’s Consort and Choir.
Umami ist japanisch und bezeichnet den herzhaften Geschmack von gebratenem
Fleisch oder von Suppenwürfeln. Im Biounterricht in der Schule habe ich von der
Geschmacksqualität Umami nie etwas gehört; auch mein altes HumanbiologieSchulbuch aus der 10. Klasse erwähnt es nicht. In der neueren Literatur über
Sinneswahrnehmungen findet man immerhin ein paar Informationen über umami: der
Geschmack wird durch Rezeptoren für Aminosäuren vermittelt und das japanische
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Wort heißt soviel wie wohlschmeckend oder lecker. Sojasauce und andere
Würzmittel bzw. Geschmacksverstärker schmecken umami, außerdem Tomaten,
Fleisch und Käse. „Asiaten“, so lese ich in einem Buch, „scheinen differenzierter als
Europäer über diesen Geschmack Auskunft zu geben.“
Ein bisschen mager, die Theorie. Da hilft es nur, beherzt zur Praxis zu schreiten, mit
einem Kochrezept für ein Hasen-Ragout: Leonard Bernstein hat es in einem
französischen Kochbuch gefunden und in Klang verwandelt – samt dieser
Vorbemerkung:
Wenn man sehr unter Zeitdruck steht, gibt’s hier ein empfehlenswertes Rezept für ein
Hasenragout. Man braucht dazu: einen Hasen, Schweinespeck in Würfeln, reichlich
Zwiebeln, etwas Salz und Pfeffer, eineinhalb Liter Rotwein.
(4) Civet à Toute
M0087957 01-026 Vitesse aus: La
bonne cuisine
Bernstein,
Bernstein,
Leonard
Leonard
Kammer,
Salome;
1'14
Spring, Rudi
Das schmeckt vermutlich umami – herzhaft geröstet (und ganz ohne Glutamat): Ein
Rezept für ein schnelles Hasenragout, komponiert von Leonard Bernstein,
prestissimo nachgekocht von Salomé Kammer und Rudi Spring.
Jetzt sind durch – einmal durch die fünf Geschmacksqualitäten sauer und süß, bitter,
salzig und umami. Und können jetzt mit vollem Bewusstsein für Aromen und
Geschmacksrezeptoren mit dem Komponisten Carl Zöllner ins Restaurant gehen. Mit
dem „Speisezettel“ entführt er uns in ein akustisches Schlaraffenland, in dem die
Geschmacksnuancen abwechslungsreich miteinander kombiniert sind.
Der Speisezettel.
Ein Scherz für 4
M0279789 01-011
Männerstimmen
(MännerVokalensemble a
Zöllner, Carl Zöllner,
Friedrich N. Carl
N.
Friedrich
Ensemble
Amarcord;
2'40
cappella)
Vegetarier sind hier fein raus – sie halten sich am besten an den ostinaten Salat und
die Kartoffelklöße. Allen anderen spannt der Bauch von den Fleischbergen, die hier
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aufgetischt wurden: Im „Speisezettel“ von Carl Friedrich Zöllner. Das Ensemble
Amarcord sang.
Geschmack ist ja nicht nur eine Sache der Zunge, sondern auch eine ästhetische
Kategorie – zugegeben, eine schwammige und letztlich doch sehr individuelle und
kontextbezogene. In der Musiktheorie des 18. Jahrhunderts war das anders und
wesentlich konkreter: Da unterschied man klar zwischen dem strengen, nüchternen
französischem Geschmack und dem spielerisch-überbordenden, melodiebetonten
italienischen Geschmack. Die Kennzeichen der beiden nationalen musikalischen
Geschmäcker schildert zum Beispiel Johann Joachim Quantz in seiner Flötenschule.
Zusätzlich gibt es eine Mischform, „den vermischten Geschmack“ – der ist typisch für
die Musik in Deutschland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Komponisten
nehmen sich das jeweils Passende aus der Musik aus Italien und Frankreich heraus
– Formen wie das italienische Concerto zum Beispiel, oder die französische
Ouvertüre oder auch die Tänze Frankreichs – und das kombinieren sie dann mit ihrer
eigenen Tradition, die sich von den Nachbarn vor allem durch einen ausgeprägten
Hang zum Kontrapunkt abhebt und zu Fugentechniken aller Art. Der vermischte
Geschmack, so findet Quantz, ist der beste, weil er nur mit den erlesensten Zutaten
arbeitet und sie so kombiniert, dass für jeden etwas dabei ist, woran er Gefallen
findet.
Georg Philipp Telemann ist einer der begeisterten Geschmacksvermischer seiner
Zeit. Zusätzlich zu den italienischen, französischen und deutschen Zutaten
verwendet er auch gerne volksmusikalische Elemente, die er in seiner Zeit als
Hofmusiker in Polen kennengelernt hat. Das hört man zum Beispiel in seinem
Doppelkonzert für Blockflöte und Traversflöte. Hier ist zum Abschluss dieser
Musikstunde das Finale daraus:
4. Satz: Allegro aus:
Konzert für
M0305527 01-020
Blockflöte, Flöte,
Streicher und Basso
continuo e-Moll,
TWV 52:el
Freiburger
Telemann,
Barockorchester;
Georg
Lehmann, Isabel;
Philipp
Kaiser, Susanne; Goltz,
Gottfried von der
2'37
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