Georg Glaeser · Hannes F. Paulus · Werner Nachtigall Die Evolution des Fliegens Ein Fotoshooting Die Evolution des Fliegens – Ein Fotoshooting Georg Glaeser Hannes F. Paulus Werner Nachtigall Die Evolution des Fliegens – Ein Fotoshooting Georg Glaeser Abteilung Geometrie Universität für Angewandte Kunst Wien Wien, Österreich Werner Nachtigall Universität des Saarlandes Saarbrücken, Deutschland Hannes F. Paulus Department für Integrative Zoologie Universität Wien Wien, Österreich ISBN 978-3-662-49898-9 DOI 10.1007/978-3-662-49899-6 ISBN 978-3-662-49899-6 (eBook) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Berlin Heidelberg 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Einbandabbildung: Georg Glaeser Planung: Stefanie Wolf Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Springer ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Berlin Heidelberg Vorwort v Ein Autoren-Trio Dieses Buch ist ähnlich aufgebaut wie das Vorgängerbuch „Die Evolution des Auges“. Wieder gilt: Evolution im Tierreich als solche kann man nicht fotografieren, wohl aber ihre Ergebnisse. In diesem Fall haben wir uns auf das Fliegen spezialisiert, das im Tierreich mehrfach unabhängig „erfunden“ wurde. Diesmal hat sich der Mathematiker und leidenschaftliche Tierfotograf Georg Glaeser mit dem erfahrenen Evolutionsbiologen Hannes Paulus und dem Bewegungsphysiologen und Flugbiophysiker Werner Nachtigall zusammengetan, um die Thematik mit Bildern und Worten verständlich, aber wissenschaftlich fundiert aufzuarbeiten. Naturgemäß ergeben sich damit neben den rein biologischen Darstellungen auch Aspekte der Technischen Biologie. Diese Disziplin beschreibt und erklärt Formen und Vorgänge der Natur unter Einbeziehung von physikalisch-technischem Know-how. Gerade für ein tieferes Verständnis des Tierflugs können Gesichtspunkte und Kenngrößen aus der technischen Flugphysik äußerst hilfreich sein, auch wenn es sich nur um einfache und grundlegende Vergleiche handelt. Anregungen aus der Biologie, die in die Technik hineinwirken („Bionik“) können sich auch ergeben; sie werden in diesem Buch aber nicht näher thematisiert. Fotos nicht nur nach biologischen Gesichtspunkten Wieder stammen praktisch alle Fotos (und diesmal auch das Layout) von Georg Glaeser. Er fotografiert Tiere mit Empathie und unter künstlerischen (manchmal sogar mathematischen) Gesichtspunkten und nicht etwa „zoologisch möglichst leicht bestimmbar“. Der Flug des Skarabäus (Pillendreher) auf Seite ii oder der Rauchschwalbe ist nicht nur flugtechnisch interessant (beim Käfer sieht man schön, wie die Flügel bei geschlossenen Flügeldecken agieren). Schatten und Spiegelung der Oberfläche geben Zusatzinformationen preis. Bei den vielen Fotos, die der Fotograf von Pillendrehern gemacht hat, fällt auf, dass die Tiere sich gerne vor dem Abflug so drehen, dass die Sonne im Rücken steht – und der Schatten somit symmetrisch ist. Es geht dabei wahrscheinlich um Orientierung am Himmel, und sicher ist das schon den alten Ägyptern aufgefallen, die den Käfer mit ihrem Sonnengott in Verbindung brachten. Manche Tiere mussten gezeichnet werden Wie alle Tiere haben sich auch die flugfähigen unter ihnen im Laufe von vielen Millionen von Jahren entwickelt. Im Karbon schwirrten bereits riesige Libellen durch die Luft, Vögel entwickelten sich in der Jurazeit, Flugsaurier tauchten erst später auf und verschwanden am Ende der Kreidezeit. Viele dieser Tiere kann man heute nur noch rekonstruieren und „nachzeichnen“. Dies hat dankenswerterweise der Künstler Markus Roskar übernommen. Er hat auch Tiere wie fliegende Schlangen oder gleitende Ameisen dargestellt, weil diese nicht in hoher Fotoqualität zur Verfügung standen. vi Brillenblattnase (Carollia perspicillata) vii Oft „multiple Bilder“ Fliegen ist ein sehr dynamischer Prozess. Einzelne Schnappschüsse sind durchaus wichtig und mitunter sehr spektakulär. Für die vollständige Analyse der komplexen Bewegungsvorgänge braucht man aber oft „Animationen“ – zumeist Fotos, die in sehr kurzen Zeitabständen aufeinander folgen (manchmal auch Superzeitlupenfilme). Wenn es – wie im Bild in der linken Spalte – technisch leicht möglich ist, Bilder miteinander zu verschmelzen, wird dies gelegentlich auch getan. So können wir in einem Bild Bewegungsabläufe sehen. Verschiedene Blickwinkel zum Thema Dieses Buch kann so gelesen werden, dass der Leser genügend Beispiele entlang des Stammbaumes findet. Wir wollen hier zusätzlich und vor allem einen unterschiedlichen Weg gehen, der die Entwicklung des Fliegens aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und die verschiedenen Ergebnisse der Evolution vergleichend gegenüberstellt. Dies soll großteils mittels Fotos geschehen, gelegentlich ergänzt durch schematische Zeichnungen. Da die Fotos im Vordergrund stehen, sind die Texte stark gestrafft und sollen dennoch genügend Information vermitteln. Literaturangaben und Internetlinks Wer mehr zu den jeweiligen Themen erfahren möchte, findet Verweise auf einschlägige Fachliteratur bzw. Publikationen und ausgewählte Webseiten. Bei letzteren besteht allerdings die Gefahr, dass sich die Internetadressen ändern oder die Seiten nicht mehr vorhanden sind. Deshalb gibt es zum Buch eine begleitende Webseite, auf der solche Änderungen dokumentiert sind. Das Doppelseitenprinzip Das Buch muss nicht zwingend von vorne nach hinten gelesen werden, ist es doch nach dem „Doppelseitenprinzip“ aufgebaut. Es werden immer wieder Querverweise zu anderen Seiten angeführt. Um beim „Quereinsteigen“ mit diversen wissenschaftlichen Ausdrücken zurechtzukommen, sollte ein gelegentlicher Blick ins Stichwortverzeichnis helfen. Die unglaubliche Vielfalt Dieses Buch soll die unglaubliche Vielfalt des Fliegens in der Natur zeigen. Für die Mitarbeit am Buch danken wir in alphabetischer Reihenfolge und ohne akademische Titel Daniel Abed-Navandi, Gudrun Maxam, Axel Schmid und Sophie Zahalka. Frau Stefanie Wolf vom Springer Spektrum Verlag hat das Projekt sehr engagiert betreut. Bedingt durch die Limitierung der Seitenanzahl musste eine sehr strenge Auswahl an Fotos getroffen werden. Auf der Internetseite zum Buch finden Sie jedoch zahlreiche ergänzende Fotos: www.uni-ak.ac.at/evolution Ölkäfer (Mylabris oculata) viii Kapitel 1: 400 Millionen Jahre Evolution des Fliegens Vierfach zur Perfektion ausgereift Inhalt 1 Kapitel 2: Tiere im Flug fotografieren In vielerlei Hinsicht herausfordernd 19 Vor ca. 400 Millionen Jahren (mya) muss es passiert sein, dass ge- In diesem Kapitel sollen Aspekte behandelt werden, die beim Er- wisse Insekten Flügel entwickelt haben, und nicht viel später konnten stellen von spannendem und illustrativem Bildmaterial von Bedeu- fast alle Insekten fliegen. Vögel entstanden immerhin schon vor 200 tung sind. Flugfotografie ist zumeist „Actionfotografie“ und erfor- mya, Flugsaurier (von denen die Vögel nicht abstammen) 80 mya dert schnelles Handeln. Insektenflügel bewegen sich derart schnell, später. Im vierten Anlauf der Evolution lernten auch Säugetiere das dass sie nur in Bruchteilen von Millisekunden „eingefroren“ wer- Fliegen: Vor gut 20 mya tauchten die Fledertiere auf. den können. Zudem ändern fliegende Tiere ständig ihre Distanz zur Kamera, was Probleme mit der Schärfentiefe nach sich zieht. Systeme der Erdzeitalter 2 Fossilien 3 Gar nicht tölpelhaft 20 Evolution – ein stetiger Prozess 4 Full speed mit sichelförmigen Flügeln 21 Stammesgeschichtliche Veränderungen 5 „Möwenfotografie“ 22 Alles Leben kommt aus dem Meer 6 Senkrechter Blitzstart 23 „Missing links“ 7 Rivalenkämpfe ohne Stachel 25 „Survival of the fittest“… 8 Wiederholbare Versuche 26 … und unvorstellbare genetische Variabilität 9 Auch das Heupferd ist flugfreudig 27 Flughörnchen … 10 Was die Zeitlupe zeigt … 28 … und andere Gleiter 11 Bildverschmelzung zur Informationsverdichtung 30 Das größte fliegende Wesen aller Zeiten 12 „Multiple Bilder“ 31 Auf vier Beinen so groß wie eine Giraffe 13 Albtraum der Hochgeschwindigkeitsfotografie 32 Fliegende Fische 14 Was stimmt und was nicht? 33 Der Sprung aus dem Wasser 15 Unzertrennlich und intelligent 34 Konvergenz 16 Eine wahre Pracht 36 Vogel oder Insekt? 17 „Schlag auf Schlag“ 38 So geht Schweben … 39 Mit geschlossenen Flügeldecken 40 Keine Hummel! 41 Ein erster Schritt zum Gleitflug 42 Gleiten und Laufen am Wasser 44 Gleitwinkel von 25° 45 Lernfähige Flugkünstler 46 Gravitation als Werkzeug 47 Spektakuläre Balz 48 Kleptoparasitismus 49 ix Kapitel 3: Aus der Sicht des Biophysikers ... Fluide und Größenmaßstäbe 51 Kapitel 4: Kriterien der Evolution Sexuelle Selektion, Klimaänderungen 87 Geflogen wird in der Luft, im übertragenen Sinn manchmal auch im Die Evolution funktioniert deswegen besonders gut, weil es zwei Wasser. Es fliegen winzige und relativ große Tiere. Dennoch erlauben Geschlechter gibt. Die Geschlechter finden auf verschiedene Ar- einfache Kenngrößen aus der Flugbiophysik einen ganz guten Ver- ten zueinander. In der Mehrzahl der Fälle wählen Weibchen ihre gleich. Sie ermöglichen ein tieferes Verständnis für die Probleme, die Männchen nach Fitnesskriterien aus, die diese daher demonstrie- Tiere bei der Fortbewegung in Luft und Wasser haben – und lösen. ren müssen (female choice). Nicht selten müssen Männchen aber direkt um die Weibchen konkurrieren, indem sie um sie kämp- Rekorde bei Flugtieren 52 Tiergröße und Reynolds-Zahl 54 Reynolds-Nischen und Flügelausbildung 55 Bewegung in Fluiden 56 Ganz unterschiedlich oder vergleichbar? 57 Sexuelle Evolution (1) 88 Das Cockpit 58 Sexuelle Evolution (2) 90 Huberzeugung an den Flügeln 60 Paarung von Flugtieren 91 Starre Flügel und tiefgreifende Erkenntnisse 62 Die Männchen kämpfen um die Weibchen 94 Wenn Giganten abheben ... 64 Abfangjäger 96 Koordination und Rhythmik 66 Sexualdimorphismus 98 Unterschiedliche Flugleistung 68 Buhlen um die Weibchen Der hilfreiche „Spring“ 69 Wie kommt der Pfau aufs Dach? 100 Größte und kleinste Vögel 70 Schwebeflug im Duett 102 Evolution und Physik 71 Schmarotzer im Huckepack 104 Falken: Die schnellsten Tiere der Welt 72 Aggressives Revierverhalten 105 Tollpatschig nur außer Wasser 74 Signale von beiden Geschlechtern 106 Ohne Flügelspreizen 75 Giftstoffe als Fitnessindikation 107 Fliegen? 76 Ophrys – Die Pflanze mit Sex 108 Nur unter Wasser! 77 Tolle Luftakrobatik 110 Gelegenheitsflieger 78 „Beschleunigungsrüttler“ 112 Gleiten ohne Flügel 79 Aggressionsverhalten 114 Exakte Analyse eines Anflugs 80 Nahrungszufuhr und Flugunterricht 116 Insektenjagd in der Luft 82 Klimaerwärmung (1) 118 Analyse eines Steigflugs 82 Bienen und Schmetterlinge zu Weihnachten 119 Fledertiere und Vögel als Vorbild 84 Klimaerwärmung (2) 120 Der Fledertierflügel ist anders 85 fen (male-male competition). Wenn die nächste Generation besser fliegen soll, geht es aber auch um Mutationen, die ermöglichen, die Grenzen der Biophysik noch extremer auszureizen. 99 x 123 Kapitel 6: Vögel: Die Klassiker unter den Flugtieren Vom Kolibri bis zum Andenkondor 165 Die Insekten sind die erfolgreichste Klasse unter den Wirbellosen. Unter den Wirbeltieren sind die omnipräsenten Vögel der Inbegriff Sie können fast alle mehr oder weniger gut fliegen. Offensichtlich des Fliegens. Der Archaeopteryx – als klassisches „missing link“ war in ihrer Evolution das Flugvermögen ein dermaßen großer Vorteil, in der Evolutionstheorie – machte mit seinen unmittelbaren Vor- dass es sich relativ rasch „flächendeckend“ durchgesetzt hat. Selbst fahren vor 200 Millionen Jahren den Anfang. Seither schwirren, Riesen wie der Goliathkäfer oder Hirschkäfer können fliegen. flattern oder gleiten sie in allen Größenordnungen und bestäuben Kapitel 5: Insekten: Die ersten Flugtiere Jede Nische genutzt Die Evolution des Insektenflugs 124 Tiergröße und Antriebsmuskulatur 126 Lastentransport 128 Absolut am Limit 130 Das wohl beliebteste Insekt 132 Phänomen Honigbiene 134 Kommunikation und Tänze 135 Taubenschwänzchen 136 Kindheitserinnerungen 138 Abflug! 140 Balancieren mit dem Hinterleib 142 Lange Hälse, riesige Flügel 144 Enorme Sprungkraft 146 4000 g im Pflanzenreich 147 Fliegende Ameisen 148 Beachtliche Fähigkeiten, aber sehr unbeliebt 150 Fliegende Termiten 152 Blitzschnelle Jäger im selben Habitat 154 Halbflügeldecken 156 Ortsfester Schwirrflug 158 Dumbos Flug zur Sonne 160 Schmetterlingsfluganalysen 162 Blüten oder jagen Insekten oder Kleinsäuger. Archaeopteryx 166 Ausreizen der biophysikalischen Grenzen 168 Biomechanische Interpretation von Vogelflug-Aufnahmen 170 Biomechanische Interpretation (2) 172 Biomechanische Interpretation (3) 174 Biomechanische Interpretation (4) 176 Beine anlegen! 178 Perpetuum mobile? 179 Fliegen mit Momentenausgleich … 180 Wechsel zwischen den Elementen 182 Unter Wasser wird gerudert 184 Gefiederpflege und/oder Balzverhalten 186 Auf leisen Flügeln 187 Die Mauser und Theorien zur Entstehung der Federn 188 „Adleraugen“ 190 Die Meister im Schwirrflug 192 Manöver mit 50 Schlägen pro Sekunde 194 Gut fliegen und tauchen 196 Eigene Technik 198 Lange Beine 200 Große Greifvögel an der Grenze der Elemente 202 Mit Anlauf in den Sturzflug 204 Eine erfolgreiche Species 206 xi Kapitel 7: Fledertiere Fliegende Säugetiere 209 Kapitel 8: Die Faszination bleibt Die Thematik ist und bleibt spannend 225 Fledermäuse und Flughunde haben sich erst vor 50 Millionen Jahren Die Tatsache, dass sich Tiere – und letztendlich auch der Mensch in die Lüfte erhoben. Insekten fliegen schon siebenmal länger, Vögel – in die Lüfte erheben können, als ob es keine Schwerkraft gäbe, immerhin viermal so lang. Die Flugsaurier, die 170 Millionen Jahre übt seit jeher eine enorme Faszination auf uns aus. Die Biophysik durch die Lüfte flogen, verschwanden durch drastische Klimaände- hilft, die Tatsache zu verstehen und zu analysieren. Außerdem ist rungen am Ende des Erdmittelalters. Durch die Orientierung mittels es auch „typisch“ für die unglaubliche Fähigkeit der Evolution, Ultraschall konnten die Fledermäuse die Dunkelheit erobern. jede auch nur erdenkliche Nische bis an die Grenzen auszuloten, Evolution der Fledermäuse und ihr Flugvermögen 210 Urfledermaus und „neuere Versionen“ 212 Hufeisennasen und andere Fledermäuse 214 Sehen mit den Ohren 216 Analyse eines Schwirrflugs 218 Nicht nur in der Nacht 220 Zungenschnalzen zur Echoortung 222 Ein „Klassiker“: Otto Lilienthals Zeichnung zum Auftrieb bei großen Vögeln. In diesem Buch wird unter anderem auf dieses Thema eingegangen (s. S. 60f). indem Schritt für Schritt „ein Stein auf den anderen“ gesetzt wird. Von der Wiege bis zur Bahre 226 Langer Rüssel vs. lange Nektarsporne 228 „Herzige Räuber“ 230 Action pur 232 An des Messers Schneide 234 Spannend, wenn man genau hinsieht 236 Das Ausbreiten der Flügel 237 Kurven kratzen 238 Flugakrobaten und Langstreckenflieger 239 Vögel und Insekten im Wechselspiel 240 Schafft er's oder nicht? 241 Ein ganzer Flügelschlag 242 © Springer Berlin Heidelberg 2017 G. Glaeser, H.F. Paulus, W. Nachtigall, Die Evolution des Fliegens – Ein Fotoshooting, DOI 10.1007/978-3-662-49899-6_1 1 400 Millionen Jahre Evolution des Fliegens Vierfach zur Perfektion ausgereift Vor ca. 400 Millionen Jahren (mya) muss es passiert sein, dass gewisse Insekten Flügel entwickelt haben, und nicht viel später konnten fast alle Insekten fliegen. Vögel entstanden immerhin schon vor 200 mya, Flugsaurier (von denen die Vögel nicht abstammen) 80 mya später. Im vierten Anlauf der Evolution lernten auch Säugetiere das Fliegen: Vor gut 20 mya tauchten die Fledertiere auf. Systeme der Erdzeitalter 2 0 3 1 Veranschaulichung der Zeiträume Beziehen wir die gesamte „Lebensdauer“ unseres Planeten auf einen einzigen Erdentag. Lässt man die Erdentwicklung vor 4600 4,6 Milliarden Jahre, aber 7/8 davon ohne fossile Lebensspuren mya um 00:00 Uhr beginnen, so träten die ersten geflügelten InDie Erde ist an die 4600 Millionen Jahre (mya) alt. Das Auftreten sekten erst etwa um 21:45 Uhr auf, die ersten „Fliegenden Fische“ bestimmter Lebensformen kann man mit heutigen Methoden relativ etwas später, die ersten Vögel und die letzten Flugsaurier etwa um genau datieren und danach gegebenenfalls auch Zeitbegriffe fest- 23:00 Uhr, gleitende Säuger vielleicht um 23:35 Uhr. Die Akteure legen. Die ersten fossilen Lebensspuren datieren 541 mya dieses Buchs leben also sozusagen in den letzten 2 1/4 Stunden zurück. Geologen und Paläontologen teilen den seitdem verflosse- vor Mitternacht. (Homo sapiens erschiene in dieser Zeitskala im nen Zeitraum in drei Großabschnitte ein, Erdzeitalter genannt. übrigen erst 3,6 Sekunden vor Mitternacht.) Einteilung der „Zeit mit Lebensspuren (541 Millionen Jahre)“ Es sind dies das Erdaltertum, Paläozoikum, 541-252,2 mya, das Erdmittelalter, Mesozoikum, 252,2-66 mya und die Erdneuzeit, Känozoi- 1 kum, 66 mya bis zur Jetztzeit. Diese Perioden werden weiter in Sys- 0 teme unterteilt, das Erdaltertum in sechs, das Erdmittelalter in drei 2 und die Erdneuzeit ebenfalls in drei. Da sie für die Evolution der Lebensformen bedeutsam sind und auch in diesem Buch immer wie- 3 der darauf Bezug genommen wird, seien sie hier einmal mit ihren Grenzen (in mya) und wenigen Stichworten zum zeitlichen Auftreten typischer Lebewesen zusammengestellt, geflügelte hervorgehoben. Wir richten uns hier in der Einteilung, der zeitlichen Umgrenzung und der Nomenklatur nach der modernen Stichwortdarstellung „Geologische Zeitskala“ von Wikipedia; es gibt mehrere, leicht voneinander abweichende Ansätze und Begriffe. 2 Erdaltertum (53,4%): • Kambrium 541-485,4 – Marine Schalenträger, Würmer, Algen • Ordovicium 485,4-443,4 – Graptolithen, Trilobiten • Silur 443,4-419,2 – Panzerfische, Insekten, erste Landpflanzen • Devon 419,2-358,9 – Ammoniten, geflügelte Insekten, Fische, Landgänge, Baumfarne • Karbon 358,9-298,9 – Amphibien, Urlibellen, Bärlapp- und Schachtelhalmwälder • Perm 298,9-252,2 – Amphibien, Reptilien, Nadelhölzer Erdmittelalter (34,4%): • Trias 252,2-201,3 – Reptilien, Dino- und Ichthyosaurier • Jura 201,2-145 – Dinosaurier, frühe Vögel, frühe Säuger, Farne • Kreide 145-66 – Flugsaurier, Beuteltiere, bedecktsamige Pflanzen Erdneuzeit (12,2%): • Paläogen 66-23,03 – Blütenpflanzen, Primaten • Neogen 23,03-2,588 – Fledertiere, Menschenaffen • Quartär 2,588-0 – Mammut, Eiszeiten, Mensch Fossilien 3 Nur ein winziger Bruchteil aller Tiere bleibt erhalten Man nimmt an, dass seit Beginn des Erdaltertums vor 541 Millionen Jahren eine Milliarde Tier- und Pflanzenarten entstanden (und größtenteils wieder ausgestorben) sind. Wenn man bedenkt, welch ungeheure Zahl von Tierskeletten dabei „produziert“ worden sind, stellt sich die Frage, welch besondere Umstände herrschen müssen, damit der Körper mancher Lebewesen nach ihrem Tod nicht vollständig zerfällt, sodass Bestandteile, Form oder Struktur erhalten bleiben: Bis heute sind zwar weit über hunderttausend fossile Arten wissenschaftlich beschrieben worden, aber dennoch handelt es sich dabei nur um jenen winzigen Bruchteil aller Tierreste, die „fossilisiert“ sind (grob gesprochen „versteinert“, also mineralisiert). Fossilien treten in der Regel in Sedimentgesteinen (Ablagerung von Material an Land und im Meer) auf. Wann funktioniert das „Fossilisieren“? Das abgebildete Vogelskelett überdauerte z. B. relativ lange nahezu unversehrt (oben beim ersten Fund, rechts ein halbes Jahr später), aber a la longue würde es spurlos verschwunden sein, weil es der Witterung ausgesetzt war. In diesem Buch werden wir gelegentlich auf echte Fossilien Bezug nehmen, so auf den berühmten Urvogel Archaeopteryx (als „missing link“, s. S. 166), oder aber auf eine relativ seltene Form der Originalerhaltung in Form eines Einschlusses in Bernstein (so blieben vor allem Insekten gut erhalten, s. S. 55f., s. S. 41f.). Voraussetzung für eine Fossilisierung ist, dass sich die Tierleiche nicht weiter zersetzt. Sie muss also beispielsweise in sauerstofffreien Regionen abgespült worden sein (wie es sie im JuraMeer gegeben hat) oder in einen ölhaltigen Sumpf versunken sein (wie das den Fossilien in der Grube Messel bei Darmstadt ergangen ist). Dann kann sie von einem Regen feiner, sedimentierender Kalkkteilchen eingeschlossen oder vom späteren Ölschiefer umgeben werden und unter zunehmendem Druck „versteinern“. Relatives und absolutes Alter Reproduktion des „Berliner Exemplars“ des Archaeopteryx (Belgrad) Eine naheliegende „Faustregel“ ist, dass sich in einem ungestörten Sedimentgestein die ältesten Schichten ganz unten und die jüngs- die absolute Altersbestimmung von Gesteinen kann man u. a. die ten Schichten ganz oben befinden. So lassen sich Funde in einer sehr langen Halbwertszeiten gewisser Elemente (Uran, Thorium, KaSchicht relativ zu Funden in einer anderen Schicht einordnen. Für lium usw.) heranziehen. 4 Evolution – ein stetiger Prozess Evolution – oder: wie kommt es zu stammesgeschichtlichen Veränderungen? Als Evolution bezeichnet man die Veränderung der Organismen in der Zeit. Schon früh hat man erkannt, dass es bei Pflanzen und Tieren eine Vielzahl solcher Abänderungen gibt, ohne zu wissen, wie diese zustande kommen. Zwar registrierte man, dass die Nachkommen anders sind als ihre Eltern, dass diese Änderungen jedoch nur sehr kleine waren, im Vergleich zu den Abwandlungen zwischen verschiedenen Arten. Die Frage, auf welchem Weg es zu größeren Abweichungen kommen kann, konnte erst Darwin mit seiner Selektionstheorie beantworten. Sie erst ist in der Lage, kausal zu erklären, wie es zu größeren Veränderungen kommen kann. Selektion: Konsequenzen für die genetische Zusammensetzung Selektion ist nichts anderes als der Unterschied im Vermehrungserfolg im Vergleich zweier Individuen derselben Art. Wenn dieser Unterschied nicht auf Zufall beruht, sondern darauf, dass diejenigen Individuen mit der besseren Eignung für die betreffenden Umweltsituationen mehr Nachkommen produzieren als ihre Artgenossen, dann hat dies Konsequenzen für die genetische Zusammensetzung in den nächsten Generationen. Diese Eignung wird als Fitness bezeichnet und diese muss erblich sein. Stammesgeschichtliche Veränderungen 5 Darwins Thesen Darwin führte im Jahr 1859 gleich mehrere Thesen auf, die verantwortlich sind für ein Verändern von Organismen in der Zeit: • Evolution beschreibt, wie sich alle Populationen von Organismen über die Zeit verändern. Dieses Geschehen ist Faktum und keine Theorie. • Diese evolutiven Veränderungen finden ausschließlich in kleinen Schritten statt. Diese Größe entspricht der Veränderung zwischen Eltern und ihren Nachkommen. • Eine Vergrößerung der Artenzahl besteht in der Aufspaltung von stammesgeschichtlichen Linien. Sie findet zusätzlich zu den evolutiven Änderungen innerhalb dieser Linien statt. • Der Mechanismus für diese stammesgeschichtlichen Änderungen ist die Natürliche Selektion, die Darwin als Gegensatz zur „Künstlichen Selektion“ bei der Zucht von Haustieren und Agrarpflanzen gesehen hat. • Alle Organismen stammen von einem gemeinsamen Vorfah- ren ab. Die Mannigfaltigkeit der Organismen ist das Produkt einer stammesgeschichtlichen Entwicklung, die sich im Laufe der Jahrmillionen nach einer Etablierung des Lebendigen (Chemische Evolution) aus einer Stammart heraus gebildet hat. Daraus folgt, dass alle Organismen miteinander verwandt sind. Das Bild zeigt ein Männchen einer Neurothemis terminata, einer relativ großen südostasiatischen Libelle. Libellen gab es bereits im Karbon (insbesondere „Riesenlibellen“ mit 70 cm Spannweite) und sie haben sich kaum verändert. Im Karbon waren natürlich nicht alle Libellen Riesen. Es gab auch „normal große“. Es gibt die Annahme, dass die frühen Riesenlibellen wegen des höheren Sauerstoffgehaltes der Luft größer werden konnten (das galt übrigens auch für andere Insekten dieser Zeit). Aber vor etwa 150 Millionen Jahren wurden die Libellen offenbar kleiner, ohne dass der Sauerstoffgehalt wesentlich niedriger war. Möglich ist, dass mit dem Aufkommen der Vögel die langsamen Riesenlibellen quasi weggefressen wurden und die weniger großen Formen nun einen Vorteil hatten. 6 Alles Leben kommt aus dem Meer Die Galapagosinseln sind untrennbar mit Charles Darwin verbunden. Hier ist der berühmte „Darwinbogen“ bei der Insel Wolf zu sehen. Darunter das zugehörige Leben im Wasser: Im Vordergrund Adlerrochen (Aetobatus Narinari), hinten links ein Großer Hammerhai (Sphyrna mokarran). Das Leben auf diesem Planeten ist im Meer entstanden. Die ältesten bekannten Wirbeltiere (Vertebrata) stammen aus dem frühen Ordovizium vor rund 450–470 Millionen Jahren. Die Knorpelfische (Rochen, Haie) tauchen am Übergang vom Silur zum Devon vor etwa 420 Millionen Jahren auf. Beim Betrachten von schwimmenden Rochen kommt nicht nur zufällig die Assoziation zum Fliegen auf. Von Leonardo da Vinci stammt der Satz: „Beobachte das Schwimmen der Fische im Wasser und du wirst den Flug der Vögel in der Luft begreifen.“ „Missing links“ Belege aus der Paläontologie 7 Wissenschaftlich überprüfbare Neuposition Belege für Darwins Thesen kamen bereits zu seiner Zeit vor allem Darwins Thesen waren und sind eine wissenschaftlich überprüfbare aus der Paläontologie. Die Gesteinsschichten liefern ein Zeitfenster Neuposition gegenüber „Schöpfungsmythen“ (Bibel: Genesis oder aus der Vergangenheit, das außerdem heute mit modernen Metho- zahlreiche weitere weltweite Mythen), die meist von einmaligen Schöpden exakt zeitlich datierbar ist. Es ist evident, dass in sehr alten (frü- fungsakten und anschließender Konstanz der Arten ausgehen. Behen) Schichten nur sehr ursprüngliche Tiere, in späteren (jüngeren) kanntermaßen rief dies eine bis heute anhaltende Diskussion hervor, Zonen erst frühe Wirbeltierreste auftauchen und noch später dann die aber auf weiten Strecken nichts mit Wissenschaft zu tun hat. Vögel oder Säugetiere. Etablierung der Selektionstheorie Wirbeltiere erst später Tier- und Pflanzenzüchter wussten schon zu Darwins Zeiten, dass Das bedeutete schon damals, dass dies Belege dafür sein müssen, durch gezielte Auslese Abänderungen bei Haustieren erreicht werdass Wirbeltiere erst nach Wirbellosen entstanden sind, dass Vögel den konnten. Dies gelang, weil man so lange züchtete, bis „plötzerst entstanden sind, nachdem sich die diversen Dinosauriergrup- lich“ in den Zuchtlinien solche Individuen auftauchten, mit denen pen etabliert hatten, dass also solche datierbaren Funde für den man dann gezielt weiterzüchtete. Die damaligen Züchter warteten in Nachweis von Evolution außerordentlich beweiskräftig waren. ihren „Proben“ auf sogenannte „hot spots“, mit denen dann weiter Ein erstes „Missing link“ gezüchtet wurde. Jene „hot spots“ waren, wie wir heute wissen, Mu- So kam ihm der Fund des ersten Urvogels (Archaeopteryx ) sehr ent- tationen, also in den Keimzellen etablierte erbliche Veränderungen. gegen, da er geradezu forderte, dass es sogenannte „missing links“ Durch erneute Auslese von deren Nachkommen für den nächsten geben muss, wenn sein These stimmt, dass es zwischen den gro- Züchtungszyklus konnte man sich allmählich dem Zuchtziel nähern. ßen Bauplänen der Tiere Bindeglieder geben muss, wenn Evolution Darwin ging davon aus, dass es in der Natur ganz ähnlich zugeht. und Selektion als Erklärungsmodell zutreffen. Heute kennen wir eine Vielzahl weiterer solcher connecting links, wie diese Bindeglieder genannt werden, wenn sie nicht mehr „missing“ sind. In der Entwicklungsreihe von bereits befiederten Dinosauriern zu den heutigen modernen Vögeln stellt Archaeopteryx ein wichtiges Bindeglied dar. Doch solange keine Zwischenglieder bekannt waren, also missing links, war es eine schöne Hypothese und nicht mehr. Sein Fund ist somit ein prominentes Bindeglied und daher eine besonders wichtige Stütze für die Idee, dass Vögel tatsächlich von Dinosauriern abstammen. 8 Unterschied im Fortpflanzungserfolg „Survival of the fittest“… gisch bedeuten, dass der Gewinner oder die Gewinnergruppe allein Danach ist seit Darwin Natürliche Selektion der Unterschied im Fort- sich vermehren kann, statistisch genügt es sogar, wenn dieser oder pflanzungserfolg von Individuen einer Population auf Grund unter- diese Gruppe einfach nur mehr Nachkommen hat als die anderen schiedlicher genetischer Eignung oder deren Fitness. Dieser Unter- und bei deren Kindern wiederum nur die schnellsten im Rennen verschied ist demnach kein Zufall, sondern eben eine Konsequenz ih- bleiben können. rer genetischen Konstitution. Dieser Unterschied hat nämlich auch Auswahl durch Umweltfaktoren in natürlichen Populationen einer Art Konsequenz für die genetische Die bei Tierzuchten künstliche Auslese durch den Menschen erfolgt Ausstattung der Folgegenerationen. Diejenigen Individuen, die mehr in der Natur durch die Umwelt. Diese Umwelt besteht aus sogenannNachkommen produzieren als andere, erhöhen damit die Individu- ten biotischen und abiotischen Faktoren. Abiotische Faktoren sind enzahlen mit diesem Erbgut. Da Populationen im Schnitt konstan- Temperatur, Feuchtigkeit etc., biotische Faktoren sind die Wechselte Größen haben, bedeutet dies, dass durch die Vermehrung be- wirkungen mit den anderen Organismen (insbesondere die Konkurstimmter Individuen, andere, mit weniger Nachkommenschaft, au- renz um Ressourcen). tomatisch seltener werden. Erfolgreichere Mutanten verdrängen all- Selektion greift nur bei genetischen Unterschiedlichkeiten mählich die weniger erfolgreichen. Selektion kann jedoch nur greifen oder wirksam werden, wenn die In- „Survival of the fittest“ dividuen einer Population nicht gleich sind, sich also in genetischen Darwin nannte dies „survival of the fittest“, was etwas unglücklich Eigenschaften unterscheiden. Ein „Trick“ der Natur war hier bemit „Kampf ums Dasein“ übersetzt wurde. Es geht nämlich nicht um reits früh in der Stammesgeschichte der Organismen die Erfindung einen Kampf mit Zähnen und Klauen, sondern um einen Wettstreit der Sexualität mit zwei verschiedenen Geschlechtern verbunden mit um höheren oder niedrigeren Fortpflanzungserfolg. Es wird daher dem Zellvermehrungsmodus der Meiose (Reduktionsteilung). nicht gekämpft, sondern eine Art Kräftemessen in einem Wettstreit Neu-Zusammenstellung der elterlichen Chromosomen ausgetragen. Gewinner waren hier solche Individuen, die z. B. vor Unter Meiose versteht man eine besondere Form der Zellkernteilung, einem Geparden schneller davon laufen konnten als solche, die dies bei der im Unterschied zur gewöhnlichen Kernteilung, der Mitose, die nicht schafften. Dies gilt natürlich auch für den Geparden. Diejeni- Zahl der Chromosomen halbiert wird. Damit einher geht eine Rekomgen Geparden, die schneller sind als ihre Beute, können dadurch bination, also eine neue Zusammenstellung der elterlichen Chromomehr ihrer Jungen großziehen. Sehr vereinfacht würde dies biolo- somen. Das Ergebnis dieser Art der Teilung mit der Neumischung … und unvorstellbare genetische Variabilität 9 der Erbanlagen sind die Keimzellen oder Gameten. duktionsteilung, also vor Produktion von Spermien und Eizellen, auf- Jedes Individuum ist ein genetisches Unikat geteilt werden können. Auch diese Zahl ist de facto unendlich. Je- Das Resultat ist eine unendlich große Möglichkeit genetischer Varia- des Spermium, jede Eizelle ist ein genetisches Unikat. Man sieht hier, bilität. Um dies nachzuvollziehen, ein einfaches Beispiel. Jedes In- dass dies alles zusammen eine Quelle von praktisch unendlicher Vadividuum ist ein genetisches Unikat. Dass dies so ist, können wir bei riationsmöglichkeit ist. Erst jetzt kommen Mutationen zusätzlich ins uns Menschen sofort erkennen. Kein Individuum gleicht einem an- Spiel und erhöhen die Varianzmöglichkeit erneut. Für das Wirken von deren. Jedes Individuum hat seinen eigenen Fingerabdruck. In einer Selektion bedeutet dies, dass sie auf diese praktisch unerschöpfliche einfachen Genetik ausgedrückt, ist jedes Individuum ein eigenstän- Quelle genetischer Vielfalt zurückgreifen kann. diger, einmaliger Genotyp. Wenn wir hier nur ein Gen (1 Locus) mit Das Gegenteil von Zufall, wenn auch ein statistischer Prozess einem Allel herausgreifen, dann ergibt dies in den Nachkommen 3 Produkte der Selektion, also diejenigen Individuen mit mehr Nachverschiedene Genotypen, die man mit AA, Aa, aa bezeichnen kann. kommen als andere in der Population, sind demnach nicht zufällig Dies bedeutet, dass wir hier zweimal homozygot (AA und aa) sowie entstanden. Man kann sagen, dass gerade die Selektion das Gegeneinmal heterozygot (Aa) vor uns haben. A nennt man dominant, a teil von Zufall ist. Selektion ist allerdings ein statistischer Prozess, rezessiv. Für n Genorte gibt es small 3n genetisch verschiedene In- bei dem – ähnlich wie beim Würfeln – nicht der Einzelfall zählt. Zudividuen. fällig in diesem Geschehen ist lediglich das Angebot an Varianten. Exponentieller Anstieg Welche Allele in der Meiose kombiniert werden, ist nicht vorhersag- Für n = 20 sind das bereits mehrere Milliarden genetisch verschie- bar, welche Mutation entstehen wird, ist ebenfalls nicht vorhersagbar. dene Individuen, bei n = 30 haben wir bereits über 200 Trillionen Diese Phänomene sind tatsächlich zufällig. Welche dieser Varianten genetisch verschiedene Individuen. Jedes Individuum hat aber min- im Fortpflanzungsgeschehen allerdings dann zum Zuge kommen, destens 1000 heterozygote Genorte, das ist 31000 . Diese Zahl ist so ist nun gerade kein Zufall. Wenn also behauptet wird, der Mensch unvorstellbar groß, dass wir die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Indi- sei ein Produkt des Zufalls in der Evolutionsgeschichte, dann wurde viduen genetisch identisch sind, getrost mit 0 gleichsetzen können! nicht verstanden, was Selektion ist und wie sie arbeitet. Völlig vergleichbar ist es mit einer Betrachtung der Alleltypen selbst. Bei einer Annahme von zwei Allelen pro Genort ergibt sich daraus eine Kombinationsmöglichkeit von 21000 , wie diese Allel in der Re- 10 Flughörnchen … Wenn „Fliegenkönnen“ einen Überlebensvorteil bringt … sehr unterschiedliche Konstruktionslösungen gefunden, mit denen Wenn also der Besitz von Flügeln oder Organen zum Gleiten dem die Tiere sehr gut fliegen können oder konnten. Insekten haben Individuum einen Überlebensvorteil bringt, so führt dies statistisch ihrerseits bei den danach benannten Pterygota-Flügel evolviert, die gesehen dahin, dass solche Individuen im Schnitt mehr Nachkom- auf ihrem Konstruktionsniveau völlig anderen Ursprungs sind. Hier men haben werden, und daher diese Eigenschaft vermehrt auch wird noch diskutiert, wie die heutigen Flügel tatsächlich entstanden an ihre Nachkommen weitergeben werden. Ist der Selektionsdruck sind. groß, etwa schnell einem Fressfeind entkommen zu können, wird Gleitende Säugetiere gibt es viel länger als Fledermäuse der Besitz solcher Organe sich einerseits schnell in der Population Auch Gleitorgane sind bei Tieren vielfach unabhängig entwickelt wordurchsetzen und andererseits eine stete Verbesserung dieser Flügel den. Bekannt sind die etwa 37 Arten der Gleithörnchen (Pteromyini oder Gleitstrukturen begünstigen. innerhalb der Hörnchen, zu denen unser Eichhörnchen gehört), Die Art der Flugorgane hat „Parameter“ die vor allem in Südostasien, Himalaya, mit 2 Arten in Südamerika, Welche Flugorgane in diesem Prozess entstehen, hängt von allerlei ja sogar einer Art in Nordeuropa bis Japan ( Pteromys volans) verVorbedingungen ab und natürlich davon, in welcher Art Lebensraum breitet sind. Ihre Körpergröße reicht von 7 cm (Zwerggleithörnchen, der betreffende Organismus vorkommt. Stets wirken physikalische Petaurillus emiliae, aus N-Borneo) bis fast 60 cm Körperlänge beim Gesetzmäßigkeiten als kanalisierende Rahmenbedingungen, da bei Riesengleithörnchen ( Petaurista petaurista aus SO-Asien), wobei der Herstellung eines Flügels oder Gleitorganes die Gesetze der jeweils noch der Schwanz hinzukommt. Allen gemeinsam ist eine Physik wirksam sind. Bereits existierende Extremitäten könnten im zwischen ihren Vorder- und Hinterbeinen aufspannbare Gleithaut, Fall der Flügelevolution organismische Vorbedingungen sein, die die wie ein Gleitschirm wirkt, wenn sie von einem Ast zum anderen dann weiterentwickelt werden. oder gar fast 100 m weit von einem Baum zum nächsten gleitend springen und das sogar dank des für eine Steuerung eingesetzten Schwanzes erstaunlich gezielt. Zu erwähnen ist hier ein fossiles Riesengleithörnchen (Volaticotherium antiquus), das aber gar nicht mit den Gleithörnchen verwandt ist. Es lebte vor etwa 125 Millionen Jahren und war 12–14 cm groß. Es erhob sich damit 70 Millionen Jahre vor den ersten Fledermäusen in die Lüfte, aber als Gleiter – ganz ähnlich den heutigen Gleithörnchen. Flügel bei Wirbeltieren dreimal konvergent entwickelt So war es bei der Entstehung von Flügeln aus Vorderextremitäten innerhalb der Wirbeltiere. Hier entstanden solche Flugorgane gleich dreimal konvergent, einmal bei den Flugsauriern, bei den Vögeln und wiederum bei den Fledermäusen. Alle drei haben im Detail Nachtigall W. Gleitverhalten, Flugsteuerung und Auftriebseffekte bei Flugbeutlern In: Nachtigall, W. (Hrsg.): Biona-report 5. Bat flight - Fledermausflug. 171 - 186. Akad. Wiss. Lit. Mainz, Fischer, Stuttgart (1986) … und andere Gleiter Nagetier oder Beuteltier – eine konvergente Evolution zum Gleiten 11 Andere gleitende Reptilien … Gleithörnchen der Gattung Pteromys und Gleithörnchenbeutler der Eine andere Lösung des Gleitens haben die acht Arten der FaltenGattung Petaurus spannen Flughäute zwischen den weit abgestreck- geckos der Gattung Ptychozoon wiederum in SO-Asien entwickelt. ten Vorder- und Hinterbeinen aus. Sie sehen sich sehr ähnlich, sind Faltengeckos sind stark abgeflachte Echsen, die eine Maximallänge mit bis zu 20 cm Körperlänge und gleicher Schwanzlänge auch etwa von 20 cm erreichen können. Ihr Schwanz ist fast ebenso lang wie gleich groß. Dabei sind sie als Nagetiere und Beuteltiere nicht direkt der Rumpf. Charakteristisch für die Gattung sind breite Hautsäume miteinander verwandt. Mit einem Höhenverlust von 1 m kommen sie an den Körperseiten, dem Kopf, dem Schwanz und den Gliedmanach Literaturangaben mindestens 1,5 m weit über Grund; ihre Gleit- ßen, sowie schwimmhautähnliche Flughäute zwischen den Zehen. zahl wäre dann lediglich 1,5. Aus Fernsehfilmen haben wir bei Flug- Die ausgespannten Hautsäume dienen als Segelfläche und ermögbeutlern aber auch deutlich höhere (bessere) Gleitzahlen bestimmt. lichen es den Echsen, sich ein Stück weit gleitend fortzubewegen. Ihren Gleitflug können sie mit Änderungen ihrer Flughautwölbung Beim Gleitflug können sie die Flugrichtung ändern. Die Zehen der und ihrer Schwanzstellung beeinflussen. So können sie von einem Faltengeckos sind breit und mit Haftlamellen ohne Mittelfurche ausBaumstamm abspringen und an der Basis eines anderen landen und gestattet. dann wieder hochklettern. Gleitende Frösche Gleitende Reptilien Auch einige Arten der Ruderfroschgattung Rhacophorus in SO-Asien Ebenfalls Gleiter sind die Drachen- oder Gleitechsen der Gattung Dra- haben ebenfalls so etwas wie Flughäute zwischen ihren Zehen entwico, die mit 42 Arten über SO-Asien verbreitet sind. Sie gehören in die ckelt. Der Wallace-Flugfrosch (Rhacophorus nigropalmatus) aus SOFamilie der Agamen (Eidechsen). Sie werden über 20 cm lang, wo- Asien ist nach dem britischen Naturforscher und Konkurrenten Darvon der dünne Schwanz mehr als die Hälfte ausmacht. Männchen wins Alfred Russel Wallace benannt, der um die Mitte des 19. Jahrhaben einen flachen Rückenkamm und eine große, orangefarbene hunderts den Malaiischen Archipel erforschte Kehlfalte, die bei den Weibchen blau und kleiner ist. Die von freien Rippen gestützte, orange-schwarz gestreifte Flankenhaut ermöglicht es den Tieren nach Spreizung zwischen Bäumen zu gleiten. Sie und die ersten Exemplare die- wird auch beim Drohverhalten gespreizt. Ihre Gleitflüge haben eine ses Flugfroschs nach Europa durchschnittliche Weite von 20-30 m, dabei beträgt der Höhenver- schickte. lust 5-8 m. Die Maximalweite kann allerdings 60 m Gleitflüge von Baum zu Baum betragen. Der Gleitflug wird durch Drehungen des Schwanzes Mit Hilfe der Flughäute zwi- stabilisiert. Durch Schwanzbewegungen und eine Änderung schen seinen Zehen kann er bis zu 20 m weit gleiten. Von den zahlreichen Arten von Flugfröschen der Gattung Rhacophorus ist der höchstens 8 cm lange Java-Flugfrosch, Rhacophorus reinwardtii, der bekannteste. Flugfrösche haben riesige Schwimmhäute – vielleicht sollte man besser sagen „Flughäute“ – zwischen den langgestreckten Fingern und Zehen. Damit gelangen sie in kurzen der Gleithautstellung sind auch das Ansteuern von Zielen und das Gleitflügen von Baum zu Baum Ausweichen vor Hindernissen möglich. (s. S. ). Zu anderen skurrilen Eine offenbar ebenfalls konvergente Entwicklung soll ein fossiler Flugdrachen ( Xianglong zhaoi ) aus China sein, der ebenfalls mit Spreizrippen gegleitet sein soll. Fliegern s. S. 78f. Dudley R.,Byrnes G., Yanoviak S.P., Borrell B., Brown R.F., McGuire J.A. Gliding and the Functional Origins of Flight: Biomechanical Novelty or Necessity? Annual Review of Ecology, Evolution, and Systematics Vol. 38: 179-201 (2007) Emerson S.B., Koehl, M.A.R. The Interaction of Behavioral and Morphological Change in the Evolution of a Novel Locomotor Type: ``Flying'' Frogs Evolution 44 (8), 1931-1946 (1990) 12 Das größte fliegende Wesen aller Zeiten Quetzalcoatlus – „die gefiederte Schlange“ In unserer Zeit sind die Vögel, Insekten und Fledertiere (also Säugetiere) die Beherrscher der Lüfte. In der Jurazeit haben die Vögel mit dem allbekannten Urvogel Archaeopteryx und ähnlichen Gattungen gerade erst das Fliegen gelernt. Damals, bis in die Kreide hinein, gab es unter den Reptilien aber bereits mächtige Flugsaurier, darunter den Riesenflugsaurier Quetzalcoatlus northropi, mit 12 m Spannweite das wohl größte fliegende Lebewesen, das je gelebt hat. Von Klippen in die Aufwinde, in der Ebene hilflos? Bisher nahm man an, dass die größten Pterosaurier von Klippen in Aufwinde hinein starten mussten. Hätten sie einmal auf einer Ebene landen müssen, wären sie wohl nie mehr hochgekommen. Neuere Analysen zeigen, dass sie ihre eingeknickten Vorderflügel wie Vorderbeine benutzen konnten. Verglichen mit denen der Vögel waren diese Extremitäten relativ stark ausgebildet. Oder gab es einen „Startsprung“? Wahrscheinlich sind die Flugechsen so gestartet, dass sie sich mit allen vier Beinen in die Luft gestoßen haben, so ähnlich wie das die Fliegen mit ihrem mittleren und hinteren Beinpaar im „Startsprung“ machen. Dabei müssen sie allerdings so hoch gesprungen sein, dass die Flügel mit ihren empfindlichen Flughäuten beim ersten Abschlag nicht mehr auf den Boden knallten. Zakaria M.Y., Taha H.E., Hajj, M.R. Design Optimization of Flapping Ornithopters: The Pterosaur Replica in Forward Flight doi: 10.2514/1.C033154 Engineering Science and Mechanics, Virginia Tech, Blacksburg, Virginia (2015) Auf vier Beinen so groß wie eine Giraffe 13 Start gegen den Wind, im Idealfall auf abschüssigem Gelände Dazu brauchten sie aber wohl einen kräftigen Gegenwind. Wenn sie, auf möglichst abfallendem Boden, gegen den Wind starteten, könnten sie etwa so hochgetragen worden sein, wie das heute bei großen Albatrossen der Fall ist, die mit dem Start ja auch einige Mühe haben. Erleichtert wurde er durch die im Vergleich zur Spannweite – es werden ja bis zu 13 m diskutiert – relativ geringe Körpermasse von vielleicht 100 kg oder etwas mehr. Wie ein „Nurflügelflugzeug“ Der Rumpf war damit vergleichsweise klein gegen die riesige Flügelfläche, so dass man fast von einem Nurflügler sprechen kann. Darauf bezieht sich der Artname northropi: J.K. Northrop ist als Konstrukteur von Nurflügelflugzeugen bekannt geworden. Entdeckt worden ist dieser Gigant der Lüfte relativ spät. Im Jahr 1971 hat ein Student erste fossile Flügelreste ausgegraben. Seitdem ist Quetzalcoatlus nicht nur von Paläontologen, sondern auch von Strömungsmechanikern detailliert untersucht und modellmäßig nachgebaut worden. Demnach konnte er mit Flügelschlägen aktiv fliegen, hat sich aber wohl überwiegend im Segelflug durch die Luft bewegt. Ähnlich den größten heute flugfähigen Vögeln, Kondoren und Geiern, dürfte er ausgiebig Hangaufwinde und Thermiken benutzt haben. Witton M.P:, Naish D. A Reappraisal of Azhdarchid Pterosaur Functional Morphology and Paleoecology LoS ONE 3(5): e2271.doi:10.1371/journal.pone.0002271 (2008) http://www.dinosaurier-info.de/dinothek/pdf_a/2008/001_journal.pone.0002271_di.pdf 14 Fliegende Fische Fliegende Fische dem Wasser, breiten dann ihre stark verlängerten Brustflossen aus Erwähnt werden müssen schließlich noch die „Fliegenden Fische“. und können so bis zu mehreren Dutzend Meter über die WasserAm bekanntesten ist die etwa 25 cm lange Art Exocoetus volitans. oberfläche gleiten, wobei sie „Flughöhen“ von 1 bis an die 10 m Flugfische schnellen sich mit heftigen Schwanzschlägen schräg aus erreichen. So entkommen sie Beutegreifern. Hertel, H. Biologie und Technik. Struktur-Form-Bewegung Krausskopf, Mainz (1963)