Dolly und das Embryonenschutzgesetz

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Detlev von Bülow
M
ußte denn ausgerechnet ein
weibliches Schaf den Beweis dafür erbringen, daß
Männer von Natur aus
überflüssig sind? Es verzichtete für
die Erzeugung seines Nachwuchses
auf den männlichen Artgenossen und
ließ sich, darf man einem Bericht eines britischen Forscherteams in der
Zeitschrift „Nature“ glauben, aus seinem Euter Zellen entnehmen und deren Zellkerne in vorher entkernte Eizellen anderer Schafe einbringen. Eine dieser so manipulierten Zellen
wurde alsdann – so wie es sonst nach
einer erfolgreichen extrakorporalen
Befruchtung geschieht – auf ein weiteres Schaf übertragen, welches nach
der entsprechenden Tragezeit das inzwischen weltweit bekannte Lamm
„Dolly“ zur Welt gebracht hat (1). Da
steht es nun, ein genetisch getreues
Abbild jenes Tieres, dem die Zellen
aus seinem Euter entnommen worden waren. Und natürlich schaut uns
Dolly über das Fernsehen und in den
Zeitungen mit großen, unschuldigen
Augen an (was, wie die Frankfurter
Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe
vom 26. Februar [Seite 35] feststellt,
zur Verharmlosung des ganzen Vorgangs beitragen kann). Denn über
die evolutionsbiologischen, ethischen
und juristischen Probleme, die mit ihrer Herkunft verbunden sind, mögen
sich andere ihre Gedanken machen,
insbesondere auch darüber, ob das,
was beim Säugetier gelungen ist,
nicht ebenso auch beim Menschen
möglich sein müßte; ein ernsthafter
Zweifel hieran kann eigentlich nicht
bestehen. So fragt man sich denn
auch nur, ob der Forscher der Versuchung widerstehen wird, künftig einmal Menschen nach seinem Bilde zu
schaffen.
Damit aber ist zugleich die Tragweite dessen angedeutet, was hier vor
wenigen Monaten in Schottland seinen Anfang genommen hat. So ist es
denn auch kein Zufall, daß sich verantwortungsbewußte Persönlichkeiten in aller Welt heute die Frage nach
den Grenzen des in der FortpflanA-718
Dolly und das
Embryonenschutzgesetz
zungsmedizin ethisch noch Vertretbaren stellen; allen voran der Präsident
der Vereinigten Staaten, der alsbald
nach Bekanntwerden des schottischen Experiments den Bericht einer
Bioethik-Kommission
angefordert
hat. In Deutschland wiederum sind
die von der Problematik besonders
betroffenen Ressortminister sofort in
eine erste Prüfung eingetreten, ob
und inwieweit künftig möglich erscheinenden Mißbräuchen im Humanbereich mit den Mitteln des Strafrechts begegnet werden kann. So wird
in einer Pressemitteilung des Bundesministers der Justiz vom 26. Februar
1997 bereits darauf hingewiesen, daß
in Deutschland das am 1. Januar 1991
in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz (ESchG) die künstliche Erzeugung genetisch identischer Menschen
strafrechtlich verboten hat. Unabhängig davon werde aber noch geprüft,
ob das britische Experiment Anlaß
für ergänzende strafrechtliche Regelungen biete.
Strafrechtliche
Beurteilung
Auch die nachfolgende – innerhalb eines kurzen Bearbeitungszeitraums durchgeführte und deshalb
notgedrungen kursorische – Prüfung
des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs führt zu dem Ergebnis, daß das
Klonen eines Menschen auf dem bei
der Erzeugung des Schafes Dolly beschrittenen Wege von dem Klonierungsverbot des Embryonenschutzgesetzes erfaßt wird (dazu im einzelnen unter „Klonierungsverbot“). Der
entsprechende Mißbrauch der Möglichkeiten der heutigen Fortpflanzungsmedizin könnte damit jetzt
schon strafrechtlich geahndet werden.
Daß die entsprechende Strafvorschrift des Embryonenschutzgesetzes
dabei nur auf den Unrechtsgehalt abstellt, der in der künstlichen Erzeugung genetisch gleicher Menschen
liegt, vermag zwar im vorliegenden
Fall dogmatisch nicht zu befriedigen.
(26) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 12, 21. März 1997
Denn gerade auch die Verwerflichkeit, die darin liegt, auf unnatürlichem Wege einen Menschen mit einem einzigen Elternteil entstehen zu
lassen und schon dadurch den so entstandenen Menschen der naheliegenden Gefahr auszusetzen, in eine
Außenseiterrolle zu geraten und unter Umständen die Art seiner Herkunft ein Leben lang psychisch nicht
zu verkraften, sollte sich in dem
Straftatbestand widerspiegeln. Kriminalpolitisch aber kann es zunächst
einmal beruhigen, daß überhaupt
schon eine Strafvorschrift im Embryonenschutzgesetz vorhanden ist,
die das Klonen eines Menschen auf
dem von den britischen Forschern beschrittenen Weg erfaßt.
Das vorstehende Ergebnis bezieht sich indes nur auf Fallgestaltungen im Humanbereich, die in ihrer
Ausgestaltung unmittelbar dem britischen Vorgehen bei dem eingangs geschilderten Tierexperiment entsprechen. Bei der Prüfung der Frage, ob
aufgrund der neuen Möglichkeiten
der Fortpflanzungsmedizin gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht,
wird man aber auch schauen müssen,
welche
Mißbrauchsmöglichkeiten
sonst noch im Zusammenhang mit
den neuen Techniken gegeben sind,
denen mit dem bisherigen Instrumentarium des Embryonenschutzgesetzes
unter Umständen noch nicht hinreichend begegnet werden kann. Hier
stellt sich vor allem die Frage, ob das
Gesetz in ausreichender Weise genetische Manipulationen erfaßt, die
gleichzeitig mit einer Klonierung vorgenommen werden. Denn der Forscher, der in seiner Hybris nicht einmal davor zurückschreckt, Menschen
zu klonen, wird erst recht keine Hemmungen haben, kleine Schönheitsfehler des von ihm zu klonenden Menschen durch entsprechende Genmanipulationen zu vermeiden. Ein Gesetzgeber, der es für erforderlich hält, das
Klonen strafrechtlich zu verbieten,
wird konsequenterweise deshalb auch
die im Zusammenhang mit dem Klonen in Betracht kommende Genmani-
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pulation strafrechtlich zu erfassen suchen (dazu im einzelnen unter „Strafrechtliche Beurteilung“).
Ein Problemkreis, der mit dem
Stichwort „totipotente Zellen“ angedeutet sein mag, wird sicherlich noch
vertiefter Erörterung bedürfen. Vor
allem werden die sich hier stellenden
Fragen nur in einer interdisziplinären
Zusammenarbeit beantwortet werden können. Der vorliegende Beitrag
muß sich deshalb darauf beschränken, den sich insoweit aus der Sicht
des Juristen ergebenden Diskussionsbedarf darzustellen (dazu unter „Problematik der totipotenten Zellen“).
Zum
Klonierungsverbot
Nach § 6 Abs. 1 ESchG macht
sich strafbar, „wer künstlich bewirkt,
daß ein menschlicher Embryo mit der
gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Foetus, ein
Mensch oder ein Verstorbener entsteht“.
Der vorstehende Tatbestand
dürfte damit auf Fallgestaltungen, die
im Humanbereich in ihrer Ausgestaltung unmittelbar dem Vorgehen der
britischen Forscher bei ihrem Tierexperiment entsprechen, zur Anwendung gelangen. Denn da die als Trägerin der menschlichen Erbanlagen in
allen Zellen eines Menschen enthaltene DNA grundsätzlich (2) den gleichen, wenn auch nicht völlig identischen Aufbau besitzt, muß auch die
einem Menschen zum Zwecke der
Einbringung in eine fremde – entkernte – Eizelle entnommene Körperzelle in ihrem Zellkern die gleichen genetischen Informationen enthalten wie alle übrigen Zellen einer
Person. Kommt es nach der Einbringung des Zellkerns der entnommenen
Körperzelle in die zur Verfügung stehende – entkernte – Eizelle zu Zellteilungen, wie sie sich unter nicht künstlichen Bedingungen nach der Befruchtung der Eizelle vollziehen, so
werden auch alle Zellen des sich entwickelnden Kindes die gleichen Erbinformationen enthalten wie diejenigen, die der Kern der Körperzelle enthielt, welche der Person entnommen
worden war. Oder mit anderen Worten: Das Kind wird dann auch nur
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Zellen besitzen, welche die gleichen
Erbinformationen besitzen wie die
Zellen der Person, von der die für die
Klonierung verwendete Körperzelle
stammte. Damit aber dürfte der Forscher im Sinne des § 6 Abs. 1 ESchG
bewirkt haben, daß ein Embryo mit
der gleichen Erbinformation wie der
eines bereits vorhandenen Menschen
entstanden ist.
In den Stellungnahmen zu dem
britischen Experiment ist nach einer
dpa-Meldung vom 3. März 1997 gegen
eine daraus resultierende Strafbarkeit
des Forschers seitens des Direktors
des Instituts für Humangenetik und
medizinische Biologie in Halle, Ingo
Hansmann, eingewandt worden, daß
der für das Klonen verwendete Zellkern der menschlichen Körperzelle
nur 99 Prozent der Erbinformationen
des Nachkommens enthalte; ein Prozent dagegen stamme „von den Mitochondrien, Organellen innerhalb der
Zellen, aber außerhalb des Zellkerns“. Somit sei ein geklontes Lebewesen niemals absolut identisch mit
dem Spender des Zellkerns, so daß § 6
Abs. 1 ESchG hier nicht eingreifen
könne.
Dazu ist zu sagen, daß das geltende Recht diesem Einwand bereits
Rechnung trägt, indem § 6 Abs. 1
ESchG ausdrücklich nicht das Entstehen eines Embryos mit „derselben“
Erbinformation wie der der Spenderin des Zellkerns verlangt, sondern es
genügen läßt, daß ein Embryo mit
„gleicher“ Erbinformation entsteht.
Die Auslegung des Merkmals der
„gleichen Erbinformation“ in einer
Vorschrift, die sich entsprechend ihrer Überschrift auf das „Klonen“ bezieht, wird im übrigen nicht zuletzt
auch davon abhängig sein, welchen
Inhalt – auch im internationalen Bereich – dem Begriff des Klonens beigemessen wird.
Bei der Prüfung der Frage, ob im
Einzelfall ein Embryo mit „gleicher“
Erbinformation entstanden ist wie
der der Spenderin der Körperzelle,
wird man nach dem Zweck der Vorschrift allerdings einen strengen Maßstab anzulegen haben. Da der Gesetzgeber seinerzeit vor allem ein Bedürfnis sah, die künstliche Erzeugung von
Mehrlingen nach einer Entnahme
noch „totipotenter“ Zellen eines
menschlichen Embryos zu verhin-
(28) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 12, 21. März 1997
dern, wird man den Tatbestand des
§ 6 Abs. 1 ESchG grundsätzlich wohl
auch nur dann als erfüllt ansehen können, wenn der geklonte Embryo in
seinen Erbanlagen der Spenderin der
Körperzelle in ihren Erbanlagen weitgehend so gleicht, wie dies auch bei
der künstlichen Entstehung von
Mehrlingen nach der Entnahme totipotenter Zellen eines Embryos der
Fall ist.
In der öffentlichen Diskussion
sind aber noch aus einem weiteren
Grunde Zweifel geäußert worden, ob
das britische Experiment im Fall seiner entsprechenden Durchführung
am Menschen nach § 6 Abs. 1 ESchG
strafbar sei. So ist in der öffentlichen
Diskussion zum Teil aus dem Umstand, daß § 6 Abs. 1 ESchG auf den
durch das Klonen entstandenen Embryo abstelle, der Schluß gezogen
worden, der Schutz des Gesetzes erstrecke sich nur auf Embryonen bis
zum 14. Tage ihrer Entwicklung, wobei für diesen Zeitraum auf die enge
Definition des Embryos in § 8 Abs. 1
ESchG hingewiesen wird (die Äußerungen in den Medien sind zu diesem
Punkt zum Teil sehr unklar).
Dazu wiederum ist zu sagen:
Soweit sich die in § 8 Abs. 1
ESchG enthaltene Begriffsbestimmung zum menschlichen Embryo
äußert, erfaßt sie allerdings nicht den
Embryo, der sich aus einem in eine
entkernte Eizelle transferierten Zellkern einer menschlichen Körperzelle
entwickelt. In § 8 Abs. 1 ESchG heißt
es vielmehr: „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits
die befruchtete, entwicklungsfähige
menschliche Eizelle vom Zeitpunkt
der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen
der dafür erforderlichen weiteren
Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.“ Im hier zu behandelnden Fall
entwickelt sich die Frucht nun allerdings weder aus einer befruchteten Eizelle noch aus einer einem Embryo
entnommenen totipotenten Zelle, so
daß die Annahme, daß die sich aus
der transferierten Körperzelle entwickelnde Frucht zu Beginn dieser
Entwicklung einen Embryo im Sinne
des § 6 Abs. 1 ESchG darstellt, in der
Tat nicht unmittelbar auf die Begriffs-
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bestimmung des § 8 Abs. 1 ESchG gestützt werden kann. Andererseits wird
man aber auch nicht aus der Begriffsbestimmung des § 8 Abs. 1 ESchG den
umgekehrten Schluß ziehen können,
daß als Embryonen im Sinne des Embryonenschutzgesetzes nur die in § 8
Abs. 1 ESchG als solche bezeichneten
Embryonen gemeint sind. Daß dies
vom Gesetzgeber nicht gewollt war,
zeigt schon die Fassung des § 8 Abs. 1
ESchG, bei der es vor allem mit Rücksicht auf den im internationalen Bereich anzutreffenden unterschiedlichen Sprachgebrauch (zum Beispiel
der Bezeichnung der Frucht vor dem
Zeitpunkt der Nidation als „Präembryo“) nur darum ging, ausdrücklich klarzustellen, daß „bereits“
die befruchtete, entwicklungsfähige
menschliche Eizelle vom Zeitpunkt
der Kernverschmelzung an als Embryo im Sinne des Gesetzes zu gelten
habe. Durch das Wort „bereits“ wird
schon hinreichend deutlich,
daß insoweit keine abschließende Definition des
Embryos beabsichtigt war.
Allenfalls könnte es vielleicht zweifelhaft sein, ob
der Gesetzgeber für die
Frühphase der embryonalen
Entwicklung, für die er ein
Bedürfnis nach einer klarstellenden Regelung gesehen hatte, eine abschließende Regelung in § 8 Abs. 1
ESchG getroffen hat. Indes
wird man auch dies verneinen können, da es dem Gesetzgeber nach der Ratio
des Embryonenschutzgesetzes, den menschlichen Embryo umfassend ab Anbeginn seiner Entwicklung
zu schützen, mit Sicherheit nicht darum gegangen ist, sich entwickelndes
menschliches Leben aus dem strafrechtlichen Schutz herauszunehmen,
mag dieses Leben wie auch immer entstanden sein.
Wenn sich demnach § 8 Abs. 1
ESchG auch für die Frühphase der
embryonalen Entwicklung nicht als
abschließende Regelung erweist, so
dürfte es sich doch empfehlen, bei einer Novellierung des Embryonenschutzgesetzes die genannte Vorschrift an die neuen Entwicklungen
im Bereich der Fortpflanzungsmedizin anzupassen. Vor allem erscheint es
wünschenswert, ausdrücklich klarzustellen, von wann ab bei der hier in
Betracht kommenden Fallgestaltung
von einem Embryo im Sinne des § 6
Abs. 1 ESchG gesprochen werden
kann, zumal der bei der extrakorporalen Befruchtung maßgebliche Zeitpunkt einer Kernverschmelzung innerhalb der befruchteten Eizelle hier
nicht zur Verfügung steht. Die notwendige Klarstellung müßte sich dabei dann auch auf § 8 Abs. 2 ESchG
erstrecken.
Ein Bedürfnis für eine entsprechende Klarstellung ist nach den Erfahrungen mit den in den USA bereits
durchgeführten Versuchen, menschliche Embryonen im Frühstadium ihrer
Entwicklung durch Abspaltung totipotenter embryonaler Zellen zu klonen, die so erzeugten Embryonen
dann aber nicht austragen zu lassen,
durchaus gegeben. Denn ebenso
könnten Forscher auf den Gedanken
kommen, die Möglichkeiten, die sich
beim Klonen eines Schafes in Schottland gezeigt haben, auch im Humanbereich zu erproben, ohne dabei auch
schon die Hemmschwelle zu überschreiten, die zusätzlich gegenüber einer Austragung der durch die Manipulation entstandenen Frucht gegeben sein dürfte.
Als Ergebnis der vorliegenden
Prüfung läßt sich also, wie schon in
der Vorbemerkung erwähnt, festhalten, daß das Klonen eines Menschen
auf dem vom britischen Forscherteam
bei der Erzeugung des Schafes Dolly
beschrittenen Wege von dem Klonierungsverbot des Embryonenschutzgesetzes erfaßt sein dürfte.
Klonierung
und Gentransfer
In der Vorbemerkung ist bereits
die Vermutung geäußert worden, ein
Forscher, der sich in seiner Hybris dazu hingebe, Menschen zu klonen, werde erst recht keine Hemmungen haben, vermeintliche „Schönheitsfehler“ des von ihm zu klonenden Menschen durch entsprechende Genmanipulationen zu vermeiden. Je einschneidender die durch einen entsprechenden Gentransfer bewirkten
Veränderungen der Erbinformation
der für das Klonen vorgesehenen
Körperzelle sind (man denke etwa an
den Gentransfer in solche Abschnitte
der DNA, die für das äußere Erscheinungsbild bedeutsam sind), desto
problematischer dürfte es sein, auch
dann noch im Sinne des § 6 Abs. 1
ESchG davon zu sprechen, daß der
Forscher hier das Entstehen eines
menschlichen Embryos mit „gleicher“ Erbinformation wie der des
Menschen, von dem die zu Klonierungszwecken entnommene Körperzelle stammt, bewirkt habe. Eine Bestrafung wegen Verstoßes gegen das
in § 6 Abs. 1 ESchG enthaltene Klonierungsverbot wäre dann ausgerechnet in diesem besonders krassen Fall zu verneinen. Und nicht nur
dies. Auch das Verbot des § 5 Abs. 1
ESchG, das Manipulationen am
menschlichen Erbgut verhindern will,
könnte künftig möglicherweise mit
Hilfe der neuen Fortpflanzungsmethoden unterlaufen werden. Denn da
§ 5 Abs. 1 ESchG die Strafbarkeit
von der künstlichen Veränderung
menschlicher Keimbahnzellen abhängig macht, dürfte die Vorschrift sowohl ihrem Wortlaut nach als auch
nach der in § 8 ESchG enthaltenen
Begriffsbestimmung der Keimbahnzellen („Keimbahnzellen im Sinne
dieses Gesetzes sind alle Zellen, die in
einer Zell-Linie von der befruchteten
Eizelle bis zu den Ei- und Samenzellen des aus ihr hervorgegangenen
Menschen führen, ferner . . .“) selbst
dann nicht auf den Gentransfer in
menschliche Körperzellen anwendbar sein, wenn die entsprechend manipulierten Zellen später durch Einbringung in entkernte menschliche
Eizellen zur Entstehung neuen
menschlichen Lebens genutzt werden
Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 12, 21. März 1997 (29)
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sollen. Allein die Ratio der Vorschrift, Manipulationen am menschlichen Erbgut zu verhindern, vermag
eine extensive Auslegung des in § 5
Abs. 1 ESchG enthaltenen Merkmals
„Keimbahnzellen“ dahingehend, daß
auch normale Körperzellen vor ihrer
Einbringung in eine entkernte Eizelle
bereits „Keimbahnzellen“ seien, nicht
zu erlauben. Das aus Art. 103 Abs. 2
des Grundgesetzes abgeleitete Analogieverbot stünde einer solchen Interpretation entgegen. Sie würde im
Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über den „erkennbaren Wortsinn der Vorschrift“
hinausgehen (3).
Allenfalls wird man die Entkernung einer menschlichen Eizelle und
die nachträgliche Einfügung des Zellkerns einer menschlichen Körperzelle
noch unter das Merkmal des Veränderns einer Keimbahnzelle subsumieren können. Dies erscheint aber
schon deshalb nicht zweifelsfrei, weil
die Eizelle schon vom Zeitpunkt ihrer
Entkernung an ihren Charakter als
Keimbahnzelle verloren haben dürfte.
Sofern aus embryologischer
Sicht davon ausgegangen werden
kann, daß das Klonen eines Menschen entsprechend dem in Schottland aufgezeigten Weg die Einbringung des hierfür verwendeten Zellkerns in eine menschliche Eizelle
voraussetzt, eine künstliche Alternative insoweit zumindest auf lange
Sicht nicht möglich erscheint, so
könnte ein Unterlaufen des in § 6
Abs. 1 ESchG enthaltenen Verbots
durch einen gleichzeitigen Gentransfer wohl schon dadurch erreicht werden, daß man generell die Einbringung eines Zellkerns einer menschlichen Zelle in eine entkernte Eizelle
untersagt. Es müßte aber zuvor sichergestellt sein, daß keine vertretbaren Gründe gegen eine solche umfassende und zugleich den Vorteil
großer Einfachheit besitzende Regelung bestehen.
Sollte sich dieser Weg als nicht
gangbar erweisen, müßte wohl das
Embryonenschutzgesetz um einen
speziellen Tatbestand ergänzt werden, der generell verbietet, das Entstehen eines menschlichen Embryos
zu bewirken, ohne daß es hierbei zu
einer Befruchtung einer menschlichen Eizelle durch eine menschliche
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Samenzelle kommt. Diese Fassung
hätte wiederum den Vorteil, daß sie
noch deutlicher als die erste Alternative den Unrechtsgehalt berücksichtigen würde, der darin liegt, auf unnatürlichem Wege einen Menschen zu
schaffen, der – genetisch gesehen –
nur einen Elternteil besitzt und der –
wie schon in der Vorbemerkung angedeutet – die Art seiner Herkunft unter
Umständen ein Leben lang psychisch
nicht zu verkraften vermag. Auch
würde eine entsprechende Norm, die
sich gegenüber dem Verbot des § 6
ESchG als spezielle Norm (mit entsprechend hoher Strafdrohung) erweisen würde, die Gerichte von der
Schwierigkeit befreien, die in Fällen
zusätzlicher Genmanipulationen bei
der Anwendung des § 6 Abs. 1 ESchG
(Problem der „gleichen“ Erbinformation) entstehen könnte.
Wenn auch beide Alternativen sicherstellen würden, daß in Fällen, in
denen im Zusammenhang mit einer
Klonierung eine Genmanipulation an
der entnommenen Körperzelle durchgeführt wird, nunmehr eine angemessene Bestrafung über den neuen Tatbestand erfolgen kann, so dürfte es
sich nicht nur aus dogmatischen
Gründen wohl doch empfehlen, auch
die §§ 5 ESchG (künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen)
und 8 Abs. 3 (Begriffsbestimmung der
Keimbahnzellen) umfassend an die
neuen Entwicklungen der Fortpflanzungsmedizin anzupassen, auch wenn
dies schwieriger als die Ergänzung des
§ 6 ESchG sein wird. Jedenfalls müßte sichergestellt sein, daß die in diesem Beitrag behandelten Manipulationen auch über § 5 ESchG bestraft
werden können.
Problematik der
totipotenten Zellen
Noch während der Vorarbeiten
zum Embryonenschutzgesetz war
man davon ausgegangen, daß
menschliche Zellen nur während der
ersten Zellteilungsstadien in dem
Sinne totipotent seien, daß sich aus ihnen unter bestimmten Voraussetzungen (Entnahme und Einbringung in
eine entkernte menschliche Eizelle)
selbständiges menschliches Leben zu
entwickeln vermöge. Ob diese Auf-
(32) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 12, 21. März 1997
fassung nach dem Klonierungsexperiment in Großbritannien noch aufrechterhalten werden kann, erscheint
zweifelhaft.
Obwohl die menschlichen Zellen
des einzelnen Individuums in ihrer
DNA – zumindest grundsätzlich – die
gleichen Erbinformationen aufweisen, nehmen sie im Verlaufe der sich
während der embryonalen und fötalen Entwicklung vollziehenden Differenzierung sowie danach jeweils unterschiedliche Aufgaben wahr. Es ist
dafür Sorge getragen, daß jeweils nur
diejenigen Gene – also diejenigen
Teilstücke der DNA – aktiviert werden, die nach der Differenzierung jeweils „vor Ort“ benötigt werden. Welche komplizierten Vorgänge im Körper allerdings dafür verantwortlich
sind, daß jeweils zur rechten Zeit –
man denke nur an Reifungsprozesse –
und am rechten Ort – die Haare sollten tunlichst nicht auf den Zähnen
wachsen – die im Einzelfall benötigten Gene aktiviert werden, ist Gegenstand intensiver Forschung.
Ausgerechnet für einen außerordentlich problematischen Teilbereich
dürfte dies indes nicht mehr in gleicher Weise gelten. Das aus der Sicht
der britischen Forscher erfolgreich
durchgeführte
Klonierungsexperiment läßt nämlich erwarten, daß es
der Forschung in absehbarer Zeit
auch gelingen wird, die der Klonierung zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten voll zu erfassen und damit auch die fragwürdige Möglichkeit
zu schaffen, gezielt die im Kern einer
Körperzelle enthaltene DNA nach
Einbringung dieses Kerns in eine wiederum entkernte Eizelle so zu aktivieren, daß sie – im Sinne der früheren
Vorstellungen – diejenigen Aufgaben
zu erfüllen vermag, die bei der normalen embryonalen Entwicklung von
den im Frühstadium noch „totipotenten“ Zellen des Embryos wahrgenommen werden.
Spätestens seit den britischen Experimenten wird man wohl davon
ausgehen müssen, daß eine derartige
Aktivierung der in der explantierten
Körperzelle enthaltenen Gene derzeit nur im Wege einer Interaktion
zwischen dem Kern der explantierten
Körperzelle und der entkernten Eizelle, in welche man den Kern der Eizelle eingebracht hat, möglich ist.
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Das Neue an der Klonierung von Dolly
Unter Klonierung versteht man die Vervielfachung einer definierten Zelle
beziehungsweise eines Organismus. Hierzu bestehen bei Säugetieren momentan zwei Möglichkeiten: die schon länger bekannte Variante nutzt die Fähigkeit
von einzelnen totipotenten Zellen aus, einen vollständigen Organismus zu entwickeln. Die Fähigkeit zur Totipotenz verlieren die embryonalen Zellen allerdings nach den ersten Zellteilungen. Mit dieser Technik können aus einer befruchteten Eizelle mehrere Nachkommen erzeugt werden, die eineiigen Geschwistern entsprechen und die somit das neu kombinierte Erbgut der Eltern
besitzen. Die neue Alternative, die bei der Klonierung von Dolly angewandt
wurde, beschreitet hingegen einen anderen Weg. Hier wurden Zellkerne differenzierter Körperzellen in entkernte unbefruchtete Eizellen transferiert. Die
Konsequenz ist, daß der so entstandene Organismus mit der Spenderzelle, abgesehen von der aus der Eizelle stammenden mitochondrialen DNA, identisch
ist. Kommerziell ist diese Technik besonders für die Vervielfältigung von transgenen Tieren („Bioreaktoren“) interessant, die ein bestimmtes menschliches
Protein, beispielsweise einen Blutgerinnungsfaktor, produzieren.
me
Außerdem scheint es offenbar entscheidend auch darauf anzukommen,
daß sich die entkernte Eizelle wie
auch die zu verwendende somatische
Spenderzelle in einer für die entsprechende Aktivierung der Gene optimalen Entwicklungsphase befindet.
Wenn dies richtig ist, könnte die
dem § 8 Abs. 1 ESchG zugrundeliegende Vorstellung, nach der Zellen eines Embryos im Stadium der ersten
Zellteilungen eine gegenüber den
Körperzellen besondere Eigenschaft
der Totipotenz besitzen, fraglich werden. Da die Zellen des Embryos ohnehin die gleiche genetische Information besitzen wie die in einer späteren Entwicklungsphase entstandenen
Körperzellen, könnte in der Tat einiges dafür sprechen, daß potentiell alle
Zellen des Menschen von ihrer gesamten Erbinformation her die Aufgaben ausführen könnten, die bislang
nur den frühen embryonalen Zellen
zuerkannt worden waren. Entscheidend käme es nur darauf an, daß die
Interaktion mit der entkernten Eizelle in optimaler Weise, das heißt in einer optimalen Entwicklungsphase der
Ei- und der Spenderzelle erfolgen
kann.
Ist dies tatsächlich der Fall, so
dürften sich die einem menschlichen Embryo im Frühstadium seiner
Entwicklung entnommenen und von
der Begriffsbestimmung des § 8 Abs. 1
ESchG erfaßten Zellen letztlich ihrem
Wesen nach allein noch durch die aus
neuen väterlichen und mütterlichen
Anteilen zusammengesetzte Erbin-
formation, nicht mehr aber durch die
sogenannte „Totipotenz“ von dem in
eine entkernte Eizelle eingebrachten
Kern einer Körperzelle unterscheiden. Ob sich damit auch die Einstellung zu den einem Embryo in einem
frühen Zellteilungsstadium entnommenen Zellen – das Gesetz definierte
diese in § 8 Abs. 1 ESchG grundsätzlich schon vor dem Transfer in eine
entkernte Eizelle als menschliche
Embryonen – ändern wird, bleibt abzuwarten.
Sollte sich der Gesetzgeber allerdings dafür entscheiden, nicht mehr
schon die dem Embryo entnommene
Zelle vor ihrem Transfer als neuen
Embryo zu bezeichnen, sondern die
Embryoneneigenschaft davon abhängig zu machen, daß die Zellkerne der
einem Embryo entnommenen Zellen
bereits in entkernte Eizellen eingefügt und deren Erbinformationen in
einer Weise aktiviert worden sind, wie
dies für die Entwicklung eines Embryos erforderlich ist, würde dies von
einer erheblichen Tragweite sein. Insbesondere würde sich dies auf die
Einstellung zur Präimplantationsdiagnostik, wie sie in den USA seit langem an frühen embryonalen Zellen
durchgeführt wird, auswirken; sie
würde dann auch in Deutschland
nicht mehr unter das Klonierungsverbot fallen.
Im Rahmen der vorliegenden
Untersuchung kann es nicht darum
gehen, voreilig zu den mit dem Stichwort „totipotente Zellen“ aufgeworfenen vielschichtigen Problemen wer-
tend Stellung zu nehmen oder gar bestimmte Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Hinzu kommt, daß der Jurist
ohnehin hier der fachlichen Unterstützung durch die Embryologie bedarf. Es muß deshalb an dieser Stelle
genügen, Fragen aufgeworfen zu haben.
Schlußbemerkung
Die Entwicklungen im Bereich
der Fortpflanzungsmedizin haben
deutlich gemacht, daß wir in immer
stärkerem Maße geneigt sind, das Leben – sei es des Menschen, sei es des
Tieres – als Ergebnis technisch lösbarer Aufgaben zu sehen. Wir meinen,
zunehmend nicht nur zu wissen, was
Leben beendet, sondern auch, was
Leben „technisch“ bedingt. Und damit laufen wir zwangsläufig auch Gefahr, die Ehrfurcht vor dem Leben
und insbesondere auch die Achtung
vor der Würde des Menschen zu verlieren. Dabei gibt es für uns auf dem
Weg des Forschens sicher keinen Weg
zurück. Vielleicht führt er uns eines
Tages aber bis zu jener Grenze, an der
wir erkennen, daß wir über die wirklich entscheidenden Dinge nur allzu
wenig wissen: daß wir zwar viele Detailkenntnisse über das Entstehen des
Lebens haben, aber auf die entscheidende Frage, was Leben ist, keine
Antwort zu geben vermögen. Vielleicht mag das denn der Augenblick
sein, in dem wir uns wieder unserer
Grenzen bewußt werden und wieder
die Ehrfurcht vor dem Leben gewinnen, die uns heute zuweilen verlorengegangen scheint.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-718–725
[Heft 12]
Literatur
1. Wilmut I, Schnieke AE, McWhir J, Kind AJ,
Campell KHS: Viable offspring derived
from fetal and adult mammalian cells. Nature 1997; 385: 810-813.
2. Winnacker, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Februar 1997; Seite 39.
3. Vgl. dazu BVerfGE 47, 109, 121; 71, 108, 115.
Anschrift des Verfassers
Detlev von Bülow
Ministerialdirigent a. D.
Hangweg 73
53757 St. Augustin
Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 12, 21. März 1997 (33)
A-725
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