Quelle: prudential/photocase.com/Denise/bmp Mondscheinkinder – das ist die populäre Bezeichnung für junge Patienten, die an einer besonders aggressiven Form von Hautkrebs leiden: Xeroderma pigmentosum. Das Leben dieser Kinder und Jugendlichen spielt sich größtenteils in geschlossenen Räumen ab. Wenn sie nach draußen gehen, dann in Schutzanzügen oder bei Mondlicht. Die Krankheit ist unheilbar, doch hoffen Forscher auf die Gentherapie. „Würde es gelingen, ein intaktes Reparaturgen in die Zellen der Patienten einzuschleusen, könnte den Patienten quasi das defekte Gen zurückgegeben werden. Doch eine solche kausale Behandlung ist heute noch nicht absehbar“, schränkt Prof. Thomas Schwarz, Direktor der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie des Universitätsklinikums Kiel ein. Hohe Dunkelziffer Die Xeroderma pigmentosum ist eine sehr seltene Krankheit. Schätzungsweise ein Mensch pro eine Million Einwohner leidet weltweit an dieser autosomal-rezessiv vererbten Krankheit. Sie tritt in allen Kulturkreisen auf und betrifft Jungen genauso wie Mädchen. In nordafrikanischen Ländern und Japan tritt sie allerdings häufiger auf als in anderen Teilen der Erde. Ex- perten führen das sowohl auf den höheren Sonnenlichtpegel als auch die dort häufiger auftretende Konsanguinität zurück. „In Deutschland gibt es meiner Schätzung nach rund 80 Betroffene, bei denen die Krankheit diagnostiziert wurde“, berichtet Dr. Mark Berneburg, Oberarzt der Hautklinik Tübingen, dem deutschen Referenzzentrum für diese Krankheit. In der Tübinger Klinik behandeln Berneburg und seine Kollegen derzeit 30 Patienten. „Die Dunkelziffer ist jedoch sehr hoch“, befürchtet Berneburg. Auch Prof. Wolfgang Küster, Dermatologe und Chefarzt der TOMESA-Fachklinik in Bad Salzschlirf, geht von zahlreichen unerkannten Fällen aus. „Basaliome, die bereits im Alter von 25 Jahren auftauchen, sind ungewöhnlich, werden jedoch nicht auf XP hin untersucht. Es wäre wichtig, die Kliniken abzufragen und Fälle von frühen Tumoren zu sammeln, um ein Gesamtbild zu erhalten.“ Fehler im DNA-Reparatursystem Die für die Entstehung der autosomal rezessiven Dermatose verantwortlichen Gendefekte wurden in den letzten Jahren weitgehend erforscht. Xeroderma pigmentosum ist das Resultat von Fehlern im Ablauf der Nukleotidexzisionsreparatur (NER), also der Repara- von Gerda Kneifel 12 Xeroderma pigmentosum tur von DNA-Schäden, wie sie insbesondere durch ultraviolette Strahlung, aber beispielsweise auch durch alkylierende Verbindungen hervorgerufen werden können. „In den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass NER nicht nur an der DNA-Reparatur, sondern auch an anderen zellulären Prozessen beteiligt ist“, erläutert Berneburg. „NER spielt zusätzlich eine Rolle bei der Reparatur von oxidativen Schäden und ist an immunologischen Prozessen sowie an der transkriptionellen Regulation wichtiger Stoffwechselgene beteiligt. Und wir können davon ausgehen, dass in Zukunft noch weitere Prozesse beschrieben werden.” Xeroderma pigmentosum ist eine genetisch sehr vielfältige Krankheit. Sie wird unterteilt in sieben Komplementationsgruppen XP-A bis XP-G, bei denen die Patienten Mutationen in den Genen XP-A bis XP-G tragen, sowie eine Variante, XP-V (siehe Tabelle). Die XP-Proteine sind allesamt an der NER beteiligt. Weltweit leiden neun von zehn Betroffenen an XP-A, XP-C und XP-V, in Deutschland sind vor allem die Komplementationsgruppen C, D und E verbreitet. XP-B dagegen wurde erst zwei Mal beschrieben. XP-A zeigt einen besonders schweren Verlauf mit vielfältigen Tumoren, neurologischen Schädigungen und niedriger Lebenserwartung. Die NER-Reparaturleistung ist in dieser Gruppe am niedrigsten. Die häufig auftretende Gruppe XP-C zeichnet sich ebenfalls durch einen schweren Verlauf aus Tabelle: Klinische Manifestationen der Komplementationsgruppen bei Xeroderma pigmentosum Quelle: mod. nach [1] mit spinozellulären Karzinomen, Basalzellkarzinomen, malignen Melanomen und mitunter auch internen Tumoren. Milder dagegen verlaufen XP-D bis XP-G. „XP-G- und XP-F-Patienten zeigen leichtere Symptome, so dass einige sogar ein hohes Alter erreichen“, konstatiert Berneburg. Eine sichere Diagnose liefert die Bestimmung der „unprogrammierten DNA-Synthese“ (Unscheduled DNA Synthesis, UDS). „Dieser Wert beschreibt die Restkapazität des NER, also die verbliebene Fähigkeit zur DNAReparatur“, erklärt der Tübinger Oberarzt. Er ist bei an Xeroderma pigmentosum Leidenden deutlich niedriger als bei gesunden Menschen. Dem Patienten werden für die Untersuchung Fibroblasten entnommen, denen radioaktiv markiertes Thymidin hinzugefügt wird. Nach Bestrahlung mit UV-Licht wird die Exzisionsreparaturleistung anhand der eingebauten Menge an radioaktiv markiertem Thymidin gemessen. Von frühen Sommersprossen bis hin zu Tumoren Die ersten Symptome treten bereits bei Kleinkindern auf. „Ein wichtiges Zeichen ist extreme Lichtempfindlichkeit“, erzählt Berneburg. „Sonnenbrände, die schon bei sehr geringer Sonnenexposition auftreten und beispielsweise als entzündliche Rötungen der Haut über Wochen andauern können, sind ein bedeutsamer Hinweis.“ Nicht selten tragen die Kinder Verbrennungen mit Blasenbildung davon. Generell treten die Veränderungen an lichtexponierten Stellen der Haut auf, also im Gesicht, an Hals, Nacken, Armen und Händen. Dem Namen der Krankheit entsprechend, leiden die Patienten unter trockener, pergamentähnlicher Haut. Das Sonnenlicht löst Pigmentveränderungen (Hypo- sowie Hyperpigmentierungen) und Elastizitätsverlust aus. Unter Umständen treten schwielige Verdickungen und Krusten auf, Hautgefäße können sich erweitern (Teleangiektasien). Relativ häufig sind auch hellbraune bis schwarze Leberflecken. „Bei Kindern, die bereits im Alter von zwei Jahren Sommersprossen bekommen, sollten Ärzte in jedem Fall an XP denken“, betont Berneburg. Infolge der DNA-Schädigungen treten Hauttumoren auf, die viele der Patienten schon im Grundschulalter entwickeln. Meist handelt es sich dabei um Basalzellkarzinome und spinozelluläre Karzinome, doch es können auch maligne Melanome auftreten. In seltenen Fällen entwickeln sich interne Tumoren. Xeroderma pigmentosum manifestiert sich vor allem auf der Haut, doch treten darüber hinaus bei bis zu knapp der Hälfte der Patien- ten neurologische Schäden infolge eines fortschreitenden Absterbens der Neuronen auf. Das Ausmaß der neurologischen Abnormalitäten ist abhängig von der Komplementationsgruppe. In der Gruppe XP-C zum Beispiel sind sie kaum zu beobachten, wohingegen Patienten mit XP-A und XP-D am häufigsten unter Nervenschädigungen leiden. Diese können sich in motorischen Störungen manifestieren, wie zum Beispiel schwachen Reflexen, oder in Ataxie und Spastik. Periphere Neuropathien wurden beobachtet, genauso wie Verzögerungen der Sprachentwicklung und andere mentale Retardierungen. Der Sonne stark ausgesetzt und damit gefährdet sind auch die Augen und der Mund. Bindehautentzündung ist daher eine sehr häufige Begleiterkrankung bei Xeroderma pigmentosum, doch auch entzündete Lidränder (Blepharitis), Entzündungen der Cornea und Konjunktiva (Keratokonjunktivitis), einwärts gekehrte beziehungsweise nach außen gestülpte Unterlider (En- und Ektropium), Lidverwachsungen mit dem Augapfel (Symblepharon), Hornhautentzündungen, Pannusbildung und Korneaulzerationen sowie Basalzellkarzinome werden beobachtet. Nicht zuletzt ist auch das Risiko, einen Tumor der Mundschleimhaut zu entwickeln, für XP-Patienten deutlich erhöht. Nicht wenige der Kinder leiden unter kariösen Milchzähnen. Das Leben verlängern mit Sonnenschutz Heilung ist nicht möglich, die therapeutischen Maßnahmen beschränken sich auf die Behandlung der Symptome. Die Betroffenen müssen vor allem jede UV-Strahlung meiden. Hierfür ist es unerlässlich, falls sie tagsüber das Haus verlassen, entsprechende sonnendichte Schutzkleidung zu tragen. Mit breitkrempigen Hüten und einer Art Visier, das mit UVundurchlässigen Folien beklebt ist, wird das Gesicht geschützt. Die Augen müssen mit UVundurchlässigen Sonnenbrillen bedeckt werden. Zusätzlich können Räume in Wohnung, Kindergarten, Schule oder auch im Auto mit den Schutzfolien beklebt werden, die zwar das UV-Spektrum abfiltern, aber den Raum nicht verdunkeln. „Es herrschen praktisch natürliche Lichtverhältnisse, so dass beispielsweise auch Klassenräume damit geschützt werden können. Das kann man in der Regel schon durchsetzen“, weiß der Leiter des Tübinger Xeroderma pigmentosum Quelle: Prof. Thomas Schwarz 13 „Bei Kindern, die bereits im Alter von zwei Jahren Sommersprossen bekommen, sollten Ärzte an XP denken.“ Dr. Mark Berneburg Xenoderma pigmentosum 14 Referenzzentrums. UV-reduzierte Leuchtstoffröhren tun ein Übriges. Zusätzlich zu diesen Schutzmaßnahmen sollten sich die Patienten regelmäßig mit Sonnenschutzmitteln eincremen, die sowohl für UV-A- als auch für UVB-Licht den höchstmöglichen Schutzfaktor aufweisen. Das geringste Risiko gehen die Betroffenen ein, wenn sie das Haus erst nach Sonnenuntergang verlassen. Reparatur, Operation und Alternativen Über diese präventiven Maßnahmen hinaus besteht seit einigen Jahren die Möglichkeit, den Zellen bestimmte DNA-Reparatur-Enzyme von außen zuzuführen. Das Enzym Endonuklease V des Bakteriophagen T4 zum Beispiel wird in Salbenform lokal aufgetragen. Das in Liposomen verkapselte Enzym wird in die Haut transferiert und behebt dort die durch Sonnenlicht hervorgerufenen DNASchäden. Die Rate der Hauttumoren konnte mit Hilfe dieser Salbe um ein Drittel und die der Präkanzerosen sogar um knapp 70 Prozent verringert werden [1]. Dieses Medikament hat allerdings selbst nach mehreren Jahren das Zulassungsverfahren der amerikanischen Gesundheitsbehörde Food and Drug Administ- Bei oberflächlichen Lässionen werden immer häufiger Kryotherapie und topische Immunmodulation eingesetzt. ration (FDA) noch nicht passiert und ist auch in Europa noch nicht zugelassen. Eine zweite, topisch anzuwendende Salbe auf Basis des aus Algen, Gürtel- und Beuteltieren gewonnenen Enzyms Photolyase ist als Kosmetikum im Handel erhältlich. Zudem gibt es seit 2002 After-Sun-Präparate, die angeblich einen Großteil der DNA-Schäden in der Haut schon nach einer halben Stunde ausgleichen. Diese Wirkung ist jedoch bislang durch keine wissenschaftliche Studie belegt. Wichtigste Maßnahme in der Behandlung der Tumoren ist das möglichst frühzeitige operative Entfernen. Hierzu müssen sich die Patienten regelmäßigen Kontrolluntersuchungen unterziehen. Nach der Exzision werden die betroffenen Stellen mit Transplantaten vom Oberschenkel und anderen lichtgeschützten Hautpartien bedeckt. Dermabrasion ist eine weitere Möglichkeit, gegen Tumoren vorzugehen, denn die Regeneration der Haut geht von tiefer gelegenen und relativ lichtgeschützten Adnexepithelien (Haarfollikel, Talg- und Schweißdrüsen) aus. Einer Dermabrasion können im betroffenen Areal mehrere tumorfreie Jahre folgen [1]. Da häufige Operationen zu gravierenden Verstümmelungen führen, kommen bei oberflächlichen Läsionen immer häufiger alternative Therapien zum Einsatz. Dazu zählen Kryotherapie und topische Immunmodulation, bei der die NER positiv beeinflussende Zytokine in der Haut angeregt werden. Bei der photodynamischen Therapie wird zunächst eine phototoxische Substanz in malignen Zellen akkumuliert und daraufhin werden diese Zellen durch Rotlichtbestrahlung abgetötet. Quelle: Prof. Thomas Schwarz Früherkennung ist lebenswichtig Kinder, die an Xeroderma pigmentosum leiden, haben ein bis zu tausendfach erhöhtes Hautkrebsrisiko. Zwei von drei Patienten sterben noch vor dem Erwachsenenalter in Folge der Metastasen. Für diese Kinder ist die Früherkennung daher von ganz besonders großer Bedeutung, denn Hautkrebs ist das Resultat einer kumulativen UV-Belastung der Zellen. „Bei frühzeitiger Diagnose und Therapie überleben rund 70 Prozent aller Betroffenen bis zum 40. Lebensjahr. Viele können auch das Rentenalter erreichen“, konstatiert Berneburg. „Dabei ist es allerdings dringend notwendig, die Eltern genau darüber aufzuklären, wie sie mit der Krankheit umgehen können“, ergänzt 15 Quelle: ron101/photocase.com Xeroderma pigmentosum Schwarz. Obwohl erste Krankheitssymptome bereits im Kleinkindalter auftreten, wird die Diagnose XP oft erst gestellt, wenn sich bereits Hauttumoren ausgebildet haben. „Haben sich Tumoren im Alter von fünf oder sechs Jahren ausgebildet, ist es bereits zu spät, die Schäden im Erbgut sind dann schon weit fortgeschritten“, mahnt Küster. „Es werden noch über viele Jahre weitere Folgeschäden auftreten. Kinderärzte sollten deswegen hellhörig werden, wenn Eltern zum Beispiel berichten, dass ihr Kind auf dem Rücksitz im Auto einen Sonnenbrand davongetragen hat. Im Zweifelsfall sollten sie die genaueren Umstände erfragen.“ Um die Diagnose so früh wie möglich stellen zu können, „ist eine Zusammenarbeit von Dermatologen, Augen- und Kinderärzten erforderlich“, betont Berneburg. Die Betreuung durch Psychologen ist in der Regel nicht vorgesehen, obwohl soziale Isolation und die ständige Angst vor Tumoren eine extreme psychische Belastung für XP-Patienten und ihre Familien bedeuten. „Die psychologische Versorgung bei Hauterkrankungen ist in Deutschland nicht ausreichend“, kritisiert Küster und auch die Unterstützung der Patienten untereinander durch Selbsthilfegruppen gibt es in Deutschland nicht. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen zu selten bereit sind, die Kosten zu übernehmen. „Nur etwa jede dritte Kasse ist bereit, Schutzhelme für das Gesicht oder auch Schutzfolien zu zahlen“, nennt Berneburg als Beispiel. „Im besten Falle erkennen sie eine zwanzigprozentige Schwerbehinderung an“, bestätigt Küster. Die Missstände beruhen auch auf der Tatsache, dass diese Krankheit oftmals nicht bekannt ist. „Es wäre die Aufgabe des Medizinischen Dienstes, sich zumindest zu erkundigen. Aber in der Regel rufen sie nicht einmal an.“ Die Betroffenen und ihre Famili- en sollten dann immer wieder nachfragen und „auf die Erstattung der Kosten drängen. Sie stehen ihnen zu“, ermutigt Küster. Xeroderma pigmentosum gilt als eine Modellerkrankung für Hautkrebs. Das Verständnis der genetischen Defekte und ihrer Auswirkungen, die mittlerweile auch an in vitro hergestellter Haut erforscht werden [2], hat nicht nur zur Folge, dass die klinischen Symptome der Krankheit erklärbar wurden. Es können darüber hinaus wichtige Erkenntnisse über die Photokarzinogenese beziehungsweise die Entwicklung von möglichst wirkungsvollen Sonnencremes und After-Sun-Präparaten abgeleitet werden [3]. Die Investition in die Erforschung einer sehr seltenen Krankheit kommt also auch der breiten Bevölkerung zugute – was mit Blick auf die stetig steigenden Fälle von Hautkrebserkrankungen umso dringlicher ist. Literatur 1. Herouy Y et al.: Xeroderma pigmentosum: children of the moon. J Dtsch Dermatol Ges 2003 Mar; 1(3): 191198 2. Bernerd F: Human skin reconstructed in vitro as a model to study the keratinocyte, the fibroblast and their interactions: photodamage and repair processes. J Soc Biol. 2005; 199(4): 313-320 3. Yarosh DB et al.: After sun reversal of DNA damage: enhancing skin repair. Mutat Res. 2005 Apr 1; 571(1-2): 57-64 Weiterführende Informationen • Xeroderma Pigmentosum Society www.xps.org • Private Homepage zu Xeroderma pigmentosum www.xerodermapigmentosum.de Ärzte sollten hellhörig werden, wenn Kinder sogar im Auto einen Sonnenbrand bekommen.