Heilpraktikerskript von Arpana Tjard Holler für den Unterricht für Heilpraktikeranwärter © Arpana Tjard Holler (Autor) 2017 Unter Berücksichtigung der schriftlichen und mündlichen Heilpraktikerprüfung. Aktualisierungsdatum: 21.04.2017 4. Auflage nur für den Unterricht in der Heilpraktikerschule Westfalen (Tanja Plattfaut) Hinweis für den Benutzer: Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen durch Forschungen und medizinischen Erfahrungen einem ständigen Entwicklungsprozess, so dass alle Angaben immer nur dem jeweiligen Wissensstand entsprechen können. Der Herausgeber hat mit größtmöglicher Sorgfalt darauf geachtet, dass die in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Für die Richtigkeit wird vom Autor keine Gewähr übernommen. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes – auch nicht auszugsweise – darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers verwertet werden. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Verwertung in den elektronischen Systemen und im Internet. Ein Heilpraktikerskript mit einer Lizenznummer für eine bestimmte Person darf nur von dieser Person benutzt werden und nicht weiter veräußert werden. Arpana Tjard Holler Herausgeber: Arpana Tjard Holler Verlag Holler Hardt 6 51588 Nümbrecht E-Mail : [email protected] Bestellung über Email oder Internetseite: www.holler-heilpraktikerschule.de oder www.verlag-holler.de Inhaltsangabe A. Einführung zum Gebrauch des Heilpraktikerskripts ..................................................................... 16 Einführung ............................................................................................................................................... 16 B. Zelle/Gewebe ....................................................................................................................................... 23 Die Zelle.................................................................................................................................................... 23 Gewebe Anatomie ..................................................................................................................................... 27 C. Bewegungsapparat Anatomie/Pathologie ......................................................................................... 35 Bewegungsapparat Anatomie .................................................................................................................. 35 Bewegungsapparat Pathologie ................................................................................................................ 58 © Arpana Tjard Holler (Autor) D. Blut-Lymphe Anatomie/Pathologie ................................................................................................... 86 Blut-Lymphe Anatomie ............................................................................................................................ 86 Blut . .......................................................................................................................................... 88 DAS LYMPHATISCHE SYSTEM ........................................................................................................ 103 Blut-Lymphe Pathologie ........................................................................................................................ 106 E. Herz-Kreislauf Anatomie und Physiologie ..................................................................................... 123 Herz . ....................................................................................................................................... 123 Herz-Kreislauf Pathologie ..................................................................................................................... 141 F. Respirationstrakt Anatomie und Pathologie .................................................................................. 175 Respirationstrakt Anatomie ................................................................................................................... 175 © Arpana Tjard Holler (Autor) Respirationstrakt Pathologie .................................................................................................................. 186 G. Verdauungsapparat Anatomie und Physiologie ............................................................................. 213 Verdauungsapparat Anatomie ............................................................................................................... 213 Verdauungsapparat Pathologie ............................................................................................................. 233 © Arpana Tjard Holler (Autor) H. Harnapparat Anatomie und Physiologie ........................................................................................ 276 Harnapparat ........................................................................................................................................... 276 Harnapparat/Niere Pathologie .............................................................................................................. 287 I. Neurologie Anatomie und Physiologie ............................................................................................ 300 Neurologie .............................................................................................................................................. 300 Neurologie Pathologie............................................................................................................................ 314 © Arpana Tjard Holler (Autor) J. Endokrinologie Anatomie und Physiologie ..................................................................................... 335 Endokrinologie Anatomie ...................................................................................................................... 335 Endokrinologie Pathologie .................................................................................................................... 344 K. Geschlechtsorgane Anatomie und Physiologie ............................................................................... 366 Geschlechtsorgane ................................................................................................................................. 366 Geschlechtsorgane Pathologie ............................................................................................................... 373 L. Sinnesorgane Anatomie und Physiologie ........................................................................................ 387 Sinnesorgane .......................................................................................................................................... 387 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie ................................................................................................. 395 M. Haut Haut Anatomie und Physiologie .................................................................................................. 409 . .................................................................................................................................... 409 © Arpana Tjard Holler (Autor) Haut Pathologie...................................................................................................................................... 414 N. Infektionslehre .................................................................................................................................. 431 Allgemeine Infektionslehre .................................................................................................................... 431 Spezielle Infektionslehre ........................................................................................................................ 443 O. Onkologie und Pathologie ................................................................................................................ 499 Onkologie und Pathologie...................................................................................................................... 499 Onkologie................................................................................................................................................ 500 Allgemeine Pathologie ........................................................................................................................... 505 P. Notfallerkrankungen ........................................................................................................................ 513 Notfallerkrankungen .............................................................................................................................. 513 Q. Gesetzeskunde ................................................................................................................................... 531 Gesetzeskunde ........................................................................................................................................ 531 R. Hygiene .............................................................................................................................................. 539 Hygiene ................................................................................................................................................... 539 © Arpana Tjard Holler (Autor) S. Psychiatrie ......................................................................................................................................... 551 Psychiatrie .............................................................................................................................................. 551 Anhang 1 – Laborwerte im Überblick ................................................................................................... 623 Anhang 2 – Säuglings- und Kindesentwicklung ................................................................................... 625 Anhang 3 – BMI und chemische Elemente........................................................................................... 627 Anhang 4 – Gesetzliche Vorsorgeuntersuchungen ............................................................................... 628 © Arpana Tjard Holler (Autor) 16 A. Einführung Einführung zum Gebrauch des Heilpraktikerskripts Einführung Herzlich willkommen bei der Lektüre dieses Skripts! Es soll Sie auf Ihrem Weg zur Vorbereitung auf die schriftliche amtsärztliche Überprüfung begleiten. Die Inhalte des Skripts werden mit dem jetzigen Prüfungsniveau in den Gesundheitsämtern abgestimmt und ständig aktualisiert. Das Skript kann als Grundlage des Unterrichts dienen und bietet gerade am Anfang eine Übersicht der doch recht verwirrenden Vielfalt von Informationen. Die Absicht ist es, den Unterrichtsstoff (didaktisch und optisch) zusammenzufassen und aufzuzählen. Daher eignet sich dieses Heilpraktikerskript auch (oder gerade) für die Prüfungsvorbereitung als Leitfaden und Nachschlagewerk. Das Format ist so aufgebaut, dass das Hinzuschreiben von Informationen bzw. eines Verständnistextes möglich ist. Das Skript bietet keine Lehrbuchfunktion, sondern es ist gedacht als Übersicht, Zusammenfassung, Aufzählung und als Nachschlagewerk oder Leitfaden. Beim Neueinstieg in den medizinischen Lehrstoff ist zu beachten, dass v.a. bei den Punkten Ursachen und Komplikationen der Vollständigkeit halber Krankheiten, Syndrome und Sachbegriffe erwähnt werden, die dem Studierenden noch nicht bekannt sind und erst später verständlich erscheinen. Die verschiedenen Kapitel im Skript sind unterteilt in Anatomie/Physiologie und Pathologie. Der Prüfungsschwerpunkt (schriftlich und v.a. mündlich) liegt auf der Pathologie und so hat diese im HPSkript auch eine größere Bedeutsamkeit. Das Wissen um die anatomischen Strukturen (Mikro- sowie Makroanatomie) ist Voraussetzung für die Pathophysiologie (der Entstehung und dem Ablauf von Krankheiten), so dass das Nachschlagen im anatomischen Atlas unumgänglich ist. Um das HP-Skript nicht noch umfangreicher zu gestalten, sind Zeichnungen und Skizzen nur selten zu finden. Die Krankheiten im Skript sind typischerweise unterteilt in Definition (Def:), Ursache (Urs:), Symptome (Sym:), Pathologie bzw. Pathophysiologie (Pat:) Komplikation (Kom:) und teilweise auch Therapie (The:). Im HP-Skript sind viele lateinische Namen erwähnt. Es ist erforderlich, den gängigen Teil der medizinischen Fachbegriffe kennen zu lernen. So ist es möglich in den medizinischen Wörterbüchern nachzuschlagen und deren Erläuterungen zu verstehen. Außerdem ist das Wissen der lateinischen Begriffe später in der Praxis bedeutsam, um z.B. die ärztliche Diagnose (Befunderhebung, Diagnose, Laborbericht) dem Patienten zu erläutern. Jedoch dürfen wir nicht vergessen, dass wir keine Mediziner im herkömmlichen Sinne sind, auch keine Ersatzmediziner. Die deutschen Namen der Erkrankungen und anatomischen Strukturen müssen unbedingt gewusst werden. In der Prüfung sollten Sie ihr Wissen so vorbringen, dass es ein interessierter Laie verstehen kann. Beim Erlernen des medizinischen Stoffes ist es wichtig, dass Sie das Thema bzw. den Stoff verstanden haben. Dazu ist es bedeutsam, das Unterrichtsthema nach der Unterrichtseinheit zu Hause zu bearbeiten. Dafür kann das Skript verwendet werden. Vergessen Sie nicht, dass am Anfang das Wissen und Hervorbringen von Sachthemen von vor ein paar Wochen nicht verlangt wird und auch nicht erforderlich ist. Gerade am Anfang dieser Lernperiode neigen die Schüler dazu in einen Leistungsdruck zu geraten, welcher häufig in Krisen ausarten kann, wie z.B. „das schaff ich nie“, „ich habe schon wieder alles vergessen“, „das kann ich nicht“. Wichtig beim Erlernen des Stoffes ist Geduld und ständiges „Dranbleiben“ am Thema. Kommt ein neues Thema, vergessen Sie den letzten Stoff und konzentrieren Sie sich auf den neuen. Im Laufe des Unterrichts wird es immer wieder Wiederholungen geben. Eine große Schwierigkeit des Lernenden ist es, in dem umfassenden medizinischen Stoff das für den Heilpraktiker-Anwärter relevante Prüfungswissen zu erkennen. So gibt es zum Beispiel Krankheiten, die Sie unbedingt wissen müssen, und Krankheiten, die eher an der Peripherie des „Zu-Wissenden“ liegen. Bei der Pathologie des entsprechenden Kapitels sind deshalb Krankheiten, die unbedingt zum Prüfungswissen des HPA zählen mit einem versehen. Einführung 17 Die Aufarbeitung des Lernstoffes erfolgt erst nach dem medizinischen Unterricht in den Lerngruppen und im Repetitorium. Dies wird von mir als Prüfungsvorbereitung bezeichnet und soll in der Regel erst nach dem offiziellen Unterricht beginnen bzw. spätestens ein halbes Jahr vor der Heilpraktikerprüfung. Einleitend eine Sammlung von Vorsilben, Endungen und Begriffen, die immer mal wieder in der Literatur vorkommen. Sie soll zur Orientierung dienen und keinesfalls auswendig gelernt werden. Vorsilben A-/aAbAd- ApoAutoBiDeDiaDisDys- En-, emEndoEk-, ektoEpi- EuExExtraHyperHypoInInInfraInter- IntraPanPara Per- Bedeutung Beispiele weg von, fehlen von abakteriell, Agenesie (vollständiges Fehlen eines Organs oder Gewebeteils), Agranulozytose, Arrhythmie von, weg (Herzrhythmusstörung) an, zu Abduktion, Abortus, Ablatio retinae (Netzhautablösung) Adduktion, adhäsiv (verklebend, anhaftend), Adnexe (Anhängsel, auch Gebärmutter und Eileiter zusammen) von, weg apokrine Drüsen (absondernde Drüsen) selbstständig Autonomes Nervensystem (unabhängiges Nervensystem) doppelt bilaterale Drüsen (beidseitige Drüsen) weg, herab Degeneration (Entartung), Demenz (Zerfall, Verblödung), deferens (hinab führend, abwärts führend) durch Dialyse, Diapedese, Diabetes (Durchfluss) auseinander Distorsion (Verstauchung, Verzerrung) -fehl Dyspnoe (Atemnot), Dysphagie (Schluckstörung), Dysurie (Störung der Blasenentleerung), Dysfunktion (Fehlfunktion), Dysplasie (anlagebedingte Fehlbildung) innen, in, hinein Enanthem (infektiöser Ausschlag der Schleimhaut), Endothel, Embryo, Embolie innen Endoderm (innerstes Keimblatt), Endokard heraus, außen Ektomie (Herausschnitt), Ektoderm (äußeres Keimblatt) auf, drauf Epidermis (äußerste gefäßlose Hautschicht), Epiglottis (Kehldeckel), Epikard (Herzbeutel), Epipharynx (Nasenrachenraum), Epithel gut Euphorie (schöne Gefühle), euthyreot (mit normaler Produktion von Schilddrüsenhormonen einhergehend) aus, heraus Exogen (von außen kommend), Exanthem (infektiöser Hautausschlag) außerhalb Extrazellulär, Extrasystole, extrakardial (außerhalb der Herzens) über, hinaus, mehr Hyperlipidämie, Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion), Hypertrophie (Zellvergrößerung), Hypertonie unter, darunter, Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) Hypopharynx weniger (unterer Rachenraum), Hypotonie (niedriger Blutdruck) in, hinein Infektion, Infusion, Intrakutan (in die Haut spritzen) nicht Inoperabel, inkompatibel (unverträglich), inkontinent (unfähig Harn oder Stuhl willkürlich zurückzuhalten) unterhalb Infraorbital (unterhalb der Augenhöhle) zwischen Interdigital (zwischen den Zehen bzw. Finger), interkostal (zwischen den Rippen), Interstitium (Raum zwischen den Zellen) innerhalb Intrakardial, intravenös, intrazellulär alles, vollständig Pandemie (überall verbreitete Infektionskrankheit), Panarteriitis nodosa (entzündliche Erkrankung vieler Arterien) neben Paravertebral (neben der Wirbelsäule), parasternal (neben dem Brustbein), paraartikulär (neben dem Gelenk) durch Perforation (Durchbruch) © Arpana Tjard Holler (Autor) 18 Peri- Einführung herum Subunter Super, supra über Endungen -algie -ämie Bedeutung Algor - Schmerz im Blut vorhanden -blasten -dermie -ektasie aufbauende Zellen die Haut betreffend Dehnung, Erweiterung operative Entfernung Erbrechen Entstehung voll sein von -ektomie -emisis -genese -iasis -id(e) -ismus -itis -kinese -logisch -lyse -lytisch -om -ose -para -pathie -penie -phobie -poese -spasmus -stase -stenose -tonie -trophie -zyten Perikard (Herzbeutel), perioral (um den Mund herum), Periost (Knochenhaut) Subfebril, subkutan (unter der Haut) Superinfektion, supraorbital (oberhalb der Augenhöhle), supraventrikulär (oberhalb der Herzkammer) Beispiele Neuralgie (Nervenschmerz) Anämie (Blutarmut) Hypercholesterinämie (hohe Cholesterinwerte im Blut) Osteoblasten (Knochenaufbauzellen), Erythroblasten Neurodermitis, Sklerodermie Bronchiektasie Appendektomie Hämatemesis (Bluterbrechen) Pathogenese (Krankheitsentwicklung) Cholelithiasis (Gallensteinleiden) Nephrolithiasis (Nierensteinleiden) ähnlich Lipoide (fettähnliche Stoffe) Erkrankung, Leiden Rheumatismus, Meningismus akute Entzündung Arthritis (akute Gelenksentzündung), Zystitis (Blasenentzündung), Tonsillitis (Mandelentzündung) bewegen, Akinese Bewegung pathologisch analysieren, ergründen Lysis (Lösung) Hämolyse (Auflösung der roten Blutkörperchen) auflösend hämolytisch bös- oder gutartiger Karzinom (bösartiger Tumor von Epithelzellen ausgehend) Geschwulst Lipom (gutartiger Tumor vom Fettgewebe ausgehend) degenerativ, Arthrose (degenerativer Schwund des Gelenkknorpels) dauernd Nullipara = Frauen, die noch nicht geboren haben; Erstpara als Wortendung oder Primipara = Frauen, die bis jetzt ein Kind geboren haben; Bezeichnung für Sekundipara = Frauen, die bis jetzt zwei Kinder geboren Frauen hinsichtlich haben; Multipara oder Pluripara = Frauen, die mehrere Kinder der von ihnen geboren haben lebend geborenen Kinder Krankheit, Leiden Neuropathie (Nervenleiden), Enzephalopathie (Erkrankungen des Gehirns) zu wenig, Armut Leukopenie (Verminderung der weißen Blutkörperchen) Angst, krankhafte Agoraphobie (= Platzangst), Arachnophobie (Angst vor Furcht Spinnen) Bildung, Erythropoese (Bildung von Erythrozyten) Hervorbringen Leukopoese (Bildung der Abwehrzellen) Bronchospasmus (Krampf der Bronchialmuskulatur) Krampf Hämostase, Orthostase-Syndrom Stauung Verengung Pylorusstenose (Magenpförtnerverengung) Tonus (Spannung) Hypertonie (erhöhter Blutdruck) Nahrung, Ernährung Atrophie (Gewebsschwund), Hypertrophie (Zellvergrößerung) Zelle, Zellart Erythrozyten (rote Blutkörperchen), Leukozyten (Abwehrzellen), Osteozyten (Knochenzellen) Einführung 19 -zytose -urie Größen hemi/semi Vermehrung Harnausscheidung Bedeutung halb makro, mega mikro oligo poly groß klein wenig viele Richtung medial lateral ventral dorsal proximal Bedeutung zur Mitte hin seitlich zum Bauch hin zum Rücken hin zum Körper/Zentrum hin vom Körper/Zentrum weg nach unten (zum „Schwanz“ hin) nach oben (zum Kopf hin) vorderer hinterer zur Handfläche hin zur Fußsohle hin Daumenseite, zur Speiche hin Kleinfingerseite, zur Elle hin distal kaudal kranial anterior posterior palmar plantar radial ulnar Färbungen albus ery leuko luteus mela niger ruber zyano Bedeutung weiß rot weiß gelb schwarz schwarz rot blau © Arpana Tjard Holler (Autor) Leukozytose (Vermehrung von Leukozyten) Proteinurie, Hämaturie, Glukosurie Beispiel Hemiparese (unvollständige Halbseitenlähmung) Hemisphäre (Großhirnhälfte) Makrophagen, Megakolon Mikroanatomie, Mikroangiopathie Oligurie (Harnausscheidung unter 500ml) Polyarthritis (Entzündung vieler Gelenke), Polyurie (Harnausscheidung über 3 l) Beispiel Albino Erythrozyt Leukozyt Corpus luteum (Gelbkörper), Macula lutea (gelber Fleck) Melanom, Melanin Nucleus niger (Gehirnteil im Mittelhirn) Nucleus ruber (Gehirnteil im Mittelhirn) Zyanose 20 Wichtige medizinische Begriffe abdominaladenoadipoadrenoakro-/acroandroangi-/angio antearthroazid-/acidbili-/bilioblepharobrachi-/brachio bradybronchocalcicephalcerebrcervicocholechondr- /chondro chromcraniocryptodermatodesdys ektoem- (auch: en-) endenteroenzephalepieryeuexexoextrafibrofollikulfung-/fungigastroglossoglykogyn-/gynäko hämato-/ hämohemihepatohidrohisto-histiohomohydro- Einführung Bauch Drüse Fett 1. Nebenniere; 2. Adrenalin End-/end-, Extremität, Spitze Mann, männlich Gefäß vor, vorn Gelenk sauer, scharf; Säure Galle, gallenhaltig Augenlid, Augenwimper Arm, Oberarm langsam, verlangsamt, verzögert Bronchus, Bronchien Kalzium, Kalziumsteine, Kalk Kopf, Schädel Gehirn Nacken, Hals, Gebärmutterhals Galle, Gallenflüssigkeit Knorpel, Knorpelgewebe Farbe, Farbstoff, Pigment Schädel, Kopf verborgen Haut weg, ohne fehlerhaft, schwierig, erschwert, un-, miss-, oder Abweichung von der Norm, krankhafter oder fehlerhafter Zustand, mangelnde Funktion außen, außerhalb hinein, innen, innerhalb innen, innerhalb Darm, Eingeweide im Kopf gelegen, Gehirn auf, darauf, darüber, daneben, oben, kopfwärts; die Oberfläche bedeckend rot, rötlich gut, normal, schön, gut ausgebildet außen, heraus, weg außerhalb, nach außen gerichtet, von außen kommend außerhalb gelegen Faser Schlauch, Beutel Pilz Bauch, Magen Zunge, Sprache süß, Zucker, Glukose Frau, weiblich Blut, Blutbestandteile halb, halbseitig, zur Hälfte, teilweise Leber Schweiß Gewebe gleich, gleichartig, ähnlich Wasser, wässrige Körperflüssigkeit, Feuchtigkeit Einführung ileininfrainterintraischiisokard karpkeratkinkoxkraniokypholactolipolitholumbolymphlysmegalomelanomesometa mikro-/micromonomorphomukomyelomykomyonekronephroneurokulooligoonkoooophthalmorthoosteootoovparvapathophagophlebophotophytopneumpolypostpraeprokto© Arpana Tjard Holler (Autor) 21 Unterleib, Gedärme 1. in, hinein; 2. ohne, nicht unterhalb von etwas, unten, jenseits von zwischen, dazwischen, mittendrin innerhalb, in, hinein Hüfte, Sitzbein, Gesäß gleich, gleichartig 1) Herz, 2) Magen Hand, Handwurzel Hornhaut, Hornsubstanz, Verhornung bewegen, Bewegung Hüfte, Hüftgelenk Schädel, Kopf gekrümmt, gebückt, Buckel Milch Fett Stein, Konkrement (auch Wortendung) Lende klares Wasser, Quellwasser Lösung, Auflösung groß, lang, weit, übermäßige Erweiterung schwarz mittlerer, zwischen, in der Mitte zwischen, inmitten; nach, nachher“ 1. klein, gering; 2. Einheit mit der Bedeutung ein Millionstel (10-6), Abk.: µ alleine, einzeln, einmalig Gestalt, Form Schleim, Schleimstoffe Mark, Knochenmark, Rückenmark Pilze, pilzartiges Aussehen Muskel tot, abgestorben, Vorgang des Absterbens Niere, Nieren Nerv, Nervengewebe, Nervensystem Auge vermindert, wenig, klein, gering, arm an... Geschwulst, Tumor Ei, Eizelle Auge, Augenkrankheit aufrecht, aufgerichtet, gerade, richtig Knochen, knöchern Ohr, Ohren Ei, Eizelle klein Krankheit, Leiden, Schmerz vertilgen, verzehren, fressen Vene Licht, Helligkeit Pflanze Luft, Gas, Atem, Lunge viel, viele, zahlreich, mehr nach, später, hinter vor, voraus, voran, davorliegend, vorzeitig After, Steiß 22 pulmonalpyore- renoretrorhinosemiserosklerosomatspinosplenospondylospongiosteato stenostomato subsym-/syntachytarstendothrombthyreo-/thyroultraüberschreitend urovagozerebrozyst- Einführung Lunge Eiter zurück, zurückbleibend, in den ursprünglichen bzw. normalen Zustand zurückbringend, an die richtige Stelle bringend, rückläufig, entgegen gerichtet Niere hinter, hinten, zurück, rückwärts, im Hintergrund von etwas gelegen Nase halb, zur Hälfte Blutserum, Flüssigkeit hart, trocken, spröde Körper 1. dornförmig; 2. die Wirbelsäule bzw. das Rückenmark betreffend Milz Wirbel, Wirbelgelenke schwammig, schwammartig Talg, Fett Enge, Verengung, Beklemmung Mund, Mundhöhle unter, unterhalb, niedriger, von unten heran, nahe bei, weniger mit, zusammen, gemeinsam, zugleich, gleichartig schnell, beschleunigt Fußwurzel, Fußwurzelknochen Sehne, spannen, ausdehnen dicker Tropfen, Blutpfropf, Blutgerinnsel, Blutplättchen Schilddrüse (Glandula thyreoidea) jenseits von, über ... hinaus, dahinterliegend, das Normale Harn, Harnbestandteile, Harnausscheidung Nervus Vagus (X. Hirnnerv) Gehirn Blase, Harnblase, Hohlraum Die Zelle B. 23 Zelle/Gewebe Die Zelle Eigenschaften der Zelle A ....................................................................................................................... 24 Der Aufbau der Zellen ............................................................................................................................ 24 Das Erbmaterial ...................................................................................................................................... 25 Die Zellfunktion ...................................................................................................................................... 25 Die Zellenergie ........................................................................................................................................ 25 Die Zellteilung ......................................................................................................................................... 26 © Arpana Tjard Holler (Autor) 24 Die Zelle Eigenschaften der Zelle A Zellen bilden die kleinste Einheit des menschlichen Organismus. Die Kennzeichen der Zelle sind: Wachstum Stoffwechsel Reizbarkeit Leitfähigkeit Beweglichkeit Anpassungsfähigkeit Fortpflanzung Der Aufbau der Zellen Der Raum innerhalb der Zellen nennt sich Intrazellulärraum. Der Raum außerhalb der Zellen nennt sich Zwischenzellraum, Extrazellulärraum oder Interstitium. Zellmembran Hat die Aufgabe, den Zellinhalt gegen äußere Einflüsse (Flüssigkeit im Extrazellulärraum) abzugrenzen und zu schützen. Dicke der Zellmembran 7-10 nm. Besteht aus zwei gegensätzlich angeordneten Phosphorlipidschichten. Jede Schicht wird in der Breite aus einem Phosphorlipidmolekül gebildet, welches mit dem hydrophilen (wasseranziehenden) Kopf (Phosphatmolekül) in der äußeren Schicht zur Zellaußenseite (Extrazellulärraum) und in der inneren Schicht zur Zellinnenseite (Intrazellulärraum) zeigt, während die hydrophoben (wasserabstoßenden, fettanziehenden) Schwänze (Lipide, Fettsäuren) in der Doppelschicht zueinander zeigen. In dieser Doppelschicht eingelagert sind spezialisierte Eiweiße (sog. Membranproteine), die im Wesentlichen eine Transportfunktion besitzen. An der Zellmembran ragen Kohlenhydratmoleküle ins Interstitium, die ein spezifisches Muster für jede Zelle bilden und so eine Funktion zur Erkennung von Zellen ausüben. Zellleib Das Zytoplasma ist die Flüssigkeit innerhalb der Zelle, worin die Zellorganellen eingebettet sind: Endoplasmatisches Retikulum ist ein verzweigtes Netz von Kanälen zum Transport gelöster Stoffe im Zytoplasma. Ribosomen sind kleine, kugelförmige Körper, die frei im Zytoplasma schwimmen oder dem endoplasmatischen Retikulum anhaften. Sie dienen der Eiweißsynthese. Golgi-Apparat ist die Verpackungsmaschine für Stoffe, die nach außen abgegeben werden. Mitochondrien sind die Orte der Zellatmung. Sie bauen Nährstoffe ab und speichern die gewonnene Energie als ATP (Adenosintriphosphat). Lysosome enthalten Verdauungsenzyme zum Abbau von Bakterien, Viren, Molekülen und körpereigenen Stoffen. Zentrosome besitzen Funktionen bei der Zellteilung. Zytoskelett besteht aus Mikrotubuli und Mikrofilamenten. Die Zelle 25 Zellkern (Nucleus) und Kernkörperchen (Nucleolus) Der Zellkern ist der Träger der Erbinformation und der Informationen über die Herstellung ständig benötigter Stoffe (Eiweiße, Hormone, Enzyme u.a.). Diese Informationen sind genetisch festgelegt in der DNS (Desoxyribonukleinsäure). Alle lebenden Zellen außer Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und Thrombozyten (Blutplättchen) haben einen Zellkern. In den Kernkörperchen des Zellkerns wird RNS (Ribonukleinsäure) produziert, welche die Aufgabe besitzt, die Information der DNS zu kopieren und zum Zielort, den Ribosomen, zu bringen. Stoffaustausch der Zelle Ohne Stoffaustausch keine Kennzeichen des Lebendigen. Die Zelle benötigt Stoffe von außen und gibt Stoffe ab. Es gibt mehrere Möglichkeiten die Zellmembran als Barriere zu passieren. Diffusion als passive Transportfunktion. Atomare Teilchen passieren die Zellmembran infolge der Diffusionskraft entlang des Konzentrationsgefälles. Ionenkanäle können die Diffusion erleichtern bzw. verhindern. Aktiver Transport: Unter Verbrauch von ATP werden Stoffe z.B. über Transportmoleküle durch die Zellmembran geschleust. Vesikel als Transportmöglichkeit. Größere Stoffmengen können nicht über Transportkanäle die Zellwand passieren, sondern werden als Bläschen (Vesikel) über die Zellmembran eingeschleust (Endozytose) oder aufgenommen (Exozytose), in dem sie mit der Zellmembran verschmelzen. Das Erbmaterial Die Erbanlagen sind in Form von Chromosomen im Zellkern gespeichert. Die Chromosomen bestehen aus DNS-Molekülen und sind als eine Doppelhelix gebaut, ähnlich einer spiralig um eine Säule herum gelegten Strickleiter. Jede Zelle hat 46 Chromosomen, die in 23 Paare aufgeteilt werden. 22 Paare sind untereinander gleich (Autosomen). Ein Paar ist nicht miteinander identisch, die Geschlechtschromosomen (Heterosomen). In männlichen Zellen liegen diese als ein X- und ein Y-Chromosom vor, weibliche Zellen haben zwei gleichartige, große X-Chromosomen. Die Zellfunktion Während der Alltagsfunktion der Zelle wird je nach Bedarf ein Abschnitt der DNS kopiert und vom Kern in das Zytoplasma transportiert. Dort wird an den Ribosomen seine spezifische Information abgelesen und mit deren Hilfe der Zielstoff (Eiweiß, Hormon, Enzym u.a.) zusammengesetzt. Die entstandenen Produkte werden durch den Golgi-Apparat verpackt und in Richtung Zellmembran befördert. Die Zellenergie Alle biochemischen Reaktionen der Zelle erfordern neben der Bereitstellung von Baumaterial auch Energie. Diese Energie wird in Form energiereicher Phosphatverbindungen (ATP = Adenosintriphosphat) bereitgestellt. Die zum Aufbau von ATP erforderliche Energie wird durch Oxidation von Fetten und Kohlenhydraten gewonnen. In den Mitochondrien findet solch ein Prozess unter Einwirkung von Sauerstoff statt. Die Mitochondrien sind so die energetischen Kraftwerke der Zelle. © Arpana Tjard Holler (Autor) 26 Die Zelle Die Zellteilung Mitose: Einfache Zellteilung aller Körperzellen. Die Doppelstränge der DNS teilen sich und dienen jeweils als Vorlage für ein neues Paar. Zu jedem losgelösten Strang wird ein neuer Gegenstrang gebildet, so dass jede Tochterzelle nach der Teilung einen kompletten Chromosomensatz (46) erhält. Durch diese mitotische Zellteilung kommt es zu zwei neuen, identischen Zellen. Meiose: Zellteilung der Geschlechtszellen (sog. Reduktionsteilung). Die Geschlechtszellen reduzieren in der Reifeteilung ihren doppelten Chromosomensatz (diploider Chromosomensatz) auf einen einfachen, halben Chromosomensatz (haploider Chromosomensatz). Die jeweils halben Chromosomensätze der Geschlechtszellen ergänzen sich bei der Befruchtung zu einem vollständigen Satz, wobei das Chromosom X oder das Chromosom Y der männlichen reifen Samenzellen das Geschlecht des Kindes bestimmt. Gewebe Anatomie 27 Gewebe Anatomie Unterscheidung der Gewebearten .......................................................................................................... 28 Epithelgewebe .......................................................................................................................................... 28 Binde- und Stützgewebe .......................................................................................................................... 29 Muskelgewebe (Musculus, Myo-) ........................................................................................................... 33 Nervengewebe (Nervus, Neuro-)............................................................................................................. 33 © Arpana Tjard Holler (Autor) 28 Gewebe Anatomie Unterscheidung der Gewebearten Ein Gewebe (Histo-) ist ein Verband von Zellen gleicher Bauart und gleicher Funktion. Ein Organ ist ein Verband verschiedener Gewebe und Zellen, welche die Aufgabe haben eine oder mehrere bestimmte Funktionen auszuüben. Atom – Molekül – Zelle – Gewebe – Organ – Organsysteme (z.B. Harnapparat) – Mensch. Je nach Aufgabe der jeweiligen Gewebeart sind die dafür zuständigen Zellen differenziert. Die Zellen von Muskel- und Nervengewebe sind so hoch spezialisiert, dass für sie eine Teilungsfähigkeit nicht mehr in Frage kommt. Es werden vier Gewebearten unterschieden: Epithel- und Drüsengewebe: Epithelzellen umgeben das Gewebe, kleiden die Oberflächen von Hohlräumen aus und bilden Drüsen. Binde- und Stützgewebe: Fettgewebe, Sehnen, Bänder, Blut und MonozytenMakrophagen-System (MMS) werden zum Bindegewebe gezählt, Knochen und Knorpel gehören zum Stützgewebe. Muskelgewebe bestehen aus kontraktionsfähigen Muskelzellen. Nervengewebe sind Impulsgeber oder Reizleitungsbahnen. Unter Parenchym versteht man das jeweilige Funktionsgewebe eines Organs (z.B. die Tubuluszellen der Niere). Epithelgewebe Wird als Deckgewebe bezeichnet. Bedeckt äußere/innere Körperoberflächen, kleidet Hohlräume aus. Ist ein flächenhaft ausgebreiteter Zellverband, dessen Zellen dicht aneinander liegen. Bietet Schutz (Haut, Schleimhaut). Dient dem Stoffaustausch: im Darm Resorption, bei den Drüsen Sekretion. Ist an der Reizaufnahme (Sinnesepithel, z.B. Netzhaut des Auges) beteiligt. Aufbau des Epithelgewebes Die Epithelzellen liegen einer Basalmembran auf. Sie ist 0,5 - 1,5 m dick. Das Epithelgewebe besitzt keine eigenen Gefäße; die Ernährung erfolgt über die Basalmembran durch Diffusion. Eine Basalmembran findet sich immer dort, wo ein Stoffaustausch stattfindet. Formen des Epithelgewebes Deckepithelien Deckepithelien decken und grenzen mit ihren Zellleibern ab, kleiden innere Höhlungen, Gefäße aus. Nach den Schichten des Epithels werden unterschieden: Einschichtiges Epithel: Befindet sich vorwiegend im Magen- und Darmkanal, Gefäße, Bauchfell, Gallenblase, Eileiter und Gebärmutter. Mehrschichtiges Epithel: Befindet sich meist an mechanisch besonders beanspruchten Stellen wie z.B. Haut (verhorntes mehrschichtiges Epithel), Augenbindehaut, Mund, Lippen, Kehlkopf, Speiseröhre, After, Scheide und Eichel. Gewebe Anatomie 29 Nach der Form der Epithelzellen lassen sich unterscheiden: Plattenepithel: Wird vor allem als Auskleidung von Blut- und Lymphgefäßen und serösen Höhlen (Rippenfell, Herzbeutel, Bauchfell) verwendet. Kubisches (würfelförmiges) Epithel: Die Epithelzellen sind quadratisch. Sie finden sich v.a. in der Niere als Tubuluszellen. Zylinderepithel oder hochprismatisches Epithel: Wird hauptsächlich bei der Stoffaufnahme und Stoffabgabe benutzt, also im Magen-Darm-Trakt (Gastrointestinaltrakt). Sonderformen des Deckepithels sind: Verhorntes Epithelgewebe: Durch abgestorbene Epithelzellen entstehende Hornschicht auf der äußeren Haut. Flimmerepithel: Flimmerhärchen tragendes Epithelgewebe mit eingestreuten Becherzellen; befindet sich in den oberen und unteren Atemwegen. Übergangsepithel: Eine besondere Form des Epithelgewebes, die sich nur in den ableitenden Harnwegen befindet. Es ist dehnbar und kann sich einer unterschiedlichen Füllung anpassen. Resorptionsepithel (transportierendes Epithel): Schleimhautzellen im Dünndarm, welche die Fähigkeit besitzen, molekulare Nahrungsbausteine (Glukose, Aminosäuren, Fettsäuren) und andere Stoffe in den Körper aufzunehmen. Sinnesepithelien: Befinden sich in der Netzhaut des Auges (Zapfen und Stäbchen) bzw. im Innenohr (Haarzellen) und sind hoch spezialisierte Verbände von Epithelzellen, die der Reizaufnahme dienen. Drüsengewebe Verbände hochdifferenzierter Epithelzellen, die Stoffe herstellen und abgeben. Exokrine Drüsen Ihre produzierten Stoffe werden nach außen abgegeben. Damit sind neben der Haut auch die im Inneren des Körpers befindlichen Höhlen, wie z.B. der Magen-Darm-Trakt, die Eierstöcke, Hoden und die ableitenden Harnwege, gemeint. Große Drüsen mit einer Vielzahl von Zellen besitzen einen Ausführungsgang. Beispiele: Talgdrüsen, Duftdrüsen, Schweißdrüsen, Speicheldrüsen, Tränendrüsen, Becherzellen, Cowper-Drüse, Bartholin-Drüsen, Haupt-, Belegund Nebenzellen der Magenschleimhaut, Bauchspeicheldrüse, Leber, Eierstöcke, Hoden u.a. Endokrine Drüsen (hormonproduzierende Drüsen) Sie geben ihre Stoffe direkt in den Zwischenzellraum ab. Diese gelangen dann per Diffusion über die Kapillaren in den Blutkreislauf. Siehe Kapitel Endokrinologie Binde- und Stützgewebe Ist das am häufigsten vorkommende Gewebe im Körper. Es verbindet und umgibt Gewebe, Organe, Organsysteme und grenzt diese zur Umgebung ab. Folgende Zellverbände werden dazu gezählt: Knochen und Knorpel (Stützfunktion) Blut (flüssiges Gewebe) Fettgewebe Bänder, Sehnen und Schleimbeutel © Arpana Tjard Holler (Autor) 30 Gewebe Anatomie Aufbau des Bindegewebes Typisch für Bindegewebe ist der hohe Anteil an nichtzellulärer Substanz. Diese besteht aus Grundsubstanz und den darin enthaltenen, dem Charakter des Bindegewebes dienenden Bindegewebsfasern. Die Bindegewebszellen treten gegenüber der Grundsubstanz quantitativ deutlich zurück. Bindegewebsfasern bestehen nicht aus Zellen! Bindegewebszellen Fixe Bindegewebszellen Sie heißen Fibrozyten und haben lange Zellfortsätze, die zum Teil mit anderen Zellen in Verbindung stehen und ein dreidimensionales Netz bilden. Fibrozyten und Fibroblasten (junge aufbauende Bindegewebszellen) ernähren die Grundsubstanz. Mobile Bindegewebszellen Sind die Abwehrzellen des Blutes und der lymphatischen Organe. Sie können die Blutbahn verlassen und sich frei im Gewebe bewegen, um Erreger zu beseitigen (Monozyten-Makrophagen-System). Grundsubstanz Sie befindet sich im Interstitium und umgibt alle Zellen. Ihre Konsistenz kann flüssig, halbflüssig, gallertartig (Knorpel) oder fest (Knochen) sein. Sie besteht hauptsächlich aus Wasser, Eiweißen, Kohlenhydraten und Salzen. Fasern Die Fasern befinden sich in der Grundsubstanz und geben dem Bindegewebe die eigentliche Qualität. Zu unterscheiden sind 3 Arten von Fasern: Kollagene Fasern: Sind durch ihre Geflechtstruktur besonders reißfest und können sich max. 5% ihrer Länge dehnen. Sie kommen vor in Knochen, Faserknorpeln (z.B. Meniskus), Bändern und v.a. in Sehnen. Name: Kollagen quillt beim Kochen und ergibt Leim (griechisch: Kolla). Früher wurde Leim in Leimsiedereien aus Knochen gewonnen. Elastische Fasern: Sind zugelastisch und können sich um mehr als 100% ihrer Länge dehnen. Sie kommen in Knorpelgewebe vor z.B. in der Nasenscheidewand, am Ohr und in anderen Geweben wie im Lungengewebe und in herznahen Arterien. Retikulinfasern (Gitterfasern): Sind biegungselastisch (weniger zugelastisch) und kommen v.a. im retikulären Bindegewebe (Milz, Lymphknoten, Tonsillen, Knochenmark) und Basalmembranen vor. Formen des Bindegewebes Monozyten-Makrophagen-System (retikuläres Bindegewebe) Das Monozyten-Makrophagen-System wurde früher als RES (Retikuloendotheliales System) bezeichnet. Alle Zellen, die von den Monozyten abstammen und als mobile oder fixe Zellen Abwehrcharakter besitzen (das Zauberwort ist: Phagozytose, die Fähigkeit Zellen zu „fressen“). Vorkommen: lymphatischer Rachenring, Lymphknoten, Lunge, Milz, Leber, MagenDarm-Trakt, Knochenmark, Gehirn, Bindegewebe. Gewebe Anatomie 31 Lockeres Bindegewebe Dient als Verschiebeschicht zwischen unterschiedlichen Gewebearten (z.B. Haut und darunterliegende Muskelschicht). Hier sind Fibrozyten in meist flüssiger Grundsubstanz (Wasserspeicher) sowie elastische und kollagene Fasern in lockerer Anordnung zu finden. Enthält Nerven und Gefäße. Dient als Stützgerüst (Stroma) von Organen (interstitielles Bindegewebe). Straffes Bindegewebe Bildet hauptsächlich Sehnen (parallelfaseriges Bindegewebe) und Bänder (geflechtartiges Bindegewebe), die vorwiegend aus kollagenen Fasern bestehen. Dazwischen liegen Fibrozyten mit wenig Grundsubstanz. Geflechtartig verwobene Bindegewebsfasern sind außerdem vorhanden in der Lederhaut des Auges, in Hirnhäuten und Organkapseln. Sehnen (Tendo, Tendo-) Stellen die Verbindung zwischen Muskel und Knochen dar und sind durch die parallel angeordneten Kollagenfasern besonders auf Zug belastbar. Sind auch als flächenhafte Sehnen gestaltet, z.B. die Sehnenplatte der Hohlhand (Palmaraponeurose), der Fußsohle (Plantaraponeurose), die Zwerchfellkuppen, in der Bauchmuskulatur. Enthalten Propriozeptoren (Golgi-Sehnenorgan, Tiefensensibilität), sog. Stellungsfühler, welche zusammen mit anderen Sensoren aus Muskeln (Muskelspindeln), Gelenken und der Haut die Wahrnehmung der Stellung und Bewegung des Körpers im Raum sicherstellen. Bänder (Ligamentum) Verbinden Knochen, Gelenkanteile und Organe miteinander und begrenzen dadurch ihre Beweglichkeit. Sie bestehen aus geflechtartigen Fasern und besitzen eine größere Elastizität als Sehnen. Fettgewebe (Lipo-) Speicherfett: Befindet sich als Nahrungsreserve in Fettdepots, besonders im Unterhautfettgewebe und in den Eingeweiden des Bauchraums (Omentum majus und Appendices epiploicae). Baufett: Besitzt Schutz- und Stützfunktion. Baufettzellen sind von kollagenen Fasern umsponnen und können so auf Druck als Polster wirken (Gesäß, Fußsohlen, Handteller). Nieren und Augäpfel sind durch Baufett in ihrer Lage fixiert. Baufett wird beim Hungern bzw. Fasten und bei kräftezehrenden Krankheiten zuletzt abgebaut. Knorpel (Cartilago, Chondro-) Knorpelgewebe ist ein druckfestes und biegungselastisches Stützgewebe, und es hat die Aufgabe, stark beanspruchte Bereiche des Körpers zu schützen. Knorpelgewebe bestehen aus Chondrozyten, den Knorpelzellen, und fester Grundsubstanz. Knorpelgewebe besitzt keine Gefäße; es wird durch Diffusion aus dem in der Nähe befindlichen Gewebe ernährt. Je nach Bau der Zwischensubstanz werden 3 Knorpelarten unterschieden: Hyaliner Knorpel (hyalin = durchsichtig): Er ist der am häufigste vorkommende Knorpel und besteht im Wesentlichen aus kollagenen Fasern. Gelenkknorpel, Rippenknorpel Nasenscheidewand, Kehlkopf, Luftröhre, Bronchien Epiphysenfugen © Arpana Tjard Holler (Autor) 32 Gewebe Anatomie Elastischer Knorpel: Besteht vorwiegend aus elastischen Fasernetzen und ist leicht verformbar. Kehldeckel, Kehlkopf Ohrmuschel, Ohrtrompete Nase, Bronchien Faserknorpel (Bindegewebsknorpel): Besteht aus hyalinem Knorpel und kollagenem Bindegewebe und ist dadurch sehr widerstandsfähig. Bandscheiben, Menisken, Schambeinfuge Knochen (Os, Osteo-) Knochengewebe gibt dem Körper seine Form, schützt und stützt ihn und bildet den passiven Bewegungsapparat. Die Knochenmatrix (Grundsubstanz) des Knochens besteht aus Mineralsalzen (Kalzium, Phosphor, Fluor) und kollagenen Fasern. Die anorganischen Substanzen machen ihn zum härtesten Gewebe im Körper und verleihen ihm eine enorme Druck- und Zugkraft (15 bzw. 10kg/mm2). Der Knochen ist ein Speicherorgan für Kalzium und Phosphor. Das menschliche Knochengerüst enthält ungefähr 99% des Gesamtkalziums. Der Übertritt zwischen Blut und Knochen wird durch die Hormone Parathormon und Calcitonin geregelt (Nebenschilddrüse und Schilddrüse). Kalzium wird hauptsächlich über Milchprodukte, Nüsse und Früchte aufgenommen und braucht zur Aufnahme in den Körper Vitamin D. Die Osteozyten (Knochenzellen) sind allseits von einer festen Grundsubstanz umschlossen. Knochenaufbauende Zellen heißen Osteoblasten und knochenabbauende Zellen Osteoklasten. Durch ständige Abbau- und Aufbauvorgänge der Osteoklasten und Osteoblasten wird der Knochen regelmäßig erneuert. Die kleinste Einheit des Knochengewebes ist das Osteon. Es besteht aus einem zentralen Blutkanal, dem Havers-Kanal, um den in 10-12 Lamellen angeordnet die Knochengrundsubstanz liegt. Zwischen den einzelnen Kittlinien liegen die Knochenzellen. Volkmann-Kanäle sind im Knochengewebe quer verlaufende Blutstraßen, sie münden in die Havers-Kanäle und verbinden diese miteinander. Am Außenrand des Knochens ist die Knochenstruktur kompakt, dort wird sie Kortikalis (auch Kompakta) genannt, nach innen zeigt sie eine Bälkchenstruktur, die Spongiosa. Die Hohlräume dieser Bälkchenknochen weisen in den Epiphysen und in den platten Knochen rotes blutbildendes Knochenmark auf. In den Diaphysen beim Erwachsenen sind Höhlen mit gelben Fettmark zu finden. Außen wird der Knochen von einer Knochenhaut, dem Periost begrenzt. Sie ist im Gegensatz zum Knochen sensibel innerviert. Über sie verlaufen die Arterien in den Knochen. Die beiden verdickten Enden der langen Röhrenknochen heißen Epiphysen, der dazwischenliegende Schaft heißt Diaphyse. Das Längenwachstum geschieht in den Epiphysenfugen. Nach der Knochenform werden unterschieden: Platte Knochen: Schulterblatt, Brustbein, Schädel, Rippen Kurze Knochen: Wirbel, Fuß- und Handwurzelknochen Lange Knochen: Oberarm-, Unterarm-, Oberschenkelund Unterschenkelknochen Unregelmäßige Knochen: z.B. Kreuzbein, Hüftbeine, Rippen Gewebe Anatomie 33 Muskelgewebe (Musculus, Myo-) Es werden grundsätzlich 3 Arten von Muskelgewebe unterschieden: Quergestreifte Muskulatur: Findet sich in der Skelett- und der mimischen Muskulatur. Sie arbeitet schnell, willkürlich und ermüdet rasch. Die quergestreifte Muskulatur gehört zum aktiven Bewegungsapparat. Glatte Muskulatur: Findet sich in den Hohlorganen, arbeitet langsam, rhythmisch, unwillkürlich und ermüdet nicht. Herzmuskulatur: Besteht aus spezialisierter, quergestreifter Muskulatur. Sie arbeitet rasch, rhythmisch und autonom. Mikroskopische Anatomie: Eine Muskelfaszie (Muskelhülle) umgibt den Muskel und hält ihn in seiner Form zusammen. Jeder einzelne Muskel besteht aus vielen Muskelfaserbündeln, die von einem bindegewebigen Mantel zusammengehalten werden. Ein Muskelfaserbündel besteht aus vielen Muskelfasern. Eine Muskelfaser ist eine Muskelzelle. Muskelzellen sind nicht mehr in der Lage sich zu teilen. Eine Muskelzelle besteht aus mehreren, parallel liegenden Myofibrillen, Welche eine Kontraktion auszuführen können. Jede Myofibrille besteht aus vielen hintereinander geschalteten Funktionseinheiten, den Sarkomeren. Sie sind von den sog. Z-Streifen (Zwischenstreifen) begrenzt. Jedes Sarkomer besteht aus zwei verschiedenen Myofilamenten: Aktin und Myosin. Durch den Impuls einer Nervenzelle kommt es zu einer Verschiebung von Aktin- und Myosinfasern ineinander. Dieser Vorgang bewirkt die Verkürzung. Myoglobin ist ein roter Muskelfarbstoff, welcher als Sauerstoffspeicher dient. Nervengewebe (Nervus, Neuro-) Dient der Reizaufnahme in den Sinnesorganen, der Reizverarbeitung im ZNS und der Reizbeantwortung über Muskel- oder Drüsenzellen. Nervenzellen bestehen aus einem Zellleib und Zellfortsätzen, die als Nervenfasern bezeichnet werden. Die Fasern dienen der Weiterleitung der Erregung an andere Nervenzellen und verlaufen meist in Bündeln. Jede einzelne Nervenzelle kann mit vielen anderen in Kontakt treten. Ausführliche Beschreibung im Kapitel Neurologie © Arpana Tjard Holler (Autor) 34 Gewebe Anatomie Häufigste Chromosomenabweichungen Trisomie 21 (Down-Syndrom, Mongolismus) Def: Beim Down-Syndrom liegt das Chromosom Nr. 21 in 3-facher Ausfertigung vor (numerische Chromosomenanomalie), so dass sich in allen Körperzellen 47 anstelle von 46 Chromosomen befinden (numerische Chromosomenanomalie). Sym: schräge Augenlidstellung (Mongolismus) Augenabstand vergrößert, breite und eingesunkene Nasenwurzel tiefsitzende Ohren meist offener Mund große Zunge, vermehrte Speichelsekretion Minderwuchs unterschiedliche geistige Behinderung Fehlentwicklung fast aller Organe möglich oft Herzfehler mit zunehmenden Lebensalter überdurchschnittlich häufiges Auftreten einer Demenz Mütter über 40 Jahre haben ein erhöhtes Risiko Down-Syndrom-Kinder zu gebären. Klinefelter-Syndrom (XXY) Def: Statt der normalen Kombination von XY liegt in allen Zellen i.d.R. die Kombination XXY vor. Sym: meist geistig unterentwickelte Männer kleine Geschlechtsorgane, nicht zeugungsfähig weibliche Körperbehaarung, weibliche Brustentwicklung (Gynäkomastie) Osteoporose als Späterscheinung Turner-Syndrom (XO) Def: Bei Frauen auftretende Chromosomenabweichung mit nur einem X-Chromosom statt normalerweise zwei X-Chromosomen. Sym: Minderwuchs (meist kleiner als 150 cm) sexuelle Unterentwicklung meist keine Ausbildung von Ovarien und Gebärmutter Ausbleiben der Menstruation (Amenorrhoe) oft Organfehlbildungen (z.B. angeborene Herzfehler, Flügelfell am Hals) normale geistige Entwicklung möglich Bewegungsapparat Anatomie C. 35 Bewegungsapparat Anatomie/Pathologie Bewegungsapparat Anatomie Bewegungsapparat Anatomie ................................................................................................................. 36 Untersuchung des Bewegungsapparates ................................................................................................ 51 © Arpana Tjard Holler (Autor) 36 Bewegungsapparat Anatomie Bewegungsapparat Anatomie Das menschliche Knochengerüst Die Knochen des Schädels Die Schädelknochen, mit einem Fassungsvermögen von 1,5 Liter, wölben sich als Schädeldach und werden durch die Schädelbasis nach unten begrenzt. Unterscheidung in: Hirnschädel: 1 Stirnbein (os frontale), bis zum 6. Lebensjahr aus zwei Platten bestehend 2 Scheitelbeine (os parietale) 2 Schläfenbeine (os temporale) o Felsenbein (os petrosa), beinhaltet das Hör- und Gleichgewichtsorgan 1 Hinterhauptbein (os occipitale) 1 Keilbein (os sphenoidale) 1 Siebbein (os ethmoidale); gilt auch als Gesichtsschädel Merkspruch: Stinnes sieben Keiler sind hintersinnige Schleimer Gesichtsschädel: 1 Unterkiefer (Mandibula) 1 Oberkiefer (Maxilla) 2 Jochbeine (os zygomaticum) 2 Nasenbeine (os nasale) 2 Tränenbein (os lacrimale) 2 Gaumenbeine (os palatinum) 1 Pflugscharbein (Vomer) 2 untere Nasenmuscheln (Concha nasalis inferior) 1 Zungenbein (os hyoideum) Schädelnähte (Suturen) der Schädelknochen untereinander: Sutura coronalis = Kranznaht; grenzt die beiden Scheitelbeine vom Stirnbein ab. Sutura sagittalis = Pfeilnaht; grenzt die beiden Scheitelbeine voneinander ab. Sutura squamosa = Schuppennaht; grenzt die Scheitel- und Schläfenbeine voneinander ab. Sutura lambdoidea = Lambdanaht; grenzt die Scheitel- und Schläfenbeine vom Hinterhauptbein ab. Fontanellen: Aufeinandertreffen von mehreren Schädelnähten, welche bei Säuglingen noch nicht verknöchert sind und aus Bindegewebe bestehen. Große Fontanelle (Stirn-Fontanelle) = Befindet sich zentral auf der Mittellinie im vorderen Drittel des Schädels auf dem Eckpunkt zwischen Stirnbein und den beiden Scheitelbeinen. Kleine Fontanelle (Hinterhaupt-Fontanelle) = Befindet sich am Hinterkopf am Treffpunkt Hinterhauptsbein mit den beiden Scheitelbeinen. Wichtige anatomische Strukturen: Türkensattel (Sella turcica). Eine knöcherne Einsenkung mitten im Keilbein, in der sich die Hypophyse befindet. Processus mastoideus, sog. Warzenfortsatz. Ein deutlich fühlbarer, leicht spitz zulaufender Knochenfortsatz direkt hinter dem Ohr am Schläfenbein. Dient dem Ansatz des Kopfwenders. Foramen magnum (auch: Foramen occipitale), großes Hinterhauptloch. Dort laufen die Nervenfasern des ZNS in das Rückenmark. Bewegungsapparat Anatomie 37 Foramen supraorbitale (Orbita = Augenhöhle; supra = über). Fühlbarer Knocheneinschnitt am oberen Augenhöhlenrand als Durchtrittsstelle des ersten Astes des Trigeminus (V1). Foramen infraorbitale (infra = unter). Kleine Knochenöffnung unterhalb des unteren Augenhöhlenrandes als Durchtrittsstelle des zweiten Astes des Trigeminus (V2). Foramen mentale (Mentum = Kinn). Kleine Knochenöffnung seitlich am Unterkieferast auf Höhe des zweiten Backenzahnes als Durchtrittsstelle des dritten Astes des Trigeminus (V3). Linea nuchea. Eine höckerige Knochenleiste, welche sich waagerecht im unteren Bereich des Okziput (Hinterhauptbein = os occipitale) befindet und als Ansatzpunkt der Nackenmuskulatur dient. Hier sind auch Lymphknoten ansässig, welche bei Vergrößerung tastbar wären. Wirbelsäule (Columna vertebralis) Unterscheidung: 7 Halswirbel = Zervikalwirbel C1 - C7 12 Brustwirbel = Thorakalwirbel, Th1 - Th12 5 Lendenwirbel = Lumbalwirbel L1 - L5 5 Kreuzbeinwirbel = Sakralwirbel S1 - S5 Sakrum = Kreuzbein 3-5 Steißbeinwirbel (Vertebrae coccygiae) = Steißbein Allgemeine Wirbelform Jeder Wirbel, mit Ausnahme des ersten Zervikalwirbels, besteht aus: 1 Wirbelkörper (Corpus vertebrae) 2 Querfortsätzen (Processus transversi) 1 Dornfortsatz (Processus spinosus) 1 Wirbelbogen (Arcus vertebrae) 1 Wirbelloch (Foramen vertebrae) 4 Gelenkfortsätzen (Processus articulares) Wichtige anatomische Strukturen Die Quer- und Dornfortsätze bilden Ansatzpunkte für Bänder und Muskeln. An den Querfortsätzen der Brustwirbel sind die Rippen gelenkig mit der Wirbelsäule verbunden. Die einzelnen Wirbellöcher bilden zusammen den Wirbelkanal, der das Rückenmark enthält. Seitlich bilden 2 Wirbel rechts und links miteinander je ein Zwischenwirbelloch (Foramen intervertebrale), durch welches die Spinalnerven austreten. Die Gelenkfortsätze (kleine Wirbelgelenke, Facettengelenke), die an den Querfortsätzen angebracht sind, verbinden die Wirbel gelenkig miteinander. © Arpana Tjard Holler (Autor) 38 Bewegungsapparat Anatomie Besonderheiten der Wirbelsäule Der erste Halswirbel (Atlas), ist der Träger des Kopfes. Auf seinen Seitenteilen besitzt er eine obere Gelenkfläche, auf der das Hinterhauptbein so gelagert ist, dass dem Kopf eine Vor- und Rückbewegung möglich ist (sog. Atlantookzipitalgelenk; lat.: Articulatio atlantooccipitalis). Der zweite Halswirbel (Axis) ist mit dem Atlas durch ein Zapfengelenk verbunden, so dass Dreh- und Kreisbewegungen des Kopfes ermöglicht werden (sog. Atlantoaxialgelenk; lat.: Articulatio atlantoaxialis). Zwischen Atlas und Axis findet sich keine Bandscheibe. Der 7. Halswirbel (Vertebra prominens = Prominenz) besitzt einen besonders ausgeprägten Dornfortsatz, der bei gebeugtem Kopf gut palpabel (fühlbar) ist, und an dem die Schultermuskulatur aufgehängt ist. Halswirbel haben einen kleinen Wirbelkörper und einen großen Spinalkanal. In den kleinen Querfortsätzen (C1-C6) besitzen sie ein Loch (Foramen transversarium), in dem Arteria und Vena vertebralis (versorgt Teile des Gehirns) verlaufen. Der Schwerpunkt des Kopfes liegt etwas vorn; die Nackenmuskulatur muss deshalb einen Dauertonus aufweisen, um ihn aufrecht zu halten. Die 12 Brustwirbel nehmen in ihrem Durchmesser von oben nach unten zu. Ihre Dornfortsätze verlaufen zunehmend schräg nach unten. Die Rippenwirbelgelenke (Kostovertebralgelenke, Articulatio costovertebralis) verbinden den hinteren Rippenkopf mit dem Querfortsatz und dem Wirbelkörper der Brustwirbel. Die Lumbalwirbel haben die größten Wirbelkörper, ihr Spinalkanal ist am kleinsten. Bis hierher (L1-L2) verläuft das Rückenmark. Das Kreuzbein ist eine Verschmelzung der 5 Kreuzbeinwirbel. Es gibt einen Wirbelkanal mit 4 seitlichen Zwischenwirbellöchern. Das Steißbein ist ein Rudiment des Schwanzskeletts. Die physiologischen Wirbelsäulenkrümmungen Die im aufrechten Stand auftretenden, natürlichen Krümmungen der Wirbelsäule werden unterschieden in: Kyphose (Krümmung nach hinten; fachmännisch: dorsal) und Lordose (Krümmung nach vorne, in Richtung Bauch; fachmännisch: ventral). Je nach Wirbelsäulenabschnitt werden unterschieden: Halslordose, als Krümmung nach vorn. Brustkyphose, als Krümmung nach hinten. Lendenlordose, als Krümmung nach vorn. Sakralkyphose, als Krümmung nach hinten. Bandscheiben (23 Stück) Die Bandscheibe (Discus intervertebralis) sitzt zwischen jeweils zwei Wirbeln und gibt der Wirbelsäule zusammen mit den Wirbelgelenken die Bewegungsfreiheit und Elastizität (Abpuffern der Stöße). Die Zwischenwirbelscheibe besteht aus: einem inneren Gallertkern, dem Nucleus pulposus und einem ringförmigen Faserknorpel, dem Anulus fibrosus. Da der Nucleus pulposus sich unter Druck verschiebt, gleicht er die Bewegung der einzelnen Wirbel zueinander aus und hält so die Wirbel auseinander. Der ringförmige Faserknorpel gibt dem Gallertkern einen Halt. Die Bandscheiben sind mit hyalinem Knorpel an den Wirbelkörpern verwachsen. Alle Bandscheiben machen zusammen genommen 1/3 der Länge der WS aus. Beim Riss im Faserknorpel ist die Gefahr eines Bandscheibenvorfalls groß. Bewegungsapparat Anatomie 39 Aufgaben der Wirbelsäule Stütz- und Schutzfunktion, Bewegung und Federung, Ursprung und Ansatz für Muskeln, Blutbildung, Speicherung von Mineralien. Brustkorb (Thorax) Der Thorax besteht aus der Brustwirbelsäule, den 12 paarigen Rippen und dem Brustbein (Sternum). Das Brustbein ist ein platter Knochen, der die vordere Brustwand bildet. Unterschieden wird: Handgriff des Brustbeins (auch Schwertgriff genannt; lat.: Manubrium sterni). Er ist als oberer Teil mit dem Schlüsselbein (Sternoklavikulargelenk) und mit der ersten Rippe gelenkig verbunden. Körper des Brustbeins (auch Schwertkörper genannt; lat.: Corpus sterni). Er ist der mittlere Teil und mit den übrigen Rippen über echte Gelenke verbunden. Fortsatz des Brustbeins (auch Schwertfortsatz genannt; lat.: Processus xiphoideus). Er hängt frei herab und wird als Orientierungspunkt benutzt. Es werden 7 echte und 5 falsche Rippenpaare unterschieden. Die echten Rippen sind direkt mit dem Brustbein durch Knorpel verbunden. Die falschen Rippen Nr. 8 bis 10 haben eine indirekte Verbindung mit dem Brustbein über den Knorpel der 7. Rippe und bilden den Rippenbogen. Die 11. und 12. Rippe enden frei. Der Raum zwischen den Rippen wird als Interkostalraum (= ICR) bezeichnet. Der Schultergürtel Der Schultergürtel besteht aus dem Schlüsselbein (Klavikula) und dem Schulterblatt (Skapula). Das Schulterblatt ist ein einigermaßen flacher und dreiecksähnlicher Knochen, der dem Brustkorb am Rücken flach aufliegt und nicht mit ihm knöchern verbunden ist. Folgende anatomische Strukturen sind zu unterscheiden: Schultergräte (Spina scapulae). Sie ist eine quer verlaufende Knochenleiste. Sie wird von innen nach außen verlaufend zunehmend stärker und gibt dem Schulterblatt so Stabilität. Schulterhöhe (Akromion). Bildet sich aus der Schultergräte und ragt seitlich über das Schulterblatt hinaus. Mit dem Schlüsselbein ist sie gelenkig (Akromioklavikulargelenk) verbunden. Rabenschnabelfortsatz (Processus coracoideus). Ein hakenförmiger Knochenfortsatz an der Vorderseite des Schulterblatts. Arm- und Handknochen Oberarmknochen (Humerus) Ein Röhrenknochen, der nach oben das Schultergelenk und nach unten das Ellenbogengelenk mit bildet. Wird unterteilt in Kopf, Hals, Schaft und die beiden Gelenkknorren (Epicondylus radialis und ulnaris), welche als Gelenkrolle am Ellenbogengelenk beteiligt sind. Zwei Unterarmknochen, Elle (Ulna) und Speiche (Radius) Die Elle liegt auf der Seite des kleinen Fingers und ist der längere Unterarmknochen. Am proximalen Ende der Elle befindet sich ein löffelförmiger Knochenfortsatz (Ellenbogen =Olekranon), der als knöcherne Führung des Ellenbogens dient. © Arpana Tjard Holler (Autor) 40 Bewegungsapparat Anatomie Die Speiche liegt auf der Daumenseite. Speiche und proximale Reihe der Handwurzelknochen gehen eine eiförmige Gelenkverbindung ein (Handgelenk; lat.: Radiokarpalgelenk). Elle und Speiche sind proximal und distal gelenkig miteinander verbunden. Handknochen Lassen sich unterscheiden in 8 Handwurzelknochen, 5 Mittelhandknochen und 14 Fingerhandknochen. Handwurzel (Ossa carpi). Proximale Reihe: Kahnbein, Mondbein, Dreiecksbein und Erbsenbein (ein kleines Sesambein) Ein Kahnbeinbruch (Skaphoidfraktur) ist die häufigste Fraktur der Handwurzelknochen. Männer sind davon häufiger betroffen. Die Kahnbeinfraktur entsteht fast ausschließlich durch indirekte Gewalteinwirkung bei Sturz auf die ausgestreckte Hand. Schmerzen im Bereich der Tabatiere sind typisch. Kahnbeinbrüche neigen zu Pseudarthrosenbildung. Distale Reihe: großes und kleines Vieleckbein, Kopfbein und Hakenbein. Die beiden Handwurzelreihen zeigen auf der Palmarseite (Handinnenseite) eine Konkavität, eine Wölbung nach hinten. Darüber ist ein Band gespannt, welches den Karpaltunnel kreiert, in dem der Nervus medianus und die Sehnen der Fingerbeuger verlaufen. Klassischer Merksatz zum Erlernen der Handwurzelknochen: „Es fuhr ein Kahn im Mondenschein ums Dreiecks- und ums Erbsenbein. Vieleck groß und Vieleck klein, am Kopf da muss der Haken sein.“ Mittelhand besteht aus 5 Mittelhandknochen (Metakarpalknochen; lat.: Ossa metacarpi). Mit den proximalen Gliedern der Fingerknochen bilden sie die Fingergrundgelenke. Finger (Digiti manus) bestehen aus den drei Fingerhandknochen, dem Grundglied (Phalanx proximalis), dem Mittelglied (Phalanx media) und dem Endglied (Phalanx distalis). Ausnahme ist der Daumen, der nur aus zwei Knochen besteht. Zu unterscheiden sind die Fingergrund-, Fingermittel- und Fingerendgelenke. Fingergrundgelenke sind häufig von der rheumatoiden Arthritis befallen, Fingerendgelenke häufig von der Arthrose. Beckengürtel Wird vom Kreuzbein (Sakrum) und den beiden Hüftbeinen (ossa coxae) gebildet. Sie sind miteinander über das Iliosakralgelenk (Abk. ISG) und die Schambeinfuge verbunden. Ein Hüftbein setzt sich zusammen aus: Darmbein (os ilium) Spina iliaca anterior superior (oberer vorderer Darmbeinstachel) Spina iliaca posterior superior (oberer hinterer Darmbeinstachel) Darmbeinkamm (Crista iliaca) Sitzbein (os ischii) Schambein (os pubis) Schambeinfuge (Symphyse, Symphysis pubica) Die Gelenkpfanne (Acetabulum) im Hüftbein für das Hüftgelenk wird aus Darm-, Sitz- und Schambein gebildet. Bewegungsapparat Anatomie 41 Bein- und Fußknochen Oberschenkelknochen (Femur) Der längste Röhrenknochen des Körpers. Der kräftige Oberschenkelkopf sitzt im Acetabulum und bildet mit diesem das Hüftgelenk. Wichtige anatomische Strukturen sind: Trochanter major (großer Rollhügel). Ein auf der Außenseite befindlicher Knochenvorsprung, an dem wichtige Muskeln befestigt sind. Trochanter minor (kleiner Rollhügel). Ein auf der Innenseite befindlicher Knochenvorsprung, an dem wichtige Muskeln befestigt sind (z.B. der Musculus iliopsoas). Die beiden Gelenkknorren am unteren Ende des Knochens (Epicondylus lateralis und medialis femoris), welche die Gelenkrollen für das Kniegelenk darstellen. CCD-Winkel (= Centrum-Collum-Diaphysen-Winkel). Der Winkel des Schenkelhalses zum Oberschenkelschaft beträgt beim Erwachsenen normalerweise 125°. Zwei Unterschenkelknochen, Schienbein (Tibia) und Wadenbein (Fibula) Das Schienbein bildet mit dem Oberschenkel und der Kniescheibe das Kniegelenk. Das Wadenbein hat nach oben eine gelenkige Verbindung mit dem Schienbein und bildet nach unten zusammen mit dem Schienbein und dem Sprungbein das obere Sprunggelenk. Wichtige anatomische Strukturen sind: Malleolus lateralis; der äußere Fußknöchel, wird vom Wadenbein gestaltet wird. Malleolus medialis; der innere Fußknöchel, er wird vom Schienbein gebildet. Membrana interossea cruris (interossea = zwischen zwei Knochen; cruris = Unterschenkel). Eine starke Bindegewebsmembran, die zwischen den beiden Knochen liegt und einigen Muskeln als Ursprung dient. Fußknochen Lassen sich unterscheiden in 7 Fußwurzelknochen, 5 Mittelfußknochen und 14 Zehenknochen. Fußwurzel mit Fersenbein (Kalkaneus), Sprungbein (Talus), Kahnbein, Würfelbein und 3 Keilbeinen. Mittelfuß mit 5 Mittelfußknochen (Metatarsalknochen; lat.: Ossa metatarsi). Zehen (Digiti pedis) mit je drei Zehenknochen, außer der Großzehe (2 Glieder): Zehengrundglied, Zehenmittelglied und Zehenendglied. Allgemeine Gelenklehre (Gelenk = Articulatio) Gelenke sind Verbindungen von Knochen untereinander. Unterschieden werden echte und unechte Gelenke. Für echte Gelenke (Diathrose) ist der gewebefreie Gelenkspalt charakteristisch. Sie sind aufgebaut aus: Gelenkkopf bzw. Gelenkknorren Gelenkpfanne Gelenkflüssigkeit (Synovia) © Arpana Tjard Holler (Autor) 42 Bewegungsapparat Anatomie Gelenkkapsel; die Gelenkinnenhaut (Synovialis) produziert die Gelenkschmiere. Charakteristisch für unechte Gelenke (Synarthrosen) das Haften von Knochen untereinander (z.B. bei den Schädelknochen). Ein Gelenkspalt existiert nicht; er ist durch Bindegewebe, Knorpel oder Knochen ersetzt. Gelenkformen Generell sind zu unterscheiden: Scharniergelenke mit einer Bewegungsachse, z.B. Kniegelenk (Drehscharniergelenk), Oberarm-Ellenbogengelenk, Finger- und Zehengelenke, oberes Sprunggelenk. Kugelgelenke mit drei Bewegungsachsen, z.B. Schultergelenk und Hüftgelenk. Eigelenk (Ellipsoidgelenk) mit zwei Bewegungsachsen, z.B. proximales Handwurzelgelenk. Sattelgelenk (ähnlich einem Kugelgelenk) mit zwei Bewegungsachsen, z.B. Daumensattelgelenk. Drehgelenk, Sammelbegriff für Zapfen- und Radgelenk. Zapfengelenk, z.B. Atlantoaxialgelenk (Atlas-Axis-Gelenk), proximales Speichen-Ellen-Gelenk Radgelenk, z.B. das proximale Speichen-Ellen-Gelenk Facettengelenke sind sog. Gleitgelenke, bei denen die Bewegung horizontal zur Gelenkfläche erfolgt. Die kleinen Wirbelgelenke der Wirbelsäule werden als Facettengelenke bezeichnet. Bewegungsmöglichkeiten Rotation: Drehung Supination / Pronation Supination: Auswärtsdrehung, Handfläche nach oben drehen Pronation: Einwärtsdrehung, Handfläche nach unten drehen Flexion / Extension Flexion: Beugen Extension: Strecken Plantarflexion / Dorsalflexion Plantaflexion: Beugung des Fußes in Richtung Fußsohle Dorsalflexion: Beugung des Fußes in Richtung Fußrücken Abduktion / Abduktion Abduktion: Vom Körper wegführen Adduktion: An den Körper heranführen Anteversion / Retroversion Anteveriosn: Vorwärtsbewegung Retroversion: Rückwärtsbewegung Lateralflexion: Seitliche Beugung der WS Ausgewählte Gelenke Fingergelenke Fingergrundgelenke (II-V) sind Gelenkverbindung (Kugelgelenk) zwischen den Mittelhandknochen (Metakarpalknochen) und den Fingergrundgliedern (proximales Fingerglied). Fingergrundgelenke sind häufig von der rheumatoiden Arthritis betroffen. Bewegungsapparat Anatomie 43 Fingermittelgelenke sind Gelenkverbindung (Scharniergelenk) zwischen den Fingergrundgliedern und den Fingermittelgliedern. Fingermittelgelenke können von der rheumatoiden Arthritis betroffen sein, als auch von der Arthrose (Bouchard-Arthrose). Fingerendgelenke (II-V) sind Gelenkverbindung (Scharniergelenk) zwischen den Fingermittelgliedern und den Fingerendliedern. Fingerendgelenke sind von der Arthrose befallen (Heberden-Arthrose). Daumenendgelenk ist ein Scharniergelenk zwischen dem Daumenendglied und dem Daumengrundglied. Daumengrundgelenk ist eine Gelenkverbindung (wenig bewegliches Scharniergelenk) zwischen dem ersten Mittelhandknochen und dem Daumengrundglied. Daumensattelgelenk (Daumenwurzelgelenk) ist eine Gelenkverbindung (Sattelgelenk) zwischen einem Handwurzelknochen (großes Vieleckbein) und dem ersten Mittelhandknochen. Wird häufig von der Arthrose befallen (Rhizarthrose). Karpometakarpalgelenk (Articulatio metacarpalis) ist eine Gelenkverbindung zwischen den Metakarpalknochen (Mittelhandknochen) und der distalen Reihe der Handwurzelknochen. Handwurzelgelenk Distales Handwurzelgelenk (Articulatio mediocarpalis) ist eine Gelenkverbindung zwischen der proximalen und der distalen Reihe der Handwurzelknochen mit einem Sförmigen Gelenkspalt. Wenig Beweglichkeit möglich. Proximales Handwurzelgelenk (Articulatio radiocarpalis, Radiokarpalgelenk) Diese Gelenkverbindung (sog. Eigelenk) besteht aus Speiche (Radius) und der proximalen Reihe der Handwurzelknochen (Kahnbein, Mondbein und Dreieckbein) und verursacht die eigentliche Bewegung im Handwurzelbereich. Die Elle (Ulna) ist nicht am Handwurzelgelenk beteiligt. Ellenbogengelenk (Articulatio cubiti) Besteht aus drei Untergelenken, die alle in einer großen Gelenkkapsel vereint sind: Dem Oberarm-Speichen-Gelenk (Articulatio humeroradialis), ein Kugelgelenk. Dem Oberarm-Ellen-Gelenk (Articulatio humeroulnaris), ein Scharniergelenk. Dem Speichen-Ellen-Gelenk (Articulatio radioulnaris), ein Radgelenk. Schultergelenk (Articulatio humeri) Das beweglichste Gelenk des Körpers. Es ist ein Kugelgelenk und wird von Schulterblatt und Oberarmknochen gebildet. Die sehr kleine Gelenkpfanne des Schulterblatts ist fast eben. Zur Stabilität ist das Gelenkpfannendach wichtig. Es wird durch einen Bandapparat zwischen dem Rabenschnabelfortsatz und der Schulterhöhe gebildet. Fixiert wird das Schultergelenk durch die sog. Rotatorenmanschette, eine Sehnenmanschette von vier Muskeln, welche die Rotation des Oberarms zur Aufgabe haben Musculus infraspinatus Musculus supraspinatus Musculus subscapularis Musculus teres minor). Das Schultergelenk ist das instabilste Gelenk. © Arpana Tjard Holler (Autor) 44 Bewegungsapparat Anatomie Hüftgelenk (Articulatio coxae) Stellt das größte Kugelgelenk im Körper da. Es wird vom Femurkopf und Hüftbein gebildet. Die Gelenkpfanne (Acetabulum) im Hüftbein wird aus Darm-, Sitz- und Schambein gebildet. Muskuläre Bewegung: Die zahlreichen Muskeln des Hüftgelenks haben neben ihrer Bewegungsfunktion auch die Funktion der Stabilisierung. Es werden vier große Muskelgruppen unterschieden: Strecker: Musculus gluteus maximus als wichtigster Muskel Beuger: Musculus iliopsoas als wichtigster Muskel, Musculus rectus femoris (der einzige von den vier Muskel des Quadriceps, welcher am Hüftbein ansetzt), Musculus sartorius (Schneidermuskel, verläuft vom SIAS bis zur medialen Seite des Schienbeins) Abduktoren (bewegen das Bein weg vom Körper): Musculus gluteus als wichtigster Muskel Adduktoren (bewegen das Bein zum Körper hin): Musculus gluteus maximus, Musculus adductor magnus Eine Hüftgelenksdysplasie (Fehlstellungen des Hüftgelenks bei Neugeborenen) findet sich bei 2-4% aller Neugeborenen. Mädchen sind häufiger betroffen. Die Diagnose wird mit einer Ultraschalluntersuchung gesichert. Bei der konservativen Therapie wird eine Abspreizbehandlung (Spreizhose) durchgeführt. Kniegelenk (Articulatio genus) Wird als sog. Drehscharniergelenk bezeichnet (Bewegungen um zwei Achsen). Am Kniegelenk sind folgende Strukturen beteiligt: Femur (Oberschenkelknochen) mit zwei Kondylen (distale Gelenkfortsätze), welche dem Abrollen des Femurs auf der Tibia dienen. Tibia (Schienbein) Das Wadenbein ist nicht am Gelenk beteiligt, da es nur mit dem Schienbein gelenkig verbunden ist. Kniescheibe (Patella). Sie befindet sich an der Knievorderseite und ist als größtes Sesambein des Körpers in die Sehne des Musculus quadriceps eingebettet. An ihrer Rückseite ist sie mit dem unteren Femurende gelenkig verbunden. Aufgaben: Dient als Umlenkrolle (Hypomochlion) für die Patellasehne. Verschließt das Kniegelenk bei Beugung. Ein Sesambein ist ein in einer Sehne befindlicher Knochen. Zwei hufeisenförmige Menisken. Befinden sich innerhalb der Gelenkkapsel medial und lateral und führen zu einer der jeweiligen Gelenkstellung (Beugung, Drehung im gebeugten Knie) angepassten Gelenkpfanne. Der Außenmeniskus (Meniscus lateralis) ist der besser bewegliche Meniskus. Der Innenmeniskus (Meniscus medialis) ist an der Gelenkkapsel verwachsen und daher schlechter beweglich Der Innenmeniskus ist wegen seiner geringeren Flexibilität der Gelenkmeniskus, der bei Extremsituationen am häufigsten verletzt wird. Kniegelenkbänder. Sie sind zur Stabilität und Führung des Gelenks notwendig. In der Gelenkkapsel befindliches vorderes und hinteres Kreuzband (Ligamentum cruciatum; cruciatus = gekreuzt). Befestigen Femur und Tibia miteinander und fixieren gebeugtes Knie. Außen auf der Gelenkkapsel, lateral und medial, befindliche Seitenbänder (auch: Kollateralbänder). Machen eine Drehbewegung im gestreckten Knie unmöglich. Zwei Schleimbeutel (Bursae), ein unterer und ein oberer. Bewegungsapparat Anatomie 45 Muskuläre Bewegung Streckung (Extension): Musculus quadriceps femoris Beugung (Flexion): Musculus biceps femoris, Musculus semitendinosus, Musculus semimembranosus, Musculus gastrocnemius Sprunggelenk Oberes Sprunggelenk (Articulatio talocruralis). Ein Scharniergelenk aus Schienbein, Wadenbein und Sprungbein (Talus). Unteres Sprunggelenk (Articulatio talocalcaneonavicularis). Besteht aus zwei Gelenken. Das vordere untere Sprunggelenk besteht aus Sprungbein und Kahnbein (Naviculare). Das hintere untere Sprunggelenk besteht aus Sprungbein (Talus) und Fersenbein (Kalkaneus). Muskuläre Bewegung Plantarflexion: Musculus gastrocnemius Dorsalflexion: Musculus tibialis anterior Die Muskeln des Körpers Makroskopische Anatomie Muskelursprung bezeichnet die Befestigung des Muskels an einem Punkt des Skelettes, welcher der Körpermitte am nächsten liegt. Der Muskelansatz liegt an der Stelle, die der Körpermitte weiter entfernt ist. Sehnen bilden den Ursprung und Ansatz des Muskels und verbinden ihn mit den Knochen. Agonisten sind Muskeln, die eine Primärbewegung verursachen, z.B. Beugung im Kniegelenk, während Antagonisten die Gegenbewegung ausführen. Die mimische Ringmuskulatur am Kopf unterscheidet sich von den übrigen Skelettmuskeln. Sie setzt nicht am Knochen an, sondern liegt im Unterhautfettgewebe und dient der Mimik. Namensgebung der Muskeln Muskeln werden nach unterschiedlichen Kennzeichen benannt, z.B.: Nach dem Muskelursprung bzw. Muskelansatz. Beispiel: Musculus sternocleido-mastoideus. Nach der Muskelform. Beispiel: Musculus trapezius (trapezförmig). Nach der Lokalisation. Beispiel: Musculus gastrocnemius (zur Wade gehörend). Nach der Anzahl der Ursprünge. Beispiel: Musculus biceps, Musculus quadriceps. Nach der Muskelgröße. Beispiel: Musculus gluteus maximus (größter). Nach der Funktion: Musculus flexor, ein Muskel mit beugender Funktion. Musculus extensor, ein Muskel mit streckender Funktion. Musculus abductor, ein Muskel, welcher eine Extremität vom Körper wegführt. Musculus adductor, ein Muskel, welcher eine Extremität zum Körper hinführt. Musculus sphincter, ein Schließmuskel. Musculus erector, ein Muskel mit aufrichtender Funktion. © Arpana Tjard Holler (Autor) 46 Bewegungsapparat Anatomie Hilfseinrichtungen des Bewegungsapparates Faszien sind formgebende Muskelumhüllungen, die teilweise mit den Knochen verwachsen sind. Sie dienen der Abgrenzung und Verschieblichkeit von Muskeln bzw. Muskelgruppen untereinander. Schleimbeutel (Bursa) dienen dem Schutz der Sehnen bei knöcherner Umlenkung. Sehnenscheiden sind Führungskanäle von Sehnen und dienen der Reibungsverminderung entlang von Knochen, Muskeln und Gewebe. Im Inneren wird von der Synovialhaut Flüssigkeit (Synovia) produziert um ein Gleiten zu ermöglichen. Aponeurosen sind flächenhafte Sehnen. Bänder (Ligamentum) dienen der Verstärkung und Führung von Gelenken. Sesambeine sind in Sehnen oder Bändern eingelagerte Knochenstücke, die zur Verstärkung der Strukturen dienen. Das größte Sesambein: Kniescheibe (Patella), das kleinste Sesambein: Erbsenbein. Bewegungsapparat Anatomie 47 Zusammenfassung Die wichtigsten Knochen des Körpers Kopf Stirnbein Scheitelbein Hinterhauptbein Schläfenbein Keilbein Siebbein Oberkiefer Unterkiefer Jochbein Nasenbein Tränenbein Gaumenbein Pflugscharbein Nasenmuschel Zungenbein Os frontale Os parietale Os occipitale Os temporale Os sphenoidale Os ethmoidale Maxilla Mandibula Os zygomaticum Os nasale Os lacrimale Os palatinum Vomer Os concha nasalis Os hyoideum Schulter Schlüsselbein Schulterblatt Schultergräte Schulterhöhe Rabenschnabelfortsatz Oberarmknochen Klavikula Skapula Spina scapulae Akromion Processus coracoideus Humerus Oberarm Unterarm Hand Rippen Speiche Elle 8 Handwurzelknochen Kahnbein Mondbein Dreiecksbein Erbsenbein Hakenbein Kopfbein kleines Vieleck großes Vieleck 5 Mittelhandknochen Fingerendglieder Endglied Mittelglied Grundglied Radius Ulna 12 Rippenpaare 7 echte Rippen, 5 falsche Rippen, davon 2 freie Rippen Ossa costae Brustbein Kopfteil Körper Schwertfortsatz © Arpana Tjard Holler (Autor) Os scaphoideum Os lunatum Os triquetrum Os pisiforme Os hamatum Os capitatum Os trapezoideum Os trapezium Os metacarpale I - V Phalangen Phalanx distale Phalanx mediale Phalanx proximale Sternum Manubrium sterni Corpus sterni Processus xiphoideus 48 Bewegungsapparat Anatomie Bewegungsapparat Anatomie Becken Kreuzbein 2 Hüftbeine Darmbein Sitzbein Schambein 49 Sakrum Os coxae Os ilium Os ischii Os pubis Femur Oberschenkel Unterschenkel Schienbein Wadenbein Tibia Fibula Fuß Sprungbein Fersenbein Kahnbein Würfelbein 3 Keilbeine 5 Mittelfußknochen Zehenknochen Talus Kalkaneus Os naviculare Os cuboideum Ossa cuneiformia Os metatarsale I - V Phalangen Halswirbel Brustwirbel Lendenwirbel Kreuzbeinwirbel Steißbeinwirbel Vertebrae cervicales Vertebrae thoracicae Vertebrae lumbales Vertebrae sacrales Vertebrae coccygiae Wirbelsäule © Arpana Tjard Holler (Autor) 50 Bewegungsapparat Anatomie Die wichtigsten Muskeln des Körpers Lat. Name Deutscher Name M. sternocleidomastoideus Kopfwendermuskel M. trapezius Kapuzenmuskel M. deltoideus Deltamuskel M. pectoralis major Großer Brustmuskel M. latissimus dorsi Breitester Rückenmuskel M. biceps brachii Zweiköpfiger Unterarmbeuger Dreiköpfiger Unterarmstrecker M. triceps brachii M. rectus abdominis Gerader Bauchmuskel M. obliquus internus/ externus abdominis Innerer/äußerer schräger Bauchmuskel M. erector spinae Autochthone Rückenmuskulatur größter Gesäßmuskel M. gluteus maximus M. psoas major Hüftgelenkbeuger (großer Lendenmuskel) M. quadriceps femoris (rectus femoris / vastus intermedius / vastus lateralis /vastus medialis) M. sartorius Kniestrecker, vierköpfiger Oberschenkelmuskel M. biceps femoris M. gastrocnemius Diaphragma Bewegung Drehung des Kopfes Anheben, drehen und senken des Schulterblatts Abduktion Oberarm Bewegung Skapula Adduktion, Innenrotation Oberarm Abheben, Innenrotation und Rückwärtsbewegung des Arms im Schultergelenk beugt den Unterarm, Auswärtsdrehung Streckung im Ellenbogengelenk Zurückführen des Oberarms Bauchpresse, Rumpfbeugung Knochenansätze Sternum, Klavikula Warzenfortsatz Dornfortsätze Schulterblatt Skapula, Klavikula Schulterblatt Klavikula, Sternum Oberarmkopf Dornfortsatz der Brustwirbel VII-XII unterhalb des Oberarmkopfes Skapula Radius Humerus, Skapula Ellenbogen Rippenknorpel der 5.-7. Rippe, Sternum oberer Rand des Schambeins Darmbeinkamm letzten drei Rippen Bauchpresse, Seitwärtsneigung, Drehung der WS Sammelbezeichnung für die Muskeln am Rücken, welche die Wirbelsäule aufrichten Streckung und Os Ileum, Sakrum, Außenrotation des Steißbein Oberschenkels Femur Ab- und Adduktion des Beins Beugung und Drehung Lendenwirbel Hüftgelenk, Beugung Trochantor minor der WS Streckung im Femur, Os coxae Kniegelenk, Hüft Patella, Tibia beuger SIAS mediale Seite Tibia Kniebeuger, zweiköpfiger Oberschenkelmuskel Hüft- und Kniebeuger Abduktion und Außenrotation Oberschenkel Außenrotation und Beugung Knie Zwillingswadenmuskel, zweiköpfiger Wadenmuskel Zwerchfell, großer Einatemmuskel Plantarflexion Fuß und Beugung im Kniegelenk Senkung der Zwerchfellplatte Femur Kalkaneus (Fersenbein) Innenseite der 7.-12. Rippe, Querfortsätze der LWS Sehnenplatte Schneidermuskel Os coxae Fibula, Tibia Bewegungsapparat Anatomie 51 Untersuchung des Bewegungsapparates Beurteilung der Gelenkbeweglichkeit durch die Neutral-Null-Methode. Alle Gelenkbewegungen werden von einer einheitlich definierten Ausgangsstellung (Nullstellung) ausgemessen: Aufrechter Stand mit parallel gestellten Füßen, gestreckten Knien und angelegten Handflächen. Die Beweglichkeit eines Gelenkes wird mit drei Ziffern angegeben: Die erste Zahl entspricht meist der Bewegung, die vom Körper wegführt, die zweite Zahl entspricht der Nullstellung und die dritte Zahl gibt den Umfang einer Bewegung in die entgegengesetzte Richtung wieder. Die im Weiteren angegebenen Messwerte beziehen sich auf Erwachsene mit durchschnittlicher Beweglichkeit. Untersuchung der Wirbelsäule Inspektion (Abweichung der physiologischen Wirbelsäulenform) Rundrücken (thorakale Hyperkyphose): Die Brustkyphose ist verstärkt und verlängert, der Kopf nach vorne geneigt. Eine Lendenlordose (wenn auch gering) ist vorhanden. Hohlkreuz (lumbale Hyperlordose): Die Lendenlordose ist verstärkt, das Becken nach vorne geneigt. Hohlrundrücken (Kypho-Lordose): Beides ist verstärkt, die Brustkyphose sowie die Lendenlordose. Das Becken ist nach vorne geneigt. Extrem stark ausgeprägte Kyphose (Totalkyphose): Brust- und Lendenwirbelsäule sind kyphosiert. Der Rücken ist ein einziger Rundrücken. Die Lendenlordose besteht aus einem Knick zwischen L5 und dem Sakrum. Flachrücken: Die physiologischen WS-Krümmungen sind stark aufgehoben. Die Wirbelsäule wirkt eher wie ein Brett. Skoliose: Die Wirbelsäule ist seitlich gekrümmt. C-förmige Skoliose ohne Gegenkrümmung (sog. totale Skoliose). S-förmige Skoliose mit Gegenkrümmung. Symptome: Asymmetrie des Taillendreiecks Schultern auf ungleicher Höhe verschiedener Abstand der Schulterblätter zur Mittellinie bei Vorneigung wird der Rippenbuckel besonders deutlich (Höhendifferenz) gebogener Verlauf der Dornfortsätze (stehen nicht senkrecht untereinander) Beckenschiefstand Palpation der Dornfortsätze (Tumore/Metastasen, Entzündungen) Palpation des Dornfortsatzes von C7: Durch Beugung des Kopfes nach vorne ragt der starke Dornfortsatz des siebten Halswirbels hervor. Palpation des Dornfortsatzes von Th3: Auf der Verbindungslinie der beiden Schultergräten. Palpation des Dornfortsatzes von Th7: Auf der Verbindungslinie der beiden unteren Schulterblattwinkel. Palpation des Dornfortsatzes von Th12: Etwas unterhalb des Ansatzes der letzten Rippe. Palpation des Dornfortsatzes von L4: Auf der Verbindungslinie der beiden Darmbeinkämme. © Arpana Tjard Holler (Autor) 52 Bewegungsapparat Anatomie Bewegungsapparat Anatomie 53 Palpation der Muskulatur, z.B. Paravertebralmuskulatur, Musculus quadratus lumborum (der viereckige Lendenmuskel; Funktion: Beugung der Wirbelsäule zur Seite). Feststellung von Druck- und Klopfschmerzhaftigkeit, erhöhtem Muskeltonus und Myogelosen (umschriebene Muskelverhärtung). Funktionsanalyse der Wirbelsäule Beweglichkeit der Halswirbelsäule Neigung des Kopfes zur Seite: 45° / 0° / 45° Neigung nach vorne und hinten: 40° / 0° / 40° Rotation: 85° / 0° / 85° Rotation in vorgeneigter Stellung: 50° / 0° / 50° Rotation in rückwärtsgeneigter Stellung: 70° / 0° / 70° Hinterhaupt-Wand-Abstand: Im Normalfall kein Abstand (bei Abstand immer pathologisch). Kinn-Sternum-Distanz: Im Normalfall kein Abstand (bei Abstand immer pathologisch). Beweglichkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule Schober-Zeichen (unteres Schober-Zeichen): Bei maximaler Vorwärtsneigung vergrößert sich der Abstand zwischen dem Dornfortsatz S1 und einem 10 cm weiter nach kranial liegenden Punkt normalerweise um ca. 4 – 6 cm. Ist er geringer, spricht man vom positiven Schober-Zeichen. Ott-Zeichen (oberes Schober-Zeichen): Bei maximaler Vorwärtsneigung im Sitzen vergrößert sich der Abstand zwischen dem siebten Halswirbel und einem 30 cm kaudal davon liegendem Punkt normalerweise um ca. 4 – 6 cm. Ist er geringer, spricht man vom positiven Ott-Zeichen. Lasegue-Zeichen positiv: Schmerz in dem betroffenen Bein, im Gesäß und im Kreuz beim passiven Anheben des gestreckten Beins in Rückenlage. Ursache: Bandscheibenprolaps und andere Ursachen einer Ischialgie, Meningismus (akuter Reizzustand der Hirnhäute). Bragard-Zeichen positiv: Verstärkte Schmerzen bei Dorsalflexion des Fußes, während gleichzeitig das gestreckte Bein in Rückenlage passiv angehoben wird. Fingerbodenabstand: Gemessen bei maximaler Beugung des Rumpfes mit gestreckten Knien. Gilt als Maß für die Gesamtbeweglichkeit der Wirbelsäule (z.B. bei Arthrose der WS, Osteoporose oder Morbus Bechterew herabgesetzt). Untersuchung Iliosakralgelenk (ISG = Darmbein-Kreuzbein-Gelenk) Blockaden im ISG? Beckenschiefstand? Echtes langes Bein (nachmessen)? Mennell-Zeichen: Überprüft das Iliosakralgelenk auf entzündliche oder degenerative Veränderungen. Patient Bauchlage: Ein Bein wird im Hüftgelenk nach hinten überstreckt, während die zweite Hand das Kreuzbein nach ventral drückt. Patient Rückenlage: Auf beide Darmbeinschaufeln wird nach dorsal ein Druck ausgeübt. Im positiven Fall gibt der Patient Schmerzen an, z.B. als Frühsymptom beim Morbus Bechterew © Arpana Tjard Holler (Autor) 54 Bewegungsapparat Anatomie Untersuchung Hüftgelenk Inspektion beim Gehen und Stehen. Schonhinken. Die Belastungszeit der schmerzenden Extremität wird verkürzt. Versteifungshinken. Bewegung des Beines durch Drehung des Beckens infolge einer Gelenkversteifung oder bei Kontrakturen (Muskelverkürzungen). Trendelenburg-Zeichen: Beim Einbeinstand kommt es zum Absinken des Beckens auf der gesunden Gegenseite. Ursache ist eine Insuffizienz der Gesäßmuskel (z.B. infolge Lähmung der Nerven, Arthrose). Die Muskeln sind zu schwach, um das Becken in der Waagerechten halten zu können. Duchenne-Zeichen: Das Absinken des Beckens wird durch eine Seitwärtsneigung des Oberkörpers zur Verschiebung des Gleichgewichts ausgeglichen. Palpation zur Feststellung von Druck- oder Klopfschmerz (z.B. bei Arthrose oder Arthritis). Funktionsanalyse Extension / Flexion: 15° / 0° / 130°-140° Messung am besten in Seitenlage Außenrotation/Innenrotation: 30°-45° / 0° / 40°-50° Messung z.B. in Rückenlage, der um 90° gebeugte Unterschenkel wird als Zeiger benutzt Abduktion /Adduktion: 30°-45° / 0° / 20°-30° Messung in Rückenlage Untersuchung des Kniegelenks Stabilitätsprüfung des Kniegelenks (immer am liegenden Patienten) Kreuzbänder: Beim fixierten und um 90° angewinkelten Knie wird die Beweglichkeit des Unterschenkels in horizontaler Richtung gegenüber dem Oberschenkel geprüft. Bei Ruptur des vorderen Kreuzbandes kommt es zur schmerzhaften abnormen Verschieblichkeit nach vorne (vorderes Schubladenphänomen) und häufig zum begleitenden Kniegelenkserguss. Bei Ruptur des hinteren Kreuzbandes kommt es zur schmerzhaften abnormen Verschieblichkeit nach hinten (hinteres Schubladenphänomen). Ein Bei einer frischen Ruptur des vorderen Kreuzbandes besteht oft ein begleitender Kniegelenkserguss. Seitenbänder: Es wird versucht den gestreckten Unterschenkel gegenüber dem fixierten Oberschenkel zu abduzieren oder adduzieren. Die seitliche Aufklappbarkeit des Knies spricht für eine Schädigung der Seitenbänder. Siehe auch Böhler-Zeichen. Menisken: Steinmann-Zeichen I: Forcierte Außenrotation des Unterschenkels bei leichter Beugung mit Schmerzangabe ergibt den Verdacht auf Schädigung des inneren Meniskus, forcierte Innenrotation des Unterschenkels mit Schmerzangabe ergibt den Verdacht auf Schädigung des äußeren Meniskus. Steinmann-Zeichen II: Wandernder Druckschmerz von vorn nach hinten bei Kniebeugung gibt den Verdacht auf inneren Meniskusschaden. Meniskustest nach Payr: Herunterdrücken des gebeugten Knies im Schneidersitz führt bei einer Läsion des inneren Meniskus zu Schmerzen. Bewegungsapparat Anatomie 55 Böhler-Zeichen: Schmerzen bei der Abduktion des Unterschenkels im gestreckten Kniegelenk zeigen einen lateralen Meniskusschaden oder eine Verletzung des medialen Seitenbandes an. Schmerzen bei der Adduktion des Unterschenkels im gestreckten Kniegelenk zeigen einen medialen Meniskusschaden oder eine Verletzung des lateralen Seitenbandes an. Apley-Zeichen: Test zur Unterscheidung eines Meniskusschadens von einer Schädigung des Kapselbandapparates. Dabei liegt der Patient auf dem Bauch, das Knie ist 90° angewinkelt und der Oberschenkel des Patienten fixiert. Untersuchung Menisken: Es erfolgt bei gleichzeitiger Rotation ein Druck senkrecht auf die Fußsohle. Schmerz bei Innenrotation gibt den Verdacht auf Außenmeniskusschaden. Schmerz bei Außenrotation gibt den Verdacht auf Innenmeniskusschaden. Untersuchung Kapselbandapparat: Es erfolgt bei gleichzeitiger Rotation ein Zug am Fuß. Ein Schmerz bei Innenrotation gibt den Verdacht auf eine Verletzung des äußeren Kapselbandapparates. Schmerz bei Außenrotation gibt den Verdacht auf eine Verletzung des inneren Kapselbandapparates. Patella: Bei der Untersuchung wird die Kniescheibe (gestrecktes Bein) mit beiden Händen (Daumen und Zeigefinger) von oben und unten fixiert. Dabei wird das Gewebe zur Patella gedrückt. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand wird auf die Kniescheibe gedrückt. Bei einem Gelenkerguss bewegt sie sich nach der Palpation (tanzende Patella). Ein Gelenkerguss kann z.B. infolge von Traumen, Entzündungen, Arthrose, rheumatischen Erkrankungen oder Tumoren entstehen. Chondropathia patellae bezeichnet die degenerative Erkrankung des sehr dicken Knorpels (7 mm) auf der Rückseite der Kniescheibe infolge einer Mangelernährung. Grund dafür scheint eine Über-, Fehl- oder Unterbelastung des Kniegelenks zu sein. Tritt am häufigsten bei Jugendlichen auf. Funktionsanalyse Extension / Flexion: 5°-10° / 0° / 120°-150° Außenrotation / Innenrotation: 30° / 0° / 10° Untersuchung Sprunggelenk Funktionsanalyse Oberes Sprunggelenk: Dorsalextension / Plantarflexion: 20°-30° / 0° /40°-50° Das Umknicken des Sprunggelenks wird als Supinationstrauma bezeichnet. Zum Ausschluss einer knöchernen Verletzung (Tibiafraktur) ist eine bildgebende Diagnostik erforderlich. Unteres Sprunggelenk: Pronation / Supination: 15° / 0° / 35° © Arpana Tjard Holler (Autor) 56 Bewegungsapparat Anatomie Untersuchung Fuß Inspektion (Fußdeformitäten) Hallux valgus: Großzehe weicht zunehmend nach außen ab (steht manchmal sogar über oder unter der zweiten Zehe), dadurch Hervortreten bzw. Sichtbarwerden des distalen Metatarsalköpfchens, häufig mit Verhornung und Entzündung. Ursache kann eine relative Verkürzung der Streck- und Beugesehnen bei abgeflachtem Fußgewölbe sein. Begünstigend wirken zu enge und spitze Schuhe bei meist schon bestehendem Platt- und Spreizfuß. Kommt häufiger bei Frauen vor! Hallux rigidus: Versteifung des Großzehengrundgelenkes mit Schmerzen beim Treppensteigen oder Zehenstand. Aufhebung der Dorsalflexion im Endstadium. Ursache: z.B. bei Gicht, Arthrose, chronischer Polyarthritis. Knickfuß (Pes valgus): Durch nicht ausreichende Unterstützung der Bänder und Muskeln des unteren Sprunggelenks erfolgt eine Abknickung der Ferse zur Außenseite hin, der Fuß knickt nach innen ein. Tritt häufig mit einer Abflachung des inneren Fußgewölbes auf (Knick-Senkfuß). Bei Kleinkindern bis zu 2 Jahren normal. Senkfuß / Plattfuß (Pes planus): Beim Senkfuß flacht das innere Fußgewölbe bei Belastung ab und erreicht im unbelasteten Zustand wieder eine normale Form. Beim Plattfuß ist das Längsgewölbe immer aufgehoben. Hohlfuß (Pes cavus / Pes excavtus): Angeborene oder erworbene Fehlstellung, bei der das Längsgewölbe überhöht ist und nur Ferse und Fußballen den Boden berühren. Am häufigsten wird dadurch der Fußballen stark belastet (Ballenhohlfuß). Dabei können sich die Zehen stark krümmen und versteifen. Beim Hackhohlfuß ist das Fersenbein steil aufgerichtet, so dass beim Auftreten nur die Ferse den Boden berührt und die Zehen nicht. Spreizfuß: Häufigste Fehlbildung des Fußes, bei der sich das Quergewölbe absenkt und dadurch die Metatarsalknochen (Mittelfußknochen) auseinanderweichen. Tritt häufiger bei Frauen auf. Es kommt typischerweise zu Schmerzen und Schwielenbildungen unter den Köpfchen der Mittelfußknochen (Metatarsalknochen) 2-4. Spitzfuß: Fixierte Plantarflexion im oberen Sprunggelenk, nur Zehenstand möglich, Anhebung der Fußspitze unmöglich Hammerzehe: Beugekontraktur des Zehenendgliedes mit Bodenkontakt der Zehenkuppe. Krallenzehe: Beugekontraktur des Zehenmittel- und -endgelenks mit Überstreckung im Grundgelenk ohne Bodenkontakt der Zehenkuppe. Fersensporn (Kalkaneussporn): Durch Überbelastung verursachte Mikroverletzung im Bereich der Sehnenansätze von Muskeln an der Unterseite des Fersenbeins, die zur dornartigen Verknöcherung neigen. Klumpfuß: Meist angeborene Fußdeformation, bei der die Fußsohle nach innen gedreht ist und praktisch nur die Außenkante des Fußes belastet wird. Untersuchung Schultergelenk Funktionsanalyse Abduktion /Adduktion: 180° / 0° / 40° Anteversion/Retroversion: 170° / 0° / 40° Drehung (Ausgangsstellung 0° = ausgestreckter horizontaler Arm): Innenrotation /Außenrotation: 70° / 0° /60° Inspektion und Palpation: Inspektorische und palpatorische Untersuchung des Schultergelenkes auf Asymmetrie, Luxation und Subluxation, Schwellung und Druckdolenz. Bewegungsapparat Anatomie 57 Untersuchung Ellenbogengelenk Funktionsanalyse Extension / Flexion: 10° / 0° / 150° Supination / Pronation: 90° / 0° / 90° Inspektion und Palpation des Ellenbogengelenks Epikondylitis humeri radialis: Tennisellenbogen. Bezeichnung für Läsionen an der Ursprungssehne der Streckmuskeln der Hand am lateralen Epikondylus des Humerus als Folge einer wiederholten Überbelastung der Hand bei Dorsalflexion (Beugung zum Handrücken hin). Epikondylitis humeri ulnaris: Golfspielerellenbogen. Nicht nur bei Golfspielern auftretende Entzündung des Sehnenansatzes am Epikondylus humeri ulnaris, an dem die Beugemuskulatur des Unterarms ansetzt. Ursache ist eine wiederholte Überbelastung bei Palmarflexion (Beugung der Finger bzw. der Hand zur Unterarmseite hin). Untersuchung Hand Funktionsanalyse Hand: Der Bewegungsspielraum des Handgelenkes ist individuell sehr unterschiedlich Dorsalextension / Palmarflexion: 35°-60° / 0° / 50°-60° Abduktion / Adduktion: 40° / 0° / 30° Funktionsanalyse der Fingergrundgelenke (II-V) Dorsalextension / Palmarflexion 30° / 0° / 90° Inspektion und Palpation des Handgelenkes und der Fingergelenke, insbesondere von Radius und Ulna, Karpaltunnel, Daumenballen und Fingergrundgelenken. Fingerendgelenke schmerzhaft: Arthrose (Heberden-Arthrose). Fingermittelgelenke schmerzhaft: Arthrose (Bouchard-Arthrose), rheumatoide Arthritis. Fingergrundgelenke schmerzhaft: rheumatoide Arthritis. Daumengrundgelenk schmerzhaft: Arthrose (Rhizarthrose), rheumatoide Arthritis © Arpana Tjard Holler (Autor) 58 Bewegungsapparat Pathologie Bewegungsapparat Pathologie Traumatologie ......................................................................................................................................... 59 Erkrankungen der Knochen ................................................................................................................... 65 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises (Rheumatismus) .................................................... 73 Erkrankungen der Wirbelsäule .............................................................................................................. 82 Erkrankungen der Muskeln.................................................................................................................... 84 Bewegungsapparat Pathologie 59 Traumatologie Fraktur Def: Knochenbruch. Kontinuitätsunterbrechung eines Knochens (selbst feinster Haarriss) Unterscheidung: Traumatische Fraktur: Direkte oder indirekte Gewalteinwirkung führt zum offenen (komplizierten) oder geschlossenen Bruch. Ermüdungsfraktur, sog. schleichende Fraktur. Mikrotraumen infolge ungewohnter Überbeanspruchung führen zum Bruch, so z.B. bei der Marschfraktur, sog. Schipperkrankheit (anhaltende Überbelastung der Rückenmuskulatur führt oft zur Fraktur des 7. Halswirbeldornfortsatzes), Hustenfraktur (durch sehr starkes Husten verursachte Rippenfraktur). Pathologische Fraktur (sog. Spontanfraktur). Knochenbruch durch vorgeschädigtes Knochengewebe, so z.B. durch Knochentumore, Knochenzysten, Osteoporose, Rachitis bzw. Osteomalazie, Osteomyelitis, Plasmozytom. Grünholzfraktur: Fraktur bei Kleinstkindern und Kindern, die infolge der noch weichen Kortikalis nicht vollständig ist. Das Periost bleibt teilweise erhalten. Sym: Sichere Frakturzeichen: Abnorme Beweglichkeit Abnorme Stellung Knochenreibegeräusch (Crepitatio) offensichtliche Knochenunterbrechung Unsichere Zeichen: Starke Schmerzen Schwellung und Rötung, Hämatom Unbeweglichkeit, Druckschmerzhaftigkeit Kom: Bei offenem Bruch: Osteomyelitis Beschädigung von Nerven, Blutgefäßen und Muskeln Fettembolie Eingeschränkte Beweglichkeit, frühzeitige Abnutzungserscheinungen (Arthrose) Übermäßige Kallusbildung Sudeck-Syndrom Pseudarthrosenbildung (sog. Falschgelenk), fehlgeschlagene Überbrückung des Knochenbruchs durch mangelnde Kallusbildung Verletzungen im Bereich der Epiphysen können zu vorzeitigem Wachstumsstillstand oder überschießendem Wachstum der betroffenen Knochen führen. Frakturen im Schaftbereich können ein vermehrtes Längenwachstum induzieren. Osteochondrosis dissecans: Eine traumatisch bedingte aseptische Knochennekrose mit Herauslösen eines Knochen- oder Knorpelstücks als freier Gelenkkörper. Kommt v.a. in großen Gelenken vor. Absolute Bewegungsstarre mit blitzartig einschießenden Schmerzen kann auftreten. Pneumothorax bei Rippenbruch möglich © Arpana Tjard Holler (Autor) 60 Bewegungsapparat Pathologie The: Ruhigstellung und provisorische Schiene. Abschwellende Maßnahmen (z.B. Eisbeutel). Bei venöser Blutung Druckverband mit Kompressen, bei arterieller Blutung zusätzlich Hochlagerung der Extremität. Die Extremität darf nicht abgebunden werden. Muskelzerrung / Muskelfaserriss / Muskelriss Def: Durch Überdehnung eines Muskels kann es zu mikroskopischen Verletzungen (Muskelzerrung) bis hin zum Muskelfaserriss kommen. Sind so viele Muskelfasern gerissen, dass der Muskel funktionsuntüchtig wird, so spricht man von einem Muskelriss (häufig in Kombination mit direkter Gewalteinwirkung). Unzureichendes Aufwärmen, kalt-nasse Witterung und Muskelverhärtungen gelten als Risikofaktoren. Sym: Ausmaß je nach Schweregrad der Verletzung. Plötzlich einsetzender Schmerz mit verminderter Funktionsfähigkeit. Hämatom bei Muskelfaserriss. Tastbare Lücke mit ausgeprägtem Hämatom und Schwellung bei Muskelriss. The: Sofortmaßnahmen nach PECH-Schema: 1. Pause, Ruhigstellung 2. Eis im Wasserbeutel 3. Compressionsverband 4. Hochlagerung Ruhigstellung: Muskelzerrung 10 Tage, Muskelfaserriss 3-4 Wochen, Muskelriss (Chirurgie) 3 Monate Tendopathie Def: Zusammenfassende Bezeichnung für abakterielle Entzündungen der Sehnen und Sehnenscheiden durch chronische Überbelastung, aber auch durch Stoffwechsel- oder Durchblutungsstörungen. Urs: Pat: Tendovaginitis (Sehnenscheidenentzündung) als Überanstrengung bei bestimmten Berufen bzw. Tätigkeiten: Maurer, Tischler, Balletttänzerinnen, Maschineschreiben, Klavierspielen, Stricken. Häufigste Lokalisation an der Achillessehne, Kniescheibensehne, am Schambein durch Adduktorenüberbelastung, Bizepssehne, Ellenbogen sowie Finger- und Handsehnen. Ständige Überbelastung und einseitige Bewegung. Zu kurze Regenerationspause, Koordinationsstörungen, Stress. Intensives sportliches Training bei ungenügender Vorbereitung. Qualitativ schlechtes Sportgerät (z.B. falsches Schuhwerk, zu harte Bespannung des Tennisschlägers, falsche Griffstärke usw.). Tendovaginitis stenosans, wird auch als Schnappfinger, schnellender Finger oder Digitus saltans bezeichnet. Es handelt sich um eine Erkrankung der Beugesehnen der Finger (v.a. Daumen und Mittelfinger), die v.a. durch chronische Überbelastungen entstehen kann (selten angeboren), aber auch im Rahmen von anderen Erkrankungen zu finden ist (Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis). Es entstehen knötchenförmige Verdickungen der Beugesehnen, die ein ruckartiges Vorschnellen des Fingers beim Strecken zu Folge haben. Bewegungsapparat Pathologie 61 Symptome: Fühlbare knotige Verdickungen an der Handinnenseite im Bereich des Fingergrundgelenks Schmerzen bei Beugung und bei Streckung Finger kann in Beugestellung blockiert sein und nur mit schmerzhafter Anstrengung bzw. mit Hilfe der gesunden Hand zur Streckung gebracht werden, dabei ist ein typisches Vorschnellen des Fingers zu beobachten Der sog. Tennisellenbogen (Epikondylitis humeri radialis) entsteht durch Mikrotraumen an der Ursprungssehne der langen Extensoren am äußeren Ellenbogen. Im Wesentlichen ist eine Dorsalflexion im Handgelenk bei gestrecktem Ellenbogen dafür verantwortlich; häufiger nach dem 40sten Lebensjahr. Sym: Schmerz bei Bewegung, nimmt bei Belastung allmählich ab, bei Fortschreiten der Erkrankung Dauerschmerz. Sind die Sehnenscheiden des Unterarms betroffen, ist es manchmal nicht mehr möglich Gegenstände festzuhalten. Tennisellenbogen: Schmerzen an der Außenseite des Ellenbogens und beim Ballen der Faust. The: Ruhigstellung. Antientzündliche Behandlung, Elektrotherapie. Chirurgie bei erfolgloser konservativer Therapie. Bursitis Def: Entzündung eines Schleimbeutels. Urs: Meist durch Traumen oder länger andauernden Druckreiz. Pat: Häufig befallene Schleimbeutel: Bursa subcutanea praepatellaris. Zwischen Kniescheibe und Haut liegender Schleimbeutel. Entzündung v.a. bei Personen, die eine kniende Arbeit durchführen, z.B. bei Fliesenlegern, Putzfrauen. Als „Pastorenknie“ bekannt. Bursa subcutanea olecrani. Zwischen Ellenbogen (Olekranon) und Haut liegender Schleimbeutel. Betroffen sind v.a. Personen mit einer Schreibtischarbeit. Auch als „Studentenellenbogen“ bekannt. Sym: Entzündungszeichen, Druckschmerz, Schmerz bei Bewegung. The: Ruhigstellung. Antientzündliche Behandlung. Chirurgie bei erfolgloser konservativer Therapie. Distorsion / Luxation Def: Bei einer Distorsion (Verstauchung, Zerrung) kommt es durch plötzliche Gewalteinwirkung auf das Gelenk zu Verletzungen am Bänderapparat. Eine Luxation (Verrenkung) führt zur vollständigen Diskontinuität der beiden gelenkbildenden Knochen. Dabei kann es zu erheblichen Verletzungen der umliegenden Strukturen kommen (Gelenkkapsel, Gefäße, Nerven, Muskeln, Knochen, Bänder, Sehnen). Typisch kann eine federnde Fixation sein. © Arpana Tjard Holler (Autor) 62 Bewegungsapparat Pathologie Subluxation ist eine teilweise und unvollständige Verrenkung, wobei die Gelenkfläche zum Teil noch in Berührung miteinander stehen (z.B. bei rheumatoider Arthritis, beim Apoplex das Schultergelenk) Pat: Häufigste Gelenkzerrungen treten auf am Sprunggelenk (Laufsportarten), Kniegelenk (Skifahren, Fußballspielen), Handgelenk und an der Halswirbelsäule (z.B. beim Schleudertrauma). Luxationsformen: Angeborene Luxation Am häufigsten eine Hüftgelenkluxation; entwickelt sich meist aus einer Hüftdysplasie (Mangelentwicklung der Hüftpfanne). Findet sich bei 2-4 % aller Geburten. Traumatische Luxation Am häufigsten ist das Schultergelenk betroffen. Habituelle Luxation (habituell = öfter auftretend). Häufiger auftretende Schulterluxationen, deren Ursache meist in einem ersten Trauma liegt. Oft ohne Schmerzen mit leichter oder spontaner Reposition. Pathologische Luxation Entstehung durch chronische Gelenkschäden, Entzündungen oder infolge von Muskellähmungen. Sym: Distorsion Druck- und Bewegungsschmerz Meist schnelle Schwellung Eingeschränkte Funktionsfähigkeit Luxation Deformiertes Gelenk, heftiger Schmerz, Bewegungsunfähigkeit, Schonhaltung, federnde Fixation (sichtbar und tastbar) Schwellung, Erguss Bei einer Schulterluxation evtl. Eindellung der Haut in Höhe des ehemaligen Gelenkspaltes Kom: Lebensgefährliche Blutungen Lähmungen Arthrotische Erscheinungen, Versteifungsgefahr The: Distorsion: Ruhigstellung des Gelenks. Abschwellende Maßnahmen. Nach Abschwellen Kompressionsverband. Luxation: Reposition durch eine Fachkraft, Feststellung von Schäden. Ruhigstellung. Subluxation des proximalen Radiusköpfchens (Chassaignac-Lähmung) Def: Durch Gewalteinwirkung entstandene Subluxation des proximalen Radiusköpfchens aus dem ringförmigen Ligamentum (Befestigungsband), welches das Speichenköpfchens mit der Elle im Ellenbogengelenk befestigt. Mit Subluxation ist das Herausrutschen des Speichenköpfchens aus dem ringförmigen Befestigungsband gemeint. Urs: In der Regel ein ruckartiger Zug am Arm des Kindes, meist aus der plötzlichen Absicht heraus, das Kind vor einem Sturz zu bewahren. Bewegungsapparat Pathologie Sym: The: 63 plötzlichen Armschmerzen mit Schonhaltung des Arms meist völlige Bewegungseinschränkung Ellenbogengelenk steht in Neutral-Null-Stellung, leichte Pronation der Hand evtl. Schwellung im Bereich des proximalen Speichenköpfchens Einrenkung durch eine ärztliche Fachkraft: Druck auf das proximale Radiusköpfchen, bei gleichzeitiger Extension und Supination im Ellenbogengelenk. Sudeck-Syndrom (Sudeck-Dystrophie, sympathische Reflexdystrophie) Def: Gewebsveränderung (Dystrophie) und Gewebsschwund (Atrophie) infolge einer vasomotorischen Störung (Vasospasmus = Gefäßverengung), die meist im Rahmen einer Gewebsverletzung (steht nicht im Verhältnis zur Erkrankung) auftritt und bis zur völligen Versteifung eines Gelenkes führen kann. Tritt nur an den Extremitäten auf. Urs: Idiopathisch. Nach Frakturen und Weichteilverletzungen, aber auch nach Herzinfarkt und Hirnverletzungen. Vorkommen häufiger bei Frauen. Psychosomatisch. Sym: Klinische Einteilung, drei Stadien: Sudeck I, Stadium der Entzündung (mehrere Wochen nach einem Trauma). Entzündungszeichen, Schwellung Dauer- und Bewegungsschmerz Glanzhaut Übermäßige Schweißabsonderung Im Röntgenbild kein Befund Sudeck II, Stadium der Dystrophie. Schmerzrückgang Zunehmende Gewebsveränderung (z.B. Muskelschwund, blasse und glänzende Haut, Nagelwuchsstörungen) Zyanose Im Röntgenbild zunehmende Aufhellung (Zeichen eines Knochenschwunds) Sudeck III, Stadium der Atrophie. Muskelatrophie bis hin zur Ausbildung von Kontrakturen Schrumpfung der Gelenkkapsel, allmähliche Versteifung des Gelenks Hautatrophie Im Röntgenbild deutliche Knochenveränderungen The: Medikamentöse Therapie: Schmerzmittel, Nervenblockade des Sympathikus. Physikalische Therapie in allen drei Stadien. Psychotherapeutische Behandlung. Kortison, Sympathikolytika, evtl. Baker-Zyste Def: Ausstülpung der Gelenkkapsel des Kniegelenks in die Kniekehle infolge einer Überproduktion von Gelenkflüssigkeit. © Arpana Tjard Holler (Autor) 64 Bewegungsapparat Pathologie Urs: Chronische Entzündungsvorgänge führen zur vermehrten Produktion von Gelenkflüssigkeit: Meist infolge eines medialen Meniskusschadens, auch bei länger bestehenden Bursitiden (Schleimbeutelentzündung). Auch infolge von rheumatischen Schäden (rheumatoide Arthritis oder Kniegelenksarthrose) möglich. Pat: Durch die chronische Entzündung kommt es zur Vermehrung von Entzündungs- bzw. Synovialflüssigkeit. Der Druck der Flüssigkeit führt zur Aussackung der Gelenkkapsel im hinteren Bereich. Sym: Bei großen Zysten (z.B. faustgroß) Schmerzen und Bewegungseinschränkung Druckgefühl in der Kniekehle Bei Extension gut fühlbar (meist auf der medialen Seite) Kom: Ruptur der Baker-Zyste mit heftiger Schmerz- und Entzündungssymptomatik (Verwechslung tiefer Beinvenenthrombose). The: Konservativ durch Behandlung der Grundursache durch einen Physiotherapie Operation Überbein Def: Umgangssprachliche ungenaue Bezeichnung für eine harte Schwellung unter der Haut. Diese Bezeichnung kann Ausdruck für ein Ganglion, eine Exostose, ein Hallux valgus oder eine reaktive Knochenwucherung im Rahmen einer Arthrose sein (z.B. HeberdenKnötchen bei einer Arthrose im Fingerendgelenk). Ganglion Def: Zystische Ausstülpung einer Sehnenscheide. Gutartige Geschwulstbildung (Zyste) im Bereich einer Gelenkkapsel oder einer Sehnenscheide, die mit Synovialflüssigkeit gefüllt ist. Tritt v.a. an der Streck- und Beugeseite am Handgelenk und an den Fingern auf. Urs: Idiopathisch, möglicherweise Überbeanspruchung und chronische Reizzustände. Sym: häufig als prallelastische Schwellung zu fühlen Schmerzen am Handgelenk (Ganglion muss nicht immer sichtbar sein), können nach oben hin ausstrahlen, evtl. völlige Beschwerdefreiheit Je nach Größe Bewegungseinschränkung möglich Parästhesien (Missempfindungen) bei Kompression von Nerven The: Operation Exostose Syn: Exostosenkrankheit, multiple Osteochondrome, heriditäre (erbliche) Exostosen Def: Unkontrolliertes Wachstum von Knochengewebe meist in der Nähe der Epiphysenfugen von langen Röhrenknochen. Das Gewebe ist in der Regel gutartig und mit einer Knorpelplatte bedeckt. Urs: Idiopathisch, ein familiäres Auftreten ist häufig. Bewegungsapparat Pathologie 65 Sym: Die Knochenwucherungen können als breitbasige, gestielte oder hakenförmige Verhärtungen zu palpieren sein. Jedoch gibt es auch Exostosen, welche von außen nicht sichtbar sind. Bewegungseinschränkungen, Schmerzen bei Bewegung Die Erkrankung kann auch beschwerdefrei verlaufen Verformung des Knochens Einschränkung des Längenwachstums Evtl. Bursitis Selten maligne Entartung Impingement-Syndrom Syn: Schulterengpass-Syndrom, subakromiales Engesyndrom Def: Eine Verdickung der Sehne des Musculus supraspinatus führt zur Einklemmung zwischen dem Humeruskopf und Akromion (Schulterhöhe). Häufig werden gleichzeitig die Sehne des Musculus biceps und die subakromialen Schleimbeutel eingeklemmt. Urs: Entzündliche bzw. degenerative Veränderungen im Bereich der Sehne des Musculus supraspinatus durch chronische bzw. einseitige Überlastung (Arm hochheben), z.B. Maler, Schwimmer, Tennisspieler, Volleyballspieler infolge von Frakturen im Bereich des Humeruskopfes angeborene Enge im subakromialen Bereich (knöcherne Vorsprünge). Sym: Nächtliche Schmerzen in der Schulter, die bis in den Oberarm ausstrahlen können Ruheschmerzen Schmerzen beim Anziehen eines Mantels oder einer Jacke Erkrankungen der Knochen Osteomalazie / Rachitis (Knochenerweichung) Def: Osteomalazie: Qualitative Knochenstoffwechselstörung aufgrund von mangelndem Einbau von Mineralstoffen in den Knochen beim Erwachsenen. Betroffen sind v.a. WS, Hüftknochen und Extremitäten. Rachitis: Gestörte Knochenmineralisation der Grundsubstanz des wachsenden Knochens bei Kindern mit typischen Veränderungen an den Wachstumsfugen (Breitenwachstum). Pat: Vitamin-D-Stoffwechsel: Das Vitamin D-Hormon wird nur zu 10% aus der Nahrung gewonnen (z.B. Ei, Butter, Milch, Fisch) und zu 90% in der Haut durch UV-Licht gebildet (Cholesterin wird gespalten und zu Vitamin D3 umgebaut). Das durch den Darm aufgenommene oder in der Haut durch eine Vorstufe gebildete Vitamin D wird in der Leber und der Niere in die aktive Form überführt. Es fördert die Kalzium- und Phosphatresorption im Dünndarm, die Rückresorption in der Niere und den Einbau von Kalzium in den Knochen. Infolge des Vitamin-D-Mangels kann es zu Verbiegungen insbesondere der langen Röhrenknochen kommen. Die Verminderung des Serumkalziums wird durch vermehrte Produktion von Parathormon kompensiert. © Arpana Tjard Holler (Autor) 66 Bewegungsapparat Pathologie Cholesterin in der Haut UV-Licht Vitamin D3 = Cholecalciferol Leber Calcidiol Niere Aktives Vitamin D - Hormon Parathormon Verstärkte CalciumAufnahme im Darm Urs: Rückresorption von Calcium in der Niere Einbau von Calcium in den Knochen Vitamin D-Mangel (sog. Englische Krankheit) Mangelhafte Vitamin D-Zufuhr, ungenügende UV-Bestrahlung (bei Kleinkindern) Malabsorptionssyndrom (z.B. Zöliakie) Vitamin D-Stoffwechselstörungen bei Erkrankungen der Leber (z.B. Leberzirrhose) oder der Nieren (z.B. chronische Niereninsuffizienz) Sym: Osteomalazie: Generalisierte Knochenschmerzen, Schmerzen bei Belastung besonders im Rücken und in den Oberschenkeln. Skelettverbiegungen, Muskelschwäche Gehstörungen bis hin zur Gehunfähigkeit (Watschelgang, X/O - Beine). Rachitis (Manifestation meist im 2.-3. Lebensmonat): Unruhe, Schreckhaftigkeit, Schwitzen (besonders am Kopf). Muskelhypotonie, schlaffe Bauchdecke (sog. Froschbauch). verzögerter Zahndurchbruch mit Schmelzdefekten (Karies) Schmerzhafte Skelettveränderungen: Verformung des Schädelknochens, Fontanelle vergrößert, quadratische Kopfform (Caput quadratum) Rachitischer Rosenkranz (Auftreibungen der Rippen an der Knorpel-Knochen-Grenze) Waagerechte Furche (Hauteinziehung) am Brustkorbrand, dort, wo das Zwerchfell am Brustkorb ansetzt (Harrison-Furche) Deformationen des Brustkorbes, z.B. Glockenthorax Becherförmige Erweiterung der distalen Enden der Röhrenknochen (z.B. Perlschnurfinger, doppelter Fußknöchel) Deformationen der WS, z.B. ausgeprägte Kyphose, Skoliose Beckendeformierung O-Beine Deformationen des Fußgewölbes, z.B. Knick-Senk-Fuß Bewegungsapparat Pathologie The: 67 Zwei bis drei Wochen lang 200 IE Vitamin D pro Tag mit Wasser oder Milch direkt in den Mund (nicht ins Fläschchen). Im Kindesalter reicht eine Sonneneinwirkung im Frühjahr und Sommer auf Hände und Gesicht von durchschnittlich 2 Stunden die Woche. Ansonsten Behandlung der Grundursachen. Osteoporose Def: Allgemeiner oder lokaler Knochenschwund mit erhöhtem Frakturrisiko. Urs: Primäre Osteoporose (ca. 90%). Typ I: Postmenopausale Osteoporose. Als Grund wird ein Östrogenmangel angenommen. Betroffen sind v.a. Brustwirbel. Typ II: Altersosteoporose. Ursache ist verminderter Knochenaufbau. Betroffen sind Personen ab 70 Jahren. Typisch sind Oberschenkelhalsfrakturen. Sekundäre Osteoporose (ca. 10%). Infolge von hormonellen Erkrankungen, wie z.B. Cushing-Syndrom, Hyperthyreose, Diabetes mellitus, Hyperparathyreoidismus. Infolge einer Niereninsuffizienz. Infolge einer rheumatoiden Arthritis. Infolge Immobilisation (z.B. nach 4-6 Wochen Bettruhe); kurzfristige Hyperkalzämie möglich. Infolge von Alkoholabusus (Alkoholkrankheit). Folgende Risikofaktoren zur Entwicklung einer Osteoporose sind bekannt: Bewegungsmangel Östrogenmangel Genussgifte (Alkohol, Nikotin, Koffein) Phosphatreiche Nahrungsmittel (z.B. Cola) sind Kalziumräuber Personen mit sehr schlankem Habitus (Untergewicht) Früher Beginn der Wechseljahre (jünger als 45 J.) Später Menstruationsbeginn (später als 15 J.) Komplette Entfernung beider Eierstöcke Kalziumarme Ernährung Länger andauernde Behandlung mit Glukokortikoiden (Kortison) Alter über 60 Jahre Pat: Ein altersbedingter Knochenabbau ist normal. Mit 70 Jahren hat jeder Mensch etwa ein Drittel seiner Knochenmasse verloren. Im Grunde spricht man erst von Osteoporose, wenn durch Knochenbrüche Beschwerden auftreten. Bei der Osteoporose entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Knochenaufbau und Knochenabbau. Es kommt zur Verminderung von Spongiosa und Kompakta und infolge dessen zur erhöhten Knochenbrüchigkeit mit Frakturen und Deformationen. Die Osteoporose ist die häufigste Knochenerkrankung (6% der Gesamtbevölkerung). Sym: Typ I-Osteoporose: Akute Schmerzen bei Mikrofrakturen, bei Einblutungen unter dem Periost (z.B. nach Deckplatteneinbruch), bei Subluxation kleiner Wirbelgelenke. Klopfschmerzhaftigkeit der betroffenen Wirbel Chronische Rückenschmerzen, Muskelverspannungen (Myogelosen) der Rückenmuskulatur © Arpana Tjard Holler (Autor) 68 Bewegungsapparat Pathologie Ermüdbarkeit bei längerem Stehen und Gehen (bereits kleinste Veränderungen der Wirbelsäulenstatik führen zu einer Fehlbelastung von Muskulatur, Gelenken und Bandapparat) Verstärkte Brustkyphose (sog. Witwenbuckel) Vorwölbung des Bauches Aufsetzen des unteren Rippenbogens auf dem Beckenkamm mit schräg verlaufenden Hautfalten im Stammbereich (sog. Tannenbaumeffekt) Abnahme der Körpergröße durch Wirbelkörpereinbrüche (Keilwirbelbildung, Fischwirbelbildung) Typ II-Osteoporose: Oberschenkelhalsfrakturen Typisch für eine aktuelle Oberschenkelhalsfraktur kann sein: Verkürztes Bein Bein in Außenrotationsstellung Kom: Bei länger dauernder Immobilisation durch Frakturen oder Operation Gefahr von Thrombose, Embolie, Lungenentzündung. The: Physiotherapie und regelmäßige Bewegung (Wandern, Laufen) Medikamentös: Schmerzmittel, Vitamin D, Knochenaufbaumittel (FluoridTherapie), Östrogene, Calcitonin, Kalzium oral, Anabolika, Bisphosphonate (sollen trotz Nebenwirkung nachweislich die Gefahr von Knochenrüchen reduzieren) Kalziumreiche Nahrung Konsumverzicht von Kaffee, Zigaretten und Alkohol Selbsthilfegruppe Osteoporose e.V. Aseptische Knochennekrosen Def: Untergang von Knochengewebe meist in einem umschriebenen Gebiet, ohne dass Infektionen oder andere Gründe dafür in Betracht kommen. Aseptische Knochennekrosen entstehen vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen, wobei Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen. Eine familiäre Disposition ist bekannt. Vermutet wird eine zirkulatorische Störung (Ischämie) des Knochengewebes. Die bekanntesten aseptischen Knochennekrosen sind Morbus Scheuermann und Morbus Perthes. Morbus Scheuermann (Adoleszentenkyphose, Osteochondrosis deformans juvenilis) Def: Degenerative Verformungen der Wirbelkörper und Wirbelscheiben als häufigste Wirbelsäulenerkrankung beim Jugendlichen. Sie beschränkt sich fast ausschließlich auf die BWS und kommt meist im 18. Lebensjahr zum Stillstand. Urs: Aseptische Knochennekrose. Vermutet werden hormonelle, genetische und konstitutionelle Faktoren. Häufig besteht eine schlaffe Rundrückenhaltung im Kindesalter (Kopf und Schultern nach vorne gebeugt). Pat: Es kommt zu Wachstumsstörungen mit nekrotischen Veränderungen an der Wirbelkörper-Bandscheibengrenze. Typisch ist die Bildung von ruinösen Wirbeldeckplatten und Keilwirbeln. Der Intervertebralraum ist verschmälert. Schmorlsche Knötchen entstehen durch Bandscheibeneinbrüche in Grundund Deckplatten. Sie sind im Röntgenbild zu sehen und gelten als diagnoseweisend. Bewegungsapparat Pathologie 69 Sym: Muskelverspannungen, Rückenschmerzen (nicht zwingend, ca. 30% d.Falle), lokales BWS-Syndrom Brustkyphose und Rundrücken erst im fortgeschrittenen Stadium. Schnelle Ermüdbarkeit der WS Im Erwachsenenalter: chronische Rückenschmerzen, kompensatorische Hyperlordose, Neigung zu Bandscheibenvorfällen Auffallend ist die schlechte Haltung der betroffenen Person. The: Behandlung hängt vom Ausmaß der Erkrankung ab. Im jugendlichen Alter Befreiung vom Schulsport. Physiotherapie (Entlastung der Wirbelsäule, Stärkung der Rumpfmuskulatur) Kein Leistungssport, keine Berufswahl mit schwerer körperlicher Tätigkeit (z.B. Bauberufe, Landwirtschaft). Bei schweren Formen Stützkorsett oder Operation Morbus Perthes Def: Aseptische Knochennekrose des wachsenden Hüftkopfes (Femurkopf-Epiphyse) bei Kindern zwischen 3.-12. Lebensjahr. Der Beginn ist schleichend und die Krankheit erstreckt sich über mehrere Jahre. Urs: Ursache unklar. M : F = 4 : 1 Sym: The: Belastungsabhängige Hüft- und Knieschmerzen. Schonhinken (Kind zieht das Bein nach). Bewegungseinschränkung (bes. Rotation). Kein Fieber, Allgemeinzustand nicht beeinträchtigt, Blutbild unauffällig. Spätsymptome: sekundäre Arthrose, Kontrakturen, Muskelatrophien. Facharzt, Physiotherapeut. Ziel: Verbesserung der Durchblutung. Osteomyelitis Def: Knochen- und Knochenmarkentzündung. Urs: Als Komplikation eines offenen Bruchs oder einer offenen Wunde (z.B. Ulcus cruris oder arteriosklerotische Hauterscheinung). Nach Knochenoperationen oder operativen Eingriffen. Infolge einer hämatogenen Streuung von Eitererregern bei Furunkeln, Angina, Tonsillitis, Sinusitis, Otitis, Harnwegsinfektionen. Oft auch idiopathisch. Bei Kindern sind v.a. die langen Röhrenknochen betroffen, bei Erwachsenen vorwiegend Wirbelkörper. Sym: Druckschmerzhaftigkeit und Weichteilschwellung. Bewegungsschmerz. Fieber, jedoch nicht typisch, kann fehlen. Rückenschmerzen und paravertebrale Muskelverspannungen, wenn die Wirbelkörper betroffen sind (eher chronischer Verlauf) Bisweilen verläuft die Osteomyelitis über Monate bis Jahre klinisch stumm. Labor: BSG erhöht, Leukozytose mit Linksverschiebung (kann auch fehlen). Röntgen erst positiv bei Knochenveränderungen. Szintigraphie früh aussagekräftig. © Arpana Tjard Holler (Autor) 70 Bewegungsapparat Pathologie Bewegungsapparat Pathologie 71 Kom: Irreversible Wachstumsstörungen. Abszess mit Fistelbildung (Knochensequester). The: Hohe Gaben von Antibiotika, Lokale chirurgische Maßnahmen Ruhigstellung der betroffenen Extremität Knochentumore Def: 1% aller malignen Tumore machen primäre Knochentumore aus (z.B. Osteosarkom, Chondrosarkom). Sekundäre Knochentumoren sind Metastasen anderer maligner Primärtumoren (häufig: Mamma-, Bronchial-, Schilddrüsen-, Prostatakarzinom und Nierenkarzinom). Am häufigsten ist die Wirbelsäule von Metastasen betroffen. Knochenmetastasen werden unterschieden in osteolytische Tumore (Knochenabbau mit Hyperkalzämie, z.B. Plasmozytom, Bronchialkarzinom) und osteoplastische Tumore (mit Knochenneubildung). Gutartige Knochentumor sind Osteoblastom und Osteochondrom (Kindesalter). Osteosarkom Häufigster maligner Knochentumor; knochenbildender Tumor. Vorkommen bei Kindern und Jugendlichen. Am häufigsten sind die Epiphysenfugen der langen Röhrenknochen betroffen. Chondrosarkom: Zweithäufigster Knochentumor, meist jenseits des 40. Lebensjahres: Häufig betroffen sind die langen Röhrenknochen und die Beckenknochen. Plasmozytom (Morbus Kahler, multiples Myelom) Eine bösartige Vermehrung von Plasmazellen im Knochen mit unkontrollierter Vermehrung von Antikörpern und Infiltration und Zerstörung des Knochenmarks. Ewing-Sarkom Ein bösartiger Knochenmarktumor, der v.a. an den Diaphysen von Femur und Tibia auftritt und Personen v.a. zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr befällt. Macht sich häufig durch Entzündungszeichen bemerkbar (Verwechslung mit Osteomyelitis): Fieber, Leukozytose, Rötung, Schwellung und Schmerzen. Sym: Ziehende Dauerschmerzen, die oft in Gelenknähe lokalisiert sind. Zunehmende, harte Vorwölbung, druckdolent. Bei osteolytischen Tumoren pathologische Fraktur möglich. Später Verschlechterung des Allgemeinzustandes. Labor: Blutbildveränderungen, evtl. BSG-Erhöhung (bei Plasmozytom immer) Alkalische Phosphatase erhöht bei knochenverdichtenden Prozessen Saure Phosphatase erhöht bei knochenabbauenden Prozessen The: Chemotherapie, Strahlentherapie, Operation, Schmerztherapie Gicht (Arthritis urica) Def: Störung des Purinstoffwechsels (Nukleinsäurestoffwechsel) mit Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut (Hyperurikämie). Kann zu akuten und chronischen Gelenkerkrankungen führen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 72 Bewegungsapparat Pathologie Urs: Primär Erbliche Störung des Harnsäurestoffwechsels mit verminderter Harnsäureausscheidung in der Niere. Auslösende Faktoren: Üppiges Essen, Fleisch (v.a. Innereien), Fisch (v.a. eingelegt in Mayonnaise), Sojaprodukte, Alkoholgenuss (hemmt die Harnsäureausscheidung in der Niere), Nulldiät (Abbau der Muskelkerne führt zur verstärkten Harnsäurebildung), ASS (verlangsamt die Ausscheidung von Harnsäure) Männer : Frauen = 20 : 1 Sekundär Bei verstärkter Hämolyse (mehr Harnsäure fällt an), z.B. bei Leukämie, Polyzythämie, andere Tumore Bei Nierenfunktionsstörung (Harnsäure wird vermindert ausgeschieden) Pat: Eine Erhöhung der Harnsäurekonzentration im Blutserum über 6,4 mg/dl nennt man Hyperurikämie. Je höher der Harnsäurespiegel steigt, desto größer das Risiko eines Gichtanfalls (Ablagerungen von Harnsäurekristallen z.B. im Knorpel oder anderen gefäßarmen Gewebe wie Bänder und Sehnen). Es kommt im Gelenk zu einer meist kurzzeitigen, äußerst schmerzhaften Entzündungsreaktion. Akute Anfälle können in einen chronischen Verlauf übergehen (heute wegen Medikamenten selten). Es kommt zu Deformierung von meist mehreren Gelenken mit frühzeitiger Arthrose und Ablagerungen von Harnsäurekristallen in das Gewebe. Vier Stadien der Gicht: I. Asymptomatische Hyperurikämie (häufig) II. Akuter Gichtanfall III. Beschwerdefreies Intervall zwischen zwei Gichtanfällen IV. Chronische Manifestation in Gelenken und außerhalb der Gelenke Sym: Akuter Verlauf Plötzlicher Beginn, meist nachts Starke Schmerzen eines Gelenks mit lokalen Entzündungszeichen Zu 75% am Großzehengrundgelenk, nennt sich Podagra. Zu 25% am Kniegelenk, nennt sich Gonagra. Seltener in den Hand- und Fingergelenken (Chiragra). 38,5° Fieber (mäßiges Fieber), meist nur wenige Stunden Nach einem akuten Anfall oft Rezidive in den nächsten Tagen Zwischen den akuten Anfällen oft über längere Zeit symptomfreie Intervalle Achtung: Während oder nach einem Gichtanfall kann häufig keine Hyperurikämie nachgewiesen werden, da sich die Harnsäure in den Gelenken abgesetzt hat. Chronischer Verlauf (heute durch Medikamention selten) Betroffen sind meist mehrere Gelenke mit chronischen Schmerzen Gelenkveränderungen mit Gefahr auf sekundärer Arthrose Knotige Ablagerungen im Bindegewebe Ohrknorpel (Gichttophi = Gichtperlen) Nasenknorpel, Augenlider, Schleimbeutel Kom: Arthrose, irreversible Deformationen an Gelenken (v.a. Fingergelenke) Gichtniere (Gichtnephropathie) Ablagerung von Uratkristallen im Nierenmark und damit verbundene Entzündungen und vaskuläre Veränderungen (Gichtnephropathie; kann zur Insuffizienz führen) Nierensteinbildung (Urate nicht schattengebend im Röntgenbild) Bewegungsapparat Pathologie 73 Entzündungen der Iris In 50% der Fälle besteht eine arterielle Hypertonie (metabolisches Syndrom) The: Im akuten Anfall medikamentös, Gelenk ruhigstellen und feuchte, kalte Umschläge, hohe Flüssigkeitszufuhr (>3l/Tag) In der Dauertherapie: Gewicht normalisieren (keine Nulldiät!) purinarme Ernährung: Verzicht auf Fleisch, Innereien, Geflügel, Fisch und Meerestiere, Mayonnaisen, Kidney-Bohnen Alkohol meiden (ist nicht purinhaltig, sondern vermindert die Harnsäureaus-scheidung in der Niere) Unbedingt viel trinken Medikamente zur Harnsäuresenkung (Allopurinol, Colchicin) Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises (Rheumatismus) Def: Rheuma ist eine ungenaue Bezeichnung für Beschwerden am Bewegungsapparat mit fließenden, ziehenden und reißenden Schmerzen, die nicht durch Traumen entstanden sind. Die Rheumatologie umfasst mehr als 100 Krankheiten mit unterschiedlichster Ursache, Lokalisation und Symptomatik. Folgende Unterteilung ist sinnvoll: Entzündlich rheumatische Erkrankungen, z.B. chronische Polyarthritis, Bechterew, Kollagenosen Degenerativ rheumatische Erkrankungen (Arthrosen) Weichteilrheumatismus: Extraartikuläre (außerhalb der Gelenke befindliche) Rheumaformen (z.B. Fibromyalgie) Rheumatisches Fieber (akuter Gelenkrheumatismus) Def: Zweiterkrankung nach einer Infektion mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A mit Manifestation an den Gelenken und zu 50% am Herzen 1-3 Wochen nach einem Erstinfekt (z.B. Scharlach, Tonsillitis, Sinusitis, Pharyngitis). Urs: Immunologische Reaktion (kreuzreagierende Antikörper, Ablagerung von Immunkomplexen) nach einem Streptokokkeninfekt v.a. bei Kindern im Schulalter (möglicherweise genetisch bedingte Anlagebereitschaft). Sym: Jones-Kriterien zur Diagnosestellung (zwei Hauptkriterien oder ein Hauptkriterium plus zwei Nebenkriterien), wenn der Nachweis einer Racheninfektion durch betahämolysierende Streptokokken der Gruppe A vorliegt. 5 Major-Kriterien („SPECK“) Subkutane Knötchen (schmerzlose, bewegliche Knötchen; in 5% d.F.), Polyarthritis, Entzündungssymptome an mehreren großen Gelenken Erythema marginatum (nicht juckende Ringelflecke am ganzen Rumpf mit geröteten Rändern und Abblassung im Zentrum), Erythema nodosum (druckschmerzhafte, rötliche bis braune Knötchen und Flecken, die v.a. an den Vorderseiten der Unterschenkel auftreten) Chorea minor Sydenham (Enzephalitis): unkontrollierte und asymmetrische Bewegungen (in 20% d.F.) Karditis (in 50% d.F.), v.a. Endokarditis Charakteristisch: Gelenkerscheinungen sind flüchtig und wandern. © Arpana Tjard Holler (Autor) 74 Bewegungsapparat Pathologie Bewegungsapparat Pathologie 4 Minor-Kriterien („BEAF“) BSG CRP Leukozytose mit Linksverschiebung, (Antistreptolysine), Rheumafaktor nicht erhöht EKG-Veränderungen Arthralgien (Gelenkschmerzen) Fieber und Schüttelfrost 75 ASL SPRUCH: “Rheumatisches Fieber leckt die Gelenke und beißt das Herz.“ Kom: Herzklappenstenose bzw. -insuffizienzen (v.a. Mitral- und Aortenklappen sind betroffen), lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen. Chronisch rezidivierende Beschwerden. The: Bettruhe 3 Wochen Antibiotika, evtl. Schmerzmittel Bei Herzbeteiligung Salicylate bzw. Kortison Penicillinprophylaxe, bei Kindern über mehrere Jahre Rheumatoide Arthritis (RA) Primär chronische Polyarthritis (PcP; ältere Bezeichnung) Def: Eine chronisch voranschreitende, autoaggressive Erkrankung des gesamten Bindegewebes, deren Symptomatik sich besonders in den Gelenken zeigt und in der Synovialschleimhaut beginnt. Urs: Autoimmunerkrankung Frauen : Männer = 4 : 1 Erkrankung tritt familiär gehäuft auf. Erkrankungsgipfel zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Auslösende Faktoren wie Viren, Hormone, Kälte und Nässe, Infekte und Überanstrengung werden diskutiert. Sonderform Still-Syndrom: schwere Verlaufsform der rheumatoiden Arthritis im Kindes- und Jugendalter mit starker extraartikulärer (außerhalb der Gelenke befindlicher) Beteiligung. Pat: Zwei Theorien der Pathophysiologie: Theorie der Entzündung: Fehlgesteuerte Immunreaktion führt zur Entzündung der Gelenkschleimhaut (Synovialitis). Dabei sollen Zytokine (v.a. Interleukin-1 und Tumornekrosefaktor-alfa) die entzündliche Reaktion auslösen. Dabei entsteht ein geschwulstartiges Gewebe (Pannus), welcher die umliegenden Strukturen allmählich zerstört und somit zur Zerstörung und Deformierung des Gelenkes führt. Theorie der „tumor-like proliferation“: Onkologischer Prozess, bei dem aggressive Zellverbände der Synovialschleimhaut in die Knorpel- und Knochenstruktur eindringen. Dabei werden hochwirksame proteolytische Enzyme freigesetzt, welche die Knorpel- und Knochensubstanz zerstören. Die wuchernden Zellen werden kurzfristig von Mikro- und Makrophagen angegriffen und resorbiert. Zurück bleibt der Pannus. Dieser Prozess kann sich am gleichen Ort wiederholen und die Knorpelund Knochensubstanz weiter zerstören Diese (entzündlichen) Veränderungen können sich in den Gelenken abspielen (intraartikulär), aber auch um die Gelenke herum (periartikulär) oder seltener von Gelenken weit entfernt (extraartikulär). © Arpana Tjard Holler (Autor) 76 Bewegungsapparat Pathologie Sym: Die Verläufe können recht unterschiedlich sein, manchmal schneller Verlauf, manchmal monate- oder jahrelanger Stillstand. Typische Verläufe: schleichend, meist symmetrisch von den kleinen Gelenken auf immer größere übergreifend schubweise über Monate und Jahre 90% der Verläufe beginnen an den Fingergrund- und -mittelgelenken 10% Beginn an großen Gelenken (z.B. Knie- und Hüftgelenk) Kälte und Nässe kann die Symptomatik verschlimmern. Allgemeinsymptome: Leistungsrückgang, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme Schweißneigung, subfebrile Temperaturen Parästhesien (Missempfindungen) Druckempfindlichkeit der Hände (v.a. der Fingergrundgelenke), z.B. Schmerzen beim Händedruck (Gaenslen-Zeichen) Gelenksymptome (häufig symmetrisch): Gelenkschwellung, Überwärmung und Schmerz Morgensteifigkeit und Bewegungseinschränkung der Hände und Finger über eine Stunde (länger als 6 Wochen) meist an Fingergrund- und -mittelgliedern beginnende Auftreibung (fast nie Fingerendglieder) Im weiteren Verlauf können alle Gelenke betroffen werden Bewegungseinschränkungen Muskulatur bildet sich zurück (Muskelatrophie) Haut über den Gelenken ist dünn und glatt, oft mit Einlagerung von bräunlichen Pigmentierungen Im späteren Verlauf Entstehung von Gelenkdeformationen: Ulnare Deviation (Abweichung der Fingergrundgelenke zur Elle hin; Subluxation) Schwanenhalsdeformation (Fingermittelgelenk in Hyperextensionsstellung, Endgelenk in Flexionsstellung) Knopflochdeformation (Fingermittelgelenk in Flexionsstellung, Endgelenk in Hyperextensionsstellung) Knöcherne Gelenkversteifung (Ankylose), Kontrakturen, Subluxationen Außerhalb der Gelenke (extraartikulär) subkutane Rheumaknötchen (v.a. an den Streckseiten der Unterarme) Befall von Sehnenscheiden und Schleimbeuteln Karpaltunnelsyndrom Am Auge: sekundäres Sicca-Syndrom, Iridozyklitis (Entzündung der Iris und des Ziliarkörpers) Manifestation auch in anderen Organen möglich z.B. Vaskulitis, Myokarditis, Polyneuropathie, Pleuritis Laborwerte BSG (mäßig beschleunigt, im akuten Schub Sturzsenkung), CRP Leukozytose Erythrozyten erniedrigt (Anämie), Serumeisen erniedrigt (Eisen wandert in das Gewebe und steht der Blutbildung nicht zur Verfügung) Extreme Thrombozytose möglich Rheumafaktor positiv in ca. 90% der Fälle CCP-Antikörper in 95% der Fälle positiv (Antikörper gegen cyclische citrullinierte Peptide) Bewegungsapparat Pathologie Röntgen erst Gelenkspaltes 77 positiv bei Deformationen und Verkleinerung des Rheumafaktoren finden sich auch bei anderen Erkrankungen (z.B. Kollagenosen, chronische Hepatitis C) oder bei gesunden Menschen. Ein negativer Rheumafaktor schließt die rheumatoide Arthritis nicht aus. The: Schädigende Reize vermeiden Physiotherapie, medikamentöse Therapie, vor allem bei akuten Schüben Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans) Def: Schleichend oder schubweise verlaufende, entzündliche Erkrankung des Bindegewebes, die sich vorwiegend an der Wirbelsäule abspielt und zur Versteifung führen kann. Urs: Idiopathisch (unbekannt) Genetische Disposition, da bei fast allen Erkrankten HLA-B27 (körpereigenes Antigen) nachgewiesen werden kann (familiäre Häufung). In 90% der Fälle erkranken Männer zwischen dem 15. und 30 Lebensjahr. Pat: Der Entzündungsprozess beginnt typischerweise an den Iliosakralgelenken und schreitet dann von kaudal nach kranial fort. Folgende Strukturen an der Wirbelsäule können sich entzünden: Kleine Wirbelgelenke (Facettengelenke) Bandscheiben Bandapparat der Wirbelsäule Die chronische Entzündung führt zur Verkalkung und Verknöcherung der WS. Die dadurch entstehenden Bewegungseinschränkungen führen zu Muskelatrophie und der typischen Haltung eines Bechterew-Patienten mit thorakolumbaler Hyperkyphose (vollständiger Rundrücken) und Vorbeugung der HWS. Im Endstadium kann die WS völlig versteifen (Bambusstabwirbelsäule). Sym: schleichender Beginn (5-8 Jahre) mit Abgeschlagenheit, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß Nächtliche, tiefsitzende, teils quälende Kreuz- und Gesäßschmerzen, die in die Oberschenkel ausstrahlen können, morgendliche Steifigkeit der Wirbelsäule Schmerzen bei Erschütterung oder Husten und Niesen (restriktive Atemwegserkrankung) Schmerzen beim tiefen Einatmen In einigen Fällen extravertebrale Symptome: Entzündung der Achillessehne mit Fersenschmerzen (Achillodynie) Arthritis Iridozyklitis (Entzündung der Iris und des Ziliarkörpers) BSG erhöht, Rheumafaktor negativ, HLA-B27 häufig positiv Diagnostische Zeichen: Schober-Zeichen, Ott-Zeichen, Mennell-Zeichen positiv Hinterhaupt-Wand-Abstand und Kinn-Sternum-Distanz allmählich größer (normal kein Abstand) Finger-Fußboden-Abstand wird größer Extreme Vorwölbung des Abdomens Röntgen: Veränderungen anfangs der Iliosakralgelenke, später der gesamten WS © Arpana Tjard Holler (Autor) 78 Bewegungsapparat Pathologie The: Antirheumatika Physiotherapie zur Verhinderung weiterer Schrumpfung Wärmeanwendung zur Auflockerung des Gewebes Kollagenosen Def: Kollagenosen sind verschiedene systemisch-entzündliche Erkrankungen des kollagenen Bindegewebes. Urs: Autoimmunerkrankung, häufiger Nachweis von Antikörpern. Kollagenosen kommen bei Frauen häufiger vor. Systemischer Lupus erythematodes (SLE) Def: Relativ seltene Systemerkrankung der Haut und des Gefäßbindegewebes mit unterschiedlichen Verlaufsformen. Urs: Antikörper (ANA) und Immunkomplexe lösen die Entzündungsreaktion aus. Pat: Meist sind Frauen zwischen 20 und 30 Jahren betroffen. Haut, Lunge, Herz, Nieren, Nerven und Gelenke sind unterschiedlich und wechselnd befallen. Die Verläufe sind unterschiedlich, vom akuten tödlichen bis hin zum chronisch jahrzehntelangen Verlauf. Eine kutane Form ohne systemische Beteiligung ist möglich (günstige Prognose). Sym: Kutane (auf die Haut bezogene) Manifestation: Schmetterlingserythem (vor allem im Gesicht und auf dem Kopf), Lichtempfindlichkeit der Haut, oronasale Ulzerationen Pleuritis Perikarditis, Myokarditis, Endokarditis Glomerulonephritis, Nephrotisches Syndrom ZNS-Symptome Blutbildveränderungen (z.B. Leukopenie) Arthritis vim akuten Schub hohes Fieber Sklerodermie (Darrsucht) Def: Autoimmunerkrankung des Bindegewebes, die in systemischer Weise auftreten kann (progressive systemische Sklerodermie) oder in lokalisierter Form (Sklerodermia circumscripta). Pat: Meist sind Frauen im mittleren Lebensalter betroffen. Es werden drei Stadien unterschieden: 1. Entzündung mit teigigen Ödemen 2. Hyperplasie (Bindegewebsneubildungen) 3. Atrophie und Verhärtung des Bindegewebes Sym: Die Erkrankung verläuft in Schüben, beginnt meist an den Händen und breitet sich zum Körper hin aus. Beteiligung der Haut: Rötung, teigige Aufschwellung, glänzend und straff, unverschieblich Gangränöse Veränderungen der Fingerspitzen (sekundäres RaynaudSymptom), sog. Rattenbissnekrosen Bewegungsapparat Pathologie 79 Durch Straffung der Gesichtshaut: Starre Gesichtszüge (Maskengesicht), glattes Gesicht (Madonnengesicht), kleiner Mund (Mikrostomie) mit radiärer Faltenbildung (Tabaksbeutelmund) Beteiligung innerer Organe Fibrosierung von Lunge, Herz, Niere und Ösophagus Sjögren-Syndrom (Sicca-Syndrom = trockenes Auge) Def: Autoimmunerkrankung, bei der der Körper v.a. die Speicheldrüsen und die Tränendrüse angreift. Aber auch rheumatische Erkrankungen und Veränderungen an der Haut sind möglich. Urs: Autoimmunerkrankung Sym: Mundtrockenheit Entzündung der Speicheldrüsen, z.B. Parotitis Versiegen der Tränensekretion mit Gefahr auf Keratokonjunktivitis Trockene Nasenschleimhaut mit Rhinitis evtl. Gelenk- und Muskelschmerzen Purpuraartige Hautveränderungen Polymyalgia rheumatica Def: Eine entzündliche rheumatische Erkrankung, die mit heftigen Schmerzen der Muskulatur des Schulter- und Beckengürtels und deutliche erhöhten Entzündungsparameter im Blut einhergeht. In 50% d. F. tritt die Erkrankung zusammen mit Arteriitis temporalis auf. Urs: Gefäßentzündungen (Vaskulitis) der Muskulatur unbekannter Ursache. Betroffen sind Patienten über 60 Jahre. Frauen sind doppelt so häufig erkrankt. Sym: Morgendliche symmetrische Muskelschmerzen im Schulterund Beckengürtelbereich, die plötzlich einsetzen und zu erheblichen Bewegungseinschränkungen führen. Charakteristisch ist die Morgensteifigkeit Häufig allgemeines Krankheitsgefühl mit Fieber, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Nachtschweiß und Abgeschlagenheit. Entzündungszeichen im Labor erhöht: BSG (Sturzsenkung), CRP, Leukozytose Gute Ansprechbarkeit auf Kortikoide Kopfschmerzen bei gleichzeitigem Bestehen von Arteriitis temporalis Arthrosis deformans (Arthrose) Def: Langsame Degeneration des Gelenkknorpels über die natürliche Abnutzung hinaus. Urs: Primäre Arthrose erbliche Disposition begünstigende Faktoren Überbeanspruchung wie Kälte, Nässe, Wetterwechsel Sekundäre Arthrose mechanische Überbeanspruchung, Fehlstellung, Sport, Beruf, Unfall Stoffwechselerkrankungen wie Gicht, Osteoporose, Adipositas wiederholte Entzündungen hormonelle Faktoren, bes. nach Klimakterium © Arpana Tjard Holler (Autor) und 80 Bewegungsapparat Pathologie Pat: Durch die relativ schlechte Ernährungslage des Knorpels (keine Gefäße, wird durch Diffusion versorgt) kann es v.a. bei mechanischer Überbeanspruchung dort zu Abnutzungserscheinungen kommen. Der Knorpel verliert seine Elastizität und innere Festigkeit. Die Reize innerhalb des Gelenkes können zu Entzündungen führen. Der daraus entstehende Dauerschmerz führt zu Bewegungseinschränkungen mit Muskelatrophie. Drei charakteristische Merkmale der Pathophysiologie einer Arthrose: 1. Verschmälerung des Gelenkspaltes. 2. Sklerosierung (Verhärtung) des umliegenden Knochengewebes mit reaktiven Knochenwucherungen an den Gelenkrändern (sog. Osteophyten). 3. Zystenbildung im umliegenden Knochengewebe. Am häufigsten vorkommende Arthrosen: Im Hüftgelenk (Koxarthrose) Im Kniegelenk (Gonarthrose) Im Großzehengrundgelenk (Hallux rigidus) Im Schultergelenk (Omarthrose) An der Wirbelsäule Wirbelkörper (Spondylose) Kleine Wirbelgelenke (Spondylarthrose) Bandscheiben (Chondrosis intervertebralis) In den Fingergelenken (Fingerpolyarthrose); findet sich häufig bei Frauen im Klimakterium. Fingerendgelenke sind betroffen: Heberden-Arthrose (häufigste Form) mit charakteristischen Heberden-Knoten (Verdickungen an den Dorsalseiten der Fingerendgelenke). Mittelgelenke sind betroffen: Bouchard-Arthrose Daumensattelgelenke sind betroffen: Rhizarthrose Sym: beginnt mit Steifigkeit, Spannungsgefühl dann Anlaufschmerz bei Beginn der Bewegung, Belastung- und Ermüdungsschmerzen, Morgensteifigkeit (nicht länger als 30 Minuten), Endphasenschmerz später Dauerschmerz, Bewegungseinschränkung und Fehlstellung evtl. aufgetriebenes Gelenk im fortgeschrittenen Stadium knöcherne Verdickung des Gelenks (Neubildung) mit Schmerzausstrahlung in die Muskeln Kom: Fehlstellungen, Funktions- und Bewegungseinschränkung, Muskelkontrakturen, (Kontrakturen), Muskelatrophie. The: Schmerzbehandlung (akut: Kälte; chronisch: Wärme) Verbesserung der Durchblutung Physiotherapie und Massage Operationen, Hyaluron-Therapie Weichteilrheumatismus Def: Sammelbegriff für alle akuten oder chronischen Erkrankungen der gelenkbegleitenden und gelenkfernen Weichteile wie Muskeln, Bänder, Sehnen und Sehnenscheiden. Es gibt bisher keine einheitliche Beschreibung und Klassifizierung des Weichteilrheumatismus. Als rheumatische Weichteilerkrankung kann z.B. bezeichnet werden: Tendopathie, Bandläsion, Sehnenscheidenentzündung, Bursitis, Myogelosen, Fibromyalgie, Zellulitis, Karpaltunnelsyndrom. Bewegungsapparat Pathologie © Arpana Tjard Holler (Autor) 81 82 Bewegungsapparat Pathologie Fibromyalgiesyndrom Es handelt sich um eine generalisierte Tendomyopathie mit typischen Schmerzpunkten („tender points“; 11 von 18) im Bereich der Muskulatur, Sehnenansätze, Bänder und Knochen. Organisch können keine Schäden festgestellt werden. 90 % der Patienten sind Frauen, meist zwischen 30 - 60 Jahren alt. Es bestehen häufig weitere vegetative Störungen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schlafstörungen, verminderte Belastbarkeit, Spannungskopfschmerz und Migräne. Viele Patienten leiden unter Ängsten, Depressionen und Kontaktstörungen. Eine Chronifizierung der Beschwerden ist typisch. Fibromyalgie ist eine Ausschlussdiagnose! Erkrankungen der Wirbelsäule Bandscheibenvorfall (Diskusprolaps) Def: Verlagerung oder Hervortreten der Bandscheibe aus ihrer normalen Position. Urs: Multifaktoriell: Falsche Wirbelsäulenbelastung durch Bücken und schweres Heben (z.B. 90% der Krankenschwestern) Langes und falsches Sitzen (Taxifahrer, LKW und Bus) Bindegewebsschwäche und Diffusionsstörung der Bandscheibe Stress, seelische Konflikte Pat: Protrusion: Der Faserring (Anulus fibrosus) der Bandscheibe verlagert sich über die Wirbelkörperränder hinaus. Der Faserring ist teilweise angerissen, aber nicht vollständig wie beim Prolaps. Prolaps: Hervortreten des Gallertkerns (Nucleus pulposus) durch einen Riss im Faserring (am häufigsten). Meistens ereignet sich der Vorfall nach lateral auf die Nervenwurzel der Spinalnerven, ein medialer Vorfall in den Spinalkanal ist jedoch auch möglich (sog. Kaudasyndrom) Fast alle Bandscheibenvorfälle ereignen sich zwischen L4-L5 und L5-S1. In ca. 1% der Fälle auch an der HWS zwischen C5-C6 und C6-C7 (meist sind Frauen betroffen). Sym: Bandscheibenprotrusion: Lumbago (Hexenschuss) mit plötzlichen, heftigsten Schmerzen und vorübergehender Bewegungsunfähigkeit Schonhaltung, erhöhter Muskeltonus der Rückenmuskulatur (fühlbar hart) Bandscheibenprolaps (Wurzelkompressions-Syndrom): Kreuz- und Rückenschmerzen Ischiassyndrom (einseitig), mit ausstrahlenden Schmerzen entlang des Ischiasnervs am Oberschenkel und Unterschenkel bis in die Zehen (Verstärkung beim Husten). Erst Sensibilitätsstörungen am Fuß und Bein, bei Fortschreiten des Prolaps auch motorische Ausfallserscheinungen Parästhesien an der Großzehe: Prolaps bei L4/L5 Parästhesien am lateralen Fußrand bei L5/S1 Untersuchungsmethoden beim Prolaps: Schober-Zeichen Lasegue-Zeichen positiv Bewegungsapparat Pathologie 83 Bragard-Zeichen positiv (verstärkte Schmerzen bei Dorsalflexion des Fußes, während gleichzeitig das gestreckte Bein in Rückenlage passiv angehoben wird) Herabgesetzte oder fehlende Reflexe: PSR herabgesetzt bei Prolaps L4/L5 und ASR herabgesetzt bei Prolaps L5/S1 Hackenstand nicht möglich und Aufhebung Dorsalflexion der großen Zehe bei Prolaps L4/L5 Zehenstand nicht möglich und Aufhebung Plantarflexion der Zehen bei Prolaps L5/S1 Valleix-Punkte druckschmerzhaft (Schmerzpunkte entlang des N. ischiadicus an der Rückseite des Beins Kom: Medialer Bandscheibenvorfall mit Schädigung der Cauda equina (sog. Kaudasyndrom) als Notfall. akute Rückenschmerzen, beidseitig ausstrahlende Schmerzen in die Beine unwillkürlicher Harn- und Stuhlabgang Reithosenanästhesie (Taubheitsgefühl an den Innenseiten der Oberschenkel) ASR beidseits herabgesetzt bzw. fehlend Irreversible Druckschädigung der Spinalnerven (Wurzeltod) Abtrennung und Absterben des vorgefallenen Bandscheibenmaterials (Sequestration) mit möglicher Wanderung The: Medikamentöse Therapie zur Muskelrelaxation, Schmerzlinderung und Entzündungsbekämpfung Physiotherapie, Hydrotherapie, Lasten so nah wie möglich am Körper bewegen Operative Entfernung der Bandscheibe Ischias-Syndrom Def: Bezeichnung für sensible und evtl. motorische Ausfallserscheinungen entlang des Einzugsgebietes des Nervus ischiadicus, die durch unterschiedliche Reizzustände entstehen. Urs: Druck auf die Ischiaswurzel bzw. auf den Ischiasnerv durch z.B. Bandscheibenvorfall, Tumore, Abknickung der Gebärmutter nach dorsal, Schwangerschaft Degenerative Veränderungen und Erkrankungen der WS (Arthrose, M. Bechterew) Entzündungen des Ischiasnervs durch Infektionskrankheiten (Zoster), Toxine (z.B. Arsen, Alkohol) oder bei Polyneuropathie, z.B. Diabetes mellitus Nach Trauma bzw. Frakturen, unsachgemäße i.m.-Injektion Idiopathisch; häufig findet sich ein erhöhter Tonus der Rückenmuskulatur Sym: Schmerzen in der Lendengegend, klopfempfindlich In das betroffene Bein ausstrahlende Schmerzen bis in den Fußaußenrand Schmerzen fast immer einseitig (bei Polyneuropathie jedoch zweiseitig) Parästhesien im betroffenen Bein und evtl. Lähmungen Verschlechterung beim Husten, Niesen und Pressen Typische Schonhaltung Lasegue- und Schober-Zeichen positiv © Arpana Tjard Holler (Autor) 84 Bewegungsapparat Pathologie Lumbago (Hexenschuss) Def: Plötzlich auftretende, starke Schmerzen in der Lendengegend mit erheblicher Bewegungseinschränkung. Urs: Pat: Bei meist plötzlichen Bewegungen reagieren die umgebenden Muskeln reflektorisch mit einem schmerzhaften Muskelhartspann Trauma, Tumore (z.B. Rückenmarks- oder Bauchtumor) Erkrankungen und degenerative Veränderungen der WS Bandscheibenvorfall Erkältungen im Lendenbereich Spondylolisthese Def: Die Verschiebung eines Wirbels nach ventral infolge einer Spaltbildung im Wirbelbogen (Spondylolyse). Meist sind lumbale Wirbel betroffen. Urs: Angeboren Erworben im Kindesalter; v.a. durch Sportarten mit einer erhöhten Rückwärtsbiegung der WS (Delphinschwimmen, Gewichtheben, Hochsprung, Speerwerfen, Trampolinspringen, Turnen) hervorgerufen. Tritt zu 90% am 4. und 5. Lendenwirbel auf. Erworben durch Verletzungen, Knochenerkrankungen oder degenerativen Veränderungen. Sym: Entstehung ist selten schmerzhaft, oft asymptomatisch Rückenschmerzen können auftreten Kom: Einklemmungen von Spinalnerven oder Kauda equina Bildung von Skoliosen Bildung von WS-Arthrosen Erkrankungen der Muskeln Muskelkontraktur Def: Bleibende Verkürzung der Muskulatur mit Bewegungseinschränkung (Gelenkversteifung). Urs: Idiopathisch Band- und Sehnenverkürzungen Erkrankungen des Muskelgewebes Erkrankungen des Zentralnervensystems (spastische Kontraktur) Ungenügende Blutversorgung (z.B. Kompartmentsyndrom) Narbenverwachsungen Sym: Beugekontraktur: Gelenkversteifung in der Beugestellung, Patient kann keine Streckbewegung ausführen Streckkontraktur: Gelenkversteifung in der Streckstellung, Patient kann keine Beugestellung ausführen Bewegungsapparat Pathologie 85 Dupuytren-Kontraktur Def: Muskelverkürzung der Fingerbeuger (v.a. des 4. und 5. Fingers) infolge einer Verdickung und narbigen Schrumpfung der Palmaraponeurose (Sehnenfläche der Hohlhand). Urs: Idiopathisch (familiäres Auftreten) Häufiges Auftreten bei Alkoholkrankheit, Lebererkrankungen, Diabetes mellitus und hirnorganisches Anfallsleiden ohne offensichtlichen Grund. Männer im 5. Lebensjahrzehnt sind am häufigsten betroffen. Sym: Beugekontraktur des 4. und 5. Fingers, nicht selten beidseitig Tastbarer, teils sichtbarer Bindgewebsstrang, häufig mit der darüber liegenden Haut verwachsen Schmerzlos, in Schüben auftretend © Arpana Tjard Holler (Autor) 86 D. Blut-Lymphe Anatomie Blut-Lymphe Anatomie/Pathologie Blut-Lymphe Anatomie Allgemeines ............................................................................................................................................. 88 Aufgaben des Blutes ................................................................................................................................ 88 Blutbildung (Hämatopoese) .................................................................................................................... 88 Zusammensetzung des Blutes ................................................................................................................. 88 Blutgruppen ............................................................................................................................................. 98 Untersuchungsmethoden des Blutes .................................................................................................... 100 Das Lymphsystem .................................................................................................................................. 103 Die Milz (Splen, Lien) ........................................................................................................................... 104 Lymphatischer Rachenring (Waldeyer-Rachenring) ........................................................................... 105 Thymus .................................................................................................................................................. 105 Blut-Lymphe Anatomie 87 Blut und lymphatisches System Zusammensetzung des Blutes 45% Blutzellen ca. 30 Bio. 55 % Blutplasma 90% Wasser Erythrozyten ca. 5 Mio. /µl Leukozyten ca. 4.000-10.000/µl Thrombozyten ca. 150.000-400.000/µl O2-Aufnahme Transport Abwehr Blutstillung Blutgerinnung Granulozyten ca. 70% Lymphozyten ca.25% Monozyten ca. 5% unspezifische Abwehr spezifische Abwehr B-Lymphozyten B-Gedächtniszellen Plasmazellen neutrophile Granulozyten Phagozytose stabkernige Neutrophile („jugendlich“) © Arpana Tjard Holler (Autor) unspezifische und spezifische Abwehr T-Lymphozyten T-Gedächtniszellen T-Helferzellen T-Unterdrückerzellen T-Killerzellen eosinophile Granulozyten Allergien, Würmer Antigen-Antikörper-Komplexe segmentkernige Neutrophile („erwachsen“) basophile Granulozyten Histamin, Heparin 88 Blut. Blut. Allgemeines Blut ist ein flüssiges Körpergewebe, ein Transportmedium. Die normale Blutmenge beträgt 7 - 8% des Körpergewichts, d.h. ca. 4-6 Liter Blut. Hypervolämie bezeichnet eine Zunahme des Blutvolumens. Physiologisch kommt dies bei Menschen im Hochgebirge und bei Schwangeren vor, pathologisch z.B. infolge einer chronischen Niereninsuffizienz oder bei Hormonerkrankungen (z.B. Conn-Syndrom). Hypovolämie bezeichnet eine Abnahme des Blutvolumens bei akuten inneren Blutungen sehr starkem Schwitzen Durchfall und Erbrechen (z.B. Cholera) großen Hautverbrennungen Bei Blutverlusten ab 30% kommt es zum hypovolämischen Schock. Blutverluste von 50% sind ohne Behandlung stets tödlich. Aufgaben des Blutes Transportfunktion (z.B. Sauerstoff, Kohlendioxid, Nährstoffe, Hormone, Enzyme) Abwehrfunktion Blutgerinnung und Blutstillung Säure-Basen-Haushalt (Bikarbonat-Puffer-System) Aufrechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks Regulierung der Körpertemperatur (durch Erweiterung und Verengung von Gefäßen) Blutbildung (Hämatopoese) Die Blutbildung erfolgt im roten Knochenmark in den Epiphysen der langen Röhrenknochen und in den flachen Knochen (z.B. Sternum, Skapula und Hüftknochen). Die Blutbildung geht von der pluripotenten (= alleskönnenden) Stammzellen im roten Knochenmark aus, welche Rezeptoren für das Hormon Erythropoetin besitzt. Zusammensetzung des Blutes Blut besteht aus Blutplasma (Blutflüssigkeit) und aus Blutzellen. Den prozentualen Anteil der zellulären Bestandteile am Gesamtblutvolumen gibt der Hämatokritwert = Hk-Wert an. Werte: Frau 37-48%, Mann 40-52%. Werte ab 55% gelten als pathologisch. Blutplasma Blutplasma ist der extrazelluläre Anteil des Blutes, eine klare gelbe Flüssigkeit. Zusammensetzung: 90% Wasser. Bluteiweiße (Albumine, Globuline) Nährstoffe (Glukose, Aminosäuren, Fettsäuren), Vitamine Mineralien (z.B. Na, K, Ca, Mg, Cl), Spurenelemente Hormone Abbauprodukte (z.B. die harnpflichtigen Stoffe) Blutplasma ohne Fibrinogen nennt sich Blutserum Blut. 89 Bluteiweiße (Plasmaproteine) Mit Hilfe der Elektrophorese kann man verschiedene Proteinarten unterscheiden. Albumine: Sie sind die kleineren Eiweißpartikel im Plasma. Transportfunktion, z.B. für Bilirubin, Fettsäuren u.a. Erzeugung des kolloidosmotischen Druckes (die Kraft, mit der die Albumine Wasser an sich binden). Globuline: Unterschieden werden alpha-1- und alpha-2-Globulin, beta- und Gammaglobuline. Trägerfunktion, z.B. für Hormone, Enzyme, Eisen u.a. Gammaglobuline haben Abwehrfunktion (Antikörper) Gerinnungsfaktoren Prothrombin und Fibrinogen . Blutplasma ohne Fibrinogen nennt sich Blutserum pH-Wert des Blutplasmas Der pH-Wert muss zwischen 7,36 - 7,44 liegen! Die genaue Einhaltung dieses relativ schmalen Bereiches ist wesentlich, insbesondere für enzymatische Reaktionen. Der pH-Wert ist die Wasserstoffionenkonzentration in einer Lösung. Vermehren sich die H-Ionen, wird die Lösung sauer und der pH-Wert sinkt nach unten. Vermindern sich die H-Ionen, wird Lösung basisch und der pH-Wert steigt nach oben. Im Blut wird das Säure-Basen-Gleichgewicht durch das Bikarbonat-Puffer-System (Atmung) und durch die Ausscheidungsfunktion der Niere aufrechterhalten. Ist der pH-Wert 7,36: Azidose Ist der pH-Wert 7,44: Alkalose Blutzellen (Blutkörperchen) Die Blutkörperchen werden beim Erwachsenen im roten Knochenmark durch dort ansässige Stammzellen gebildet (Hämatopoese). Unterscheidung: Erythrozyten: Sind für den Sauerstofftransport verantwortlich. Thrombozyten: Sind für die Blutstillung und Blutgerinnung verantwortlich. Leukozyten: Sind für die Abwehr zuständig. Die Hämatopoese findet statt in: flachen Knochen (Beckenknochen, Sternum, Schädelknochen) Epiphysen der langen Röhrenknochen Die Blutbildung außerhalb des Knochenmarks erfolgt physiologisch beim ungeborenen Kind in Leber und Milz. Beim Erwachsenen ist dies möglich, wenn bestimmte Blutkrankheiten (z.B. bei Leukämie, Lymphogranulomatose, Plasmozytom) das blutbildende Knochenmark schädigen (extramedulläre Blutbildung). Erythrozyten (rote Blutkörperchen) Anzahl beim Mann: 5 - 6,2 Mio./µl (mm3) Anzahl bei der Frau: 4,2 - 5,7 Mio./µl Form: Erythrozyten sind bikonkave Scheiben ohne Zellkern. Diese Form ist wesentlich für eine gute Verformbarkeit z.B. in den Kapillaren. Durchmesser 8 m, Dicke am Rand 2m, zentrale Dicke ca. 1 m Aufbau: Im Inneren der Erythrozyten befindet sich der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin). © Arpana Tjard Holler (Autor) 90 Blut. Blut. 91 Das Hämoglobinmolekül setzt sich zusammen aus Globin (Eiweiß) und Häm (Porphyrin + Eisen), der den eigentlichen Blutfarbstoff darstellt. An jedem Eisenmolekül kann sich ein Sauerstoffmolekül anlagern. Hämoglobin (Hb) hat die Aufgabe Sauerstoff (25% Kohlendioxid) zu transportieren Embryonaler Farbstoff bindet O2 stärker als der des Erwachsenen Hb-Wert gesamt 12 - 16 g /100ml HbE (MCH): 28 - 32 pg (Picogramm) = Hb-Wert eines einzelnen Ery`s Die Sauerstoffsättigung im arteriellen Blut beträgt 95-99%, im venösen Blut 70-80%. Erythropoese (Bildung der Erythrozyten) Für die Erythropoese wird Eisen, Vitamin B12 (Cobalamin) und Folsäure benötigt. Die Quantität der Erythropoese ist sehr hoch (höchste Mitoserate im Körper), ca. 160 Millionen Erythrozyten pro Minute. Aus den Stammzellen im roten Knochenmark findet eine Zellentwicklungsreihe von kernhaltigen zu kernlosen Zellen, den Erythrozyten statt (diese sind also nicht mehr teilungsfähig). Hämozytoblast – Proerythroblast – Erythroblast – Normoblast (stößt den Kern ab und geht ins Blut über) – Retikulozyt – Erythrozyt Retikulozyten sind junge Erythrozyten im Blut mit netzartigen Strukturen im Zellleib (Retikulum = Netz), die nach 1-2 Tagen abgestoßen werden. Ein Anstieg der Retikulozytenzahl ist typisch bei hämolytischen Anämien (nicht bei chronischer Eisenmangelanämie). Hormonelle Steuerung der Erythropoese: Die Erythropoese wird gesteuert durch das Hormon Erythropoetin, welches in der Niere gebildet wird. Dort befinden sich Zellen, die den O2-Gehalt des Blutes messen. Wenn der Sauerstoffgehalt des Blutes in der Niere absinkt kommt es zu folgender Reaktion: vermehrte Produktion und Ausschüttung von Erythropoetin gesteigerte Bildung der Erythrozyten im Knochenmark. Sauerstoffgehalt des Blutes in der Niere steigt an. Folge: verminderte Produktion und Ausschüttung von Erythropoetin gedrosselte Erythropoese im Knochenmark. Hämolyse (Abbau der Erythrozyten): Erythrozyten werden bis 120 Tage alt. Sie werden abgebaut vom Monozyten-Makrophagen-System in Milz, Leber, Knochenmark. Bei der Hämolyse (siehe Schaubild) wird das freigewordene Globin in der Leber neu verwertet das aus dem Häm freigewordene Porphyrin zu Bilirubin (Abbauprodukt der Hämolyse) umgebaut das freigewordene Eisen in der Leber und Milz gespeichert. © Arpana Tjard Holler (Autor) 92 Blut. Hämoglobin Häm Biliverdin Globin (Eiweißanteil), wird in der Leber neu verwertet. Eisen (Fe) wird gespeichert in Leber, Milz und Knochenmark. Bilirubin (wasserunlöslich), wird im Blutplasma mit Albuminen gekoppelt und zur Leber gebracht. Thrombozyten (Blutplättchen) Anzahl: 150.000 - 400.000 /µl Form: Sie sind kernlose Scheibchen, die aus Abschnürungen des Zytoplasmas der Knochenmarkriesenzellen entstehen. Die Größe beträgt ca. 2-3 m, Dicke ca. 0,5 m. Lebensdauer: 8 - 14 Tage. 1/3 der Thrombozyten sind in der Milz gespeichert und können durch Stresshormone mobilisiert werden. Werden in der Milz abgebaut. Aufbau: In den Thrombozyten befinden sich im Wesentlichen sog. Plättchenfaktoren. Die Thrombozyten spielen eine Rolle bei der Blutstillung und leiten die Blutgerinnung im endogenen System ein. Blutungsstillung (primäre Hämostase) Die Blutu Hautverletzung Vasokonstriktion Histamin Vasodilatation Thrombozyten Blutstillung Blutgerinnung Bei Verletzung eines Gefäßes entsteht in den ersten Sekunden reflektorisch eine Vasokonstriktion (Gefäßverengung), es blutet nicht. Nach kurzer Zeit erfolgt durch Histaminausschüttung eine Vasodilatation (Gefäßerweiterung), es blutet heftig. Jetzt erfolgt die Blutstillung durch Anheften von Thrombozyten an den Gefäßdefekt. Mit Hilfe verschiedener Substanzen wird ein provisorischer Thrombus gebildet, welcher die Wunde vorläufig mechanisch verschließt und jetzt noch gerinnen muss. Die Blutungszeit beträgt ca. 1 - 3 Minuten. Einfacher Test zur Bestimmung der Blutungszeit: Mit einer Lanzette eine Blutung am Finger provozieren und dann den blutenden Finger in ein Glaswasser halten und die Blutung mit einer Stoppuhr messen. Blut. 93 Blutgerinnung (sekundäre Hämostase) Prothrombin wird zu Thrombin aktiviert Fibrinogen wird zu Fibrin Gerinnungseiweiße Prothrombin und Fibrinogen sind Bluteiweiße, die in der Leber hergestellt werden und als inaktive Blutgerinnungsfaktoren im Blutplasma vorhanden sind. Fibrin ist ein kontraktiles Bluteiweiß, dass die Wunde verschließt und schließlich fest wird. Die Gerinnungszeit beträgt normal 5 - 7 min. Phasen der Blutgerinnung Aktivierungsphase: Umwandlung von Prothrombin in Thrombin. Koagulationsphase: Thrombin führt das unwirksame Fibrinogen in das Fibrin über. Retraktionsphase: Das lösliche Fibrin zieht sich zusammen und wird zum festem, unlöslichem Fibrin (Blutkuchen, Schorf). Unterscheidung in endogenes und exogenes Blutgerinnungssystem. Blutthrombokinase: Bestimmte Faktoren im Blut reagieren auf eine “blutfremde “ Oberfläche und setzen die endogene Gerinnungskette in Gang. Gewebsthrombokinase: Verletztes Gewebe setzt Faktoren frei (Thromboplastin), die die exogene Gerinnungsabfolge in Gang setzten. Blutgerinnungshemmende Stoffe: Heparin hemmt die Wirkung von Thrombokinase (Prothrombin in Thrombin), die Wirkung von Thrombin auf Fibrinogen und die Thrombozyten-Verklumpung. kommt in basophilen Granulozyten und in Mastzellen vor. wird therapeutisch bei akuten Erkrankungen eingesetzt, da es rasch wirkt (hält aber nur wenige Stunden an). Cumarinderivate (z.B. Marcumar) sind Vitamin K-Antagonisten, welche die Bildung von Vitamin K abhängigen Blutgerinnungsfaktoren in der Leber hemmen, Wirkungszeit erst nach 36-48 Stunden, hält aber länger an als Heparin. Acetylsalicylsäure (ASS) hemmt die Zusammenballung der Thrombozyten wird v.a. als Vorbeugung zur Thrombosebildung verwendet. Kinder unter 6 Jahren dürfen nicht mit ASS behandelt werden. Natriumzitrat bindet Ca-Ionen und wird als Zusatzmittel bei der Blutentnahme zur Verhinderung der Gerinnung eingesetzt. © Arpana Tjard Holler (Autor) 94 Blut. Blut. 95 Fibrinolyse Im Gefäßsystem werden ständig bestimmte Mengen von Fibrinogen in Fibrin überführt. Diese Fibringerinnsel werden im Gleichgewicht zu der Gerinnung durch die Fibrinolyse neutralisiert. Verschiedene Enzyme (Streptokinase, Urokinase u.a.) führen die Vorstufe Plasminogen zum Wirkstoff Plasmin. Dieser Stoff hat die Fähigkeit Fibrin (Thrombus) aufzulösen. Der Prozess der Fibrinolyse läuft im Gleichgewicht zur Gerinnung ab. Leukozyten (weiße Blutkörperchen) Anzahl: 4.000 - 10.000 / µl Aufgabe Vernichtung von kranken und überalterten körpereigenen Zellen. Bekämpfung von Fremdkörpern. Bildung des Immunsystems. Fähigkeiten Sind in der Lage, die Kapillargefäße zu verlassen (Diapedese). Bewegen sich amöbenähnlich. Werden von chemischen Reizen angelockt (Chemotaxis). Leisten Phagozytose („fressen auf“), unspezifische Abwehr. Bilden Antikörper, spezifische Abwehr. Aufteilung Granulozyten Monozyten Lymphozyten ca. ca. ca. 70% (60-70) 5% (2-6) 25% (20-30) Granulozyten („Soldaten“) Aufgabe: Träger der unspezifischen zellulären Abwehr Lebensdauer: 2-3 Tage Größe: 10 - 15 m Unterteilung in neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten. Neutrophile Granulozyten (ca. 66%) Aufgabe ist die Phagozytose (das Unschädlichmachen von Fremdstoffen). Lassen sich nur durch neutrale Farbstoffe anfärben. Haben im Zytoplasma kleine Granula (Körnchen), die Lysozyme enthalten. Dadurch sind sie in der Lage Fremdstoffe, aber auch körpereigene Zellen oder Tumorzellen aufzulösen. Sind die ersten Abwehrzellen am Entzündungsort. Stabkernige neutrophile Granulozyten (3-6%) sind jugendliche Granulozyten, Zellkern nur schwach eingeschnürt. Übermäßiges Auftreten von „Stabkernigen“ ist zu finden bei akuten Entzündungen. Man bezeichnet dies als Leukozytose mit Linksverschiebung. Segmentkernige neutrophile Granulozyten sind reife “erwachsene“ Granulozyten, Zellkern ist meist stark gelappt . © Arpana Tjard Holler (Autor) 96 Blut. Eosinophile Granulozyten (ca. 0-6 %) Ihre Aufgabe ist Phagozytose von Antigen-AntikörperKomplexen und Eiweißen. Sind v.a. in der letzten Phase des Abwehrgeschehens aktiv. Eosinophilie (Erhöhung der eosinophilen Granulozyten) bei Allergien, Würmern und anderen Parasiten. Lassen sich rot anfärben, anfärbbar auf saure Farbstoffe. Basophile Granulozyten (ca. 1%) Wirken entzündungsfördernd. Ihre Granula enthält Histamin (bewirkt Entzündungszeichen durch Weitstellung kleiner Gefäße), Heparin (hemmt die Blutgerinnung) und andere Mediatoren (Serotonin, Proteasen u.a.) Sind nicht fähig zur Phagozytose. Im Gewebe lokalisierte Zellen mit Produktion von Histamin nennen sich Mastzellen. Sie werden durch IgE-Antikörper aktiviert. Mastzellen kommen überall vor, nur nicht im Gehirn. Lassen sich blau anfärben, anfärbbar auf basische Farbstoffe. Monozyten („Polizei, Werkschutz“) Größe: 10 - 20 m Lebensdauer: mehrere Jahre Aufgabe Phagozytose (unspezifische Abwehr) Präsentieren die Antigenstruktur phagozytierter Fremdstoffe (Antigenpräsentation) an ihrer eigenen Zelloberfläche den B- und T – Lymphozyten zur Anregung der Antikörperbildung (spezifische Abwehr). Makrophagen Monozyten zirkulieren nur 1 - 2 Tage im Blut und wandern dann für immer aus. Dann werden sie als Makrophagen bezeichnet und besitzen teilweise spezifische Namen in den verschiedenen Geweben. In der Leber: Kupfer’sche Sternzellen. Im Knochen: Osteoklasten. In den Alveolen: Alveolarmakrophagen. Im Bindegewebe: Histiozyten. Lymphozyten („Kommissare, Ermittler“) Aufgabe: Träger der spezifischen zellulären und humoralen Abwehr. Größe: 7 - 12 m Lebensdauer: verschieden, 7 Tage bis Jahre. Unterscheidung T-Lymphozyten B-Lymphozyten Bildung: Nur die erste Generation wird im roten Knochenmark von den Stammzellen gebildet, jede weitere durch mitotische (nicht-geschlechtliche) Zellteilung in den lymphatischen Organen. Prägung: Ihre spezifische Schulung erhalten die T-Lymphozyten bis zum Ende der Pubertät im Thymus, die B-Lymphozyten wahrscheinlich im Knochenmark. Produktion von bestimmten Botenstoffe (Zytokine) zur Kommunikation untereinander: z.B. Interferon, Interleukine, Lymphokine. Blut. 97 T – Lymphozyten sind Träger der spezifischen zellulären Abwehr. Im Thymus lernen sie bestimmte Antigene aufzuspüren und zu analysieren. Dadurch sensibilisieren sie sich jeweils auf eine bestimmte Antigenart, die sie dann in der Folge bekämpfen können. An ihrer Oberfläche besitzen sie spezifische Rezeptoren, die bestimmte Antigene erkennen und binden können. Während des Abwehrgeschehens setzen die T-Zellen Lymphokine frei, die auf andere Abwehrzellen fördernd einwirken und Entzündungsreaktionen auslösen. Es entwickeln sich T-Helfer-Zellen, die mit Makrophagen kommunizieren und B-Lymphozyten aktivieren, spezifische Antikörper zu produzieren und ins Plasma abzugeben. T-Zell-Gedächtnis: Antigenspezifizierte T-Lymphozyten unterhalten einen geringen Pool von Antikörpern, um das immunologische Gedächtnis aufrecht zu erhalten, und bei einem erneuten Angriff (Sekundärantwort) mit den gleichen Antigen mit einer massenhaften Produktion von spezifischen Antikörpern zu reagieren (Immunität). T-Suppressor-Zellen, die nach der Abwehrreaktion die Immunantwort bremsen und unterdrücken. T-Killerzellen, die das Antigen direkt angreifen können und spezialisiert sind auf virusinfizierte Zellen und Tumorzellen (Krebsabwehr). B – Lymphozyten sind Träger der spezifischen humoralen Abwehr. Ihre Prägung geschieht im Knochenmark. Nach Kontakt mit dem Antigen oder den T-Helfer-Zellen entwickeln die BLymphozyten den für das Antigen spezifischen Antikörper. Nach Fertigstellung des spezifischen Antikörpers entwickeln sich die BLymphozyten zu Plasmazellen, welche die spezifischen Antikörper massenhaft produzieren und in das Blutplasma abgeben. Dort binden sie die entsprechenden Antigene nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip und werden als Antigen - Antikörper -Komplex von Makrophagen “beseitigt“. B-Zell-Gedächtnis: Die B-Lymphozyten können auf einen erneuten Angriff sofort mit einer gezielten Antikörperproduktion (Sekundärantwort) reagieren (Immunität). Immunglobuline (Antikörper) Immunglobuline sind Bluteiweiße (Gamma-Globuline), die von B-Lymphozyten entwickelt und von Plasmazellen produziert werden und spezifisch eine molekulare Bindung mit dem entsprechenden Antigen eingehen. Dabei entsteht ein Immunkomplex (AK-AG), welcher vom Monozyten-Makrophagen-System vernichtet wird. Antikörper wirken dabei als Opsonine, sie „steigern den Appetit“ der Phagozyten. Unterscheidung der Immunglobuline: IgM (Immunglobuline der Klasse M) („erstes Mal“, „im Moment“) Tritt immer bei einer Erstinfektion auf. Die Konzentration sinkt aber dann schnell wieder, während IgG noch weitergebildet wird. Ein erhöhter IgM- Spiegel zeigt eine Frischinfektion an. Größter Antikörper, der 10 Antigenbindungsstellen aufweist und nicht plazentagängig ist. IgE (Immunglobuline der Klasse E) Erhöht bei der Abwehr von Parasiten. Heften sich an die Oberfläche von Mastzellen oder basophilen Granulozyten. Anzeiger für allergische Reaktionen (Allergie vom Soforttyp). Nicht plazentagängig. © Arpana Tjard Holler (Autor) 98 Blut. IgG (Immunglobuline der Klasse G) („gekannt“, „gewesen“) Macht 80% der Immunglobuline aus. Träger der erworbenen Immunabwehr (memory cells). Bei der Zweitinfektion wird fast ausschließlich IgG gebildet. Zeigt deshalb eine durchgemachte Infektion an. Ist in der Muttermilch zu finden und plazentagängig (kleinster Antikörper). IgA (Immunglobuline der Klasse A) Ist spezialisiert auf Abwehrvorgänge an den Schleimhäuten. Besteht aus zwei zusammengesetzten Antikörpern, die die Schleimhautbarriere nicht passieren können. In der Muttermilch enthalten. Nicht plazentagängig. IgD (Immunglobuline der Klasse D): Noch nicht geklärt. Merkspruch für die Immunglobuline: MEGA-D Zusammenfassung der Abwehrsysteme des Körpers Abwehrsystem Zellulär Humoral (in den Körperflüssigkeiten befindlich) Unspezifisch Angeboren, kein Gedächtnis Granulozyten Makrophagen Natürliche Killerzellen Komplementsystem Lysozyme Spezifisch Erworben, Gedächtnis T-Lymphozyten B-Lymphozyten bzw. Antikörper Zytokine Immunität: Der Organismus ist durch vorausgegangene Sensibilisierung in der Lage, ein Antigen unschädlich zu machen, ohne dass eine entzündliche Reaktion im Körper abläuft. Verantwortlich dafür sind die B- und T-Gedächtniszellen, die eine teilweise oder sogar lebenslange Immunität garantieren. Immunisierung: Stellt die Herbeiführung einer Immunität durch das Impfen dar. Aktive Impfung (Schutzimpfung) ist eine vorbeugende Maßnahme und bedeutet, dass das entsprechende Antigen in unschädlichen Mengen oder in abgetöteter bzw. abgeschwächter (attenuierte Erreger) Form zugeführt wird. Der Körper bildet dann die spezifischen Antikörper ohne dabei zu erkranken und gelangt so zur Immunität. Bei der passiven Impfung (Heilimpfung) werden bestimmte Antikörper von einem aktiv immunisierten Menschen injiziert (Serum). Das gibt einen sofortigen Schutz gegen die jeweilige Erkrankung (z.B. Tollwut, Tetanus, Hepatitis A und B), hält aber nicht lange vor (Therapieimpfung). Inkubationsimpfung ist eine aktive Impfung noch nach einer (vermuteten) Infektion, meist innerhalb von 3 Tagen (72 Stunden) Von der STIKO (Ständige Impfkommission des Robert Koch-Instituts) empfohlene Impfungen: Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten), Tetanus, Haemophilus influenzae Typ B (HiB), Hepatitis B, humane Papillomviren, Poliomyelitis, Pneumokokken, Meningokokken, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen (Windpocken) und für Senioren gegen Influenza und Pneumokokken. Blutgruppen Es sind mehr als 300 Blutgruppensysteme bekannt. Von Bedeutung sind jedoch vor allem das ABNull-System und das Rhesus-System. Blut. 99 Das ABNull-System Die Erythrozyten haben genetisch vererbte Strukturen auf ihrer Zelloberfläche (sog. molekularer Daumenabdruck), die Glykoproteine und Glykolipide (Agglutinogene). Sie bestimmen die Blutgruppe A, B oder AB. Sind keine Glykoproteine des AB0-Systems auf der Zellmembran zu finden, liegt die Blutgruppe Null vor. Jeder menschliche Körper hat neben der spezifischen Blutgruppe von der Geburt an vorhandene körpereigene Antikörper, die sich an Erythrozyten einer körperfremden Blutgruppe des AB0-Systems haften und dadurch als körperfremde Antigene bekämpft werden. Blutgruppe A (44%) B (10%) AB (4%) O (42%) Antigeneigenschaft A B A und B Keine Antikörper im Serum Anti-B Anti-A Keine Anti-A und Anti-B Blutgruppe 0 ist der ideale Spender, da seine Erythrozyten keine Antigeneigenschaften aufweisen. Blutgruppe AB ist der ideale Empfänger, da sein Serum keine Antikörper des ABO-Systems enthält (das gilt nur für gewaschene serumfreie Erythrozytenkonzentrate). Bei der Transfusion nicht kompatiblen Blutes kommt es zum Transfusionszwischenfall, die Erythrozyten werden agglutiniert (zusammengeballt) und hämolysiert (aufgelöst). Rhesus-System Bei der Blutgruppe des Rhesus-Systems existiert ein spezifisches Antigen auf der Erythrozytenmembran. Es gibt aber nur zwei Möglichkeiten: Der Erythrozyt besitzt Rhesusantigene = Rhesus-positiv (85%). Der Erythrozyt besitzt keine Rhesusantigene = Rhesus-negativ (15%). Die Rhesus-Antikörper im Serum bestehen im Gegensatz zum ABO-System nicht von Geburt an, sondern werden nach Erstkontakt gebildet. Wenn eine Rhesus-negative Person mit Rhesus-positiven Erythrozyten in Kontakt kommt, passiert beim ersten Mal nichts, erst beim zweiten Kontakt kommt es zu einer Reaktion bzw. Agglutination (Verklumpung): Morbus haemolyticus fetalis Voraussetzung: Die Mutter ist Rh-negativ, der Vater Rh-positiv und das Kind wird auch Rh-positiv. Bei der Geburt des ersten Kindes kommt die Mutter in Kontakt mit Rh-positivem Blut des Kindes und bildet Rh-Antikörper, es passiert jedoch nichts. Falls das zweite Kind wieder Rh-positiv ist, kommt es zu einer immunhämolytischen Anämie des Ungeborenen, weil die Rh-Antikörper der Mutter die Plazenta passieren und die Erythrozyten des Kindes hämolysieren. © Arpana Tjard Holler (Autor) 100 Blut. Untersuchungsmethoden des Blutes Kleines Blutbild Das kleine Blutbild umfasst die Werte von: Erythrozyten ♂: 4,5 – 6,2 Millionen / mm3 (µl = Mikroliter) Erythrozyten ♀: 4,2 – 5,7 Millionen / mm3 Retikulozyten: 1-2 % vom Erythrozyten-Wert Thrombozyten: 150.000 - 400.000 / mm3 Leukozyten: 4.000 - 10.000 / mm3 Hämoglobin (Hb) ♂: 14 – 18 g/dl (14,0 – 17,5 g/dl) Hämoglobin (Hb) ♀: 12 – 16 g/dl (12,3 – 15,3 g/dl) Hämatokrit (HK) ♂: 40 – 50 % des Gesamtblutvolumens Hämatokrit (HK) ♀ 36 – 46 % MCV: 82-92 fl (Femtoliter) MCH: 28-32 pg (Picogramm) Großes Blutbild (Differentialblutbild) Das große Blutbild beinhaltet das kleine Blutbild mit und gibt Auskunft darüber, in welchem Zahlenverhältnis die einzelnen Leukozytenarten zueinanderstehen. Lymphozyten ca. 25 – 40 % Monozyten ca. 2 - 6 % stabkernige neutrophile Granulozyten ca. 3 - 6 % segmentkernige neutrophile Gran. ca. 60 - 70 % eosinophile Granulozyten ca. 2 - 5 % basophile Granulozyten ca. 1 % Im Rahmen eines Entzündungsgeschehens kann es im Differentialblutbild zu typischen Veränderungen der Leukozytenarten kommen: Neutrophile Kampfphase (Leukozytose mit Linksverschiebung) Monozytäre Überwindungsphase (Vermehrung der Monozyten auf dem Höhepunkt der Erkrankung) Lymphozytäre Heilphase (Erhöhung der Lymphozyten mit allmählichem Rückgang der absoluten Leukozytenzahlen) Eosinophile Heilphase (sog. „Morgenröte der Genesung" mit Erhöhung der eosinophilen Granulozyten) Eisenwerte Um eine Aussagekraft über die Eisenwerte im Blut zu erhalten müssen drei Parameter untersucht werden: Ferritin (Speichereisen); wird in Dünndarmschleimhaut, Leber, Milz und Knochenmark gespeichert. Werte ♀: 10-200 ng/ml, Werte ♂: 30-300 ng/ml Transferrin (Transporteisen): Die Transferrinsättigung beträgt 15-40%. Werte: 200-360 mg Serumeisen (labile Eisenpool): Das Eisen, welches sich an Transferrin bindet. Tagesbedarf bei Männern: 10 mg, bei Frauen: 12 mg, bei Schwangeren: 20-30 mg, bei Stillenden: 15-10 mg, bei Frauen während der Periode: 15 mg Blut. 101 Die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG oder BKS) Die in einer speziellen Vorrichtung, dem "Westergren Röhrchen", messbare Senkung der Erythrozyten in ungerinnbar gemachtem Blut. Dabei führt ein Mehr an Immunglobulinen im Plasma zu Verklebung von Erythrozyten, die so schwerer werden und im Westergren Röhrchen schneller absinken: Die BSG ist erhöht. Zu einem Mehr an Immunglobulinen kommt es bei verstärkter Abwehrleistung, also bei allen Entzündungen. Eine BSG-Erhöhung ist ein unspezifischer Hinweis auf entzündliche Prozesse und Abwehrgeschehen im Körper. Weitere mögliche Ursachen eine BSG-Erhöhung außer Entzündungen Anämie Schwangerschaft Kontrazeptiva Hyperlipidämie Saunabesuch Malignome Stark erhöhte BSG (Sturzsenkung, über 100 mm) bei Metastasenbildung Morbus Hodgkin Plasmozytom Rheumatisches Fieber, akuter Schub bei Polyarthritis Fulminante Entzündungen Nephrotisches Syndrom (Verhältnis Albumine – Globuline ist verändert) Verlangsamte BSG bei Alle Erkrankungen, die mit einer Polyglobulie einhergehen Polyzythämie Allergien Exsikkose (Dehydration) Medikamente, sog. Senkungsblocker wie ASS, Kortison, Schmerzmittel Normalwerte (nach Westergren), abgelesen wird nach 1 Stunde Männer unter 50 Jahre bis 15 mm Männer über 50 Jahre bis 20 mm Frauen unter 50 Jahre bis 20 mm Frauen über 50 Jahre bis 30 mm Mit zunehmendem Lebensalter steigt die BSG an. Durchführung einer BSG: Abgenommenes Blut wird in ein spezielles Röhren mit Natriumzitratlösung gebracht. Dann vorsichtiges Mischen und Abgabe in einen BSG-Ständer, an welchem man nach einer Stunde die mm ablesen kann, wie weit die Erythrozyten sich nach unten abgesetzt haben. CRP (C-reaktives Protein) Wird genauso wie die BSG als unspezifischer Suchparameter für Entzündungen im Körper benutzt. Vorteil gegenüber BSG: Reaktionszeit schneller als BSG Wesentlich unempfindlicher als BSG. Wird in Arztpraxen und Krankenhäuser benutzt. © Arpana Tjard Holler (Autor) 102 Blut. Normalisiert sich im Krankheitsverlauf früher als die BSG. Nachteil gegenüber BSG: Aufwendiger und teurer als BSG Ein normaler CRP-Wert schließt eine bakterielle Entzündung innerhalb des Körpers aus. CRP-Wert steigt nicht bei einer viralen Infektion an. Normalwert: bis 0,8. Für Heilpraktiker gilt nach wie vor: Wissen und Durchführung der BSG muss beherrscht werden. Verschiedene Gerinnungstests Blutungszeit 2-3 Min. testet die primäre Hämostase Gerinnungszeit 5-7 Min. testet die sekundäre Hämostase Thromboplastinzeit = TPZ (Quick-Test) Zum Nachweis von Störungen im exogenen Gerinnungssystem Testet bestimmte Blutgerinnungsfaktoren Guter Parameter zur Therapiekontrolle unter Marcumar, bei Leberzirrhose, Vitamin-K-Mangel, Malabsorption (Resorptionsstörung im Dünndarm) Angegeben wird in % des optimalen Wertes. Normalwert:70-120% Werte unter 70% ohne Zusatz von gerinnungshemmenden Stoffen sind pathologisch Einstellungswerte bei Cumarin-Therapie ca. 15-25% INR: (engl.: International Normalized Ratio): INR-Werte dienen wie der Quickwert als Aussage über die Gerinnungsfunktion im Körper. INR-Werte haben im Gegensatz zum Quickwert keine labortechnischen Schwankungen. Norm: 0,8 Einstellungswerte bei Cumarin-Therapie: 2,5 (Quickwert ca. 30%) bis 4,5 (Quickwert 18%) INR-Wert von vier bedeutet, die Probe gerinnt viermal langsamer als eine normale Probe Partielle Thromboplastinzeit = PTT: Zum Nachweis von Störungen im endogenen Blutgerinnungssystem Labortest zur Differenzierung von Anämien MCH = mittleres korpuskuläres Hämoglobin, der durchschnittliche Hämoglobinwert eines einzelnen Erythrozyten in pg (Picogramm = 10-12). Wird auch als HbE bezeichnet. 28 - 32 pg: normochrome Erythrozyten 28 pg: MCH hypochrome Anämie 32 pg MCH hyperchrome Anämie MCV = mittleres korpuskuläres Volumen, das durchschnittliche Volumen eines einzelnen Erythrozyten in fl (Femtoliter = 10-15). 82 - 92 fl: normozytäre Erythrozyten 82 fl: MCV mikrozytäre Anämie 92 fl MCV makrozytäre Anämie DAS LYMPHATISCHE SYSTEM 103 DAS LYMPHATISCHE SYSTEM Das Lymphsystem Aus allen Kapillaren des Körpers werden pro Tag rund 20 l Flüssigkeit in den Zwischenzellraum (Interstitium) ab gefiltert. Davon kehren 18 Liter zurück in die venösen Kapillaren und ca. 2 Liter werden als Lymphe dem Lymphsystem zugeführt. Zum lymphatischen System werden gezählt: Das Lymphsystem mit den Lymphknoten und Lymphgefäßen Milz Tonsillen im Mundbereich (lymphatischer Rachenring) Lymphatisches Gewebe im Darm Peyer-Plaques im Krummdarm (Ileum) Wurmfortsatz des Blinddarms (Appendix vermiformis) Große Bauchfellschürze (Omentum majus) Thymus Aufgaben Ist die Bildungsstätte des spezifischen Abwehrsystems. Hier werden die Lymphozyten gebildet. Filtration von Gewebsflüssigkeit (Lymphe). Abtransport von Nahrungsfetten aus dem Darm ins venöse Blut. Zusammensetzung der Lymphe Die Lymphe setzt sich aus der Flüssigkeit in dem Zwischenzellraum zusammen. Im Vergleich zum Blut: größerer Wassergehalt weniger Eiweißstoffe (keine Albumine) keine Thrombozyten und Erythrozyten, aber reichlich Lymphozyten Die Darmlymphgefäße enthalten, besonders bei fettreicher Mahlzeit, eine milchig-trübe Flüssigkeit (Chylus), die durch die Aufnahme von langkettigen Fettsäuren entsteht. Lymphgefäße Die Lymphe wird durch die im Interstitium blind beginnenden Lymphkapillaren aufgenommen und über immer größer werdende Lymphgefäße weitergeleitet. Die Lymphbahnen ähneln dem venösen System, sie verlaufen meist parallel dazu und enthalten neben einer Muskelschicht auch Klappen, die den Rückstrom verhindern. Die großen Lymphstämme aus dem linken und rechten Bein und aus dem Eingeweide verlaufen zusammen in die Lymphzisterne (Cisterna chyli) auf Höhe L1/L2 und von dort aus in den Milchbrustgang (Ductus thoracicus). Die gesamte Lymphe des Körpers wird in den linken und rechten Venenwinkel (Angulus venosus), zwischen Vena jugularis (Drosselvene) und Vena subclavia (Schlüsselbeinvene) in das venöse Blutsystem abgegeben. In den linken Venenwinkel mündet die Lymphe der gesamten unteren und der linken oberen Körperhälfte. In dem rechten Venenwinkel mündet die Lymphe der gesamten rechten oberen Körperhälfte (Ductus lymphaticus dexter). © Arpana Tjard Holler (Autor) 104 DAS LYMPHATISCHE SYSTEM Lymphknoten In die Strombahn der Lymphgefäße sind die Lymphknoten eingebaut. Lymphknoten finden sich immer gruppenweise in einer bestimmten Region (regionale Lymphknoten). Per Palpation können folgende Lymphknoten kontrolliert werden: Am Kieferwinkel Vor und hinter dem Ohr Vor und hinter dem Musculus sternocleidomastoideus (Kopfwender) An der Knochenleiste (Linea nuchea) am Hinterkopf Unterhalb des Schlüsselbeins, am Ansatz des Kopfwenders Unter den Achseln In der Leistenregion Aufgaben Abwehrfunktion, Reinigung der Lymphe durch Lymphozyten und Makrophagen Bildung von Lymphozyten Aufbau Der Lymphknoten ist ein weniges Millimeter großes bohnenförmiges Körperchen, das von einer bindegewebigen Kapsel umgeben ist. Im Inneren findet sich retikuläres Bindegewebe, sog. Retikulumzellen, die zur Phagozytose befähigt sind. Die zuführenden Lymphgefäße sind meist zahlreich, während die Lymphe aus dem Lymphknoten über ein oder zwei Gefäße abfließt. Die Milz (Splen, Lien) Gewicht: 150 - 200 g schwer Größe: ca. 11 7 4 cm Lage Liegt im linken hinteren Oberbauch, links vom Magen und hinter dem Magen. Berührt nach oben die linke Zwerchfellkuppel, nach vorne den Magen, nach unten die linke Dickdarmkrümmung, nach hinten die Niere und zur Mitte hin die Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Liegt in Höhe der 9. - 11. Rippe (im Normalzustand nicht zu tasten) und ist vom Bauchfell umgeben (intraperitoneal). Die Palpation der Milz erfolgt am besten in Linkslage des Patienten. Eine gesunde Milz ist beim Erwachsenen normalerweise nicht zu tasten. Aufgaben Abbau von Erythrozyten (Hämolyse = Blutmauserung) Infektabwehr durch Phagozytose und Bildung von Lymphozyten und Antikörperbildung (lymphatisches Gewebe) Abbau und Speicherung von Thrombozyten. Blut- und Eisenspeicher Nur in der Fetalzeit Blutbildung Aufbau Die rote Pulpa besteht aus großen Bluträumen, den Milzsinusoiden, und retikulärem Bindegewebe, hier geschieht die Hämolyse. Die weiße Pulpa ist als lymphatisches Gewebe um die arteriellen Gefäße angeordnet, hier werden Lymphozyten gebildet (Abwehr). Am Milzhilus tritt die Arterie (A. lienalis) ein und die Milzvene aus. Die Milz gibt ihr Blut in das Pfortadersystem ab. DAS LYMPHATISCHE SYSTEM 105 Lymphatischer Rachenring (Waldeyer-Rachenring) Darunter versteht man lymphoretikuläres Gewebe im Mund-Rachen-Bereich. Zwei Gaumenmandeln (Tonsilla palatina), die rechts und links zwischen dem vorderen und hinteren Gaumenbogen liegen (sind am größten). Die Rachenmandel (Tonsilla pharyngea) sitzt im Rachendach im NasenRachen-Raum. Die Zungenmandel (Tonsilla lingualis) befindet sich als eine Ansammlung von Lymphfollikeln am Zungengrund. Zwei lymphatische Seitenstränge, die sich an der hinteren Wand im MundRachen-Raum befinden. Ansammlung von lymphatischem Gewebe an der Eintrittsstelle zur Eustachischen Röhre (Tuba auditiva, Ohrtrompete). Aufgabe: Als Schutz am Eingang der Verdauungs- und Atmungsorgane. Phagozytose, Lymphozyten- und Antikörperbildung Thymus Der Thymus liegt im oberen Mediastinum (Raum zwischen den beiden Lungen) vor dem Herzen (ventral) und ist im Kindes- und Jugendalter voll ausgebildet. Im Erwachsenenalter bildet er sich zurück (retrosternaler Fettkörper). Der Thymus ist Teil des lymphatischen Systems und ein wichtiges Organ für die zelluläre Abwehr, hier werden die T-Lymphozyten geprägt. © Arpana Tjard Holler (Autor) 106 Blut-Lymphe Pathologie Blut-Lymphe Pathologie Erkrankungen der Erythrozyten ........................................................................................................... 107 Hämorrhagische Diathese ................................................................................................................ 113 Erkrankungen der Leukozyten ............................................................................................................. 115 Erkrankungen des lymphatischen Gewebes ......................................................................................... 118 Blut-Lymphe Pathologie 107 Erkrankungen der Erythrozyten Anämie Def: Unter Blutarmut versteht man eine Verminderung Hämoglobinmenge, meist auch der Erythrozytenanzahl und des Hämatokritwertes unter der Norm. Urs: 1) Ungenügende Bildung von Erythrozyten oder Hämoglobin infolge eines Mangels. Eisenmangelanämie Vitamin B12-Mangelanämie (megaloblastäre Anämie) Folsäuremangelanämie (megaloblastäre Anämie) 2) Abbau der Erythrozyten ist höher als der Aufbau, sog. hämolytische Anämie angeborene hämolytische Anämien erworbene hämolytische Anämien 3) Störungen im blutbildenden Knochenmark, sog. aplastische Anämie 4) Andere Erkrankungen, die zu einer Anämie führen (sekundäre Anämie) renale Anämie Tumor- und Infektanämie Blutbildung verdrängende Prozesse, z.B. Leukämien, Plasmozytom Sym: Allgemeine Symptome bei allen Formen der Anämien allmählicher Leistungsabfall, Schwäche Blässe (vor allem an den Schleimhäuten) Kopfschmerzen Appetitlosigkeit, evtl. Gewichtsabnahme Müdigkeit, schlechter Schlaf Kompensatorische Zunahme der Herzfrequenz (Tachykardie) bei Belastung häufig Ohrensausen, systolisches Herzgeräusch (bei dünnerem Blut), Atemnot und Tachypnoe (schnelle, oberflächliche Atmung) bei Belastung Neuromuskuläre Symptome wie Konzentrationsschwäche, rasche Ermüdbarkeit bei Muskelarbeit Schwindel, Schwarzwerden vor den Augen Kälteempfindlichkeit bei Anämien über langen Zeitraum Herzrhythmusstörungen, Angina pectoris-ähnliche Beschwerden große Blutdruckamplitude gastrointestinale Beschwerden, wie Durchfälle, Obstipation, Blähungen muskuläre Verspannungen (Rückenschmerzen) Ausprägungsgrad der Symptome ist abhängig von dem Ausmaß der Anämie, aber auch davon, ob sie plötzlich eintritt oder sich schleichend entwickelt (bessere Anpassung an die schlechteren Zeiten). Eisenmangelanämie (ca. 80% aller Anämien) Def: Am häufigsten vorkommende Anämieform, die durch eine verminderte Bildung des Häm-Moleküls infolge eines Eisenmangels charakterisiert ist. Bei Verdacht auf Eisenmangelanämie müssen die Werte von Eisen und Speichereisen (= Ferritin) ermittelt werden. Speichereisen ist bei Eisenmangelanämie erniedrigt und bei Tumoren und chronischen Infekten erhöht! © Arpana Tjard Holler (Autor) 108 Blut-Lymphe Pathologie Urs: Eisenverluste infolge von chronischen Sickerblutungen (meist aus dem Verdauungstrakt; häufigste Ursache) oder verstärkter Menstruationsblutung (Hypermenorrhö) Mangelnde Zufuhr von Eisen (Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse) Tagesbedarf bei M.: 10 mg, F.: 12 mg, Schwangere: 15-20 mg Erhöhter Bedarf in der Wachstumsphase, bei Sportlern, bei Schwangeren und in der Stillzeit Gestörte Resorption im Dünndarm durch Malabsorption, Magenerkrankungen (Fehlen von Magensäure), Magenresektion Idiopathisch (ohne erkennbare Ursache) Pat: Eisen ist ein essentielles Spurenelement und wird im Dünndarm aktiv (= unter Aufwand von Energie) in die Darmzelle aufgenommen und von dort im Blutplasma an Transportoder Speicherproteine gebunden. Eisen wird im Körper im Wesentlichen für den roten Blutfarbstoff benötigt und kann nicht aktiv ausgeschieden werden. Eisenverluste gibt es über die Haut durch eisenhaltige Enzyme in den Häuten, Schleimhäuten und Hautanhangsgebilde. Sym: Neben den allgemeinen Anämiesymptomen: rotgeschwollener brennender Zunge (Glossitis) rissige brennende Lippen Schluckbeschwerden Mundwinkelrhagaden brüchige, gefurchte Nägel (Rillenbildung) trockene, rissige Haut, Juckreiz glanzloses Haar, Haarausfall Lab: MCH (HbE) vermindert hypochrome Anämie (MCH-Norm: 28-32pg) MCV erniedrigt mikrozytäre Anämie (MCV-Norm: 82-92 fl) Hb Erythrozytenzahl Retikulozyten vermindert (in der kompensatorischen Phase Retikulozytose) Transferrin (Transporteisen) Serumeisen Ferritin (Speichereisen) BSG leicht erhöht Bei Tumoranämie ist das Ferritin normal bis erhöht (siehe Kapitel 1.6) The: Immer die Ursache eindeutig abklären lassen! Gastrointestinale Blutungen oder Tumore müssen ausgeschlossen werden! Eisenabgaben nur oral (nur zweiwertiges Eisen), 100 - 200 mg pro Tag über drei Monate. Retikulozytose zeigt den Erfolg an. Nebenwirkungen einer oralen Eisenspeichertherapie: Schwarzfärbung des Stuhls Schlechte Verträglichkeit mit Resorptionsstörungen, Verstopfung, MagenDarm-Beschwerden Sind im Röntgenbild im Magen-Darm-Trakt schattengebend Blut-Lymphe Pathologie 109 Vitamin B12-Mangelanämie Syn: Perniziöse Anämie, Morbus Biermer Urs: Autoimmungastritis Typ A: Autoantikörper greifen die Belegzellen der Magenschleimhaut an und führen zu Fehlen des „Intrinsic Faktors", welcher für die Aufnahme von Vitamin B12 erforderlich ist Malabsorption (Störung der Stoffaufnahme), z.B. bei Morbus Crohn Mangelernährung z.B. vegane Ernährung Vermehrter Verbrauch von Vitamin B12 durch den Fischbandwurm Pat: Vitamin B12 kommt vor allem in tierischen Eiweißen vor. Es ist für die DNS und RNS - Synthese der Zellkerne notwendig. Vitamin B12 (extrinsic factor) wird im terminalen Ileum aufgenommen und braucht dafür den "intrinsic factor", der in den Belegzellen der Magenschleimhaut produziert wird. Wenn nicht genügend B12 vorhanden ist, können nicht genügend Erythrozyten gebildet werden. Da die Hämoglobinbildung ausreichend ist, sind die einzelnen Erythrozyten quasi vollgestopft mit Blutfarbstoff. Sie sind zu groß = makrozytäre Anämie. sie sind überfärbt = hyperchrome Anämie. Durch die Vergrößerung der Erythrozyten kommt es zu vorzeitiger Hämolyse. Sym: Vitamin B12-Mangel-Trias: Allgemeine Anämiesymptome Gastrointestinale Symptome (Bauchschmerzen, Durchfälle, Appetitlosigkeit) Neurologische Symptome (funikuläre Myelose) Parästhesien, z.B. herabgesetztes Vibrationsempfinden spastische Lähmungen, Fehlen der Eigenreflexe motorische Symptome: Gangunsicherheit, evtl. Babinski-Reflex positiv evtl. psychische Symptome Außerdem: Gerötete und glatte Zunge, Zungenbrennen (Hunter-Glossitis) Ikterus (Gelbfärbung) der Augenbindehaut, Cafe-au-lait-Farbe durch die Blässe und den Ikterus (strohgelbe Farbe) evtl. Splenomegalie (vergrößerte Milz) evtl. Löffelnägel B12-Mangel-Symptomatik möglich ohne gleichzeitige Anämiesymptome. Lab: Erythrozyten , auch Leuko- und Thrombozyten Retikulozyten HK und Hb erniedrigt MCH (HbE) hyperchrome Anämie MCV makrozytäre Anämie indirektes (unkonjugiertes) Bilirubin direktes Bilirubin normal Serumeisen © Arpana Tjard Holler (Autor) 110 Blut-Lymphe Pathologie Folsäuremangelanämie Urs: Unzureichende Ernährung (tritt v.a. bei Alkoholkrankheit auf) Erhöhter Bedarf (v.a. in der Schwangerschaft und in der Stillzeit) Malabsorption Folsäure wird im gesamten Ileum resorbiert und ist ebenfalls wichtig für die DNSSynthese Sym: allg. Anämiesymptome Schleimhautveränderungen (z.B. rötliche Zunge) Labor wie perniziöse Anämie (makrozytär, hyperchrom) keine neurologischen Symptome (!) Kom: Bei Entwicklung des Fetus Neuralrohrdefekte, z.B. Spina bifida (offener Rücken), Anenzephalie (Fehlen des Gehirns), Lippen-Kiefer-Gaumenspalte Bei Schwangeren erhöhtes Risiko für Frühgeburten. Hämolytische Anämien Def: Anämie durch vorzeitigen und vermehrten Abbau der Erythrozyten im MonozytenMakrophagen-System (RES), vor allem in der Milz. Ist die hämolytische Anämie chronisch, so wird sie im Anfangsstadium durch eine gesteigerte Erythropoese im Knochenmark kompensiert. Der Patient hat keine Anämiesymptome, aber erhöhte Retikulozyten- und Eisenwerte. Das indirekte Bilirubin im Blut ist erhöht. Urs: Angeborene hämolytische Anämien Die angeborenen Defekte können die Erythrozytenmembran oder das Hämoglobin betreffen. Kugelzellenanämie (Sphärozytose) Defekt in der Erythrozytenmembran, dadurch Aufnahme von Natrium und Wasser und Veränderung der Erythrozyten zur Kugelform. Entfernung der Milz führt meist zur Beschwerdefreiheit. Sichelzellenanämie Molekulare Abnormität des Hämoglobins (Austausch einer Aminosäure), dadurch Ausbildung der Sichelform der Erythrozyten mit erhöhter Thromboseneigung Erworbene hämolytische Anämien Infektionen, z.B. Malaria Autoimmun-hämolytische Anämien Erythrozyten werden durch körpereigene Antikörper zerstört Mechanisch-hämolytische Anämien Schwach ausgeprägte Anämie durch künstliche Herzklappen Marschhämolyse (Marschhämoglobinurie) Medikamentös-immun-hämolytische Anämien; Medikamente geben den Anstoß zur Bildung von Antikörpern (z.B. Sulfonamide) Toxisch-hämolytische Anämien Chemische Substanzen schädigen die Erythrozyten, z.B. Arsen, Blei, Essigsäure, Knollenblätterpilz, Nitroverbindungen, Schlangengifte Makrozytäre Anämie bei Vitamin B12-Mangel oder Folsäuremangel Blut-Lymphe Pathologie Sym: 111 Allgemeine Anämiesymptome Leichter Ikterus (strohgelbe Farbe) Milzvergrößerung (Splenomegalie) durch den verstärkten Abbau der Erys Gallensteinbildung möglich (Bilirubinsteine) Lab: unkonjugiertes (indirektes) Bilirubin erhöht Urobilinogen im Urin erhöht Anstieg des Serumeisenspiegels Retikulozytose (Erhöhung der „jungen“ Erythrozyten) Erythrozyten normochrom und normozytär Kom: Hämolytische Krise mit Fieber, Schüttelfrost, dunklem Urin (Hämoglobinurie) und Ikterus. Milzruptur Aplastische Anämie (aplastisches Syndrom) Def: Hemmung bzw. Versagen der Hämatopoese durch eine erworbene Schädigung im Knochenmark. Pat: Die aplastische Anämie zählt zu den gefährlichsten Anämien, da hier die Blutbildungsstätte, das Knochenmark, direkt betroffen ist. In der Regel ist auch die Bildung von Leukozyten und Thrombozyten gehemmt. Im Extremfall kommt es zur extramedullären Blutbildung in Leber und Milz. Urs: Idiopathisch Virusinfektionen des Knochenmarks (z.B. Herpesinfektion) bösartige Tumore im Knochenmark Medikamente z.B. Antibiotika, Analgetika, Rheumamittel Strahlenschäden z.B. Röntgen Toxine z.B. Insektizide, Quecksilber, Schwermetalle, Haarfärbemittel Sym: Schleichende Anämiesymptome durch Erythropenie Hämorrhagische Diathese (erhöhte Blutungsneigung) durch Thrombopenie: Hämatome, Petechien, Erhöhte Infektanfälligkeit (Mykosen) durch die Leukopenie Lab: Verminderung aller drei Blutzellreihe (Panzytopenie). Sekundäre Anämien Def: Begleitanämien bei chronischen Erkrankungen. Urs: Renale Anämie Mangel an Erythropoetin durch Tumore in der Niere oder durch Niereninsuffizienz. Anämien infolge von Malabsorption Tumoranämie Tumore können im Rahmen eines paraneoplastischen Syndroms eine Anämie bewirken (meist normochrom und normozytär) © Arpana Tjard Holler (Autor) 112 Blut-Lymphe Pathologie Infektanämie Sogenannte Eisenfehlverwertung: Zugriff auf die Eisenspeicher ist vermindert, weil das dafür benötigte Ferroportin durch Hepcidin gehemmt wird. Hepcidin wird bei chronischen Entzündungen in der Leber vermehrt gebildet. Meist mäßig ausgeprägt mit Hb-Werten von 10-11 g/dl. Speichereisen (Ferritin) normal bis erhöht. Transporteisen (Transferrin) erniedrigt. Serumeisen erniedrigt. Rheumatoide Arthritis Pannusgewebe bindet Eisen. Polyglobulie (Erythrozytose) Def: Kompensatorisch infolge eines Sauerstoffmangels gesteigerte Erythropoese und dadurch bedingte pathologische Erhöhung des Hämatokritwertes auf über 53%. Pat: Durch die Erhöhung des HK-Wertes kommt es zum Anstieg der Viskosität des Blutes mit der Gefahr auf Thromboembolien. Urs: Sauerstoffmangel Beim Gebirgsaufenthalt, die sog. Höhenpolyglobulie Bei chronischen Lungenerkrankungen (Lungenemphysem, Lungen-fibrose). Bei Erkrankungen des Herzens (Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler usw.). Bei starken Rauchern gestörter Sauerstofftransport durch CO-Hämoglobin. Eine seltene Ursache der Polyglobulie: Ein Erythropoetin produzierender Nierentumor. Sym: Blutfülle (Plethora), mit Gesichtsrötung (blühendes Aussehen) evtl. Lippenzyanose Kopfschmerz, Schwindel und Ohrensausen evtl. Nasenbluten Lab: Hb erhöht (> 18 g/dl) HK erhöht (> 53 %) Erythrozytose BSG stark erniedrigt Polyzythämie (Polycythaemia rubra vera) Def: Bösartige Erkrankung des Knochenmarks mit gesteigerter Hämatopoese aller drei Blutzellarten, am stärksten die der Erythrozyten. Urs: Unbekannt, Erkrankungsgipfel im 6. Lebensjahrzehnt. Sym: Blutfülle: Hitzegefühl, Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen, blaurote Gesichtsfarbe Hypertonie Dyspnoe (Atemnot) Vergrößerung der Milz und der Leber (Hepatosplenomegalie) Pseudokonjunktivitis (gerötete Augenbindehaut) generalisiertes Hautjucken (50% d.F.), v.a. nach dem Duschen oder Baden (Histamin ) hämorrhagische Diathese (Blutungsneigung, z.B. Petechien) möglich, Thrombozyten können infolge der erhöhten HK-Wertes nicht mehr zum Einsatzort Blut-Lymphe Pathologie 113 psychotische Symptomatik (Euphorie und Depressionen) Lab: HK ( > 60 % ), Hb , BSG Erythrozytose, Leukozytose, Thrombozytose (Panzythämie) Hypervolämie indirektes Bilirubin Kom: Thromboembolien (z.B. Apoplexie, Lungenembolie) Sekundäre Gicht The: Aderlass Hämorrhagische Diathese Def: Erhöhte Blutungsneigung infolge unterschiedlicher Ursachen. Hämorrhagische Diathese Fehlende Gefäßschäden Thrombopenie Gerinnungsfaktore n Urs: Angeborene oder erworbene Störung der Blutgerinnung aufgrund von Mangel an oder Funktionsstörungen von Gerinnungsfaktoren (Koagulopathien) angeboren z.B. bei Hämophilie erworben bei Vitamin K-Mangel (z.B. Leberzirrhose, Malabsorption, Gabe von Vitamin K-Antagonisten = Marcumar) Infolge eines Mangels an Thrombozyten (Thrombopenie; siehe 2.1) Gefäßschäden (Schädigung der Kapillare) Infektionen: z.B. Meningokokken-Meningitis, Virus-bedingtes hämorrhagisches Fieber, Masern, Scharlach, Endokarditis lenta toxisch-allergisch: Purpura Schoenlein-Henoch medikamentöse Behandlung (z.B. Langzeitbehandlung mit Kortison) im Rahmen einer Pankreatitis durch aktivierte Enzyme Purpura senilis: im hohen Alter durch eine verminderte Widerstandsfähigkeit der Kapillaren auftretende Blutungsneigung mit Petechien und kleinen blauen bis braunen Flecken, v.a. an den oberen Extremitäten; meist harmlos. Verbrauchskoagulopathie Sym: erhöhte Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) Hämatome: Blutungen in tiefgehende Gewebsschichten, häufig mit kleiner Hautwölbung Purpura: kleinfleckige Kapillarblutungen punktförmige: Petechien (kleinste punktförmige Hautblutungen) streifenförmig angeordnete Kapillarblutungen: Vibices kleinflächig: Ekchymose großflächig: Sugillation © Arpana Tjard Holler (Autor) 114 Blut-Lymphe Pathologie Lab: Blutgerinnungsteste: Quick-Test (Prothrombinzeit) zur Überprüfung des exogenen Systems partielle Thromboplastinzeit zur Überprüfung des endogenen Systems Thrombopenie Def: Verminderung der Thrombozyten unter 150.000 µ (mm3) Urs: Primär: Idiopathische thrombozytopenische Purpura (Morbus Werlhof) Es werden Autoantikörper gegen Thrombozyten gebildet. Betrifft v.a. Kinder und Jugendliche und tritt v.a. nach Infektionskrankheiten auf. Sekundär durch z.B. Leukämien, Plasmozytom, aplastisches Syndrom Knochentumore, Kollagenosen, sehr starker Vitamin B12-Mangel, Folsäuremangel, Alkoholkrankheit, Medikamente (z.B. ASS: Thrombozyten werden inaktiv gemacht). Sym: Petechien (hämorrhagische Diathese erst bei Werten unter 30.000 pro mm3), keine ausgedehnten Hämatome Rumpel-Leede-Test zur Prüfung von Gefäßwandschäden bzw. Thrombopenie. Durchführung: Anlegen einer Blutdruckmanschette mit einem gerade noch tastbaren Radialispuls für 5-10 Minuten. Treten punktförmigen Hautblutungen auf, sind dies Zeichen einer Thrombopenie bzw. Gefäßwandschäden (z.B. bei Infektionen; nicht Blutgerinnungsstörungen) Purpura Schoenlein-Henoch Def: Toxisch-allergische Gefäßwandentzündung der kleinen Blutgefäße und der Kapillaren mit erhöhter Blutungsneigung. Urs: Allergische Reaktion (Typ III) mit Ablagerung von Antigen-Antikörper-Komplexen an den Kapillaren und kleinen Gefäßen, welche zu einer Immunkomplexvaskulitis führen. Tritt v.a. bei Kindern nach einem Infekt der oberen Atemwege (Streptokokken, Viren) auf. Sym: kleinste punktförmige Blutungen in der Haut auf größerer Fläche (Purpura) Rumpel-Leede-Test positiv Magen-Darm-Beschwerden mit Koliken, Erbrechen und Teerstuhl Gelenkbeschwerden durch Gelenkeinblutungen, meist sind mehrere Gelenke betroffen evtl. Hämaturie (Blut im Urin) Verbrauchskoagulopathie Syn: Disseminierte intravasale Gerinnung (Abk. DIC) Def: Ein durch verschiedene Erkrankungen hervorgerufener massiver Verbrauch an Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten mit der Folge einer hämorrhagischen Diathese. Urs: Im Rahmen eines Schocks Aktivierung der Blutgerinnung durch z.B. Bakteriengifte, Schlangengifte Purpura Schoenlein-Henoch Transfusionszwischenfälle Blut-Lymphe Pathologie 115 Hämophilie (Bluterkrankheit) Def: Vererbte Gerinnungsstörung, bei der bestimmte Gerinnungsfaktoren fehlen und die zu einer verzögerten Blutgerinnung führen (X-chromosomal-rezessiv). Urs: Erbkrankheit, die über das X-Chromosom durch Frauen übertragen wird und an der meist Männer erkranken. Mangel an Faktor VIII: Hämophilie A, schwere Verlaufsform (85%). Mangel an Faktor IX: Hämophilie B, leichtere Verlaufsform (15%). Pat: Die Blutungsstillung (primäre Hämostase) ist nicht beeinträchtigt (normale Blutungszeit). Die Blutgerinnung ist infolge der fehlenden oder mangelnden Gerinnungsfaktoren unvollkommen. Manifestation meist erst nach der Säuglingszeit, im Kindesalter stärker als im Erwachsenenalter. Sym: erhöhte Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) Blutungen bereits nach kleinen Verletzungen innere Blutungen (Petechien sind keine typischen Symptome) Einblutungen in den Muskel Einblutungen in große Gelenke (Hämarthrosen) Schleimhautblutungen (Magen, Darm, Harnwege) Kom: Ohne Substitution von Gerinnungsfaktoren: lebensgefährliche Blutungen. Gelenkblutungen führen häufig zu Versteifungen, besonders im Kniegelenk. Erkrankungen der Leukozyten Agranulozytose (perniziöse Neutropenie) Def: Akut einsetzende schwere Störung der Granulozytenbildung im Knochenmark. Urs: Allergie (Typ II) durch Medikamenteneinnahme, z.B. Analgetika (Methamizol), Antibiotika, Diuretika, Sedativa Sym: Innerhalb von Stunden schweres Krankheitsgefühl, Fieber und Schüttelfrost, Lymphknotenschwellungen Schnell auftretende Schleimhautgeschwüre und Hautnekrosen Labor: Neutropenie (stark verminderte oder völliges Fehlen der Granulozyten) Leukämie Def: Eine bösartige Erkrankung der weißen Blutkörperchen im Knochenmark, bei der es zu einer unkontrollierbaren Vermehrung und Entartung einer Leukozytengruppe kommt. Urs: Unbekannt Pat: Die Leukozyten sind qualitativ verändert und können so ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht werden. Die Folge ist eine Abwehrschwäche gegen Infektionen. Durch die Wucherung der Leukozyten im Knochenmark kommt es zur Verdrängung der Stammzellen aus der Erythrozyten- und Thrombozytenreihe, die Folge sind Anämiesymptome und Blutungsneigung (ab 30.000 µ/dl). Normale Erythrozyten- und Thrombozytenzahlen schließen fast immer eine Leukämie aus. © Arpana Tjard Holler (Autor) 116 Blut-Lymphe Pathologie Einteilung der Leukämien Lymphatische Leukämien haben ihre Entartungszelle aus der Lymphozytenreihe Myeloische Leukämien haben ihre Entartungszelle aus der Granulozyten- oder Monozytenreihe. Akute Leukämien verlaufen unbehandelt in wenigen Wochen und Monaten tödlich und haben in 25% der Fälle eine Leukopenie. Chronische Leukämien beginnen schleichend, mit wenig Symptomen und werden häufig per Zufallsbefund diagnostiziert. Sym: Akute lymphatische Leukämie (ALL) Betrifft überwiegend Kinder und ist die häufigste bösartige Erkrankung im Kindesalter. Hohe Überlebensquote durch Chemotherapie und Knochenmarktransplantation. Infektanfälligkeit, Pilzerkrankungen, Haut- und Schleimhautentzündungen Säuglinge, Kleinkinder und Kinder können 8-12-mal pro Jahr an einem Infekt erkranken, ohne dass der Verdacht einer Immunschwäche besteht. Fieber, Fieberschübe, Nachtschweiß, Appetitmangel, Gewichtsabnahme (BSymptome) Zahnfleichentzündungen (Gingivitis) Kopfschmerzen Allgemeine Anämiezeichen (Müdigkeit, Blässe, Atemnot) durch Verdrängung der Erythrozytenreihe Erhöhte Blutungsneigung (Petechien, Nasenbluten, Zahnfleischbluten) durch Verdrängung der Thrombozytenreihe Knochenschmerzen („Bauchweh“) Generalisierte Lymphknotenschwellungen Milz- und Leberschwellung Meningitis, Infiltration der Gehirnhäute (Meningen) mit Tumorzellen und nachfolgender Entzündung und sehr starken Kopfschmerzen Akute myeloische Leukämie (AML) Betrifft überwiegend Erwachsene mit einem Lebensjahrzent. Symptomatik und Behandlung entspricht der ALL. Prognose jedoch weitaus schlechter als bei der ALL. Erkrankungsgipfel im 5. Chronische myeloische Leukämie (CML) Beginnt schleichend im mittleren Lebensalter meist zwischen 20-40 Jahren. In 90% der Fälle Chromosomenveränderung, sog. Philadelphiachromosom (Nr.9 und Nr.22), welche die CML auslösen. Leistungsminderung, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, unklare Fieberschübe Fast immer extreme Leukozytose (500.000 µl) mit Milz- und Leberschwellung (Oberbauchdruck), typisch ist der Klopfschmerz des Brustbeins Später Infektneigung, Anämie, Blutungsneigung und Thrombosen Chronische lymphatische Leukämie (CLL) Befällt meist Männer im fortgeschrittenen Alter. Übermäßige Produktion von funktionsunfähigen B-Lymphozyten. Bessere Prognose als die anderen Formen. Leistungsminderung, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit Fast immer generalisierte Lymphknotenschwellungen Häufig Splenomegalie (Milzvergrößerung) Lymphozytose Blut-Lymphe Pathologie Lab: 117 Häufig Hauterscheinungen, z.B. Exanthem (entzündliche Hautveränderung), Mykosen (Pilzerkrankungen), Pruritus (Hautjucken) Leukozytenzahl kann normal, erhöht oder erniedrigt sein (außer bei der CML) Erythrozytenzahl erniedrigt (Anämie) Thrombozytenzahl erniedrigt (Thrombopenie) Leukozyturie möglich (Ausscheidung von Leukozyten über den Harn) Plasmozytom (multiples Myelom) Def: Bösartige Vermehrung von Plasmazellen im Knochenmark mit abnormer Produktion von pathologischen Immunglobulinen (Paraproteinen) ohne Abwehrfunktion. Wird auch zu den malignen primären Knochentumoren gezählt. Urs: Unbekannt Pat: Erkrankung tritt vorwiegend im höheren Lebensalter auf, Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Die malignen Plasmazellen wuchern meist herdförmig zerstörend im Knochenmark (Plasmozytomherde) und führen im weiteren Verlauf zu sog. osteolytischen Herden (sekundäre Osteoporose). Die rasche Wucherung der Plasmazellen im Knochenmark führt zu einer Verdrängung der blutbildenden Zellen mit Anämiesymptomen, hämorrhagischer Diathese und Immundefekten (Antikörpermangelsyndrom). Sym: Lab: Kom: Rheumatische Beschwerden, Knochenschmerzen (v.a. Rücken, Kopf, Rippen) Spontanfrakturen (pathologische Fraktur) Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieberschübe (B-Symptomatik) Allgemeine Anämiesymptome Zeichen der hämorrhagischen Diathese (Petechien) Gefahr auf Thrombosen durch erhöhte Viskosität BSG extrem erhöht (Sturzsenkung) Paraproteinämie (Elektrophorese) Hyperkalzämie Proteinurie (Bence-Jones-Proteine) Röntgen: schrotschussähnliche Defekte der Knochenstruktur, Mottenfraß-ähnliche Knochenzerstörung Niereninsuffizienz durch Kalziumeinlagerungen Allergische Reaktionen Def: Überschießende Immunantwort gegenüber bestimmten Antigenen, die normalerweise nicht schädlich auf den Körper wirken. Zur Manifestation ist eine Sensibilisierungsphase notwendig. Allergien werden pathophysiologisch in 4 Typen unterteilt. Allergie Typ I vom Soforttyp (anaphylaktische Reaktion) in 90% d. F. Ist die häufigste Allergieform. Genetische Veranlagungen, bei Kontakt mit Allergenen mit einer erhöhten Produktion von IgE reagieren. IgE haften sich an Mastzellen und bei Aktivierung durch Antigene kommt es zur Ausschüttung von Histamin. © Arpana Tjard Holler (Autor) 118 Blut-Lymphe Pathologie Örtliche Erscheinungen: z.B. Heuschnupfen, Asthma bronchiale, Neurodermitis, Urtikaria, Quincke-Ödem, Nahrungsmittelallergien. Generalisierte Erscheinung: Anaphylaktischer Schock (Notfall). Allergie Typ II (antikörpervermittelnde zytotoxische Reaktion) Antikörper reagieren mit körpereigenen Zellen und schädigen diese. Klinische Erscheinungen: z.B. allergisch bedingte hämolytische Anämien, idiopathische thrombozytopenische Purpura (Morbus Werlhof), Agranulozytose, Diabetes mellitus Typ I, Transfusionszwischenfälle Allergie Typ III (Immunkomplextyp) Ablagerung von Antigen-Antikörper-Komplexen an Gefäßinnenwänden, die nicht vollständig phagozytiert werden und so entzündungsfördernd wirken. Komplementsystem und Granulozyten reagieren und führen zusätzlich zu einer Gewebsschädigung. Klinische Erscheinungen: z. B. allergische Alveolitis, rheumatisches Fieber, Glomerulonephritis, Purpura Schoenlein-Henoch, Erythema nodosum. Allergie Typ IV vom Spättyp Allergische Veränderungen frühestens nach 12 Stunden. Reaktion von T-Lymphozyten auf körperfremde und körpereigene Antigene (TZell-abhängige allergische Reaktion). Klinische Erscheinungen: z.B. Kontaktekzem, Arzneimittelexanthem. Abstoßung transplantierter Organe. Erkrankungen des lymphatischen Gewebes Lymphogranulomatose (Morbus Hodgkin) Def: Ein bösartiger Tumor der Lymphknoten, der im Spätstadium als Systemerkrankung auch extralymphatische Organe befallen kann. Zwei Erkrankungsgipfel: zwischen 20 und 30 Jahren und im 6. Lebensjahrzent Urs: Unbekannt Pat: Der Tumor beginnt meist in einem einzelnen Lymphknoten und breitet sich dann langsam schubweise auf andere Lymphknoten aus. Im Endstadium diffuser Befall von Organen außerhalb des lymphatischen Systems. Die Lymphogranulomatose ist durch das Auftreten von sog. Hodgkin-Zellen und Sternberg-Riesenzellen charakterisiert. Alle anderen malignen Lymphome werden unter Non-Hodgkin-Lymphome zusammengefasst. Mehrere Lymphknoten aus einem Bezirk „verbacken“ miteinander und lassen sich als Granulome ertasten. Stadieneinteilung nach Ann-Arbor-Klassifikation Stadium I Befall einer Lymphknotenregion (IN) bzw. Auftreten eines extralymphatischen Herdes auf einer Seite des Zwerchfells (IE). Stadium II Befall von zwei oder mehr Lymphknotenregionen (IIN) bzw. Auftreten von zwei oder mehreren extralymphatischen Herden auf einer Seite des Zwerchfells (IIE) Stadium III Blut-Lymphe Pathologie Sym: Lab: 119 Befall von zwei oder mehr Lymphknotenregionen (IIIN) bzw. Auftreten von zwei oder mehreren extralymphatischen Herden auf beiden Seiten des Zwerchfells (IIIE) Stadium IV Ausgedehnter Befall v.a. von extralymphatischen Organen wie z.B. Knochenmark, Leber und Lunge Isolierte schmerzlose „kartoffelsackartige“ verbackene Lymphknoten-schwellungen, oft im Kopf-Hals-Bereich, aber auch im Achselbereich und Brust- und Bauchraum generalisierter Juckreiz (Basophilie = basophile Granulozyten erhöht) Alkoholschmerz: Schmerzen in den Lymphknoten nach Alkoholgenuss evtl. Fieber (typisch: wellenförmig; sog. Pel-Ebstein-Fieber) evtl. Leber und Milzschwellung A-Symptomatik: generalisierte Lymphknotenschwellung ohne Beschwerden (relativ gute Prognose) B-Symptome (verschlechtern die Prognose) Nachtschweiß, Fieber Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit Leistungsabfall, Müdigkeit BSG stark erhöht Lymphozytopenie Eosinophilie, Basophilie (basophile Granulozyten im Blut erhöht) Lymphödem Def: Ansammlung von Lymphflüssigkeit zwischen den Gewebezellen aufgrund eines Rückstaus, die zu einer meist nicht schmerzhaften Schwellung führt. Meist sind die Extremitäten betroffen. Urs: Idiopathisch (ohne erkennbare Ursache), vermutet wird eine Rückbildung der Lymphgefäßzellen. Entzündungen, Tumore, große Hämatome Nach Operationen durch bindegewebige Vernarbungen Sym: Beinödem: Stemmer-Zeichen positiv: Die Haut des Fußrückens v.a. über der zweiten und dritten Zehe lässt sich beim Lymphödem mit einer Pinzette nicht abheben. Kastenzehen: verdickte Zehen mit viereckiger Form infolge von Fibrosierung. Länger bestehende Lymphödeme sind nicht wegdrückbar. Kom: Bei längerem Bestehen des Ödems wird die Oberhaut reaktiv dicker (Elephantiasis). Bei der Mastektomie (Entfernung der weiblichen Brust) mit Ausräumung der regionären Lymphknoten kann es als Komplikation zu einem Lymphödem des Armes kommen. Lymphangiitis Def: Entzündung einer Lymphbahn. Urs: Lokaler Infektionsherd mit Verschleppung von Erregern in die Lymphbahn. Sym: Sichtbarer roter Streifen (im Volksmund: Blutvergiftung) Entzündete geschwollene Lymphknoten (Lymphadenitis) evtl. Fieber und Allgemeinsymptome © Arpana Tjard Holler (Autor) 120 Blut-Lymphe Pathologie Angina tonsillaris (Mandelentzündung) Def: Entzündung des lymphatischen Rachenringes, meist mit Beteiligung der Gaumenmandeln. Blut-Lymphe Pathologie 121 Urs: Häufigste Erreger: Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A und Viren (Parainfluenzaviren, Adenoviren) Seltener: Staphylokokken, Pneumokokken Als Begleiterkrankung bei anderen Infektionserkrankungen (Diphtherie, Pfeiffer Drüsenfieber, Röteln, Scharlach,) Pat: Im Wesentlichen sind Kinder und Jugendliche betroffen, vor allem in den Wintermonaten. Formen: Angina catarrhalis: Schwellung und Rötung der Mandeln. Am häufigsten verursacht durch beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A Angina lacunaris: Eiterpfropfen oder ein gelber Belag auf den Tonsillen Angina ulcerosa: geschwüriger Zerfall der Mandeln Angina Plaut-Vincent: relativ seltene einseitige Entzündung der Gaumenmandeln, die durch eine Mischinfektion mit Treponema vincentii und Fusobakterien verursacht werden. Auffallen ist der Gegensatz zwischen geringem Krankheitsgefühl und heftigen Befund mit deutlicher Geschwürsbildung. Sym: Beginn meist plötzlich mit hohem Fieber Halsschmerzen, besonders beim Schlucken Rötung und Schwellung der Tonsillen oft mit sog. Eiterstippchen Häufig Schwellung der regionalen Lymphknoten am Kieferwinkel Kom: Otitis media (Mittelohrentzündung Tonsillarabszess Rheumatisches Fieber Entzündungen am Herzen (rheumatische Karditis) Glomerulonephritis (Nierenentzündung) Milzruptur Def: Riss der Milzkapsel mit lebensgefährlichen Blutungen (Notfall) Urs: Am häufigsten infolge von Traumen. Möglich auch bei Infektionskrankheiten (z.B. Mononukleose) oder einer extremen Hämolyse (Splenomegalie). Sym: Unterscheidung Einzeitige Milzruptur: Riss der Milzkapsel und dadurch erfolgte Einblutung in die Bauchhöhle. Akut einsetzenden Symptomatik mit Schocksymptomen (hypovolämischer Schock), Abwehrspannung und linksseitigen Oberbauch- und Flankenschmerzen Dämpfung der linken Körperseite bei der perkutorischen Untersuchung Zweizeitige Milzruptur: Riss des Milzgewebes mit Hämatombildung bei unbeschädigter Milzkapsel. Ein nachträglicher Einriss der Milzkapsel ist durch die zunehmende Milzvergrößerung möglich. Zwischen Trauma und Symptomatik besteht ein freies Intervall (Stunden, Tage, sogar Wochen) Evtl. lokale Abwehrspannung, linksseitige Oberbauchschmerzen Splenomegalie © Arpana Tjard Holler (Autor) 122 Blut-Lymphe Pathologie Eine Raumforderung im linken Oberbauch kann auch Pankreastumore, Pankreaszysten oder ein Kolonkarzinom als Differenzialdiagnose haben. Evtl. Kehrzeichen: ausstrahlende Schmerzen in die linke Schulter, Hyperästhesie (Überempfindlichkeit) der Haut. The: Splenektomie (Entfernung der Milz) Bei einer Milzentfernung besteht eine erhöhte Gefahr für eine akute bakterielle Infektion (Sepsisgefahr) mit hoher Letalität. 1-2 Wochen nach einer Splenektomie entsteht eine extrem hohe Thrombozytose mit Thrombosegefahr, die sich nach einigen Wochen normalisiert. Es kommt zu einer verminderten Bildung von Antiköpern (IgG, IgM). Patienten sollten gegen Pneumokokken geimpft werden. Herz E. . 123 Herz-Kreislauf Anatomie und Physiologie Herz . Anatomie und Physiologie des Herzens ............................................................................................... 125 Anatomie des Gefäßsystems .................................................................................................................. 131 E.2.3.2.5.1. Oberflächliche Beinvenen ....................................................................................... 135 © Arpana Tjard Holler (Autor) 124 Herz . Herz . 125 Anatomie und Physiologie des Herzens Die Lage des Herzens Das Herz ist ein ca. faustgroßer Hohlmuskel. Es liegt im Mediastinum (Mittelfellraum), dem Raum zwischen den beiden Lungenflügeln. Es befindet sich hinter dem Brustbein (retrosternal) und vor der Speiseröhre. 2/3 des Herzens befinden sich links der Medianlinie, 1/3 rechts. Die Herzachse verbindet die Herzbasis mit der Herzspitze und verläuft von rechts oben hinten nach links unten vorn. Die Herzspitze befindet sich im 5. ICR (Interkostalraum = Raum zwischen den Rippen) innerhalb der linken Medioklavikularlinie (senkrechte Linie von Mitte Schlüsselbein aus) und ist mit dem Zwerchfell verwachsen. Die Herzbasis befindet sich oberhalb des Herzens auf Höhe von Th4 und stellt den Ein- und Ausgang der Gefäße dar. Herzgewicht eines Erwachsenen ca. 300 g. Der Herzwandaufbau. Das Herz besteht aus drei Schichten. Endokard Kleidet die Vorhöfe und Kammern aus und besteht aus einschichtigem Plattenepithel mit bisschen Bindegewebe. Wird durch Diffusion aus dem vorbeiströmendem Blut ernährt. Bildet die vier Herzklappen (Taschenklappen und Segelklappen). Myokard Stellt die Muskelschicht des Herzens dar. Ist aufgebaut wie quergestreifte Muskulatur, vereinigt jedoch bezüglich seiner Funktionsweise die Eigenschaften quergestreifter und glatter Muskulatur und stellt deshalb eine Besonderheit des Muskelgewebes dar. Enthält das autonome Reizleitungssystem des Herzens. Enthält sog. Glanzstreifen, welche die Aufgabe haben die einzelnen Herzmuskelzellen mechanisch und elektrisch so miteinander zu verbinden, dass das Herz nur als eine einzige große Herzmuskelplatte erregt bzw. kontrahiert wird. Perikard Ist der Herzbeutel und umschließt zweiwandig das Herz: Das äußere (parietale) Blatt, das eigentliche Perikard und das innere (viszerale) Blatt, das Epikard. Enthält einen vom Epikard produzierten Gleitfilm, der das Herz in seiner leichten Drehbewegung beim Schlagen schützt. Ist an der Herzspitze mit dem Zwerchfell verwachsen, so dass das Herz den Bewegungen des Zwerchfells folgen muss. Dient dem Herz zum Schutz vor Überdehnung und vor Übergreifen einer Entzündung. Die Herzhöhlen und die Herzklappen Das Herz wird durch eine Trennwand (Septum) in ein rechtes und linkes Herz unterteilt, welches jeweils einen Vorhof (Atrium) und eine Kammer (Ventrikel) besitzt. Herzohren sind deutlich sichtbare Ausbuchtungen der beiden Vorhöfe. Produktionsort des ANP (atriales natriuretisches Peptid, Gegenspieler von Aldosteron) © Arpana Tjard Holler (Autor) 126 Herz . Die Segelklappen (Atrioventrikularklappen) trennen Vorhöfe und Kammern. Im linken Herzen liegt die Mitralklappe (Bikuspidalklappe). Im rechten Herzen liegt die Trikuspidalklappe. Die Segelklappen sind mit sehnenähnlichen Strängen an den Papillarmuskeln des Myokards befestigt und hindern die Klappen am Zurückschlagen. Die Taschenklappen (Semilunarklappen) trennen die Kammern von den großen abgehenden Gefäßen (Truncus pulmonalis und Aorta). Die Pulmonalklappe liegt im rechten Herzen zwischen rechter Kammer und Truncus pulmonalis (eine Lungenarterie). Die Aortenklappe liegt im linken Herzen zwischen linker Kammer und Aorta. Alle Klappen liegen auf einer Ebene, die im 90° Winkel zur Herzachse verläuft (Herzklappenebene). Das Herzskelett ist ein zusammenhängendes sehniges Bindegewebsgerüst in welchem die vier Herzklappen positioniert sind. Physiologie des Herzmuskels Die eigentliche Antriebskraft des Herzens wird von der Kammer- und Vorhofmuskulatur gebildet. Durch Kontraktion der Herzmuskelzellen wird das Blut in den Truncus pulmonalis (Pulmonalarterien) und in die Aorta gepresst. Die Kammermuskulatur ist stärker ausgebildet als der Vorhofmuskel. Der linke Herzmuskel muss stärker sein als der rechte, weil er das Blut in den großen Kreislauf pumpt. linkes Herz: 120 mmHg rechtes Herz: ca. 30 mmHg Der Herzschlag entsteht durch Verkürzung von Herzmuskelzellen. Diese sind mit einem System von Filamenten ausgestattet. Strömt Calcium in die Muskelzelle hinein, aktiviert es durch einen biochemischen Prozess das ATP, den Energielieferanten jeder Zelle. Mit Hilfe dieser Energie verschieben sich Aktin- und Myosinfilamente gegeneinander und bewirken ein Zusammenziehen der Zelle und des gesamten Muskels. Das Herz kontrahiert. Die Arbeitsphasen (Herzzyklen) des Herzens Systole, unterscheidet sich in: Anspannungsphase, alle Klappen sind geschlossen, Dauer: 0,05 - 0,1 Sek. Austreibungsphase, Taschenklappen sind geöffnet, Segelklappen geschlossen Kammermuskulatur zieht sich zusammen und befördert das Blut nach außen (Aorta und Truncus pulmonalis), Dauer: 0,2 - 0,3 Sek. Diastole, unterscheidet sich in: Erschlaffungsphase, alle Klappen sind geschlossen, Dauer: 0,4 – 0,5 Sek. Füllungsphase, die Segelklappen öffnen sich und Blut strömt herein, Dauer: abhängig von der Herzfrequenz 1. HT 2. HT 1. HT Herzklappen Systole Diastole Taschenklappen offen zu Segelklappen zu offen Herz . 127 Weg des Blutes durch das Herz Das Blut fließt aus der unteren und oberen Hohlvene (Vena cava inferior und superior) in den rechten Vorhof. Dabei erschlafft der Vorhof und saugt das Blut an. Übersteigt der Druck im rechten Vorhof (ca. 5 mmHg) den in der rechten Kammer, öffnet sich die Trikuspidalklappe und das Blut strömt in die Kammer, angesogen durch die Ventrikeldiastole. Am Ende der Kammerdiastole kontrahiert der Vorhof (Vorhofsystole, macht aber nur 1/10 des gesamten Ventrikelvolumens aus). Ist der rechte Ventrikel gefüllt, beginnt die Anspannungsphase. Der Druck in der Kammer erhöht sich und die Trikuspidalklappe wird zugeschlagen, die Pulmonalklappe ist noch geschlossen. Erst wenn der Druck in der Kammer den in der Pulmonalarterie übersteigt (ca. 35 mmHg) wird die Pulmonalklappe aufgestoßen und die Austreibungsphase beginnt. Das Blut fließt jetzt über den Truncus pulmonalis und der rechten bzw. linken Lungenarterie zu den beiden Lungenflügeln in den kleinen Kreislauf. In den Alveolarkapillaren Sauerstoff aufnehmend fließt das Blut über die Pulmonalvenen zum linken Vorhof. Der linke Vorhof erschlafft und saugt das Blut an. Übersteigt der Druck im linken Vorhof (ca. 12 mmHg) den in der linken Kammer, öffnet sich die Mitralklappe und das Blut strömt in den linken Ventrikel. In der Anspannungsphase umspannt der Herzmuskel das Blutvolumen und schließt die 2zipflige Segelklappe. Die Aortenklappe öffnet sich, wenn der Druck in der Kammer über den diastolischen Druck in der Aorta steigt. Das Blut fließt jetzt über die Aorta in den großen Kreislauf (Körperkreislauf). Die Herzkranzgefäße (Koronararterien und -venen) Sie versorgen die Herzmuskelzellen (Myokard und Perikard) mit Sauerstoff und Nährstoffen. Sie entspringen direkt aus der Aorta im Bereich der Aortenklappe. Sie sind die ersten "Abzweigarterien" der Aorta. Sie werden gefüllt in der Ventrikeldiastole. Es gibt eine rechte und eine linke Koronararterie, die sich weiter aufzweigen. Das Blut aus den Venen der Herzkranzgefäße fließt über eine Sammelvene direkt in den rechten Vorhof. Das Herzreizleitungssystem Der für die Muskelkontraktion des Herzens erforderlicher elektrischer Reiz wird von speziellen Herzmuskelzellen selber gebildet (Autonomie). Die Reizbildung geht vom Sinusknoten (sog. Herzschrittmacher) aus. Er befindet sich in der Wand des rechten Vorhofs zwischen der oberen und unteren Hohlvene. Von dort werden die Impulse weitergegeben zum AV- Knoten (Atrioventrikular-knoten oder Aschoff-Tawara-Knoten genannt). Er liegt zwischen Atrium und Ventrikel und ist das sekundäre Erregungsbildungszentrum. Von hier aus über das His-Bündel, das sich in die beiden Tawara-Schenkel teilt, zu den Purkinje-Fasern. Diese leiten die Impulse weiter zu den auf die Zellen der Kammermuskulatur. Das Myokard kontrahiert, und das Herz schlägt. Die Herzleistung © Arpana Tjard Holler (Autor) 128 Herz . Das Herzzeitvolumen HZV (auch HMV, Herzminutenvolumen) bezeichnet die Menge Blut, die der linke Ventrikel pro Minute fördert. Das Volumen der linken Herzkammer beträgt ca. 70 ml. Bei einer Herzfrequenz von ca. 70 Schlägen pro Minute beträgt das HMV 4900 ml (ca. 5 l) Herzfrequenzwerte Schläge pro Minute Sportler 40 – 60 Erwachsene 60 – 80 Kinder / Jugendliche 80 – 100 Kleinkinder 100 – 120 Säuglinge 120 – 140 Neugeborene 140 – 160 Eine Herzfrequenz von 80-85 gilt im Alter nicht als pathologisch. Die Herzfrequenz erhöht sich leicht während der Einatmungsphase. Frank-Starling-Mechanismus: Gesetz der Kraft-Spannungsbeziehung des linken Herzmuskels. Je größer der Herzmuskel durch das enddiastolische Volumen (Vorlast) gedehnt wird, desto größer ist die Kontraktionskraft und damit das Schlagvolumen. Dieser Mechanismus kann über lange Zeit eine Herzmuskelschwäche kompensieren, bis ab einer bestimmten Grenze (sog. kritisches Herzgewicht) das Herz dilatiert (sich ausweitet) und schwach wird (siehe unter Herzinsuffizienz). Die Herzleistung ist abhängig von: der eigenständigen Steuerung durch den Sinusknoten. nervalen Einflüssen (Sympathikus/Parasympathikus). hormonalen Einflüssen (Adrenalin/Noradrenalin, Schilddrüsenhormone). von der Menge und der Viskosität des Blutvolumens. Medikamenten wie Koffein, Digitalis etc. Anatomie des Herzens beim Fötus Beim Fötus ist die Lunge vor Geburt noch nicht entfaltet. Er erhält den Sauerstoff aus dem mütterlichen Blut über die Plazenta. Vor der Geburt besteht eine große Öffnung in der Vorhofscheidewand des Herzens (Foramen ovale), so dass ein Teil des Blutes die Lunge umgeht, indem es vom rechten Vorhof direkt in den linken Vorhof fließt. Eine zweite Kurzschlussverbindung besteht zwischen der Lungenarterie und der Aorta (Ductus arteriosus Botalli). Sie liegt als Kurzschlussgefäß in den meisten Fällen hinter den drei Gefäßabgängen im Aortenbogen. Von einem offenen Ductus arteriosus (Persistierender Ductus arteriosus) wird gesprochen, wenn sich dieser nach drei Monaten nach der Geburt noch nicht geschlossen hat Während bzw. kurz nach dem Geburtsvorgang entfaltet sich die Lunge und die beiden Kurzschlüsse werden normalerweise in den ersten beiden Tagen abgedichtet. Untersuchungsmethoden Auskultation (Abhören) Auskultationspunkte der Herzklappen Die einzelnen Abhörstellen (Punctum maximum) der verschiedenen Klappen liegen nicht an ihrer anatomischen Lage, sondern sie liegen dort, wo der Blutstrom die Klappenschlusstöne am deutlichsten hinträgt. Aortenklappe: 2. ICR parasternal rechts Pulmonalklappe: 2. ICR parasternal links Trikuspidalklappe: 4. ICR parasternal rechts Herz . 129 Mitralklappe: 5. ICR medioklavikular links (Herzspitzenstoß) Erb-Punkt: 3. ICR parasternal links (Auskultationspunkt für alle Herzgeräusche) Merksatz: „Anton Pulmann trinkt Milch um 22 Uhr 45, erbricht um 3 und stößt um 5.00 Uhr morgens auf.“ Herztöne: Die Herztöne sind die akustischen Zeichen der Herzaktivität. Sie entstehen durch das Zuschlagen der Herzklappen. Der erste Herzton ist der Klappenschlusston der Mitral- und Trikuspidalklappe enthalten. In ihm ist der dumpfe Anspannungston der Herzmuskulatur (Muskelton) enthalten. Sein Punctum maximum liegt an der Herzspitze, im 5. ICR medioklavikular. Der zweite Herzton entsteht durch den Klappenschluss der Aorten- und Pulmonalklappen (Klappenton). Er ist der hellere Herzton und normalerweise lauter als der erste Herzton (Pschyrembel). Punctum maximum über der Herzbasis. Der zweite Herzton ist bei Kindern und bei jungen schlanken Menschen während der Einatmung als minimaler gespaltener Herzton zu hören (im 2. ICR parasternal links). Bei Erwachsenen kann ein gespaltener 2. Herzton auf Herzerkrankungen hinweisen (z.B. Mitralklappeninsuffizienz) Herzgeräusche: Sie entstehen durch Turbulenzen des Blutstromes bei verändertem Blutfluss. Sie werden eingeteilt in ein systolisches, diastolisches oder kontinuierliches Geräusch. Organische Herzgeräusche entstehen meist durch angeborene oder erworbene Herzklappenfehler und angeborene Shunts (Kurzschlussverbindungen). Funktionelle Herzgeräusche entstehen hämodynamisch durch eine erhöhte Herzfrequenz oder durch eine veränderte Blutzusammensetzung, z.B. bei Fieber, starkem Kaffee, körperliche Anstrengung, Hyperthyreose, Anämie. Akzidentelle Herzgeräusche sind harmlose und nur in der Systole (nie in der Diastole) auftretende Herzgeräusche, die häufig bei Kindern und Jugendlichen auftreten können. Akzidentelle und funktionelle Herzgeräusche sind lagerungsabhängig im Gegensatz zu den organischen Herzgeräuschen. Palpation Der Herzspitzenstoß wird am liegenden Patienten links im 5. ICR medioclavicular palpiert. Das fühlbare Gebiet ist ca. 2 cm2 groß. Verlagerung des Herzspitzenstoßes bei einer Rechtsherzvergrößerung nach links außen. Verlagerung des Herzspitzenstoßes bei einer Linksherzvergrößerung nach links außen unten. Blutdruckmessung Der Blutdruck wird gemessen mit einem Blutdruckapparat nach Riva-Rocci (RR). Der systolische Blutdruck ist der Druck, den die linke Kammer während ihrer Kontraktion erzeugt (Systole), er beträgt normal etwa 120 (130) mmHg. Der diastolische Blutdruck ist der Druck, der während der Erschlaffung der linken Herzkammer in den großen Arterien herrscht, er beträgt normal etwa 80 (90) mmHg. Der Blutdruck ist abhängig von: der Herzmuskelkraft. der vorhandenen Blutmenge. der Viskosität des Blutes. den Gefäßwiderständen in den Arteriolen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 130 Herz Durchführung der Blutdruckmessung siehe unter E.2.5.1 . Herz . 131 Anatomie des Gefäßsystems Gefäße, die vom Herzen wegführen, heißen Arterien. Sie führen im großen Kreislauf arterielles (sauerstoffreiches) Blut, im Lungenkreislauf venöses (sauerstoffarmes) Blut. Gefäße, die zum Herzen hinführen, heißen Venen. Sie führen im großen Kreislauf venöses (sauerstoffarmes), im Lungenkreislauf arterielles (sauerstoffreiches) Blut. Makroanatomie des Gefäßsystems Großer Kreislauf (Körperkreislauf) Der arterielle Körperkreislauf beginnt nach dem linken Herzen und endet an den Kapillaren. Das linke Herz pumpt das Blut in die Arterien des großen Kreislaufs und versorgt den gesamten Körper zu 100%. Herz ca. 5% Kopf und Arme ca. 10% Gehirn ca. 15 % Magen, Dünndarm, Dickdarm, Bauchspeicheldrüse, Milz ca. 25% Leber ca. 10% Nieren ca. 20% Beine, Körperstamm ca. 15% Der venöse Körperkreislauf beginnt bei den Kapillaren und endet am rechten Herzen: Linkes Herz Aorta Arterien Arteriolen Kapillaren (arterieller/venöser Kapillarschenkel) Venolen Venen Vena cava (Hohlvene) rechtes Herz Kleiner Kreislauf (Lungenkreislauf) Der Lungenkreislauf beginnt am rechten Herzen und endet am linken Herzen. Das rechte Herz pumpt 100% des Blutes über Pulmonalarterien in die Lunge, in der die Sauerstoffaufnahme geschieht. Von der Lunge fließt das Blut über Pulmonalvenen zum linken Herzen. Rechtes Herz Truncus pulmonalis Pulmonalarterien (mit venösem Blut) Lungenkapillaren Pulmonalvenen (mit arteriellem Blut) Linkes Herz Pfortaderkreislauf (portaler Kreislauf) Das venöse Blut von Milz, Bauchspeicheldrüse, Magen, Dünndarm, Dickdarm und 2/3 des Mastdarms fließt über ein Venensystem (keine Venenklappen) in eine große Vene (Vena portae = Pfortader), die in die Leber mündet. Somit gelangen fast alle Nahrungsmittel, die ins Blut aufgenommen werden in die Leber. Das venöse Blut des unteren Teils des Mastdarms fließt in die untere Hohlvene (Vena cava inferior) ab. Portokavale Anastomosen (Verbindung des Pfortadervenen mit der Vena cava) Nabelvenen Ösophagusvenen Hämorrhoidalvenen Aufbau der Gefäße Intima: Einschichtiges Plattenepithel (Endothel) mit einer kleinen Schicht elastischem Bindegewebe. Media: Glatte Muskulatur und elastisches Bindegewebe. © Arpana Tjard Holler (Autor) 132 Herz . Adventitia: Äußere zusammenfassende Schicht aus kollagenen und elastischen Fasern. In ihr verlaufen die das Gefäß ernährenden Gefäße und Nerven. Arterien Arterien werden definiert als Gefäße, die vom Herzen wegführen. Diese Definition gilt immer! Arterien sind im Körperkreislauf Hochdruckgefäße und besitzen 20% des Blut-volumens. Arterien vom “elastischen Typ“ sind herznahe Arterien. Sie besitzen in ihrer Media überwiegend elastische Fasern und sind so für die Windkesselfunktion gut geeignet. Sie besitzen die Fähigkeit die Druckwelle der Systole „aufzufangen“ und weiterzuleiten. Arterien vom “muskulären Typ“ sind herzferne Arterien. In ihrer Media überwiegen die ringförmig angelegten glatten Muskelfasern. Sie sind somit gut geeignet, die arterielle Versorgung in unterschiedliche Körperregionen zu steuern und den Blutdruck zu regulieren. Ganz kleine Arterien heißen Arteriolen. Sie haben eine einschichtige glatte Muskel-schicht als Media und gelten als die Widerstandsregler. Die Muskelschicht der Arterien ist am vegetativen Nervensystem angeschlossen und besitzt verschiedene Rezeptoren. Eine Vasodilatation (Gefäßerweiterung) wird bewirkt durch: Parasympathikus / Sympathikus Sauerstoffmangel Alkohol Wärme Eine Vasokonstriktion (Gefäßverengung) wird bewirkt durch: Sympathikus / Parasympathikus Angiotensin II Nikotin Kälte Venen Venen werden definiert als Gefäße, die zum Herzen hinführen! Venen sind Niederdruckgefäße (Kapazitätsgefäße) und besitzen 75% des Blutvolumens. Die Intima bildet durch Ausstülpungen Venenklappen, die den Blutrückfluss verhindern sollen. Die Media (Muskelschicht) ist wesentlich dünner als die der Arterien und kann wesentlich mehr Blutvolumen aufnehmen. Die Adventitia ist dicker als die der Arterien und besitzt mehr elastische Fasern. Rückfluss des venösen Blutes geschieht durch: Muskelpumpe Arterielle Pumpe Sogkraft durch Unterdruck im Thoraxraum Folgende Gefäße gehören zum Niederdrucksystem: Venen des Körperkreislaufs Rechtes Herz (Vorhof/Kammer) Lungenkreislauf (Pulmonalarterie und –vene) Linker Vorhof Linke Kammer in der Diastole Pfortaderkreislauf Herz . 133 Kapillare (sog. Haargefäße) Kapillare bestehen aus einschichtigem Epithelgewebe mit einer Basalmembran. Sie besitzen 5% des Blutvolumens und dienen dem Stoffaustausch. Durchmesser 6-20 µm. Druckverhältnisse im Kapillargebiet Resorption ca. –10 mmHg Arteriole RR ca. 35 mmHg kolloidosmotischer Druck im Gewebe ca. 25 mmHg Filtration ca. +10 mmHg Venole RR ca. 15 mmHg RR 15 mmHg Am Ende der Arteriole herrscht ein Blutdruck von ca. 35 mmHg. Im Gewebe findet sich der sog. kolloidosmotische Druck von ca. 25 mmHg, welcher durch die „“Wasseranziehungskraft“ der Albumine im Kapillarblut entsteht. Blutdruck der Arteriole (35) minus kolloidosmotischer Druck (25) = Filtrationsdruck im arteriellen Kapillarschenkel (+10). Durch Austreten von Flüssigkeit aus dem arteriellen Kapillarschenkel in das Gewebe sinkt der Blutdruck im weiteren Verlauf der Kapillare auf 15 mmHg. Blutdruck Anfang venöser Kapillarschenkel (15) minus kolloidosmotischer Druck (25) = Resorptionsdruck (-10). Infolge des Resorptionsdruckes von -10 mmHg wird ein Teil der Körperflüssigkeit zurück in die Kapillare gebracht. Liegt ein Mangel an Albuminen im Blut vor und dadurch ein erniedrigter kolloidosmotischer Druck, entstehen Eiweißmangelödeme. Gefäßverlauf Verlauf der großen Arterien Verlauf der Aorta mit den wichtigsten Abzweigungen Die Aorta ist die Hauptschlagader des Körpers, die hinter dem Herzen an der Aortenklappe beginnt und an der Aortenbifurkation in Höhe des 4. Lendenwirbels endet. Brustaorta (Aorta thoracalis): Der im Brustkorb gelegene Teil der Aorta unterteilt sich in aufsteigende Aorta, Aortenbogen und absteigende Aorta. Wichtige Abgänge sind: direkt hinter der Aortenklappe die zwei Koronararterien im Aortenbogen drei Gefäßabgänge für Kopf und Arme: Truncus brachiocephalicus, versorgt die rechte obere Körperhälfte und teilt sich auf in A. carotis communis dextra (rechter Kopf) und A. subclavia dextra (rechter Arm) A. carotis communis sinistra (linke gemeinsame Halsschlagader), versorgt den linken Kopf und teilt sich auf Höhe des Unterkiefers auf in A. carotis externa (Kopf außen) und A. carotis interna (Gehirn und Augen) © Arpana Tjard Holler (Autor) 134 Herz . A. subclavia sinistra (linke Schlüsselbeinarterie), versorgt den linken Arm im absteigenden Teil der Brustaorta die Interkostalarterien (Zwischenrippenarterien) Bauchaorta (Aorta abdominalis): Der unterhalb des Zwerchfells gelegene Teil der absteigenden Aorta. Wichtige Abgänge: Truncus coeliacus. Direkt unterhalb des Zwerchfells gelegenes kleines Gefäßstück, von dem drei Arterien in den Bauchraum abgehen: Leberschlagader (A. hepatica), Magenschlagader (A. gastrica) und Milzschlagader (A. lienalis) Obere Mesenterialschlagader (A. mesenterica superior), versorgt den Dünndarm und Dickdarm bis ca. Mitte Colon transversum. Die paarig angelegten Nierenarterien (Aa. renales) Untere Mesenterialschlagader (A. mesenterica inferior), versorgt den restlichen Dickdarm. Hoden- bzw. Eierstockschlagader (A. testicularis, A. ovarica) Verlauf der Arterien nach der Aortenbifurkation Die Aorta endet mit der Gabelung (Aortenbifurkation) in die beiden Beckenschlagadern (Aa. iliaca communes) kurz unterhalb des Bauchnabels bzw. auf Höhe des 4. Lendenwirbels. Verlauf: Arteria iliaca communis (gemeinsame Beckenschlagader) Arteria iliaca externa Arteria femoralis (Oberschenkelschlagader) Arteria poplitea (Kniekehlenschlagader) Arteria iliaca interna versorgt Eingeweide des kleinen Beckens, Geschlechtsorgane, Gesäß- und Oberschenkelmuskeln Arteria poplitea verzweigt sich in Arteria tibialis anterior und Arteria tibialis posterior. Von der Arteria tibialis posterior geht die Arteria fibularis ab Verlauf der Arterien in den Arm Die Unterschlüsselbeinarterie (A. subclavia) geht rechts vom Truncus brachiocephalicus und links vom Aortenbogen als dritter Ast ab. Verlauf: Arteria subclavia Arteria axillaris (Achselarterie) Arteria brachialis (Oberarmarterie) von dort in die Arteria radialis (Speichenarterie) und Arteria ulnaris (Ellenarterie) Verlauf der großen Venen Hohlvene (Vena cava) Vena brachiocephalica dextra (venöses Blut vorm rechten Arm und rechten Kopf) und Vena brachiocephalica sinistra (venöses Blut vom linken Arm und linken Kopf) münden in die obere Hohlvene = Vena cava superior, welche das Blut zum rechten Vorhof leitet. Linke und rechte Vena iliaca communis münden rechts der Mittellinie unterhalb des Nabels in die untere Hohlvene = Vena cava inferior, welche durch den Bauchraum, durch die Leber und durchs Zwerchfell zum rechten Vorhof zieht. Venenwinkel Der Venenwinkel ist die Mündung der Vena jugularis = Drosselvene (venöses Blut vom Kopf) und der Vena subclavia in die Vena brachiocephalica. Dort mündet das Lymphgefäß in die Venen. Verlauf der Armvenen (Innenseite) Herz . 135 Auf der Daumenseite: Vena cephalica, an der radialen Ellenbeuge durch venöse Stauung sichtbar. Geeignete Stelle zur venösen Punktion! Auf der Kleinfingerseite: Vena basilica, an der ulnaren Ellenbeuge durch venöse Stauung sichtbar. Nicht geeignet zur venösen Punktion, da die Gefahr zur Punktion der darunterliegenden Arterie besteht. Geht in die Vena axillaris und die in die Vena subclavia über. In der Ellenbeuge verläuft die Vena mediana cubiti von der Vena cephalica zur Vena basilica. Verlauf der Beinvenen Tiefe Beinvenen E.2.3.2.5.1. Verlauf: Vena tibialis anterior/ posterior/ Vena fibularis Vena poplitea Vena femoralis Vena iliaca externa Vena iliaca communis Vena cava inferior Oberflächliche Beinvenen Die Vena saphena parva bekommt das venöse Blut vom dorsalen oberflächlichen Unterschenkelbereich und mündet in die Vena poplitea. Die Vena saphena magna bekommt das venöse Blut vom gesamten oberflächlichen Bereich der unteren Extremität und mündet in die Vena femoralis. Zwischen den oberflächlichen und tiefen Beinvenen verlaufen die Perforansvenen (Venae perforantes) von oberflächlich nach tief. Blutdruck und Kreislaufregulation (Blutdruckregulation) Der Blutdruck ist der Druck, den das Blut auf die Gefäßwände ausübt. Systolischer Blutdruck wird bestimmt und beeinflusst von der Kontraktionskraft der linken Herzkammer (ca. 130 mmHg). Diastolischer Blutdruck ist der Druck des Blutes auf die Gefäßwand, wenn die Arotenklappe geschlossen ist und die linke Kammer wieder gefüllt wird (ca. 80 mmHg). Der Blutdruck ist abhängig von: Herzmuskelkraft bzw. Herztätigkeit mit verändertem Herzminutenvolumen Widerstand der peripheren Arterien (TPR = totaler peripherer Widerstand) durch Kontraktion der Arteriolen (hoher peripherer Widerstand) bzw. Erweiterung der Arteriolen (niedriger peripherer Widerstand) Blutvolumen mit Regulationsmöglichkeit über die Niere Aufgabe des Kreislaufs ist, die Mindestdurchblutung aller Organe zu gewährleisten, die Herzleistung und den Blutdruck an die jeweilige Situation anzupassen und aktive Organe auf Kosten der ruhenden besser zu versorgen. Regulationsmechanismen des Blutdrucks sind: Arterielle Barorezeptoren (Druckrezeptoren) in der Wand des Aortenbogens und des Karotissinus (Erweiterung an der Teilungsstelle der Halsschlagader in äußere und innere Halsschlagader) geben als Messfühler Information über den Blutdruck zum Kreislaufzentrum in der Medulla oblongata (verlängertes Rückenmark). Venöse Barorezeptoren (Dehnungsrezeptoren) des rechten Herzvorhofs reagieren auf Veränderungen des Blutvolumens. Bei Hypervolämie (Vermehrung des Blutvolumens) reagieren die venösen Barorezeptoren und führen zu Ausschüttung des ANP (Atriales natriuretisches Peptid) in den Herzmuskelzellen. Wirkung: Verstärkte Natriumausscheidung in den Nieren. © Arpana Tjard Holler (Autor) 136 Herz . Hemmung der Renin-Ausschüttung und damit Hemmung des RAAS. Hemmung der Ausschüttung von ADH im Hypophysenhinterlappen. Hemmung des Durstgefühls im Hypothalamus. Vasodilatation der Gefäße mit Erniedrigung des Blutdruckes. Eigenregulation der Niere durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS). Nervale Regulation des Hypothalamus mittels Sympathikus und Parasympathikus. Lokale Regulationsmechanismen sind Stoffe, die von Abwehrzellen oder Gewebsmastzellen ausgeschüttet werden können. Histamin, Bradykinin (Gefäßerweiterung) Serotonin (Gefäßverengung) Alter Neugeborene Säuglinge Kinder bis 10 Jahre Blutdrücke für Kinder Systolischer Blutdruck 60-85 mmHg 80-90 mmHg 90-100 mmHg Diastolischer Blutdruck Nicht feststellbar 60 mmHg 60-70 mmHg Untersuchungsmethoden Blutdruckmessung nach Riva-Rocci (RR) Gemessen wird in mm Quecksilbersäule (= mmHg). Benutzt wird eine aufblasbare Gummimanschette mit Manometer beim liegenden oder sitzenden Patienten am Oberarm (3 cm über der Ellenbeuge), wobei der Ellenbogen sich ungefähr auf Höhe des Herzens befinden soll. Die Manschette wird aufgepumpt bis der Puls an der A. radialis nicht mehr tastbar ist und dann noch 30 mmHg über diesen Druck. Langsames Ablassen des Manschettendruckes (ca. 3 mmHg/sek.) und dabei gleichzeitig Auskultation der Arterie in der Ellenbeuge (Arteria cubitalis). Beim ersten hörbaren Geräusch (Korotkow-Ton) zeigt das Manometer den systolischen Blutdruck an. Der diastolische Wert wird abgelesen, wenn das Geräusch ganz verschwindet. Wichtig bei der Blutdruckmessung (Fehlerquellen)! Eine Blutdruckmessung muss mindestens drei Mal die Woche erfolgen. Bei Erstdiagnostik immer an beiden Armen messen. Bei Verwendung einer normalen Blutdruckmanschette bei sehr dicken Personen können zu hohe Werte gemessen werden. Eine zu breite Manschette führt zu falsch niedrigen Werten (Druck = Kraft geteilt durch Fläche). Vor der Blutdruckmessung muss eine Ruhephase erfolgt sein. Eine zu locker angelegte Manschette führt fälschlicherweise zu hoch gemessen Werten. Eine mögliche Fehlerquelle bei der Blutdruckmessung ist die sog. auskultatorische Lücke: Beim Ablassen der Luft aus der Blutdruckmanschette kann der Korotkow-Ton vorrübergehend so leise werden, dass man ihn fälschlicherweise als den diastolischen Druck annimmt oder man bläst die Blutdruckmanschette (z.B. bei Bluthochdruck-patienten) zu gering auf. Dann kann es sein, dass man genau die Lücke trifft und den ersten Ton als systolischen Blutdruck falsch erkennt. Kontraindikationen Herz . 137 Eine Blutdruckmessung ist nicht angebracht bei: Arterielle oder venöse Zugänge Dialyseshunt Lymphödem Lähmung des betroffenen Arms Erhebliche Verletzungen des betroffenen Arms Nach Resektion von axillären Lymphknoten Pulstastung Der Puls ist die tastbare durch den systolischen Blutauswurf des Herzens entstehende arterielle Druckwelle. Sie gibt Auskunft über: Herzfrequenz Stärke des Blutdruckes Durchgängigkeit von Arterien Puls ist während der Einatmung schneller, bei der Ausatmung langsamer. Pulsqualitäten Die Beurteilung der Pulsqualität kann bei der Erstanamnese zu einer Verdachtsdiagnose führen. Pulsqualität bezüglich der Frequenz: Pulsus frequens: > 100 Schläge/min, z.B. bei Schock, Fieber u.a. Pulsus rarus: < 50 Schläge/ min, z.B. bei Digitalisintoxikation Pulsqualität bezüglich der Regelmäßigkeit: Pulsus regularis: nicht arrhythmischer Puls, Normalbefund Pulsus irregularis: arrhythmischer Puls, Arrhythmie. Pulsqualität bezüglich der Unterdrückbarkeit Pulsus durus: harter Puls bei hohem systolischen Blutdruck, z.B. bei Aortenklappeninsuffizienz Pulsus mollis: weicher Puls bei niedrigem systolischen Blutdruck Pulsqualität bezüglich der Amplitudengröße Pulsus altus (Pulsus magnus): hoher Puls, große Blutdruck-Amplitude, z.B. Hyperthyreose, Aorteninsuffizienz Pulsus parvus: niedrige Blutdruck-Amplitude, z.B. Aortenstenose, Mitralstenose Pulsqualität bezüglich der Geschwindigkeit der Pulswelle Pulsus celer: schnell ansteigende Pulswelle, z.B. Aorteninsuffizienz Pulsus tardus: langsam ansteigende Pulswelle, z.B. Aortenstenose, Mitralstenose, Perikarditis Weitere klinisch relevante Pulsqualitäten: Pulsus celer et altus et durus: Sog. Wasserhammerpuls, schnell – hoch – hart, typisch bei Aortenklappeninsuffizienz Pulsus tardus et parvus et mollis: Langsamer, kleiner und weicher Puls, typisch bei Aortenklappenstenose Pulsus bigeminus (Bigeminie): Sog. Doppelschlägigkeit, regelmäßiger Wechsel zwischen hartem und weichem Puls, nach einer Herzaktion erfolgt eine Extrasystole, z.B. bei Digitalisintoxikation Pulsus trigeminus (Trigeminie): Nach zwei normalen Sinusschlägen erfolgt eine Extrasystole Pulsus alternans: abwechselnd starker und schwacher Puls, z.B. Herzinsuffizienz © Arpana Tjard Holler (Autor) 138 Herz . Pulsus differens: Pulse sind rechts und links unterschiedlich, z.B. bei Aortenisthmusstenose, Arteriosklerose, Aneurysma Pulsus filiformis: sehr dünner Puls, schlecht wahrnehmbar, bei Schock oder Kreislaufzusammenbruch Herz . 139 Wichtige Palpationsstellen für Pulse neben der Arteria radialis: Arteria brachialis (Oberarmarterie): Innenseite Oberarm, zwischen Bizeps und Humerus, am besten ulnar im Bereich des Ellenbogengelenks Arteria axillaris (Axelarterie): Mitte der Achselhöhle. Arteria subclavia (Schlüsselbeinarterie) Arteria carotis communis (Halsschlagader): Vor dem Kopfwender (M. sternocleidomastoideus) auf Höhe des Kehlkopfes. Arteria temporalis (Schläfenarterie) Aorta abdominalis (Bauchaorta): Bei liegenden Personen mit angewinkelten Beinen unterhalb des Nabels etwas links der Mittellinie. Arteria femoralis (Oberschenkelarterie): Am liegenden Patienten kurz unterhalb der Mitte des Leistenbandes. Arteria poplitea (Kniekehlen-Arterie): Tief in der Mitte der Kniekehle. Arteria tibialis posterior (hintere Schienbeinarterie): Zwischen dem inneren Knöchel und Achillessehne. Arteria dorsalis pedis (Fußrücken-Arterie): Auf dem Fußrücken zwischen den Sehnen der 1. und 2. Zehe. Pulsmessung immer seitenvergleichend vornehmen! Kreislauffunktionsprüfungen Schellong-Test Der Schellong-Test gibt Auskunft über hypotone Kreislaufstörungen (orthostatische Hypotonie). Zuerst wird im Liegen Blutdruck und Frequenz gemessen und dann im Stehen. Normale Reaktion ist eine leichte Zunahme der Pulsfrequenz bei zunächst gleichbleibendem oder nur leicht absinkendem systolischen Blutdruck (max. 10-15 mmHg), während der diastolische Blutdruck unverändert bleibt oder nur leicht ansteigt. Bei der orthostatischen Hypotonie kommt es zum Abfall des systolischen Blutdruckwertes mit Abnahme der Blutdruckamplitude und einer erhöhten Pulsfrequenz. Ratschow-Test (Lagerungsprobe) Der Ratschow-Test dient zur Erkennung arterieller peripherer Durchblutungsstörungen (pAVK) in den unteren Extremitäten. Patient liegt auf dem Rücken und hebt die Beine senkrecht nach oben. Jetzt lässt er die Füße möglichst so lange kreisen, bis Schmerzen ihn zwingen anzuhalten. Beim anschließenden Sitzen kommt es nach wenigen Sekunden zu einer deutlichen Rötung der Füße. Pathologische Zeichen: Abblassen der Hautfarbe und auftretende Schmerzen. Beim Herabhängen der Beine tritt eine Durchblutung mit vermehrter Rötung verspätet auf, ebenso die anschließende Venenfüllung. Faustschlussprobe Die Faustschlussprobe dient zur Erkennung arterieller Durchblutungsstörungen in der oberen Extremität. Patient hebt die Arme senkrecht hoch und öffnet und schließt die Fäuste innerhalb von 2 Minuten ca. 60mal. Pathologische Zeichen: Während der Übung kommt es zu einem meist fleckförmigen Abblassen der Finger und der Handinnenfläche. Beim Herablassen der Hände tritt eine vermehrte Durchblutung und die anschließende Venenfüllung verspätet auf. © Arpana Tjard Holler (Autor) 140 Herz . Gehtest Der Gehtst dient zur Erkennung von schweren arteriellen Durchblutungsstörungen in den Beinen (Claudicatio intermittens). Patient wird aufgefordert bei forscher Schrittfolge eine Gehstrecke von mindestens 200 m zu bewältigen. Pathologische Zeichen: Starke Schmerzen, die ihn am Weitergehen hindern. Untersuchungen bei Verdacht auf chronisch venöse Insuffizienz Zur Diagnostik einer chronischen Veneninsuffizienz sind zwei Untersuchung bedeutsam: Perthes-Test (Perthes-Versuch) Test zur Prüfung einer Klappeninsuffizienz der tiefen Beinvenen bzw. der Perforansvenen (Verbindungsvenen zwischen den oberflächlichen und tiefen Beinvenen). Durchführung: Anlegen einer Staubinde am Oberschenkel oberhalb der oberflächlichen Krampfadern bzw. unterhalb der Mündungsstelle der Vena saphena magna in die Oberschenkelvene (Vena femoralis). Dadurch kommt es zur prallen Füllung der Varizen. Der Patient wird dann aufgefordert 5 Minuten umherzugehen Beurteilung: Werden die vorher prall gefüllten Venen durch das Umhergehen (Muskelpumpe) leer gepumpt, ist keine Klappeninsuffizienz der Perforans- und tiefen Beinvenen gegeben bzw. sind diese frei durchgängig (Fluss des venösen Blutes erfolgt von den oberflächlichen Venen über die Perforansvenen in die tiefen Beinvenen). Die Varizen müssen dann durch eine Klappeninsuffizienz der oberflächlichen Beinvenen bedingt sein. Erfolgt durch das Umherlaufen keine Entleerung der sichtbaren Krampfadern, muss eine Klappeninsuffizienz der Verbindungsvenen bzw. der tiefen Beinvenen angenommen werden. Trendelenburg-Test Test zur Prüfung einer Klappeninsuffizienz der tiefen Beinvenen bzw. der Perforansvenen. Durchführung: Am liegenden Patienten wird das betroffene Bein hochgelagert, um die Varizen leer laufen zu lassen. Nicht leer gelaufene Varizen werden ausgestrichen. Dann wird eine Staubinde am Oberschenkel an der Leiste angelegt. Der Patient wird aufgefordert sich hinzustellen. Dabei wird beobachtet wie rasch sich die oberflächlichen Venen wieder füllen. Die Staubinde bleibt angelegt. Beurteilung: Trendelenburg negativ: Von der Peripherie ausgehende allmähliche Füllung der oberflächlichen Venen und nach Lösung der Stauung nicht mehr zusätzlich. Trendelenburg positiv: Kommt es noch während der Stauung innerhalb von 20 Sekunden zur Venenfüllung liegt eine Klappeninsuffizienz der Perforansvenen vor. Das Blut aus den tiefen Beinvenen fließt entgegen der physiologischen Richtung über die Perforansvenen in die oberflächlichen Venen ab. Trendelenburg doppelt positiv: Kommt es nach Lösung der Stauung zur raschen Venenfüllung von proximal nach distal (in Richtung Fuß) liegt eine Klappeninsuffizienz der Vena saphena vor. Herz-Kreislauf Pathologie 141 Herz-Kreislauf Pathologie Erkrankungen des Herzens .................................................................................................................. 143 Erkrankungen des Kreislaufs ............................................................................................................... 162 E.4.2.4.1.1.Thrombangiitis obliterans (Endangiitis obliterans, Winiwarter-Buerger- Krankheit) . 171 © Arpana Tjard Holler (Autor) 142 Herz-Kreislauf Pathologie Herz-Kreislauf Pathologie 143 Erkrankungen des Herzens Koronare Herzkrankheiten (KHK) Def: KHK bezeichnet eine ungenügende Durchblutung der Herzkranzgefäße (Koronarinsuffizienz). Dadurch entsteht ein Missverhältnis zwischen dem Sauerstoffangebot im Blut und dem Sauerstoffbedarf im Herzmuskel. Urs: Arteriosklerose bzw. Koronarsklerose Krampf der Herzkranzgefäße (Koronarspasmus) Entzündungen der Herzkranzgefäße Geringes Sauerstoffangebot (Anämie, Lungenerkrankungen) Sym: Mögliche Folgen von KHK sind: Angina pectoris Herzinfarkt Herzinsuffizienz Herzrhythmusstörungen Angina pectoris (Herzenge, Stenokardie) Def: Akute vorübergehende Sauerstoffunterversorgung des Herzens mit plötzlich einsetzenden Schmerzen im Brustkorb. Urs: Am häufigsten in der Folge arteriosklerotischer Prozesse Auch im Rahmen von Herzklappenfehlern möglich (z.B. Aortenklappenfehler). Anfall kann ausgelöst werden durch: Körperliche Anstrengung Psychische Stresssituation Temperaturwechsel, Kälte, extreme Wetteränderung Große, fettreiche Mahlzeit Aufenthalt in großen Höhen Die vasospastische Angina (Prinzmetal-Angina) gilt als Sonderform. Es handelt sich um einen Koronarspasmus, welcher anfallartig meist in Ruhe auftritt. Diese Patienten haben kerngesunde Herzen! Pat: Der Angina pectoris-Anfall gilt als Leitsymptom einer Koronarverengung. Er ist nicht als Zeichen einer beginnenden KHK, sondern meist als Vorbote eines Herzinfarktes zusehen. Aber nur die Hälfte der Patienten mit Verengungen der Herzkranzgefäße entwickeln Angina pectoris-Beschwerden. Unterscheidung der Angina pectoris-Formen: Stabile Angina pectoris. Entsteht regelmäßig durch bestimmte Mechanismen (z.B. körperliche Belastung, reichliche Mahlzeit, Kälte) und ist gut mit Nitroglycerin therapierbar. Instabile Angina pectoris. Zeichnet sich durch zunehmende Schwere, Dauer und Häufigkeit aus. Ist nicht gut mit Nitroglycerin therapierbar. Meist bestehen nächtliche Anfälle mit Ruheschmerzen, gilt als akutes Herzinfarktrisiko. Sym.: Retrosternale drückende Empfindung, evtl. ein Ziehen, welche immer nur von kurzer Dauer sind. Ausstrahlung typischerweise in die linke Schulter und in den linken Arm, aber auch Oberbauchbeschwerden (Blähungen, Sodbrennen). © Arpana Tjard Holler (Autor) 144 Herz-Kreislauf Pathologie The: Abklingen der Beschwerden nach Einnahme von Nitroglyzerin sublingual. Sauerstoffbedarf vermindern und Sauerstoffzufuhr erhöhen. Während des Anfalls: Nitroglyzerin (Kapseln und Spray), nur bei konstantem systolischem Blutdruck über 100 mmHg (sonst Gefahr auf akutes Nieren-versagen). Medikamente über längeren Zeitraum: Betablocker Acetylsalicylsäure (ASS) Herzinfarkt (Myokardinfarkt) Def.: Absterben von Herzmuskelgewebe (Myokardnekrose) aufgrund einer verminderten Durchblutung in den Herzkranzgefäßen. Urs.: Koronarsklerose. Zu den Risikogruppen gehören: Menschen mit Arteriosklerose Menschen mit Bluthochdruck Raucher Missverhältnis der Blutfettwerte (Dyslipidämie): Cholesterin gesamt erhöht (Hypercholesterinämie); HDL erniedrigt, LDL erhöht; evtl. auch Triglyzeride erhöht. Menschen mit Adipositas Menschen mit Diabetes mellitus Embolie Pat.: Je nach Lage Hinterwandinfarkt (überwiegend die linke Kammer; am häufigsten) oder Vorderwandinfarkt (überwiegend die rechte Kammer). Das Ausmaß des Herzinfarktes hängt davon ab, wie groß das Gebiet ist, das die unterbrochene Arterie zu versorgen hatte. 20% der Infarkte verlaufen stumm, ohne Symptomatik! Häufig treten Infarkte in den Morgenstunden auf. Sym.: Länger anhaltender Schmerz, welcher nicht besser wird bei Einnahme von Nitroglyzerin (nitratresistent). Schmerzausstrahlung typischerweise in die linke Schulter und in den linken Arm (Kleinfingerseite), aber auch möglich in den rechten Arm, Hals, Kiefer und Oberbauch (evtl. akutes Abdomen, Bauchschmerzen, Sodbrennen). Vernichtungsschmerz mit Todesangst Symptomatik kann auch nur sehr gering sein, z.B. nur Oberbauchschmerzen Vegetative Begleitsymptomatik wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, kalter Schweiß, Blässe, Kältegefühl Schocksymptome (Tachykardie, Blutdruckabfall) Evtl. Rasselgeräusche über der Lunge (Lungenödem) Evtl. gestaute Halsvenen (akute Rechtsherzinsuffizienz) Evtl. leichtes Fieber nach 1-2 Tagen; beim Zerfall körpereigener Eiweiße werden pyogene (fiebererzeugende) Stoffe frei. Der Blutdruck kann am Anfang normal oder erhöht sein, im weiteren Verlauf muss mit einem sinkenden Blutdruck gerechnet werden. Lab.: Leukozytose mit Linksverschiebung BSG Charakteristischer Anstieg von Enzymen im Blut. Herzspezifisches Troponin-T (Schnelltest, in ca. 1 Minute) Herzspezifische CK (CK-MB) Myoglobin (Muskelfarbstoff) Herz-Kreislauf Pathologie 145 Gesamt-CK (Creatin-Kinase) GOT (Glutamat-Oxalazetat-Transaminase) LDH (Laktat-Dehydrogenase) EKG zeigt die Infarktgröße und die Lokalisation an (nach 1-2 Tagen) Bei einem Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt sind i.m.-Injektionen streng kontraindiziert, weil in der Regel eine Lysetherapie erfolgt. Infolge der Lysetherapie kann eine i.m.-Injektion zu starken Einblutungen ins Gewebe führen. Kom.: Gefahr eines Herztodes innerhalb der ersten 24 Stunden am größten. Kardiogener Schock (Hypotonie, Tachykardie; Schockindex > 1) Herzrhythmusstörungen: Kammerflimmern (oft Todesursache), Vorhofflimmern mit absoluter Tachyarrhythmie, AV-Blockierung Akute Linksherzinsuffizienz mit daraus resultierendem Lungenödem Papillarmuskelriss mit Insuffizienz einer Segelklappe Kammerseptumdefekt mit Links-Rechts-Shunt Herzwandruptur mit Bluteintritt in den Herzbeutel, Perikarditis, Perikarderguss Entstehung von Embolien Reinfarkt: Auftreten eines zweiten Herzinfarktes nach 24 Stunden The: Notarzt rufen Wichtig: Beruhigen, um eine weitere Adrenalinausschüttung zu verhindern! Oberkörper etwas aufrichten und die Beine waagerecht oder leicht nach unten legen (Herzbettlagerung Wenn möglich venösen Zugang legen, minimal laufen lassen Keine i.m. Spritzen geben (wg. CK - Verfälschung) Vitalparameter regelmäßig bis zum Eintreffen des Notarztes überprüfen Wenn möglich Sauerstoffgabe (5-6 l/min) DD: Herz: Angina pectoris, Myokarditis, Perikarditis Herzneurose (Ausschlussdiagnose) Lunge: Lungenembolie, Pleuritis sicca, Ventilpneumothorax Ösophagus: Refluxkrankheit Abdomen: Akute Pankreatitis, Ulkus ventriculi und duodeni (v.a. Perforation), Cholelithiasis (Gallensteine), Roemheld-Syndrom Sonstiges: Herpes Zoster (Gürtelrose) Entzündliche Herzerkrankungen Endokarditis Def: Entzündung der Herzinnenhaut, die über narbige Veränderungen an den Herzklappen zu Herzklappenfehlern führen kann. Sie wird infektiös (Bakterien, Viren, Pilze) oder rheumatisch verursacht. Urs: Rheumatische, abakterielle Endokarditis (E. verrucosa) Autoimmunreaktion auf primären Streptokokkeninfekt (beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A). 1-3 Wochen nach Streptokokkeninfekt im oberen Respirationstrakt entsteht durch überschießende immunologische Reaktion das rheumatische Fieber. © Arpana Tjard Holler (Autor) 146 Herz-Kreislauf Pathologie Die Endokarditis ist eine Manifestation des rheumatischen Fiebers am Herzen und tritt bei ca. 50% der Patienten auf. Führt zu Klappenfehler überwiegend an der Mitralklappe (Insuffizienz). Akute bakterielle Endokarditis (E. septica) Direkte Besiedlung von Bakterien (Strepto-, Staphylo-, Enterokokken) an den meist vorgeschädigten Klappen (Mitral- und Aortenklappe) mit Sepsis und schwerem Krankheitsbild. Subakut bakterielle Endokarditis (E. lenta) Langsamer und schleichender Verlauf, schwer zu diagnostizieren. Erreger meist Streptococcus viridans Sym: Rheumatische Endokarditis Fieber Anfallartige Tachykardien, systolisches Geräusch Rhythmusstörungen Polyarthritis Zeichen einer Karditis können fehlen oder sind uncharakteristisch. Akute bakterielle Endokarditis Fieber, Schüttelfrost, Tachykardie, starkes Krankheitsgefühl Splenomegalie (geschwollene Milz) Mikroembolien z.B. an Fingern und Zehen (Osler-Knötchen) Herzgeräusche, je nachdem welche Herzklappe betroffen ist Hämaturie Subakut bakterielle Endokarditis (Endokarditis lenta) Schleichender Verlauf, unklares Fieber, Herzbeschwerden, unspezifische Symptome wie Leistungsminderung, Gewichtsverlust und Nachtschweiß Osler-Knötchen: schmerzhafte, rötliche Knötchen (Entzündung kleinster Gefäße aufgrund einer bakteriellen Mikroembolie) Petechien, Anämie Kardiomyopathie (Myokardiopathie) Def.: Bezeichnung für alle Erkrankungen des Herzmuskels, die nicht durch koronare Herzkrankheit, angeborene und erworbene Herzfehler, Herzbeutelerkrankungen und pulmonaler und arterieller Hypertonie entstehen. Eine dilatative Kardiomyopathie kommt bei chronischen Verläufen vor. Sie entsteht, wenn der Herzmuskel infolge der Erkrankung insuffizient wird und dilatiert. Urs.: Primäre Kardiomyopathie, idiopathisch Sekundäre Kardiomyopathie Infektiöse Myokarditis durch Bakterien (z.B. Streptokokken), Viren (z.B. Influenzaviren, HIV), Protozoen (Toxoplasmose), Pilze, Würmer (Trichinose) Rheumatische Myokarditis Allergisch bedingt (Medikamente, z.B. Sulfonamide) Alkoholabusus (alkoholische Kardiomyopathie) Hormonelle Störungen, z.B. Diabetes mellitus, Hyper- und Hypothyreose, Akromegalie Systemerkrankungen, z.B. Kollagenosen Sym.: anfallartige Tachykardien schon bei der kleinsten Anstrengung Herzrhythmusstörungen, neu auftretendes oder verändertes Herzgeräusch evtl. retrosternales Druckgefühl oder Angina pectoris ähnliche Beschwerden evtl. Fieber, BSG-Erhöhung, Leukozytose Herz-Kreislauf Pathologie 147 evtl. Zeichen einer Herzinsuffizienz (Lungenstauung, venöse Stauungszeichen) EKG-Veränderungen The.: Bettruhe, Grunderkrankung, Antibiotika, Digitalis, Schrittmacher Perikarditis Def.: Entzündung des Herzbeutels Urs: Pat: Häufig sind Herzbeutel und Herzmuskel gleichzeitig betroffen. Infektionen (am häufigsten viral) Autoimmun bedingt (z.B. Kollagenosen, rheumatisches Fieber) Tumore (z.B. Tumor der Lunge) Thoraxtraumen, Bestrahlungen Urämie (harnpflichtige Substanzen entzünden seröse Häute) Nach einem Herzinfarkt Sym.: Perikarditis sicca (trockene Perikarditis) Stechende Schmerzen in der Herzgegend Herzschlagsynchrone Reibegeräusche (Schleifpapiergeräusch) Perikarditis exsudativa (feuchte Perikarditis = Perikarderguss) Flüssigkeitsaustritt in den Perikardspalt (Herzbeuteltamponade). Charakteristische Trias (Beck-Trias): leise Herztöne venöse Stauungszeichen am Hals arterielle Hypotonie, Dyspnoe Herzinsuffizienz (Herzmuskelschwäche) Def: Die Unfähigkeit des Herzens die angebotene Blutmenge vollständig weiter zu befördern. Das Herzzeitvolumen sinkt ab und es kommt zu Stauungserscheinungen vor dem geschwächten Ventrikel. Pat: Kompensative Phase: Die Herzmuskelzellen hypertrophieren (Zelle wird größer) um eine bessere Auswurfleistung zu erreichen. Dekompensative Phase: Durch die Vergrößerung der Herzmuskelzellen verlängert sich die Diffusionsstrecke zwischen Zellen und Herzkranzgefäßen. Sauerstoff- und Nährstoffmangel führt zum Nachlassen der Kontraktionskraft der Herzmuskulatur mit Dilatation und Insuffizienz. Rechtsherzvergrößerung: Verlagerung des Herzspitzenstosses über die Medioklavikularlinie hinaus nach links außen. Linksherzvergrößerung: Verlagerung des Herzspitzenstosses über die Medioklavikularlinie nach links unten. Konservativ Körperliche Schonung des Patienten, sog. Herzlagerung, Patient liegt mit aufgerichtetem Oberkörper und leicht herabhängenden Beinen. Kochsalzarme Diät, kleine Mahlzeiten (fettarm), am Abend möglichst keine Mahlzeiten mehr, Trinkmenge nicht mehr als 1 Liter pro Tag. Submaximales Ausdauertraining für 10 Minuten Gewichtsnormalisierung, Stuhlregulierung © Arpana Tjard Holler (Autor) The.: 148 Herz-Kreislauf Pathologie Herz-Kreislauf Pathologie 149 Medikamentöse Therapie (siehe Kapitel 6) Steigerung der Kontraktionskraft durch Herzglykoside (Digitalispräperate). Senkung der vom Herzen zu pumpenden Blutmenge (sog. Vorlast) durch Diuretika (führt zur vermehrten Urinausscheidung). Verringerung des Förderdruckes (sog. Nachlast) durch ACE-Hemmer (führen zu einer Gefäßerweiterung). Linksherzinsuffizienz Def: Das linke Herz ist nicht mehr in der Lage die angebotene Blutmenge vom Lungenkreislauf in den großen Körperkreislauf zu pumpen. Das Blut staut sich zurück in die Lunge. Pat.: Kompensierte Linksherzinsuffizienz Ein Sauerstoffmangel (unzureichende Durchblutung der Organe) führt zur Ausschüttung von Adrenalin und Aktivierung des RAA-Systems. Die Folge ist eine Zunahme des Blutdrucks und des Blutvolumens, welche wiederum die Vorlast (enddiastolisches Volumen) erhöht und so den Frank-Starling-Mechanismus aktiviert: Durch erhöhte Vordehnung der Herzmuskelfasern kommt es zu einer Verstärkung der Kontraktionskraft (Hypertrophie der Herzmuskelfasern), d.h. zur Erhöhung des Herzzeitvolumens; das Herz wird kräftiger. Dekompensierte Linksherzinsuffizienz Bei dem kritischen Herzgewicht (500gr) sind die Herzmuskelfasern so groß geworden, dass eine ausreichende Versorgung über die Kapillaren nicht mehr gegeben ist (Kapillare wachsen nicht mit). Das Herz erschlafft (Herzdilatation). Urs.: Akute Linksherzinsuffizienz Herzinfarkt Hypertensive Krise (extrem hoher Bluthochdruck) Chronische Linksherzinsuffizienz Endokard: angeborene und erworbene Herzklappenfehler (Endokarditis) Myokard: Herzmuskelentzündung (Myokarditis), Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien), KHK, Herzrhythmusstörungen Perikard: Herzbeutelentzündung (Perikarditis) Außerhalb des Herzens: Hypertonie, Arteriosklerose, Anämie Sym.: Stadien nach NYHA (New York Heart Association) Stadium I: Nachweis einer Herzinsuffizienz durch technische Untersuchung, jedoch keine Beschwerden bei normaler Belastung. Stadium II: Atemnot und Tachykardie bei normaler Belastung. Stadium III: Atemnot und Tachykardie bei leichter Belastung. Stadium IV: Atemnot Tachykardie in Ruhe (Asthma cardiale). Asthma cardiale Klinisches Bild eines Patienten mit Linksherzinsuffizienz, anfallartige, meist nächtliche Atemnot mit Husten und spastischer Verengung der Bronchien, Orthopnoe (Atemnot im Liegen, verbessert sich durch Aufrechtsitzen, Atmung nur in der aufrechten Position möglich), Sputum evtl. durch Blutbeimengung rötlich Die Anzahl der Kissen gibt den Grad der Linksherzinsuffizienz an. Kom.: Lungenödem Stauungspneumonie © Arpana Tjard Holler (Autor) 150 Herz-Kreislauf Pathologie Im weiteren Verlauf Symptome einer Rechtsherzinsuffizienz (Globalinsuffizienz) Rechtsherzinsuffizienz Def: Das rechte Herz kann das venöse Blutangebot nicht mehr vollständig zur Lunge bzw. in den kleinen Kreislauf pumpen. Das Blut staut sich in den großen Körperkreislauf zurück. Urs.: Akute Rechtsherzinsuffizienz Lungenembolie Herzinfarkt (Vorderwandinfarkt) Chronische Rechtsherzinsuffizienz Lungenerkrankungen, die zu einem Abbau von Lungenkapillaren führen (z.B. Lungenemphysem und Lungenfibrosen), nennt sich Cor pulmonale. Klappenfehler (Pulmonalinsuffizienz oder –stenose) KHK, Myokarditis Rezidivierende Lungenembolien Durch gestaute Linksherzinsuffizienz, nennt sich dann jedoch Globalinsuffizienz Cor Pulmonale ist der Ausdruck für eine Rechtsherzinsuffizienz, die als Folge einer Erkrankung in der Lunge entsteht (Emphysem, Lungenfibrosen). Es kommt zum Abbau von Lungenkapillaren, welcher zu einem erhöhten Druck im Lungenkreislauf führt. Die rechte Herzkammer muss gegen den Widerstand anpumpen, hypertrophiert und kann später dann dilatieren. Sym.: Belastungsdyspnoe, Zyanose Gestaute Hals- und Unterzungenvenen (bei erhöhtem Oberkörper) Gefüllte Handrückenvenen beim Hochheben des Armes (Gaertner-Zeichen) Ödeme in den Beinen und am Knöchel Gewichtszunahme infolge ödematöser Aufschwemmung Nykturie (In der Ruhe reicht die Herzleistung aus. Die ins Gewebe ausgetretene Flüssigkeit gelangt nachts wieder in die Gefäße und wird über die Nieren ausgeschieden) Stauungsleber Hepatomegalie (vergrößerte Leber) evtl. Stauungshepatitis Ausbildung eines Pfortaderhochdrucks mit Aszites (Bauchwassersucht), Splenomegalie (vergrößerte Milz), portokavale Anastomosen Umgehungskreisläufe), Stauungsgastritis und Stauungsenteritis mit Malabsorption Stauungsniere mit Eiweiß im Urin (Proteinurie) Pleuraerguss (venöse Entsorgung über Vena cava inferior) Herzvergrößerung Zerebrale Stauungserscheinungen Schlafstörung bei ständiger Müdigkeit Aggressionen od. Depressionen, Gedächtnisschwäche Kopfschmerz (durch Blutfülle) Sehstörungen (im Auge sind gestaute Venen sichtbar) Akustischer Dauerton (Rauschen, Pfeifen) Herz-Kreislauf Pathologie 151 Herzfehler (Herzvitium) Erworbene Herzklappenfehler Erworbene Herzfehler entstehen in der Regel durch rheumatisches Fieber. Meist sind die Klappen des linken Herzens betroffen. Oft treten Symptome eines Herzklappenfehlers erst Jahre oder Jahrzehnte nach der ursächlichen Endokarditis auf. Eine Stenose entsteht durch eine narbige Verziehung in der Herzklappe, eine Insuffizienz durch entzündliche Zerstörungen an den Klappenrändern. Kombinierte Herzklappenfehler weisen pathologische Veränderungen einer Stenose und einer Insuffizienz auf. Taktik mit der das Geräusch (Diastolikum oder Systolikum) zum jeweiligen Herzklappenfehler assoziiert wird: 1. Frage: Was bedeutet die Stenose bzw. Insuffizienz der betroffenen Herzklappe? 1. Antwort: Die betroffene Herzklappe öffnet bzw. schließt nicht richtig. 2. Frage: Wann soll die betroffene Herzklappe öffnen bzw. schließen? 2. Antwort: Die betroffene Herzklappe soll in der Diastole/Systole öffnen bzw. schließen. In der Herzphase in der die betroffene Herzklappe sich öffnet bzw. schließt findet das Geräusch statt. Aortenklappeninsuffizienz Def: Urs: Pat: Die Aortenklappe schließt nicht richtig. Meist rheumatisch erworben (Folge eines Streptokokkeninfekts). Selten angeboren. Während der Diastole fließt ein Teil des Schlagvolumens durch die halboffene Aortenklappe zurück in die linke Kammer (Pendelblut). Dadurch erhöht sich das systolische Schlagvolumen, der linke Herzmuskel vergrößert sich und dilatiert dann später mit den typischen Zeichen einer Linksherzinsuffizienz. Sym.: Große Blutdruckamplitude (z.B. 160/40) mit hohem systolischen und niedrigem diastolischem Wert (Leitsymptom) Pulsierende Karotis (Halsschlagader) Kapillarpuls (festzustellen beim Herunterdrücken eines Fingernagels) Musset-Zeichen (pulssynchrones Kopfnicken; sprich „müsä“) Herzpalpitationen (Palpitatio cordis) Schwindelanfälle beim Aufstehen, Angina pectoris Zeichen einer Linksherzinsuffizienz (Stadium 1-IV) Auskultation: Diastolisches Geräusch im 2. ICR rechts parasternal Bei einer höhergradigen Aortenklappeninsuffizienz kann auch ein systolisches Geräusch zu hören sein. Palpation Herz: Bei Dilatation verlagerter Herzspitzenstoß nach links außen unten Palpation Puls: Pulsus celer et altus et durus (sog. Wasserhammerpuls, schnell – hoch – hart) Aortenklappenstenose (Aortenstenose) Def: Die Aortenklappe öffnet sich nicht richtig. Urs: Meist rheumatisch erworben (Folge eines Streptokokkeninfekts), seltener angeboren, häufiger bei Männern. © Arpana Tjard Holler (Autor) 152 Herz-Kreislauf Pathologie Pat: Das Blut der linken Kammer kann nicht vollständig in die Aorta gepumpt werden. Die linke Kammer muss den erhöhten Austreibungsdruck überwinden, vergrößert sich (hypertrophiert) und dilatiert später. Die Folge ist eine Linksherzinsuffizienz mit Asthma Cardiale. Sym: bei Belastung (infolge fixierten Herzzeitvolumens): plötzliche Atemnot mit Schwindel und schnelle Ermüdbarkeit Synkope (Ohnmachtsanfälle) Angina pectoris-Symptome Herzrhythmusstörungen, plötzlicher Herztod kleine Blutdruckamplitude (100/80) Pulsus tardus et parvus et mollis (langsamer, kleiner und weicher Puls) später Zeichen der dekompensierten Linksherzinsuffizienz. Auskultation Systolikum im 2. ICR parasternal rechts Schwirren über den Karotiden (Halsschlagader) durch Fortleitung des Geräusches 2. leiser Herzton (Klappe geht nicht ganz auf, dadurch beim Schließen ein leiserer Ton) Gespaltener 2. Herzton The: OP, Klappenaufsprengung, Klappenersatz Mitralinsuffizienz (Mitralklappeninsuffizienz) Def: Die Mitralklappe schließt nicht richtig. Urs: Rheumatische Karditis (Folge eines Streptokokkeninfekts), sehr selten angeboren Pat: Das Blut der linken Kammer fließt während der Systole durch die offene Mitralklappe teilweise wieder in den linken Vorhof zurück (Pendelblut). Dadurch kommt es zu einer Volumenbelastung des linken Vorhofs mit der Gefahr auf Herzrhythmusstörungen und Thrombenbildung. Das linke Herz kann den Klappenfehler durch Hypertrophie eine Zeit lang kompensieren und erst später kann es zu den typischen Zeichen einer Linksherzinsuffizienz kommen. Sym: Durch Stase im linken Vorhof: Herzrhythmusstörungen, z.B. Vorhofflimmern, Herzstolpern Thrombenbildung mit arterieller Embolie (häufig Apoplex) Symptome der Linksherzinsuffizienz: Belastungsdyspnoe, später Asthma cardiale (Ruhedyspnoe) Auskultation: Leiser oder nicht hörbarer 1. Herzton 2. Herzton gespalten durch vorzeitigem Schluss der Aortenklappe (linke Herzkammer wird schneller entleert) Systolisches Geräusch (Systolikum) mit Punctum maximum im 5. ICR medioklavikular links Mitralklappenstenose Def: Die Mitralklappe öffnet sich nicht vollständig. Häufigster erworbener Herzfehler. Urs: Fast immer rheumatische Karditis, die sich als Folge eines Streptokokkeninfekts in der Kindheit entwickelt. Herz-Kreislauf Pathologie 153 Pat: Die Verengung der Mitralklappe bewirkt: eine Verminderung der Auswurfleistung des linken Ventrikels (keine Hypertrophie des linken Herzmuskels), einen Blutstau im linken Vorhof (erst Hypertrophie, dann Dilatation) mit Gefahr auf Herzrhythmusstörungen und Bildung von Embolien, einen Rückstau über die V. Pulmonalis in den Lungenkreislauf mit Lungenstauung (Asthma kardiale) und Lungenödem. Sym: Herzrhythmusstörungen als Folge der Erweiterung des linken Vorhofs (z.B. Vorhofflimmern) Belastungsdyspnoe, Husten, Asthma cardiale als Folge der Lungenstauung, Hämatemesis (Bluthusten) Typisch bläulich rote Wangen (sog. Mitralgesicht), Lippenzyanose, Hautblässe Niedriger arterieller Blutdruck Auskultation: Paukender 1. Herzton (entsteht durch die verdichtete und weniger mobile Herzklappe) Diastolikum mit Punctum maximum im 5. ICR medioklavikular Mitralöffnungston (Abk. MÖT): Öffnungston der Mitralklappe zwischen dem zweiten und ersten Herzton. Dieser entsteht dann, wenn der Vorhofdruck den Kammerdruck übersteigt und dadurch die Segelklappe früher als normal aufgeht. Kom: Lungenödem Rechtsherzinsuffizienz mit Venenstauung, Ödemen, Leberstauung Arterielle Thromboembolie, meist Hirnembolie (Gehirnschlag) Mitralklappenprolaps Syn: Mitralklappenprolaps-Syndrom, Mitralprolaps, Klick-Syndrom. Def: Ballonartige Vorwölbung der Mitralsegel in den linken Vorhof während der Systole. Urs: Angeboren Erworben, z.B. im Rahmen einer koronaren Herzkrankheit, nach Herzinfarkt oder idiopathisch Sym: Meist beschwerdefrei Seltener Herzstechen, Herzrhythmusstörungen, Dyspnoe, Schwindel EKG in der Regel normal Auskultation: spätsystolischer Klick, welcher von der Körperlage abhängen kann Diagnose i.d.R. durch Echokardiographie (Ultraschalluntersuchung des Herzens) Angeborene Herzfehler Urs: Angeborene Herzfehler entstehen überwiegend durch äußere Einflüsse während des ersten Schwangerschaftsdrittel, z.B. durch: Infektionen der Mutter (Röteln!) Sauerstoffmangel des Embryos Strahlenschäden Medikamente (Zytostatika, Immunsuppressiva) Alkoholmissbrauch der Mutter Diabetes mellitus der Mutter Ungefähr 1% der Neugeborenen weisen einen Herzfehler auf! © Arpana Tjard Holler (Autor) 154 Herz-Kreislauf Pathologie Vorhofseptumdefekt Def: Offen gebliebenes Foramen ovale in der Vorhofseptumwand zwischen rechtem und linkem Herzen. Pat: Defekt (sog. Shunt) führt zum Blutübertritt vom linken zum rechen Vorhof da der Blutdruck links höher ist als rechts. Dadurch kommt es zu einer Druckerhöhung im Lungenkreislauf (pulmonale Hypertonie) und zu einer Mehrbelastung des rechten Herzens mit Hypertrophie und Dilatation (Rechtsherzinsuffizienz) Die Ventrikelhypertrophie prägt sich erst in der Pubertät aus. Sym: Die Menge des Shunt-Blutes bestimmt die klinischen Beschwerden: Meist ist das Shuntvolumen eher gering und daher oft lange beschwerdefrei. kleiner, zierlicher Körperbau meist erst zw. 20-30 Jahren Leistungsminderung, Atemnot in der Kindheit evtl. vermehrt Bronchitiden bzw. Pneumonien später Zeichen einer Rechtsherzinsuffizienz Herzbuckel (vergrößertes rechtes Herz) bei großen Defekten Ventrikelseptumdefekt Def: Loch in der Trennwand zwischen rechter und linker Kammer. Sym: Sind je nach Ausmaß des Defektes unterschiedlich. Bei kleinen Defekten: Beschwerdefreiheit, aber systolisches Herzgeräusch Pressstrahlgeräusche im 3. ICR links parasternal) (sog. Bei mittleren Defekten: Belastungsdyspnoe, Leistungsminderung, Neigung zu Bronchititiden und Pneumonien Bei großen Defekten zusätzlich: Fehl- und Unterentwicklungen des Säuglings, Herzbuckel Zeichen einer Herzinsuffizienz Offener Ductus Botalli (persistierender Duktus arteriosus) Def: Offenbleiben der fetalen Verbindung zwischen der Aorta und der Pulmonalarterie, die sich in der Regel innerhalb der ersten drei Wochen schließt. Pat: Durch den Druck in der Aorta fließt das arterielle Blut über den Ductus Botalli zurück in die A. pulmonalis und gelangt erneut in die Lunge. Es kommt zu einer Mehrbelastung des linken Herzens (Hypertrophie) und später zu einer Überbelastung des rechten Herzens, aufgrund des Lungenhochdrucks. Sym: oft lange beschwerdefrei Belastungsdyspnoe leichte Entwicklungsstörung und Verzögerung pulmonale Infekte große Blutdruckamplitude mit erniedrigtem diastolischen Wert Herzgeräusche konstant im 2. ICR links parasternal zu hören (Lokomotivgeräusch), oft auch palpatorisches Schwirren später Links- und Rechtsherzinsuffizienz Herz-Kreislauf Pathologie 155 Fallot-Tetralogie (Morbus Fallot) Def: Die Fallotsche Tetralogie ist eine Kombination von vier Herzfehlern. Pulmonalstenose Rechtsherzhypertrophie schon beim Fötus Kammerseptumdefekt “Reitende Aorta“, die Aorta ist nach rechts verlagert und reitet über dem Ventrikelseptumdefekt. Pat: Durch die Pulmonalklappenstenose ist der Druck in der rechten Kammer größer als in der linken Kammer. Es kommt zum Rechts-Links-Shunt, wodurch ein Teil des Blutes den Lungenkreislauf umgeht. Folge ist eine Zyanose und eine Sauerstoffminderversorgung. Sym: Von Geburt an bestehende Zyanose als Leitsymptom ("blue Babys") Polyglobulie (kompensatorische Vermehrung der roten Blutkörperchen) und aufgrund dessen Gefahr auf Embolien Häufig sog. Hockerstellung, erhöht den Widerstand im Körperkreislauf und führt somit zu einer gesteigerten Lungendurchblutung. körperliche Leistungsminderung Körperliche Wachstumsstörung (z.B. Trommelschlägelfinger und Uhrglasnägel) Krampf- und Ohnmachtsanfälle infolge mangelnder Durchblutung des Gehirns Auskultation: Lautes systolisches Geräusch im 2. ICR links parasternal Aortenisthmusstenose Def: Angeborene Verengung der Aorta unterschiedlichen Ausmaßes, meist nach der Abzweigung der drei großen Gefäße für Kopf und Arme (Truncus brachiocephalicus, A. carotis communis sinistra und A. subclavia sinistra) Pat: Es kommt zu einer erhöhten Durchblutung von Kopf und Armen und zu einer Minderdurchblutung der unteren Körperhälfte. Sym: Bluthochdruck, Hypertonie in den Armen und im Kopf warme Hände harter Puls der A. radialis Kopfschmerzen, Schwindel, Nasenbluten Hypotonie im Bauch und Beinen kalte Füße fehlender oder schwacher Puls der A. femoralis und der Fußpulse schwache Beine mit geringer Leistungsfähigkeit Bei einer Hypoplasie des Aortenbogens entsteht eine Verengung zwischen der linken gemeinsamen Halsschlagader (A. carotis communis sinistra) und der linken Schlüsselbeinschlagader (A. subclavia sinistra) und somit ein deutlich unterschiedlicher Blutdruck in den beiden Armen Blutdruck im linken Arm normal bzw. erniedrigt Auskultation: Systolisches Geräusch im 2. ICR parasternal links Kom: Arteriosklerose Aneurysma mit Gefahr auf Ruptur (Riss, Zerreißen) Linksherzinsuffizienz Gehirnschlag (Apoplexie) © Arpana Tjard Holler (Autor) 156 Herz-Kreislauf Pathologie Herzrhythmusstörungen Def: Herzrhythmusstörungen sind Abweichungen der Herzaktion von der normalen Herzfrequenz. Pat: Generell lassen sich die Rhythmusstörungen nach drei Gesichtspunkten unterteilen: Anhand der Frequenz in Bradykardie und Tachykardie. Anhand der Lokalisation in ventrikuläre (in der Kammer gelegene) und supraventrikuläre (oberhalb der Kammer gelegene) Herzrhythmusstörungen. Anhand der Entwicklung in Reizbildungsstörungen und Reizleitungsstörungen. Urs: Idiopathisch Erkrankungen am Herzen (z.B. KHK, Entzündungen, Klappenfehler) Erkrankungen außerhalb des Herzens (z.B. Schilddrüsenüberfunktion, Hyper- bzw. Hypokaliämie, Medikamente, psychisch bedingt) Physiologisch bei körperlicher Anstrengung, Aufregung, Fieber, Genussmittel Herzrhythmusstörungen kommen auch beim Gesunden vor. Herzrhythmusstörungen bedürfen einer genauen Abklärung des Facharztes. Das entscheidende diagnostische Mittel dafür ist das EKG. Reizbildungsstörungen (Erregungsbildungsstörungen) Def: Durch eine pathologische Reizbildung hervorgerufene Herzrhythmusstörungen. Bradykardie Def: Herzfrequenz unter 60 Schläge die Minute. Urs: Physiologisch bei gut trainierten Personen evtl. im Schlaf Idiopathisch Arteriosklerotische Störung im Reizleitungssystem (KHK) Totaler AV-Block Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) Unterkühlung Intoxikationen (Vergiftungen Medikamentös (z.B. Digitalis) Hirndrucksteigerung Sym: Beschwerden erst bei einer Herzfrequenz unter 40 Schwindel, Augenflimmern, Wolkensehen, Kopfschmerz, Ohnmacht Relative Bradykardie tritt auf, wenn trotz einsetzendem Fieber die Herzfrequenz nicht mitsteigt (z.B. bei Typhus abdominalis, Ornithose, Morbus Bang). Gewöhnlich steigt der Frequenz um 10 Schläge bei Erhöhung um 1 °C. Tachykardie Def: Herzfrequenz über 100 Schläge die Minute. Urs: Körperliche Belastung, Aufregung, Genussmittel Vegetative Fehlregulation (psychisch, Herzneurose, erhöhter Sympathikotonus), idiopathisch Hypertonie, hypertensive Krise Hormonelle Erkrankungen (z.B. Schilddrüsenüberfunktion, Phäochromozytom) Herz-Kreislauf Pathologie 157 Herzerkrankungen (z.B. Myokarditis, Perikarditis, KHK, Herzinsuffizienz, Klappenfehler) Fieber (10 Schläge pro 1 Grad Celsius) Sauerstoffmangel (z.B. Anämie, Lungenerkrankungen) Kreislaufschock Medikamente Unphysiologisch wird es bei einer Schlagfrequenz ab ca. 180 Schläge pro Minute. Dabei wird mit zunehmender Tachykardie die Kammerfüllung (Diastole) so knapp, dass das Herzzeitvolumen abnimmt und somit die Durchblutung des Körpers herabgesetzt wird. Pat: Abklärung verschiedener Begriffe: Sinustachykardie Bezeichnung für eine Tachykardie, die ihren Ursprung im Sinusknoten hat. Entsteht i.d.R. infolge eines Sauerstoffmangels bzw. eines erhöhten Sauerstoffbedarfs und durch einen erhöhten Sympathikotonus. Ventrikuläre Tachykardie (Kammertachykardie) Bezeichnung für eine Tachykardie, die ihren Ursprung im Herzmuskel der Herzkammer (z.B. Tawara-Schenkel) hat. Diese Kammertachykardie vollzieht sich i.d.R. anfallartig mit einem Puls über 200 und bei normaler Frequenz des Sinusknoten. Die Ursachen können organisch sowie idiopathisch bedingt sein. Supraventrikuläre Tachykardie Bezeichnung für eine Tachykardie, die ihren Ursprung im Bereich der Vorhöfe (oberhalb der Herzkammern) hat. Paroxysmale (supraventrikuläre) Tachykardie Bezeichnung für eine anfallartige (paroxysmale) Pulssteigerung. Sie kann organisch bedingt sein; in der Regel bezeichnet dieser Ausdruck jedoch eine idiopathische Herzrhythmussteigerung ohne Extrasystolen, welche Stunden oder sogar Tage andauern kann und mit vegetativen Symptomen begleitet wird (z.B. Atemnot, Schwindel, Gefühl der Herzenge, Schweißausbruch, Blässe). Therapie: Bulbusdruckversuch (Druck auf die Augäpfel kann zur Herabsetzung der Frequenz führen), Karotissinus-Druckversuch (Druck auf den Karotissinus) Arrhythmien Def: Der Begriff Arrhythmie umfasst alle Abweichung von der herkömmlichen Herzfrequenz (z.B. Tachykardie, Bradykardie, Extrasystolen) und kommt dem Begriff Herzrhythmusstörung sehr nahe. Der Begriff absolute Arrhythmie bezeichnet eine arrhythmische Herzfrequenz, bei der eine Grundfrequenz nicht erkennbar ist. Kommt am häufigsten beim Vorhofflimmern vor. Es besteht die Gefahr von Thromboembolien. Nach dem Ursprung der Rhythmusstörung können die ventrikulären von den supraventrikulären Arrhythmien unterschieden werden. Respiratorische (physiologische) Arrhythmie: Bei der Einatmung ist der Puls schneller als bei der Ausatmung. © Arpana Tjard Holler (Autor) 158 Herz-Kreislauf Pathologie Extrasystolie Def: Bezeichnung für Extraschläge des Herzens, die außerhalb des Grundrhythmus einsetzen und vom Patienten als Herzstolpern wahrgenommen werden. Wenn Extrasystolen zwischen zwei Herzschlägen einsetzen, kommt es häufig zu einer kompensatorischen Pause (Herzstolpern). Der „gesunde“ Reiz des Sinusknoten trifft dann auf ein noch nicht wieder erregbares Herzgewebe (Refraktärzeit) und erst der nächste Reiz führt zur Kammerkontraktion. Extrasystolen lassen sich nach dem Entstehungsort in ventrikuläre und supraventrikuläre Extrasystolen unterscheiden. Pulsdefizit Eine Abweichung in der Pulsfrequenz am Radialispuls (geringer) und am Herzen. Entsteht durch eine frühzeitige Kammersystole mit zu geringem Kammervolumen, um als Pulswelle in der Peripherie gefühlt zu werden. Vorhofflattern / Vorhofflimmern Def: Vorhofflattern bezeichnet eine konstante Vorhofkontraktion mit einer Frequenz von 200 bis 350 des Sinusknoten in der Minute. Vorhofflimmern bezeichnet eine hochfrequente (über 350 Schläge/min) und chaotische Vorhofkontraktion. Urs: Idiopathisch Organische Erkrankungen, z.B. Herzklappenfehler (z.B. Mitralklappenstenose), KHK, Myokarditis, Hypertonie, Schilddrüsenüberfunktion, Intoxikationen (z.B. Digitalisintoxikation) Sym: kann symptomlos sein Herzstolpern, Herzklopfen Blutdruckabfall mit Schweißausbruch, Schwindel, Atemnot und Angst Bewusstseinstrübung, evtl. Pulsdefizit (Abweichung in der Frequenz zwischen fühlbaren Herzschlag und Radialispuls) Kom: Absolute Arrhythmie Thrombenbildung mit Gefahr auf arterieller Embolie (am häufigsten in die zerebralen Gefäße) Kammerflattern / Kammerflimmern Def: Kammerflattern bezeichnet eine (regelmäßige) Kammerkontraktion mit einer Frequenz von 200 bis 350 Herzschlägen in der Minute. Geht häufig in ein Kammerflimmern über. Kammerflimmern bezeichnet eine ungleichmäßige, extrem rasante Kammerkontraktion mit einer Frequenz von über 350 Schlägen die Minute. Urs: Organische Erkrankungen, z.B. KHK, Herzinfarkt, Myokarditis, Herzfehler, hypertensive Krise, Hypo- und Hyperkaliämie, Hyperkalzämie, Medikamente (z.B. Digitalis). Kann sich aus allen Rhythmusstörungen entwickeln. Sym: kein Puls, bewusstlos, Atemstillstand, lichtstarre Pupillen Kammerflattern und –flimmern entspricht einem Kreislaufstillstand. Es handelt sich um einen Notfall. Sofortige Defibrillation! Herz-Kreislauf Pathologie 159 Reizleitungsstörungen (Erregungsleitungsstörungen, Überleitungsstörungen) Def: Störungen in der Weiterleitung der Erregung werden als Herzblock bezeichnet. Ist die Erregungsleitung zwischen Sinusknoten und Vorhofmuskulatur gestört, wird dies SABlock genannt (Sinuatrialer Block), ist die Erregungsleitung zwischen den Vorhöfen und den Kammern gestört, wird dies AV-Block genannt. Urs: Koronare Herzkrankheiten (KHK) Digitalisüberdosierung Herzinfarkt, Myokarditis, Perikarditis, Herzfehler Sym: AV-Block I. Grades Verzögerte Erregungsleitung. Macht keine Symptome, nur im EKG eine verlängerte Überleitungszeit erkennbar (PQ-Zeit) AV-Block II. Grades (partieller Herzblock, Typ Mobitz) Nicht alle Erregungen des Sinusknoten werden an den AV-Knoten weitergeleitet. Es kommt zum Herzstolpern, Blässe und Schwindel. AV-Block III. Grades (totaler Herzblock) Die Überleitung der Vorhoferregung zur Kammer ist vollständig unterbrochen. Der AV-Knoten übernimmt das Kommando und arbeitet völlig unabhängig vom Sinusknoten (Bradykardie). Kom: Adams-Stokes-Anfall (nicht schmerzhaft) Beim totalen Herzblock übernimmt der AV-Knoten nicht sofort die Reizbildung, es kommt zur Asystolie (Kreislaufstillstand). 3-5 Sekunden: Schwindel und Blässe 10-15 Sekunden: Bewusstlosigkeit 20-30 Sekunden: Krämpfe (Fehldiagnose Epilepsie) 30-60 Sekunden: Irreversible Hirnschäden Medikamente bei der Herztherapie Herzglykoside (Digitalis) Sie werden eingesetzt bei dekompensierter Herzinsuffizienz und haben folgende Wirkung: Erhöhung des HZV durch gesteigerte Herzmuskelkraft (positiv inotrop) Senkung der Herzfrequenz (negativ chronotrop) Abnahme der Erregungsleitungsgeschwindigkeit (negativ dromotrop) Zunahme der Erregbarkeit durch Herabsetzung der Reizschwelle (positiv bathmotrop) Unterscheidung der Herzglykoside: Herzglykoside erster Ordnung: Reinsubstanz von Fingerhut und Strophanthus (stark wirksam), wird nicht mehr als Phytotherapeutika gezählt und ist verschreibungspflichtig. Herzglykoside zweiter Ordnung: Digitaloide von Adonisröschen, Maiglöckchen und Meerzwiebel, werden als Phytotherapeutika gezählt und sind nicht verschreibungspflichtig. Herzglykoside besitzen eine geringe therapeutische Bandbreite, daher ist eine Überdosierung mit lebensgefährlichen Symptomen (Kammerflimmern) möglich (Trias): © Arpana Tjard Holler (Autor) 160 Herz-Kreislauf Pathologie Mögliche Nebenwirkungen: Digitalisintoxikation (Notfall!) 1. Herzrhythmusstörungen (90%) Bradykardie bei leichter Intoxikation Tachykardie bis Vorhof- und Kammerflimmern bei schwerer Intoxikation Bigeminus (Zwillingspuls, Doppelschlägigkeit durch Extrasystolen) AV-Block 2. Gastrointestinale Beschwerden (70%) Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle 3. Neurozerebrale Symptome (20%) Augenflimmern, Wolkensehen, Farben-Sehen (bunte Flecken, rotgrün-gelb-Sehen) Verwirrtheit, Reizbarkeit, Nervenschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel Kalzium verstärkt die Digitaliswirkung. Kalium vermindert die Digitaliswirkung. Der Wirkspiegel des Medikamentes im Blut muss regelmäßig gemessen werden, um Überoder Unterdosierung zu vermeiden. Nitropräparate (Nitroglyzerin) Wirkt sofort gefäßerweiternd (vor allem auf die venösen Kapazitätsgefäße) und wird deshalb v.a. bei akutem Angina pectoris-Anfall und als Nachbehandlung bei Herzinfarkt (Verminderung der Vorder- und Nachlast) eingesetzt. Nitroglyzerin darf nur eingesetzt werden, wenn der Blutdruck stabil und mindestens systolisch 110 mmHg beträgt (sonst Gefahr auf akutes Nierenversagen). Nitroglyzerin wird nicht kontinuierlich eingesetzt und ist nicht zugelassen als Behandlung einer hypertensiven Krise. Mögliche Nebenwirkungen: Starker Blutdruckabfall mit akutem Nierenversagen (systolisch ab 60 mmHg) Reaktive Tachykardie Diuretika Diuretika sind harntreibende Medikamente, die zu einer Entwässerung des Gewebes führen. Sie werden häufig verwendet bei Herzinsuffizienz und Hypertonie, außerdem bei nieren(nephrotisches Syndrom) und leberbedingten Ödemen (Leberzirrhose). Es gibt verschiedenste Präparate. Erwähnt seien hier Schleifendiuretika (stark wirkende Diuretika z.B. Furosemid) und Kalium-sparende Diuretika. Mögliche Nebenwirkungen: Hypokaliämie-Syndrom (v.a. bei Schleifendiuretika) mit Alkalose Pseudoglobulie (Bluteindickung) mit Gefahr von Thrombosen Tinnitus (Ohrgeräusche), Fettstoffwechselstörungen, Impotenz, Libidoverlust u.a. ACE-Hemmer Sie wirken blutdrucksenkend, indem sie das Angiotensin Converting Enzym blockierenund somit in das RAA-System (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) eingreifen. Sie gehören zu den Vasodilatatoren und werden bei Hypertonie und Herzinsuffizienz eingesetzt. Mögliche Nebenwirkungen: Zu starker Abfall des Blutdruckes mit Kopfschmerzen, Schwindelanfällen und evtl. Synkope (Ohnmacht) Herz-Kreislauf Pathologie 161 Verschlechterung der Nierenfunktion (v.a. bei vorgeschädigter Niere) Evtl. starker Reizhusten, Geschmacksstörungen, Hautausschläge u.a. Betarezeptorenblocker Betablocker verhindern bzw. hemmen die stimulierende Wirkung von Noradrenalin und Adrenalin, indem sie deren Rezeptoren blockieren, und haben folgende Wirkung: Senkung der Herzfrequenz, Verminderung der Herzmuskelkraft Abnahme der Reizleitungsfähigkeit Abnahme der Erregbarkeit durch Heraufsetzen der Reizschwelle Konstriktion (Verengung der Bronchien und peripheren Gefäße) Verminderung der Glykogenolyse (Abbau des Glykogens wird gehemmt) Sie werden häufig eingesetzt bei Hypertonie, Angina pectoris (KHK), nach Herzinfarkten, Herzrhythmusstörungen, psychosomatischen Angstzuständen (z.B. hyperkinetisches Herzsyndrom), als Migräneprophylaxe, Glaukom in Form von Augentropfen. Mögliche Nebenwirkungen: Herabsetzung der physischen Leistungsfähigkeit, Müdigkeit Atemnot, obstruktive Atemwegerkrankung Durchblutungsstörungen, kalte Hände und Füße, Morbus Raynaud, Claudicatio intermittens, Verschlechterung des klinischen Bildes bei Herzinsuffizienz Bradykardie, Kopfschmerzen, Schwindel, Durchfälle und Erbrechen Kontraindiziert bei chronisch obstruktiver Bronchitis, Asthma bronchiale, Asthma cardiale, Diabetes mellitus, Hypotonie, starke Bradykardie und AV-Block. Ein abruptes Absetzen von Betablockern kann sich lebensbedrohlich auswirken. Kalziumantagonisten (Kalziumkanalblocker) Sie verhindern eine Verengung der Blutgefäße, indem sie den Einstrom von Kalzium in die Muskelzelle hemmen. Es kommt zur Vasodilatation und einer negativen inotropen Wirkung (verminderten Herzmuskelkraft) auf das Herz. Verwendet werden sie bei Hypertonie und Angina pectoris. Mögliche Nebenwirkungen: Starker Blutdruckabfall mit Schwindel und Kopfschmerzen Bradykardie, Ödeme, Hitzegefühl, Erbrechen und Durchfälle Antikoagulanzien Antikoagulanzien hemmen die Blutgerinnung, indem sie bestimmte Blutgerinnungsfaktoren unwirksam machen. Sie werden als Thromboseprophylaxe bei Lungenembolien, Herzinfarkt, Phlebothrombose und operativen Eingriffen eingesetzt. Heparin hemmt die Umwandlung von Thrombin auf Fibrinogen. Wird in geringen Dosen zur Vorbeugung venöser Thromben nach OP`s oder bei längerer Bettlägerigkeit gegeben, in hohen Dosen bei akuten Erkrankungen wie z.B. Phlebothrombose, Herzinfarkt, Lungenembolie. Die Wirkung setzt schnell ein, hält aber nur relativ kurz an. Cumarinderivate sind Vitamin-K-Antagonisten und sind für die ambulante Langzeittherapie geeignet. Ihre Wirkungszeit setzt erst nach 1-2 Tagen ein und hält länger an als bei Heparin. Mögliche Nebenwirkungen Heparine: Thrombopenie, Haarausfall, Osteoporose Mögliche Nebenwirkungen Cumarine: Hämorrhagische Diathese, Haarausfall, gastrointestinale Beschwerden © Arpana Tjard Holler (Autor) 162 Herz-Kreislauf Pathologie Cumarine sind kontraindiziert bei Schwangerschaft. Dosierung muss regelmäßig durch den Quick-Test kontrolliert werden. Erkrankungen des Kreislaufs Regulationsstörungen des Kreislaufes Hypotonie (RR) Def: Urs: Chronisch erniedrigte Blutdruckwerte. Beim Mann systolischer Wert < 110 mmHg Bei der Frau systolischer Wert < 100 mmHg Diastolische Werte < 60 mmHg Menschen mit primärer Hypotonie haben statistisch die höchste Lebenserwartung. Primäre (essentielle) Hypotonie Häufigste Form, Ursache unbekannt. Meist leptosome (schlankwüchsige), junge Menschen, mehr Frauen. Begünstigt durch Inaktivität und Stress Orthostatische Hypotonie (Orthostasesyndrom, orthostatische Dysregulation) Blutdruckabfall durch rasches Aufstehen aus sitzender oder liegender Position. Symptome: „Schwarzwerden“ vor den Augen, Schwindel, Blutdruckabfall, evtl. kurze Bewusstlosigkeit. Nachweis durch Schellong-Test Vasovagale Synkope (auch Vagovasale Synkope oder Tokio-Hotel-Syndrom) Blutdruckabfall bei längerem Stehen, evtl. mit zusätzlichem Stress Sekundäre Hypotonie Blutverluste, Schock (Hypovolämie), Exsikkose (z.B. bei Cholera) Kardiovaskuläre Ursachen (Herzinsuffizienz, Mitral- und Aortenstenose, Aortenisthmusstenose) Hormonelle Ursachen (Morbus Addison, Hypothyreose) Medikamentös (Sedativa, Psychopharmaka, Diuretika, Digitalisvergiftung) Toxisch bedingt bei Infektionskrankheiten (z. B. Diphtherie) Lungenembolie Bettlägerigkeit, nach Operationen Anorexie (Magersucht) Sym: Müdigkeit, eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit Kopfschmerzen, Ohrensausen, Schwindel, Schwarzwerden vor den Augen, Synkope (Ohnmacht) Kalte und blasse Extremitäten Depressionen, innere Unruhe, Schlafstörungen Kom: Akutes Nierenversagen beim systolischen Blutdruck von unter 60 mmHg. Hypertonie (RR) Def.: Dauernde Erhöhung des Blutdrucks. Die Diagnose wird erst nach mehrfach erhöht gemessenen Werten bei unterschiedlichen Gelegenheiten gestellt! Werte der Hypertonie: systolisch ab 140 mmHg Herz-Kreislauf Pathologie 163 diastolisch ab 90 mmHg © Arpana Tjard Holler (Autor) 164 Herz-Kreislauf Pathologie Einteilung der Blutdruckwerte nach WHO systolischer diastolischer Blutdruck Blutdruck normaler Blutdruck unter 130 mmHg unter 85 mmHg „noch“ normal bis 139 mmHg bis 89 mmHg Grad I (leichte Hypertonie) 140 – 159 mmHg 90 – 99 mmHg Grad II (mittelschwere Hypertonie) 160 – 179 mmHg 100 – 109 mmHg Grad III (schwere Hypertonie) ab 180 mmHg ab 110 mmHg Isolierte systolische Hypertonie über 140 mmHg unter 90 mmHg über 230 mmHg über 130 mmHg Hypertensive Krise Urs: 1. Essentielle Hypertonie (90%) Es liegt ein Hochdruck vor ohne weitere Erkrankung. Die Ursache ist unbekannt. Begünstigende Faktoren sind: familiär-erbliche Veranlagung Übergewicht Bewegungsmangel salzreiche Ernährung Frauen im Klimakterium Stress Auftreten häufig im Zusammenhang mit den Erkrankungen des metabolischen Syndroms (Wohlstandserkrankungen, sog. tödliches Quartett): Stammbetonte Adipositas Fettstoffwechselstörungen (Hyperlipidämie bzw. Dyslipidämie, erniedrigtes HDL-Cholesterin) Glukoseintoleranz (Diabetes mellitus Typ II) Essentielle Hypertonie Ein metabolisches Syndrom bezeichnet das Zusammenwirken kardiovaskulärer Risikogruppen. 2. Sekundäre Hypertonie Renale Hypertonie (häufigste sekundäre Form). Reninausschüttung bei jeder Minderdurchblutung der Niere. Arteriosklerose der Niere Entzündungen in der Niere (z.B. Glomerulonephritis) Nierentumore Endokrine Hypertonie Hyperthyreose (isoliert systolische Hypertonie) Conn-Syndrom (vermehrte Aldosteronbildung) Cushing-Syndrom (vermehrte Kortisonbildung) Phäochromozytom (Adrenalin produzierender Tumor) Akromegalie (vermehrte STH-Sekretion) Kontrazeptivaeinnahme (Pille) Kardiovaskuläre Hypertonie Aortenisthmusstenose Aortenklappeninsuffizienz (nur systolisch erhöht) Neurogene Hypertonie Hirndrucksteigerung, Hirntumor, Schädel-Hirn-Trauma, SchlafapnoeSyndrom Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie Hypertonie durch Hypervolämie (z.B. bei Polyzythämie, Urämie) Herz-Kreislauf Pathologie 165 Path: Im Wesentlichen führt der dauernd erhöhte Druck in den Gefäßen (v.a. der diastolische) zu Gefäßwandschäden und damit zur Arteriosklerose. Bei sehr hohen Blutdrücken besteht die Gefahr auf Gefäßruptur. Sym: Verläufe sind oft symptomarm oder asymptomatisch. Kopfschmerzen, die v.a. frühmorgendlich auftreten und beim Aufstehen besser werden, frühmorgendlicher Schwindel, Hitzegefühl erst bei hohen Blutdruckwerten: Nasenbluten, Ohrensausen, Sehstörungen Gedächtnisschwäche, Nervosität, Reizbarkeit, Depression, innere Unruhe, Schlafstörungen Atemnot bei Belastung, Herzklopfen rotes Gesicht Tremor (Zittern) Einteilung der Hypertonie nach WHO Grad I Keine nachweisbaren Organschäden Grad II Nachweis mindestens eine der folgenden Symptome: Herz: Hypertrophierte linke Herzkammer Niere: Proteinurie (Eiweißausscheidung über den Urin) Auge: Netzhautveränderungen (Fundus hypertonicus: Verengung und Schlängelung der Netzhautgefäße) Gefäße: Nachweis von Arteriosklerose mittels Sonographie Grad III Nachweis mehrerer Organschädigungen Herzinsuffizienz, Herzinfarkt, Angina pectoris Arteriosklerotische Schrumpfniere (Niereninsuffizienz) Sehverschlechterung, Erblindung (hypertensive Retinopathie) TIA, Schlaganfall, Hochdruckenzephalopathie, vaskuläre Demenz Mittels einer Augenhintergrundspiegelung (Ophthalmoskopie) werden Augenhintergrundveränderungen erkannt und den Schweregrad einer Hypertonie beurteilt. Kom: Schädigung der Gefäße infolge von Arteriosklerosebildung. Gefahr auf Gefäßruptur (Reißen von arteriellen Gefäßen), besonders von Bauchaortenaneurysma oder Aneurysmen im Subarachnoidalraum. Maligne Hypertonie Konstante Erhöhung des diastolischen Blutdrucks auf über 120-130 mmHg. Therapieresistent Tritt plötzlich auf Ungewöhnliches Manifestationsalter (30-60 Jahre) Aufgehobener Tag-Nacht-Rhythmus bei der Langzeitblutdruckmessung. Führt in der Regel in 1-2 Jahren zum Tod. Hochdruckkrise (hypertensive Krise) Plötzlich auftretende Blutdrucksteigerung mit Werten auf über 230 mmHg und diastolisch über 130 mmHg. Hirnödem, Verwirrtheit, Krampfanfällen, Sehstörung, Übelkeit und Erbrechen Gefahr auf akute Linksherzinsuffizienz mit Lungenödem. Gefahr auf Gefäßruptur (z.B. intrakraniale Blutungen) Notfall: Sofortige medikamentöse Blutdrucksenkung (z.B. Nifedepin), Oberkörper hoch, Sauerstoffgabe, unblutiger Aderlass. Vorsicht: Keine forcierte Blutdrucksenkung! © Arpana Tjard Holler (Autor) 166 Herz-Kreislauf Pathologie Herz-Kreislauf Pathologie 167 Hypertensiver Notfall Bluthochdrücke (muss nicht Hochdruckkrise sein) mit deutlichen Organschäden (z.B. Linksherzinsuffizienz, Gehirnschlag, Schocksymptome). Vaskuläre Demenz The.: Die fünf Säulen einer medikamentösen Therapie der Hypertonie: ACE-Hemmer (Kontraindikation bei Schwangerschaft, Niereninsuffizienz, Hyperkaliämie) Betablocker (KI bei Asthma bronchiale, AV-Block) Kalzium-Antagonisten (KI bei instabiler Angina pectoris, nach Herzinfarkt, AV-Block) Diuretika Angiotensin II-Antagonisten (KI wie bei ACE-Hemmer) Die sieben Säulen der nichtmedikamentösen Therapie der Hypertonie: Gewichtsreduzierung bei Übergewicht, Senkung der Blutfette, ballaststoffreiche Ernährung mit erhöhter Aufnahme von ungesättigten Fettsäuren Körperliches Training (Ausdauertraining) Salzarme Diät (nicht mehr als 6 g pro Tag). Kaliumreiche Ernährung mit Obst und Gemüse (wirkt blutdrucksenkend). Alkoholkonsum einschränken: Männer nicht mehr als 20g, Frauen nicht mehr als 10g pro Tag. Kein Nikotin und kein Kaffee (wirkt beides blutdruckerhöhend). Stressbewältigung und –verarbeitung, Entspannung (z.B. Autogenes Training). Morbus Raynaud Def: Eine funktionelle Erkrankung, bei der es durch Fehlschaltung im Hypothalamus zur Vasokonstriktion (Gefäßverengung) der Finger- und Zehenarterien und dadurch bedingten anfallartigen Gefäßkrämpfen kommt. Urs: Primäres Raynaud-Syndrom Ohne organische Ursache, meist junge Frauen (in 80% der Fälle). Mögliche Auslöser: Kälteeinwirkung, Erschütterungen, Stress. Sekundäres Raynaud-Syndrom, als Folge von Sklerodermie Thrombangiitis obliterans Arteriosklerose Diabetes mellitus (Polyneuropathie) Pat: Durch den Gefäßspasmus kommt es zum sog. Trikolore-Phänomen: Weißwerdung der Finger infolge mangelnder Durchblutung (Ischämie) Blaufärbung Rötung Sym: Symmetrisch anfallartige Blässe der Finger mit Taubheitsgefühl Blaufärbung einzelner Finger (Zyanose) Anschließend deutlich schmerzhafte Rötung der Finger (reaktive Hyperämie) Sog. Rattenbissnekrose (sehr selten) © Arpana Tjard Holler (Autor) 168 Herz-Kreislauf Pathologie Arterielle Gefäßerkrankungen Arteriosklerose (Arterienverkalkung) Def: Degenerative Arterienwandveränderung mit Verhärtung, Verdickung und Elastizitätsverlust. Urs: Risikofaktoren wie: Hypertonie Hypercholesterinämie (erhöhter Cholesterinspiegel im Blut) Erhöhte Homocystein-Werte (Entsteht bei Folsäuremangel) Nikotin Bewegungsmangel, Übergewicht, Fettsucht (Adipositas) Diabetes mellitus Gicht Pat: Schäden am Intimaendothel führen zu Ein- und Anlagerung von verschiedensten Stoffwechselprodukten (Lipide, Proteine, Mineralien). Bindegewebs- und Muskelzellen beginnen mit ihnen zu verwachsen und es kommt zu herdförmigen Nekrosen, Wucherungen und Verkalkungen. Es besteht die Gefahr, dass sich auf dem arteriosklerotischen Geschehen durch Wirbelbildungen an der unebenen Oberfläche eine Thrombose bildet. Die Gefäße verlieren ihre Elastizität und das Lumen des Gefäßes wird immer mehr eingeengt mit der Folge von Ischämie und Nekrosen. Männer sind 4mal häufiger betroffen als Frauen. Sym: Der degenerative Prozess der Arteriosklerose macht keine Beschwerden. Erst wenn die Lichtungseinengung so stark ist (70-90%), dass es zur Unterversorgung eines umschriebenen Gebietes kommt, treten klinische Symptome auf. Koronarsklerose (KHK) Angina pectoris Myokardinfarkt Gefäßeinengung Gehirn TIA/PRIND Apoplexie vaskuläre Demenz Aortenbogensyndrom: Arteriosklerose an den vom Aortenbogen abgehenden Gefäße. Gefäßeinengung Niere Niereninsuffizienz (A. renalis) renovaskuläre Hypertonie Gefäßeinengung Mesenterialgefäße Claudicatio intermittens abdominalis (nach Nahrungsaufnahme auftretende kolikartige Bauchschmerzen) Mesenterialinfarkt (Akutes Abdomen) Periphere Arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) Besteht bei allen Durchblutungsstörungen, die durch Lumeneinengung der Arterien in den Extremitäten bedingt sind (90% Beine!). Seltenere Ursachen der AVK können entzündliche Gefäßerkrankungen sein: Thrombangiitis obliterans, Panarteriitis nodosa Einteilung der Verschlusskrankheit der unteren Extremitäten in vier Stadien (nach Fontaine) I Gefäßeinengung ohne klinische Beschwerden. II Belastungsschmerz nach einer bestimmten Gehstrecke: Claudicatio intermittens (Schaufensterkrankheit). IIa Gehstrecke ist größer als 200 m. IIb Gehstrecke ist kleiner als 200 m. III Ruheschmerz. IV Untergang von Gewebe (Nekrose /Gangrän). Herz-Kreislauf Pathologie 169 Je nach Schweregrad kommt es zu folgenden weiteren klinischen Zeichen: Abgeschwächte oder fehlende Fußpulse (Arteria dorsalis pedis, Arteria tibialis posterior) Parästhesien (Missempfindungen), z.B. Kribbelgefühl, Ameisenlaufen, pelziges und taubes Gefühl Kältegefühl Blasse, marmorierte, zyanotische Haut Schlecht heilende Wunden Pilzerkrankungen Kom: Herzinfarkt Hirnschlag Morbus Binswanger (subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie), durch arteriosklerotische Minderdurchblutung (Ischämie) bedingte Hirnschäden mit neurologischen Ausfällen, Persönlichkeitsveränderungen und Demenz. Niereninsuffizienz Nekrosen, Gangrän Hypertonie The.: Beseitigung der Risikofaktoren und Ursachen Bewegungstherapie, sog. Gefäßtraining, um Kollateralkreisläufe zu unterstützen (nur bei Schweregrad I + II) Operativ bei Schweregrad III + IV Medikamentös, gefäßerweiternd und durchblutungsfördernd Embolie Def: Plötzlicher Verschluss einer Arterie durch einen Embolus. Urs: Venöses System Meist eine tiefe Beinvenenthrombose (Phlebothrombose). Seltener eine oberflächliche Beinvenenthrombose (Thrombophlebitis). Arterielles System Entwicklung einer Thrombose meist im linken Herz (Vorhofthrombus) durch Mitralstenose oder Vorhofflimmern (absolute Arrhythmie). Thrombosen auf dem Boden einer arteriosklerotischen Veränderung, die sich losreißen und im Blutstrom fortgetragen werden (seltener). Sym: Venöses System Lungenembolie Arterielles System Gehirn Apoplexie mit neurologische Ausfallserscheinungen Herz Herzinfarkt Niere Nierenembolie Heftige Schmerzen im Oberbauch oder Lendenbereich Makrohämaturie (sichtbare Blutbeimengung im Urin) Darm Mesenterialinfarkt mit 3 Stadien © Arpana Tjard Holler (Autor) 170 Herz-Kreislauf Pathologie Initialstadium mit plötzlich einsetzende heftige Bauchschmerzen, Erbrechen, Übelkeit. Latenzstadium: Beschwerden lassen nach (Stadium des „faulen Friedens“), evtl. blutiger Durchfall, weicher Bauch, RR normal. Endstadium: abnehmende Peristaltik, zunehmende Verschlechterung des Allgemeinzustandes, paralytischer Ileus, Peritonitis, akutes Abdomen. Gefäße Akuter peripherer Arterienverschluss: 5 „p“: peitschenhiebähnliche starke Schmerz (pain) Blässe distal des Verschlusses (paleness) keine Pulse (pulslessness) Gefühls- und Bewegungsunfähigkeit (paralysis) Missempfindung (parasthesia) The: Notfall Klinik operative Thrombusentfernung Tieflagerung der Beine und Watteverband, keine Erwärmung der Extremität, keine i.m.-Injektion, keine Bewegung Aneurysma Def: Erweiterung und Aussackungen der arteriellen Hochdruckgefäße, meist im Bereich der Aorta (Aortenaneurysma) und der großen Becken- und Beinschlagader. Urs: Angeboren, z.B. bei Hirngefäßaneurysma (im Subarachnoidalraum) Erworben Idiopathisch Hypertonie, Arteriosklerose, vor allem am Bauchteil der Aorta (80%) Entzündliche Prozesse z.B. Syphilis, rheumatisches Fieber, Panarteriitis nodosa Sym: Meist asymptomatisch Beim Aortenaneurysma evtl. Druck- und Fremdkörpergefühl Beim Aneurysma der Bauchaorta evtl. pulsierender Tumor im Bauchraum Kann sich in Rückenbeschwerden äußern Bei großem Aneurysma im Subarachnoidalraum sind Kopfschmerzen möglich Kom: Ruptur, z.B. Subarachnoidalblutung Arterielle Embolie The: Endovaskuläre Katheterbehandlung (sog. Coiling) Aneurysma dissecans (Aortendissektion) Def: Meist durch Bluthochdruck auftretender Einriss der innersten Schicht des Gefäßes (häufig Brustaorta) mit Aufspaltung der nächsten Wandschicht (Media). Das in die Gefäßwand eintretende Blut führt zur Trennung der beiden Schichten. Es handelt sich um einen Notfall! Urs: In der Regel besteht eine Hypertonie. Sym: Plötzlich auftretende Brustschmerzen (ähnlich eines Axthiebes) Schocksymptome möglich (Tachykardie und Hypotonie) Ischämiesymptome möglich Herz-Kreislauf Pathologie 171 Evtl. Puls- und Blutdruckdifferenz Entzündliche Gefäßerkrankungen E.4.2.4.1.1. Thrombangiitis Krankheit) obliterans (Endangiitis obliterans, Winiwarter-Buerger- Def: Schubweise verlaufende chronisch-entzündliche Erkrankung der Arterien der distalen Extremitäten (Unterschenkel, Fuß, Unterarm, Hand), meist der Beine. Urs: Unbekannt, betroffen sind aber jüngere (20-40 Jahre) männliche Raucher (toxische Angiitis?). Bei den Frauen liegt gleichzeitig eine Einnahme hormoneller Antikonzeptiva (Pille) vor. Pat: Es kommt zu Intima-Wucherungen mit nachfolgender Thrombose. Häufig ist es schwierig die Erkrankung mit der Arteriosklerose abzugrenzen. Typischerweise schreitet der Prozess nach distal fort. Sym: Parästhesien (Missempfindungen), Sensibilitätsstörungen Arm: Raynaud-Phänomen Bein: Claudicatio intermittens Fußpulse abgeschwächt oder fehlend Ischämische Ulzeration und Gangräne Betroffene Extremität kann überwärmt (Entzündung) oder unterkühlt (Verschluss) sein Panarteriitis nodosa (Polyarteriitis nodosa) Def: Knötchenförmige nekrotisierende Entzündung der Arterien mit meist schwerem Krankheitsbild. Wird zu den Kollagenosen gezählt. Urs: Unbekannt, Verhältnis Frauen zu Männer = 3:1, oft zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr Sym: Die Symptomatik ist sehr unterschiedlich, je nach dem welches Organ betroffen ist. Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß Niere: Glomerulopathie, Hypertonie, Ödeme, Urämie Herz: Angina pectoris, Herzinfarkt Nerven: Polyneuropathie, Apoplexie Muskeln, Gelenke, der Gastrointestinaltrakt und die Haut können betroffen sein Arteriitis temporalis Syn: Arteriitis cranialis, Riesenzellarteriitis, Morbus Horton Def: Entzündung der Intima und Media der großen und mittleren Arterien im Kopfbereich. Betroffen sind v.a. Arteria temporalis und Arteria ophthalmica, aber auch die großen Äste im Aortenbogen Urs: Autoimmunprozess unklarer Ursache. Tritt v.a. nach dem 50. Lebensjahr auf. Frauen sind häufiger betroffen (3:1). In 50% der Fälle besteht gleichzeitig Polymyalgia rheumatica (Gefäßentzündungen meist nach dem 60igsten Lebensjahr mit meist nächtlichen Schmerzen der Muskulatur des Schulter- und Beckengürtels). Sym: Starke (pochende) Kopfschmerzen, meist im Schläfenbereich (auch beidseitig) und am Hinterkopf © Arpana Tjard Holler (Autor) 172 Herz-Kreislauf Pathologie Sehstörungen mit Augenschmerzen (Gefahr der Erblindung bei Befall der Arteria ophthalmica; Notfall!) Berührungsempfindlichkeit der Kopfhaut Evtl. Schmerzen beim Kauen Arteria temporalis verdickt und schmerzhaft bei Druck (pulslos) Entzündungszeichen möglich: z.B. Fieber, BSG stark erhöht, Gewichtsverlust Venöse Gefäßerkrankungen Varikose (Krampfaderleiden) Def: Schlängeln und Erweiterungen oberflächlicher Beinvenen. Es gibt auch Krampfadern (Varizen) im Bereich des Bauches (Medusenhaupt) und der Speiseröhre (Ösophagusvarizen) als klinisches Zeichen der Leberzirrhose. Urs: Primäre Varikose (ca.70%) Angeborene Bindegewebsschwäche, manifestiert sich meist im Alter (Venenwandschwäche, Venenklappeninsuffizienz). Begünstigende Faktoren: Übergewicht, Schwangerschaft, Obstipation Langdauernde stehende Beschäftigung oder sitzende Tätigkeit Sekundäre Varikose (ca.30%) Durch venöse Stauungen z.B. durch eine tiefe Beinvenenthrombose (Phlebothrombose), Rechtsherzinsuffizienz, Pfortaderhochdruck Pat: Stammvarikose Die großen Hauptstämme sind betroffen (V. saphena magna oder parva), häufig sind dabei auch die Perforansvenen insuffizient. Retikuläre Varizen Netzförmige Venenerweiterung in der Haut (Schönheitsfehler), meist an der Kniekehle. Besenreiservarizen Kleinste erweiterte dunkelbläuliche Venen in der Haut. Sym: Symptomatik steht oft nicht im Zusammenhang mit dem Ausmaß der Varikose. Schwere und müde Beine, evtl. Hitzegefühl Spannungsgefühl, Kribbeln und nächtliche Fuß- und Wadenkrämpfe, evtl. dumpfer Dauerschmerz Juckreiz, Hautschuppung Kom: Bei fortgeschrittener Varikose Gefahr auf chronisch venöse Insuffizienz (CVI). Platzen der Knoten (Varizenblutung). Gefahr auf Thrombose mit Entzündungsfolge (Thrombophlebitis). The: Bewegung und sportliche Therapie Hydrotherapie (z.B. Kneipp) Beine im Liegen hochlagern Vermeidung von Risikofaktoren (Nikotin, Übergewicht, hohe Absätze) Kompressionstherapie Chirurgisch: Verödung und Venenstripping Keine Saunagänge, langes Sitzen und Stehen ist schlecht Herz-Kreislauf Pathologie 173 Thrombophlebitis Def: Entzündung der Gefäßwand der oberflächlichen (Bein-) Venen durch Thrombose. Urs.: An den Beinen fast immer eine Stammvarikose. An den Armen möglich durch Infusion und Injektion. Tumore (v.a. Pankreaskarzinom) im Rahmen eines paraneoplastischen Syndroms. Sym: Lokale Entzündungszeichen ohne Beinödeme Rötung, Überwärmung, Schmerz, Schwellung The: Keine Bettruhe, sonst Gefahr auf tiefe Beinvenenthrombose Kompressionsverband Umschläge Phlebothrombose Def: Thrombose tiefer Beinvenen mit Entzündungsfolge. Urs: Verlangsamte Blutfließgeschwindigkeit (Stase) Langes Stehen, langes Liegen (Bettlägerigkeit, Operationen), langes Sitzen im Flugzeug (sog. Economy-Class-Syndrom; Vorbeugung: viel trinken!) oder Auto. Herzinsuffizienz Medikamente (z.B. Diuretika, Östrogentherapie v.a. in Kombination mit Rauchen) Adipositas Herzinsuffizienz im höheren Stadium Exsikkose Tumore (v.a. Pankreaskarzinom) im Rahmen eines paraneoplastischen Syndroms Pat: Ursachen einer Thrombose allgemein: Virchow-Trias! Gefäßwandschäden Arteriosklerose, Entzündungen, Trauma Veränderte Blutströmung Wirbelbildung, Strömungsverlangsamung, Stase Veränderte Blutzusammensetzung Erhöhte Viskosität, Exsikkose, Blutgerinnungsstörung Sym: Zwei Drittel der Fälle verlaufen asymptomatisch. Dabei kann eine Lungenembolie das erste klinische Zeichen sein. Lokale Entzündungszeichen (Fieber, Pulsanstieg, Leukozytose, BSG ) Schwere Beine, ziehende Schmerzen, Wadenkrämpfe Schwellung, veränderter Beinumfang Bläulich-rötliche Verfärbung Glänzende, gespannte Haut Druckpunkte im Verlauf der Vene schmerzhaft Mögliche Früherkennungszeichen: Payr-Zeichen = Fußsohlendruckschmerz Homans-Zeichen = Schmerz bei Dorsalflexion des Fußes Meyer-Druckpunkte = druckschmerzhafte Punkte entlang der medialen Tibiakante Kniekehlenschmerz, Leistenschmerz © Arpana Tjard Holler (Autor) 174 Herz-Kreislauf Pathologie Louvel-Zeichen = Schmerzen im Bein beim Husten, Pressen und Bücken Sog. Warnvenen = sichtbare oberflächliche Varizen, als Kollateralvenen Kom: Lungenembolie Postthrombotisches Syndrom (chronisch venöse Insuffizienz = CVI). Insuffiziente Venenklappen als Zustand nach einer oder mehreren abgelaufenen tiefen Beinvenenthrombosen. Stadien: Stadium 1: Reversible Ödeme, braune Pigmentation durch Kapillarblutungen. Stadium 2: Persistierende Ödeme, ekzematöse Hautveränderungen, subkutane Verhärtungen, Zyanose. Stadium 3: Ulcus cruris venosum (Unterschenkelgeschwür); offene, meist nässende Wunde am Unterschenkel v.a. am distalen Schienbein im Bereich des inneren Fußknöchels. The: Phlebothrombose: Die ersten drei Tage strenge Bettruhe (Klinik) Medikamente; zur Auflösung des Thrombus (Fibrinolyse) mit Urokinase und Streptokinase, zur gerinnungshemmenden Therapie mit Heparin und später über längere Zeit Marcumar. Kompressionsbehandlung Gefäßchirurgie Ulkus cruris: Bewegung Kompressionsbehandlung mit Hydrokolloidverbänden für mehrere Tage (Tag und Nacht) DD: Venöses Bein: warme Haut, gerötet bis violett, Pulse vorhanden, Schwellung Arterielles Bein: kalte Haut, blass, Pulse nicht vorhanden, keine Schwellung Ursachen Hautfarbe Hauttemperatur Fußpulse Schwellung? Arterielle Fuß pAVK Blass Kalt Abgeschwächt, aufgehoben Nein Venöser Fuß Phlebothrombose Rötlich, bläulich Warm Vorhanden Ja Respirationstrakt Anatomie F. 175 Respirationstrakt Anatomie und Pathologie Respirationstrakt Anatomie Aufgaben ............................................................................................................................................... 176 Anatomie der Atmungsorgane .............................................................................................................. 177 Physiologie der Atmungsorgane ........................................................................................................... 179 Lungenuntersuchung ............................................................................................................................ 183 © Arpana Tjard Holler (Autor) 176 Respirationstrakt Anatomie Aufgaben Mit Hilfe des Atmungssystems ist der Körper in der Lage, Gase mit der Umgebung auszutauschen, zu atmen. Der Gasaustausch besteht in der Aufnahme von Sauerstoff und der Abgabe von Kohlendioxyd. Äußere Atmung: Gasaustausch zwischen Blut und Umgebungsluft. Innere Atmung: Gasaustausch zwischen Blut und Gewebe. Der Respirationstrakt wird unterteilt in Atemwege und Lunge. Obere Atemwege: Mundhöhle, Nase und Nasennebenhöhlen, Nasen- und Mundrachenraum, Kehlkopf. Untere Atemwege: Kehlkopf, Luftröhre und Bronchialbaum. Lunge: Alveolen (Lungenbläschen) Aufgaben der Atemwege Aufbereitung der Atemluft (Flimmerepithel mit eingestreuten Becherzellen) Erwärmung Befeuchtung Reinigung, Filtrierung Geruchswahrnehmung (Nervus olfactorius) Sprachbildung (Kehlkopf, Zunge) Gastransport (obere und untere Atemwege) Aufgabe der Lunge Gasaustausch (Einatmung von Sauerstoff und Abatmung von Kohlendioxid) durch Diffusion. Die Zellen gewinnen Energie (ATP) vor allem durch den oxidativen Abbau von Nährstoffen (Glukose) und sind deshalb auf die ständige Sauerstoffzufuhr angewiesen. Gasaustausch Der Gasaustausch vollzieht sich in 4 physiologischen Abschnitten. Transport der Gase von der Außenluft zu den Lungenbläschen : Ventilation Übertritt von den Alveolen ins Kapillarblut: Diffusion Transport der Gase in den Blutgefäßen zu den Gewebszellen: Perfusion Übertritt von den Gewebekapillaren in die Gewebezellen: Diffusion Respirationstrakt Anatomie 177 Anatomie der Atmungsorgane Obere und untere Atemwege Nasenhöhle mit Nasennebenhöhlen Nasenseptum (Nasenscheidewand) Locus Kieselbachii ist ein Venengeflecht im vorderen Teil der Nasenscheidewand. Aus diesem Venengeflecht erfolgt Nasenbluten. Nasenbluten (Epistaxis) ist bei Kindern häufig. Behandlung: Kopf nach vorne beugen (damit das Blut nicht verschluckt wird), Nasenflügel zudrücken, kalter Wickel in den Nacken! Drei Nasenmuscheln (Conchae). Sie vergrößern die Schleimhautoberfläche Drei Nasengänge. Die Übergänge der Nasengänge in den Nasenrachenraum nennen sich Choanen. Nasenschleimhaut birgt ein Venengeflecht zum Aufwärmen der Atemluft (Nasenbluten) Flimmerepithel mit eingestreuten Becherzellen Riechepithel, innerviert vom Nervus olfactorius (I. Hirnnerv) Aufgabe der Nase: Schutzfunktion durch Reinigung (Flimmerepithel), Erwärmung und Anfeuchten der Luft Prüfung der Luft durch den Riechnerv (Rezeptoren befinden sich im Bereich der oberen Nasenmuschel) Absonderung von IgA (Immunglobuline der Klasse A) Niesen Nasennebenhöhlen paarige Stirnhöhlen (Sinus frontalis) paarige Kieferhöhlen (Sinus maxillaris) unpaarige Keilbeinhöhle (Sinus sphenoidalis) viele Siebbeinzellen (Sinus ethmoidales) Aufgaben der Nebenhöhlen Bildung des Resonanzraumes Gewicht des Schädelknochens zu vermindern Oberflächenvergrößerung, Reinigung, Erwärmung und Anfeuchten der Atemluft Pharynx (Rachen) Drei Rachenräume: Oberer Rachenraum: Nasenrachenraum = Pars nasalis, Epipharynx (Atemweg). Enthält Rachenmandel (Tonsilla pharyngea). Von hier aus über die Ohrtrompete (Eustachische Röhre) Verbindung zum Mittelohr. Mittlerer Rachenraum: Mundrachenraum = Pars oralis, Mesopharynx (Atemund Speisenweg). An der Rachenwand zwei lymphatische Seitenstränge. Unterer Rachenraum: Kehlkopfrachenraum = Pars laryngea, Hypopharynx (Speiseweg) Tonsillen Lymphatischer Rachenring: Gaumenmandel, Rachenmandel, Zungengrundmandeln © Arpana Tjard Holler (Autor) 178 Respirationstrakt Anatomie Larynx (Kehlkopf) Schildknorpel (Cartilago thyreoidea), bildet den Adamsapfel, dient als Schutz. Ringknorpel (Cartilago cricoidea), befindet sich unterhalb des Schildknorpels und bildet nach hinten Basis für die Stellknorpel. Epiglottis (Kehldeckel), verschließt beim Schluckakt den Kehlkopf. Stimmbänder und Stellknorpel (Aryknorpel) mit Stimmritze (Glottis) Beim reflektorischen Schluckvorgang hebt sich der Schildknorpel, und die Epiglottis senkt sich auf die Trachea und verschließt sie. Trachea (Luftröhre) Verlauf 1/3 im Hals und 2/3 im Mediastinum (Mittelfellraum). Länge 10 - 12 cm, Durchmesser ca. 2 cm. Beginnt unterhalb des Ringknorpels auf Höhe C6/7 und endet auf Höhe Th4/5. Aufbau: 16 bis 20 hufeisenförmige Knorpelspangen, die durch Bänder verbunden sind Mikroanatomie: Flimmerepithel mit schleimbildenden Becherzellen, bindegewebige Knorpelschicht, eingelagerte glatte Muskelzellen, Tunika Adventitia als Verbindung zur Umgebung. Bronchialbaum Teilung (Bifurkation) der Trachea in Höhe Th4 in die beiden Stammbronchien. Der rechte Stammbronchus ist steiler als der linke, weil sich links das Herz befindet. Beim Verschlucken in die Atemwege (Aspiration) gleitet das Verschluckte eher in den rechten Bronchialbaum. Der Bronchialbaum besteht aus: 2 Stammbronchien 5 Lappenbronchien 18 - 20 Segmentbronchien namenlose Bronchien Bronchiolen terminale Bronchiolen (Bronchioli terminalis, Endbronchiolen) respiratorische Bronchiolen (Bronchioli respiratorii, hier finden sich schon einige Lungenbläschen) Alveolargänge Alveolensäckchen Alveolen (= Lungenbläschen, hier findet der Stoffaustausch statt) Die Bronchien bestehen aus Knorpel, Flimmerepithel und einer Muskelschicht (glatte Muskulatur) Die Bronchiolen besitzen keinen Knorpel mehr. Ihr Lumen wird durch glatte Muskulatur aufgehalten. Die Alveolen (Lungenbläschen) Jede Lunge hat 300 Millionen Alveolen, Gesamtoberfläche ca. 80 qm. Durchmesser 0,1-0,2 mm in der Exspiration und 0,3-0,5 in der Inspiration Hier findet der Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxyd statt Stellt die Grenzfläche zwischen Luft- und Blutraum dar Surfactant: Eine Flüssigkeit, welche die Oberflächenspannung der Alveolen herabsetzt und so einen Kollaps der Lungenbläschen verhindert Alveolarmakrophagen, leisten Abwehr in den Alveolen. Um die Alveolen herum liegt das Lungenkapillarnetz, welches Sauerstoff aufnimmt und Kohlendioxid abgibt. Respirationstrakt Anatomie 179 Zwischen den Alveolen liegt im Bindegewebe ein stark elastisches interstitielles Fasergerüst Aufbau der Blut-Luft-Schranke (= 1 Mikrometer): Kapillarendothel, Basalmembran, Alveolarendothel, Surfactant Pleura (Brustfell) Pleura visceralis ist als Lungenfell mit den Lungenflügeln verwachsen, Pleura parietalis mit den Rippen (Rippenfell) und dem Zwerchfell verwachsen. innerviert von sensitiven Nervenfasern gibt die Pleuraflüssigkeit ab Der Pleuraspalt mit einem Flüssigkeitsfilm (5-10 ml) gewährleistet durch den Unterdruck die Anhaftung der Lunge bei Ein- und Ausatmung und die Verschieblichkeit der Lunge gegenüber den Rippen. Die Lungenflügel In der Mitte der beiden Lungenflügel befindet sich das Mediastinum. Aufteilung der Lungenflügel in: Lungenlappen, (links zwei, rechts drei Lappen) sind untereinander verschiebbar. Lungensegmente, rechts 10 Segmente und links 8-10 Segmente. Bei Operationen kann ein Segment herausgenommen werden. Lungenspitze ragt über die erste Rippe hinaus. Lungenbasis liegt direkt dem Diaphragma auf, fest verwachsen. Lungenhilus, die Eintrittsstelle des Bronchialbaumes, der Blutgefäße, der Lymphgefäße und der Nerven. Hier ist der Umschlag zwischen Pleura visceralis und Pleura parietalis. Lungenläppchen. Funktionseinheit der Lunge, welche von allen Alveolen gebildet wird, die von einer Endbronchiole ausgehen. Physiologie der Atmungsorgane Die Lungenvolumina Atemzugvolumen: Das Volumen eines einzelnen normalen Atemzuges (0,5 l). Inspiratorisches Reservevolumen: Kann nach normaler Einatmung noch zusätzlich eingeatmet werden (2-3 l). Exspiratorisches Reservevolumen: Kann nach normaler Ausatmung noch zusätzlich ausgeatmet werden (1-2 l). Vitalkapazität: Das Volumen, welches nach maximaler Ausatmung maximal eingeatmet werden kann (4-6 l). Residualvolumen: Luftanteil, der nach stärkstem Ausatmen noch in der Lunge verbleibt (1 l). Totalkapazität: Die Vitalkapazität plus Residualvolumen (6 l). Totraum: Der Raum der Atemwege, welche nicht am Gasaustausch beteiligt sind (Nasenhöhle, Nasennebenhöhlen, Nasen- und Mundrachenraum, Kehlkopf, Luftröhre und Bronchien). Atemfrequenz: Anzahl der Atemzüge pro Zeiteinheit. Bei Erwachsenen 12-16 Atemzüge pro Minute. Bei Kindern 20-24 Atemzüge pro Minute. Bei Säuglingen ca. 40 Atemzüge pro Minute. Bei Neugeborenen ca. 50 Atemzüge pro Minute. © Arpana Tjard Holler (Autor) 180 Respirationstrakt Anatomie Atemzeitvolumen: ist das in einer bestimmten Zeiteinheit ein- oder ausgeatmete Volumen (7 l/min) Bei Extrembelastung Atemminutenvolumen bis zu 120 l. Einsekundenkapazität (Tiffeneau-Test, FEV1 = forciertes exspiratorisches Volumen in 1 Sekunde): ist ein Atemstoßtest, bei dem nach tiefster Einatmung in einer Sekunde mit maximaler Anstrengung schnellstmöglich ausgeatmet werden soll. In der Regel kann nach einer Sekunde 2/3 der Vitalkapazität abgeatmet werden. Der Test gibt Auskunft über mögliche obstruktive oder restriktive Ventilationsstörungen und ist v.a. wichtig zur Einteilung der COPD. Volumen 5,0 Inspiratorisches Reservevolumen ca. 2-3 l 3,0 Atemzugvolumen ca. 0.5 l 2,5 Exspiratorisches Reservevolumen ca. 1,5 l Vitalkapazität 1,0 Totalkapazität Residualvolumen ca. 1 l Zeit Die Mechanik der Atmung Muskeln der Einatmung Der wichtigste Muskel der Einatmung ist das Zwerchfell (Diaphragma), wird als Bauchatmung oder abdominale Atmung bezeichnet. Das Zwerchfell mit quergestreifter Muskulatur ist ein besonderer Muskel, welcher in der Lage ist, sich selbst zu bewegen. Muskelansatz: Eine nach oben gewölbten Sehnenplatte, die gleichzeitig Brustund Bauchhöhle trennt. In dieser Sehnenplatte befinden sich drei große Öffnungen zum Durchtritt von: Speiseröhre (Hiatus oesophageus) Aorta (Hiatus aorticus) Untere Hohlvene (Foramen venae cavae) Muskelursprung: An der Innenseite der 7.-12. Rippe. An den Körpern und Querfortsätzen von L1 und L2. An dem Schwertfortsatz des Brustbeins (Processus xiphoideus) Die nervale Versorgung des Zwerchfells erfolgt durch den Nervus phrenicus. Die Bauchatmung ist gesünder als die Brustatmung, weil sie weniger Energie verbraucht, den Blutdruck senkt, die Verdauung fördert und den venösen Rückstrom zum rechten Herzen verbessert. Der Einatemmuskel des Brustkorbes ist die äußere Zwischenrippenmuskulatur (Musculi intercostales externi). Die Muskelfasern verlaufen jeweils in den Rippenzwischenräumen von einer Rippe zur anderen von oben hinten nach unten vorne und führen bei Kontraktion zur Anhebung der Rippen und somit zur Vergrößerung des Volumens des Brustkorbes. Respirationstrakt Anatomie 181 Die Atemhilfsmuskulatur bei stärkster Einatmung: Musculus scaleni (Rippenhalter) Musculus sternocleidomastoideus (Kopfwender) Musculus pectoralis major/minor (großer und kleiner Brustmuskel) Muskel der Ausatmung Unter Ruhebedingungen geschieht die Ausatmung nahezu passiv (elastisches interstitielles Fasergerüst im Lungengewebe). Der Ausatemmuskel des Brustkorbes ist die innere Zwischenrippenmuskulatur (Musculi intercostales interni). Die Atemhilfsmuskulatur bei starker Ausatmung: Die Bauchmuskulatur. Bei Kontraktion erhöht sie den Druck im Bauchraum und drängt das Zwerchfell nach oben. Der Brustraum wird verengt und die eingeatmete Luft ausgestoßen. Pleuraspalt Wesentlich für die Atemmechanik ist der Pleuraspalt, ein kapillarer Spalt zwischen Lungenfell (Pleura visceralis) und Rippenfell (Pleura parietalis). Dieser Spalt ist mit einem Flüssigkeitsfilm gefüllt. Da sich die Flüssigkeit nicht ausdehnen kann, bleiben bei der Einatmung die Pleurablätter dicht beisammen (Unterdruck ca. -5 mmHg), sind aber dennoch gegeneinander verschieblich. Nur deshalb ist es möglich, dass die Lunge den Atembewegungen des knöchernen Thorax folgt und sich dehnt, gleichzeitig aber durch die Formänderung des Thorax nicht gezerrt oder verletzt wird. Bei einer Verwachsung der Pleurablätter (Pleuraschwarte) nach einer Pleuritis, ist die Atemmechanik in diesem Bereich behindert. Gasaustausch in der Lunge Der Transport von O2 im Blut geschieht hauptsächlich durch Anlagerung an das Hämoglobin in den Erythrozyten. Der Transport von CO2 geschieht hauptsächlich durch die Dissoziation zu Kohlensäure. CO2 + H2O H2CO3 HCO-3 + H+ Ein Teil der Kohlensäure wird in Ionenform transportiert. Dadurch hat die Atmung Einfluss auf den pH-Wert des Blutes. Bikarbonat-Puffer-System Der pH-Wert ist abhängig von der Menge an H-Ionen. Steigt die Anzahl der H-Ionen wird der pH-Wert niedriger und das Milieu saurer. Sinkt die Anzahl der H-Ionen wird der pH-Wert höher und das Milieu basisch. Bei flacher Atmung wird weniger CO2 abgegeben und das Blut durch die vermehrt anfallenden H-Ionen leicht übersäuert: pH-Wert 7,36 (Azidose) Bei Hyperventilation wird verstärkt CO2 abgeatmet und das Blut durch die fehlenden HIonen basisch: pH-Wert 7,44 (Alkalose) © Arpana Tjard Holler (Autor) 182 Respirationstrakt Anatomie Diffusion der Atemgase Ein effektiver Diffusionsprozess erfordert eine große Austauschfläche und einen kurzen Diffusionsweg. Beide Bedingungen sind in der Lunge ideal erfüllt. Die Diffusion der Gase erfolgt entlang einem Gefälle des Partialdruckes. In den Alveolen sind ein relativ hoher Partialdruck an O2 und ein relativ niedriger Partialdruck an CO2 zu finden, in den Lungenkapillaren umgekehrt. Der einzelne Erythrozyt steht nur für ca. 0,3 Sekunden im Diffusionskontakt mit den Alveolen (Lungenbläschen). Lungenperfusion Die Lungendurchblutung beträgt im Ruhezustand 5-6 l/min. Der Blutdruck im kleinen Kreislauf ist wesentlich niedriger als im Großen, daher besteht nur ein geringer Strömungswiderstand. Die Perfusion der Lunge ist regional unterschiedlich. Auf der einen Seite ist sie lagebedingt. Da der Blutdruck im kleinen Kreislauf niedrig ist, sind bei aufrechter Haltung die unteren Partien der Lunge wesentlich mehr durchblutet als die oberen. Auf der anderen Seite wird die Durchblutung der einzelnen Regionen auch gesteuert durch den O2-Partialdruck in den Alveolen. Schlecht belüftete Alveolen führen zu einer Konstriktion der Arteriolen und damit zu einer Minderdurchblutung des betroffenen Gebietes (Euler-Liljestrand-Reflex). Die Atemregulation Ein komplexes Regelsystem sorgt dafür, dass die Ventilation den Anforderungen in Ruhe und Belastung stets angeglichen ist. Außerdem werden die pO2- und die pCO2-Werte, sowie der pH-Wert des Blutes auf sehr engen vorgegebenen Werten gehalten. Zentrale Atemsteuerung Das Atemzentrum liegt in der Medulla oblongata (verlängertes Rückenmark). Hier werden rhythmische Nervenimpulse erzeugt, die die Ein- und Ausatmung steuern. Folgende Einflüsse (Afferenzen) wirken auf das Atemzentrum: Periphere Chemorezeptoren im Glomus caroticum (an der Teilungsstelle der Halsschlagader) und Glomus aorticum (am Aortenbogen) messen pO2, pCO2 und die H-Ionenkonzentration. Dehnungsrezeptoren in den Alveolen melden den jeweiligen Dehnungszustand über den Nervus Vagus (X. Gehirnnerv) an das Atemzentrum. Der Sympathikus steigert die Atemfrequenz und führt zu einer Erweiterung der Bronchien (Bronchodilatation), während der Parasympathikus zu einer Verengung (Bronchokonstriktion) führt. Die Großhirnrinde und das limbische System haben Einfluss auf die Atmung. Eine Atemsteigerung findet sich bei: Anstieg arterieller CO2 (stärkste Atemantrieb) Abfall arterieller pO2 Anstieg arterieller H-Ionenkonzentration (Azidose) Gesteigerter Herzfrequenz Temperaturabfall an der Haut Sympathikusreaktion (Emotionalität, Angst, Ärger) Kommt es zu einem Verlust der zentralen Chemo-Sensibilität, das heißt der Organismus reagiert nicht mehr auf einen CO2-Anstieg, wird die Spontanatmung nur noch stimuliert durch einen Abfall der O2-Konzentration. z.B. bei Barbituratvergiftungen Respirationstrakt Anatomie 183 Lungenerkrankungen, die zu einem konstanten erhöhten pCO2 führen (COPD mit Lunngenemphysem, Lungenfibrosen). Daher ist eine Beatmung mit reinem Sauerstoff z.B. bei Barbituratvergiftungen sehr gefährlich und kann einen Atemstillstand provozieren. Lungenuntersuchung Anamnese Symptomenanamnese (Fallanamnese) Husten: wie oft, schmerzhaft, akut oder chronisch? Auswurf: Farbe (weißlich-schleimig, rostbraun, gelblich-grünlich), Geruch, viel oder wenig, flüssig oder zäh, dreischichtig? Atemnot (Dyspnoe): Orthopnoe, Belastungsdyspnoe, Ruhedyspnoe? Atemfrequenz? Atemtiefe? Schmerzen, atemabhängig? Vegetative Anamnese Verdauung, Stuhl? Harn, schmerzhaft, häufig, Aussehen? Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieber (sog. B-Symptome) Eigenanamnese Rauchen, Alkohol, Medikamente? Erkrankungen? Urlaub? Familienanamnese Bekannte Erkrankungen? Inspektion Folgendes kann bei der Inspektion auf Lungenkrankheiten hinweisen: Form des Thorax (Fassthorax bei Lungenemphysem) Atemfrequenz (Bradypnoe, Tachypnoe) Asymmetrische Atembewegung (asymmetrische Thoraxbewegung), z.B. bei Lappenpneumonie, Pleuritis exsudativa und sicca, Pneumothorax Pathologische Atemtypen: Kussmaul-Atmung: Die sog. Azidoseatmung, tiefe und langsame Atemzüge um möglichst viel CO2 abzuatmen und H-Ionen zu binden. Vorkommen bei: Ketzoazidose bei Diabetes mellitus Urämie (Niereninsuffizienz im letzten Stadium) Morbus Addison (Nebennierenrindeninsuffizienz) Cheyne-Stokes-Atmung: Perioden mit an- und abschwellender Atemtiefe, nach 20-30 Atemzügen 1-2min Pause (Apnoe). Vorkommen bei verminderter Durchblutung des Atemzentrums, z.B. bei Herzinsuffizienz, Apoplex, Urämie oder Kohlenmonoxidvergiftung. Biot-Atmung: Einige starke Atemzüge wechseln mit Apnoe. Vorkommen bei Schädigung des Atemzentrums und oft kurz vor dem Tod. © Arpana Tjard Holler (Autor) 184 Respirationstrakt Anatomie Schnappatmung: Schnappende kurze Atemzüge mit langen Atempausen dazwischen (bevor die Atmung völlig versagt). Ursache liegt im Funktionsausfall des Atemzentrums meist infolge Sauerstoffunterversorgung. Perkussion (Abklopfen) Wichtig: Immer seitenvergleichend perkutierten. Der normale Lungenschall wird als sonorer Perkussionsschall bezeichnet: Tief, laut, lang und ungedämpft Pathologische Schallqualitäten sind: Hoch, leise, kurz und gedämpft Der Perkussionsschall dringt nur ca. 5cm tief ein. Starke Muskel- oder Fettüberlagerungen beeinflussen den normalen Lungenschall. Mit Hilfe der Perkussion wird auch die Atemverschieblichkeit der Lungengrenzen festgestellt. Im Normalfall beträgt sie 4-6 Querfinger. Pathologischer Perkussionsschall Hypersonorer Klopfschall: Ein tiefer, sehr lang anhaltender, ungewöhnlich lauter und hohler Ton. Zeigt Höhlen im Lungengewebe an. Vorkommen bei Pneumothora Lungenemphysem Asthmaanfall Kavernen bei Tbc Ein sehr lauter Klopfschall findet sich auch über gasgefüllten Darmschlingen. Hyposonorer Klopfschall oder Schenkelschall (totale Dämpfung): Ein kurzer, hoher, leiser und gedämpfter Ton. Zeigt Verdichtungen des Gewebes an. Vorkommen bei Tumoren der Lunge Pneumonie Pleuritis exsudativa (Pleuraerguss). Ein tympanitischer Klopfschall bezeichnet trommelartiges Geräusch, welches v.a. über gasgefüllte Darmschlingen zu hören ist. Palpation (Untersuchung durch Betasten) Untersucht wird die Leitfähigkeit des Lungengewebes. Wird als Stimmfremitus bezeichnet. Die Hände werden beiderseits großflächig auf den Rücken gelegt, der Patient sagt mit tiefer Stimme "99". Die durch die tiefe Stimme hervorgerufenen Vibrationen des Lungengewebes lassen sich mit der Hand fühlen. Seitenvergleich ist wichtig. Je mehr Gewebe, desto stärker der Stimmfremitus, je weniger Gewebe, desto abgeschwächter ist der Stimmfremitus. Verstärkter Stimmfremitus findet sich: bei einer Lappenpneumonie (je mehr Gewebe, desto mehr Vibrationen) beim alveolärem Lungenödem Abgeschwächter Stimmfremitus (Je weniger Gewebe, desto weniger Vibrationen) findest sich bei: Pneumothorax Pleuraerguss (Pleuritis exsudativa) Auskultation (Abhören) Normale Atemgeräusche Respirationstrakt Anatomie 185 Vesikuläratmen über der Lunge (leises niederfrequentiertes hauchendes Atemgeräusch). Wird auch als Alveoläratmung oder Bläschenatmung bezeichnet. Bronchialatmen bzw. Trachealatmen (Röhrenatmung) über den Hauptbronchien und der Trachea, (lautes hochfrequentes Atemgeräusch während der Ein- und Ausatmungsphase). Wichtig ist der Seitenvergleich! Auskultiert wird an mindestens 6 Stellen von hinten (paravertebral und unter dem Schulterblatt). Pathologische Atemgeräusche Fehlendes oder vermindertes vesikuläres Atemgeräusch bei: Pneumothorax Emphysem Pleuraerguss, Pleuraschwarte Trockene Rasselgeräusche (kontinuierliche Nebengeräusche) werden als Giemen, Pfeifen und Brummen bezeichnet. Sie entstehen durch Verengung der Atemwege bei Schleimhautschwellungen und zähen Sekretmassen. Vorkommen v.a. bei: Asthma bronchiale chronische Bronchitis Bronchialkarzinome Feuchte (feine und grobe) Rasselgeräusche (diskontinuierliche Nebengeräusche); sie entstehen durch flüssige Sekrete und durch plötzliches Öffnen der Luftwege. Vorkommen bei: chronischer Bronchitis (frühinspiratorisch) Pneumonie Lungenödem Bronchiektasen Geräusche sind evtl. beim Gesunden nach langem Liegen zu hören! Bronchialatmen statt Vesikuläratmen über der Lunge. Erkrankung des Lungengewebes führt zum Verlust des „Frequenz-Filters“, normales hauchendes Atemgeräusch wird zum deutlichen und lauten Atemgeräusch, z.B. bei Pneumonie, Lungenfibrosen. Knisterrasseln am Anfang einer Pneumonie (wie das Aneinanderreiben von Haaren vor dem Ohr). Lederknarren (Reibegeräusche) bei Pleuritis sicca. Stridor, Pfeifendes Atemgeräusch ohne Stethoskop hörbar Inspiratorischer Stridor: Ursache liegt außerhalb des Brustkorbes, z.B. bei: Pseudokrupp, Glottisödem, Laryngitis, Epiglottitis Struma Stenose der Trachea. Exspiratorischer Stridor: Ursache liegt innerhalb des Brustkorbes, z.B. bei: COPD Asthma bronchiale Aspirierte Fremdkörper Bronchialkarzinom © Arpana Tjard Holler (Autor) 186 Respirationstrakt Pathologie Respirationstrakt Pathologie Abklärung der Terminologie ................................................................................................................ 187 Erkrankungen der oberen Atemwege ................................................................................................... 188 Erkrankungen der unteren Atemwege ................................................................................................. 191 Erkrankungen der Lunge (Gasaustauschfläche) und der Pleura ....................................................... 199 Störungen des Lungenkreislaufs .......................................................................................................... 205 Hyperventilationstetanie ................................................................................................................... 207 Mukoviszidose (zystische Fibrose) ................................................................................................... 208 Differenzialdiagnose ............................................................................................................................. 208 Respirationstrakt Pathologie 187 Abklärung der Terminologie Respiratorische Insuffizienz: Jede Behinderung der äußeren Atmung, die zu einer Störung der normalen Atemgaskonzentration im Blut führt (pO2/pCO2). Geht mit einer Verminderung des Atemminutenvolumens einher. Respiratorische Partialinsuffizienz: Erniedrigung des pO2 im Blut, während der pCO2 kompensatorisch normal ist. Zyanose: Rotbläuliche Verfärbung der Haut und Schleimhäute infolge Abnahme der Sauerstoffsättigung (sauerstoffarmes Hämoglobin). Besonders zu sehen an Lippen, Zunge, Nasenspitze, Finger- und Zehennägel. Zentrale Zyanose entsteht durch verminderte Sauerstoffversorgung des arteriellen Blutes. Ursachen: alle Lungenerkrankungen mit Behinderung des Gasaustausches, Lungenembolie, Herzfehler mit Shunt (Rechts-Links-Shunt), O2-Verminderung in der Atemluft. Periphere Zyanose entsteht durch verminderte venöse Sauerstoffsättigung. Ursachen: Erkrankungen von Arterien, venöse Stauung Hypoxie, Ischämie: Herabsetzung des Sauerstoffgehalts im Gewebe Hypoxämie: Erniedrigung des pO2 im Blut, Sauerstoffmangel des Blutes Dyspnoe: Erschwerte Atmung, Atemnot Belastungsdyspnoe: Treppendyspnoe, Atemnot nur bei Belastung, der Patient muss stehen bleiben und sich erholen Ruhedyspnoe: Atemnot auch schon in Ruhe Apnoe: Atemstillstand von mindestens 10 Sekunden Orthopnoe: Atemnot, die im Liegen stärker, in aufrechter Haltung besser wird (Patient stützt sich auf die Ellenbogen). Tachypnoe: Schnelles (meist oberflächliches) Atmen Obstruktion: Ein pathologisch erhöhter Strömungswiderstand in den luftleitenden Atemwegen durch Konstriktion (Zusammenziehung) der Bronchialmuskulatur, vermehrte Schleimsekretion und Schwellung der Schleimhaut. Restriktion: Abnahme der Totalkapazität durch Verminderung des dehnungsfähigen Lungenparenchyms oder bei eingeschränkter Beweglichkeit des Thorax. Hyperventilation: Steigerung der Ventilation, die über die Stoffwechselbedürfnisse hinausgeht und eine vermehrte Abatmung von CO2zur Folge hat. © Arpana Tjard Holler (Autor) 188 Respirationstrakt Pathologie Erkrankungen der oberen Atemwege Akute Rhinitis (Schnupfen) Def: Entzündung der Nasenschleimhaut Urs: Viren, z.B. Rhinoviren (sind immer vorhanden, vermehren sich bei schlechter Abwehrlage), Influenza-Viren, Adenoviren. Sehr selten Bakterien (führen zur Sekundärinfektion mit eitrigem Schnupfen). Bei verschiedenen Infektionskrankheiten (z.B. Masern, Keuchhusten, Scharlach, Influenza). Allergisch bedingt: Rhinitis allergica = Heuschnupfen. Sym: meist kein Fieber (afebril) Abgeschlagenheit, Kopfschmerz, Müdigkeit Kitzeln in Nase und Rachen Meist zuerst Absonderung eines wässrigen Sekrets (laufende Nase), später Absonderung eines eitrigen Sekrets (verstopfte Nase) Reduzierter Geruchssinn Kom: Sinusitis Akute/ Chronische Sinusitis Urs: Rezidivierende Rhinitis Zahnherde Chronische Tonsillitis (Mandelentzündung) Chronische Bronchitis Sym: eitriges Sekret (gelb-grün) druck- und klopfschmerzhafte Nebenhöhlen behinderte Nasenatmung Kopfschmerzen, Gesichtsschmerzen (einseitig) Allgemeinsymptome, Schwäche, evtl. Fieber Kom: Eiteransammlung in einer der Nebenhöhlen (Empyem) Entzündung des Knochens (Ostitis, Osteomyelitis) Sinusthrombose Perforation in die Augenhöhle Perforation in die Schädelhöhle (Meningitis, Enzephalitis) Rasende Kopfschmerzen Schlafapnoesyndrom (SAS) Def: Krankheitsbild, welches sich durch wiederholte Atemstillstände (Apnoe) in der Nacht entwickelt. Unter Schlafapnoe wird ein nächtlicher Atemstillstand von mehr als 10 Sekunden verstanden. Dieser kann auch einmalig oder mehrmalig bei Gesunden in Erscheinung treten. Von Schlafapnoesyndrom spricht man dann, wenn diese Atemstillstandsattacken mehr als 10-mal in der Stunde auftreten. Daraus resultiert eine abnorme Müdigkeit während des Tages. Respirationstrakt Pathologie Urs: 189 Obstruktives Schlafapnoesyndrom (90%). Während der Einatmung kommt es durch einen verminderten muskulären Tonus zu einem plötzlichen Zusammenfall der muskulären Rachenwände mit daraus resultierendem Atemstillstand. Zentrales Schlafapnoesyndrom (10%) durch Ausfall der Atemregulation im zentralen Nervensystem. Begünstigende Faktoren Männer sind doppelt so häufig betroffen, v.a. übergewichtige Männer nach dem 40igsten Lebensjahr. Übergewicht, Rauchen, Alkohol, Hypertonie Sym: in der Nacht: lautes Schnarchen abnorme Müdigkeit und vermehrte Einschlafneigung während des Tages Unaufmerksamkeit, Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen morgendliche Kopfschmerzen Neigung zum depressiven Verhalten, Persönlichkeitsveränderungen Potenzstörungen Herzrhythmusstörungen, arterielle Hypertonie (Sympathikusreaktion) Polyglobulie Diagnose durch Schlaflabor Kom: Erhöhte Unfallgefahr, Gefahr von Herzinsuffizienz, Herzinfarkt und Gehirnschlag. The: Schlafhygiene (z.B. Verzicht auf Alkohol und Nikotin, richtige Matratze, Schlafumgebung), keine Schlaftabletten Atemtherapiegerät Operation Laryngitis Def: Entzündung des Kehlkopfes Urs: Akute Laryngitis, meist als Folge einer Infektionskrankheit, z.B. Influenza, Masern, Scharlach, Diphtherie Chronische Laryngitis, z.B. bei Alkohol- und Nikotinabusus, Inhalation von Staub, gut- und bösartige Tumore des Kehlkopfes, Überanstrengung des Stimmapparats Sym: akute Laryngitis Heiserkeit, Stimmlosigkeit (Aphonie) meist gleichzeitig Pharyngitis mit Halsschmerzen Fieber evtl. Atemnot inspiratorischer Stridor chronische Laryngitis über längere Zeit bestehende Heiserkeit Kom: Glottisödem (Schwellung der Kehlkopfschleimhaut im Bereich der Stimmlippen mit Gefahr der Erstickung) Kruppsyndrom © Arpana Tjard Holler (Autor) 190 Respirationstrakt Pathologie Def: Urs: Sammelbezeichnung für Erkrankungen der Atemwege, die mit entzündlicher Kehlkopfverengung und einem daraus resultierenden bellenden Husten (Schleimbeläge auf den Stimmlippen), Heiserkeit und Atemnot einhergehen. Echter Krupp Heute selten gewordene Verlaufsform mit grau-weißlichen Pseudomembranen bei der Kehlkopfdiphtherie (siehe Diphtherie unter N.5.1.3). Pseudokrupp (Laryngitis subglottica) Akuter infektiöser Krupp (sog. Infektkrupp) Durch Viren (am häufigsten) oder Bakterien hervorgerufene entzündliche Verengung des Kehlkopfes. Am häufigsten in der Herbst- und Winterzeit. Spastischer Krupp Allergische Reaktion, die plötzlich (häufig in der Nacht) auftritt und mit akuter Atemnot auftritt. In der Regel sind Kleinkinder und Kinder betroffen. Krupp Pseudokrupp infektiös bedingt durch Bakterien z.B. Scharlachkrupp echter Krupp nur bei Diphtherie allergisch bedingt allergischer Krupp durch Viren z.B. Masernkrupp Sym: bellender und knallender Husten, häufig in Attacken inspiratorischer Stridor, Heiserkeit Dyspnoe geringes Fieber bei akutem infektiösem Krupp The: Beruhigen, Angst verschlimmert die Atemnot Kühle, feuchte Luft führt zum Abschwellen der Schleimhaut Gabe von Kortison-Zäpfchen (Rectodelt-Zäpfchen 100 mg) Epiglottitis Def: Meist akute auftretende Entzündung der Schleimhaut des Kehldeckels (Epiglottis), welche häufig eine lebensbedrohliche Erkrankung darstellt. Urs: Infektiös, gefürchtet v.a. im Rahmen einer Haemophilus-influenza-Infektionen (TypB) bei Säuglingen und Kleinkindern. Sym: Erkrankung beginnt plötzlich mit hohem Fieber und starkem Krankheitsgefühl Typische Trias (Holler-Trias): Dysphagie (Schluckstörungen), kann bis in die Ohren ausstrahlen kloßige Stimme (gedämpft und gedrückte Aussprache), Kind sagt gar nichts mehr vermehrter Speichelfluss Inspiratorischer Stridor teilweise heftige Atemnot; Kind beugt sich nach vorne und überstreckt den Kopf um die Atmung zu erleichtern Respirationstrakt Pathologie The: 191 Notfall, rasche Krankenhauseinweisung (Intubation um einen Atemweg-verschluss zu verhindern!) Keine Inspektion des Rachenraums, da sonst Gefahr auf Stimmlippenspasmus. Erkrankungen der unteren Atemwege Akute Bronchitis Def: Entzündung der Bronchialschleimhaut. Äußert sich beim Erwachsenen meist in den oberen Luftwegen als Tracheobronchitis (Luftröhre und die großen Bronchien sind entzündet). Urs: Fast immer Viren, z.B. Rhinoviren, Influenzaviren Seltener Bakterien und Pilze (Candida albicans) Sekundär bei Keuchhusten, Masern, Diphtherie, Typhus Reizstoffe, z.B. Stäube, Gase (Ozon) Begünstigende Faktoren: Austrocknung der Bronchialschleimhaut in trockenen Räumen reduzierte Abwehrlage Nässe und feuchtes Klima Sym: trockener schmerzhafter Reizhusten erst zäher, spärlicher, glasiger Auswurf (virale Bronchitis) dann später gelb-grünliches Sputum (bakterielle Bronchitis) meist in Verbindung mit Rhinitis, Pharyngitis, Laryngitis, Tracheitis leichtes Fieber, Kopfschmerzen Auskultation: anfänglich evtl. trockene, später feuchte Rasselgeräusche Kom: Bakterielle Superinfektion Bronchopneumonie Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD/COLD) COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung der Bronchialschleimhaut, die mit einer dauerhaften Verengung der Atemwege einhergeht. Leitsymptome sind Auswurf, Husten und Atemnot (sog. AHA-Symptome) bei körperlicher Belastung. Im Gegensatz zu Asthma bronchiale lässt sich diese Erkrankung nicht bessern. COPD wird als Sammelbegriff für die chronische obstruktive Bronchitis (im Volksmund als „Raucherbronchitis“ bezeichnet) und das Lungenemphysems verwendet. Obstruktive Atemwegserkrankungen sind Erkrankungen der Atemwege, die zur Verengung oder Verlegung (Obstruktion) der Luftwege führen, z.B. bei Asthma bronchiale COPD Struma Tumore der Luftröhre bzw. Bronchien) Chronische (obstruktive) Bronchitis © Arpana Tjard Holler (Autor) 192 Respirationstrakt Pathologie Def: Chronische Schleimproduktion in den Luftwegen mit rezidivierendem (wiederkehrendem) Husten, der während mindestens 3 Monaten pro Jahr in den vergangenen zwei Jahren auftritt (nach WHO). Respirationstrakt Pathologie 193 Urs: Pat: Durch die Irritation der Bronchialschleimhaut kommt es zu einer chronischen Entzündung der Schleimhaut der unteren Atemwege. Die Folgen sind: Schwellung der Schleimhaut Produktion von mehr Becherzellen mit mehr zähem Schleim Muskeltonus der glatten Muskulatur in den Bronchien und Bronchiolen erhöht sich (Bronchospasmus) Durch Umformungsprozesse und Reparaturvorgänge in der Wand der Bronchien und Bronchiolen kommt es zur vermehrten Einlagerung von Kollagen in die Bronchialwand mit Bildung von Narbengewebe, welches verengend wirkt Das Flimmerepithel nekrotisiert und später atrophiert die Bronchialschleimhaut mit Gefahr der Wandveränderung der Bronchien (Bronchiektasen) Der verstärkte Entzündungsprozess bei COPD wird durch ProteaseAntiprotease-Hypothese erklärt: Angelockte Neutrophile setzten zellschädigende Proteasen frei, gleichzeitig sind die schützenden Antiproteasen vermindert (Alpha-1-Antitrypsinmangel) Entstehung eines Lungenemphysems durch Untergang von Alveolarzwischenwänden. Dadurch werden die Lungenkapillaren weniger. Das führt zu einem Rückstau des Blutes zum rechten Herzen mit allmählicher Bildung eines Cor Pulmonale. Zigarettenrauchen. Jeder 2. Raucher über 40 Jahre hat eine chronische Bronchitis! Berufliche oder umweltbedingte Luftverschmutzung Feuchtes und kaltes Klima Allergisch Einteilung der COPD durch GOLD (Global initiative for chronic Obstructiv Lung Disease) anhand der Einsekundenkapazität (FEV1) mit Hilfe des Spirometers. COPD-Stadien COPD 0: Personen, welche zur Risikogruppe gehören (Nikotinmissbrauch, Alpha-1-Antitrypsinmangel) und die Symptome Auswurf und Husten zeigen. FEV1 ist normal. COPD 1: FEV1 100-80% des Normalwertes (milde COPD). Die chronischen Symptome sind Auswurf und Husten, können aber auch ganz fehlen. Atemnot tritt i.d.R. nicht auf. COPD 2: FEV1 50-80% des Normalwertes (mittelgradige COPD). Die chronischen Symptome sind meist stärker ausgeprägt, können aber auch manchmal fehlen. Atemnot entsteht i.d.R. bei starker körperlicher Belastung. COPD 3: FEV1 30-50% des Normalwertes (schwere COPD). Die chronischen Symptome (Auswurf und Husten) sind i.d.R. deutlich spürbar. Atemnot besteht schon bei geringer körperlicher Belastung. Beginn eines Lungenemphysems. COPD 4: FEV1 < 30% des Normalwertes (sehr schwere COPD). Endstadium der COPD mit deutlicher Erscheinung eines Lungenemphysems und Ausbildung eines Cor pulmonale (Rechtsherz-insuffizienz infolge einer Lungenerkrankung). Sym: Länger bestehender Husten und Auswurf Bei chronischem Husten müssen bösartige Tumore und Tuberkulose ausgeschlossen werden. Anlass für Arztbesuche ist häufig die Belastungsdyspnoe. Leistungsabfall © Arpana Tjard Holler (Autor) 194 Respirationstrakt Pathologie Kom: Auskultation: trockene Rasselgeräusche Einsekundenkapazität (Tiffeneau-Test) herabgesetzt Bronchopneumonie Lungenabszess Bronchiektasen Jeder weitere Atemwegsinfekt kann den Patienten akut gefährden, da die bereits eingeschränkte Lungenfunktion sich noch weiter verschlechtert. Lungenemphysem Def: Irreversible Erweiterung der Alveolen durch Zerstörung der Alveolar-zwischenwände. Führt zur Lungenblähung. Urs: Am häufigsten durch chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (Bronchitis, Asthma). Elastizitätsverlust der Alveolen im Alter (Altersemphysem). Narbenemphysem (selten), durch in der Umgebung schrumpfendes Lungengewebe. Angeboren durch Enzymmangel (Alpha-1-Antitrypsinmangel). Pat: Es entsteht ein abnorm großes Gasvolumen in den Alveolen durch den Schwund der alveolaren Wandstrukturen. Aufgrund der Atrophie von Alveolar- und Kapillarzellen nimmt die Gasaustauschfläche ab. Das führt zwangsläufig zu einer chronischen Dyspnoe, die sich zuerst als Belastungsdyspnoe bemerkbar macht. Sym: Belastungsdyspnoe und chronischer Husten Fassthorax mit Zwerchfelltiefstand und breiten Interkostalräumen, wird auch als Blählunge (durch Elastizitätsverlust) bezeichnet Drosselgrube verstrichen, evtl. Emphysemkissen sichtbar O2-Mangel-Syndrom: Kopfschmerz, Adynamie (Kraftlosigkeit), Schlaflosigkeit, Trommelschlegelfinger, Uhrglasnägel Positiver Kerzenversuch: Flamme in einem Abstand von 20 cm kann nicht mehr ausgeblasen werden Differenz Thoraxumfang zwischen maximaler Ein- und Ausatmung erheblich herabgesetzt (normal: 4-6 cm) Zyanose Auskultation: abgeschwächte Atemgeräusche, leise Herztöne, evtl. trockene Rasselgeräusche (chronische Bronchitis) Perkussion hypersonorer Klopfschall Atemgrenzen zw. maximaler Ein- und Ausatmung kaum verschieblich tiefstehende Zwerchfellgrenzen Palpation: Stimmfremitus vermindert an beiden Lungenflügeln Pink-Puffer-Typ („rosa-roter Schnaufer“) Ist meist hager und eher untergewichtig, zeigt starke Dyspnoe mit wenig Zyanose und sehr wenig Sauerstoff im Blut. Blue-Bloater-Typ („blauer Aufgedunsener“) Ist meist füllig und übergewichtig, zeigt wenig Dyspnoe aber ausgeprägte Zyanose und sehr viel CO2 im Blut. Diese beiden Typen von Emphysematikern sind in der Realität nicht häufig zu finden. Kom: Entstehung einer Rechtsherzinsuffizienz (Cor Pulmonale) Respiratorische Insuffizienz Respirationstrakt Pathologie © Arpana Tjard Holler (Autor) 195 196 Respirationstrakt Pathologie Bronchiektasen Def: Irreversible meist sackförmige Ausweitung der Bronchien Urs: Als Folge einer chronisch entzündlichen Bronchialerkrankung: chronische Bronchitis (Raucherbronchitis am häufigsten) starke kindliche Atemwegsinfekte (Keuchhusten, Masern) Tbc, Tumore Selten angeboren Pat: Zerstörung der Bronchialwände peripherer Bronchien mit Ausweitung oder Aussackungen Sym: eitrige Sekretion, die bei Änderung der Körperlage (meist morgens und abends) zu plötzlicher maulvoller Expektoration führt (Leitsymptom) Husten Dreischichtiges Sputum: schaumig-wässrig, schleimig, eitrig-krümelig, übelriechend Fieberschübe Blutiges Sputum als Folge ulzerierender Bronchialschleimhaut Trommelschlägelfinger möglich Auskultation: feuchte Rasselgeräusche Kom: Lungenabszess Rezidivierende bronchopulmonale Infekte Lungenmykosen (Pilzbefall) durch ständige Antibiotikaeinnahme Asthma Bronchiale Def: Eine akute, anfallsweise auftretende Atemnot, bei der es durch Bronchospasmus, Schwellung und Hypersekretion der Bronchialschleimhaut zu einer bronchialen Obstruktion kommt (bronchiale Hyperreaktivität). Urs: Überreaktion der Bronchien auf exogene oder endogene Stoffe oder Reize. Exogenes (extrinsic oder allergisches) Asthma Allergische Reaktion vom Soforttyp (Typ I) mit Bildung von IgEAntikörpern. Häufig im Kindesalter mit familiärer Häufung. Kinder mit Milchschorf, Heuschnupfen und Neurodermitis sind häufiger betroffen. Geht im Erwachsenenalter häufig in das endogene Asthma über. Auslösende Ursachen sind entsprechende Allergene wie z.B. Pollen, Tierhaare, Federn, Hausstaubmilben, Schimmelpilze, Nahrungsmittel (z.B. Mehlbestandteile = Bäckerasthma) und Medikamente (Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Diclofenac) Paracetamol darf gegeben werden. Endogenes (intrinsic oder nichtallergisches) Asthma Häufig bei Erwachsenen. Ausgelöst durch z.B. bronchopulmonale Infekte, körperliche Anstrengungen, psychische Belastungen, Reizung der Atemwege (z.B. Nikotin, Staub, Gase), kalte Luft, Medikamenten. Mischformen aus exogenem und endogenem Asthma (kommen am häufigsten vor) Respirationstrakt Pathologie Pat: 197 Kontakt mit Allergenen führt zur Ausschüttung von Histamin durch die Mastzellen. Folgende Faktoren führen zur Einengung der Atemwege: Schwellung der Schleimhaut Sehr zäher Schleim Bronchialspasmus Sym: Die Asthmaanfälle setzen plötzlich ein. Die Dauer kann von Minuten bis Stunden reichen. Die Anfälle sind häufig nachts (Parasympathikus ist aktiv und wirkt Bronchien zusammenziehend) Leitsymptom: plötzlich einsetzende Atemnot Orthopnoe, Atmung wird in aufrechter Position verbessert Inanspruchnahme der Atemhilfsmuskulatur (Aufstützen der Arme) Zyanose quälender Hustenreiz Auswurf: sehr zäh, spärlich, weißlich, glasig, gummiartig exspiratorischer Stridor (lautes pfeifendes Atemgeräusch bei der Ausatmung) verlängerte Ausatemphase (schlechte Ausatmung durch die Überblähung) Lungenblähung (Fassthorax) Zwerchfelltiefstand kaltschweißbedeckte Haut, Angst, Tachykardie (vegetative Symptome) Auskultation: trockene Rasselgeräusche (Pfeifen und Brummen), allerdings sind bei totaler Lungenüberblähung kaum noch Geräusche zu hören Perkussion: hypersonorer Klopfschall Labor: pCO2 , pO2 Eosinophilie, Sauerstoffsättigung < 94% (sO2 normal 94-98%) Kom: Akut: Status asthmaticus, Asthmaanfälle über einen Zeitraum von 24 Stunden mit Dyspnoe, Tachykardie, Tachypnoe, Blässe, Zyanose, Herzrhythmusstörungen, Bewusstseinsstörungen. Chronisch: Lungenemphysem mit Cor Pulmonale. The: Inhalative Kortikosteroide (sog. Puffer), evtl. Sympathomimetikum Verzicht auf Rauchen, Vermeidung von Allergenen, evtl. Psychotherapie Im akuten Anfall: Sauerstoffgabe, Kutschersitz (sitzende Lagerung mit Aufstützen der Arme auf die Knie), Lippenbremse, evtl. Kortikoide intravenös Bronchialkarzinom Def: Häufigste tödliche Krebserkrankung, welche von der Bronchialschleimhaut ausgeht und beim Mann dreimal so häufig ist wie bei der Frau. Pat: Grundsätzlich werden zwei Bronchialkarzinome unterschieden: Kleinzellige Bronchialkarzinome, welche rasch wachsen, früh Metastasen bilden und aufgrund ihres neuroendokrinen Ursprungs gerne Hormone bilden (z.B. Glukokortikoide, ADH, Parathormon). Großzellige Bronchialkarzinome werden unterteilt in Adenokarzinome, Plattenepithelkarzinome und großzellige Karzinome. Urs: Zigarettenrauchen, 90% der an Bronchialkrebs Erkrankten sind Raucher! Luftverschmutzung, Industrie- und Autoabgase Asbeststaub, Schwermetallbelastung © Arpana Tjard Holler (Autor) 198 Respirationstrakt Pathologie Respirationstrakt Pathologie 199 Sym: Im Frühstadium keine Symptome: Erste Symptome sind immer Spätsymptome! Reizhusten, Atemnot, Brustschmerzen Aushusten von hellrotem Blut (Hämoptoe, Hämoptyse), himbeergeleeartiges Sputum Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieber (sog. B-Symptome) Atelektasenbildung (unbelüfteter Lungenabschnitt) Lungenentzündung (poststenotisch) Pleuraerguss Metastasen bedingte Knochenschmerzen Jeder Husten, der länger als 3-4 Wochen trotz Therapie andauert, ist bis zur beweisenden Diagnose karzinomverdächtig! Kom: Pancoast-Tumor (sog. Ausbrecherkrebs) In den Lungenspitzen schnell wachsender Bronchialtumor, welcher die Lungengrenzen durchbricht und frühzeitig in das umliegende Gewebe einwächst und die dort vorhandenen Strukturen schädigen kann. Starke Schulter-Arm-Schmerzen (Brachialgie) und andere Parästhesien (Missempfindungen) Atemabhängige Schmerzen durch Infiltration der ersten Rippe Horner-Syndrom (Miosis = Pupillenverengung, Ptosis = Herabhängen des Oberlids, Enophthalmus = Zurücksinken des Augapfels) Lymphödem am Arm (geschwollener Arm) Heiserkeit (Lähmung des Nervus recurrens) Vena-cava-superior-Syndrom mit Kopfschmerzen und Rötung des Gesichtes. Bei Einbruch in die dorsalen Rippen: Rückenschmerzen Bei Einbruch in das Mediastinum: Dysphagie, Zwerchfelllähmung (Phrenikuslähmung), Rekurrensparese (Lähmung der Kehlkopfmuskulatur) The: Chirurgische Therapie mit primärer Operation Radio- bzw. Chemotherapie durch Facharzt Erkrankungen der Lunge (Gasaustauschfläche) und der Pleura Lungenentzündung (Pneumonie) Def: Entzündung der Alveolen (Lungenparenchym) Urs: Primär Bakterien, z.B. Pneumokokken, Staphylokokken, Streptokokken, Legionellen, Chlamydien, Mykoplasmen, Haemophilus influenzae Viren, z.B. Influenzaviren, Masernvirus Sekundär aufgrund von schon bestehenden Erkrankungen (siehe Unterteilung) Begünstigende Faktoren: Chemische Belastung, z.B. durch Zigarettenrauch, Gas Physikalische Belastung durch Strahlung Geschwächte Abwehrlage Bettlägerige Patienten Mangelbelüftung der Lunge bei Bettruhe fördert Pneumonien Pat: Klassische Unterteilung des Abwehrgeschehens in den Alveolen in vier Stadien: © Arpana Tjard Holler (Autor) 200 Respirationstrakt Pathologie Anschoppung mit dunkelroter Lunge infolge lokaler Ansammlung von Erythrozyten in den Alveolen am 1. Tag. Rote Hepatisation, grau rote Lunge mit leberartiger Beschaffenheit am 2.-3. Tag und möglichem rötlichbraunem Auswurf (pflaumenkompottartig). Graugelbe Hepatisation mit Einwanderung von Leukozyten am 4.-6. Tag. Lysis. Auflösung des Infiltrats und Abhusten eines eitrigen Auswurfs. Kritische Entfieberung am 7.-8. Tag. Einteilungen der Lungenentzündungen: Nach der Lokalisation Lobärpneumonie (Lappenpneumonie) Ein ganzer Lappen ist befallen. Wird als typische (klassische) Pneumonie bezeichnet (heute infolge von Antibiotikatherapie seltener). Wird durch Bakterien (meist Pneumokokken) verursacht. Bronchopneumonie (Herdpneumonie) Die Entzündung greift herdförmig von den Bronchiolen auf die Alveolargänge über. Symptome sind am Anfang uncharakteristisch, Beginn oft unbemerkt. Erreger sind in der Regel Bakterien (Staphylokokken, Streptokokken, Haemophilus influenzae, Legionellen). Wird in der Literatur manchmal als atypische Pneumonie bezeichnet. Interstitielle Pneumonie (atypische Pneumonie) Lungenentzündungen, die sich v.a. im Lungeninterstitium abspielen. Erreger sind v.a. Influenzaviren, Chlamydien, Pneumocystis jirovecii, Mykoplasmen, Candida albicans. Wird als atypische Pneumonie bezeichnet. Nach den Erregern bakterielle Pneumonie Pneumokokken, Staphylokokken (sog. typische Pneumonie) Chlamydien Legionellen virale Pneumonie (immer atypische Pneumonie) Oft handelt es sich um eine interstitielle Pneumonie Symptomatik sehr uncharakteristisch, langsamer Beginn, mäßiges Fieber, trockener Reizhusten Untersuchung geringe Zeichen, Labor oft normal Röntgenbild beweisend! Nach der Ursache primäre Pneumonie Auftreten einer Lungenentzündung ohne Vorerkrankungen sekundäre Pneumonie als Folge von pulmonalen Erkrankungen wie z.B. Bronchiektasen, Bronchitis, Bronchialkarzinom, Lungen-Tbc als Folge von Kreislaufstörungen wie Stauungspneumonie bei Linksherzinsuffizienz / Herzinfarkt, Infarktpneumonie bei Lungenembolie als Begleitpneumonie bei Ornithose (Chlamydia psittaci), Legionärskrankheit (Legionella species), Q-Fieber (Coxiella burnetii), AIDS (PcP = Pneumocystis carinii Pneumonie) Respirationstrakt Pathologie Sonstige: Aspirationspneumonie (Lungenentzündung Einsaugen von Fremdstoffen), z.B. bei Alkoholkrankheit 201 infolge Nach dem Verlauf akute Pneumonie chronische Pneumonie Besteht länger als 6-8 Wochen. Findet sich bei Patienten mit verminderter Abwehr, meist als Endstadium, z.B. bei Diabetes mellitus, Aids, Alkoholkranken, Krebskranken, Herzkranken und alten Menschen. Sym: Typische bakterielle Lobärpneumonie akuter Beginn mit Schüttelfrost, Fieber (über 40°C) mit Tachypnoe und Tachykardie Dyspnoe oft mit Zyanose Nasenflügelatmen oft bei Kindern, nicht bei der atypischen Pneumonie Starker, meist schmerzhafter Husten Schmerzen bei der Atmung (infolge begleitender Pleuritis sicca) Sputum zunächst uncharakteristisch und wenig, dann meist rostbraun mit kleinen Fibringerinnsel (pflaumenkompottartig) Nachschleppen der betroffenen Brustseite möglich Häufig Herpes labialis Auskultation: kann: feinblasige (klingende) Rasselgeräusche, Bronchialatmen, Knisterrasseln am Anfang (Anschoppung) und am Ende (Lysis), aufgehobenes Atemgeräusch (am Anfang) Perkussion: Schenkelschall über Entzündung Palpation: Stimmfremitus verstärkt Labor BSG stark erhöht, Leukozytose mit Linksverschiebung C-reaktives Protein (CRP) Röntgenologische Verschattung Atypische Pneumonie mäßiges Fieber Reizhusten, kein Sputum geringes Krankheitsgefühl kein positiver Untersuchungsbefund Labor: evtl. Leukopenie, BSG nur leicht erhöht Kom: Pleuritis durch Übergreifen der Entzündung (Pleurareiben, Pleuraerguss, Pleuraempyem) Lungenabszess mit Gefahr auf septischer Streuung (z.B. Endokarditis, Meningitis) ARDS (akutes Atemnotsyndrom) © Arpana Tjard Holler (Autor) 202 Respirationstrakt Pathologie Erreger Lokalisation Fieber Husten Sputum Tachykardie Tachypnoe Dyspnoe, Nasenflügelatmen Auskultation Perkussion Palpation Blutbild Typische Pneumonie Bakterien: v.a. Pneumokokken, Staphylokokken, Streptokokken Lobär, alveolär Mit Schüttelfrost bis 40°C Stark und schmerzhaft Pflaumenkompottartig Rostbraunes Sputum Evtl. grüngelb, blutig Ja Ja Ja Atypische Pneumonie Vor allem Viren und Chlamydien Am Anfang und am Ende feinblasig klingende (feuchte) Rasselgeräusche Bronchialatmen, Knisterrasseln Aufgehobenes Atemgeräusch Evtl. Lederknarren (Pleuritis sicca) Schenkelschall über den betroffenen Lungenlappen Verstärkter Stimmfremitus Leukozytose mit Linksverschiebung BSG und CRP erhöht Anfänglich ohne Befund Interstitium, intrazellulär 38° - 39°C, kaum Schüttelfrost Wenig, Reizhusten wenig Relative Bradykardie Wenig Nein Anfänglich ohne Befund Ohne Befund Leichte Leukozytose Auch Leukopenie Restriktive Lungenerkrankungen Def: Lungenerkrankungen, bei denen die Dehnungsfähigkeit von Lunge und Thorax eingeschränkt ist. Dies führt zu vermehrter Inspirationsarbeit, die Exspiration ist nicht behindert. Urs: Die häufigste Form ist die Lungenfibrose. Weitere Vorkommen bei Lungenstauung, Lungenresektion, Pleuraschwarte, ausgedehnter Pleuraerguss, Zwerchfellhochstand, Adipositas, Morbus Bechterew Lungenfibrose Def: Chronisch entzündliche Lungenprozesse mit einem herdförmigen Umbau des Lungenparenchyms in narbiges Bindegewebe. Pat: Durch die knötchenförmige oft narbige Umwandlung des Lungenparenchyms zu Bindegewebe kommt es zu einem Elastizitätsverlust der Lunge mit restriktiver Ventilationsstörung. Urs: Pneumokoniosen (Staublungenerkrankungen) Entstehen durch langjährige Inhalation bestimmter Stäube: Silikose (Stein- bzw. Quarzstaublunge) Anthrakose (Kohlenstaublunge) Asbestose (Asbeststaublunge) Lungensiderose (Eisenstaub, Schweißerlunge) Metallstaublunge (z.B. Aluminium, Quecksilber, Beryllium) Sarkoidose (Morbus Boeck) Eine granulomatöse (knötchenförmige) Systemerkrankung unbekannter Ursache, welche vorwiegend zwischen dem 2. und 4. Lebensjahrzehnt auftritt und das Bindegewebe befällt. Am häufigsten betroffen sind Lunge, Lymphknoten, Leber, Milz, Knochen und Haut. Respirationstrakt Pathologie 203 Allergische Alveolitis Farmerlunge (Stäube von Getreide und Gräser) Bäckerlunge (Mehl- und Kleiestäube) Kfz-Mechaniker Holzverarbeitende Berufe wie Schreiner oder Tischler Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises Rheumatoide Arthritis Lupus erythematodes, Sklerodermie (Kollagenosen) Physikalische Schädigungen (Strahlenfibrose) Mukoviszidose, sog. zystische Fibrose (siehe F.11) Eine erbliche Stoffwechselerkrankung mit vermehrter Schleimproduktion. Idiopathische Lungenfibrose (ohne erkennbare Ursache in 50% der Fälle) Pathologie der Silikose Jahrelange Inhalation von kieselsäurehaltigen Staubpartikeln bei: Bergleute, Keramik- und Porzellanarbeiter, Sandstrahlarbeiter Arbeiter in Mineralmahlwerken, Schamottarbeiter Staubpartikel (ca. 1-5 Mikrometer) werden von den Alveolarmakrophagen aufgefressen“. Durch den enzymatischen Zerfall der Makrophagen kommt es zur Anregung einer bindegewebigen Neubildung (silikotische Granulome). Das Bindegewebe „verpackt“ die Staubpartikel. Dabei geht das Lungenparenchym unter. Lässt sich im Röntgenbild gut feststellen. Sym: Belastungsdyspnoe, Tachypnoe wiederholt infektiöse Schübe mit Husten, Auswurf und Fieber Zyanose, evtl. Trommelschlägelfinger und Uhrglasnägel Perkussion: Zwerchfellhochstand Kom: Cor Pulmonale Maligne Entartung besonders bei der Asbestose Atelektase Def: Zusammenfallen eines bestimmten Lungenabschnitts (Bronchiolen und Alveolen) infolge einer Luftleere oder einer fehlenden Durchblutung. Urs: Luftleere durch Verengung der Bronchialwege (z.B. durch Tumor, Fremdkörper). Mangelnde oder fehlende Durchblutung (z.B. bei Lungenembolie). Sym: möglich: Fieber, Atemnot, Schmerzen Auskultation: abgeschwächtes oder fehlendes Atemgeräusch Perkussion: gedämpfter Klopfschall im Röntgenbild sichtbar Pleuritis Def: Entzündung des Brustfells, welche mit einem Erguss (Pleuritis exsudativa) oder ohne Erguss (Pleuritis sicca) auftreten kann. Eine trockene Pleuritis geht meist in eine feuchte Pleuritis über. © Arpana Tjard Holler (Autor) 204 Respirationstrakt Pathologie Urs: Die primäre Pleuritis ist sehr selten. Meist sekundär durch andere Erkrankungen. Am häufigsten: Pneumonie Tuberkulose Wachsendes Bronchialkarzinom und Metastasen Seltener: Urämie (Erhöhung der harnpflichtigen Stoffe im Blut) Penetrierende Entzündungsprozesse aus dem Oberbauchraum (z.B. Pankreatitis) Kollagenosen (z.B. Lupus erythematodes) Rheumatoide Arthritis Sym: Pleuritis sicca (trockene Pleuritis) Atmungsabhängiger Schmerz, auf einer Seite (Leitsymptom!) Druck- und Klopfempfindlichkeit mit einer Schonhaltung zur erkrankten Seite (Nachschleppen der Atmung) Auswurfloser Reizhusten Auskultation: Lederknarren Perkussion und Palpation: Normal Pleuritis exsudativa (feuchte Pleuritis, Pleuraerguss) Schmerzen gehen langsam in ein Druckgefühl über. Starke Atemnot, je nach Größe des Pleuraergusses. Nachschleppen der betroffenen Brusthälfte. Auskultation: schwaches oder aufgehobenes Atemgeräusch Perkussion: Dämpfung mit Schenkelschall, hochgestellte verschiebliche) Atemgrenzen Palpation: Stimmfremitus ist abgeschwächt bis aufgehoben (wenige Der Untersuchungsbefund beim Pleuraerguss ist typischerweise lage-abhängig! Beim Pleuraerguss ist die Untersuchung des Pleurapunktates wichtig für die Differenzialdiagnose. Kom: Vernarbung der Pleura (Pleuraschwarte). Folge ist eine restriktive Ventilationsstörung durch Narbenzug Pleuraempyem: Eitriges Exsudat, meist im Rahmen einer bakteriellen Pneumonie Bildung von Atelektasen Pneumothorax Def: Plötzliches Eindringen von Luft in den Pleuraspalt. Urs: Äußerer Pneumothorax durch Verletzungen von außen (Trauma, Akupunktur, Injektion) Innerer Pneumothorax (Spontanpneumothorax) Idiopathischer Pneumothorax (häufigste Form), vorwiegend bei jungen Männern ohne erkennbare Ursache und ohne vorbestehende Lungenerkrankungen. Auslöser ist meist eine körperliche Betätigung. Symptomatischer Pneumothorax, entsteht infolge von anderen Erkrankungen, z.B. bei Lungenemphysem, Lungentumoren, Tbc, Lungenfibrose. Respirationstrakt Pathologie Pat: 205 Durch Ansammlung von Luft im Pleuraspalt gleicht sich der Druck im Pleuraspalt den atmosphärischen Außendruck an. Der benötigte Unterdruck vermindert sich, und es kommt aufgrund des elastischen Fasergerüstes zum Kollabieren der Lunge. Sym: Evtl. plötzlicher einseitiger meist stechender Brustschmerz Plötzliche Atemnot, Reizhusten Vegetative Symptome wie z.B. Blässe, Tachykardie, Schweißausbruch, Schwindel Auskultation: Abgeschwächte bzw. fehlende Atemgeräusche Perkussion: Hypersonorer Klopfschall, Zwerchfellhochstand Palpation: Fehlender Stimmfremitus (99) Inspektion: asymmetrische Thoraxbewegung, evtl. Jugularisstauung Kom: Ventilpneumothorax (Spannungspneumothorax) Ein Ventilmechanismus, bei dem Luft während der Einatmung in den Pleuraspalt eindringt, ohne dass die Luft während der Ausatmung wieder zurückströmen kann. Der zunehmende Überdruck verdrängt das Mediastinum auf die gesunde Seite und damit auf die Lunge und das Herz. Schocksymptome: Hypotonie, Tachykardie (akuter Notfall) Zunehmende schwere Atemnot mit Zyanose Starke Schmerzen bei der Einatmung Vernichtungsgefühl, akute Herzbeschwerden Gestaute Halsvenen The: Beim Ventilpneumothorax: Sofortige Druckentlastung durch Punktion einer großkalibrigen Kanüle im 3. ICR. Medioklavikular im Bereich der unteren Rippe. Störungen des Lungenkreislaufs Lungenödem Def: Ansammlung von seröser Flüssigkeit in dem interstitiellen Spalt zwischen Kapillaren und Alveolen (interstitielles Lungenödem) oder in den Alveolen (alveoläres Lungenödem). Urs: Kardiale Ursachen Linksherzinsuffizienz, Myokardinfarkt, Hypertensive Krise Renale Ursachen Irreversible chronische Niereninsuffizienz mit Anurie Nephrotisches Syndrom (Eiweißverlustniere) Erhöhte Durchlässigkeit (Permeabilität) der Alveolar-Kapillarwand durch Toxine (z.B. Gase, Rattengift, Barbiturate in Schlaf- und Narkosemittel, Bakterientoxine) durch allergische Reaktionen (anaphylaktischer Schock) Pat: Durch das Lungenödem kommt es zu einer Verlängerung der Diffusionsstrecke im Bereich der Luft-Blut-Schranke. Sym: Interstitielles Lungenödem (Prälungenödem) Atemnot, Husten, Tachypnoe, Orthopnoe Evtl. Bronchospasmus (Asthma cardiale) Manifestes Lungenödem (alveoläres Ödem) schwerste Atemnot, Angst, Zyanose, Orthopnoe © Arpana Tjard Holler (Autor) 206 Respirationstrakt Pathologie laute, mittelblasige oder grobblasige feuchte Rasselgeräusche Husten, hellrotes schaumiges Sputum Brustschmerzen The: Notfall. Sitzende Lagerung mit tiefhängenden Beinen! Ins Krankenhaus! Evtl. Aderlass. Lungenembolie Def: Verschluss einer Lungenarterie durch einen Embolus, der sich von einer Thrombose aus dem venösen Körpersystem abgelöst hat (meist tiefe Beinvenen). Pat: Folgen der plötzlichen Verengung einer Lungenarterie sind: Ischämie (Mangeldurchblutung) der Lunge mit Erniedrigung des pO2, Erhöhung des pCO2 und einem Abfall des Herzzeitvolumens mit Hypotonie. Rückwärtsstau des Blutes mit einer akuten Rechtsherzbelastung (Erhöhung des Pulmonalarteriendrucks) und evtl. akutem Rechtsherzversagen (Todesursache). Unterscheidung: Leichte Lungenembolie (80% d.F.) mit asymptomatischen Verlauf oder geringer Symptomatik (z.B. nur Kurzatmigkeit). Schwere Lungenembolie (10% d.F.) mit Verengung mittlerer Lungenarterien und deutlicherer Symptomatik Schwerste Lungenembolie mit Entwicklung eines Lungeninfarkts (5-10% d.F.) und hoher Letalität. 90% aller Thromben kommen aus den tiefen Bein- und Beckenvenen im Anfangsstadium der Phlebothrombose (tiefe Beinvenenthrombose). Auslöser ist häufig eine plötzliche körperliche Anstrengung. Urs: Venöse Stase (Blutstau) beiliegenden Patienten, nach Operationen und Traumen, nach Entbindungen (Wochenbett) oder im Rahmen einer Herzinsuffizienz. Sym: Größe des verschleppten Embolus bestimmt das klinische Bild Unruhe, Angst, Bedrohungsgefühl plötzliche Atemnot Schwindel stechende Brustschmerzen, stärker bei der Einatmung, atemabhängig Tachypnoe, Tachykardie Einflussstauung (z.B. Halsvenenstauung, Pleuraerguss) Husten mit manchmal schaumig blutigem Sputum Zyanose einseitiger Zwerchfellhochstand (schmerzreflektorisch) Schocksymptome Arterieller Blutdruck niedriger, pulmonaler Blutdruck erhöht Fieber (Thrombus wird abgebaut) Asymptomatischer Verlauf bei kleinen Embolien möglich Es müssen nicht alle diese Symptome vorhanden sein! Jede beliebige Kombination ist möglich! Möglich: Rezidivierende Embolien mit Schwindelanfälle, Tachykardie und Fieber. kurzem Bewusstseinsverlust, Respirationstrakt Pathologie 207 Kom: Akutes Rechtsherzversagen mit stark gefüllten Unterzungenvenen, Hand- und Halsvenen (akutes Cor Pulmonale). Lungeninfarkt, wenn der Thrombus sich nicht wieder auflöst und das Gefäß verschlossen bleibt (10% d.F.), kann zu heftigen Thoraxschmerzen, Hämoptoe (Bluthusten) und Pneumonie führen. Pleuritis, Pleuraerguss The: Notfall. In sitzender Lagerung ins Krankenhaus. Keine i.m.-Injektion. DD: Herzinfarkt Cor Pulmonale Def: Rechtsherzinsuffizienz infolge von Lungenerkrankungen. Path: Chronisches Cor pulmonale: Durch den Abbau von Lungenkapillaren kommt es zum Rückstau in das rechte Herz mit Volumenbelastung. Daraus folgt eine Rechtsherzinsuffizienz mit Rückstau in die Venen des großen Kreislaufs. Akutes Cor pulmonale: Plötzlicher Verschluss einer Pulmonalarterie kann zum akuten Rechtsherzversagen führen (das rechte Herz ist nur geringe Drücke gewöhnt) Urs: Chronisches Cor pulmonale Chronisch obstruktive Ventilationsstörungen (COPD) Fibrotische Lungenparenchymschädigungen (Lungenfibrosen) Akutes Cor pulmonale Lungenembolie durch tiefe Bein- oder Beckenvenenthrombose Sym: Zeichen einer Rechtsherzinsuffizienz Hyperventilationstetanie Def: Typische Muskelkrämpfe infolge einer Hyperventilation. Urs: Verstärkte Atmung mit vermehrter Abatmung von Kohlendioxyd, meist infolge von emotionalem Stress. Pat: Infolge der verstärkten Abatmung von Kohlendioxyd und Elimination von H-Ionen entsteht eine respiratorische Alkalose. Diese wird durch einen raschen Verbrauch von Kalziumionen im Blut kompensiert. Die Folge ist eine kurzfristige Hypokalzämie mit anfallartigen Muskelkrämpfen. CO2 Atmung H+ Blut Alkalose Hypokalzämie Tetanie Sym: Pfötchenstellung (auch als Geburtshelferhand bezeichnet) Tetaniegesicht mit gespitzten Lippen und periorales (um den Mund herum) Kribbeln, karpfenartige Mundstellung Krampfartige Schmerzen im Bereich der Brustwand Blässe im Gesicht (v.a. um den Mund herum) Parästhesien (Missempfindungen), Kribbeln an Arm und Beinen (Ameisenlaufen) Hyperreflexie Atemnot, Angst, Schweißausbruch The: Beruhigung kurzfristige Atmung in eine Plastiktüte © Arpana Tjard Holler (Autor) 208 Respirationstrakt Pathologie in der Regel kein Notfall kein Kalzium spritzen, kein Kalzium oral! Mukoviszidose (zystische Fibrose) Def: Autosomal rezessive Stoffwechselerkrankung, bei der die exokrinen Drüsen ein abnorm zähes Sekret produzieren und deren Symptome sich am häufigsten in den Atemwegen und der Lunge zeigen. Die Mukoviszidose gehört zu den häufigsten angeborenen Stoffwechselkrankheiten. Urs: Angeborener Gendefekt, bei dem der Schleim (Mukus) im Körper zu zähflüssig wird. Der Nachweis erfolgt u.a. über eine Messung des Chloridgehaltes des Schweißes (Schweißtest). Es gibt zur Früherkennung der Krankheit ein Neugeborenenscreening. Pat: Betroffen sind v.a. die Atemwege und die Lunge, aber auch die Verdauungsorgane (Pankreas, Leber, Darm), Niere, Geschlechtsorgane und Schweißdrüsen. Sym: chronischer Husten mit zähem Schleim, Sinusitis, Nasenpolypen, Bronchitis, Pneumonie Verdauungsstörungen (Bauchschmerzen, Diarrhö, Verstopfung, Meteorismus), Gewichtsverlust, sekundärer Diabetes mellitus, Cholelithiasis (Gallensteinleiden), Hepatomegalie, Leberzirrhose Trommelschlegelfinder, Uhrglasnägel stark salzig schmeckende Haut durch vermehrten Salzgehalt bei Männern Sterilität Differenzialdiagnose DD Husten Def: Reflektorische Aktion als Antwort auf einen Reiz in der Schleimhaut des Bronchialsystems (Hustenreflex), welche über Äste des Nervus Vagus gesteuert wird. Dabei wird bei geschlossenen Stimmbändern durch forcierte Ausatmung (Verkrampfung von Zwerchfell und Zwischenrippenmuskulatur) ein enormer Druck aufgebaut, der dann schließlich zur Aufsprengung der Stimmritze führt (Geschwindigkeiten über 800 km/h!). Unterschieden werden ein produktiver und ein unproduktiver Husten. Unterscheidung der Ursachen: Pulmonale Ursachen Alle Erkrankungen in den Atemwegen, welche die Flimmerhärchen reizen: Akute Bronchitis, COPD, Asthma bronchiale, Bronchiektasen, Bronchialkarzinom, Tuberkulose, Fremdkörperaspiration, Inhalation von Reizgasen, Pneumonie, Pneumothorax, Pleuritis, Lungenembolie, Sarkoidose. Kardiale Ursachen Alle Erkrankungen, welche eine Linksherzinsuffizienz verursachen und zum Rückstau in die Lunge und zum Asthma cardiale bzw. zum Lungenödem führen. Zentralnervöse Ursachen Keuchhusten (Toxin der Bordetella pertussis wirken auf Hustenzentrum), intrakraniale Druckerhöhung, Medikamente (z.B. ACE-Hemmer) psychogen Respirationstrakt Pathologie 209 DD Sputum Def: Gesamtheit der Absonderungen aus dem Atemtrakt, bestehend aus Schleimstoffen, Leukozyten, abgestoßene Epithelzellen, Schmutz- und Rauchpartikel, im pathologischen Fall auch aus Mikroorganismen, rote Blutkörperchen und Eiter. Unterscheidung: Zäh-glasiges Sputum, fadenziehend, klebt am Glas z.B. bei Asthma bronchiale, Keuchhusten, „trockener“ Bronchitis, Mukoviszidose Eitriges Sputum (gelb-grünliches) z.B. bei akuter Bronchitis, Lungenabszess (auch: semmelbraun), Bronchiektasen, Pneumonie (v.a. am Ende), offener Tuberkulose Blutiges Sputum z.B. bei Bronchialkarzinom, akute (chronische) Bronchitis, offener Tuberkulose, Pneumonie, Lungeninfarkt, Fremdkörperaspiration, Thoraxtraumen, hämorrhagische Diathese (z.B. Virus-bedingtes hämorrhagisches Fieber), Endometriose Rotbraunes Sputum (auch: rostbraun oder pflaumenkompottartig) bei Pneumonie Himbeer- oder erdbeergeleeartiges Sputum bei Bronchialkarzinom Dreischichtiges Sputum (nach langem Stehen: oben schaumig, in der Mitte trüb und unten krümelig) bei Bronchiektasen Schaumiges Sputum bei Lungenödem DD Atemnot (Dyspnoe) Unterscheidung: Pulmonale Dyspnoe z.B. COPD, Asthma bronchiale, Pneumonie, Lungenemphysem, Lungenfibrosen, Bronchialkarzinom, Pneumothorax, Phrenikuslähmung, Pleuraerguss, Fremdkörperaspiration, Verengung der Luftröhre durch Mediastinaltumore, Erkrankungen und Verletzungen des Kehlkopfes (Pseudokrupp, Epiglottitis) Kardiovaskuläre Dyspnoe Infolge einer Linksherzinsuffizienz, Herzfehlern, Hypotonie, hypertensive Krise, Lungenembolie Extrapulmonale und extrakardiale Dyspnoe Störungen des Atemzentrums (intrakraniale Druckerhöhung, SHT, zerebrale Ischämie), schwere Anämie, Aszites, Azidose, Höhenkrankheit, Fieber, Struma, Polyzythämie, schwere Form der Hiatushernie (Upside-down-stomache) DD Mundgeruch (Foetor ex ore) Def. Mundgeruch (auch Körpergeruch) als pathologischer Hinweise auf eine bestimmte Krankheit. Unterscheidung Azetongeruch Diabetes mellitus Typ I (ketoazidotisches Koma) © Arpana Tjard Holler (Autor) 210 Respirationstrakt Pathologie Respirationstrakt Pathologie 211 Urinöser Geruch Urämisches Koma (terminale Niereninsuffizienz) Geruch nach roher Leber (erdig-muffiger Geruch) Leberzerfallkoma (Leberzirrhose) Ammoniakgeruch Leberausfallskoma (z.B. bei fulminanter Hepatitis) Süßlicher Geruch Typisch für alle bakterielle Infektionen der Atemwege (z.B. Diphtherie, Scharlach, Plaut-Vincent-Angina, Lobärpneumonie) Fauliger Geruch (Geruch nach Aas) Typisch für alle Erkrankungen im Atemtrakt, welche zu einem Gewebszerfall führen (z.B. Bronchialkarzinom, Bronchiektasen, Lungenabszess, Karies, Ösophagusdivertikel) Geruch nach Bittermandeln Vergiftung mit Blausäure (Zyankali) Geruch nach Knoblauch Gebrauch eines Narkosemittels (Trapanal) Veränderungen des Zwerchfellstandes Zwerchfelltiefstand Def. Abnorme Lage des Zwerchfells nach kaudal, unterhalb der hinteren Bereiche der 10. Rippe mit Abflachung der Zwerchfellkuppen. Da die Herzspitze am Zwerchfell verwachsen ist, verlagert sich die Herzachse gerade nach unten und das Herz wird in die Länge gezogen (sog. Tropfenherz). Die Atemverschieblichkeit der Lungengrenzen ist vermindert. Urs: Lungenemphysem, Asthma bronchiale (Anfall), Ventilpneumothorax, Pleuraerguss, ausatmungsbedingte Ventilstenose in den Bronchien (z.B. bei Fremdkörperspiration, Bronchialkarzinom), Leistungssportler Zwerchfellhochstand Def. Ein- oder beidseitige Verlagerung des Zwerchfells nach kranial mit Verkleinerung des Thoraxraumes. Urs: Pulmonale Ursachen: Pneumothorax, Phrenikuslähmung, Lungenfibrose Abdominale Ursachen: Hepatomegalie, Splenomegalie, Aszites, Roemheld-Syndrom, Meteorismus, Große Tumore im Bauchraum, Adipositas, Schwangerschaft © Arpana Tjard Holler (Autor) 212 Respirationstrakt Pathologie Tabelle DD Lungenbefund Pleuritis exsudativa Pleuritis sicca Pneumothorax Lungenemphysem Inspektion Auskultation Perkussion Asymmetrische Thoraxbewegung Asymmetrische Thoraxbewegung Asymmetrische Thoraxbewegung Fassthorax Aufgehobenes Vesikuläratmen Lederknarren Dämpfung Palpation (Stimmfremitus) Aufgehoben Ohne Befund Ohne Befund Aufgehobenes Vesikuläratmen Vermindertes Vesikuläratmen Feuchte Rasselgeräusche Knisterrasseln Aufgehobenes Vesikuläratmen Hypersonor Aufgehoben Hypersonor Vermindert Dämpfung Verstärkt Lappenpneumonie Asymmetrische Thoraxbewegung Verdauungsapparat Anatomie G. 213 Verdauungsapparat Anatomie und Physiologie Verdauungsapparat Anatomie Aufgaben und Übersicht ....................................................................................................................... 214 Die Mundhöhle ..................................................................................................................................... 214 Der Rachen (Pharynx) .......................................................................................................................... 217 Die Speiseröhre (Ösophagus) ............................................................................................................... 217 Der Magen (Gaster, Ventriculus) ......................................................................................................... 218 Der Dünndarm (Intestinum tenue) ....................................................................................................... 220 Dickdarm und Mastdarm ...................................................................................................................... 221 Die Bauchspeicheldrüse (Pankreas)..................................................................................................... 224 Das Bauchfell (Peritoneum) ................................................................................................................. 225 Die Gefäßversorgung der Verdauungsorgane ..................................................................................... 226 Die Leber (Hepar) ................................................................................................................................. 226 Die Gallenblase und deren Gallengänge .............................................................................................. 232 © Arpana Tjard Holler (Autor) 214 Verdauungsapparat Anatomie Aufgaben und Übersicht Der Verdauungstrakt (Gastrointestinaltrakt) bildet ein durchgehendes Rohr vom Mund bis zum After. Ziel ist die Gewinnung von Energie aus den aufgenommenen Nahrungsmitteln. Dazu wird die Spaltung der Nahrung in aufnahmebereite Bausteine (Glukose, Aminosäuren, Fettsäuren) durch Enzyme beschleunigt. Aufgaben des Verdauungssystems: Mechanische Verdauung Chemische Verdauung Vermischung und Weiterbewegung der aufgenommenen Nahrung Resorption, Aufnahme von Stoffen in den Körper Kontrolle der Nahrung durch die Geschmacks- und Geruchsnerven Ausscheidung der verdauten und nicht resorbierten Nahrung in Form von Kot Übersicht der Organe des Verdauungstraktes: Mundhöhle (Cavum oris) Rachen (Pharynx, Mundrachenraum, Kehlkopfrachenraum) Speiseröhre (Ösophagus) Magen (Gaster, Ventriculus) Dünndarm (Intestinum) Zwölffingerdarm (Duodenum Leerdarm (Jejunum) Krummdarm (Ileum) Dickdarm (Grimmdarm, Kolon Blinddarm (Zäkum / Zökum) Aufsteigender Dickdarm (Colon ascendens) Querliegender Dickdarm (Colon transversum) Absteigender Dickdarm (Colon descendens) Mastdarm (Rektum) Bauchfell (Peritoneum) Dazugehörige Verdauungsdrüsen: Ohrspeicheldrüse (Glandula parotis) Unterkieferspeicheldrüse (Glandula submandibularis) Unterzungenspeicheldrüse Glandula sublingualis) Bauchspeicheldrüse (Pankreas) Leber (Hepar) Gallenblase (Vesica fellea oder biliaris), keine Drüse, nur Aufbewahrungsbehälter. Die Mundhöhle Die Mundhöhle dient der Aufnahme und Zerkleinerung der Nahrung, die mit Speichel zu einem Brei vermengt wird. Der Mundvorhof liegt zwischen den Wangen und Lippen und den Zahnreihen und dient dem Ergreifen der Nahrung. Die Grenzen Seitlich und nach vorne wird die Mundhöhle abgegrenzt durch die Zähne, nach oben durch den harten und weichen Gaumen, der zum Rachen hin in das Zäpfchen übergeht und den vorderen Gaumenbögen, und nach unten durch die Mundbodenmuskulatur. Verdauungsapparat Anatomie © Arpana Tjard Holler (Autor) 215 216 Verdauungsapparat Anatomie Die Lippen (Labien) Sie bestehen im Wesentlichen aus dem kreisförmigen Schließmuskel des Mundes und haben die Aufgabe, Nahrung zu ergreifen bzw. zu ertasten. Die Epithelschicht der Lippen ist besonders dünn, sodass das darunterliegende gefäßreiche Gewebe leuchtend rot erscheint. Deshalb gelten die Lippen als „Gradmesser“ des Blutes. Die Zähne (Dentes) Das Gebiss eines Erwachsenen besteht aus 32 Zähnen, je Quadrant aus 2 Schneidezähne 1 Eckzahn 2 Backenzähne 3 Mahlzähne (Molaren) Das Milchgebiss hat 20 Zähne (keine Molaren) und kommt zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 2. Lebensjahr zum Durchbruch. Der Zahnwechsel erfolgt ab dem 6. Lebensjahr. Die Schreibweise im zahnärztlichen Fachbericht sieht so aus: Die erste Zahl bezeichnet den Quadranten, die zweite Zahl die Nr. des Zahns immer von der Mitte aus zur Wange hin. Die Quadranten sind nummeriert von rechts oben nach rechts unten im Uhrzeigersinn. Rechter oberer Quadrant 18 17 16 15 14 13 12 11 Rechter unterer Quadrant 48 47 46 45 44 43 42 41 Linker oberer Quadrant 21 22 23 24 25 26 27 28 Linker unterer Quadrant 31 32 33 34 35 36 37 38 Ein Zahn besteht aus einer knochenartigen Substanz, deren Anteil an anorganischen Substanzen noch höher ist als beim Knochen. Die aus dem Zahnfleisch (Gingiva) herausragende Zahnkrone ist vom Zahnschmelz überzogen, der die härteste Substanz im Körper darstellt und aus Kalzium, Phosphor und Fluor besteht. Im Inneren des Zahnes befindet sich die Zahnpulpa, die gefäß- und nervenreiches Bindegewebe enthält. Nach dem HP-Gesetz §6 und dem „Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde“ ist die Ausübung der Zahnheilkunde nur den zugelassenen Zahnärzten vorbehalten. Die Zunge (Lingua, Glossa) Die Zunge besteht aus quergestreifter Muskulatur, die von einer dicken Schleimhaut überzogen ist. Aufgaben: Sprachbildung, Einleitung des Schluckaktes Hilft beim Kauen und Saugen Tast-, Temperatur- und Geschmacksempfindung durch Zungenpapillen Immunabwehr durch Zungentonsillen am Zungengrund (gehört zum lymphatischen Abwehrring) Geschmackssinn Zungenspitze: süß vordere seitliche Zungenränder: salzig hintere seitliche Zungenränder: sauer hinterer Zungenbereich: bitter Verdauungsapparat Anatomie 217 Die Speicheldrüsen Die Ohrspeicheldrüse (Glandula parotis): Sie ist die größte Speicheldrüse und liegt vor und unterhalb des Ohres zwischen der Haut und dem Kaumuskel (Musculus masseter). Ihr langer Ausführungsgang mündet in Höhe des zweiten oberen Mahlzahnes in dem Mundvorhof. Mumps ist die Entzündung der Ohrspeicheldrüse (Parotitis) meist im Kindesalter aufgrund einer Viruserkrankung. Die Unterkieferspeicheldrüse (Glandula submandibularis): Sie liegt unter der Mundbodenmuskulatur an der Innenseite des Unterkiefers im Kieferwinkel. Ihr Ausführungsgang mündet nahe dem Zungenbändchen unterhalb der Zunge. Die Unterzungendrüse (Glandula sublingualis): Sie liegt seitlich unterhalb der Zunge auf der Mundbodenmuskulatur. Es gibt noch zahlreiche kleinere Speicheldrüsen, die verteilt in der Mundschleimhaut liegen. Zusammensetzung und Aufgaben des Speichels Durchschnittlich werden pro Tag ca. 1,5 l Speichel gebildet. Besteht aus über 99% Wasser. Schleimstoffe (Muzine) machen den Bissen gleitfähiger. Ptyalin (Alphaamylase), ein Enzym, das Kohlenhydrate spaltet. Zungengrundlipasen, spalten 30% der Fette im Magen. Lysozyme und Immunglobuline A, die antibakterielle Funktion haben. Bikarbonat (HCO3- Ionen), dient der Pufferung des Speichels auf pH-Werte zwischen 7 und 8 zum Schutz des Zahnschmelzes. Fluoride, zum Schutz des Zahnschmelzes. Speichelsteine (Sialolithen) entstehen durch eine Störung in der Zusammensetzung der Speichelproduktion. Charakteristisch sind beim Kauen auftretende heftige Schmerzen (Sialolithiasis). Am häufigsten ist die Unterkieferspeicheldrüse betroffen. Der Rachen (Pharynx) Im mittleren Rachenraum kreuzen sich der Atemweg und der Speiseweg. Der Schluckakt wird willkürlich durch die Zunge eingeleitet und dann, sobald der Bissen den weichen Gaumen berührt, unwillkürlich über mehrere Reflexvorgänge weitergeleitet. Die Speiseröhre (Ösophagus) Die Speiseröhre ist ein 25-30 cm langer elastischer Muskelschlauch, der als Transportweg zwischen Mund und Magen dient. Sie verläuft zwischen Trachea und Wirbelsäule, beginnend auf der Höhe von C 6 (hinter dem Ringknorpel) und geht in Höhe Th9 - Th11 in den Magen über. Sie weist drei physiologische Engen auf: Ringknorpelenge, in der sich der obere Ösophagussphinkter befindet. Aortenenge, die durch den absteigenden Aortenbogen entsteht. Zwerchfellenge (Durchtritt der Speiseröhre durch das Zwerchfell = Hiatus oesophageus), in der sich der untere Ösophagussphinkter) befindet. Entzündungen, Tumore und Aussackungen kommen bevorzugt an den drei Engen vor. Aufbau der Wand des Ösophagus: Mukosa, innerste Schleimhautschicht Submukosa, sog. Verschiebeschicht aus Bindegewebe © Arpana Tjard Holler (Autor) 218 Verdauungsapparat Anatomie Muskularis, Muskelschicht in Form einer äußeren längsverlaufenden Muskelfaserschicht und einer inneren ringförmig verlaufenden Schicht. Im obersten Drittel besteht sie aus quergestreifter Muskulatur, im weiteren Verlauf dann aus glatter Muskulatur. Adventitia, äußerste Bindegewebshülle Diese vier Gewebsschichten befinden sich im gesamten Verdauungstrakt, sind aber in den verschiedenen Darmabschnitten unterschiedlich aufgebaut. Der Magen (Gaster, Ventriculus) Der Magen ist ein Muskelsack von unterschiedlicher Größe (je nach Füllungszustand). Das Fassungsvermögen beträgt normal ca. 1,5 Liter. Hier wird die Nahrung aufgefangen, mit Magensaft gemischt und durch mechanische und enzymatische Verdauung in einen Speisebrei verwandelt. Sind die Teilchen des Speisebreis kleiner als 0,5 mm wird er in kleinen Portionen in den Dünndarm abgegeben. Lage des Magens Im Oberbauch links der Medianlinie. Nach oben die linke Zwerchfellkuppe. Rechts die Leber. Links die Milz (links hinten). Nach hinten die Bauchspeicheldrüse. Nach vorne linker Leberlappen, Bauchwand. Nach unten der querliegende Dickdarm. Der Magen ist durch das Mesogastrium an der hinteren Bauchwand befestigt. Makroskopische Anatomie des Magens (Magenabschnitte) Kardia: Mageneingang, kleiner Bereich im Magen nach der Zwerchfellenge. Fundus: Magengrund, stellt die Kuppel des Magens dar. Corpus: Magenkörper, nimmt den größten Teil ein. Antrum: Magenausgangsteil, Vorraum des Magenpförtners. Pylorus: Magenpförtner, ein Ringmuskel, welche Magen und Dünndarm trennt. Kleine und große Kurvatur bezeichnen den rechten bzw. linken Magenrand. In der kleinen Kurvatur im Antrum findet sich am häufigsten Magengeschwüre und Magenkarzinome. Die mikroskopische Anatomie des Magens Mukosa: In der faltigen Magenschleimhaut sind schlauchförmige Drüsen eingelassen, die den Magensaft produzieren. Die Belegzellen produzieren die Salzsäure (bakterizide Wirkung) und den Intrinsic Faktor herstellen (notwendig zur Aufnahme von Vitamin B12). Die Hauptzellen bilden Pepsinogen für die Eiweißverdauung. Die Nebenzellen, die einen schützenden Schleim für die Magenwand herstellen Lernspruch: „Hauptsache Pepsi, Schleim ist Nebensache.“ Die G-Zellen im Bereich des Antrums produzieren das Hormon Gastrin, welches über den Blutweg die Haupt- und Belegzellen stimuliert. Die Submukosa ermöglicht dem Magen eine Anpassung an den jeweiligen Füllungszustand. Verdauungsapparat Anatomie 219 Die Muskularis des Magens ist die einzige Muskelschicht des Verdauungskanals, die aus drei Schichten besteht. Zu der längs- und ringförmig verlaufenden Schicht kommt innen eine schräg verlaufende Muskelschicht. Dies ermöglicht eine gute Mischung des Speisebreis (Chymus). In der Muskelschicht befinden sich „Schrittmacher“, die für die Peristaltik des Magens sorgen. Die äußere Bindegewebsschicht des Magens ist das viszerale Blatt des Bauchfells. Die Physiologie des Magens Der Magensaft Die Magensaftproduktion beträgt pro Tag normalerweise zwischen 2-3 Litern und hat durch den hohen Salzsäuregehalt einen pH-Wert von 1 - 2. Das von den Hauptzellen gebildete Pepsinogen wird durch die Salzsäure in die aktive Form in Pepsin umgewandelt. Pepsin ist ein eiweißspaltendes Enzym. Die von den Belegzellen gebildete Salzsäure hat außerdem eine denaturierende Wirkung auf die Eiweiße und eine bakterizide Wirkung. Merksatz: Die Belegschafft ist sauer, weil die Nebenschaft schleimt und mit der Hauptschaft Pepsi trinkt. Intrinsic Faktor (koppelt sich an Vitamin B12) Belegzellen Hauptzellen bakterizid Pepsinogen (unwirksam) HCL (Salzsäure denaturierende Wirkung Proteine Pepsin (wirksam) Polypeptide (10-99 Aminosäuren) Steuerung der Magensaftbildung Nervale bzw. orale Phase: Reize werden von den Sinnesrezeptoren (Geruch, Geschmack, Auge) zum Gehirn geleitet und von dort über Nervenfasern des N. vagus (X. Hirnnerv) zu den Beleg- und Hauptzellen in der Magenschleimhaut. So wird die Bildung des Magensaftes angeregt, ohne dass sich schon Speisen im Magen befinden. Selbst Gedanken und Erinnerungen an Essen oder Stress und Ärger können die Bildung von „Appetitsaft“ im Magen herbeiführen. Gastrische Phase: Die sog. Magenphase wird ausgelöst, wenn Nahrungsmittel in den Magen gelangen. Dabei führen angedaute Nahrungsmittel (insbesondere auch Gewürze und Genussmittel), ein Anstieg des pH-Wertes und eine Dehnung der Magenwand im Bereich des Antrums zu einer Sekretion von Gastrin aus den G-Zellen. Dieses Gewebshormon gelangt über den Blutweg zu den Beleg- und Hauptzellen und fördert die Magensaftbildung. © Arpana Tjard Holler (Autor) 220 Verdauungsapparat Anatomie Intestinale Phase: In der Schleimhaut im Anfangsteil des Duodenums (Zwölffingerdarm) wird das Gewebshormon Sekretin immer dann gebildet, wenn der stark angesäuerte Speisebrei in kleinen Portionen durch den Pylorus in das Duodenum gelangt. Sekretin wirkt hemmend auf die Haupt- und Belegzellen und wirkt so regulierend auf die Magensaftbildung. Aufgaben des Magens (Zusammenfassung) Auffangen der Nahrung und Durchmischen mit Magensaft zu einem Speisebrei. Beginn der Eiweißverdauung. Beginn der Fettverdauung durch Zungengrundlipasen. Bakterizide Wirkung durch den niedrigen pH-Wert. Bildung eines zähen Schleims zum Schutz der Magenschleimhaut vor der Salzsäure. Produktion des Intrinsic-Factors zur Aufnahme von Vitamin B12 in den Körper. Der Dünndarm (Intestinum tenue) Hier findet die endgültige chemische Verdauung und die Aufnahme der aufgespaltenen Bausteine in den Körper statt (Absorption, Resorption). Die makroskopische Anatomie des Dünndarms Der Dünndarm ist ca. 3 - 4 Meter lang und wird in drei Abschnitte unterteilt, die nahtlos ineinander übergehen. Duodenum (Zwölffingerdarm) Das Duodenum ist der kürzeste Abschnitt des Dünndarms mit ca. 25 - 30 cm. Es liegt in der Form eines C um den Kopf der Bauchspeicheldrüse herum. In der Mitte des absteigenden Duodenums mündet der Ausführungsgang der Bauchspeicheldrüse und der Gallengang durch die Vater-Papille (Papilla vateri, Papilla duodeni major) in den Verdauungskanal. Der Oddi-Sphinkter ist der Ringmuskel in der Vater-Papille, welcher hormonell (CCK) gesteuert wird. Das Duodenum liegt retroperitoneal und ist mit der hinteren Bauchwand fest verwachsen. Der Übergang des Duodenums in das Jejunum liegt in einer Dünndarmkurve (Flexura duodenojejunalis) Jejunum (Leerdarm) und Ileum (Krummdarm) Werden zusammen als der Gekrösedarm bezeichnet. Sie befinden sich innerhalb des Bauchfells (intraperitoneal). Das Jejunum ist etwas kürzer als das Ileum und liegt hauptsächlich im linken Oberbauch. Das Ileum schließt an das Jejunum an und liegt hauptsächlich im rechten Unterbauch. Der Abschnitt vor dem Dickdarm wird als terminales Ileum bezeichnet. Das Ileum wird durch die Ileozökalklappe (Bauhin-Klappe) zum Dickdarm abgegrenzt. Die mikroskopische Anatomie des Dünndarms Um der Aufnahme von Millionen von molekularen Bausteinen gewachsen zu sein, ist die Dünndarmschleimhaut um das 600fache vergrößert (ca. 100-200qm). Kerckring Falten sind ringförmig angelegte Schleimhautfalten. Die Dünndarmschleimhaut besteht aus ca. 1 mm hohen und 0,1 mm dünnen Dünndarmzotten (Villi intestinales). Verdauungsapparat Anatomie 221 Die Dünndarmepithelzellen (Enterozyten) besitzen zahlreiche zytoplasmatische Ausläufer (Mikrovilli), die zusammen als Bürsten- oder Stäbchensaum bezeichnet werden und die Resorptionsort für die molekularen Bausteine dienen. Enterozyten besitzen eine Lebensdauer von ca. 3 Tagen. Pro mm3 finden wir ca. 100 Millionen Mikrovilli. Zwischen den Dünndarmzotten befinden sich Krypten (in die Schleimhaut führende Einbuchtungen), die eine Vielzahl von exokrinen und endokrinen Drüsen beherbergen. Die Gesamtheit der Drüsen wird als Lieberkühn-Drüsen bezeichnet. Brunner Drüsen bilden alkalihaltigen Schleim und finden sich vorwiegend in der Duodenalschleimhaut. Im terminalen Ileum werden v.a. Vitamin B12 und Gallensäuren resorbiert. Außerdem findet sich hier zahlreiches lymphatisches Gewebe (Peyer-Plaques). Die Physiologie des Dünndarms Die Resorptionsvorgänge spielen sich an den Mikrovilli der Epithelzellen ab. Eiweiße werden in Form von freien Aminosäuren aufgenommen Kohlenhydrate in Form von Monosacchariden (Glukose, Fruktose, Galaktose) Triglyzeride, Cholesterine, Glyzerin und fettlösliche Vitamine (E, D, K, A) werden in den Mizellen (Gallensäuren) transportiert. Die meisten resorbierfähigen Nahrungsstoffe werden aktiv (unter Verbrauch von Energie) von den Enterozyten in den Körper aufgenommen. Bei der Auskultation sind normalerweise über allen 4 Quadranten 5 – 10 kollernde oder gurrende Darmgeräusche pro Minute zu hören. Die Bausteine gelangen dann in die unterhalb der Epithelschicht verlaufenden Blutgefäße. Diese verlaufen zu der Pfortader zusammen, die in die Leber einmündet. Langkettige Fettsäuren werden über die Lymphe zum Milchbrustgang abgeleitet, kurzkettige gelangen über das Blut zur Leber. Das Milieu im Dünndarm ist im Gegensatz zum Magen neutral bis alkalisch. Dickdarm und Mastdarm Der Dickdarm bildet den letzten Teil des Magen-Darm-Kanals und hat eine Länge von ca. 1,5 - 2 m. Aufgabe des Dickdarms ist die Reabsorption von Wasser und Elektrolyten und die Vergärung von nicht aufgenommenen Substanzen durch Bakterien. Die Aufgabe des Mastdarms ist die Speicherung des eingedickten und vergärten Dickdarminhalts (Kot, Fäzes) und dessen Ausscheidung über den After. Makroskopische Anatomie Der Blinddarm (Zäkum oder Zökum) Unterhalb der Bauhin`schen Klappe (Ileozökalklappe) im rechten Unterbauch befindet sich der Blinddarm, der den ersten Abschnitt des Dickdarms darstellt. An dessen unterem Ende befindet sich medial der Wurmfortsatz (Appendix vermiformis), ein lymphatisches Organ, das der Infektabwehr dient. Er ist sehr variabel in Form, Größe und Länge (2 –20 cm). Liegt intraperitoneal. © Arpana Tjard Holler (Autor) 222 Verdauungsapparat Anatomie Der Grimmdarm (Kolon) Ist der Hauptteil des Dickdarms und beginnt oberhalb der Ileozökalklappe und endet mit dem Übergang in den Mastdarm. Der Grimmdarm wird unterteilt in vier Abschnitte: Colon ascendens, an der rechten Bauchwand der aufsteigende Dickdarm, der bis zur Leber verläuft und retroperitoneal liegt. Colon transversum, der querliegende Dickdarm. Er verläuft von der rechten Dickdarmkrümmung (Flexura hepatica, Flexura coli dexter) bis zur linken Dickdarmkrümmung (Flexura lienalis, Flexura coli sinistra). Befindet sich intraperitoneal. Colon descendens, der an der linken Bauchwand befindliche absteigende Dickdarm, welcher retroperitoneal liegt. Colon sigmoideum (Sigmoid), verläuft ab Höhe der linken Beckenschaufel Sförmig in Richtung kleines Becken und verlässt den Bauchraum. Liegt intraperitoneal. Der Mastdarm (Rektum) Das Rektum beginnt in Höhe des 3. Sakralwirbels, hat eine Länge von etwa 15-20 cm und liegt der konkaven Krümmung des Kreuzbeins an. Im oberen Bereich liegt die Ampulle, der eigentliche Kotbehälter, und nach unten folgt der etwa 3 cm große Analkanal. Die Öffnung nach außen heißt After (Anus). Mikroskopische Anatomie Dickdarm Die Mukosa des Dickdarms hat keine Zotten mehr, sondern tiefe Dickdarmkrypten. Dort finden sich hauptsächlich schleimbildende Becherzellen (heißen auch hier Lieberkühn Drüsen) und resorbierende Epithelzellen mit Mikrovilli. Die Muskularis des Dickdarms hat eine Besonderheit: Die äußere Längsmuskelschicht verläuft in drei Längsmuskelstreifen (Tänien). Durch den erhöhten Muskeltonus der Tänien und die Kontraktion der darunterliegenden Ringmuskelschicht entstehen für den Dickdarm typische peristaltische Einschnürungen (Haustren). An der Adventitia des Dickdarms finden sich meist noch Fettanhängsel (Appendices epiploicae), die beträchtliche Ausmaße annehmen können (Speicherfett). Verdauungsapparat Anatomie 223 Überblick Verdauungsrohr Zerkleinerung Kohlenhydratverdauung durch Ptyalin (Amylase) Transport Auffangen, mischen und mengen Bakterizide Wirkung Eiweißverdauung durch Pepsin Fettverdauung durch Zungengrundlipasen Produktion des IntrinsicFaktors Pankreas Leber Enzym e Galle Eiweißverdauung durch Proteasen Kohlenhydratverdauung durch Amylasen Fettverdauung durch Lipasen und Galle Absorption der molekularen Nahrungsbestandteile Wasserrückresorption Eindickung der Ballaststoffe Ausscheidung Mundhöhle Ösophagus Magen Dünndarm Dickdarm Mastdarm Die Schleimhaut geht im Bereich des Anus allmählich in die äußere Haut über. Im Analkanal liegt unter der Schleimhaut ein Venengeflecht (Hämorrhoidalzone), welches als Schwellkörper die Funktion hat, den Anus gas- und wasserdicht abzuschließen. Die Muskelschicht des Rektums hat keine Tänien und Haustren mehr. Der Verschluss des Afters erfolgt durch zwei Muskelschichten: Der innere Schließmuskel (Musculus sphincter ani internus); besteht aus glatter Muskulatur und wird durch den Sympathikus geschlossen. Der äußere Schließmuskel (Musculus sphincter ani externus); besteht aus quergestreifter Muskulatur. Er ist ständig kontrahiert und erschlafft nur bei der willkürlichen Entleerung. © Arpana Tjard Holler (Autor) 224 Verdauungsapparat Anatomie Der Stuhl (Kot, Fäzes, Fäkalien) ist der unverdauliche Nahrungsrest, der eingedickt wird und von Bakterien zersetzt wird. Wesentlichen Bestandteile sind: Nicht aufgenommene, von den Bakterien zersetzte Nahrungsbestandteile. Schleim und abgestoßenes Resorptionsepithel. Bakterien (Milliarden!) und deren Stoffwechselprodukte, sog. Fäulnisprodukte, die für den unangenehmen Geruch verantwortlich sind. Sterkobilin, ein Stoff der aus dem Gallenbestandteil Bilirubin entsteht und dem Kot die bräunliche Farbe gibt. Abbauprodukte und Giftstoffe, die fettlöslich sind und von der Leber über die Galle ausgeschieden werden. Die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) Anatomie der Pankreas Daten 5 - 20 cm lang 1,5 - 3 cm dick ca. 80 g schwer Lage Pankreaskopf liegt in der C-Schlinge des Duodenums. Pankreaskörper kreuzt die Wirbelsäule in Höhe Th12/L1. Pankreasschwanz reicht bis zum Milzhilus. Der Verlauf vom Kopf zum Schwanz ist leicht schräg nach oben links. Vor dem Pankreaskörper und Pankreasschwanz liegt der Magen, vor dem Kopf die Leber. Hinter der Pankreas befindet sich die Bauchwand, mit der es fest verwachsen ist. Der Pankreas befindet sich retroperitoneal. Aufbau Das Innere der Pankreas besteht aus vielen kleinen serösen Drüsen-läppchen, die alle in den großen Pankreasgang (Ductus pancreaticus) münden. Der große Pankreasgang führt in 80% der Fälle zusammen mit dem Gallengang (Ductus choledochus) durch eine Mündungsstelle (Vater-Papille, lat: Papilla duodeni major) ins Duodenum. Physiologie der Pankreas Endokrine Funktion: Langerhans-Inseln (Inselapparat) produzieren Hormone (vorwiegend im Schwanzteil der Pankreas). A-Zellen produzieren Glukagon, welches den Blutzuckerspiegel erhöht. B-Zellen produzieren Insulin, welches den Blutzuckerspiegel senkt. Exokrine Funktion: Die Pankreas produziert den sog. Bauchspeichel (Pankreassaft) (ca. 1,5 l/Tag). Er besteht zum einen aus bikarbonatreichen Säften, welche die Aufgabe haben, den sauren Magenbrei auf einen pH-Wert von 7 - 8 zu führen, und zum anderen aus Enzymen, welche die Aufgabe haben, die Nährstoffe aufzuspalten. Im Bauchspeichel gibt es drei Enzymgruppen: Proteasen spalten große Eiweißmoleküle in Aminosäuren. Amylasen spalten Kohlenhydrate in Monosaccharide (z.B. Glukose). Lipasen spalten Fette (Triglyzeride) in Fettsäuren und Glyzerin. Enzyme sind Stoffe, welche die Fähigkeit haben, biochemische Prozesse zu beschleunigen. Verdauungsapparat Anatomie 225 Steuerung der Pankreasproduktion: Ähnlich wie beim Magen können drei Phasen unterschieden werden. Nervale Phase: Durch Sinneseindrücke wird die Bauchspeicheldrüse über den Nervus Vagus (X. Hirnnerv) zur Produktion eines bikarbonat- und enzymreichen Pankreassaftes angeregt. Gastrische Phase: Das von den G-Zellen produzierte Hormon Gastrin fördert auch die Produktion des Bauchspeichels. Intestinale Phase: Sie hat die größte Bedeutung. In der Dünndarmschleimhaut direkt nach dem Magenpförtner werden zwei Hormone an die Blutbahn abgegeben: Sekretin, regt die Pankreas zur Produktion von bikarbonatreichen Bauchspeichel an und hemmt die Magenmotorik und die Magensäureproduktion. CCK (Cholecystokinin), führt zur Kontraktion der Gallenblasenmuskulatur, zur Erschlaffung des Oddi-Sphinkters in der VaterPapille und damit zur Ausschüttung der Galle und stimuliert die Bauchspeicheldrüse zur Produktion von Verdauungsenzymen. Das Bauchfell (Peritoneum) Das Bauchfell hat die Aufgabe, ähnlich wie die Pleura bei der Atmung und das Perikard bei der Herztätigkeit, eine Verschieblichkeit der Organe untereinander zu ermöglichen. Peritoneum parietale umkleidet die Bauchhöhlenwand, nach vorne die Bauchmuskulatur, nach hinten die Rückenmuskulatur und die WS und nach oben das Zwerchfell. Peritoneum viszerale überzieht die Verdauungsorgane, die sich in der Embryonalzeit vom Retroperitonealraum her in die Bauchhöhle hineingeschoben haben. Die Bauchhöhle (Peritonealraum bzw. Intraperitonealraum) ist der Raum innerhalb des Bauchfells. Dient in der Medizin wegen der hohen Resorptionsleistung der kontinuierlichen ambulanten Peritonealdialyse beim chronischen Nierenversagen. Intraperitoneale Organe sind ganz mit Peritoneum viszerale überzogen: Magen, Jejunum, Ileum, Zäkum (Blinddarm) mit Appendix (Wurmfortsatz), Colon transversum, Colon sigmoideum Milz, Leber Auch Eierstöcke und Eileiter befinden sich intraperitoneal. Der Retroperitonealraum: Der Raum hinter dem Bauchfell, zwischen Bauchfell und hinterer Bauchwand. Die hier befindlichen Organe werden als retroperitoneale Organe bezeichnet. Primär retroperitoneale Organe befinden sich im Retroperitonealraum ohne Verwachsung mit dem Bauchfell, z.B. Nieren, Nebennieren, Harnleiter, Aorta, Vena cava, Ductus thoracicus (Milchbrustgang) Sekundär retroperitoneale Organe sind innerhalb des Bauchfells entstanden, jedoch mit der hinteren Bauchwand verwachsen und noch nur mit einer Seite mit dem Bauchfell bedeckt (Duodenum, Colon ascendens und descendens, Pankreas). Das Mesenterium (Dünndarmgekröse) besteht aus zwei Bauchfellblättern, die Jejunum und Ileum an der hinteren Bauchwand befestigen. Dieses Aufhängeband ist an der Mesenterialwurzel (Radix mesenterii), eine ca. 12 cm lange Linie, befestigt. Im Mesenterium verlaufen Arterien, Venen, Lymphknoten und Nervenfasern. © Arpana Tjard Holler (Autor) 226 Verdauungsapparat Anatomie Omentum majus (großes Netz) ist eine Art Fettschürze, die als Bauchfellduplikatur faltenartig vor der Dünndarmschlinge liegt. Sie ist am Magen und am Colon transversum befestigt. Sie enthält zwischen ihren elastischen Fasern Fettgewebe und zahlreiches lymphatisches Gewebe (Abwehrorgan) und dient auch als Schutz der Bauchorgane. Die Gefäßversorgung der Verdauungsorgane Die arterielle Versorgung der Bauchorgane erfolgt durch drei große Abzweigungen der Bauchaorta: Gleich unterhalb des Diaphragmas der Truncus coeliacus, ein gemeinsamer Stamm der Magenschlagader (A. gastrica), der Milzschlagader und der Leberschlagader (A. hepatica communis). Von hier aus wird auch der Pankreas versorgt. Obere Mesenterialschlagader oder obere Gekröseschlagader (Arteria mesenterica superior), die den Dünndarm, den aufsteigenden Teil des Dickdarms und einen Teil des querliegenden Dickdarms versorgt. Untere Mesenterialschlagader oder untere Gekröseschlagader (Arteria mesenterica inferior), versorgt den restlichen Dickdarm. Der venöse Abfluss geschieht durch die Pfortader (Vena portae), die in der Leber mündet. Alle Venen der Bauchorgane (Magen, Milz, Pankreas, Dickdarm, Dünndarm) fließen durch die Leber über die Pfortader ab, mit Ausnahme der unteren Rektalvenen, die über die V. iliaca in die untere Hohlvene abfließen Die Leber (Hepar) Gewicht: 1,5 - 2 kg, die größte exokrine Drüse des Körpers Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan, vorstellbar als ein riesiges chemisches Laboratorium. Die Lage der Leber Die Hauptmasse liegt im rechten Oberbauch unter der rechten Zwerchfellkuppe und ist mit ihr teilweise verwachsen. Mit dem kleineren linken Leberlappen reicht sie weit über die Mittellinie hinaus und bedeckt dort teilweise den Magen. Nach unten hin ist die Leber konkav gewölbt und passt sich den Eingeweiden an. Der untere Leberrand verläuft entlang dem Rippenbogen und ist an der Medioklavikularlinie während der Einatmung bei schlanken Personen gut tastbar. Makroskopische Anatomie der Leber Rechter Leberlappen (Lobus dexter), der die Hauptmasse einnimmt und fast bis zur Mittellinie reicht. Linker Leberlappen (Lobus sinister), der wesentlich kleiner ist und in den linken Oberbauch hineinreicht. Die Leberpforte befindet sich an der Unterseite zwischen quadratischem und geschwänztem Lappen. Einmündungsstelle der Pfortader Einmündungsstelle der Leberarterie Austrittsstelle der beiden Lebergallengänge, der Lymphgefäße und der zum autonomen Nervensystem gehörenden Nervenfasern. Verdauungsapparat Anatomie 227 Meist 3 Lebervenen (Venae hepaticae) leiten das venöse Blut der Leber in den Teil der unteren Hohlvene, der vom Leberparenchym fast vollständig umschlossen ist. Mikroskopische Anatomie der Leber Die kleinste anatomische Einheit der Leber ist das Leberläppchen. Größe: Durchmesser ca. 1,5 mm und Höhe ca. 2 mm groß. Aufbau der Leberläppchen: Sehen unter dem Mikroskop aus wie sechseckige Zylinder. An den Eckpunkten der Leberläppchen befinden sich jeweils bindegewebige Felder, die Periportalfelder mit den Glisson Trias. Glisson Trias beinhalten drei Gefäße: Einen Versorgungsast der Pfortader, gibt das Blut in das Leberläppchen ab. Einen Versorgungsast der Leberarterie, gibt das Blut in das Leberläppchen ab. Ein kleiner Gallengang, transportiert die Galle aus dem Leberläppchen in Richtung Gallenblase ab. Im Inneren der Leberläppchen laufen sog. doppelreihige Leberzellbalken der Mitte zu. Sie bestehen aus den Leberzellen, der eigentlichen Stoffwechselfabrik. Die Hohlräume zwischen den Leberzellbalken werden Sinusoide genannt. In diesen Leberkapillaren fließt das arterielle Blut der Leberarterien gemischt mit dem venösen Blut der Pfortader. In der Mitte eines Leberläppchens befindet sich die Zentralvene, die das Blut aus den Leberkapillaren auffängt und weiterleitet in Richtung Hohlvene. In der Wand der Sinusoide sitzen Abwehrzellen, die Kupffer Sternzellen, welche die Fähigkeit zur Phagozytose haben. Die Leberzellen produzieren die Gallenflüssigkeit, die gegenüber der Sinusoide an sog. intrahepatische Gallengänge abgegeben wird. Der Fluss dieser Gallenkapillaren fließt entgegen dem Blutstrom von innen nach außen. Physiologie der Leber (Aufgaben der Leber) Stoffwechselfunktion Resorbierte Stoffe aus dem Magen-Darm-Trakt werden über den Pfortaderkreislauf der Leber zugeführt. Eiweißstoffwechsel Aus den Aminosäuren werden körpereigene Eiweiße (Proteine) aufgebaut, z.B. Albumine, Globuline, Prothrombin, Fibrinogen Für den Transaminierungsprozess (Aminosäuren werden von einem Stoff auf den anderen übertragen) werden bestimmte Enzyme (Transaminasen) benötigt. GOT (neu: AST; Lernspruch Gott sitzt auf dem Ast), nicht leberspezifisch GPT (neu: ALT) GLDH Gamma-GT Beim Zerfall von Leberparenchym steigen die Transaminasenwerte an! Bei Ab- und Umbauvorgängen von Aminosäuren wird das Eiweißstoffwechsel-endprodukt Harnstoff gebildet, welcher über die Niere ausgeschieden werden muss. Pro Tag benötigt eine gesunde erwachsene Frau ca. 40-60 g Eiweiße. © Arpana Tjard Holler (Autor) 228 Verdauungsapparat Anatomie 1 g Proteine = 4,3 kcal Kohlenhydratstoffwechsel Bei Überangebot von Blutzucker (Glukose) wird dieser in Form von Glykogen unter Insulineinwirkung in der Leber, Niere, Muskel und Gehirn gespeichert. Bei Bedarf wird Glykogen durch das Hormone Glukagon (auch Adrenalin) wieder zu Glukose umgebaut. Die Leber ist in der Lage aus Nicht-Kohlehydrat-Molekülen (Eiweiße und Fettsäuren) Glukose zu bilden (Glukoneogenese). Kohlenhydrate (Saccharide) werden in Einfach-, Zweifach- und Mehrfachzucker unterschieden: Einfachzucker (Monosaccharide) Glukose (Traubenzucker) Fruktose (Fruchtzucker), insulinunabhängig Galaktose (Schleimzucker), in Milch enthalten, insulinunabhängig Zweifachzucker (Disaccharide) Maltose (Malzzucker): Glukose und Glukose Saccharose (Rohrzucker, Rübenzucker): Fruktose und Glukose Laktose (Milchzucker): Galaktose und Glukose Lernspruch: Ma-Sa-La Mehrfachzucker (Polysaccharide) Tierische und pflanzliche Stärke 1 g Kohlenhydrate = 4,3 kcal Verdauungsapparat Anatomie 229 Übersicht exogene Fette Magen Zugengrundlipasen spalten 30% der Triglyzeride Dünndarm Leber Gallensäuren Mizellen Transportvehikel für exogene Fette im Darm Enterohepatischer Kreislauf Lipasen Pankreas An den Mikrovilli Gallensäuren werden größtenteils im terminalen Ileum zum Wiederaufbau rückresorbiert Kurzkettige Fettsäuren Werden über Albumine im Pfortaderblut transportiert © Arpana Tjard Holler (Autor) Resorption der Fette in den Resorptionszellen = Enterozyten Langkettige Fettsäuren Werden über Chylomikronen über die Lymphe im MilchBrustgang transportiert 230 Verdauungsapparat Anatomie Fettstoffwechsel Bei verstärktem Fettabbau (Fasten, Diabetes mellitus) entstehen in der Leber Ketonkörper, die zu einer Übersäuerung des Blutes führen können. Triglyzeride (Neutralfette) bestehen aus einem Molekül Glycerin und drei Molekülen Fettsäuren. Unterscheidung der Fettsäuren in: Gesättigte Fettsäuren (enthalten Einfachbindungen), können vom Körper selbst hergestellt werden (z.B. Palmitinsäure). Einfach ungesättigte Fettsäuren (enthalten eine Doppelbindung: Ölsäure). Mehrfach ungesättigte Fettsäuren (enthalten mehr als eine Doppelbindung), können vom Körper nicht hergestellt werden und sind deshalb essentiell (z.B. Arachidonsäure, Linolsäure, Linolensäure). Cholesterin wird zum großen Teil von der Leber hergestellt und zum Aufbau bzw. Einbau von z.B. Hormonen (Kortikoide, Geschlechtshormone), Enzymen, Gallensäuren und Zellwände verwendet. Transport der Fette durch Lipoproteine (Transportpartikel) Exogene Fette (Nahrungscholesterin) werden im Darm über Mizellen zu den Mikrovilli gebracht. Von dort gelangen sie ins Blut und werden durch Chylomikronen größtenteils über die Lymphe zu den Zellen gebracht. Endogene Fette werden von der Leber aus überschüssigen Kohlenhydraten und Fette produziert und zu den Zellen gebracht. Folgende Lipoproteine werden unterschieden: VLDL (Very Low Density Lipoprotein): Transportiert Triglyzeride und Cholesterin LDL (Low Density Lipoprotein): Transportiert Cholesterin (bis 150 mg/dl) HDL (High Density Lipoprotein): Aufnahme von Cholesterin und Rücktransport zur Leber (ab 40 mg/dl) 1 g Fett = 9,1 kcal Entgiftungsfunktion Die Leber baut schädliche Fremdstoffe (z.B. Medikamente, Alkohol, Lebensmittelstoffe, Gifte) und körpereigene Stoffe (z.B. Ammoniak) ab bzw. so um, dass sie in relativ harmloser Form entweder über die Niere (wasserlösliche Stoffe) oder über die Galle (wasserunlösliche Stoffe) ausgeschieden werden können. Gallenproduktion Ca. ¾ - 1 Liter pro Tag. Die Galle besteht aus Wasser (90%), Gallensäuren und den lithogenen (steinbildenden) Substanzen: Kalzium, Cholesterin und Bilirubin. Die Gallensäuren halten diese Substanzen in der Lösung. Sind zu wenige Gallensäuren vorhanden, können die Substanzen kristallisieren und Steine bilden. Enterohepatischer Kreislauf der Gallensäuren: Die Leber bildet aus Cholesterin die Gallensäuren (Gallensalze), welche die Aufgabe haben, die mit der Verdauung aufgenommenen Fette in kleinste molekulare Fetttröpfchen, den Mizellen, zu emulgieren. Der größte Teil der Gallensäuren bleibt intakt und wird im unteren Dünndarmabschnitt zurückresorbiert und über das Pfortaderblut in die Leber zur erneuten Produktion von Galle abgegeben. Verdauungsapparat Anatomie 231 Gallenfarbstoff Bilirubin (Bilirubinkreislauf): Beim Abbau des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin entsteht Bilirubin, das wegen schlechter Wasserlöslichkeit an das Bluteiweiß Albumin gebunden wird. Das indirekte bzw. unkonjugierte (wasserunlösliche) Bilirubin. In der Leber wird dieses Bilirubin in wasserlösliches umgewandelt, indem es mit Glukuronsäure konjugiert (gekoppelt) wird. Das direkte bzw. konjugierte (wasserlösliche) Bilirubin. Ein Teil des Bilirubins wird im Darm durch die Zersetzungsprozesse zu Urobilinogen, ein anderer Teil zu Sterkobilin umgewandelt. Urobilinogen wird zum Teil (70%) wieder rückresorbiert und in der Leber abgebaut. Ein kleiner Teil wird über die Niere ausgeschieden. Sterkobilin gibt dem Kot seine bräunliche Farbe. Bilirubinkreislauf Hämolyse Biliverdin indirektes Bilirubin (nicht wasserlöslich, mit Albumine gekoppelt) Leber Niere Pfortader direktes Bilirubin (wasserlöslich) Ausscheidung von Urobilinogen über den Harn Enterohepatischer Kreislauf Über die Galle in den Dünndarm Urobilinogen Dickdarm Sterkobilin (färbt den Stuhl dunkel) © Arpana Tjard Holler (Autor) 232 Verdauungsapparat Anatomie Weitere Aufgaben der Leber Blutbildung in der Fetalzeit. Leber als Speicherorgan (Vitamin A, K, B12, Glykogen, Eisen, Blut). Erythrozytenabbau durch Phagozytose der Kupfferschen Sternzellen. Bildung der Mehrzahl aller Gerinnungsfaktoren. Die Gallenblase und deren Gallengänge Gallenblase Lage: Sie liegt unterhalb der Leber in einer Längsfurche und ist an der Oberseite mit der Leber fest verwachsen. Der Gallenblasenhals liegt in der Nähe der Leberpforte und der blind endende Fundus reicht bis zum unteren Leberrand und ist bei praller Füllung tastbar. Aufbau: Ca. 7 - 12 cm langer, birnenförmiger Sack mit Mukosa, ringförmiger Muskularis und Adventitia. Volumenkapazität ca. 40 - 100 ml. Aufgabe Sie dient der Speicherung und Eindickung von Gallenflüssigkeit. Die Gallenblase kontrahiert sich unter Einfluss des Hormons CCK. Gallengänge Intrahepatische Gallengänge. In der Leber befindliche Gallengänge. Extrahepatische Gallengänge. Es werden drei Gallengänge unterschieden: Der zuleitende Lebergallengang (Ductus hepaticus communis) Der eigentliche Gallenblasengang (Ductus cysticus), der vom Lebergallengang zur Gallenblase abzweigt. Der ableitende Hauptgallengang (Ductus choledochus), der die Weiterführung des Lebergallengangs darstellt und meist gemeinsam mit dem Ductus pancreaticus über die Vater-Papille in das Duodenum mündet. Verdauungsapparat Pathologie 233 Verdauungsapparat Pathologie Erkrankungen der Mundhöhle ............................................................................................................. 235 Erkrankungen der Speiseröhre ............................................................................................................ 236 Erkrankungen des Magens ................................................................................................................... 241 Erkrankungen des Dünn- und Dickdarms ........................................................................................... 246 Erkrankungen derPankreas ................................................................................................................. 257 Erkrankungen der Galle ....................................................................................................................... 259 Erkrankungen der Leber ...................................................................................................................... 261 © Arpana Tjard Holler (Autor) 234 Verdauungsapparat Pathologie Peritonitis (Bauchfellentzündung) ....................................................................................................... 272 Fettstoffwechselstörungen ................................................................................................................ 272 Differenzialdiagnose ............................................................................................................................. 273 Verdauungsapparat Pathologie 235 Erkrankungen der Mundhöhle Behandlungsverbot für Heilpraktiker gemäß Zahnheilkundegesetz Stomatitis Def.: Entzündung der Mundschleimhaut unterschiedlicher Ursache und unterschiedlichen Ausmaßes Urs.: Infektion (Pilze, Bakterien, Viren) Allergisch Toxisch (z.B. Blei, Quecksilber) Im Rahmen von anderen Erkrankungen (z.B. Anämie, Diabetes mellitus, HIVInfektion, Leukämie) oder Abwehrschwäche Sym.: Gerötete und schmerzhaft geschwollene Mundschleimhaut, evtl. weißliche Beläge Mundgeruch (= Foetor ex ore) Fieber möglich Stomatitis herpetica Syn: Stomatitis aphthosa, Gingivostomatitis herpetica, „Mundfäule“ Urs: Meist Herpes simplex Typ I. Sym: Mundschleimhaut gerötet, geschwollen und stark schmerzhaft Bildung von zahlreichen Aphthen Fieber Fauliger Geruch Regionale Lymphknotenschwellung Aphthen sind auf der Mundschleimhaut befindliche linsengroße Schleimhautdefekte, die mit Bläschenbildung, einem rötlichen entzündlichen Saum und gelblichweißen Belägen einhergehen. Sie können vereinzelt (meist unbekannter Ursache) oder gehäuft im Rahmen einer Mundfäule auftreten. Stomatitis mycotica Syn: Mundsoor Def: Entzündung der Mundschleimhaut mit Candida albicans. Urs: Abwehrschwäche (z.B. AIDS, Diabetes mellitus, Leukämie, Lymphome, Systemerkrankungen), Apoplex (infolge Austrocknung der Mundhöhle) Medikamente (Antibiotika, Immunsuppressiva, Kortison, Zytostatika) Sym: weiße Stippchen, welche in einen flächenhaften, gelbbraunen, leicht abwischbaren Belag übergehen können Mundwinkelrhagaden Syn: Stomatitis angularis, Faulecken Def: Schmerzhafte Einrisse im Bereich des Mundwinkels Meist Mangelernährung (z.B. Eisenmangelanämie, Vitamin B12-Mangelanämie) Verminderte Immunabwehr, Diabetes mellitus V.a. Säuglinge und ältere Menschen sind betroffen © Arpana Tjard Holler (Autor) Urs: 236 Verdauungsapparat Pathologie Sym: Einrisse sind schmerzhaft und heilen schlecht Können verkrustet sein und evtl. geschwürig werden Erkrankungen der Speiseröhre Die meisten Speiseröhrenerkrankungen (Schluckstörung). haben als Leitsymptom die Dysphagie Achalasie (Ösophagusachalasie) Def: Eine neuromuskuläre Erkrankung, bei der es zu einer fehlenden Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters (UÖS) kommt. Urs: Degenerierte Nervenfaser des Auerbach-Plexus. Pat: Oberhalb des UÖS erweitert sich die Speiseröhre stark („zugebundene Wurst“). Diagnose durch Röntgen mit Kontrastmittel. Sym: Dysphagie mit retrosternalen dumpfen Schmerzen beim Schlucken Regurgitation (Zurückfließen von unverdauten Speisen) Gewichtsabnahme Kom: Gefahr auf Aspirationspneumonie Karzinomatöse Entartung The: Dehnung des UÖS mit einer Ballonsonde Operation Ösophagusdivertikel Def: Sackartige Ausstülpung der Speiseröhre. Urs: Koordinationsstörungen mit von innen erhöhtem Druck auf die Wand. Missverhältnis zwischen innerem Druck und Wandstabilität. Zenker-Divertikel (unechtes Divertikel; 70%), entstehen im Bereich des oberen Ösophagussphinkters. Männer sind häufiger betroffen. Parahiatales Pulsionsdivertikel (20%) im Bereich des unteren Ösophagussphinkters. Zug von außen, z.B. durch Entzündungsprozesse, entstehen in der mittleren Ösophagusenge (Aortenenge) in Höhe der Trachealbifurkation. thorakales Traktionsdivertikel (10%) Sym: Dysphagie Globusgefühl (Fremdkörpergefühl) Regurgitation (Hervor würgen unverdauter Nahrungsbestandteile) Mundgeruch (Foetor ex ore) Kom: Ösophagitis Aspirationspneumonie Verdauungsapparat Pathologie 237 Ösophagitis (Speiseröhrenentzündung) Def: Schleimhautentzündung durch infektiöse, chemische oder physikalische Ursachen. Urs: Refluxösophagitis (siehe Refluxkrankheit) Durch Mikroorganismen, meist Pilze (Soorösophagitis) Chemisch durch Verschlucken von Säuren, Laugen oder hoch hochprozentigem Alkohol. Physikalisch durch Bestrahlung oder durch Magensonden. Eisenmangel (Plummer-Vinson-Syndrom) Sym und Kom: siehe Refluxkrankheit The: Je nach Ursache. Bei Verätzungen: Neutralisierung durch Trinken von Wasser in kleinen Schlucken. Bei Säureverätzungen Natriumbikarbonat. Bei Laugenverätzungen verdünnter Essig (100 ml auf 500 ml H2O). Keine Milch, nicht erbrechen lassen. Refluxkrankheit (Refluxösophagitis) Def: Reizung bzw. Entzündung der Ösophagusschleimhaut durch aufsteigende Magensäure (gastroösophagealer Reflux). Urs: Primäre Refluxkrankheit (Ursache nicht geklärt) Sekundäre Refluxkrankheit. Verschiedene Krankheiten können eine Dysregulation des unteren Ösophagussphinkters bewirken: Axiale Hiatushernie Sklerodermie, Diabetes, nach operativen Eingriffen Akute Gastritis, Magengeschwür, Magenkarzinom Einnahme von bestimmten Medikamenten Begünstigende Faktoren Bestimmte Nahrungs- und Genussmittel: z.B. Fette, Süßigkeiten, Nikotin, Alkohol. Intraabdominale Druckerhöhung durch z.B. Schwangerschaft, Adipositas, Aszites, Obstipation. Der Reflux und dessen Symptomatik wird verstärkt nach Mahlzeiten, im Liegen und durch Bauchpressen wie Bücken, Husten und Niesen. Sym: Sodbrennen und saures Aufstoßen Dysphagie mit brennenden Schmerzen hinter dem Brustbein (können in den Oberbauch oder Rücken ausstrahlen) Regurgitation von z.T. verdauten oder nicht verdauten Nahrungsresten Übelkeit, Erbrechen (bei histologisch nachweisbaren entzündlichen Veränderungen der Ösophagusschleimhaut) evtl. Reizhusten evtl. Heiserkeit Kom: Durch Narbenbildung in der Submukosa entstehende Stenosen (Verengungen) Ulkusentstehung, Blutungen Karzinomatöse Entartung © Arpana Tjard Holler (Autor) 238 Verdauungsapparat Pathologie Verdauungsapparat Pathologie The: 239 Nur in schweren Fällen operativ, sonst konservativ: Gewichtsnormalisierung bei Übergewicht. Umstellung der Ernährungs- und Genussmittelgewohnheiten. Nach dem Essen nicht sofort hinlegen, beim Liegen Kopfende hochstellen. Medikamentöse Therapie mit Antacida (Säureneutralisation) und H2-Blocker. Hiatushernie (Zwerchfellhernie) Def: Durch eine Erweiterung im Hiatus oesophageus (Öffnung im Zwerchfell) kommt es zum Übertritt von Magenanteilen in den Brustraum. Urs: Begünstigende Faktoren: Bindegewebsschwäche Intraabdominale Druckerhöhung, z.B. Übergewicht, Obstipation, Meteorismus, häufige und fettreiche Mahlzeiten, häufiges oder permanentes Husten, Schwangerschaft Pat: Axiale Gleithernie (90%) Kardia (Mageneingang) und Magenfundus befinden sich oberhalb des Zwerchfells und der Ösophagus schiebt sich dabei nach oben. Paraösophageale Hernie (10%) Der obere Magenanteil (Fundus) tritt neben dem UÖS in den Brustraum hinein. Sym: Gleithernie; nur ca. 10% machen Krankheitssymptome, der Rest ohne Krankheitswert Sodbrennen, Refluxösophagitis retrosternales Druckgefühl besonders beim Liegen nach dem Essen Paraösophageale Hernie; verläuft meist beschwerdefrei, führt aber zu Komplikationen: Einklemmung (Inkarzeration), welche zum Notfall führen kann. Chronische Sickerblutungen können zu Eisenmangelanämie führen. The: Gleithernie: Beseitigung des intraabdominalen Drucks (z.B. Gewichts-reduzierung, Beseitigung der Obstipation), häufig kleine Mahlzeiten, nach dem Essen nicht hinlegen Paraösophageale Hernie: Wegen hoher Komplikationsgefahr operative Beseitigung Ösophaguskarzinom Def: Malige Entartung der Schleimhaut des Ösophagus, kommt v.a. an den physiologischen Engen vor. Urs: Chronische Reizwirkung durch Alkohol, Nikotin, heiße Getränke und Speisen. Entartung länger bestehender Ösophaguserkrankungen Verätzungsnarben, Achalasie, Refluxösophagitis Pat: Speiseröhrenkarzinom hat eine schlechte Prognose wegen rascher Metastasenbildung. Männer ab 50 - 60 Jahren sind häufiger betroffen. Bei Männern über 50 Jahren ist die häufigste Ursache der Dysphagie das Ösophaguskarzinom © Arpana Tjard Holler (Autor) 240 Verdauungsapparat Pathologie Verdauungsapparat Pathologie 241 Sym: Am Anfang fast immer symptomlos. Treten erste Schluckbeschwerden auf, ist die mittlere Überlebenszeit 5-8 Monate. Dysphagie, ohne weiteres Symptom immer CA-verdächtig Retrosternale Schmerzen unabhängig von der Nahrungsaufnahme Regurgitation Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, Nachschweiß, Fieber (sog. B-Symptome) Spätsymptom: Hämatemesis (Bluterbrechen) The: Operation nur in 1/3 der Fälle möglich, 5-Jahresüberlebensrate ca. 15% Strahlentherapie 5-Jahresüberlebensrate ca. 5 % Chemotherapie hat schlecht Erfolgsrate Mallory-Weiss-Syndrom Def: Schleimhauteinrisse am Übergang Speiseröhre zum Magen mit teils massiven arteriellen Blutungen. Urs: Wiederholtes Erbrechen v.a. bei Alkoholkrankheit und Bulimie führt zu Schleimhauteinrissen im oberen Teil des Magens oder im Bereich des unteren Ösophagussphinkters. Begünstigend wirkt eine plötzliche Druckerhöhung, z.B. durch Husten, Pressen. Sym: Bluterbrechen (entweder helles Blut oder kaffeesatzartiges) Teerstuhl Schmerzen oberhalb des Nabels Zusammenfassung: Leitsymptome der Ösophaguserkrankungen Es gibt einige charakteristische Symptome, die auf eine Erkrankung der Speiseröhre schließen lassen. Dysphagie bei Ösophaguskarzinom (40%), Divertikel, Hiatushernie, Narbenverwachsungen, verschluckte Fremdkörper, Ösophagitis, selten Achalasie, Sklerodermie, idiopathisch (Globus hystericus, vegetative Dysphagie). Sodbrennen meist bei ösophagealem Reflux (Refluxösophagitis), Schwangerschaft, seltener bei Magengeschwür und Magenkarzinom. Kann auch aufteten bei chronischem Alkoholmißbrauch, Herzinfarkt oder Angina pectoris Regurgitation (Zurückströmen von meist unverdauter Nahrung) bei Divertikel, Ösophagusstenosen, Karzinom und Achalasie. Erkrankungen des Magens Symptome, die auf Erkrankungen des Magens hinweisen können sind: Oberbauchschmerzen und Oberbauchdruck, nahrungsmittelabhängige Schmerzen Unverträglichkeit oder Widerwillen gegen bestimmte Nahrungsmittel Übelkeit, Erbrechen Bluterbrechen (Hämatemesis), Teerstuhl oder okkultes Blut im Stuhl Reizmagen (somatoforme autonome Funktionsstörung) Def: Es handelt sich um eine funktionelle Störung des Magens, ohne dass ein organischer Befund nachweisbar ist. © Arpana Tjard Holler (Autor) 242 Verdauungsapparat Pathologie Urs: Psychische Faktoren lösen einen Spasmus der Magenmuskulatur aus. Die Diagnose „funktionelle Störung“ oder „psychosomatisch“ wird erst nach Ausschluss aller schulmedizinischen Erkrankungen des Magens gestellt. Sym: Druck- und Völlegefühl Reflux von saurem Mageninhalt mit Sodbrennen Mäßige bis heftige Schmerzen Bestimmte Nahrungs- und Genussmittel werden schlecht vertragen, z.B. Kaffee, Alkohol, Fette, süße Speisen The: Ernährungsumstellung Lokale Wärmeanwendung Phytotherapeutisch, Homöopathisch etc. Psychotherapeutische Betreuung Akute Gastritis Def: Akute Magenschleimhautentzündung Urs: Mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung durch toxinbildende Bakterien (Staphylokokken, Salmonellen, Escherichia coli, Yersinien, Campylobacter) oder Viren (z.B. Noroviren, Rotaviren), Protozoen (tierische Einzeller, z.B. Cryptosporidium parvum, Giardia lamblia) Akute infektiöse Gastroenteritis (meldepflichtig gemäß IFSG §6) Exogene Noxen z.B. Laugen oder Säuren (Ätzgastritis) Nahrungsmittelexzess (Fresserei, Sauferei) Stress, z.B. bei Unfällen, OP, Verbrennungen und andere Traumen Medikamente, z.B. ASS (Azetylsalizylsäure) oder andere NSAR (nicht-steroide Antirheumatika, Zytostatika Sonderfall: Stauungsgastritis durch Rechtsherzinsuffizienz. Pat: Durch die exogenen Noxen entsteht ein Missverhältnis zwischen Magensäure und Schleim. Es kommt zu einer akuten Schleimhautschädigung mit oberflächlichen Defekten und Schleimhautblutungen. Sym: The: Übelkeit, Erbrechen (häufig Linderung danach), Aufstoßen Diffuses Druckgefühl und Oberbauchschmerzen (können in den Rücken ausstrahlen) Appetitlosigkeit und Krankheitsgefühl evtl. (reflektorisch) Durchfall Meist reicht eine Nahrungskarenz (Verzicht) aus. Chronische Gastritis Def: Laut „Pschyrembel“ wird nur von einer chronischen Gastritis gesprochen, wenn beweisende histologische Untersuchungen der Magenschleimhaut vorliegen. Die chronische Gastritis ist außerordentlich häufig mit zunehmendem Alter. Urs: Einteilung der chronischen Gastritiden: Typ A: Autoimmungastritis = Korpusgastritis (atrophische Gastritis). Bildung von Antikörpern gegen die Belegzellen und den Intrinsic-Factor. Die Folgen sind: Schwund der Belegzellen Verdauungsapparat Pathologie 243 Anazidität (Fehlen der Magensäure) Entwicklung einer perniziösen Anämie Gefahr der Entartung (Magenkarzinom) yp B: Helicobacterpylorusgastritis = Antrumgastritis Infektion der Magenschleimhaut mit Helicobacter pylori (am häufigsten, 85%), häufig im Alter, Gefahr auf Ulkusbildung und Entartung. Typ C: Chemisch-toxische Gastritis Durch Medikamente (nichtsteroidale Antirheumatika = NSAR), Gallenreflux und Toxinen (z.B. Alkohol, Nikotin) verursachte Gastritis. Pat: Nach dem Ausmaß der Schäden werden unterschieden: Oberflächengastritis Chronisch atrophische Gastritis Sym: Häufig beschwerdefrei Uncharakteristische Oberbauchbeschwerden Druck- und Völlegefühl nach dem Essen Bei atrophischer Gastritis Unverträglichkeit von schwerverdaulichen Speisen evtl. Aufstoßen, Übelkeit, Blähungen Kom: Entstehung eines Ulkus Magenkarzinom Eisenmangelanämie Anazidität (Fehlen von Magensäure) The: Typ A: Vitamin B12 parenteral, endoskopische Kontrolle wegen erhöhter Gefahr einer karzinomatösen Entartung. Typ B: Nur bei Beschwerden Therapie mit Antacida und Antibiotika. Typ C: Gallensäurebindende Medikamente, Absetzung der Medikamente. Gastroduodenale Ulkuskrankheit Def: Bezeichnung für den Oberbegriff von Geschwürbildung im Bereich des Magens (Ulcus ventriculi) oder im Bereich des Zwölffingerdarms (Ulcus duodeni). Wird auch als Ulkus pepticum bezeichnet, wenn das Geschwür infolge der Einwirkung von Magensaft (Salzsäure, Pepsin) entstanden ist. Die gleichzeitige Einnahme von Glukokortikoiden mit nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR*) erhöht das Risiko einer Ulkusentstehung deutlich. Die Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) ist i.d.R. kontraindiziert. Urs: Missverhältnis zwischen den Schutzmechanismen der Schleimhaut und den aggressiven Faktoren. Folgende Faktoren gelten als Schutzmechanismen für die Schleimhaut: Schleimmenge und Schleimqualität Ausreichende Durchblutung Säurehemmhormone (z.B. Sekretin) Stabile Psyche Folgende Faktoren gelten als aggressive Faktoren für die Schleimhaut: Vermehrte Produktion von Salzsäure Gallenreflux (Duodenalulkus) Medikamente (v.a. NSAR*) © Arpana Tjard Holler (Autor) 244 Verdauungsapparat Pathologie Alkohol Rauchen Helicobacter pylori-Infektion Gestresste, labile Psyche (erhöhter Vagotonus) * NSAR = Abk. für nicht-steroidale Antirheumatika (z.B. ASS, Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac) Unterscheidung zweier Geschwüre Ulkus ventriculi (Magengeschwür) Meist an der kleinen Kurvatur im Bereich des Antrums Seltener als Ulcus duodeni Ulkus duodeni (Zwölffingerdarmgeschwür) Lokalisation Anfangsteil des Duodenums, wenige cm vom Pylorus entfernt Häufigkeit 4-5-mal häufiger als Ulcus ventriculi Patienten Ältere Patienten, keine Jüngere Patienten, Männer sind Geschlechtsverteilung fünf Mal häufiger betroffen Entartung? In ca. 3% der Fälle Sehr selten Klassische Beschwerden Sofortschmerz, nahrungsabhängige Spätschmerz, Nacht- und (nur in 10-30% der Fälle) Schmerzen Nüchternschmerz Punktschmerz Eher links der Körpermittellinie Eher rechts der Körpermittellinie Jahreszeitl. Auftreten In jeder Jahreszeit V.a. Herbst und Frühling Psyche Patienten wirken eher krank, Schmerzen werden unterdrückt, Körperbau eher asthenisch Patienten sind leistungsorientiert Helicobacter pylori Findet sich in 70% der Fälle Findet sich in 95% der Fälle Blutgruppe Häufiger bei Patienten mit der Häufiger bei Patienten mit der Blutgruppe A Blutgruppe 0 Sym: 10% haben überhaupt keine Schmerzen Aufstoßen, Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen drückende, kneifende, krampfende Schmerzen im Epigastrium okkultes Blut im Stuhl nachweisbar Kom: Akute Blutungen (25%), häufigste ulkusbedingte Todesursache Bluterbrechen (kaffeesatzartiges Erbrechen, Teerstühle) Perforation mit akutem Abdomen (10%) Plötzlich heftige, nicht kolikartige Oberbauchschmerzen, brettharter Bauch Plötzlich heftige Rückenschmerzen bei Perforation des Ulcus duodeni Penetration (20%), Geschwür greift auf Nachbarorgane über (Milz, Leber) Maligne Entartung des Magengeschwürs möglich (3%) Pylorusstenose beim Ulcus duodeni (10%) Schwallartiges Erbrechen nach dem Essen, Gewichtsverlust, seltene Stühle, sichtbare Magenperistaltik, schlecht gedeihendes Kind Eine Pylorusstenose kann auch angeboren sein (sog. Spuckkinder mit Pseudoobstipation) The: Meidung säurelockender und unverträglicher Speisen: Alkohol, Kaffee, Nikotin, Tee, Zitrusfrüchte Scharfe und stark gewürzte Speisen, erhitzte Fette Große Portionen und späte Abendmahlzeit Vermeidung bzw. Bearbeitung Stress auslösender Faktoren Verdauungsapparat Pathologie 245 Medikamentöse Therapie, laut Schulmedizin unausweichlich Säure- und Galleblocker (Antazida, H2-Rezeptoren-Blocker), keine Analgetika Magenresektion (25%), nach Billroth I oder Billroth II Magenkarzinom (ca. 20% aller Tumore) Urs: Endogene und exogene Faktoren scheinen eine Entstehung zu begünstigen: Länger bestehende Magenerkrankungen (atrophische Gastritis, Magenulkus, Anazidität, Magenpolypen, Helicobacter pylori, nach Teilresektion) Karzinogene (chemische Stoffe, welche die zelluläre DNA verändern können), wie z.B. Schwermetalle, erhitzte Öle, Acrylamid, Nitrosamine, Nikotin Essgewohnheiten, wie z.B. zu viel gegrillte, gepökelte oder geräucherte Speisen, Alkoholmissbrauch Familiäre Häufung, Blutgruppe A bevorzugt Nationale Herkunft, z.B. in Japan und China doppelt so viel Pat: Altersgipfel zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr. In 80% der Fälle Lokalisation im Antrum in der kleinen Kurvatur. Prognose sehr schlecht, schnelle Metastasenbildung (z.B. Peritonealkarzinose). Sym: Im Frühstadium meist keine Symptome evtl. Völlegefühl, Brennen, Übelkeit, diffuse Oberbauchbeschwerden Im fortgeschrittenen Stadium: Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß, Fieber (sog. BSymptome) Widerwille gegen Fleisch evtl. Erbrechen (möglich: Kaffeesatz artiges Erbrechen), Sodbrennen Zunehmende Schmerzen im Oberbauch Okkulter Stuhl, Teerstuhl Allgemeine Anämiesymptome infolge von chronischen Blutungen Im Oberbauch kann der Tumor tastbar sein. Zeichen der Metastasierung in Leber, Lunge, Knochen und Gehirn Virchow-Lymphknoten (Virchow-Drüse) kann hinter dem Schlüsselbeinansatz tastbar sein (kann bei allen bösartigen Tumoren der Bauchhöhle vergrößert sein) The: Gastrektomie (vollständige Entfernung des Magens) Roemheld-Syndrom Def: Urs: Durch Gasansammlungen im Magen (evtl. auch in der linken Kolonflexur) verursachter Zwerfellhochstand mit Verdrängung auf das Herz. Idiopathisch Sym.: Druckgefühl im Brustraum Herzbeschwerden, Herzrhythmusstörungen, Tachykardie, Angstzustände Völlegefühl im Oberbauch Beschwerden durch Hinlegen besser © Arpana Tjard Holler (Autor) 246 Verdauungsapparat Pathologie Erkrankungen des Dünn- und Dickdarms Chronische entzündliche Darmerkrankungen Enteritis regionalis Crohn (Morbus Crohn) Def: Eine entzündliche narbenbildende Erkrankung, die entweder chronisch oder in rezidivierenden Schüben den gesamten Verdauungskanal (vom Mund bis After) befallen kann, am häufigsten aber im terminalen Ileum und Anfang Dickdarm zu finden ist. Urs: Idiopathisch (psychosomatische Auslösung? Autoimmunerkrankung? Viren?) Familiäre Häufung! In 75% der Fälle HLA-B27 (körpereigenes Antigen) positiv Tritt am häufigsten dem 15. und 35. Lebensjahr auf. Pat: Die Entzündung befällt alle Wandschichten. Diskontinuierliche Entzündung. Granulomatöse Entzündung. Die Entzündungsherde sind in Granulome abgepackt. Ausbildung eines sog. "Kopfsteinpflasterreliefs" mit Gefahr einer Verengung des Darmlumens. Häufigste Lokalisation ist terminales Ileum und Anfang Dickdarm. Führt oft zur Verwechslung mit einer akuten Appendizitis (sog. Pseudoappendizitis). Sym: Schmerzen oder Koliken im rechten Unterbauch, Druckgefühl Durchfälle bis zu 6-mal/Tag, meist nicht blutig, auch nächtlich Gewichtsverlust, Müdigkeit, Abgeschlagenheit Leichtes Fieber oder Fieberschübe möglich Übelkeit und Erbrechen möglich Blähungen evtl. tastbare walzenartige Verdickungen Außerhalb des Magen-Darm-Kanals gelegene (extraintestinale) Symptome (ca. 50% d. Fälle): Erythema nodosum, druckschmerzhafte rote Knoten besonders an den Unterschenkelstreckseiten symmetrisch Arthritis, Morbus Bechterew Entzündungen der Augen (Iridozyklitis) Kom: Bildung von Abszessen mit Fisteln (40%); mögliches Erstsymptom sind Analfisteln. Mechanischer Ileus (25%), Stenose durch die chronischen Entzündungen (Kopfsteinpflasterrelief) Häufig Malabsorptionssyndrom (z.B. Vitamin B12-Mangelanämie, Gallensäureverlustsyndrom) Blutungen (25%) Darmkrebs, wenn der Dickdarm über 20 Jahre betroffen ist Hohe Komplikationsrate macht eine Operation früher oder später notwendig. The: Medikamentös (Kortison) Diät, z. B. milchfrei bei Laktoseintoleranz (30% der Patienten) Bewegungs- und Hydrotherapie Psychosomatisch, Selbsthilfegruppen Verdauungsapparat Pathologie 247 Colitis ulcerosa Def: Chronisch entzündliche kontinuierliche Entzündung der Schleimhaut des Dickdarms mit oberflächlichen Ulzerationen, die typischerweise vom Rektum aus nach proximal fortschreitet. In 10% der Fälle ist eine Unterscheidung zwischen Enteritis regionalis Crohn und Colitis ulcerosa nicht möglich! Urs: Unbekannt! psychosomatisch? Autoimmunerkrankung? Manifestation zwischen 20. und 40. Lebensjahr. Die Erkrankung tritt familiär auf. Pat: Die Entzündungen und Geschwüre betreffen meist nur die Mukosa und Submukosa. Sie beginnen fast immer im Rektum und schreiten dann kontinuierlich in Richtung Dünndarm weiter fort. Die Dickdarmschleimhaut ist gerötet, geschwollen und zeigt zwischen intakten Schleimhautinseln leicht blutende Geschwüre (landkartenähnliche Schleimhautulzerationen). Infolge der flächenhaften Entzündung können die Haustrien aufgehoben sein (sog. Fahrradschlauchphänomen). Häufiger sind junge Frauen betroffen. Drei unterschiedliche Verläufe sind bekannt: Leichte Form; chronisch rezidivierend (ca. 70%), mit beschwerdefreien Intervallen unterschiedlicher Länge. Mittlere Form; chronisch kontinuierlich (ca. 25%), leichte Symptomatik, aber nie ganz beschwerdefrei. Akut fulminant; (ca. 5%), mit kolikartigen Schmerzen, sehr starken blutig-eitrigen Durchfällen und hohem Fieber (Notfall). Sym: schleimig-blutige Durchfälle bis zu 20-mal/Tag Bauchschmerzen (linker Unterbauch), schmerzhafter Stuhldrang (Tenesmus) Fieber Gewichtsabnahme Extraintestinale Symptome möglich, aber seltener wie bei M. Crohn Anämiezeichen Koloskopie: Pseudopolypen, intakte Schleimhautinseln mit überschießender Heilungsreaktion Kom: Maligne Entartung nach jahrelangem Verlauf (20 Jahre) Starke Blutungen Perforationsgefahr bei der schweren Form Toxisches Megakolon (stark erweiterter Dickdarm mit Schocksymptomen und akutem Abdomen) Allergische Darmerkrankungen Zöliakie / Sprue (Glutenintoleranz, Gluten sensibilisierte Enteropathie) Def: Entzündliche Reaktion der Dünndarmschleimhaut auf ein Getreideeiweiß (Gluten, das als Klebereiweiß in allen Getreidesorten vorkommt. Das klinische Bild im Kindesalter (schon im ersten Lebensjahr) wird Zöliakie genannt, das beim Erwachsenen Sprue. Urs: Überempfindlichkeitsreaktion gegen das Gluten (Gliadin), vererbbare Autoimmunerkrankung (gilt nicht mehr als eine Allergie) © Arpana Tjard Holler (Autor) 248 Verdauungsapparat Pathologie Pat: Es kann durch die überschießenden Entzündungsvorgänge zur totalen Zottenatrophie und dadurch zu einem schweren Malabsorptionssyndrom kommen. 70 % der Patienten sind Frauen. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis von spezifischen Antikörpern im Blut. Als beweisend gilt jedoch nur die Gastroskopie (Magenspiegelung) mit Dünndarmbiopsie und dem anschließenden Beweis einer Zottenatrophie. Sym: Chronische Diarrhoe, häufig Steatorrhoe (Fettstühle = großvolumige fettigschleimig übelriechende Durchfälle) Appetitlosigkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen Teilweise extrem aufgeblähter Bauch (Meteorismus) Beschwerden sind nicht selten gering, so dass die Krankheit als Magenverstimmung fehldiagnostiziert wird Wachstumsstörungen, Unterernährung, Gewichtsverlust Symptome der Malabsorption: Vitaminmangel, Eisenmangel, Eiweißmangel Labor: Nachweis von Antikörpern gegen Gliadin Kom: Die Erkrankung kann lebensbedrohlich werden, wenn es zu stark gehäuften wässrigen Durchfällen kommt, die zur Exsikkose (Austrocknung) des Körpers führen (hypovolämischer Schock!). The: Strikte Gluten freie Diät: NEIN: Gerste, Hafer, Roggen (anderes Klebereiweiß, seltener), Weizen, Dinkel, Couscous (Hartweizen), Bulgur (Hartweizen), Grünkern. JA: Erlaubt sind Kartoffeln, Mais (Polenta), Reis, Hirse, Sojabohnen, Buchweizen, Amarant. Laktoseintoleranz Def: Die Unfähigkeit des Körpers Laktose (Milchzucker; ein Zweifachzucker) richtig zu verdauen. Urs: Primäre Form: Natürliche Form der Milchzuckerunverträglichkeit. Sekundäre Form: Erkrankungen des Dünndarms, z.B. Morbus Crohn, Zöliakie. Pat: Das von der Dünndarmschleimhaut produzierte Enzym Laktase hat die Aufgabe den Milchzucker Laktose in seine beiden Einzelzucker, Galaktose (Schleimzucker) und Glukose (Traubenzucker) zu spalten. Beim Fehlen von Laktase wird der Milchzucker nicht gespalten, gerät in den Dickdarm und führt dort durch Bakterien zu Gärungsprozessen, in deren Folge Gase entstehen (Wasserstoff, Kohlendioxyd, Methan, Milch- und Essigsäure). Die Diagnose kann durch den H2-Atemtest (Wasserstoffexhalationstest) erfolgen. Sym: Durchfallattacken mit viel flüssigem Stuhl (Laktose bindet Wasser) Blähungen mit Bauchschmerzen (Krämpfe) Völlegefühl, Flatulenz Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel Leistungsschwäche Kom: Gewichtsverlust mit Kachexie The: Vermeidung von Laktose haltigen Lebensmitteln. Verdauungsapparat Pathologie 249 Appendizitis (Akute Wurmfortsatzentzündung) Def: Entzündung des Wurmfortsatzes des Blinddarms, fälschlicherweise als Blinddarmentzündung bezeichnet. Ist die häufigste Erkrankung des Darmkanals in Europa und typisch im Kindes- und Jugendalter. Urs: Infektion durch Stauung oder Verlegung des Wurmfortsatzes durch z.B. Kotsteine, Würmer, entzündliche Schleimhautschwellungen und Abknickungen. Pat: Die typische akute Appendizitis ist klinisch gut zu diagnostizieren, die untypische eher chronisch verlaufende ist sehr schwierig zu erkennen (häufig). Der Erkrankungsverlauf bei alten Menschen ist häufig symptomarm. Sym: Typisch ist ein plötzlich auftretender Schmerz um die Nabelgegend herum bzw. im mittleren Oberbauch (epigastrisch), der dann nach Stunden in den rechten Unterbauch wandert Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen Fieber, Temperaturdifferenz zwischen axillär und rektal im klassischen Fall 1°C (0,8-1,3), normal ist 0,5 Grad evtl. lokale Abwehrspannung im rechten Unterbauch Typische Schonhaltung: Patient zieht das rechte Bein an oder steht gekrümmt Labor: Leukozytose, BSG und CRP erst nach einem Tag erhöht (anfangs unauffällig) Bei Schwangeren kann es durch Verlagerung zu Schmerzen im rechten Oberbauch oder Epigastrium kommen. Ein Harnleiterstein im rechten unteren Harnleiter kann der Symptomatik einer Appendizitis täuschend ähnlich sein. Klassische Untersuchungsmöglichkeiten: McBurney Punkt schmerzhaft Lateraler Drittelpunkt der Linie rechter vorderer oberer Darmbeinstachel bis zum Nabel. Lanz Punkt schmerzhaft Rechter Drittelpunkt zwischen beiden Darmbeinstacheln. Blumberg-Zeichen Kontralateraler Loslass- bzw. Erschütterungsschmerz (gegenüber dem McBurney Punkt Psoas-Zeichen positiv Schmerzen beim Heben des rechten Beines gegen den Widerstand. Douglas-Schmerz („come in and find out“) Schmerzen bei der digitalen Untersuchung des Mastdarms. Rovsing-Zeichen Schmerzhaftes Ausstreichen des Dickdarms entgegen der natürlichen Peristaltik. Nachlassen der bestehenden Schmerzen beim angewinkelten rechten Bein, Patient kann nicht auf dem rechten Bein hüpfen. Schmerzen in der Blinddarmgegend beim Zug am Samenstrang (Ten-HornZeichen). © Arpana Tjard Holler (Autor) 250 Verdauungsapparat Pathologie Kom: Perithyphlitischer Abszess (Perityphlitis = Entzündung der näheren Umgebung des Blinddarms und Wurmfortsatzes) Perforation (Durchbruch) mit Peritonitis und akutem Abdomen Reizdarmsyndrom (Colon irritabile, irritables Kolon, Reizkolon) Def: Funktionelle Darmbeschwerden, bei denen kein nachweisbarer organischer Befund zu erheben ist (Ausschlussdiagnose). Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Urs: Psychosomatisch, häufig bei vegetativ empfindlichen Personen Stresssituationen Pat: Die muskuläre Tätigkeit des Darms reagiert auf Stress. Entweder reagiert der Darm mit Hypermotilität und daraus resultierendem Durchfall oder mit Hypomotilität mit daraus resultierender Verstopfung. Sym: Durchfall und Verstopfung abwechselnd Stuhl oft "schafkotartig" mit Schleimbeimengungen rezidivierende, oft anfallartig auftretende Bauchschmerzen und Krämpfe Blähungen (Flatulenz) Übelkeit, Völlegefühl und Druckgefühl evtl. Schleimbeimengungen im Stuhl evtl. spastischen Darm als kontrahierten Strang tastbar Labor: unauffällig, kein Blut im Stuhl oft Karzinophobie (ausgeprägte Angst vor Krebs) Häufig begleitend: langjähriger Laxanzienabusus (Abführmittelmissbrauch) Nächtliche Diarrhöen, die den Patienten aus dem Schlaf aufwecken, schließen einen Reizdarm in der Regel aus. The: Ausschluss organischer Ursachen: Test auf okkultes Blut, Blutbild, BSG, Sigmoidoskopie Ballaststoffreiche Kost, Stuhlregulierung Körperliche Aktivität evtl. psychosomatische Therapie Darmeinläufe, Tiefengewebsmassage Divertikulose und Divertikulitis Def: Divertikel sind meist sackförmige Ausstülpungen der Darmwand. Pseudodivertikel sind Ausstülpungen ausschließlich der Mukosa durch Lücken der Muskularis hindurch. Kommen v.a. im Dickdarm vor. Echte Divertikel sind Ausstülpungen aller Wandschichten. Sie kommen viel seltener als Pseudodivertikel vor. Urs: Angeboren (selten) oder erworben durch hohen Darminnendruck bei zunehmender Bindegewebsschwäche. Eine ballaststoffarme Kost bewirkt Verstopfung, die bei der Stuhlentleerung einen erhöhten Darminnendruck zur Folge hat. 70% der über 70-jährigen haben eine Divertikulose! Pat: Divertikel werden im gesamten Verdauungskanal gefunden, am häufigsten aber im Dickdarm (Pseudodivertikel) und zwar im absteigenden Kolon und im Sigmoid. Verdauungsapparat Pathologie 251 Meckel-Divertikel sind fingerförmige Ausstülpungen (2 - 10 cm lang) im terminalen Ileum (als Überbleibsel des Dottergangs). Bei Entzündung (MeckelDivertikulitis) kommt es zur Symptomatik ähnlich einer Appendizitis. Sym: Zu 90% ist die Divertikulose symptomlos, meist besteht Obstipation. Divertikulitis (Entzündung der Divertikel) entsteht meist durch Kotstau in den Divertikeln. Plötzliche Bauchschmerzen bis hin zu Krämpfen, meist auf der linken Seite (sog. Linksappendizitis, Appendizitis der alten Männer) Änderung des Stuhlverhaltens, Wechsel von Diarrhoe und Obstipation Appetitlosigkeit, Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen Blutungen aus dem After ohne Stuhlvorgang Fieber, BSG , Leukozytose evtl. Abwehrspannung der Bauchdecke evtl. druckschmerzhafte walzenförmige Resistenz tastbar Kom: Freie und gedeckte Perforation Fistel- und Abszessbildung Mechanischer Ileus durch Stenosen Akute und chronische Blutungen The: Divertikulose: ballaststoffreiche Kost Divertikulitis: in der akuten Phase Nahrungskarenz und Antibiotika, danach ballaststoffarme Kost Dickdarmpolypen (Kolonpolypen) Def: Gestielte oder breitwandig (breitbasig) aufsitzende gutartige Wucherungen der Dickdarmschleimhaut. Sie kommen einzeln, in Gruppen oder massenhaft (familiäre adenomatöse Polypose) vor. Größe etwa 2-3 cm. V.a. die breitbasigen Darmpolypen haben eine hohe Entartungstendenz. Sie werden meist durch Zufallsbefund entdeckt und endoskopisch entfernt. Je größer die Polypen, desto größer die Entartungstendenz. Bei der familiären adenomatösen Polypose (Dickdarmpolypose) handelt es sich um eine autosomal dominante Erkrankung, die mit vielen kleinen Dickdarmpolypen einhergeht, ein starkes Beschwerdebild und ein sehr hohes Entartungsrisiko besitzt. Sym: In der Regel keine Beschwerden (nur bei der Dickdarmpolypose). Kom: Blutungen können entstehen, wenn der Polyp größer als 1cm ist (chronische Sickerblutungen) Maligne Entartung Bei großen Polypen evtl. Gefahr der Verlegung (mechanischer Ileus) The: Vollständige Koloskopie und vollständige Polypektomie. Nachsorge, da neue Polypen entstehen können. Dickdarmkarzinom (kolorektales Karzinom, Kolonkarzinom) Def: Bösartiger Tumor des Dickdarms, v.a. im Rektum (70%) und Sigmoid (20%), welcher relativ spät metastasiert und als zweithäufigster Tumor überhaupt auftritt. Karzinome im Darmtrakt sind meistens im Dickdarm und nur sehr selten im Dünndarm zu finden. © Arpana Tjard Holler (Autor) 252 Verdauungsapparat Pathologie Verdauungsapparat Pathologie Urs: 253 Genetische Faktoren (familiäre Häufung). Ballaststoffarme Kost, viel Fleisch, viel Fett (in Industrieländern steigend). Adipositas Maligne Entartung von Polypen. Langjährige chronische Entzündung (z.B. Colitis ulcerosa, M. Crohn) Sym: Sind oft lange stumm oder sehr uncharakteristisch. Alarmierende Symptome können sein: schleimig-blutige Auflagerungen (werden oft als Hämorrhoidal-blutungen missdeutet) okkultes Blut (= verstecktes) im Stuhl Bei Blutungen aus dem Mastdarm muss immer ein Karzinom ausgeschlossen werden, auch dann, wenn der Betroffene an Hämorrhoiden leidet! Änderungen der Stuhlgewohnheiten Durchfall und Verstopfung abwechselnd Bleistiftförmiger Stuhl Gefühl der unvollständigen Entleerung Stuhlinkontinenz Abgang von feuchten Winden, üble Gerüche (nach Aas) Zwingender Stuhldrang, häufig ohne Stuhlentleerung Begleitsymptome: Anämie durch chronischen Blutverlust Bauchschmerzen, Koliken (Karzinom im Colon ascendens) Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß Schmerzen beim Sitzen (Enddarmkrebs) evtl. Rückenschmerzen evtl. als Resistenz durch die Bauchdecke tastbar Tumormarker CEA kann erhöht sein. Kom: The: Mechanischer Ileus durch Verlegung Akute Blutungen Perforation mit Abszess- und Fistelbildung Penetration in Blase, weibliche Geschlechtsorgane und Wirbelsäule Metastasenbildung vor allem in lokale Lymphknoten, in Leber (schlechte Prognose) und Bauchfell (Peritonealkarzinose) Operativ mit oder ohne künstlichen Darmausgang (Anus praeternaturalis) Hämorrhoidalleiden Def: Urs: Meist knotige Vergrößerung der Schwellkörper in der Hämorrhoidalzone des Anusbereich. Hyperplasie der Schwellkörper (Vergrößerung durch Zellvermehrung). Begünstigende Faktoren: Obstipation sitzende Tätigkeit, Bewegungsmangel Schwangerschaft Übergewicht starke Anspannung des Afterschließmuskels Häufige Erkrankung mit familiärer Disposition. © Arpana Tjard Holler (Autor) 254 Verdauungsapparat Pathologie Pat: Stadium I: Leichte tastbare Schwellung, äußerlich nicht sichtbar Stadium II: Beim Stuhlgang und Pressen tretende Hämorrhoiden hervor, die von selbst in den Analkanal zurückgleiten. Stadium III: Prolabierte Hämorrhoiden, die digital (mit den Fingern) in den Analkanal zurückgeschoben werden können. Stadium IV: Permanente große Hämorrhoidalknoten vor dem After, die nicht mehr in den Analkanal hineingeschoben werden können. Sym: Hellrote Blutungen ohne Schmerzen, die dem Stuhl aufgelagert sind Perianaler Juckreiz (Pruritus ani) Brennen und Schmerzen beim Stuhlgang anales Nässen Kom: chronische Blutungsanämie Hämorrhoidalthrombose Analer Symptomenkomplex (Analfissuren, Analprolaps, Anitis, Analekzem, anale Ulzerationen) Marisken sind Analfalten und keine Hämorrhoiden. Sie sind direkt hinter dem Schließmuskel als schmerzlose Hautlappen zu palpieren. Sie stellen eine Hyperplasie der Haut dar und bilden sich ohne erkennbare Ursache oder infolge einer Analthrombose. In der Regel sind sie nur ein kosmetisches Problem. The: Konservativ, Stuhlregulierung, Nahrungsumstellung, Gewichtsabnahme Bei Grad III - IV evtl. Hämorrhoidektomie, Verödung, Ligatur (Abbinden) Bei Blutnachweis im Stuhl immer erst eine bösartige Erkrankung ausschließen; die Hälfte der an Rektumkarzinom Erkrankten leiden an Hämorrhoiden. Allerdings gilt: Hämorrhoiden stellen kein Entartungsrisiko dar! Malassimilationssyndrom (Maldigestion / Malabsorption) Def: Das Malabsorptionssyndrom umfasst Krankheitsbilder, die zu einer Störung der Aufnahme von Nahrungsendprodukten über die Dünndarmschleimhaut in den Körper führen. Das Maldigestionssyndrom umfasst Krankheitsbilder, die zu einer Störung der Verdauung (Nahrungsaufspaltung) führen. Beide Syndrome werden unter dem Oberbegriff Malassimilation zusammengefasst. Urs: Malabsorption Zöliakie / Sprue, Nahrungsmittelallergie Morbus Crohn chronische Darminfektionen portale Hypertension (Pfortaderstau) intestinale Ischämie Strahlenenteritis Medikamente (z.B. Zytostatika) Dünndarmresektion (Kurzdarmsyndrom) Maldigestion chronische Pankreatitis chronisch atrophische Gastritis, Magenresektion Erkrankungen, die zum Mangel von Gallensäuren führen (z.B. Gallenwegsverschluss, Leberzirrhose, Gallensäureverlust-Syndrom) Verdauungsapparat Pathologie Sym: 255 chronische Diarrhoe (Massenstühle, Fettstühle = Steatorrhoe) Gewichtsabnahme Leistungsmangel, Müdigkeit Anämie, Schleimhautveränderungen Mangelsymptome Eiweiße Eiweißmangelödem Kohlenhydrate Blähungen, Abmagerung, Kachexie Vitamin A Nachtblindheit (Nyktalopie), verminderte Tränenbildung Vitamin D Rachitis, Osteomalazie Vitamin K Hämorrhagische Diathese (z.B. Zahnfleischblutungen, Mikrohämaturie) Vitamin B1 Wernicke-Enzephalopathie (chronischer Alkoholgenuss führt zu B1-Mangel), Beriberi (nur weißer Reis) Vitamin B12 Perniziöse Anämie Nikotinsäure B3 Pellagra (Dermatitis), nur Mais Kalium Herzrhythmusstörungen Eisen Eisenmangelanämie Ileus (Darmverschluss) Def: Behinderung des Speisebreiflusses im Dünn- oder Dickdarm infolge eines mechanischen Verschlusses (mechanischer Ileus) oder der Lähmung der glatten Muskulatur des Darms (paralytischer Ileus). Immer ein NOTFALL Mechanischer Ileus Def: Behinderung des Speisebreiflusses im Dünn- oder Dickdarm infolge eines mechanischen Verschlusses. Urs: Obturationsileus (von innen verstopft) bzw. Obstruktionsileus (Verengungen des Darmrohrs) Verschluckte Fremdkörper Kotsteine, Würmer Gallensteine (gelangen zahlreich über eine Fistel in den Dünndarm) Entzündungen, die zu Stenosen führen (M. Crohn, Colitis Ulcerosa, Divertikulitis Tumore, v.a. Kolonkarzinom Strangulationsileus Bauchwandhernien: Leistenbruch, Nabelbruch, Hodenbruch, Femoralhernie, Narbenhernie Postoperative Narbenverwachsungen (Briden) Darmverschlingung (Volvulus), häufiger Jungs Invagination (Einstülpung eines Darmabschnittes in einen anderen), v.a. bei Säuglingen Sonderform Mekoniumileus: Darmverschluss infolge des ersten Stuhls eines Neugeborenen. Sym: Inkompletter Stopp: allmählich zunehmende kolikartige Schmerzen Kompletter Stopp: plötzlich auftretende peristaltikabhängige starke Koliken Stuhl- und Windverhalten (Leitsymptom) periumbilikaler (um den Nabel herum gelegener) Dauerschmerz © Arpana Tjard Holler (Autor) 256 Verdauungsapparat Pathologie Aufstoßen, Erbrechen, Koterbrechen (Miserere) Meteorismus (Blähungen) reflektorische Abwehrspannung (brettharter Bauch) Auskultation: „spitz“ klingende metallische Geräusche, Pressstrahlgeräusch Ein Ileus im Dünndarm benötigt nur wenige Stunden bis maximal ein Tag, während ein Ileus im Dickdarm Tage brauchen kann, um sich zu einen lebensbedrohlichen Zustand zu entwickeln. Paralytischer Ileus Def: Behinderung des Speisebreiflusses im Dünn- oder Dickdarm infolge der Lähmung der glatten Muskulatur des Darms. rs: Mechanischer Ileus Perforationen im Magen-Darm-Trakt, z.B. Magen- und Duodenalgeschwür, Magenkarzinom, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Divertikulitis, Appendizitis Reflektorisch bedingt infolge heftigster Schmerzen bei z.B. akuter Pankreatitis, Gallen-, Nieren- und Harnleiterkoliken, Herzinfarkt oder beim postoperativen Stress, Traumen (z.B. Wirbelfrakturen) Metabolisch-toxisch bedingt durch z.B. Azidose (z.B. Diabetes mellitus), Alkalose (Hypokaliämie), Urämie (Vergiftung mit harnpflichtigen Stoffen) Sepsis (massives Auftreten von Bakterien im Blut) Vaskulär bedingt durch z.B. Mesenterialinfarkt Hypothyreotes Koma Medikamentenwirkung (Opiate) Sym: Stuhl- und Windverhalten Koliken bzw. heftige Bauchschmerzen möglich Meteorismus (Gasansammlung im Darm) Erbrechen und Koterbrechen möglich (Überlauferbrechen) Auskultation: keine Darmgeräusche, „Grabesstille über dem Abdomen“, „Ticken der Totenuhr“ (Pulsation der Aorta) Schneller Puls und Blutdruckabfall Stark beeinträchtigter Allgemeinzustand Hernien Def: Ausstülpung von Eingeweideteilen (Bruchinhalt) einschließlich des Bauchfells durch angeborene oder erworbene Lücken der Bauchdecke (Bruchpforte). Männer sind zu 90% betroffen. Urs: Angeborene oder erworbene Wandschwäche Intraabdominale Druckerhöhung (Bücken, Bauchpresse, Schwangerschaft) Pat: Unterscheidung: Innere Hernie: Innerhalb der Bauchhöhle meist in den Retroperitonealraum erfolgte Hernie, welche von außen nicht zu sehen ist. Äußere Hernie: Nach außen sichtbare Hernie. Die bekanntesten Hernien: Leistenhernie (Hernia inguinalis, Inguinalhernie). Die häufigste Bruchform (80%). Ausstülpung des Bauchfells mit Eingeweideteilen durch den Leistenkanal. Kann sich bis zum Hodensack fortsetzen (Skrotalhernie). Heben schwerer Gegenstände oder Übergewicht sind als Risikofaktoren anzusehen. Verdauungsapparat Pathologie 257 Nabelhernie (Hernia umbilicalis). Ausstülpung des Bauchfells mit Eingeweideteilen im Bereich des Nabels. V.a. bei Säuglingen vorkommend, bei Erwachsenen i.d.R. hervorgerufen durch Adipositas, Schwangerschaft, schwere körperliche Arbeit Bauchhernie (Hernia ventralis). Ausstülpung des Bauchfells mit Eingeweideteilen durch die vordere Bauchwand meist im Bereich der Linea alba (weißer Sehnenstreifen der Bauchmuskulatur in der Mittellinie des Körpers) Schenkelhernie (Hernia femoralis = Femoralhernie). Seltene Bruchform. Ausstülpung von Eingeweideteilen durch eine Lücke unterhalb des Leistenbandes, welche als Durchtrittsstelle der Femoralgefäße dient. Häufiger bei Frauen. Narbenhernie Eine durch eine Operation auftretende Hernie im Bereich der Bauchdecke, häufig im medianen Bereich. Als Risikofaktoren gelten Adipositas, Therapie mit Glukokortikoiden, Wundinfektion, COPD Sym: Mechanischer Ileus Inkarzeration (Einklemmung) mit Gefahr auf Nekrose Auch symptomlos Erkrankungen derPankreas Akute Pankreatitis Def: Entzündung des Pankreasparenchyms i.d.R. durch Autolyse (Selbstverdauung) durch aktivierte Pankreasenzyme mit leichter bis schwerer Ausprägung. Urs: Aktivierung von Bauchspeichelenzymen innerhalb des Pankreas führt zur Autodigestion (Selbstverdauung) des Organs mit nachfolgender Entzündung. Gallenwegserkrankungen (50%): Gallensteinleiden, Papillenstenose, Pankreaskopftumor Alkoholmissbrauch (30%) Idiopathisch (ungeklärte Ursache,15-20%) Seltener postoperativ nach chirurgischem Eingriff (meist Magen und Gallengänge) Infektiös durch z.B. Mumps und Virushepatitis Medikamente (z.B. Glukokortikoide, „Pille“, Zytostatika) penetrierendes Ulkus duodeni Sym: Heftige Oberbauchschmerzen (Dauerschmerzen), häufig linksseitig, oft beginnend nach einer reichlichen Mahlzeit oder einem Alkoholexzess Schmerzausstrahlung oft gürtelförmig in den Rücken (Rückenschmerzen), in den linken Oberbauch oder auch Brustraum möglich Pankreasdruckpunkt schmerzhaft: linker Eckpunkt zwischen der letzten Rippe und der Wirbelsäule (head`sche Zone) Übelkeit, Erbrechen Pankreasschonhaltung: angezogene Beine, Oberkörper gebeugt, keine Bewegung Elastische Bauchdeckenspannung (Gummibauch), Meteorismus Labor: Fieber, BSG , Leukozytose, Lipase- und Amylaseerhöhung, Hyperglykämie, Hypotonie (infolge der Hypovolämie), Hypokaliämie (Aktivierung des RAAS), Hypokalzämie (Ursache nicht geklärt) bei hämorrhagischer Pankreatitis mit ungünstiger Prognose: Cullen-Zeichen: flächenförmige Einblutung um den Bauchnabel herum Grey-Turner-Zeichen: bläulich grüne Einblutungen an den Flanken © Arpana Tjard Holler (Autor) 258 Verdauungsapparat Pathologie Gesichtsrötung, verursacht durch Vasodilatation Kom: Hypovolämischer Schock (aktivierte Enzyme im Blut zersetzen Albumine, dadurch Verlust von Plasmawasser ins Interstitium) Milzvenenthrombose mit Splenomegalie (Milzschwellung) Akutes Nierenversagen Respiratorische Insuffizienz Gastrointestinale Blutungen (Bluterbrechen) Gefahr einer Darmlähmung (paralytischer Ileus) Aszites, Pleuraerguss (Albuminmangel) Kardiale Komplikationen (EKG-Veränderungen) The: Intensivüberwachung, Schocktherapie, Nulldiät, evtl. chirurgisch Chronische Pankreatitis Def: Chronisch ablaufende Entzündung des Pankreasgewebes über Jahre und Jahrzehnte. Urs.: Chronischer Alkoholmissbrauch (75%) Idiopathisch Seltener: Medikamente (Glukokortikoide), Mukoviszidose, Hyperkalziämie Pat: Beschwerdefreie Perioden wechseln ab mit schubweisem Aufflackern der Entzündung. Das Pankreasgewebe wird mehr und mehr zerstört und verkalkt nachweisbar. Dies führt zur exkretorischen Pankreasinsuffizienz und kann auch zum Diabetes mellitus führen. Sym: Rezidivierende Oberbauchschmerzen oft nahrungsabhängig, aber auch dumpfer Dauerschmerz möglich (gürtelförmig) Übelkeit und Erbrechen besonders bei Fett, Kaffee, Alkohol und Süßspeisen Gewichtsabnahme Exokrine Pankreasinsuffizienz: Maldigestionssyndrom tritt auf wenn 90% des Parenchyms ausgefallen ist. voluminöser Fettstuhl (Steatorrhoe) Abmagerung bis zur Kachexie Endokrine Pankreasinsuffizienz: Sekundärer Diabetes mellitus wenn das endokrine Gewebe nur noch 1% vorhanden ist. The: Striktes Alkoholverbot Substitution mit Verdauungsenzymen Pankreaskarzinom Def.: Bösartiger Tumor in die Pankreas als dritthäufigster Tumor im Verdauungstrakt. Ist zu 80% im Pankreaskopf lokalisiert. Männer sind dreimal mehr betroffen. Altersgipfel im 6. Lebensjahrzehnt. Urs: Begünstigende Faktoren sind: Raucher sind viermal häufiger betroffen Chronischer Alkoholgenuss Chronische Pankreatitis und chronische Erkrankungen der Gallenwege Pat: Eine Frühdiagnostik des Pankreaskarzinoms ist nicht möglich. Das Karzinom ist kaum zu therapieren und hat eine sehr schlechte Prognose. Sym: Symptome werden erst sehr spät bemerkt. Verdauungsapparat Pathologie 259 Verschlussikterus mit Juckreiz kann beim Pankreaskopftumor ein Frühsymptom sein Courvoisier-Zeichen (schmerzlos vergrößerte, prall elastisch tastbare Gallenblase bei bestehendem Ikterus) Dumpfe unklare Oberbauchschmerzen, die sehr häufig in den Rücken ausstrahlen Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen Leistungsknick, Appetitmangel, Gewichtsverlust, Fieber (sog. B-Symptome) evtl. Begleitpankreatitis Im fortgeschrittenen Stadium ist der Tumor im Oberbauch tastbar Evtl. Phlebothrombose (paraneoplastisches Syndrom) bzw. Thrombophlebitis Erkrankungen der Galle Cholelithiasis (Gallensteinleiden) Def: Ausfällung (Kristallisierung) von lithogenen Substanzen (Cholesterin, Kalzium, Bilirubin) in einer übersättigten Galle. 10% der Bevölkerung haben Gallensteine. Frauen sind 4-mal häufiger betroffen. Urs: Missverhältnis zwischen Gallensäuren und den lithogenen Substanzen. Idiopathisch. Als begünstigende Faktoren gelten die sog. 6 „F“ weiblich (female) übergewichtig (fat) hellhäutig, blond (fair) über vierzig (fourty) fruchtbar, gebärfähig (fertile) familiär Sekundär durch z.B. Adipositas, Hypercholesterinämie Diabetes mellitus (Leber bildet weniger Gallensäuren) Gallensäureverlustsyndrom (Gallensäuren halten steinbildende Substanzen in Lösung) Vermehrte Hämolyse (Entstehung von mehr Bilirubin) Infolge der Schwangerschaft (Östrogene ), durch Einnahme von Medikamenten (z.B. „Pille“) Während des Fastens (es werden weniger Gallensäure wegen fehlendem Cholesterin gebildet). Pat: Es werden folgende Gallenstein unterschieden: Cholesterinsteine 20% Bilirubinsteine (Pigmentsteine) 10% Kalksteine 70% (gemischte Steine) Sym: 80% der Gallensteinträger haben keine Symptome (stummer Stein). Funktionelle Beschwerden: Druckgefühl im rechten Oberbauch Völlegefühl, Übelkeit, Aufstoßen, Meteorismus Druckempfindlichkeit in der Gallenblasengegend Steineinklemmung mit nachfolgendem Spasmus der Gallenwege, meist nach fettreicher Nahrung: Kolikartige, akut einsetzende Schmerzen © Arpana Tjard Holler (Autor) 260 Verdauungsapparat Pathologie Rechtsseitige Oberbauchschmerzen mit Ausstrahlung in die rechte Schulter und evtl. in die rechte Rückenseite Übelkeit, Erbrechen Fieber, Leukozytose und Abwehrspannung weisen auf eine begleitende akute Cholezystitis oder Cholangitis hin Bei Steineinklemmung des Ductus choledochus zusätzlich: Verschlussikterus heller Stuhl und dunkler Urin, evtl. Juckreiz Kom: Akute und chronische Cholezystitis (durch Reizung der Steine) Cholangitis (Entzündung der Gallengangswege) Peritonitis durch Gallenblasenperforation Penetration und Fistelbildung in den Dünndarm Akute oder chronische Pankreatitis durch Steinverschluss des gemeinsamen Ausführungsganges des Ductus pancreaticus und Ductus choledochus. Gallenblasenkarzinom The: Im akuten Steinanfall: Nahrungskarenz, heiße Kompressen und Spasmolytika Cholelitholyse (Medikamentöse Auflösung) nur bei Cholesterinsteinen Cholezystektomie, Cholelithotripsie (Zertrümmerung mittels Ultraschall) Cholezystitis Def: Akute bzw. chronische Entzündung der Gallenblasenschleimhaut. Urs: In der Regel durch Steinbildung, mit sekundärer Bakterienbesiedlung aus dem Darm. Frauen sind häufiger betroffen. Sym: Bei akutem Verlauf Fieber, Krankheitsgefühl Übelkeit, Erbrechen (scharfe) Schmerzen im rechten Oberbauch mit möglicher Ausstrahlung in die rechte Schulter oder/und Rücken evtl. Murphy-Zeichen positiv: schmerzhaftes Innehalten der Atmung eines Patienten bei gleichzeitiger Palpation der Gallenblase während einer tiefen Einatmung (scharfes Stechen bis in den rechten Arm) Bei akutem Verlauf allgemeine Entzündungsparameter erhöht (Leukozytose mit Linksverschiebung, BSG und CRP erhöht) Bei chronischem Verlauf Uncharakteristische Oberbauchbeschwerden, auch symptomlos Dumpfe Schmerzen oder Drücken im rechten Oberbauch, v.a. nach fettreichen Speisen Gallenblasengegend evtl. druckschmerzhaft Kom: Gallenblasenhydrops (Stauungsgallenblase) Gallenblasenempyem (Eiteransammlung in der Gallenblase) Porzellangallenblase (Gallenblase mit verkalkter und verhärteter Wand), besitzt ein erhöhtes Entartungsrisiko Schrumpfgallenblase bei chronischem Verlauf Gallenblasenkarzinom Cholangitis Def: Akute bzw. chronische Entzündung der intra- und/oder extrahepatischen Gallenwege. Verdauungsapparat Pathologie Urs: 261 Akute Cholangitis: entsteht meist durch Infektionserreger (Bakterien), welche durch begünstigende Faktoren aus dem Darm angelockt werden (z.B. Steine, Tumore, Stenosen, Pankreatitis) Chronisch: primär sklerosierende Cholangitis unklarer Ursache, v.a. Männer unter 40 Jahre, auffallend hohe Beteiligung mit Colitis ulcerosa Sym: Charcot-Trias Fieber, Schüttelfrost Ikterus, Juckreiz Schmerzen im rechten Oberbauch, rechte Schulter Kom: Biliäre Zirrhose (Leberzirrhose) Gallengangskarzinom Tumore der Gallenblase und Gallenwege Def: Tumore im Gallenblasentrakt sind fast immer bösartig. Pat: Das Gallenblasenkarzinom (80%) und das Cholangiokarzinom (20%) haben zu 90% Gallensteine als Vorgeschichte. Frauen sind viermal häufiger betroffen und entwickeln meist jenseits des 5. Lebensjahrzehnts bösartige Tumore in der Gallenblase. Männer sind häufiger betroffen beim Gallengangskarzinom. Sym: Ein Gallenblasentumor wird in der Regel erst erkannt, wenn er als tastbarer Tumor in die Leber eingewachsen ist oder zu Lebermetastasen geführt hat. evtl. uncharakteristische Dauerschmerzen im rechten Oberbauch Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit, allg. Schwäche evtl. Verschlussikterus Gallensäurenverlust-Syndrom (Gallensäurenmalabsorption) Def: Ungenügende Sekretion von Gallenflüssigkeit infolge fehlender Gallensäurenrückresorption im terminalen Ileum Urs: Malabsorption im terminalen Ileum durch chronische rezidivierende Entzündungsprozesse z.B. beim Morbus Crohn Sym: Steatorrhoe (fettiger und voluminöser Durchfall), häufig auch wässrig Gefahr von Vitamin B12-Mangel erhöhtes Risiko der Bildung von Gallensteinen Erkrankungen der Leber Ikterus (Gelbsucht) Def: Helle bis dunkelgelbe Hautfarbe infolge einer Hyperbilirubinämie. Pat: Bei erhöhter Konzentration bindet sich das Bilirubin an elastische Fasern der Haut und der Konjunktiven (Augenbindehaut) und führt zum Sklerenikterus. Normalert Bilirubin: 0,6 - 1,3 mg/dl Bilirubin © Arpana Tjard Holler (Autor) 262 Verdauungsapparat Pathologie Ab ca. 2 mg/dl Sklerenikterus. Ab ca. 8 mg/dl gelbe Haut. Auf jeder der drei Stufen des Bilirubinstoffwechsels (Bildung, Konjugation, Exkretion) kann es zu einer Störung kommen, die zu einem prä-, intra- und posthepatischen Ikterus führen kann. Prähepatischer (hämolytischer) Ikterus Def: Leichter Ikterus durch gesteigerte Hämolyse. Urs: Verstärkte Hämolyse (siehe unter Kapitel Blut). Pat: Infolge eines vermehrten Abbaus von Hämoglobin entsteht eine vermehrte Menge von indirektem Bilirubin. Sym: Leichte Gelbfärbung (strohgelb, kaffee-aulait-Farbe) Keine Stuhlentfärbung, Stuhl etwas dunkler Urin nicht dunkler zusätzlich Symptome der auslösenden Ursache Labor: Indirektes Bilirubin im Blut stark erhöht. Direktes Bilirubin im Blut nicht erhöht. Bilirubin nicht vermehrt im Urin. Im Urin vermehrt Urobilinogen nachweisbar. Im Kot vermehrt Sterkobilin nachweisbar (Stuhl ist dunkler). Intrahepatischer Ikterus (Parenchymikterus) Def: Ikterus infolge von Schädigung des Leberparenchyms. Urs: Hepatitis Leberzirrhose Morbus Meulengracht (Icterus intermittens juvenilis), ca. 10% der Bevölkerung. Erbliche Störung der Leber, bei der die Konjugation von Bilirubin um 1/3 herabgesetzt ist. Die Erkrankung ist harmlos, da kaum Symptome auftreten (evtl. leichte gelbliche Verfärbung der Augen) Neugeborenenikterus (50% d.F.) durch verkürzte Lebensdauer fetaler Erythrozyten und unreifer Leberfunktion, die noch nicht ausreichend in der Lage ist, das ankommende Bilirubin zu konjugieren. Apathie und Trinkschwäche können Hinweis auf hohe Bilirubinwerte sein. Sehr hohe Bilirubinwerte können zur Bilirubinenzephalopathie führen. Pat: Infolge von Leberzellzerfall gelangt direktes Bilirubin in den Blutkreislauf. Sym: Gelbe Skleren bzw. gelbe Haut Hellfärbung des Stuhls (lehmfarben) Bierbrauner Urin Labor: Direktes und (häufig auch) indirektes Bilirubin erhöht. Mittels Harnteststreifen Bilirubin im Urin nachweisbar. Transaminasen (GOT, GPT) erhöht Posthepatischer Ikterus (Verschlussikterus) Def.: Ikterus infolge einer Behinderung des Gallenabflusses. Verdauungsapparat Pathologie Urs.: 263 Gallensteine Tumore: Pankreaskopftumor, Gallengangstumore) chronische Cholangitis Strikturen (narbige Verengungen Sym.: Sehr gelbes Aussehen Entfärbung des Stuhls (weißer Stuhl) Bierbrauner Urin Starker Juckreiz (durch die Gallensäuren im Blut) Labor: Direktes Bilirubin im Blut stark erhöht, indirektes Bilirubin normal. Urobilinogen im Urin nicht nachweisbar. AP (Alkalische Phosphatase) oft stark erhöht im Serum. Fettleber Def: Ablagerung von Fettsäuren in den Leberzellen. Urs: Pat: Die Fettsäuren werden als Vakuolen im Zytoplasma der Leberzellen aufbewahrt. Der Übergang, vor allen bei der alkoholischen Leberschädigung, in eine Hepatitis und eine Leberzirrhose ist fließend. Chronischer Alkoholmissbrauch Diabetes mellitus Überernährung, Adipositas Hyperlipidämie Medikamente (z.B. Kortison und Tetrazykline) Unterernährung (Eiweißmangel: es werden keine Lipoproteine zum Abtransport der Fettsäuren gebildet) Andere toxische Substanzen (z.B. Pilzgifte, Tetrachlorkohlenstoff) Sym: Es müssen keine spezifischen Symptome vorliegen. Evtl. Oberbauchschmerzen oder Druckgefühl, Appetitlosigkeit, Müdigkeit Leber vergrößert und prallelastisch tastbar, meistens nicht schmerzhaft. Labor: Transaminasen, direktes Bilirubin können erhöht sein. Akute Hepatitis Def: Entzündung des Leberparenchyms mit Leberzellnekrosen und entzündlichen Infiltraten. Der Ausdruck „akute Hepatitis“ wird oft als Synonym für die Virus-Hepatitis (A-E) benutzt. Urs: Infektiös Hepatitis-Viren A-E (Meldepflicht und Behandlungsverbot bei Verdacht gemäß IFSG §§ 6, 7, 24) Andere Viren: Zytomegalie-Virus, Gelbfiebervirus, Herpes-simplex-Viren, Epstein-Barr-Virus Bakterien: Brucellen, Leptospiren, Borrelien Parasiten: Plasmodien, Amöben, Echinokokken Nichtinfektiös Alkohol Medikamente, z.B. Paracetamol, Tetrazykline Andere exogene Noxen, z.B. Knollenblätterpilz , Schlangengifte © Arpana Tjard Holler (Autor) 264 Verdauungsapparat Pathologie Gallenstauung (cholestatische Hepatitis) Autoimmunhepatitis Verdauungsapparat Pathologie 265 Unterscheidung der akuten Virushepatitis je nach Virus Erreger Inkub.zeit Übertragung Chronizität Fulminanter Verlauf Häufigkeit CA-Risiko Pat: Hepatitis A HAV 2-6 Wochen fäkal-oral v.a. Muscheln Hepatitis C HCV 1-6 Monate parenteral sexuell Hepatitis D HDV 1-6 Monate parenteral braucht HBV Hepatitis E HEV 2-6 Wochen fäkal-oral Nein Nein Hepatitis B HBV 1-6 Monate parenteral, sexuell, perinatal ca. 10% sehr selten ca. 50% ca. 1% 90% ca. 2% Nein 10% 20% Nein 55% Ja 20% Ja 5% Ja selten in BRD Nein HAV-Infektion Besonders betroffen sind Reisende in Endemiegebiete und Homosexuelle. HAV sind im Stuhl 1-2 Wochen vor und etwa 1 Woche nach Beginn der Erkrankung nachweisbar (in dieser Zeit infektiös). Hepatitis A führt zu einer lebenslangen Immunität. Sie heilt fast regelmäßig vollständig aus. Impfstoff vorhanden. HBV-Infektion Besonders betroffen sind Personen mit wechselnden Sexualpartnern, Homosexuelle, Drogensüchtige, Transfusionspatienten und med. Personal. Impfstoff vorhanden. HDV-Infektion, sog. Satellitenvirusinfektion Benötigt zur Vermehrung HBV. In Europa zunehmend unter Drogensüchtigen verbreitet. Simultane Infektion mit HBV und HDV führt meist zu schweren Krankheitsbildern. HCV-Infektion Verläuft in 80-90% der Fälle symptomlos oder symptomarm, wird aber in mehr als der Hälfte der Fälle chronisch. Besonders betroffen sind Transfusionsbedürftige und Drogenabhängige. HEV-Infektion Ähnelt sehr der Hepatitis A mit Ausnahme der schweren Verläufe, besonders bei Schwangeren (20%). Impfstoff vorhanden. Sym: Das klinische Bild erlaubt keine Differenzierung der verschiedenen Hepatitiden. Über die Hälfte der Infektionen verlaufen asymptomatisch. Präikterisches Prodromalstadium (Vorläuferstadium) Grippeähnliche Symptome leichtes Fieber, katarrhalische Symptome Kopfschmerzen, Schwindel, Mattigkeit Gastrointestinale Beschwerden Appetitlosigkeit, Übelkeit Diarrhö, Verstopfung evtl. Widerwillen gegen Fett, Alkohol und Nikotin Rheumatische Erscheinungen (Gelenkschmerzen) Ikterisches Stadium (Organmanifestationsstadium) Beginn des Ikterus (fehlt allerdings in der Hälfte der Fälle) Meist bessern sich die subjektiven Beschwerden © Arpana Tjard Holler (Autor) 266 Verdauungsapparat Pathologie Oft Pruritus (Hautjucken), durch Anstieg der Gallensäuren im Blut Heller Stuhl (Fehlen des Sterkobilin) Bierbrauner Urin Leber druckempfindlich und palpatorisch vergrößert Labor: Transaminasen erhöht: z.B. GOT (nicht leberspezifisch), GPT, GLDH, Gamma-GT Bilirubin im Serum erhöht Bilirubin im Urin erhöht (dunkler Urin) Kom: Fulminante Hepatitis (meist tödlich), am häufigsten bei HEV. Übergang in die chronische Hepatitis bei HBV, HCV und HDV. Fortbestehen der Infektiosität nach der Erkrankung (Carrier-Status), nur bei der chronischen Form. Leberzellkarzinomrisiko bei HBV, HCV und HDV The: Keine spezifische medikamentöse oder diätetische Therapie. Bettruhe und Wunschkost (Alkohol verboten). Alle nicht unbedingt nötigen Medikamente weglassen. Chronische Hepatitis Def: Eine progredient (fortschreitend) verlaufende Hepatitis, die länger als 6 Monate andauert. Behandlungsverbot gemäß IFSG §24. Urs: Infolge von Infektionen, in der Regel HBV, HCV und HDV. Infolge von toxischen Substanzen, z.B. Medikamente, Drogen, Alkohol. Infolge einer Autoimmunkrankheit. Sym: Leichtes klinisches Beschwerdebild bei chronisch persistierender Hepatitis. Kann jahrelang bestehen. Uncharakteristische Oberbauchbeschwerden, Leber normal groß Müdigkeit, Appetitlosigkeit Transaminasenwerte nur leicht erhöht Gute Ausheilungstendenz, Übergang in die aggressive Form selten Schweres klinisches Beschwerdebild bei chronisch aggressiver Hepatitis Ikterus (im entzündlichen Schub) Leber druckschmerzhaft palpabel, oft auch Splenomegalie Deutlich erhöhte Transaminasenwerte Zeichen der zunehmenden Leberinsuffizienz Leberhautzeichen (siehe Leberzirrhose) Gerinnungsstörungen (Quickwert ) Bei Frauen Amenorrhö oder Regelstörungen Bei Männer Gynäkomastie und Hodenatrophie Oft Bildung einer Leberzirrhose Durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 5 Jahre Gefahr des primären Leberzellkarzinoms Fulminante Hepatitis (akutes Leberversagen) Def: Schwere akut nekrotisierende Hepatitis mit einer Letalität von 75 bis 95 %. Verdauungsapparat Pathologie 267 Pat: Durch das Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie (Schädigung des Gehirns infolge des Funktionsausfalls der Leber) kommt es zu Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma. Sym: Unruhe, verwaschene Sprache, Konzentrationsstörungen Krämpfe, Zittern lichtstarre Pupillen Vertiefte Atemzüge mit gesteigerter Frequenz evtl. süßlicher Geruch (Foetor hepaticus) starker Ikterus hämorrhagische Diathese Nierenversagen, Kreislaufversagen, Respiratorische Insuffizienz The: Notfall, Intensivmedizin Leberzirrhose Def: Chronische Lebererkrankung, bei der es nach Parenchymuntergang zu einem knotigen Umbau der Leber kommt. Urs: Alkoholmissbrauch (60%) = Alkoholzirrhose In 20 Jahren eine Leberzirrhose: Bei Männer: ca. 80 Gramm Alkohol täglich. Bei Frauen: ca. 40 Gramm Alkohol täglich 80gr. Alkohol (C2H5OH = Äthanol) entsprechen etwa: bis 6 Flaschen Bier oder 1 Flasche Wein oder 0,2 bis 0,4 Liter Schnaps (je nach Alkoholgehalt) Energiegehalt von 1g Alkohol = 7 kcal/g (30kj/g) Chronische Hepatitis B, C oder D (30%), Andere seltenere Ursachen (10%) Medikamente (Psychopharmaka, „Pille“), Giftstoffe Chronisch aggressive Autoimmunhepatitis Chronische Erkrankungen in den extrahepatischen Gallengängen (biliäre Zirrhose) Chronische Leberstauungen, z.B. bei Herzinsuffizienz (kardiale Zirrhose), Venenverschlusskrankheit Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit) Pat: Das zerstörte Lebergewebe wird durch Bindegewebe und nachgebildete Leber-zellen ersetzt. Dadurch geht die Leberarchitektur zugrunde (Anordnung der Arterien, Venen, Gallengänge und Leberzellen) und eine normale Leberfunktion wird unmöglich. Sym: Symptome der Mangelfunktion der Leber (Ausfallserscheinungen): Müdigkeit, Mattigkeit, Leistungsminderung Verdauungsstörungen: Appetitlosigkeit, Völlegefühl, Unverträglichkeit von Fett, Magenbeschwerden, Blähsucht, Diarrhö und Verstopfung Gewichtsabnahme Leber anfangs meist vergrößert mit höckeriger Oberfläche, später schrumpft die Leber und wird kleiner Bei entzündlicher Aktivität: Fieber, rechtsseitige Oberbauchschmerzen Hämorrhagische Diathesen (Verminderung der Gerinnungsfaktoren) mit Petechien Generalisierte Ödeme (infolge Verminderung der Albumine) © Arpana Tjard Holler (Autor) 268 Verdauungsapparat Pathologie Hodenatrophie, Potenzstörungen, fehlende Sekundärbehaarung Menstruationsstörungen, Amenorrhoe, Libidostörung Gynäkomastie (weibliche Brustentwicklung), Östrogene werden in der Leber nicht mehr vollständig abgebaut Leberhautzeichen (Hautveränderungen im Rahmen einer Leberzirrhose): Klassische Leberhautzeichen: Palmarerythem (Rötung der Handinnenfläche), Plantarerythem (Rötung der Fußinnenfläche) Spider Nävi (Spinnennävus, Naevus araneus), Gefäß-sternchen, strahlenförmig von einer Arteriole ausgehende Kapillarerweiterungen (besonders Gesicht, Nacken, Oberarm und Handrücken), nicht juckend Leichter Ikterus (nicht zwingend) Weißnägel (Leukonychie) Sog. Geldscheinhaut, durch den Schwund der Subkutis wirkt die Haut papierdünn Lackzunge und Lacklippen Weißfleckung der Haut, besonders nach Abkühlung Bei der biliären Zirrhose Bildung von Xanthomen (gelbe, knotige Fetteinlagerungen in die Haut) Symptome des Pfortaderhochdrucks (portale Hypertension), siehe 7.7 Labor Anämie Thrombopenie Hypoproteinämie, Erhöhung des Gammaglobulins Transaminasen schubweise erhöht Bilirubin erhöht INR-Werte erhöht (Zeichen der hämorrhagischen Diathese) Kom: Ösophagusvarizenblutung (Hälfte der Alkoholiker stirbt an Varizenblutung) Leberkoma (Coma hepaticum, hepatische Enzephalopathie durch Ammoniakvergiftung) mit Flapping-Tremor (Flattertremor) Primäres Leberzellkarzinom (bei 10% der Patienten) The: Intensivstation Gabe von Laktulose (synthetisiertes Zweifachzucker): Kann vom Körper nicht aufgenommen werden. Wirkt als Abführmittel und zieht Ammoniak aus dem Körper. Portale Hypertension (Pfortaderhochdruck) Def: Eine Erhöhung des Blutdruckes innerhalb des Pfortadersystems infolge von Abflussstörungen. Urs: Pfortaderthrombose (prähepatische Ursache) Leberzirrhose (intrahepatische Ursache) Rechtsherzinsuffizienz (posthepatische Ursache) Sym: Aszites Varizenbildung der portokavalen Anastomosen (Kurzschlussverbindungen bzw. Umgehungskreisläufe zwischen Vena portae und Vena cava superior/inferior) Ösophagusvarizen Caput medusae (Medusenhaupt), Venenerweiterung in der Bauchdecke Verdauungsapparat Pathologie 269 Hämorrhoiden Splenomegalie (vergrößerte Milz) Malabsorption, Stauungsenteritis, Stauungsgastritis Lebertumore Pat: Gutartige Tumore Meist Hämangiom, Leberzelladenom, Leberzyste (häufig im Rahmen einer Zystenniere). Betroffen sind Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen. Entartungs- und Rupturgefahr. Bösartige Tumore Primäres Leberzellkarzinom. Risikofaktoren sind Leberzirrhose (80%), chronische Hepatitiden, Hämochromatose, Aflatoxine (Toxin des Pilzes Aspergillus flavus), Kontrazeptiva und Anabolika. Sekundäre Lebertumore sind sehr häufig und metastasieren aus dem Magen-Darm-Trakt, aus der Lunge und der weiblichen Brust. Sym: Die Klinik entwickelt sich schleichend und uncharakteristisch. Beschwerden im rechten Oberbauch, evtl. ausstrahlend in die rechte Schulter Im späteren Stadium meist eine vergrößerte Leber Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, Nachtschweiß Aszites möglich The: Leberteilresektion (selten) und Zytostatika. Prognose schlecht. Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit) Def: Durch krankhaft vermehrte Eisenresorption im Dünndarm kommt es zu einer verstärkten Eisenspeicherung besonders im Parenchym von Leber und Pankreas (aber auch Herz, Milz, Lymphknoten, endokrine Organe). Männer erkranken wesentlich häufiger als Frauen. Die Kupferspeicherkrankheit (Morbus Wilson) ist auch eine erbliche Erkrankung und führt ebenfalls zu Leberschäden. Urs: Primär: Autosomal rezessiv vererbt. Sekundär: Erhöhte orale oder parenterale Eisenzufuhr Chronische Hämolyse Chronischer Alkoholgenuss kann bei einigen Menschen zur Eisenspeicherkrankheit führen. Sym: Typisches Trias: Leberzirrhose (Leber vergrößert und verhärtet), dunkle Hautpigmentierung und Diabetes mellitus (sog. Bronzediabetes) Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz Endokrine Störungen und Gelenkerkrankungen möglich Alkoholkrankheit Def: Alkoholiker ist, wer länger als ein Jahr große Mengen Alkohol konsumiert, die Kontrolle über den Konsum verloren hat und dadurch körperlich, psychisch oder in seiner sozialen Stellung geschädigt ist (nach WHO). © Arpana Tjard Holler (Autor) 270 Verdauungsapparat Pathologie Urs: Psychische und soziale Probleme Folgen der Alkoholkrankheit (Alkohol wird von der Leber in Glukose und Fettsäuren umgebaut) Leberschädigung Fettleber Alkoholhepatitis Leberzirrhose Häufig ist Gamma-GT und CDT (Carbohydrate Deficient Transferrin = durch Alkoholaufnahme von mehr als 60 g pro Tag geschädigtes Transferrin; normal < 3%) erhöht. Allerdings: Normale Transaminasen schließen eine alkoholische Fettleber nicht aus. Pankreasschäden Akute und chronische Pankreatitis, Pankreasinsuffizienz, sekundärer Diabetes mellitus Magen- und Darmbeschwerden Akute und chronische Gastritis (Typ C), Ösophagitis Malabsorption Mallory-Weiss-Syndrom, gastrointestinale Blutungen aufgrund von kardianahen Einrissen der Ösophagusschleimhaut durch Druckerhöhung bei Erbrechen Kardiomyopathie Alkoholembryopathie Erkrankungen des Nervensystems Wernicke-Enzephalopathie Polyneuropathie Epilepsie, Muskelzittern Psychische Folgen HOPS (Hirnorganisches Psychosyndrom = Alkoholpsychose) mit Wesensveränderungen, Wahn, Halluzination Soziale Folgen Probleme am Arbeitsplatz und in der Familie, Isolation Delirium tremens (Alkoholdelir, Alkoholentzugsdelir), 2-3 Tage nach Entzug auftretend Bewusstseinsstörung, Halluzinationen, Illusion, Desorientiertheit Motorische Unruhe (agitierte Psychomotorik), Tremor (Zittern), Krampfanfälle (10%) Verwaschene Sprache Vegetative Entgleisungen, z.B. Tachykardie, Fieber, Diarrhö, Hyperthermie, Hypoglykämie Unbehandelt in 20% d. F. letal (infolge von Hyperthermie undn Hypoglykämie) Die Wernicke-Enzephalopathie ist eine Störung des Kohlenhydrat-stoffwechsels der Neurone im ZNS infolge eines Vitamin B1-Mangels (Thiamin). Es kommt zu punktförmigen Einblutungen mit Hirnrindenatrophie als Folge. Typisch Symptome sind: Bewusstseinsminderung Korsakow-Syndrom: Desorientiertheit, Gedächtnisstörungen (v.a. Kurzzeitgedächtnis) und Konfabulation (Erzählung ohne Bezug zur Realität); kann sich in manchen Fällen verbessern Ataxie Augenmuskellähmung, Nystagmus, Pupillenstarre Verdauungsapparat Pathologie Kom: Ösophagusvarizenruptur Hepatische Enzephalopathie (Ammoniakvergiftung) The: Entziehung und Entwöhnung © Arpana Tjard Holler (Autor) 271 272 Verdauungsapparat Pathologie Peritonitis (Bauchfellentzündung) Def: Lebensgefährliche eitrige Entzündung des Bauchfells, die sofortige Behandlung bedarf. Ist immer ein NOTFALL. Urs: Selten primär, durch hämatogene bakterielle Streuung. Sekundär (95%) nach Perforation eines Hohlorgans durch Verseuchung des Bauchfells mit Bakterien aus der Darmflora und Verdauungssäften. Appendizitis Magen- und Duodenalulkus, Magenkarzinom Darmperforation, z.B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Divertikulitis Gallenblasenentzündung Pankreatitis Entzündung und Perforation der weiblichen Genitalorgane (z.B. bei Eileiterschwangerschaft) Sym: Klinisches Bild des akuten Abdomens. Akut auftretende Bauchschmerzen mit angezogenen Beinen, Vermeiden jeglicher Bewegung, regungsloses Daliegen Abwehrspannung mit "brettharter Bauchdecke" Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Meteorismus Im weiteren Verlauf paralytischer Ileus Kom: Septischer Schock: Fieber, Tachykardie und Blutdruckabfall Fettstoffwechselstörungen Syn: Dyslipidämie, Hyperlipidämie, Hyperlipoproteinämie Def: Störungen des Fettstoffwechsels mit erhöhten Blutfettwerten (Hypercholesterinämie, Hypertriglyzeridämie, geringe HDL-Werte). Tritt häufig mit Erkrankungen des metabolischen Syndroms (Wohlstandskrankheiten) auf. Urs: Physiologische Form: Nach häufigem Genuss kohlenhydratreicher Ernährung, meist im Zusammenhang mit Adipositas. Primäre familiäre Form (angeboren): Genetisch bedingt, durch einen Mangel an LDL-Rezeptoren in der Leber. Sekundäre Form: Diabetes mellitus Alkoholkrankheit Nephrotisches Syndrom Cushing-Syndrom Hypothyreose Cholestase (Gallenstau) Einnahme bestimmter Medikamente (z.B. Kortisonpräparate, Pille, Hormonersatztherapien) Sym: Bildung von Arteriosklerose mit Folgeerkrankungen Fettleber Arcus senilis (Greisenbogen) Xanthome (gelbliche Hautknoten) Xanthelasmen (gelbliche Fetteinlagerungen an den Augenlidern) Verdauungsapparat Pathologie 273 Xanthome und Xanthelasmen sind Ausdruck einer Fettstoffwechselstörung, mit oder ohne Hyperlipidämie, oder sie treten im Rahmen von anderen Erkrankungen auf (alkoholische Lebererkrankung, Diabetes mellitus, Pankreatitis). Sie können auch in den Zwischenfingerfalten, auf der Mundschleimhaut und im Rachen auftreten. Fettwerte Cholesterin bis 200 mg/dl Triglyzeride bis 180 mg/dl bis 150 mg/dl LDL HDL LDL/HDL-Quotient (Arteriosklerosefaktor) ab 40 mg/dl Bis 3,0 3,0 – 5,0 erhöhtes Risiko > 5,0 hohes Risiko Differenzialdiagnose Diarrhoe (Durchfall) Def: Unter Diarrhoe versteht man eine gehäufte Entleerung von Stühlen ( 3 / Tag) mit übermäßigem Wassergehalt ( 80%), und einer vermehrten Stuhlmenge ( 250 g / Tag). „zu häufig, zu viel, zu flüssig“ Urs: Infektiöse Diarrhöen durch Viren (z.B. Noroviren, Adenoviren), durch Bakterien (z.B. pathogene Escherichia coli, Campylobacter, Salmonellen, Vibrionen, darmpathogene Yersinien) durch Protozoen (z.B. Entamoeba histolytica, Giardia lamblia, Cryptosporidium parvum) durch Toxine (v.a. Staphylokokkentoxine) Nicht infektiöse Diarrhöen im Darm durch entzündliche Erkrankungen des Dünndarms (z.B. Morbus Crohn, Zöliakie, Sprue, andere Nahrungsmittelallergien) durch Erkrankungen des Dickdarms (z.B. Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Divertikulitis, Dickdarmpolypen, kolorektales Karzinom) im Rahmen einer Malabsorption (z.B. Strahlenenteritis, Resektionen, intestinale Ischämie, Pfortaderstauung) im Rahmen einer Maldigestion mit Fettstühlen = Steatorrhoe (z. B. Pankreaserkrankungen, Pankreaskopftumor, Erkrankungen der Leber und Gallenwegen) infolge einer Medikamenteneinnahme (z.B. Laxanzien, Eisenpräparate, Digitalis, Antibiotika) durch Intoxikationen (z.B. Pilzvergiftung, Arsen, Quecksilber) Funktionelle Darmstörungen =Reizkolon (Ausschlussdiagnose) Nicht infektiöse Diarrhöen außerhalb des Darms (Systemerkrankungen) Hyperthyreose Polyneuropathie (z. B. Diabetes mellitus) Jede Diarrhoe von mehr als 2 bis 3 Wochen bedarf der genauen diagnostischen Abklärung. © Arpana Tjard Holler (Autor) 274 Verdauungsapparat Pathologie The: Unter einer paradoxen Diarrhö versteht man den Abgang von flüssigem Stuhl gemischt mit festen, teils harten Bestandteilen. Je nach Ursache Medikamente (z.B. Antibiotika) Nahrungskarenz, Diät (schlackenarme Kost) Falls nötig intravenöse Zufuhr von Flüssigkeit Verstopfung (Obstipation) Def: Weniger als drei Stuhlentleerungen pro Woche, meist mit Schwierigkeiten bei der Stuhlentleerung. Entweder handelt es sich um einen verzögerten Darmtransport oder um eine Störung der Defäkation (Stuhlentleerung). „zu selten, zu wenig, zu dick“ Urs: Primär (am häufigsten) durch ballaststoffarme Nahrung, ungenügende Flüssigkeitsaufnahme und mangelnde Bewegung Schwangerschaft Sekundär Organische Erkrankungen im Darm, z.B. Karzinome, Polypen, Divertikulitis, Hernie, Morbus Cohn, Hämorrhoiden Medikamenteneinnahme (z.B. Eisen, Antazida, Antidepressiva, Sedativa, Opiate u.a.) Hormonelle Erkrankungen, z.B. Hypothyreose, Conn-Syndrom (Hypokaliämie) Neurogene Erkrankungen, z.B. Polyneuropathie (Diabetes mellitus, Multiple Sklerose) Funktionelle Störung (Reizdarmsyndrom = Colon irritabile) The: Ursache behandeln. Ballaststoffreiche Kost, ausreichend trinken. Regelmäßige körperliche Bewegung, Meidung verstopfender Nahrungsmittel. Gastrointestinale Blutung Pat: Starke Blutungen sind immer ein NOTFALL! Starke Blutungen aus dem oberen Gastrointestinaltrakt verursachen entweder einen schwarzen Stuhl (Teerstuhl = Meläna: Blutungen von 80-100 ml und einer Verweildauer von mehr als 6 Stunden) oder Bluterbrechen (Hämatemesis). Kommt das Blut mit Magensäure in Kontakt, spricht man von kaffeesatzartigem Erbrechen. Eine Schwarzfärbung des Stuhls kann auch durch den Genuss von Heidelbeeren oder Lakritze bzw. durch die Einnahme von Kohlen- oder Eisentabletten entstehen. Chronische Sickerblutungen sind oft „versteckt“ (okkultes Blut im Stuhl) und nur mit dem Hämoccult-Test nachweisbar. Urs: Obere gastrointestinale Blutungen (bis Duodenum) Ösophagitis, Ösophagusvarizen, Mallory-Weiss-Syndrom Magenkarzinom Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür Untere gastrointestinale Blutungen Infektiöse Darmerkrankungen (z.B. Salmonellosen, Typhus, Shigellenruhr) seltener: Meckel-Divertikulitis, ischämische Enteritis, Darm-Tbc Verdauungsapparat Pathologie 275 Morbus Crohn Colitis Ulcerosa Mesenterialinfarkt Dickdarmpolypen, Dickdarmkarzinom Divertikulitis Hämorrhoidalblutung Bei gastrointestinalen Blutungen muss immer ein Karzinom ausgeschlossen werden! © Arpana Tjard Holler (Autor) 276 H. Harnapparat Harnapparat Anatomie und Physiologie Harnapparat Hauptaufgabe und Aufbau ................................................................................................................... 277 Die Niere (Ren, Nephro-) ...................................................................................................................... 277 Die harnableitenden Organe ................................................................................................................ 282 Untersuchungsmethoden und Laborbefunde ....................................................................................... 283 Harnapparat 277 Hauptaufgabe und Aufbau Die Hauptaufgabe des Harnapparates ist die Filtration von schädlichen körpereigenen Stoffwechselprodukten (harnpflichtige Stoffe) und körperfremden Substanzen aus dem Blut. Dabei entsteht der Harn, welcher durch entsprechende Organe nach außen geleitet werden muss. Aufbau des Harnapparats: Zwei Nieren Die harnableitenden Organe: zwei Nierenbecken (Pyelon) zwei Harnleiter (Ureter) eine Harnblase (Vesica urinaria) eine Harnröhre (Urethra) Die Niere (Ren, Nephro-) Lage Unterhalb des Zwerchfells. Paravertebral (rechts und links neben der WS) am Übergang der Brustwirbelsäule zur Lendenwirbelsäule (Th11 - L2), wobei die rechte Niere wegen der Leber etwas tiefer liegt. Lokalisation im Retroperitonealraum (der Raum hinter dem Bauchfell). Einlagerung der Nieren in einer Fett- und Bindegewebskapsel, gibt der Niere den Halt und schützt vor Auskühlung und harten Schlägen. Wird die Fettkapsel z.B. bei Anorexia nervosa (Magersucht) abgebaut, so kann sich eine Wanderniere entwickeln. Größe und Gewicht Jede Niere kann zwischen 100 und 200 g wiegen, je nach Körperkonstitution und Ernährungsgewohnheiten. Jede Niere ist ungefähr 10 - 14 cm lang, 5 - 7 cm breit und 4 - 5 cm dick. Makroskopischer Aufbau Die Form einer Niere ähnelt der einer Bohne. Dabei ist die konvexe Außenseite der WS abgewandt und die konkave Innenseite der WS zugewandt. In der Mitte der Innenseite befindet sich der Nierenhilus. Einmündungsstelle der Nierenarterie (Arteria renalis) Austritt der Nierenvene (Vena renalis) Ausstritt des Harnleiters und der Lymphgefäße Das Nierenparenchym wird unterteilt in: Die Nierenrinde, eine ca. 1 cm breite, rotbraune Schicht, in der eine gekörnte Struktur sichtbar ist, die Nierenkörperchen (0,1 mm). Das Nierenmark, besteht aus 8 - 20 sog. Markpyramiden, deren Spitzen (Nierenpapillen) zum Nierenbecken weisen. Diese Pyramiden weisen eine ausgeprägte Längsstreifung auf (Markstrahlen), die durch den parallellaufenden Tubulusapparat und die dazu gehörigen Blutgefäße hervorgerufen wird. © Arpana Tjard Holler (Autor) 278 Harnapparat Mikroskopischer Aufbau Die mikroskopische Funktionseinheit der Niere ist das Nephron. Jedes Nephron besteht aus drei funktionell unterschiedlichen Abschnitten: Nierenkörperchen (Malpighi-Körperchen): Das Nierenkörperchen hat eine Größe von 0,2 - 0,3 mm und ist mit dem bloßen Auge als rotes Pünktchen sichtbar. Es besteht aus der Bowman-Kapsel und den darin befindlichen knäuelförmigen, parallellaufenden Kapillarschlingen (Glomerulum). Im Gefäßpol des Nierenkörperchens mündet die zuführende Arteriole (Vas afferens), die Blut zum Glomerulum bringt, und entspringt die abführende Arteriole (Vas efferens), die das Blut aus dem Nierenkörperchen herausführt. Dem Gefäßpol gegenüber liegt der Harnpol, der den Anfang des Tubulusapparats darstellt. Bei alten Menschen nimmt die Anzahl der Nierenglomerula und somit die Leistungsfähigkeit der Nieren ab. Nierenkanälchen (Nierentubuli) Der Tubulusapparat wird unterteilt in den proximalen Tubulus (ein gewundener und ein gerader Anteil), die Henle-Schleife und den distalen Tubulus (ein gewundener und ein gerader Anteil). Umgeben wird der Tubulusapparat von einem peritubulären Kapillarnetz (Vasa recta). Sammelrohre: Viele distale Tubuli der Nephrone münden in ein Sammelrohr. Pro Niere gibt es ca. 1 Mio. Nephrone mit etwa 10 km Nierenkanälchen. Blutversorgung der Niere Von der Bauchaorta gehen die rechte und linke Nierenschlagader (A. renalis) seitlich kurz unter der oberen Gekröseschlagader (A. mesenterica superior) ab. Der Durchmesser ist so groß, dass 20 - 30% des Herzzeitvolumens die Nieren durchbluten. Weiterer Verlauf: A. renalis Zwischenlappenarterien (Aa. interlobares) Bogenarterien (Aa. arcuatae) Zwischenläppchenarterien (Aa. interlobulares) Vas afferens Glomerulum (Kapillarschlingen) Der venöse Abfluss verläuft in der gleichen Struktur umgekehrt. Das venöse Blut wird über die Nierenvenen (V. renalis) an die untere Hohlvene abgegeben. Physiologie der Niere Glomeruläre Filtration Täglich fließen durch die Glomerulusschlingen ca. 1800 Liter Blut. Davon werden 10% abgefiltert und als Primärharn in den Tubulusapparat abgeführt. Verantwortlich für den passiven Filtrationsvorgang ist der effektive Filtrationsdruck. RR Vas afferens - (kolloidosm. Druck + Druck in Bow.kapsel) = Filtrationsdruck ca. 50 mmHg (ca. 25 mmHg + 17 mmHg) = ca. 8 mmHg Die filtrierende Schicht in den Nierenkörperchen besteht aus den Endothelzellen der Glomerulusschlingen, einer Basalmembran und den Podozyten, die das innere Blatt der Bowman-Kapsel ausmachen. Der glomeruläre Filter ist so gebaut, dass nur Plasmabestandteile mit einem Molekulargewicht bis zu 60.000 mmol durchgelassen werden. Zelluläre Bestandteile und Bluteiweiße (Albumine, Transportglobuline) sind dafür zu groß. Makrophagen in den Glomeruli reinigen den Filter durch Phagozytose. Harnapparat 279 Die tubuläre Rückresorption und Sekretion (Harnkonzentrierung) Die wesentliche Aufgabe des Tubulussystems besteht darin, den größten Teil des Primärharns wieder in die Blutgefäße zurückzuholen. 99% des Primärharns wird wieder zurückgewonnen, der Rest als Sekundärharn über die ableitenden Harnwege ausgeschieden Tubuläre Rückresorption von Wasser, Glukose, Aminosäuren, Mineralien Die Rückresorption geschieht passiv durch Diffusion infolge des Konzentrationsunterschiedes (vornehmlich im proximalen Tubulus) und aktiv durch Natriumtransport (Natrium-Kalium-Pumpe) infolge des Hormons Aldosteron (vornehmlich im distalen Tubulus) in die peritubulären Blutgefäße. Glukose kann nur bis zu einem gewissen Grad rückresorbiert werden. Übersteigt der Blutzuckerspiegel die Nieren- bzw. Harnschwelle (180 mg/100 ml), so wird die restliche Glukose über den Harn ausgeschieden. Tubuläre Sekretion: Im Tubulusapparat werden zusätzlich harnpflichtige Stoffe und andere auszuscheidende Substanzen (Medikamente) aktiv in den Primärharn abgegeben. In den Sammelrohren findet die Feinregulation des Endharns hinsichtlich des Volumens und der Konzentration unter hormoneller Kontrolle (ADH = antidiuretisches Hormon) statt. Die Zusammensetzung des Harns Der Harn ist eine klare, gelbliche Flüssigkeit, und hat im Wesentlichen folgende Bestandteile: ca. 98% Wasser Harnpflichtige Substanzen: Harnstoff, Abbauprodukt des Eiweißstoffwechsels. Harnsäure, Abbauprodukt des Purinstoffwechsels. Kreatinin, Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels. Medikamente und andere körperfremde Substanzen Harnfarbstoff, im wesentlichen Urobilinogen Mineralstoffe, Spurenelemente, Vitamine Der Endharn enthält keine Bluteiweiße oder Zucker. Jedoch sind vereinzelt Aminosäuren und Monosaccharide im Urin feststellbar. Regulationsmechanismen der Niere Die Niere gewährt die Aufrechterhaltung des sog. inneren Milieus mit Hilfe von verschiedenen Regelsystemen. Mit dem inneren Milieu sind der Flüssigkeitshaushalt, der Elektrolythaushalt und das SäureBasen-Gleichgewicht gemeint. Außerdem ist die Niere in der Lage den Filtrationsdruck in den Glomeruli konstant zu halten und kann daher auf den arteriellen Blutdruck im Körper Einfluss nehmen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 280 Harnapparat Die hormonelle Regulation des Wasserhaushalts Ca. 60% des Körpergewichtes besteht aus H2O. Im Alter nimmt der Wasseranteil ab. Wasseraufnahme pro 24 Stunden Wasserabgabe pro 24 Stunden Flüssigkeit Ca. 1500 ml Harn Ca. 1500 ml Nahrung Ca. 900 ml Haut Ca. 600 ml Zelloxydation Ca. 300 ml Atmung Ca. 500 ml Stuhl Ca. 100 ml Der Wasserbedarf des Menschen ist stark abhängig von der körperlichen Tätigkeit, den Temperaturverhältnissen, der Luftfeuchtigkeit und dem Salzgehalt der Nahrung. Die Niere hat nun die Aufgabe, bei Bedarf an Wasser den Endharn zu konzentrieren, um so Wasser „einzusparen“, oder ein Zuviel an Wasser auszuscheiden. Regulierendes Hormon: ADH (Antidiuretisches Hormon) Synonyme sind Vasopressin und Adiuretin. Produktionsort: Hypothalamus, Speicherung des ADH im Hypophysenhinterlappen (HHL). Wirkungsort: Wirkt auf die marknahen Sammelrohre. Wirkung: Die Poren der Sammelrohre erweitern sich und es kommt zu einer vermehrten Rückresorption des Wassers aus dem Harn in die dicht danebenliegenden aufsteigenden Teile der Henle-Schleife. Der Harn konzentriert sich und das Harnvolumen sinkt. Auslösender Reiz: Im HHL wird im Blut die Plasmaosmolarität gemessen (Menge der gelösten Teilchen pro Kilogramm Wasser). Steigt die Osmolarität, so wird ADH ins Blut abgegeben. Auch bei einem Abfall des Plasmavolumens wird ADH verstärkt ins Blut abgegeben. Sinnvoll ist dieser Mechanismus um einer hypertonen Dehydration vorzubeugen. Ein ADH-Mangel (z.B. bei einem Tumor im Hypothalamus oder HHL) bewirkt eine verstärkte Harnausscheidung mit häufigem Wasserlassen (Polyurie) und viel Trinken (Polydipsie) mit starkem Durst. Diese Krankheit wird als Diabetes insipidus (Wasserharnruhr) bezeichnet. Ein ADH-Überschuss (z.B. bei einem Hypophysenadenom) bewirkt eine verminderte Urinausscheidung mit Hypervolämie und einer starken Erhöhung des Blutdrucks. Alkohol, Kaffee und Tee haben eine harntreibende Wirkung, da sie das ADH hemmen und zu einer vermehrten Urinausscheidung führen. Die hormonelle Regulation des Elektrolythaushaltes Regulierendes Hormon: Aldosteron (gehört zu den Mineralokortikoiden) Produktionsort: Nebennierenrinde Wirkungsort: Wirkt auf distale Tubuli und rindennahe Sammelrohre. Wirkung: Rückresorption von Natrium aus dem Primärharn in das Blut. Aldosteron bewirkt die Resorption von Natrium und die Sekretion von Kalium. Na+-Ionen ziehen Cl--Ionen an, und NaCl wiederum zieht Wasser mit sich ins Blut. Dabei führt Aldosteron durch die vermehrte Wasserresorption und Harnkonzentrierung zu einer Zunahme des extrazellulären Volumens und tendenziös zu einer Hyperhydration (Wasserüberschuss) mit Steigerung des Blutdruckes. Sinnvoll ist dieser Mechanismus, um einer hypotonen Dehydration vorzubeugen. Harnapparat 281 Autoregulation der Niere Um die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und den dazu benötigten Filtrationsdruck von ca. 8 mmHg konstant zu halten, kann die Niere die zuleitenden und abführenden Arteriolen selbständig regulieren. Steigt der Blutdruck im Körper, so verengt sich die Muskelschicht im Vas afferens und bewirkt, dass die Filtrationsrate gleichbleibt und nicht steigt. Sinkt der Blutdruck im Körper, so erweitert sich Vas afferens und gleichzeitig verengt sich Vas efferens. Das führt zu einem erhöhten Filtrationsdruck und zur Konstanthaltung der Filtrationsrate. Die Regulation des System (RAA-System). Blutdrucks durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron- Regulierendes Enzym: Renin Produktionsort: Juxtaglomerulären Apparats Auslösender Reiz: Für die Renin-Freisetzung sind verschiedene Mechanismen verantwortlich: Blutdruckabfall im Vas afferens Na+ und Volumenmangel (wird gemessen in der Macula densa) Adrenalinausschüttung Wirkungsweise Angiotensinogen (in der Leber hergestellt) Renin Angiotensin I ACE Angiotensin II Angiotensin II ist das eigentlich aktive Hormon. Wirkt stark vasokonstriktiv und erhöht somit den Blutdruck. Stimuliert die Freisetzung von Aldosteron in der Nierennebenrinde. Hierdurch sind die Nieren in der Lage, den Blutdruck auf einem konstanten, für die glomeruläre Filtration optimalen Wert zu halten. Regulierung des Säuren-Basen-Haushalts durch die Niere. Die Niere kann durch die vermehrte oder verminderte Ausscheidung von H+-Ionen den pH-Wert des Blutes (7,38-7,42) mit konstant halten. Aufgaben der Niere (Zusammenfassung) Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen wie Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin und körperfremder Substanzen wie z.B. Nahrungsmittelzusätze, Gifte und Medikamente. Regulierung des Wasserhaushaltes. Regulierung des Elektrolythaushaltes. Einfluss auf den Blutdruck durch das RAA-System um die effektive Filtrationsrate in den Glomeruli aufrechtzuerhalten. Regulierung des Blut-pH-Werts. Regulierung der Blutbildung im roten Knochenmark durch das Erythropoetin. © Arpana Tjard Holler (Autor) 282 Harnapparat Aktivierung des Vitamin D und damit Regulierung der Kalziumresorption in der Darmschleimhaut. Weg eines Wassermoleküls vom Blut in die Toilette A. renalis Zwischenlappenarterien Bogenarterien Zwischenläppchenarterien Vas afferens Glomerulum Bowman-Kapsel proximaler Tubulusapparat HenleSchleife distaler Tubulusapparat Sammelrohr durch die Nierenpapille in den Nierenkelch Nierenbecken Harnleiter Harnblase Harnröhre Toilette. Die harnableitenden Organe Nierenbecken (Pyelon, Pelvis renalis) Übergangsepithel kleidet die gesamten harnableitenden Wege aus. Es kann sich je nach Dehnungsgrad verändern und schützt gleichzeitig vor dem aggressiven Urin. Von den Nierenpapillen aus tropft der Endharn in die Nierenkelche (8-20) und ins Nierenbecken. Die Größe und die Form des Beckens sind extrem variabel. Nierenkelche und Nierenbecken besitzen eine starke glatte Muskelschicht, die in peristaltischer Bewegung den Harn vorwärtstreibt. Harnleiter (Ureter) Länge: ca. 30 cm, Durchmesser: ca. 4-7 mm Verlauf: Retroperitoneal beiderseits der Wirbelsäule. Harnleiter durchläuft drei physiologische Engstellen, in denen sich größere Harnkristalle festsetzen können. Übergang Nierenbecken zum Harnleiter. Überkreuzung der Vena und Arteria iliaca communis. Einmündung des Harnleiters in die Harnblase. Sie verläuft schräg um ein Zurückfließen des Blasenurins zu verhindern Weiterleitung des Endharns durch Peristaltik der zwei schichtigen glatten Muskulatur. (Vesica urinaria) Lage: Sie liegt direkt hinter der Symphyse (Schambeinfuge) und unterhalb der Dünndarmschlingen). Bei gefüllter Blase reicht das Blasendach über den Rand des Schambeinknochens hinaus. Beim Mann liegt die Blase über der Prostata und vor dem Mastdarm, bei der Frau liegt sie vor der Scheide und unterhalb der Gebärmutter. Anatomische Unterscheidung: Blasenscheitel (Apex vesicae), die vom Peritoneum überzogene obere Fläche der Blase Blasenkörper (Corpus vesicae), die Hauptmasse der Blase zwischen Blasenscheitel und Blasengrund Blasengrund (Fundus vesicae), der hintere untere Anteil der Blase, in dem sich das Blasendreieck befindet (schleimhautfaltenfreie Zone zwischen den beiden Harnleitern und der Harnröhre) Blasenhals (Cervix vesicae), der sich vom Blasengrund nach unten stark verjüngende Teil der Blase, welcher in die Harnröhre übergeht. Füllungsgrad: Ab einer Menge von 200 - 600 ml entsteht das Gefühl des Harndrangs. Das größtmögliche Fassungsvermögen hängt vom Trainingszustand der Blase ab und kann zwischen 900 - 1500 ml betragen. Harnapparat 283 Glatte Muskulatur: Die glatte Muskulatur der Harnblasenwand (Detrusor vesicae) wird vom Parasympathikus (S2-S4) versorgt und hat die Entleerung der Blase zur Aufgabe. Zwei Schließmuskel am Blasenausgang: Ein oberer Ringmuskel (Sphinkter internus), der unwillkürlich innerviert ist. Ein unterer Ringmuskel (Sphinkter externus), der dem bewussten Willen unterliegt (Nervus pudendus). Bauchfell: Die Blase liegt subperitoneal (unterhalb des Bauchfells). Das Blasendach ist im gefüllten Zustand mit dem Peritoneum bezogen. Im erschlafften Zustand reicht das Bauchfell bis zum seitlichen und hinteren Anteil der Blase. Harnröhre (Urethra) Die Harnröhre führt den Endharn nach außen ab. Bei Frauen ist sie ca. 5 cm lang und mündet zwischen Klitoris und Scheidenöffnung in den Scheidenvorhof. Der kurze Abstand zum Anus hin gefährdet die weibliche Harnröhre für eine mikrobielle Verunreinigung, außerdem begünstigt die kurze Harnröhre aufsteigende Infektionen. Beim Mann ist sie zwischen 20 und 25 cm lang. Ab der Prostata dient sie gleichzeitig auch als Samenweg (Harnsamenröhre). Die vordere Harnröhre ist physiologischerweise mit Keimen besiedelt. Untersuchungsmethoden und Laborbefunde Anamnesedaten Störungen der Harnausscheidung (Diurese) Polyurie 3000 ml Harn / Tag (geht immer mit einer Polydipsie einher) Ursachen: Diabetes mellitus, Diabetes insipidus (ADH ↓), Hyperkalzämie Oligurie 500 ml Harn / Tag Anurie 100 ml Harn / Tag Ursachen: Exsikkose, ADH ↑, terminale Niereninsuffizienz, akutes Nierenversagen, Harnabflussstörungen (z.B. Prostatahyperplasie) Dysurie: Erschwerte Harnentleerung bei Harnabflussbehinderung und Harnwegsinfektion; Störungen beim Harnlassen Pollakisurie: Häufiger Harndrang, aber geringe Harnmenge (Träufeln), z.B. bei Zystitis (Blasenentzündung) oder Prostataadenom Nykturie: Häufiges nächtliches Wasserlassen, z.B. bei Zystitis, Steine, Tumore, Prostatahyperplasie, Niereninsuffizienz, Schwäche der Beckenbodenmuskulatur, Rechtsherzinsuffizienz, Polyneuropathie, Hyperkalzämie, idiopathisch Enuresis: Meist nächtliches Einnässen. Schmerzhafte Nierenlager Akute (kolikartige) Schmerzen, z.B. beim Harnleiterstein, im typischen Fall Ausstrahlung in die Genitalorgane (Vulva bzw. Hoden) Dumpfe andauernde Schmerzen im Nierenlager und/oder Nierenlagerklopfschmerz, typisch bei Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) Nierenlager bei Kindern sind generell leicht schmerzhaft! Ödeme: Bei Glomerulonephritis, nephrotischem Syndrom und Niereninsuffizienz. Kopfschmerzen: z.B. durch Hypertonie bei Pyelonephritis und Niereninsuffizienz. Abnorme Müdigkeit und Abgeschlagenheit: Bei Niereninsuffizienz. Erhöhter diastolischer Blutdruck: Bei Aktivierung des RAA-Systems. © Arpana Tjard Holler (Autor) 284 Harnapparat Körperlicher Untersuchungsbefund Inspektion Blässe, z.B. bei renaler Anämie Café au lait - Hautfärbung (milch-kaffee-farben), bei Niereninsuffizienz Urinöser Geruch bei terminaler Niereninsuffizienz Farbe des Urins rötlich - Makrohämaturie dunkelbraun – Bilirubinurie (intra- und posthepatischer Ikterus) trübe milchig – Proteinurie, Pyurie (Eiter im Urin) hell - wenig rückresorbiert dunkelgelb - viel rückresorbiert schaumig – Proteinurie, Bilirubinurie (dunkel) Palpation: Evtl. als Tumor fühlbar bei z.B. Wilms-Tumor, Zystenniere, Nierenzyste Perkussion: Beklopfen der Nierenlager zur Schmerzprüfung. Die flache Hand auf die Nierenregion legen und mit der Faust auf die Hand klopfen. Laborbefunde und Untersuchungsmethoden Harnanalyse mittels Teststreifen (Combur-10-Test = Trockenchemie-Teststreifen) Glukosurie: Findet sich bei Diabetes mellitus ab der Nierenschwelle von ca. 180 mg/dl im Blut. Erythrozyturie: Findet sich bei Blutungen im Urogenitaltrakt. Prärenale Ursachen: Hämorrhagische Diathesen, Antikoagulanzien, Traumen und ungewohnte körperliche Anstrengungen (z.B. Jogger-Hämaturie). Renale Ursachen: Glomerulonephritis, Pyelonephritis, Nierenkarzinom, Zystennieren, Nieren-Tbc, Niereninfarkt, Traumen. Postrenale Ursachen: Nephrolithiasis (Steine im Nierenbecken / Harnleiter / Blase), Blasentumoren, Zystitis, Traumen, bei Frauen evtl. Perioden-blutung, Entzündungen und Tumoren der männlichen und weiblichen Genitalorgane (z.B. Prostatakarzinom). Mikro- und Makrohämaturie ist bis zum Beweis des Gegenteils verdächtig auf karzinomatöses Geschehen! Leukozyturie: Zeigt eine Entzündung im Urogenitalbereich (Harn- und Geschlechtstrakt) an. Leuko`s + Nitrit: Bakterien haben eine Entzündung hervorgerufen. Leuko`s + Nitrit + Erythrozyten: schwere Entzündung im Urogenital-bereich, hervorgerufen durch Bakterien. Leuko`s ohne Nitrit: sterile Leukozyturie, Verdacht auf Tbc. Einzelne Leukozyten sind im Morgenurin nachweisbar. Eiweiße (Proteinurie) Prärenale Ursachen bei erhöhter Eiweißserumkonzentration, z.B. Hypertonie, Plasmozytom (allerdings nicht mittels Teststreifen feststellbar), akuter Hämolyse (Hämoglobinurie), bei Rechtsherzinsuffizienz (Stauungsniere). Proteinurie auch bei Schwangerschaft oder als sog. Anstrengungs- bzw. Arbeitsproteinurie (physiologische Proteinurie) Renale Ursachen bei nephrotischem Syndrom, diabetische Nephropathie, Glomerulopathie, Zystenniere. Postrenale Ursachen bei entzündlich bedingter Produktion von Immunglobulinen durch Harnwegsinfektionen (reaktive Proteinurie). Eiweiße + Blut zeigen eine Glomerulonephritis an! Harnapparat 285 Nitrit zeigt an, dass sich Bakterien im Urogenitalbereich aufhalten. Bakterien verstoffwechseln Nitrat im Körper zu Nitrit. Einige Bakterien produzieren kein Nitrit, so z.B. Gonokokken, Trichomonaden, Staphylokokken und Mykobakterien. Ketonurie: Entsteht bei verstärktem Fettabbau (Glukoneogenese) und tritt v.a. auf bei Diabetes mellitus, langandauerndes Erbrechen, hohem Fieber, Hunger und Diäten. Ketonkörper sind wasserlöslich gemachte Fettsäuren. Ketonkörper + Glukose zeigen einen manifesten Diabetes mellitus an. Bilirubinurie: Entsteht beim intrahepatischen (Hepatitiden, Leberkarzinom) und posthepatischen Ikterus (Gallensteine, Gallengangsentzündung, Gallengangs-tumore, Pankreaskopfkarzinom). Es handelt sich um das direkte Bilirubin. Urobilinogen: Ist erhöht bei Lebererkrankungen und verstärkter Hämolyse. Spezifisches Gewicht (1.012 – 1.035) Erhöht bei herabgesetzter Flüssigkeitszufuhr, Fieber, Diabetes mellitus Erniedrigt bei erhöhter Flüssigkeitszufuhr, Diuretika, Diabetes insipidus pH-Wert des Harns beträgt normal 5,5 - 7,0. Er kann auch mittels eines Urometers ermittelt werden. Ein alkalischer pH-Wert tritt bei Harnwegsinfektionen auf. Hohe Dosen von Vitamin C (Ascorbinsäure) verfälschen die Aussagen der Teststreifen. MERKE: Combur-10-Test kann man gut lernen durch „pH-GELENKBUS“. Bestimmung harnpflichtiger Substanzen im Blut Die Blutwerte der harnpflichtigen Substanzen geben erst Auskunft bei schweren Nierenfunktionsschäden. Kreatinin (0,6 - 1,1 mg/dl) ist der erste Parameter der im Blut ansteigt, wenn die Nierenfunktion zur Hälfte ausgefallen ist. Harnstoff (10 - 50 mg/dl) ist erhöht wenn ¾ der Nierenfunktion ausgefallen ist. Harnsäure (2 - 6,7 mg/dl) ist kein empfindlicher Parameter bei chronischer Niereninsuffizienz, die Werte sind erhöht bei Zellzerfall und Hyperurikämie (erhöhte Harnsäurewerte). Kreatinin-Clearance Die Fähigkeit der Niere aus einer bestimmten Blutmenge in einer bestimmten Zeit (24 St) eine bestimmte Menge von Kreatinin oder Cystatin C auszuscheiden. Die Bestimmung der Kreatinin-Clearance zeigt schon sehr früh pathologische Werte bei eingeschränkter Nierenfunktion. Bestimmung der Kreatinin-Clearance im Labor durch bestimmte Formel: Im 24-StundenSammelurin wird die Harnmenge, das Kreatinin im Urin und im Blutserum bestimmt. Benötigt werden außerdem die Körpergröße und das Körpergewicht. Mikroskopische Harnsedimente Das aus 10 ml Mittelstrahlurin durch Zentrifugieren gewonnene Sediment wird unter dem Mikroskop untersucht. Zelluläre Bestandteile: Leukozyten und Erythrozyten (s.o.) Epithelzellen: sind normal Harnzylinder entstehen in den Tubuli und beweisen deshalb eine Herkunft aus der Niere: Erythrozytenzylinder: Kennzeichnend für Glomerulonephritis. Leukozytenzylinder: Kennzeichnend für Pyelonephritis. Fettzylinder: Diabetische Nephropathie, nephrotisches Syndrom. © Arpana Tjard Holler (Autor) 286 Harnapparat Hyaline Zylinder: Bestehen aus Eiweiß, Vorkommen bei körperlicher Belastung, Proteinurie, hohem Fieber, kompensierter Herzinsuffizienz. Epithelzylinder: Entstehen infolge einer Verbackung von Epithelzellen des Tubulusapparates und weisen auf eine schwere Nierenerkrankung hin. Kristalle sind ohne Krankheitswert, können jedoch auf eine Bildung von Nierensteinen hinweisen: Calciumcarbonat, Calciumoxalat, Phosphatkristalle, Zystinkristalle Zweigläserprobe Die Zweigläserprobe wird durchgeführt bei sichtbarem Blut im Urin (Makrohämaturie) und bei Harnwegsinfektionen und Gonorrhoe mit sichtbarer Trübung des Urins durch Eiter. Die ersten 10 ml Urin werden in das erste Glas, der Rest in das zweite Glas entleert. Eine Trübung oder Blutbeimengung nur im ersten Glas spricht für eine Infektion bzw. Blutungsquelle in der Harnröhre. Sind die Beimengungen (Blut oder Eiter) in beiden Gläsern vorhanden, stammen sie aus oberhalb der Harnröhre gelegenen Organen (Blase, Harnleiter, Nieren) Gerätemedizin Sonographie (Ultraschall), Bestimmung der Lage und Größe der Nieren und Nachweis von Zysten, Tumoren und Steinen Röntgenuntersuchung (Leeraufnahme) zur Feststellung verkalkter Steine Intravenöse Urographie (Röntgenkontrastdarstellung), für die Aufzeichnung der ableitenden Harnwege Zytoskopie (Blasenspiegelung), zur Betrachtung der Blaseninnenwand Harnapparat/Niere Pathologie 287 Harnapparat/Niere Pathologie Harnwegsinfektionen ....................................................................................................................... 288 Glomerulonephritis ........................................................................................................................... 290 Nephrotisches Syndrom (Eiweißverlustniere) ................................................................................. 291 Analgetikanephropathie ................................................................................................................... 291 Nephrolithiasis (Nierensteinleiden) ................................................................................................. 293 Nierentumore ........................................................................................................................................ 294 Angeborene Nierenmissbildungen........................................................................................................ 295 Niereninsuffizienz ................................................................................................................................. 295 Harninkontinenz ................................................................................................................................... 299 © Arpana Tjard Holler (Autor) 288 Harnapparat/Niere Pathologie Harnwegsinfektionen Def: Eine Harnwegsinfektion kann sich als asymptomatische Bakteriurie, Harnröhrenentzündung, akute Zystitis, akute Pyelonephritis oder als chronische Pyelonephritis bemerkbar machen. Urs: Aufsteigende Infektion (98%), meist Keime aus der Darmflora (Escherichia coli). Pat: Betroffen sind vor allem Frauen im geschlechtsreifen Alter (kleine Harnröhre) und Kinder. Männer meist nur im höheren Alter durch Harnabflussstörungen bei Prostataerkrankungen (Prostatahyperplasie). Prädisponierende Faktoren Harnabflussstörungen: Anatomische Anomalien, Steine, Tumore, Prostataadenom, Gebärmuttersenkung, Blasenfunktionsstörungen. Psychischer Stress Kaltes Wetter (Resistenzschwäche) Abwehrschwäche Schwangerschaft Sexueller Kontakt (z.B. postkoitale Zystitis, Flitterwochenzystitis) Diabetes mellitus (Glukose, Mikroangiopathie) Multiple Sklerose Geringe Harnbildung Harnblasenkatheter Querschnittslähmung Medikamente: Immunsuppressiva, hohe Gaben von Schmerzmittel (Analgetikabusus) The: Beseitigung der auslösenden Ursachen. Bakterienkultur vor Behandlung mit Antibiotika. Lokale Wärme, vermehrtes Trinken. Bei Fieber strikte Bettruhe. Phytotherapie: Brennnessel, Goldrute, Süßholz, Zinnkrauttee Asymptomatische Bakteriurie Def: Eine asymptomatische Bakteriurie liegt vor, wenn eine signifikante Keimzahl (105/ml) im Urin vorhanden ist, aber keine Symptome und keine Hinweise auf eine Harnwegserkrankung vorliegen. Behandlungsbedürftig nur bei Schwangeren, Kindern und bei nachgewiesenen Harnabflussstörungen. Zystitis (Blasenentzündung) Def: Entzündung der Blasenschleimhaut, nur in sehr schweren Fällen Entzündung der gesamten Blasenwand. Sym: Schmerzhafter Harnzwang Pollakisurie, häufiger Harndrang mit kleiner Harnmenge Brennen beim Harnlassen Nykturie Harninkontinenz evtl. Druckschmerz hinter dem Schambein Harnapparat/Niere Pathologie 289 Schnellteststreifen: Nitrit Leukozyturie (keine Zylinder) evtl. Erythrozyturie (keine Zylinder), Makrohämaturie möglich gelegentlich diskrete Proteinurie (Immunglobuline im Urin Labor: Nachweis von Bakteriurie (mehr als 100.000 Keime pro ml) Keine Schmerzen im Nierenlager! Kein Fieber! Kom.: Pyelonephritis Akute Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) Def: Bakteriell bedingte Entzündung der Schleimhaut des Nierenbeckens mit Beteiligung des Nierengewebes (interstitielle Nephritis). Sym: Plötzlich ansteigendes Fieber (evtl. Schüttelfrost) Klopfschmerz der Nierenlager Rückenschmerzen Evtl. Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen Dysurie bei bestehender Zystitis Kopfschmerz, Müdigkeit, Abgeschlagenheit Schnellteststreifen: Nitrit, Leukozyturie evtl. Erythrozyturie Labor: Leukozytose mit Linksverschiebung, BSG und CRP Bakteriurie, im Zweifelsfall Keimnachweis per Blasenpunktion evtl. Leukozytenzylinder Bei Fieber und klopfschmerzhafte Nierenlager nach einer Zystitis immer an eine Pyelonephritis denken. Kom: Akutes Nierenversagen Urosepsis (von den Harnwegen ausgehende Sepsis) Abszessbildung Chronische Pyelonephritis Def: Chronischer Entzündungsprozess der Schleimhaut des Nierenbeckens und des Nierenparenchyms. Pyelonephritis entsteht aus einer nicht abgeheilten akuten Pyelonephritis oder durch akute Schübe rezidivierender Pyelonephritiden. Urs.: Entsteht aus einer nicht abgeheilten akuten Pyelonephritis. Meist sind chronische Harnabflussstörungen oder vesikoureteraler Reflux dafür verantwortlich. Pat: Die chronische Pyelonephritis schreitet nur langsam voran, führt aber unbehandelt über viele Jahre zur Niereninsuffizienz. Sym: Es gibt oft symptomlose oder symptomarme Verläufe. Eine Differenzierung zwischen einer akuten PN und einem akuten Schub einer chronischen PN ist klinisch nicht möglich. Die Symptome sind oft uncharakteristisch: Kopfschmerzen und Müdigkeit unklare Rückenschmerzen © Arpana Tjard Holler (Autor) 290 Harnapparat/Niere Pathologie Gewichtsabnahme evtl. Brechreiz unklare Fieberanfälle unklare Hypertonie unklare Anämie unklare BSG-Erhöhung Bei symptomarmen Verläufen ist folgender Trias ein wichtiger diagnostischer Hinweis: Pyurie (Eiterbeimischung im Harn) signifikante Bakteriurie (105/ml) BSG CRP Kom: Niereninsuffizienz, Schrumpfniere Sepsis Hypertonie (30 - 50%) Glomerulonephritis Def: Sammelbegriff verschiedener Nierenerkrankungen, die alle mit einer nicht infektiös verursachten Entzündung der Nierenkörperchen einhergehen. Urs: Autoimmunreaktion (gegen die Basalmembran gerichtete Antikörper, liegen gebliebene Immunkomplexe) Pat: Die Einteilung der verschiedenen Formen ist uneinheitlich und richtet sich nach nach dem klinischen Verlauf und den pathologischen Veränderungen an den Glomeruli. Glomerulonephritiden sind im Vergleich zu den Harnwegsinfektionen wesentlich seltener, jedoch häufigste Ursache einer Niereninsuffizienz. Akute postinfektiöse Glomerulonephritis (Poststreptokokken-Glomerulonephritis) Urs: Immunkomplexnephritis, als Zweiterkrankung nach einem akuten Infekt mit betahämolysierenden Streptokokken der Gruppe A. Betroffen sind meist die oberen Atemwege (z.B. Scharlach, Tonsillitis, Pharyngitis, Sinusitis, Zahngranulome). Pat: Nicht-phagozytierte Immunkomplexe (AG-AK-Komplexe) haften sich an den Kapillarschlingen der Nierenkörperchen und führen im weiteren Verlauf zu einer Entzündung und Schädigung des Endothels der Glomeruli. Bluteiweiße und Erythrozyten gelangen bei der glomerulären Filtration durch entzündliche Löcher in den Primärharn und werden ausgeschieden. Akute GN haben eine gute Prognose. 50 % der Fälle verlaufen asymptomatisch. Sym: Leitsymptom: Hämaturie und Proteinurie ( 3g / 24h) Ödeme (v.a. Augenlider) Hypertonie (in ca. 50% der Fälle) Fieber, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen evtl. Rückenschmerzen evtl. beidseitiger Klopfschmerz BSG Volhard-Trias: Hämaturie, Ödeme (v.a. Lidödem) und arterielle Hypertonie Kom: Chronischer Verlauf, welcher über Jahre zur Niereninsuffizienz führen kann. Nephrotisches Syndrom Harnapparat/Niere Pathologie 291 Akutes Nierenversagen Nephrotisches Syndrom (Eiweißverlustniere) Def: Charakteristischer Symptomenkomplex, der bei allen schweren Nieren-erkrankungen auftreten kann und mit einer großen Proteinurie einhergeht. Urs: Glomerulonephritis (80%) Glomerulosklerose bei Diabetes Mellitus Kollagenosen: Lupus erythematodes, Sklerodermie, Panarteriitis nodosa Nierenvenenthrombose Toxische Schädigung der Glomeruli (Medikamente, Schwermetalle) Plasmozytom Sym: Proteinurie (3g / Tag) mit Trias: Hypoproteinämie: erniedrigter Eiweißspiegel im Blut Ödeme (zuerst an den Beinen und im Gesicht, dann generalisiert) Hyperlipidämie, Hypercholesterinämie (Leber kümmert sich um den Aufbau von Albuminen und muss die Fette zirkulieren lassen) Zusätzliche Symptome: Gewichtszunahme durch Flüssigkeitsverschiebung vom Plasma ins Interstitium Infektanfälligkeit durch Verlust von Immunglobulinen Thromboembolische Komplikationen (renaler Verlust von Antithrombin III) Lipidurie Hohe Blutsenkungsgeschwindigkeit (Überwiegen der Immunglobuline durch renalen Verlust der Albumine) Entstehung einer Eisenmangelanämie durch Verlust von Transferrin The: Diät: Eiweißarm (1 g/kg/Tag), fettarm, kochsalzarm, ballaststoffreich. Körperliche Schonung Analgetikanephropathie Def: Durch Missbrauch von Analgetika (Schmerzmittel) bedingte abakterielle interstitielle Nephritis. Urs: Einnahme von ca. 1 kg Schmerzmittel über einen längeren Zeitraum (3 - 10 Jahre), v.a. Kombinationsanalgetika (Paracetamol, ASS mit Coffein und Codein). Pat: Betroffen sind besonders ältere Frauen mit schweren Kopfschmerzen, Personen, die an chronischer Arthritis leiden und Personen mit chronischen Schmerzen. Durch die starke kontinuierliche Einnahme der Analgetika kommt es zu Durchblutungsstörungen und Nekrosebildung (Papillennekrose). Sym: Im Frühstadium meist keine Symptome Müdigkeit, Kopfschmerzen leichte renale Anämie Mikrohämaturie Kom: Papillennekrose (Flankenschmerz, Makrohämaturie, Fieber) Tubulusschädigung mit herabgesetztem Konzentrationsvermögen Niereninsuffizienz Erhöhtes Risiko bösartiger Tumore (präkanzerös) des Harnapparates © Arpana Tjard Holler (Autor) 292 Harnapparat/Niere Pathologie Harnapparat/Niere Pathologie 293 Nephrolithiasis (Nierensteinleiden) Def: Harnsteinbildung durch Auskristallisierung verschiedener Salze. Urs: Primär Prädisponierende Faktoren: Saurer pH-Wert des Urins ( 5,5 Harnsäuresteine) Basischer pH-Wert des Urins (7 Phosphatsteine) erhöhtes spezifisches Gewicht (über 1.015) verminderte Flüssigkeitszufuhr Eiweißreiche Kost Oxalsäurereiche Kost (v.a. Tee, Kakaopulver, Mangold, Rhabarber, rote Beete) Sekundär (durch andere Erkrankungen) Hyperkalzämie (z.B. Hyperparathyreoidismus) Hyperurikämie (Gicht; Harnsäure erhöht) Harnwegsinfektion Harnstauung (z.B. benigne Prostatahyperplasie) Angeborene oder erworbene Verengung Immobilität, z.B. nach einer Knochenfraktur Medikamente Nierensteine und Harnwegsinfektionen bedingen sich gegenseitig. Pat: 1-5% der Bevölkerung sind betroffen, Männer häufiger als Frauen. Es werden im Wesentlichen drei Steinarten unterschieden: Kalziumhaltige Steine (Kalziumoxalat- und Kalziumphosphatsteine), ca. 80% der Fälle Harnsäuresteine (Uratsteine), ca. 15% der Fälle Magnesium-Ammonium-Phosphatsteine (sog. Infektsteine) Sym: Oft machen die Steine keine Beschwerden. Bei teilweiser oder leichter Steineinklemmung: Rezidivierende stechende oder ziehende Schmerzen mit Ausstrahlung in die Leistengegend. Bei vollständiger Steineinklemmung: plötzlich heftigste kolikartige Schmerzen, die in den Rücken, in den seitlichen Unterbauch oder bei tiefsitzenden Harnleitersteinen in die Geschlechtsorgane ausstrahlen können. Übelkeit, Erbrechen Mikro- oder Makrohämaturie Druck- und Klopfschmerzhaftigkeit der Nierenlager Auch Blutgerinnsel im Harnleiter können eine Kolik auslösen. Kom: Harnwegsinfektion mit der Gefahr der Urosepsis. Vor allem die größeren Steine reizen die Schleimhaut der Harnwege und begünstigen somit bakterielle Infekte (meist Pyelonephritiden). Niereninsuffizienz Bei Steineinklemmung reflektorischer Subileus mit fehlender Stuhl- und Windabgang Prophylaktisch Reichlich Flüssigkeitszufuhr © Arpana Tjard Holler (Autor) The: 294 Harnapparat/Niere Pathologie Selbstkontrolle von pH-Wert und spezifischen Harngewicht Bei Steineinklemmung Spontanen Steinabgang provozieren ca. 75% (viel trinken, Bewegung, lokale Wärmeanwendung, evtl. Spasmolytika und Analgetika) Steinauflösung (Litholyse) nur bei Harnsäuresteinen Steinzertrümmerung (Stoßwellenlithotripsie) (Erfolgsrate ca. 90%) Operative Steinentfernung Nierentumore Gutartige Nierentumore sind selten, meist handelt es sich um bösartige Tumore. Nierenkarzinom Syn: Nierenzellkarzinom, Adenokarzinom der Niere, Grawitz-Tumor, Hypernephrom Pat: Das Nierenkarzinom hat seinen Häufigkeitsgipfel zwischen 50 und 70 Jahren, Männer sind doppelt so häufig betroffen. Der Tumor neigt früh zur Metastasierung, meist durch Einbruch in die Vena renalis. Ist der Tumor noch innerhalb der Nierenkapsel, so ist die 5-Jahresüberlebensrate bei 80%. Bricht das Nierenkarzinom durch die Kapsel durch, werden meist Fernmetastasen (Leber, Lunge, Gehirn, Knochen) gebildet. Dann ist die Prognose sehr ungünstig. Raucher sind häufiger betroffen. Sym: Frühsymptome gibt es in der Regel nicht, die folgenden Symptome können auftreten und sind meist schon Spätsymptome: Leitsymptom: Schmerzlose rezidivierende Makrohämaturie Mikrohämaturie Schmerzen der Nierenlager bzw. der Flanken Hypertonie Erythrozytose durch Ausschüttung von Erythropoetin B-Symptome, BSG evtl. stark erhöht tastbarer Tumor (nicht mehr operabel) Varikozele (Krampfaderbruch): Bricht der Tumor aus dem Nierenhilus heraus in die linke Vena renalis, kann eine Behinderung bzw. Abklemmung der linken Hodenvene erfolgen. Wilms-Tumor (Nephroblastom) Def: Ein bösartiger Nierentumor (sog. Mischtumor) im Kindesalter (3-5 Jahre). Der Wilmstumor ist eine Entartung von primitivem Gewebe aus der Embryonalzeit mit Vorläuferzellen aus verschiedenen Geweben, meist vom Nierengewebe (metanephrogene Blasten). Er kann aber auch Vorläuferzellen aus dem Muskel- und Knorpelgewebe oder anderen Geweben enthalten. Pat: Er wächst sehr schnell verdrängend und macht aber erst im Spätstadium Metastasen. Prognose trotz Bösartigkeit recht gut (5-Jahresüberlebensrate 90%). Sym: Palpation: Tumor im Oberbauch „Bauchschmerzen“ Erbrechen, Durchfall, evtl. mit Fieber Gewichtsverlust Hämaturie Harnapparat/Niere Pathologie 295 Angeborene Nierenmissbildungen Anomalien des Harnapparates finden sich recht häufig, bleiben aber meist ein Leben lang symptomlos. Im Wesentlichen ist die Zystenniere von klinischer Bedeutung. Agenesie: Fehlen eines Organs, meist der linken Niere, die andere Niere ist hypertrophiert. Hufeisenniere: Verbindung der beiden Nieren am unteren Pol. Nephroptose: Wanderniere, beim aufrechten Stehen sinkt die Niere in das kleine Becken ab, Gefahr der Abknickung der Harnleiter. Beckenniere: Verlagerung der Niere in das kleine Becken mit verkürzten Harnleitern. Nierenzysten: Umbildung des Nierenparenchyms (meist Tubulusapparat) durch sackartige Hohlräume, die seröse Flüssigkeit enthalten. Sind erworbene gutartige Geschwulste, die einseitig auftreten können und meist keine Symptome verursachen. Große Zysten können evtl. zu einer Hypertonie oder zu Rücken- bzw. Bauchschmerzen führen. Zystennieren sind angeboren (0,1% der Bevölkerung) und führen häufig zu einer Niereninsuffizienz. Am häufigsten ist die autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung. Aber auch ein autosomal rezessiver Erbgang ist möglich. Symptome treten meist erst zwischen 35 und 55 Jahren auf: Makro- und Mikrohämaturie Proteinurie mit Ödemen (v.a. Lidödeme) Flankenschmerzen, Bauchschmerzen renale Hypertonie im fortgeschrittenen Stadium tastbare höckerige Nieren Häufig Zystenbildung in Leber, Pankreas, Milz, Schilddrüse Niereninsuffizienz Akutes Nierenversagen Def: Plötzliches, oft reversibles Nierenversagen mit Versiegen der Harnsekretion und Anstieg der harnpflichtigen Stoffe im Blut. Urs: Prärenale Ursachen (80%) verminderte Nierendurchblutung infolge eines Kreislaufschocks (Schockniere) Hypotonie (RR systolisch < 60 mmHg): Digitalisintoxikation, Herzinsuffizienz toxische Nierenschädigung z.B. durch Medikamente, Schwermetalle, Knollenblätterpilz, Sepsis Crush-Syndrom (Verschüttungssyndrom, Muskelzerfallssyndrom); Auflösung der quergestreiften Muskelzellen und dadurch Überschwemmung des Blutes mit einer Unmenge von Proteinen, welche für das akute Nierenversagen verantwortlich gemacht werden Renale Ursachen akute entzündliche Nierenerkrankungen Verschluss der Nierenarterien oder -venen Autoimmunerkrankung Postrenale Ursachen Abflussbehinderungen der ableitenden Harnwege (beiderseits), z.B. Prostataadenom © Arpana Tjard Holler (Autor) 296 Harnapparat/Niere Pathologie Pat: Das akute Nierenversagen ist gekennzeichnet durch eine Verminderung der Harnausscheidung (Oligurie, Anurie) und durch eine Erhöhung der harnpflichtigen Stoffe im Serum. Sym: Stadium I: Initialphase mit Symptomen der auslösenden Ursache. Konzentrationsfähigkeit des Harns erhalten. Stadium II: Oligurie oder Anurie. Die glomeruläre Filtration ist stark eingeschränkt. Anstieg der harnpflichtigen Substanzen mit Vergiftungserscheinungen (Bewusstseinsstörungen, Übelkeit und Erbrechen, Gastroenteritis, Perikarditis). Überwässerungssyndrom (Lungenödem, Hirnödem, Hypertonie). Metabolische Azidose Hyperkaliämie mit Herzrhythmusstörungen. Stadium III: Rückbildungsphase mit Polyurie (infolge der Hypervolämie) und allmählicher Abnahme der harnpflichtigen Substanzen im Blut. Verlust von Wasser und Salzen (Elektrolytstörungen) Stadium IV: Heilungsphase (Restitutionsphase) Kom: Letalität 20-30%. Eine akute Urämie entsteht 5-10 Tage nach einem akuten Nierenversagen. Chronische Niereninsuffizienz Def: Fortschreitender Untergang von funktionsfähigem Nierengewebe durch Einbau von Bindegewebe. Urs: Pat: Die Niereninsuffizienz ist gekennzeichnet durch den Untergang der Nephrone. Der Verlauf ist schleichend und geht über Jahre. Die Niereninsuffizienz hat zur Folge: Regulationsunfähigkeit des Wasser-, Elekrolyt- und Säure-BasenHaushaltes. Versiegen der inkretorischen Produktion (Renin, Erythropoetin, Vitamin DEnzym). Unfähigkeit, die harnpflichtigen Substanzen aus dem Blut herauszufiltern. Toxische Organschäden durch die erhöhten harnpflichtigen Substanzen im Blut. Chronische Glomerulonephritis (ca. 20%) Diabetische Nephropathie (ca. 20%) Chronische Pyelonephritis (ca. 20%) Idiopathisch (ca. 20%) Vaskuläre Nephropathie: Hypertonie, Arteriosklerose (ca. 10%) Sonstiges: Zystenniere, Analgetikanephropathie, Kollagenosen, Autoimmun, Gichtnephropathie, obstruktive Nephropathie (Harnabflussstörungen) Es werden vier Stadien der Niereninsuffizienz unterschieden: I. Kompensiertes Dauerstadium Einschränkung der Kreatinin-Clearance bei normalen Werten der harn-pflichtigen Substanzen. II. Kompensiertes Stadium mit Erhöhung der harnpflichtigen Substanzen Kreatininerhöhung über 1,2 mg/dl bis 6 mg/dl keiner oder geringer Symptomatik (Nykturie, Hypertonie), fortgeschrittene Niereninsuffizienz Harnapparat/Niere Pathologie III. Dekompensiertes Stadium Kreatininerhöhung über 6 mg/dl bis 8 mg/dl mit deutlicher Symptomatik. © Arpana Tjard Holler (Autor) 297 298 Harnapparat/Niere Pathologie IV. Terminale Niereninsuffizienz (Urämie) Endstadium mit klassischem Bild der Urämie, führt ohne Dialysebehandlung ins urämische Koma. Kreatininwerte über 10 mg/dl. Sym: Dekompensiertes Stadium (langsame Entwicklung) Müdigkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Appetitmangel Generalisierter Juckreiz (Pruritus) Polyurie (kann durch Umbauprozesse entstehen) Hypertonie, Herzrhythmusstörungen (z.B. Kammerflimmern), Perikarditis Polyneuropathie mit Muskelschwäche, Muskelzuckungen und -krämpfen Geistige Trägheit, psychiatrische Auffälligkeiten Pleuritis, Pneumonie Ödematöse Aufschwemmung Gewichtsverlust (Unterernährung) Gastroenteritis mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, Geschwüre, Blutungen, Peritonitis Renale (normochrome und normozytäre) Anämie mit Retikulopenie (verminderte „junge“ Erythrozyten) Thrombopenie mit hämorrhagischer Diathese (Pathomechanismus nicht geklärt) renale Osteopathie durch Störung des Vitamin-D-Stoffwechsels mit Osteomalazie (Knochenschmerzen) durch erhöhte Ausschüttung von Parathormon Schmutzig gelbe (gelbbraune) Haut (Cafe-au-lait-Farbe) Urämisches Koma (Stadium IV): Symptome, welche im irreversiblen Stadium definitiv auftreten, jedoch teilweise auch schon im kompensierten Stadium vorhanden sein können) Metabolische Azidose mit Kußmaulsche Atmung (Abatmung von CO2 um die Azidose zu kompensieren) Hyperkaliämie, relative Hyponatriämie (Volumenüberlastung), Hyperphosphat- und Hypermagnesiämie Herzrhythmusstörungen Schmutzige Haut (Caffee-au-lait-Farbe) infolge renaler Anämie und Anlagerung harnpflichtiger Stoffe in der Oberhaut Anurie Hypervolämie, Ödeme (v.a. Lungenödeme = Fluid lung) Urinartiger Mund- und Körpergeruch (Foetor uraemicus) Schläfrigkeit, Verwirrung, Bewusstseinsstörungen The: Dialyse im Stadium der terminalen Niereninsuffizienz Vermeidung von kaliumreichen Speisen und Getränken (z.B. Bananen, Trockenobst, Nüsse) Vermeidung von phosphatreichen Speisen und Getränken (z.B. Cola, Schmelzkäse, Hülsenfrüchte) Normokalorische Kost mit entsprechender Korrektur bei Über- und Untergewicht Salzige und Süße Speisen bzw. Getränke meiden Eiweißreiche Ernährung Begrenzte Flüssigkeitszufuhr (Trinkmenge wird vom Arzt errechnet) Harnapparat/Niere Pathologie 299 Harninkontinenz Def: Unwillkürlicher Harnabgang Urs: Stressinkontinenz (Belastungsinkontinenz): Unfreiwilliger Harnabgang infolge Insuffizienz der Beckenbodenmuskulatur bzw. Schwäche der Schließmuskel bei Belastung (z.B. Pressen, Husten, Lachen, Heben, Hüpfen, Gebärmuttersenkung); am häufigsten bei Frauen. Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz), Syndrom der überaktiven Blase: Unfreiwilliger Harnabgang, der mit unwiderstehlichen Harndrangattacken verbunden ist (Reizung des Musculus detrusor). Ursache: Häufig idiopathisch bzw. psychosomatisch organische Erkrankungen: Harnwegsinfektionen, Harnsteine, neurologische Erkrankungen Reflexinkontinenz: Unwillkürlicher Harnabgang ohne Harndrang durch Schädigung des Rückenmarks bzw. des zuständigen Nervs (Nervus pudendus) durch z.B. medialen Bandscheibenvorfall (Kaudasyndrom), Tumoren, Multiple Sklerose, Polyneuropathie, Querschnittslähmung. Überlaufinkontinenz: Unwillkürlicher Harnabgang durch passive Dehnung der Blasenwand bei einem völligen Unvermögen der Blase den Harn zu entleeren infolge Harnabflussbehinderungen (z.B. bei Prostatahyperplasie, Polyneuropathie). © Arpana Tjard Holler (Autor) 300 I. Neurologie Neurologie Anatomie und Physiologie Neurologie Nervengewebe ........................................................................................................................................ 301 Nervensystem ......................................................................................................................................... 302 Neurologie 301 Nervengewebe Das Nervengewebe besteht aus den Nervenunterstützerzellen (Gliazellen). Nervenzellen (Neurone) und aus den Neuron (Nervenzelle) Durch ihre Spezialisierung haben die Nervenzellen die Fähigkeit zur Zellteilung verloren. Eine Nervenzelle besteht aus einem Zellkörper (Zellkern mit DNS) und den Zellfortsätzen. Die Zellfortsätze leiten die Erregung zum Zellleib hin bzw. von ihm weg. Es werden daher zwei Zellfortsätze unterschieden: Dendriten sind meist kurze, baumartige Zellfortsätze, welche die Erregungsleitung auffangen und weiter zum Zellkörper des Neurons leiten. Axon (Neurit) leitet die Erregungsleitung vom Zellkörper zu anderen Neuronen oder Zielzellen (z.B. Muskelzellen). Synapsen sind Umschaltstellen zwischen den Neuronen untereinander bzw. zwischen einem Neuron und dem Erfolgsorgan (z.B. Muskelzellen = motorische Endplatte). Sie bestehen aus einem präsynaptischen Endkopf (präsynaptische Endigung) mit synaptischen Vesikeln (Bläschen), einem synaptischen Spalt und einer postsynaptischen Membran. Neurotransmitter (Überträgersubstanzen) sind chemische Stoffe, die in den synaptischen Vesikeln enthalten sind. Durch den elektrischen Impuls platzen die Vesikel, die Neurotransmitter werden frei und gelangen infolge der Diffusionskraft zur postsynaptischen Membran, an der sie bestimmte Rezeptoren aktivieren. Acetylcholin (wirkt an der Skelettmuskulatur, am Sympathikus und Parasympathikus) Adrenalin und Noradrenalin (wirken am Sympathikus) Dopamin (wirkt v.a. im extrapyramidalen System, verringert den Muskeltonus, setzt das Schmerzempfinden herab) Serotonin (wirkt v.a. im Bauchhirn und limbischen System) GABA (Gamma-Aminobuttersäure; wirkt hemmend im ZNS) Markhaltige Nervenfasern sind Nervenfortsätze, die von einer starken myelinhaltigen Schicht (Fetteiweiß-Schicht) der Schwann-Zellen umgeben sind. Durch die Ranvierschen Schnürringe wird die Erregungsleitung gegenüber den markarmen Nervenfasern wesentlich erhöht (saltatorische Erregungsleitung). Efferente Neurone (motorische Neurone) leiten die Erregung zur motorischen Endplatte Afferente Neurone (sensible Neurone) leiten Sinnesreize zum ZNS. Ein sog. Nerv besteht aus mehreren Nervenbündeln mit umliegendem Bindegewebe. Ein Nervenbündel besteht aus vielen efferenten und afferenten Nervenfortsätzen. Gliazellen (Neuroglia) Gliazellen gehören zum Nervensystem und unterstützen in verschiedensten Funktionen die Nervenzellen. Gliazellen können sich im Gegensatz zu den Nervenzellen teilen. Ohne die Gliazellen sind die Neurone nicht funktionsfähig. Schwann-Zellen sind periphere Gliazellen, die als Isolierungshülle um die Axone liegen (sog. Hüllzellen). Je besser die Isolierung, desto schneller die Leitungsgeschwindigkeit. Hüllzellen im ZNS werden als Oligodendrozyten bezeichnet. Astrozyten stellen die Blut-Hirn-Schranke dar. Sie befinden sich zwischen Kapillaren und Nervenzellen und kontrollieren somit den Stoffaustausch. Sie sind phagozytosefähig und üben in der grauen Substanz eine Stütz- und Ernährungsfunktion aus. Ependymzellen stellen die Liquor-Hirn-Schranke dar. Kleiden die Hohlräume im Gehirnund Rückenmark aus. © Arpana Tjard Holler (Autor) 302 Neurologie Erregungsleitung Ruhemembranpotential: Um ein Signal in einer Nervenzelle weiterzuleiten bedarf es eines elektrischen Potentials an der Zellmembran, einer Ausgangssituation. Diese wird als Ruhemembranpotential bezeichnet. Dieser Spannungszustand an der Zellmembran wird durch den Konzentrationsunterschied von K+-Ionen in der Zelle und Na+-Ionen außerhalb der Zelle (Ionenpumpe) hervorgerufen. Da die Zellmembran nur für die K-Ionen durchlässig ist, entsteht eine negative Spannung von ca. 90 mV an der Innenseite der Membran. Aktionspotential: Es entsteht, wenn die Durchlässigkeit der Membran für Natrium erhöht wird. Die Na+-Ionen strömen jetzt in das Zellinnere hinein und sorgen für eine Depolarisierung der Zellmembran. Dieses Aktionspotential läuft als elektrischer Impuls entlang der Nervenfaser. Nach einer Reizung bleibt ein Nerv für eine bestimmte Zeit nicht erregbar, bis sich das Ruhemembranpotential durch Natrium-Kalium-Pumpen wiederaufgebaut hat. Diese Zeit nennt man Refraktärzeit. Ist der elektrische Impuls an der Synapse angelangt, wird er in einen chemischen Reiz umgewandelt. Aus den Vesikeln im präsynaptischen Endkopf werden Neurotransmitter (z.B. Adrenalin, Acetylcholin und Dopamin) ausgeschüttet. Dieser Überträgerstoff gelangt über den synaptischen Spalt zur postsynaptischen Membran und löst dort bei Neuronen ein Aktionspotential aus. Bei der motorischen Endplatte (Verbindungsstelle eines zuleitenden Neurons mit einem Muskel) kommt es durch den Überträgerstoff im Zusammenhang mit Kalziumionen zur Kontraktion von Muskelfasern. Es werden erregende und hemmende Synapsen unterschieden. Um die Erregungsleitung für die Skelettmuskeln zu erhöhen bedient sich der Körper eines Tricks: Die fortleitenden Nervenfasern werden von den Schwann-Zellen wie in einer Biskuitrolle umhüllt, so dass dort kaum eine Erregungsleitung möglich ist. Zwischen zwei Markscheidensegmenten liegt aber ein schmaler myelinfreier Spaltraum (RanvierSchnürring), so dass die Erregung von Schnürring zu Schnürring springen kann (sog. saltatorische Erregungsübertragung = 40-120 m/s). Dadurch ist die Signalübertragung wesentlich schneller als die elektronische Erregungsleitung (lokales Aktionspotential pflanzt sich über die unmittelbare Nachbarschaft der Nervenzellwand hinfort = 0,5 - 3 m/s). Nervensystem Nervensystem anatomische Lage zentrales NS Gehirn Rückenmark peripheres NS 31 Spinalnerven 12 Gehirnnerven Funktion animales NS Sympathikus vegetatives NS Parasympathikus Aufgaben: Reize werden in den Sinnesorganen aufgenommen und über Nervenfasern zum Zentralnervensystem weitergeleitet. Innerviert (versorgt) die Muskeln und löst so Bewegungen aus. Reguliert alle vegetativen Funktionen, wie z.B. Atmung, Kreislauf, Blutdruck Neurologie 303 Einteilung nach der anatomischen Lage: Zentralnervensystem Gehirn Rückenmark Peripheres Nervensystem 12 Hirnnerven 31 Spinalnerven Einteilung nach der Funktion: Willkürliches Nervensystem Unwillkürliches Nervensystem Sympathikus Parasympathikus Zentralnervensystem (ZNS) Das Zentralnervensystem setzt sich zusammen aus Gehirn und Rückenmark. Es ist umgeben von knöchernen Strukturen und den Hirnhäuten (Meningen). Die Hirnhäute (Meningen) Die Hirnhäute mit der Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit haben die Aufgabe das ZNS vor Stößen zu schützen und das Eigengewicht herabzusetzen. Von außen nach innen finden sich folgende Hirnhäute: Die harte Hirnhaut (Dura Mater), aus derbem kollagenem Bindegewebe bestehend, liegt dem inneren Schädelknochen an. Zwischen dem Knochen und der harten Hirnhaut befindet sich der Epiduralraum. In der Dura mater verlaufen die starrwandigen venösen Blutleiter. Die Arachnoidea liegt der Innenseite der Dura Mater an. Dazwischen befindet sich der Subduralraum. Die Arachnoidea ist über ein spinnwebenartiges Bälkchensystem aus Bindegewebe mit der weichen Hirnhaut verbunden. Der Hohlraum des Bälkchensystems bildet den Subarachnoidalraum, in dem Liquor cerebrospinalis fließt. Die Pia Mater liegt dem Gehirn oder Rückenmark direkt auf. Liquorräume und Hirnflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) Die Hirnflüssigkeit fließt im Subarachnoidalraum und in den damit verbundenen inneren Liquorräumen, den vier Ventrikeln. Liquormenge: Ca. 150 ml (pro Tag ca. 700 ml) Zusammensetzung: Die klare, farblose Flüssigkeit ist im Wesentlichen ein Ultrafiltrat des Blutes. Aufgabe: Schutz vor schädigender Stoßeinwirkung. Führt zur Schwerelosigkeit des Hirns. Bildungsort: Wird größtenteils in den Adergeflechten (Plexus choroidei) des I. und II. Ventrikels aus dem Blut heraus filtriert. Resorption: Fließt über die Arachnoidalzotten in die venösen Blutleiter. Bei (angeborenen oder erworbenen) Abflussstörungen des Liquors kommt es zum Hydrozephalus (Wasserkopf). Es gibt folgende Liquorräume: Subarachnoidalraum; er umgibt das Gehirn und Rückenmark. Ventrikelsystem im Inneren des Gehirns: © Arpana Tjard Holler (Autor) 304 Neurologie Die beiden Seitenventrikel (I. und II Ventrikel). Sie befinden sich im Zentrum der Hemisphären und haben Zugang zum: Dritten Ventrikel, welcher sich in der Mitte des Zwischenhirns befindet. Vom III. Ventrikel fließt der Liquor über den Aquaädukt zum vierten Ventrikel, welche sich zwischen Pons (Brücke) und dem Kleinhirn befindet. Von hier gehen zwei Verbindungen zum Arachnoidalraum ab. Der Zentralkanal schließt sich dem vierten Ventrikel an und fließt im Zentrum der grauen Substanz des Rückenmarks. Gehirn (Encephalon) Das Gehirn wiegt ca. 1,5 kg und ist das zweitgrößte Organ nach der Leber. Es ist das zentrale Steuerorgan des Nervensystems und leitet Befehle über das Rückenmark an die Peripherie und empfängt bzw. verarbeitet Reize aus der Peripherie. Die Substanz des ZNS lässt sich in graue und weiße Substanz unterteilen. Graue Substanz: Besteht aus den Zellkörpern der Neurone. Sie befindet sich im Gehirn außen und im Rückenmark innen. Weiße Substanz: Besteht aus markhaltigen Nervenfasern, die für die weiße Farbe verantwortlich sind. Sie befindet sich im Gehirn innen und im Rückenmark außen. Arterielle Versorgung des Gehirns: Die beiden inneren Halsschlagadern (Aa. carotis internae). Die beiden Vertebralarterien (Aa vertebralis), vereinigen sich zur Arteria basilaris. Basilarisarterie und die inneren Halsschlagadern werden durch zwei Verbindungsarterien (Aa. communicans) zu einem Anastomosenkranz (Circulus arteriosus willisii oder cerebri) zusammengeschlossen. Großhirn (Zerebrum) oder Endhirn (Telencephalon) Die Aufgabe des Großhirns ist es, Handlungen bewusst zu steuern. Das Großhirn wird durch die in der Mitte gelegene, sagittal verlaufende Großhirnsichel (Falx cerebri) in zwei Hemisphären getrennt und macht den größten Anteil des Gehirns aus. Es liegt direkt unterhalb der Schädelkalotte. Beide Hemisphären sind über den Balken, in dem unzählige Nervenbahnen verlaufen, miteinander verbunden. In der Mitte der beiden Hemisphären liegen die Seitenventrikel. Die Großhirnrinde (Cortex cerebri) ist ca. 2-5 mm dick und enthält die graue Substanz. Zur Oberflächenvergrößerung ist die Hirnrinde in Windungen (Gyri) und Furchen (Sulci) angeordnet Die Großhirnrinde lässt sich in Rindenbezirke (Verbände von Nervenzellen mit ähnlichen Funktionen) aufteilen: Motorische, sensible sowie Assoziationsfelder. Nach der Hirnrinde folgt die weiße Substanz, in der sich sog. Kerne (die Basalganglien, gehören dem extrapyramidalen System an) befinden, graue Nervensubstanz inmitten der weißen Substanz. Das Großhirn wird anatomisch in 4 Großhirnlappen unterteilt: Stirnlappen (Lobus frontalis) mit motorischer Rinde, hier befindet sich das 1. motorische Neuron (Pyramidenzelle) Scheitellappen (Lobus parietalis) mit sensibler Rinde. Schläfenlappen (Lobus temporalis) mit der Hörrinde. Hinterhauptlappen (Lobus occipitalis) mit der Sehrinde. Neurologie 305 Das limbische System befindet sich im Großhirn und teilweise auch im Thalamus und wird der Gefühlswelt zugeordnet. Bekannt ist Amygdala (Mandelkern), ein paariges Kerngebiet im medialen Temporallappen, welche an der Entstehung von Angst beteiligt ist. Zwischenhirn (Diencephalon) Im Zwischenhirn befindet sich der 3. Ventrikel. Das Zwischenhirn ist Schaltstelle zwischen der Großhirnrinde und dem Stammhirn. Hauptbestandteile des Zwischenhirns sind: Thalamus, sog. „Tor zum Bewusstsein“ Umschaltstation für optische, akustische und sensible Reize aus der Umwelt und aus der Innenwelt des Körpers. Die ankommenden Informationen werden gefiltert und nur die „Wichtigen“ werden zum Großhirn weitergeleitet. Hier befinden sich auch noch Koordinationszentren für Berührung, Schmerz und Temperatur. Hypothalamus ist das übergeordnete Zentrum („Boss“) des vegetativen Nervensystems, das alle vegetativen Funktionen und Regulationsvorgänge kontrolliert und steuert. Wärmeregulation, Wach- und Schlafrhythmus, Blutdruck- und Atmungsregulation, Nahrungsaufnahme (Hunger- und Sättigungszentrum), Fettstoffwechsel, Wasserhaushalt, Sexualfunktion, Schweißsekretion, Steuerung des endokrinen Systems. Hypophyse ist ein endokrines Organ und speichert und bildet Hormone. Epiphyse (Zirbeldrüse, Glandula pinealis), produziert das Hormon Melatonin Stammhirn (Hirnstamm, Truncus cerebri) Das Stammhirn wird in drei anatomische Strukturen unterteilt: Mittelhirn (Mesencephalon): Der größte Teil besteht aus durchziehenden Nervenfasern (weiße Substanz). Wichtige Anteile der grauen Substanz sind der rote Kern (Nucleus ruber) und der schwarze Kern (Substantia nigra; hier wird Dopamin produziert). Beide sind grobmotorische Zentren (extrapyramidales System), die Informationen aus dem Großhirn und dem Kleinhirn erhalten Brücke (Pons): Befindet sich als deutliche Wölbung zwischen Mittelhirn und Medulla oblongata. Verlängertes Mark (Medulla oblongata): Sie schließt sich unmittelbar an das Rückenmark an. Der größte Teil der motorischen Nervenfasern (80% der Pyramidenbahn) wechseln hier auf die andere Seite über (Pyramidenbahnkreuzung). Das bedeutet, dass eine Gehirnhälfte die gegenüberliegende Körperseite steuert. Der Rest der Pyramidenbahn kreuzt erst im entsprechenden Rückenmarkssegment auf die andere Seite über. Bei der grauen Substanz im Stammhirn (v.a. in der Medulla) handelt es sich um wichtige Reflex- und Schaltzentren (Atmung, Kreislauf, Erbrechen, Schlucken, Kauen, Speichelfluss, Husten, Niesen, Tränenfluss, Lidschluss) Kleinhirn (Cerebellum) Das Kleinhirn liegt unterhalb der Großhirnhälften in der hinteren Schädelgrube. Es besteht ebenso wie das Großhirn aus zwei Hälften mit Windungen und Furchen zur Oberflächenvergrößerung. Das Kleinhirn erhält Informationen vom Großhirn, vom Rückenmark, von den Augen und dem Gleichgewichtszentrum. Die Aufgabe ist die Koordination von Bewegung, Muskeltonus und Gleichgewicht. Damit der Mensch bei großen Bewegungen sein Gleichgewicht nicht verliert, muss der Bewegungsablauf so kontrolliert werden, dass gegenläufige Bewegungen anderer Körperteile das Gleichgewicht ausbalancieren. Rückenmark (Medulla spinalis) © Arpana Tjard Holler (Autor) 306 Neurologie Definition: Im Wirbelkanal eingeschlossener Teil des Zentralnervensystems. Maße: Länge ca. 50 cm, Durchmesser ca. 1 cm. Beginn: Direkt nach dem Hinterhauptsloch (Foramen occipitale). Ende: 1. bis 2. Lendenwirbel. Darunter finden sich Bündel von Spinalnerven (Cauda equina), die zu ihrem jeweiligen Zwischenwirbelloch ziehen. Abschnitte: 8 Halssegmente 12 Brustsegmente 5 Lendensegmente 5 Kreuzbeinsegmente 1 Steißbeinsegment. Da die Wirbelsäule schneller wächst als die Rückenmarkssegmente, müssen die Nervenwurzeln aus den unteren Abschnitten des Rückenmarks einen Teil im Wirbelkanal entlang verlaufen (Cauda equina), bevor sie zu ihren Zwischenwirbellöchern gelangen. Aufbau: Innere schmetterlingsförmige graue Substanz, enthält Zellkörper: Hinterhorn: Hier treten sensible, afferente Fasern ein. Seitenhorn: Hier befinden sich vegetative Neurone. Vorderhorn: Hier befindet sich das zweite motorische Neuron und zieht mit seinen motorischen, efferenten Fasern über den Spinalnerv zum jeweiligen Muskel. Äußere weiße Substanz, besteht aus markhaltigen Nervenfasern Vorderstrangbahn Hinterstrangbahn Seitenstrangbahn Aufgaben: Leitungsorgan. Das Rückenmark leitet Nervenimpulse von der Peripherie zum Gehirn und umgekehrt. Reflexorgan, Vermittlung von Reflexen. Ein Reflex ist eine unwillkürliche Reaktion auf einen Reiz. Reflexbogen (Ablauf eines Reflexes): Reizaufnahme durch Rezeptor an der Peripherie. Sensible Nervenfaser leitet Impuls zum Hinterhorn. Umschaltung auf das Vorderhorn (Schaltneuron). Motorische Nervenfasern leiten den Impuls auf das Erfolgsorgan. Eigenreflexe (Monosynaptische Reflexe) Reflexe sind unwillkürliche Reaktionen auf einen Reiz, ohne Beteiligung des Großhirns. Die physiologische Bedeutung der Eigenreflexe liegt in der Aufrechterhaltung des jeweils benötigten Muskelruhetonus. Muskelspindeln sind die Dehnungsrezeptoren und geben ihre Information über den jeweiligen Dehnungszustand ständig an das Hinterhorn des Rückenmarks ab. Damit es nicht zu übersteigerten Muskeleigenreflexen kommt, wird das Ausmaß durch Interneurone gehemmt. Eigenschaften der Muskeleigenreflexe: Reizaufnahme und Reizantwort erfolgen an demselben Muskel. Sehr kurze Reflexzeit (ca. 40 msek). Arbeiten unabhängig von der Stärke des auslösenden Reizes Keine Ermüdbarkeit Arbeiten mit einer Schaltstelle (monosynaptisch) Neurologie 307 Wichtige Eigenreflexe: Patellarsehnenreflex (PSR; auch: Quadrizepssehnenreflex), überprüft die Rückenmarkssegmente L2-L4: Patient in sitzender Position, Beine baumeln frei herunter. Schlag mit dem Reflexhammer auf die Sehne unterhalb der Kniescheibe. Dies führt zur Kontraktion des Musculus quadriceps meist mit Streckbewegung des Unterschenkels Achillessehnenreflex (ASR; auch: Triceps-surae-Reflex), überprüft die Rückenmarkssegmente S1/S2: Schlag auf die Achillessehne, wobei der Patient so kniet, dass seine Füße frei beweglich über eine Kante hinausragen. Dies führt zur Plantarflexion des Fußes (Beugung in Richtung Fußsohle). Der Reflex kann auch am liegenden oder sitzenden Patienten durchgeführt werden. Bizepssehnenreflex (BSR), überprüft die Rückenmarkssegmente C5/C6: Ein Schlag auf den Daumen, welcher auf der Sehne des Musculus biceps brachii bei angewinkeltem Ellenbogen liegt, führt zu einer schwachen Beugung des Unterarms im Ellenbogengelenk. Trizepssehnenreflex (TSR), überprüft die Rückenmarkssegmente C6/C7: Eine Hand zieht den gegenüberliegenden Arm zu sich herüber, während die andere Hand einen Schlag oberhalb des Olekranon (Ellenbogen) beim gebeugten Ellenbogengelenk auf die Sehne des Musculus triceps brachii abgibt. Dies führt zur leichten Streckung im Ellenbogengelenk Masseterreflex überprüft den dritten Ast des Trigeminus Radiusperiostreflex (Radiusreflex), geeignet zur Feststellung einer Radiuslähmung: Schlag auf die distale Lateralseite (unteres Drittel) des Radius bei leicht gebeugten Arm führt zu leichten Flexion des Unterarms. Bauchdeckenreflex: Schlag auf die auf die Bauchmuskulatur gedrückten Finger führt zur Kontraktion auf der gleichen Seite), überprüft die Rückenmarkssegmente Th6/L1 Der Bauchdeckenreflex ist nicht zu verwechseln mit dem Bauchhautreflex. Bei schwer auslösbaren Reflexen kann eine Reflexbahnung angewandt werden. Damit sind Techniken gemeint, die zur Steigerung der Erregungsabläufe in einem Reflexbogen führen sollen, z.B. der Jendrassik-Handgriff: Patient zieht die ineinander verhakten Fingerendglieder beider Hände kurz und kräftig auseinander Die Prüfung erfolgt mit einem Reflexhammer. Abschwächung (Hyporeflexie) oder Aufhebung (Areflexie) von Muskeleigen-reflexen bei: Peripherer Lähmung, Polyneuropathie, Wurzelkompression (Schädigung des 2.Neurons). Verstärkte Reflexe (Hyperreflexie) bei: Schädigung der Pyramidenbahn (Schädigung des 1. Neurons). Eine Hyperreflexie kann sich auch als erschöpflicher oder unerschöpflicher Klonus (rhythmische Muskelkontraktion) ausdrücken. Fremdreflexe (Polysynaptischer Reflex) Fremdreflexe ermöglichen eine blitzschnelle Reaktion verschiedener Muskelgruppen auf einen Reiz hin, z.B. die der quergestreiften Muskulatur beim Stolpern. Sie werden in den Spinalsegmenten des Rückenmarks umgeschaltet. Viszerale Reflexe sind Fremdreflexe, welche auf der Hirnstammebene umgeschaltet werden und vegetative Reaktionen auf einen Reiz ermöglichen. Eigenschaften der Fremdreflexe: Reizaufnahme und Reizantwort erfolgen in unterschiedlichen Organen (Muskel, Haut) Längere Reflexzeit (70 - 150 msek) Auslösung ist von der Reizintensität abhängig © Arpana Tjard Holler (Autor) 308 Neurologie Schnelle Ermüdbarkeit Arbeiten mit mehreren Schaltstellen (polysynaptisch) Wichtige Fremdreflexe: Würgreflex (Gaumenreflex): Reflexauslösung durch Berührung des Gaumensegels, der Gaumenbögen oder des Gaumenzäpfchens. Reflexantwort: Anhebung des Gaumens und Kontraktion der Rachenmuskulatur Pupillenreflex: Veränderung der Pupillenweite infolge von unterschiedlichem Lichteinfall und bei Sympathikus- bzw. Parasympathikusreaktion. Lidschlussreflex: Schluss der Lider durch Reizung der Hornhaut (Hornhautreflex), der Augenbindehaut, infolge eines blendenden Lichteinfalls, bei plötzlich starkem akustischem Reiz oder bei Wahrnehmung von Objekten, die sich in Richtung Kopf bewegen. Hornhautreflex (Kornealreflex): Reflexauslösung: Bestreichen der Hornhaut mit einem Wattebausch. Reflexwirkung: Schließung des Augenlids. Überprüft den Trigeminusast V1 (Nervus ophthalmicus) Bauchhautreflex: Reflexauslösung durch kurzes und rasches Bestreichen der Bauchhaut mit einem spitzen Gegenstand von lateral nach medial in drei Ebenen links und rechts des Nabels bei entspannter Rückenlage (Arme und Kopf entspannt!). Reflexwirkung: Kontraktion der Bauchmuskulatur mit sichtbarer Bewegung der Bauchhaut und des Nabels. Kremasterreflex (Hodenreflex): Reflexauslösung durch leichtes Bestreichen der Haut der Oberschenkelinnenseite. Reflexantwort: Hochziehen des Hodens auf der gleichen Seite. Analreflex: Durch Bestreichen der Dammhaut bzw. der perianalen Haut kommt es zur Kontraktion des äußeren Schließmuskels des Anus. Plantarreflex (Fußsohlenreflex): Auslösung durch Strich mit einem spitzen Gegenstand von der Ferse aus an der äußeren Seite der Fußsohle bis zum kleinen Zeh und unterhalb der Zehen weiter bis zum großen Zeh. Als Reflexantwort gilt eine leichte Krümmung der Zehen mit Fluchtbewegung des Fußes (nicht zu verwechseln mit dem Babinski-Zeichen) Weitere Fremdreflexe: Schluckreflex, Stolperreflex Abschwächung oder Aufhebung von Fremdreflexen bei: spastischen und schlaffen Lähmungen Fehlen oder Abschwächung des Bauchhautreflexes bei: Multiple Sklerose Pyramidenbahnschädigung Narben und lokale Erkrankungen zu schlaffe Bauchdecken (z.B. bei älteren Patienten, die keiner körperlichen Tätigkeit nachgehen), zu straffe Bauchdecken (z.B. Schwangere) Frühkindliche Reflexe: Physiologische Reflexe bei Neugeborenen und Säuglingen, die nach einiger Zeit verschwinden müssen z.B. Babinski-Reflex Suchreflex, Greifreflex, Saugreflex, Moro-Reflex = Klammerreflex) Pyramidenbahnzeichen: Durch Schädigungen der Pyramidenbahn ausgelöste pathologische Reflexe, z.B.: Babinski-Zeichen: Entlang streichen an der Fußaußenseite von Ferse in Richtung Kleinzehe führt zur Dorsalflexion der Großzehe. Patellarklonus. Auslösung: Kniescheibe wird mit Daumen und Zeigefinger von oben fixiert und dann ruckartig nach kaudal (in Richtung der Fußspitzen) gedrückt und dort festgehalten. Antwort: rhythmisches Zucken (Klonus) der Kniescheibe. Neurologie 309 Unter Reflexstatus versteht man die Überprüfung aller Eigen- und Fremdreflexe, der Kleinhirnbahnen, sowie der Hirnnerven. Peripheres Nervensystem Spinalnerven (Rückenmarksnerven) Vom Rückenmark treten 31 Nervenpaare durch die Zwischenwirbellöcher (Foramen intervertebrale) aus und ziehen zur Peripherie. 8 Hals-, 12 Brust-, 5 Lenden-, 5 Kreuzbeinnervenpaare und 1 Steißbeinnervenpaar. Dermatom: Ein bestimmtes Hautsegment, welcher von einem Spinalnerv innerviert wird. Nervengeflechte (Plexus): Vermischung von Nervenfasern aus mehreren Spinalnerven, sodass Nerven entstehen, die Anteile aus mehreren Rückenmarkssegmenten besitzen: Plexus cervicalis (Halsgeflecht: C1-C4), Plexus brachialis (Armgeflecht: C5-Th1), Plexus lumbalis (Lendengeflecht: L1-L4), Plexus sacralis (Kreuzbeingeflecht: L4-S3) Aus dem Plexus brachialis entstehen die drei Armnerven: Nervus ulnaris Nervus medianus Nervus radialis. Head’sche Zonen: Spinalnerven stehen über ihre gemeinsame Wurzel mit vegetativen Nerven in Verbindung. Bei der Erkrankung eines Organs findet man häufig in dem dazugehörigen Dermatom Durchblutungsstörungen und andere Haut- und Bindegewebsveränderungen. Die 12 Hirnnerven Hirnnerv I. = Nervus olfactorius (Riechnerv) Ein rein sensorischer Nerv Hirnnervenprüfung: mit aromatischen Stoffen, Patient hält mit geschlossenen Augen ein Nasenloch zu. Hirnnerv II. = Nervus opticus (Sehnerv) Beginnt an der Netzhaut des Auges und zieht zum Hinterhauptlappen. Ein rein sensorischer Nerv. Hirnnervenprüfung: Visustafel, Fingerperimetrie, Ophthalmoskopie (Augenhintergrunduntersuchung). Hirnnerv III. Nervus oculomotorius (Augenbeweger; 1. Augenmuskelnerv) Motorische Nervenfasern Hirnnervenprüfung: Untersuchung der Folgebewegung der Augen in horizontaler vertikaler Richtung, Auftreten von Doppelbildern? und Nystagmus (unwillkürliches Zittern des Augapfels)? Parasympathische Anteile: Innerviert Ziliarmuskel (Nah- und Ferneinstellung des Auges) und Musculus sphincter pupillae (Pupillenverengung) Hirnnervenprüfung: Inspektion der Pupillengröße (ungleich oder entrundet?), Pupillenreaktion auf Lichteinfall, Prüfen der Konvergenzreaktion. Hirnnerv IV. = Nervus trochlearis (Rollnerv; 2. Augenmuskelnerv) Ein rein motorischer Nerv Hirnnerv V. = Nervus trigeminus (Drillingsnerv) Hirnnerv V1 = Nervus ophthalmicus (Augenhöhlennerv) © Arpana Tjard Holler (Autor) 310 Neurologie Sensibler Nerv: Auge (Bindehaut, Hornhaut, Lederhaut, Aderhaut), Augenhöhle, Nasenrücken, Stirn. Tritt aus einer kleinen Knochenöffnung am oberen Augenhöhlenrand heraus (Foramen supraorbitale) Hirnnervenprüfung: Prüfung des Versorgungsgebietes mit Watte und Nadel, Auslösung des Kornealreflexes. Hirnnerv V2 = Nervus maxillaris (Oberkiefernerv) Sensibler Nerv: Gaumen, Oberkiefer, Oberlippe, Nasenflügel, obere Zähne. Tritt unterhalb des Auges im Oberkiefer heraus (Foram. infraorbitale) Hirnnervenprüfung: Prüfung des Versorgungsgebietes Hirnnerv V3 = Nervus mandibularis (Oberkiefernerv) Sensibler Nerv: Unterkiefer, Unterlippe, Teil der vorderen Zunge, untere Zähne, äußerer Gehörgang. Motorischer Nerv: Innerviert alle Kaumuskeln und Muskulatur des Mundbodens. Tritt an der Außenseite des Unterkiefers unterhalb des 2. Backenzahns aus (Foramen mentale). Hirnnervenprüfung: Prüfung des Versorgungsgebietes, Auslösung des Masseterreflexes. Hirnnerv VI. = Nervus abducens (Augenabführer; 3. Augenmuskelnerv) Ein rein motorischer Nerv. Hirnnerv VII. = Nervus facialis (Gesichtsnerv) Großer Anteil an motorischen Fasern: Mimische Muskulatur. Sensorische Fasern: Geschmacksempfindung. Parasympathische Fasern: Tränendrüse, Speicheldrüsen außer Parotis. Hirnnervenprüfung: Kontrollieren der mimischen Muskulatur (Stirnrunzeln, Augen zu kneifen, Backen aufblasen, Zähne zeigen), Geschmacksprüfung. Eine Tränenproduktion lässt sich mit dem Schirmer-Test kontrollieren: Ein Filterpapierstreifen wird in den unteren Bindehautsack eingeführt. Nach 5 min sind 10-20 mm normal Fazialislähmung tritt häufig auf als Folge eines Schlaganfalls. Hirnnerv VIII. = Nervus vestibulocochlearis (Gleichgewichts- und Hörnerv) Ein rein sensorischer Nerv. Hirnnervenprüfung: Untersuchung auf Hörfähigkeit (Zahlen flüstern, andere Ohrseite zuhalten), Hörprüfung mittels Rinne- und Weber-Versuch, Gleichgewichtsprüfung. Im Bereich des Nervs entsteht häufig ein gutartiger Tumor (Akustikusneurinom). Hirnnerv IX. = Nervus glossopharyngeus (Zungen- und Rachennerv) Motorische Fasern: Gaumen- und Rachenmuskeln (Schluckakt). Sensible Fasern: Schleimhaut Zunge, Gaumen und Rachen und Zunge. Parasympathische Fasern: Ohrspeicheldrüse. Hirnnervenprüfung: Testen des Würgreflexes, Abweichung des Zäpfchens? Hirnnerv X. = Nervus vagus (Eingeweidenerv) Hauptnerv des Parasympathikus, innerviert Kehlkopf, Herz, Lunge, Leber, Niere, Magen, Dünndarm und Dickdarm bis ca. Mitte Colon transversum Motorische Fasern: Muskulatur des Rachens, Kehlkopfes und Speiseröhre Sensible Fasern: Geschmacksempfindung, Schleimhaut Rachen und äußerer Gehörgang Neurologie 311 Hirnnerv XI. = Nervus accessorius (Halsnerv) Rein motorischer Nerv, innerviert den Sternokleidomastoideus (SCM) und den Musculus trapezius. Hirnnervenprüfung: SCM: Kopf gegen Widerstand drehen. Trapezius: Schulter gegen den Widerstand anheben. Hirnnerv XII. = Nervus hypoglossus (Zungennerv) Rein motorischer Nerv: Zungenbewegungen. Hirnnervenprüfung: Zunge herausstrecken lassen (einseitiges Abweichen?) Lernspruch: Onkel Otto operiert tagtäglich, aber freitags vertritt er gerne viele attraktive Hebammen. Onkel Otto onaniert tagtäglich, aber freitags vögelt er gerne viele attraktive Hebammen. Oma oben ohne tanzt tropfnass aber froh vor Großvaters Alberts Haus. Willkürliches Nervensystem (animales NS) Regelt alle Funktionen des Organismus, die dem bewussten Willen unterworfen sind. Die Hauptzentrale ist dabei das Großhirn und das Rückenmark. Damit uns ein Vorgang bewusstwerden kann, muss der Nervenimpuls die Großhirnrinde erreichen. Die Informationen bekommt die Zentrale über sensible Nerven aus der Peripherie. Der Thalamus entscheidet, welche Informationen zur Großhirnrinde gelangen. Die motorischen Befehle nehmen dann ihren Weg über das erste motorische Neuron (Pyramidenbahn) zum Vorderhorn der grauen Substanz im Rückenmark, werden dort auf das zweite Neuron umgeschaltet und gelangen über die Spinalnerven zum jeweiligen Muskel. Unwillkürliches Nervensystem (autonomes, vegetatives NS) Umfasst alle Nervenfasern, deren Aufgaben nicht vom bewussten Willen beeinflusst werden. Es ist verantwortlich für die Aufrechterhaltung des inneren Milieus im Körper und innerviert die glatte Muskulatur der inneren Organe, die Herzmuskulatur, das Nierenmark und die Drüsen. Koordinationszentrum ist der Hypothalamus („Boss“ des Vegetativums). Ihm unterliegen v.a. im Hirnstamm liegende Kerne, die als eigenständige Reflexzentren fungieren (z.B. Atem- und Kreislaufzentrum). Sympathikus Aufgabe ist die Mobilisierung der Energie, die bei Stressreaktionen wie z.B. Flucht oder Kampf nötig ist Das präsynaptische Neuron im Seitenhorn (C8 - L2) verlässt das Rückenmark durch die Vorderwurzel und verbindet sich im Grenzstrang mit dem postsynaptischen Neuron. Vom Grenzstrang ziehen Axone zur glatten Muskulatur aller inneren Organe, zum Herz und zu den Drüsen. Der Grenzstrang zieht als Ganglienkette beiderseits der WS vom unteren Halsbereich bis hinunter zum Kreuzbein. Wirkung: Hemmend auf die glatte Muskulatur der Eingeweide und Ausscheidungsorgane sowie auf die Verdauungsdrüsen und erregend auf alle anderen Organe. Beispiele: Herzfrequenzsteigerung Atemfrequenzsteigerung © Arpana Tjard Holler (Autor) 312 Neurologie Blutdruckanstieg Erschlaffung der Bronchialmuskulatur Pupillenerweiterung (Mydriasis) Auslösung der Ejakulation beim Mann Dämpfung der Magen-Darm-Motalität Verminderung der Sekretion der Verdauungsdrüsen Überträgerstoff: Gemisch aus Adrenalin und Noradrenalin Neurologie 313 Parasympathikus (kraniosakrales System) Aufgabe: Energieliefernde Prozesse in den Erholungsphasen zu gewähren. Der Parasympathikus wird als kraniosakrales System bezeichnet, weil er seinen Ursprung im Hirnstamm und in den Sakralsegementen des Rückenmarks hat. Hirnstamm: Nervus Vagus (Hauptnerv) und kleinere Anteile in drei weiteren Hirnnerven (III. + VII. + IX.) Rückenmark: In den Seitenhörnern S2-S4. Die Wirkung ist entgegengesetzt zum Sympathikus. Beispiele: Herzfrequenzabfall Atemfrequenzabfall Blutdrucksenkung Kontraktion der Bronchialmuskulatur Pupillenverengung (Miosis) Auslösung der Erektion beim Mann Steigerung der Magen-Darm-Motalität, Öffnung des Schließmuskels (After) Steigerung der Sekretion der Verdauungsdrüsen Bewirkt die Miktion (Harnlassen), durch Kontraktion der glatten Muskulatur der Harnblase und Öffnung des Schließmuskels Überträgerstoff: Acetylcholin Intramurales Nervensystem (sog. Bauchhirn) Das sog. Darmwandnervensystem (mehr als 100 Mill. Ganglienzellen!) ist der dritte relativ unabhängige Anteil des vegetativen Nervensystems (noch recht unerforscht). Es steuert im Wesentlichen die Durchblutung, Motorik und Sekretion. Der Auerbach Plexus liegt in der Muskularis und regelt die Peristaltik. Der Meissner Plexus liegt in der Submukosa und regelt die Sekretion. © Arpana Tjard Holler (Autor) 314 Neurologie Pathologie Neurologie Pathologie Abklärung verschiedener pathologischer Grundbegriffe .................................................................... 315 Traumatisch bedingte Gehirnschäden (Schädelhirntrauma = SHT) ............................................. 323 Intrakraniale Hämatome .................................................................................................................. 324 Apoplexie (Hirnschlag) .................................................................................................................... 325 Epilepsie (Anfallsleiden) .................................................................................................................. 326 Degenerative Erkrankungen................................................................................................................. 328 Entzündliche Erkrankungen des ZNS.................................................................................................. 330 Migräne ................................................................................................................................................. 331 Hirntumore ............................................................................................................................................ 333 Huntington (Chorea major) .................................................................................................................. 334 Neurologie Pathologie 315 Abklärung verschiedener pathologischer Grundbegriffe Neuralgien Def.: Schmerzen, die auf das Ausbreitungsgebiet eines Nervs beschränkt sind. Urs.: Idiopathisch (z.B. Trigeminusneuralgie), mechanische Kompressionen (z.B. Ischialgie), Entzündungen (z.B. Herpes Zoster). Trigeminusneuralgie Def: Auftreten heftiger (meist einseitiger) kurzer Schmerzattacken im Bereich des Versorgungsgebietes des Nervus Trigeminus. Urs: Idiopathisch, auslösende Faktoren können sein: Kälte, Niesen, Sprechen, Berührung, Stress (?). Betroffen ist v.a. der zweite Ast. Ältere Menschen erkranken häufiger als junge. Frauen sind doppelt so häufig betroffen. Sekundär durch andere Erkrankungen, z.B. mechanische Schädigung des Nervens, nach Zahnextraktionen oder Wurzelbehandlungen, Sinusitis, Zoster ophthalmicus, Polyneuropathie (z.B. Diabetes mellitus, Alkoholkrankheit, MS). Sym: einseitige, blitzartige einsetzende reißende, brennende stärkste Schmerzen Rötung des Gesichts Tränen und Schweißsekretion evtl. können Parästhesien vorausgehen Anfallartig, zwischen den Anfällen völlige Schmerzfreiheit Druckschmerzhaftigkeit der Nervenaustrittspunkte Patienten mit starker Trigeminusneuralgie sind suizidgefährdet. The: Psychosomatisch arbeiten Bei heftigen Schmerzen starke Schmerzmittel oder Antiepileptika Bei anhaltenden Perioden Zerstörung des Ganglions oder Durchtrennung des Nervs. Neuritis Def: Entzündung eines peripheren Nervs. Urs: Infektiös z.B. bei Bakterienruhr, Typhus, Diphtherie, Tuberkulose, Herpes Zoster, Gürtelrose, Mononukleose Autoimmun bedingt z.B. bei Panarteriitis nodosa Toxisch bedingt z.B. bei Alkohol, Blei, Quecksilber Sym: Schmerzen Parästhesien (Missempfindung, Sensibilitätsstörungen) Schlaffe Lähmungen vegetativ trophische Störungen (Haarausfall, Nagelveränderungen) Entzündungszeichen: Rubor, Kalor, Dolor Polyneuropathie (PNP) Def: Erkrankung des peripheren Nervensystems aus nicht traumatischer Ursache. © Arpana Tjard Holler (Autor) 316 Neurologie Pathologie Urs: Idiopathisch (häufigste Form, ca. 25%) Diabetes mellitus (Mikroangiopathie) Alkoholische Polyneuropathie Im Rahmen einer Niereninsuffizienz (Vergiftung durch harnpflichtige Stoffe) Im Rahmen einer Multiplen Sklerose Infektionskrankheiten (z.B. Lyme-Borreliose, AIDS, Diphtherie, FSME, Masern) Endokrine Erkrankungen (z.B. Hypothyreose, Akromegalie) Kollagenosen (z.B. Lupus erythematodes, Sklerodermie) Andere Toxine, z.B. chronische Bleivergiftung, Medikamente Paraneoplastisches Syndrom (Krankheitszustände im Zusammenhang mit malignen Tumoren) Autoimmunerkrankung (Guillain-Barrè-Syndrom) Perniziöse Anämie (B12 - Mangel), Pellagra (Nicotinsäuremangel) Sym: Distal betonte Parästhesien (Missempfindungen) Sensible Ausfallserscheinungen, häufig symmetrisch Vermindertes Vibrationsempfinden Hypästhesie (herabgesetzte Empfindung von Berührungsreizen) Vermindertes Schmerzempfinden Vermindertes Temperaturempfinden Hyporeflexie, Areflexie (Fehlen von Reflexen) meist symmetrisch trophische Störungen, typisch strumpf- oder handschuhförmig Restless-legs-Syndrom evtl. schlaffe Lähmungen evtl. Muskelatrophie Autonome Neuropathie (Erkrankung von Sympathikus und Parasympathikus): Hyperhidrosis, trocken Haut, kalte Extremitäten, warme Extremitäten, Diarrhö, Obstipation, Tachykardie, Bradykardie, Erektionsstörungen Restless-legs-Syndrom Def: Syndrom der unruhigen Füße. Unfähigkeit die Beine nachts und in Ruhe still zu halten, gepaart mit Missempfindungen meist in den Waden. Urs: Idiopathisch Sekundär, z.B. Polyneuropathie, Anämie, Urämie, Dialyse (Hyperkaliämie), Medikamenteneinnahme (z.B. Antidepressiva), Kalziummangel, Schwangerschaft, Ischialgie, Parkinson-Syndrom Sym: in der Nacht und in Ruhe auftretender Bewegungsdrang Beschwerden werden durch Bewegung aufgehoben. Parästhesien, z.B. Brennen, Kribbeln, Hitze- und Kältegefühl, Schmerzen Schlafstörungen Kalziumspiegel im Blut normal, Reflexe normal Lähmungen Schlaffe Lähmung Def: Maximal herabgesetzter Muskeltonus mit der Unfähigkeit zur Bewegung. Urs: Schädigung des 2. motorischen Neurons, z.B. Trauma (Durchtrennung), Kompression, Polyneuropathie, Poliomyelitis (Schädigung des Vorderhorns). Sym: Areflexie, Bewegungsunfähigkeit Neurologie Pathologie © Arpana Tjard Holler (Autor) 317 318 Neurologie Pathologie Spastische Lähmung Def: Maximal heraufgesetzter Muskeltonus mit der Unfähigkeit zur Bewegung. Urs: Schädigung des 1. motorischen Neurons (Pyramidenbahnschädigung): Querschnittslähmung Apoplex (Hirnschlag) SHT (Schädel-Hirn-Trauma) Entzündungen (z.B. Enzephalitis) Tumore im ZNS multiple Sklerose perniziöse Anämie Sym: Spasmus (kein Rigor) Eigenreflexe erhöht (intakter Reflexbogen) Fremdreflexe abgeschwächt Fazialislähmung Syn: Fazialisparese, Gesichtslähmung. Def: Vollständige bzw. teilweise Lähmung des Nervus facialis (VII. Hirnnerv) mit Ausfall bzw. Beeinträchtigung der mimischen Muskulatur. Unterscheidung: Zentrale Fazialisparese (zentrale faziale Parese, Gesichtslähmung vom zentralen Typ): Schädigung der Nervenzellen in der Großhirnrinde, welche die Kerne des Nervus facialis im Stammhirn steuern. Periphere Fazialisparese (Gesichtslähmung vom peripheren Typ): Schädigung des Nervus Facialis in seinem Verlauf. Ursachen Zentrale Fazialislähmung Apoplexie, SHT, Tumore Multiple Sklerose Enzephalitis Schädigung 1. Motoneuron Ort Lobus frontalis (Stirnlappen) Stirnrunzeln Erhalten Urs: Periphere Fazialislähmung Idiopathisch nach einer Virusinfektion Lyme-Borreliose, Herpes-Zoster Otitis media Polyneuropathie 2. Motoneuron Stammhirn Nicht erhalten Zentrale Fazialisparese: Apoplexie, Blutungen Tumore Multiple Sklerose Periphere Fazialisparese: Idiopathische Fazialisparese (75%, am häufigsten); vermutet wird eine Virusinfektion, kommt häufig bei Kindern vor. Sie heilt oft ohne weitere Therapie folgenlos ab. Trauma (Fraktur des Felsenbeins) Infektionen, z.B. Lyme-Borreliose, Herpes-Zoster-Infektion (Zoster oticus), Mononukleose, Tuberkulose u.a. Otitis media (Mittelohrentzündung) Tumore im Verlauf der Nerven (z.B. Akustikusneurinom) Polyneuropathie Neurologie Pathologie 319 Sym: Zentrale Fazialisparese Auge kann nicht alleine geschlossen werden (kann aber geschlossen werden, wenn der Betroffene beide Augen zumacht Behinderung der mimischen Muskulatur v.a. im Mundbereich Herabhängender Mundwinkel, unvollständig geschlossener Mund Evtl. Geschmacksstörungen Evtl. Störungen der Tränensekretion Evtl. erhöhte Geräuschempfindlichkeit (Hyperakusis) Stirnrunzeln i.d.R. erhalten Periphere Fazialisparese Gleiche Symptomatik nur Stirnrunzeln nicht möglich Lidschluss unvollständig (sog. Bell-Phänomen: die nach oben gerollten Augen sind sichtbar), Herabhängen des Unterlides Nasolabialfalte verstrichen Parese bezeichnet eine unvollständige Lähmung, während Paralyse oder Plegie eine vollständige Lähmung bezeichnet. Medianuslähmung Def: Urs: Durch Kompression verursachte Lähmung im Verlauf des Nervus medianus. Schädigung des Nervs im Bereich des Ober- oder Unterarms (Frakturen, Tumore, Muskel klemmt den Nerv ein). Schädigung des Nervs im Bereich des Karpaltunnels, bekannt als das Karpaltunnelsyndrom. Primär: Wucherung von Granulationsgewebe im Karpaltunnel oder Wassereinlagerung, idiopathisch, Frauen sind doppelt so häufig betroffen, häufig nach der Menopause, während der Schwangerschaft Sekundär: z.B. als Folge von rheumatischer Arthritis, degenerative Veränderungen des Handgelenks, Diabetes mellitus, Gicht, Hypothyreose, Schwangerschaft, Alkoholkrankheit oder Traumen (Frakturen, Luxation des Handgelenks) Sym: Missempfindungen im Bereich des Daumens und der ersten drei Finger v.a. nächtliche Schmerzen der Hand mit Ausstrahlung in den Arm, können durch Schütteln der Hand besser werden; auch Kälte kann helfen Daumenballenatrophie, dem Patienten fallen Gegenstände aus der Hand, kann nicht mit dem Daumen greifen Beugeunfähigkeit der ersten beiden Finger Bei der primären Form in der Hälfte der Fälle symmetrische Beschwerden Test: Patient wird aufgefordert die erhobenen Finger zur Faust zu schließen; infolge der Beugeunfähigkeit der ersten beiden Finger entsteht die Schwurhand. Phalen-Zeichen positiv: Auftreten von Parästhesien an der Beugeseite der ersten drei Finger infolge einer maximalen Dorsalextension (Gebetsstellung) beider Hände. Hoffmann-Tinel-Zeichen: durch Beklopfen des geschädigten Nervs kommt es zu Parästhesien mit dem Gefühl des Elektrisiert-werdens. Weitere Nervenlähmung Peronaeuslähmung: Lähmung des Nervus peronaeus (Nervus fibularis) mit Ausfall der Fußheber. Ursachen: Schädigung des ersten Motoneurons: z.B. Apoplex © Arpana Tjard Holler (Autor) 320 Neurologie Pathologie Schädigung des zweiten Motoneurons: v.a. Druck in Höhe des Wadenbeinköpfchens (z.B. Gipsverband), Fraktur, Diskusprolaps Symptome: Fallfuß, Spitzfuß Steppergang: beim Gehen wird das betroffene Bein so weit hochgehoben, dass der schlaff herabhängende Fuß in der Schwungphase nicht am Boden schleift Fersenstand unmöglich Radialislähmung: Meist durch Druck (häufig als sog. Parkbanklähmung) oder Fraktur verursachte Lähmung des Nervus radialis. Sog. Fallhand durch den Ausfall der Strecker für Hand und Finger. Ulnarislähmung: Meist durch Druck oder Fraktur verursachte Lähmung des Nervus ulnaris. Sog. Krallenhand Merksatz für Medianus-, Ulnaris- und Radialislähmung: „Ich schwöre beim heiligen Medianus, dass ich der Ulna die Augen auskrall, wenn ich vom Rad fall“. Horner Symptomenkomplex (Horner-Syndrom) Def: Typischer Symptomentrias aus: Miosis (Verengung der Pupille) Ptosis (Herabhängen des Oberlids) Enophthalmus (tiefliegender Augapfel) Urs: Schädigung der zum Auge laufenden Sympathikusfasern im Halsbereich. Traumen Tumore, z.B. Pancoast-Tumor, Mammakarzinom (Metastasen), Neuroblastom Struma Sinus-cavernosus-Thrombose (Kavernosusthrombose) Def: Hirnvenenthrombose (Sinusthrombose) des Sinus cavernosus (eine schwammartige Konstruktion aus venösen Blutleitern beidseits des Türkensattels), welcher u.a. sein Blut von den Gesichtsvenen (oberhalb der Lippe) bekommt. Urs: Entzündungen der Gesichtshaut (Akne, Follikulitis, Furunkel, Piercing u.a.) kann zur Thrombophlebitis (Entzündung der oberflächlichen Venen) und somit zur Verschleppung von thrombotischem Material in den Sinus cavernosus führen. Sym: Fieber, starke Kopfschmerzen (Meningismus), Bewusstseinsstörungen evtl. Krampfanfälle Hirnnervenlähmung Exophthalmus (Hervortreten des Augapfels) infolge von Ödemen hinter dem Augapfel Gilt als Notfall, ungünstige Prognose (35% Letalität). Kleinhirnzeichen Def: Die Zeichen und Symptome, die bei Schädigung des Kleinhirns auftreten (ähnlich einer Alkoholvergiftung). Neurologie Pathologie Urs: 321 Traumen, Tumore, Multiple Sklerose, zerebrale Ischämie, Toxine (Alkohol), Vitamin B12-Mangel Sym: Romberg-Versuch positiv: Der Patient steht aufrecht, Füße dicht aneinandergestellt, Arme horizontal noch vorne gestreckt. Beim Schließen der Augen tritt eine Fallneigung auf. Ataxie: Störung der Koordination von Bewegungsabläufen, sog. ataktischer Gang Intentionstremor: Muskelzittern bei zielgerichteten Bewegungen, z.B. beim FingerNase-Versuch Nystagmus (unwillkürliches Augenzittern) RAIN Positiver Knie-Hacken-Versuch: Der Patient versucht im Liegen mit der Ferse des einen Beins das Knie des anderen Beins zu treffen. Überschießende Bewegungen über das Ziel hinaus (Rebound-Phänomen) Feine, gegensätzliche Bewegungen können nicht ausgeführt werden (Dysdiadochokinese) Gleichgewichtsstörungen und Schwindel Meningeales Syndrom (Meningismus) Def: Ausdruck für akute Reizzustände der Hirnhäute Urs: Meningitis Im Rahmen einer Hirndrucksteigerung (intrakraniale Druckerhöhung) Als Begleitzustand bei schwerwiegenden akuten Erkrankungen (z.B. Migräne) Sonnenstich Sym: sehr starke Kopfschmerzen, die durch Schmerzmittelgabe nicht zu lindern sind Brudzinski-Zeichen: reflektorische Beugung der Beine bei Beugung des Kopfes. Kernig-Zeichen: Unmöglichkeit der Streckung der gebeugten Beine. Licht- und Geräuschempfindlichkeit Lasegue-Zeichen (nur beidseitig!) Bei Säuglingen: Opisthotonus (krampfartige Überstreckung von Kopf und Rücken), Nackensteifigkeit (Kopf lässt sich nicht beugen), gewölbte Fontanelle Hirndrucksteigerung (intrakraniale Druckerhöhung) Def: Erhöhung des Drucks innerhalb des Schädels. Urs: Tumore, Schädelhirntrauma (SHT) mit Blutungen, Subarachnoidalblutung, Hirnödem, Hirnvenenthrombose, Abflussstörungen des Liquors, Entzündungen (Enzephalitis), Würmer Sym: Typische Trias: Sehr starke Kopfschmerzen Nüchtern Erbrechen ohne Übelkeit (schwallartiges Erbrechen) Stauungspapille (durch Ophthalmoskopie sichtbare pilzartige Vorwölbung des blinden Flecks) Weitere Zeichen: Mydriasis (erweiterte Pupillen) Nervenaustrittspunkte der Trigeminusäste druckschmerzhaft Schwindel, Erbrechen Hirnnervenstörungen (z.B. Sehstörungen) © Arpana Tjard Holler (Autor) 322 Neurologie Pathologie Meningeales Syndrom Neurologische Ausfallserscheinungen infolge einer Mangeldurchblutung Druckpuls (Bradykardie von ca. 20 Schlägen infolge Reizung des Vagus durch Hirndrucksteigerung = sog. Vaguspuls) Andere vegetative Störungen wie z.B. Blutdruckveränderungen, Erbrechen, Atemstörungen u.a. Bewusstseinsstörungen, psychiatrische Veränderungen (HOPS) Krampfanfälle Bewusstseinsstörungen Def: Dämmerungszustand unterschiedlichen Ausmaßes. Unterscheidung: Qualitative Bewusstseinsstörungen treten v.a. im Rahmen von Psychosen auf (z.B. Bewusstseinseintrübung, Bewusstseinseinengung, Bewusstseinsverschiebung). Quantitative Bewusstseinsstörungen treten im Rahmen organischer Veränderungen auf. Grade der quantitativen Bewusstseinstrübung: Grad I (leichte Bewusststrübung) Orientierungsstörungen, Benommenheit, Verwirrtheit, herabgesetzte Wahrnehmung, Verlangsamung von motorischen und geistigen Aktivitäten, Grad II (stärkere Bewusstseinstrübung) Somnolenz: Patient ist nur durch gröbere Reize (z.B. lautes Rufen) weckbar Grad III (starke Bewusstseinstrübung) Sopor: Schlafähnlicher Zustand, aus dem der Patient nur durch Schmerzreize weckbar ist (Abwehrreaktion) Grad IV (tiefste Bewusstlosigkeit) Koma: Keine Reaktion auch auf stärkste Reize (Wachkoma: Augen sind offen) Drop Attack Def: Bezeichnung für ein plötzliches Hinfallen ohne Bewusstlosigkeit. Urs: Durchblutungsstörungen der Arteria vertebralis oder Arteria basilaris (Vertebrobasiläre Durchblutungsstörungen) Tremor Def: Zittern. Bezeichnung für rhythmische unwillkürliche Zuckungen von antagonistischen (gegensätzlichen) Muskeln. Urs: Physiologischer Tremor bei Kälte, Aufregung, Erschöpfung oder Schmerz, meist ein feinschlägiger Tremor Pathologischer Tremor infolge einer Erkrankung, z.B. Morbus Parkinson, Hyperthyreose, Hypoglykämie, Erkrankungen des Kleinhirns, Delirium tremens, Medikamente, perniziöse Anämie, Drogen oder Vergiftungen. Neurologie Pathologie 323 Einteilungen Tremor Essentieller Tremor: Ein Tremor unbekannter Ursache, welcher im Alter am häufigsten auftritt. Er kann sich als Bewegungs- und als Ruhetremor darstellen. Eine familiäre Häufung ist bekannt. Die Abgrenzung zum Parkinson-Tremor ist bisweilen schwierig. Haltetremor: Ein Aktionstremor meist der oberen Extremität, welcher beim Halten oder Austrecken der Arme auftritt. Er tritt meist als feinschlägiger Tremor auf. Die Ursache ist idiopathisch (essentieller Tremor). Intentionstremor: Ein Aktionstremor, welche bei zielgerichteten Bewegungen kurz vor dem Ziel auftritt. Ursachen sind Erkrankungen des Kleinhirns bzw. dessen Bahnen (zerebellärer Tremor), wie z.B. bei Multiple Sklerose. Ruhetremor: Zittern von Händen, Beinen oder auch Kopf in Ruhe. Verschwindet bei Bewegung und im Schlaf. Tritt meist bei Erkrankungen des extrapyramidalen Systems auf, z.B. bei Morbus Parkinson. Flapping-Tremor (Asterixis): im Rahmen einer hepatischen Enzephalopathie (Ammoniakvergiftung) oder Opiumvergiftung auftretendes „Flattern“ der Hände. Einteilung der Tremoramplitude in feinschlägiger Tremor (z.B. bei Hyperthyreose, Delirium tremens) und grobschlägiger Tremor (z.B. ParkinsonSyndrom): Traumatisch bedingte Gehirnschäden (Schädelhirntrauma = SHT) Aufforderung Augen öffnen Verbale Antwort Motorische Antwort GCS = Glasgow Coma Score Reaktion Spontan Bei Ansprache Bei Schmerzreizen Kein Augenöffnen Koordiniertes Gespräch möglich Unkoordiniertes Gespräch Einzelne Wörter, Wortsalat Unverständliche Äußerung Keine verbale Reaktion Bei Aufforderung adäquate motorische Reaktion Gezielte Bewegung bei Schmerzreiz Ungezielte Bewegung bei Schmerzreiz Beugesynergismen Strecksynergismen Keine motorische Reaktion Punkte 4 Punkte 3 Punkte 2 Punkte 1 Punkt 5 Punkte 4 Punkte 3 Punkte 2 Punkte 1 Punkt 6 Punkte 5 Punkte 4 Punkte 3 Punkte 2 Punkte 1 Punkt Unterscheidung zwischen gedecktem und offenem Schädelhirntrauma. Bei den wesentlich häufigeren gedeckten Hirnschädigungen werden drei Formen unterschieden, die nach der Glasgow Coma Skala beurteilt werden. Dabei werden durch Prüfung des Augenöffnens, der Bewegung und der Sprache Punkte gesammelt (GCS-Score), deren Wert das SHT in verschiedene Schweregrade unterteilt. Leichtes Schädelhirntrauma (SHT 1) Syn: Gehirnerschütterung, Commotio cerebri Def: Traumatisch bedingte, voll reversible, Hirnfunktionsstörung ohne pathologische © Arpana Tjard Holler (Autor) 324 Neurologie Pathologie Veränderungen im Gehirn. Die GCS-Score beträgt 13-15 Punkte. Der Patient muss weiter beobachtet werden. Sym: Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit: Sekunden bis 5 Minuten Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen Kurze anterograde Amnesie (Erinnerungslücke für die erste Zeit nach dem Ereignis) Es kommt zu keinen neurologischen Ausfällen. Mittelschweres Schädelhirntrauma (SHT 2) Syn: Gehirnprellung, Contusio cerebri, Def: Traumatisch bedingte Hirnfunktionsstörung mit pathologischen Veränderungen der Hirnsubstanz. Die GCS-Score beträgt 9-12 Punkte. Der Patient wird auf der Intensivstation beobachtet. Spätfolgen sind sehr selten. Sym: Bewusstlosigkeit 5 Minuten bis 30 Minuten. Je nach Ort der Verletzung entstehen sog. zerebrale Herdsymptome wie z.B. Lähmungen, Sehstörungen, Sprachstörungen. Neurologische Ausfallserscheinungen bilden sich i.d.R. innerhalb von einem Monat zurück Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel können Monate bis Jahre andauern Schweres Schädelhirntrauma (SHT 3) Syn: Gehirnquetschung, Compressio cerebri Def: Bewusstlosigkeit von mehreren Stunden mit meist schweren neurologischen Ausfallserscheinungen (z.B. Hirnstammsyndrome), welche teilweise irreversibel sind. Die GCS-Score beträgt 3-8. In der Regel treten Hirnblutungen und Hirnödeme auf, die zur Einklemmung von Gehirnzentren führen. Sym: Bewusstlosigkeit kann Tage bis Wochen andauern Retrograde Amnesie (Erinnerungslücke besteht für den Zeitraum vor der Bewusstlosigkeit) gestörte Merkfähigkeit rezidivierende epileptische Anfälle psychische Veränderungen (exogene Psychose; wird auch als HOPS bezeichnet) Schädelbasisbruch Def: Schädelfrakturen im Bereich der Schädelbasis. Sym: Brillenhämatom, Monokelhämatom Blutungen aus dem Nasen-Rachen-Raum, aus dem Ohr farbloser Ausfluss (Liquorrhoe) aus dem Nasen-Rachen-Raum oder Ohr Hirnnervenlähmungen (z.B. Augenmuskellähmungen, Taubheit, Fazialis-lähmung) Intrakraniale Hämatome Epidurales Hämatom Einblutung eines arteriellen Gefäßes (Arteria meningea media) zwischen Dura und Schädelknochen nach einem meist leichten SHT. Sog. freies Intervall (Minuten bis Tage) nach anfänglicher Bewusstlosigkeit. Danach Kopfschmerzen und erneute Bewusstseinseintrübung bis Koma Neurologie Pathologie 325 Subdurales Hämatom Einblutung venöser Gefäße zwischen Dura und Arachnoidea nach einem leichten SHT. Freies Intervall (Tage bis Monate), chronischer Verlauf. Subarachnoidalblutung Akute arterielle Blutung in den Arachnoidalraum, meist durch Aneurysmaruptur mit ungünstiger Prognose. Sym: Plötzlich auftretende heftigste Kopfschmerzen (Hinterkopfschmerzen) mit Übelkeit und Erbrechen Nackensteifigkeit Neurologische Ausfallserscheinungen Bewusstseinsverlust innerhalb kurzer Zeit Intrazerebrales Hämatom Def: Einblutung in das Hirngewebe mit ungünstiger Prognose (Letalität 50%). Urs: Zerreißen eines Gefäßes infolge Hypertonie (v.a. bei hypertensiver Krise), Arteriosklerose und Aneurysmaruptur. Infolge einer hämorrhagischen Diathese (z.B. Gerinnungsstörungen, erniedrigter Quick-Wert). Sym: Plötzlicher Beginn mit Bewusstseinsstörungen und starken Kopfschmerzen i.d.R. Bewusstseinsverlust fast immer irreversible neurologische Ausfälle Apoplexie (Hirnschlag) Syn: Sog. Schlaganfall (apoplektischer Insult) Def: Irreversibler Untergang von Neuronen im Gehirn infolge eines Sauerstoffmangels. Am häufigsten ist die Arteria cerebri media betroffen. Urs: Ischämischer Hirninfarkt (unblutiger Insult: 85%, Letalität 20%) Arteriosklerose Thromboembolie, v.a. aus dem linkem Herz, bei Vorhofflimmern, nach Herzinfarkt Intrazerebrale Massenblutung (blutiger Insult: 15%, Letalität 50%) Hypertonie Arteriosklerose Hämorrhagische Diathese, z.B. bei Marcumar®-Therapie, Thrombopenie (z.B. bei EHEC / HUS) Aneurysmaruptur, Tumore Pat: Einteilung der zerebralen Ischämie: T I A = Transitorische (vorübergehende) ischämische Attacke: Neurologische Ausfallserscheinungen, die innerhalb von 24 Stunden verschwinden. Als Warnhinweis gilt Amaurosis fugax (kurzandauernde Erblindung) © Arpana Tjard Holler (Autor) 326 Neurologie Pathologie P R I N D = Prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit: Neurologische Ausfallserscheinungen, die länger andauern als 24 Stunden und innerhalb von 7 Tagen verschwinden. TIA und PRIND sind Vorboten eines Hirnschlages, so wie Angina pectoris beim Herzinfarkt. Hirninfarkt (Apoplex), irreversibler Untergang von Nervenzellen im Gehirn. Sym: Hirnblutung plötzlich einsetzende Symptomatik mit Bewusstseinsverlust schwerwiegende bleibende neurologische Ausfälle Hirninfarkt Die Verschlusslokalisation bestimmt die Symptomatik. Der Gefäßverschluss tritt meist nachts ein. Die Symptomatik kann sich sowohl langsam als auch plötzlich entwickeln. Häufig vorkommende Symptome: Dämmerzustand, Verwirrtheit Sprach- und Schluckstörungen, Schwindel, Erbrechen, Nystagmus etc. Doppelbilder-Sehen evtl. Blickwendung zur Seite des Infarktes Sensomotorische kontralaterale Ausfälle, zuerst mit schlaffen Lähmungen, 12 Tage danach mit spastischen Lähmungen mit Reflexsteigerung Hemiplegie = vollständige Lähmung einer Körperhälfte Hemiparese = unvollständige Lähmung einer Körperhälfte Zentrale Fazialislähmung Pyramidenbahnzeichen (Babinski-Zeichen) und pathologische Reflexe Im weiteren Verlauf typisch: Wernicke-Mann-Prädilektionsparese (Arm gebeugt, Plantarflexion, Bein wird in Streckstellung in einem seitlichen Bogen geführt) Achtung: Hirninfarkte sind nicht immer deutlich! Vier Schritte um einen Schlaganfall zu erkennen (SALZ): Patient soll einen ganz einfachen Satz nachsprechen (er wird es nicht können). Patient soll beide Arme heben (er wird es nicht oder nur teilweise können). Patient soll lächeln (er wird es nicht schaffen). Patient soll die Zunge herausstecken (er wird es nicht oder nur teilweise können). Kom: Aspirationspneumonie infolge von Schluckstörungen The: Frühzeitige therapeutische Interventionen Bei Blutung und Hämatom evtl. OP Frühzeitig Bobath-Methode (krankengymnastische Behandlungsmethode) PNF = propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation Epilepsie (Anfallsleiden) Def: Anfallartige Funktionsstörung des Gehirns durch abnorme elektrische Aktivität mit chronisch rezidivierendem Verlauf (Epileptos = Heiligkeit). „Gewitter im Gehirn“. Urs: Idiopathisch (genetische Disposition) Auslösende Faktoren: Schlafentzug, Lichtblitze, Flackerlicht, Alkohol, Drogen, Gerüche, Stress. Sekundär, alle anatomischen bzw. krankhaften Veränderungen im Gehirn Neurologie Pathologie 327 Infektionen des Gehirns (Enzephalitis): HIV, Toxoplasmose, Cytomegalie Multiple Sklerose Stoffwechselkrankheiten: Hypoglykämie, Hypoxie, Urämie, Leberkrankheiten Vaskulär: zerebrale Ischämie, Apoplexie, hypertensive Krise Toxisch, v.a. Alkoholdelir Hirntumore SHT (Gehirnprellung), Gehirnblutung Gelegenheitskrämpfe (Okkasionskrämpfe); treten nur im Rahmen einer akuten Erkrankung, eines Traumes, bei hohem Fieber (sog. Fieberkrämpfe v.a. bei Kleinkindern) oder anderer schwerer Belastung (z.B. Schlafentzug) auf. Sie bedürfen das erste Mal immer einer ärztlichen Abklärung. Unterscheidung: Grand mal Kurz vor dem Anfall auftretende Missempfindungen (klassische Epilepsie, 10% d.F.), z.B. Kopfschmerzen, Hör- und Sehstörungen (Aura), etc. Bewusstseinsverlust - Hinstürzen – Initialschrei- Atemstillstand Plötzliches Steifwerden der Glieder (tonischer Krampf, 10-30 Sek.) Anschließend heftige Zuckungen (klonischer Krampf, 1-3 Min.) Oft blutiger Schaum vor dem Mund (Zungenbiss, Speichelfluss) Urin- und Stuhlabgang Danach Erwachen mit Benommenheit, evtl. Erbrechen Erschöpfungsschlaf mit nachfolgender Amnesie, nach Erwachen ein „totalErschlagen-sein-Gefühl“ (postepileptisches Koma) Petit mal Absence (Abwesenheit): kurz andauernder (10-30 Sek.) Bewusstseinsverlust, meist mit leichten motorischen Begleitsymptomen (z.B. feine Zuckungen, Veränderung des Muskeltonus). Häufung im Schulalter, Prognose gut. Sturzanfälle: plötzlicher allgemeiner Tonusverlust, Manifestation mit 2 - 5 Jahren Blitz-Nick-Salaam-Anfälle (BNS-Anfälle); bei Säuglingen auftretendes blitzartiges Vorwärtsbeugen des Kopfes und des Oberkörpers mit gleichzeitiger Streckung der Beine. Entsteht i.d.R. durch Sauerstoffmangel bei der Geburt. Partielle (fokale) Anfälle: einzelne Bereiche des Gehirns sind betroffen, z.B. Jackson-Anfall (tonische Verkrampfungen und Muskelzuckungen, die sich an den Extremitäten von distal nach proximal ausbreiten), Bewusstsein vorhanden. Kom: The: Status epilepticus (mehrere Anfälle erfolgen dicht hintereinander), Notfall Psychische Veränderungen (HOPS), Demenz (Großhirnrindenatrophie) Hirnödem Frakturen Akutes Nierenversagen Aspirationspneumonie Mögliche Verletzungsgefahren beseitigen, evtl. beengte Kleidung öffnen einen Beißkeil in den Mund Nach dem Anfall Gabe von Glukose Therapie mit Antiepileptika (70% anfallsfrei) © Arpana Tjard Holler (Autor) 328 Neurologie Pathologie Degenerative Erkrankungen Parkinson-Syndrom (Schüttellähmung) Syn: Morbus Parkinson, Schüttellähmung, Parkinsonismus, Paralysis agitans. Def: Erkrankung des extrapyramidalmotorischen Systems mit Abnahme der Dopaminproduzierenden Neurone (Substantia nigra) im Mittelhirn und daraus folgendem Mangel an der Überträgersubstanz Dopamin. Die entsprechende Symptomatik (hypokinetisches Syndrom) resultiert aus dem Übergewicht des Acetylcholins und setzt ein, wenn der Dopamingehalt auf 15-20% der normalen Konzentration gesunken ist. Die Parkinson-Krankheit ist die häufigste neurologische Erkrankung zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Männer sind häufiger betroffen. Pat: Der Dopamin-Mangel hemmt die aktivierende Wirkung der Basalganglien. Das hat Auswirkungen auf die Feinabstimmung und Ausrichtung von willkürlichen Bewegungen. Die Kraft, die Richtung und die Geschwindigkeit der Bewegungen funktionieren nicht mehr richtig. Basalganglien haben auch mit der Verarbeitung von Gefühlen und Erinnerungen zu tun, so dass es hier auch zu Defiziten kommt. Urs: Idiopathisch (80-90% d.F.). Degeneration der Dopamin-produzierenden Neurone im Mittelhirn unbekannte Ursache. Die Erkrankung ist langsam fortschreitend. Sekundär, infolge von anderen Erkrankungen oder Umständen Hirnarteriosklerose Hirntumore Enzephalitis Toxisch, z.B. durch Methylalkohol, Kohlenmonoxid Medikamentös durch z.B. Neuroleptika, Antiemetika, Ritalin Boxerkrankheit / Traumen Sym: Rigor (erhöhter Muskeltonus, extrapyramidale Störung) Muskelschmerzen (v.a. in der Nacken- und Schulterregion) Zahnradphänomen (ruckartiges Nachlassen des Widerstandes) „Kopfkissenphänomen“ (das weggezogene Kissen beim Liegenden führt nicht zum Absinken des Kopfes) Evtl. offene stehender Mund mit Speichelfluss Akinese (Bewegungslosigkeit) bzw. Bradykinese (verlangsamte Bewegung) leise, monotone und undeutliche Sprache Verlangsamung aller Bewegungen (Bradykinese), Starthemmung Richtungsänderung und plötzliches Anhalten sind erschwert Freezing-Phänomen: kurzzeitiges Einfrieren der Bewegung (v.a. bei Verengung des Raumes oder beim Durchschreiten einer Tür) Fehlen der physiologischen Mitbewegungen (z.B. Arme beim Gehen) mangelnde Mimik (Hypomimie), Maskengensicht gebückte Haltung, Oberkörper nach vorne gelagert kleinschrittiger Trippelgang, schlurfender Gang kleiner werdende Schrift Fallneigung nach allen Richtungen Haltungsinstabilität Kann die Bewegung nicht mehr bremsen (hohe Unfallgefahr!) Neurologie Pathologie 329 Tremor grobschlägiger Ruhetremor, Frequenz 4-6 Schläge/Sek. verschwindet bei Bewegung und Schlaf ist verstärkt bei Aufregung betrifft v.a. die Hände und Fingergelenke (sog. Pillendreh- und Geldzählbewegung), manchmal auch den Kopf und Unterkiefer („RabbitPhänomen“) Beginn immer halbseitig Weitere Symptome Schmerzen im gesamten Körper (Ursache nicht genau geklärt) Psychische Veränderungen: z.B. Pseudohalluzination, Depression, Suizidgefahr, HOPS, Verlangsamung der geistigen Funktionen Vegetative Symptome: z.B. sog. Salbengesicht, Dysphagie (kann auch als erstes Zeichen auftreten), Schlafstörungen, Obstipation, orthostatische Hypotonie, Hyperhidrose (vermehrte lokale Schweißsekretion), Sexualfunktion beeinträchtigt RAT bezeichnet die Abkürzung der Parkinson-Trias: Rigor - Akinese - Tremor Kom: Akinetische Krise (Notfall), z.B. durch Entzug von Parkinsonmitteln oder schweren Erkrankungen: Völlige Bewegungsunfähigkeit Starke Muskelsteifheit Schluckstörungen Entwicklung einer Demenz mit Bradyphrenie (Verlangsamung der psychischen Funktionen) The: Medikamente (L-Dopa-Präparate, Dopaminagonisten) Physiotherapie Demenz (dementielles Syndrom) Def: Diffuse Hirnatrophie mit Verlust der intellektuellen Fähigkeiten (Einschränkung des Gedächtnisses, des Denkens, der Orientierung, der Auffassungsgabe), welche langfristig bei vielen Patienten zur Geschäftsunfähigkeit führt. Zur Diagnose müssen die Störungen länger als 6 Monate bestehen. Zur Beurteilung der geistigen Fähigkeiten wird der MiniMental Status-Test (MMST) durchgeführt. Urs: Primäre Demenzformen (ca. 85%) Morbus Alzheimer (am häufigsten) Morbus Pick (frontotemporale Demenz) Altersdemenz Sekundäre Demenzformen (ca. 15%) Vaskuläre Demenz (durch Arteriosklerose der Zerebralarterien bedingt), Verschlechterung durch Apoplexie Schädel-Hirn-Trauma (SHT), Epilepsie Multiple Sklerose, Parkinson-Syndrom, Chorea Huntington Alkoholkrankheit, Boxerenzephalopathie Infektionen (z.B. humane spongiforme Enzephalopathie, AIDS) Herzinsuffizienz, Hypertonie, Arteriosklerose, Hypothyreose Einnahme von Medikamenten, meist Psychopharmaka © Arpana Tjard Holler (Autor) 330 Neurologie Pathologie Hirntumore Fehlernährung (Nikotinsäuremangel) Sym: Zu Beginn Konzentrationsschwäche und Störung der Merkfähigkeit (typischerweise ist das Neugedächtnis gestört, während das Altgedächtnis noch lange erhalten bleibt) Orientierungsstörungen Schlafstörungen (typisch für Alzheimer-Demenz) Psychische Auffälligkeiten (hirnorganisches Psychosyndrom = HOPS) kann den motorischen Störungen vorausgehen, insbesondere kann es zu Ängsten und emotionaler Instabilität kommen. Apraxie, die Unfähigkeit erlernte, willkürliche und zielgerichtete Bewegungen durchzuführen Im fortgeschrittenen Stadium allmählicher Verlust der intellektuellen Fähigkeiten Im Endstadium pflegebedürftig, kommunikationsunfähig, geschäftsunfähig Keine quantitativen Bewusstseinsstörungen Alzheimer-Krankheit Def: Eine kortikale Demenz mit typischen Eiweißablagerungen, die 1901 das erste Mal von Alois Alzheimer beschrieben wurde. Die Krankheit beginnt schleichend, sie ist chronisch progredient und führt zurzeit unweigerlich zum Tod. Es kommt zu einer Hirnatrophie mit zunehmendem Verlust von Neuronen, zuerst im oberen Bereich des Gehirns und später auch in den unteren Regionen. Dabei schrumpft die Großhirnrinde und die Hirnventrikel vergrößern sich. Pat: Typisch sind Ablagerungen von faserförmigen (pathologischen) Eiweiß-Plaques, welche die Neurone verdrängen und so unaufhaltsam zerstören. Die neuropathologischen Veränderungen gehen von der Kortex aus und befallen allmählich das gesamte Hirn. Die Hirnmasse schrumpft. Es finden sich Amyloid-Ablagerungen an den Nervenzellen und neurofibrilläre Verklumpungen im Inneren der Neurone. Entzündliche Erkrankungen des ZNS Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata) Def: Primär entzündliche Erkrankung des ZNS, die zu einer Entmarkung der Nerven führt (Entmarkungskrankheit). Urs: Idiopathisch; angenommen werden genetische Faktoren, Umwelteinflüsse und eine immunologische Fehlreaktion (wird als Autoimmunkrankheit angesehen). Frauen sind doppelt so häufig betroffen. Pat: Die Myelinscheiden der Nervenfasern werden allmählich aufgelöst und durch Bindegewebe ersetzt. Dadurch kommt es zu einer Verkalkung und Verhärtung (Sklerose). m häufigsten sind folgenden Nerven und Bahnen betroffen: Pyramidenbahn (Gangstörungen) Augenbewegungsnerven (Doppelbilder-Sehen) Kleinhirnbahnen (Kleinhirnzeichen) Typisch sind zwei Krankheitsgipfel: 15-30 Jahre, der Verlauf ist häufig schubweise (80%) mit oder ohne vollständige Remission (Rückbildung). Chronische Verläufe kommen bei Kindern vor. 50-60 Jahr, der Verlauf ist häufig chronisch progredient. Neurologie Pathologie Sym: 331 „Krankheit der tausend Gesichter“ Leitsymptom Lhermitte-Zeichen (Nackenbeugezeichen): Ein Gefühl des „Elektrisiert-werdens“ an Armen, Beinen und am Rücken beim Beugen des Kopfes nach vorn. vorübergehende einseitige Augenmuskellähmungen, Doppelbilder-Sehen Kopfschmerzen, Augenschmerzen, Schwindel Parästhesien und Sensibilitätsstörungen Erschöpfung und Müdigkeit Trigeminusneuralgie Gangunsicherheit („fühlt sich an wie auf einem Schiff“), breitbeiniger (ataktischer) Gang, Gangunsicherheit in der Nacht Zielbewegungen werden unsicher ausgeführt Kleinhirnzeichen, z.B. Intentionstremor, Nystagmus Sprechstörungen (ungenaue Artikulation) Blasenfunktionsstörungen, Harnwegsinfektionen Impotenz Dysphagie (Schluckstörungen) zentrale spastische Paresen (kein Frühsymptom) Pyramidenbahnzeichen (Babinski-Zeichen) evtl. schlaffe Lähmungen (seltener) evtl. Schädigung des Nervus opticus (Optikusneuritis) mit vorrübergehender Blindheit Eigenreflexe gesteigert, Fremdreflexe abgeschwächt, Frühsymptom Bauchhautreflex fehlend Im chronischen Verlauf der Krankheit oft psychische Veränderungen Depressionen mit Suizidgefahr Psychosen auch Euphorie möglich Charcot-Trias galt früher als Leitsymptom Nystagmus (unwillkürliches Augenzittern) Intentionstremor Skandierende Sprache: verwaschene, langsame und abgehackte Sprache Labor Lumbalpunktion ergibt pathologische Liquorwerte (Leukozyten und IgG erhöht MRT mit typischen Entmarkungszeichen Messung der Nervenleitgeschwindigkeit The: Gilt schulmedizinisch als unheilbar Wichtig: krankengymnastische Behandlung Migräne Def: Attacken weise und rezidivierend auftretende, heftigste Kopfschmerzen, welche in der Regel auf eine Kopfseite beschränkt sind. Urs: Unbekannt, familiäre Häufung, Frauen sind häufiger betroffen. Möglicher Auslösefaktoren: Anwendung oraler Kontrazeptiva („Pille“), Menstruation Psychische Faktoren: Angst, Stress mit plötzlicher Entspannung Nahrungsmittel, z.B. Rotwein, Schokolade, Käse, Nüsse Fasten © Arpana Tjard Holler (Autor) 332 Neurologie Pathologie Neurologie Pathologie Pat: 333 Pathophysiologisch findet sich eine aseptische Entzündung der Arterien der Dura mater mit zuerst wenigen Minuten andauernde Vasokonstriktion und dann über Stunden bis Tage andauernde Vasodilatation mit perivasalen Ödemen. Außerdem kommt es zu Veränderungen der neuronalen Aktivität der Großhirnrinde. Unterschieden werden folgende wichtige Formen: Klassische Migräne (Migräne mit Aura) in 10% der Fälle, v.a. Flimmerskotom (periphere Gesichtsfeldausfall mit Flimmern). Einfache Migräne (Migräne ohne Aura) in 90% der Fälle. Basilarismigräne mit Durchblutungsstörungen im Bereich der Arteria basilaris. Sym: Migräne ohne Aura Halbseitig pulsierende, hämmernde Kopfschmerzen über eine Dauer von mehreren Stunden Häufig wechselt die Seite der Kopfschmerzen von einem Migräneanfall zum anderen (kann auch während eines Anfalls geschehen) Geräusch-, Licht- und Geruchsempfindlichkeit Gastrointestinale Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö Psychische Symptome, z.B. Depressivität, Ängstlichkeit Zusätzlich zum Kopfschmerz heftigste vegetative Symptome, z.B. akuter Schwindel, Ataxie, Lähmungen, Augenzittern, Ohrgeräusche, Blässe, Kältegefühl, Bewusstseinsstörungen Migräne mit Aura Zusätzlich neurologische Symptome, die vor der Migräneattacke auftreten, z.B. Sensibilitätsstörungen, Sprach- und Sehstörungen (Flimmerskotom, Gesichtsfeldausfälle), Doppelbilder-Sehen, evtl. vorrübergehende Blindheit Kom: Status migraenosus: Migräneattacken länger als drei Tage. Migranöser Infarkt: Während des Migräneanfalls tritt ein ischämischer Insult auf (Hirnschlag). Hirntumore Einteilung: Primäre Hirntumoren, welche direkt vom Nervengewebe ausgehen und in gutartige (am häufigsten) und bösartige Tumore unterschieden werden. Sekundäre Hirntumoren (Metastasen) Unterscheidung wichtiger Hirntumore nach ihrer Herkunft: Gliome (50% aller Hirntumore) gehen von den Gliazellen aus. Wichtige Gliome sind Astrozytome (eher günstige Prognose), Glioblastome (eher ungünstige Prognose) und Akustikusneurinome (einseitige Schwerhörigkeit, Schwindel, Ohrgeräusche, Hyperakusis; bei OP besteht die Gefahr einer Fazialisparese). Hypophysenadenome sind gutartige Tumore, welche vom endokrinen Gewebe der Hypophyse ausgehen und häufig mit einer unkontrollierten Produktion von bestimmten Hormonen einhergehen (z.B. Prolaktinom). Durch Wachstum auf die Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum) können diese Tumore zu Sehstörungen führen. Medulloblastom ist ein bösartiger Tumor des Kleinhirns mit ungünstiger Prognose, von dem v.a. Kinder betroffen sind. Meningeome (25% aller Hirntumore) sind gutartige, langsam wachsende Tumore der Hirnhäute. Frauen sind häufiger betroffen. An Erstsymptomen fallen meist Kopfschmerzen, psychische Veränderung oder Krampfanfälle auf. © Arpana Tjard Holler (Autor) 334 Neurologie Pathologie Pat: Infolge der Volumenzunahme kommt es zu einer Hirndrucksteigerung (intrakraniale Druckerhöhung) und zu neurologischen Herdsymptomen, welche von der Tumorlokalisation abhängig sind. Häufig gehen Hirntumore mit einem perifokalen Ödem (Begleitödem = Hirnödem) einher. Sym: Die am häufigsten auftretenden Zeichen einer intrakranialen Druckerhöhung: Heftigste Kopfschmerzen, v.a. nachts oder in den frühen Morgenstunden, lassen sich nicht durch Analgetika beeinflussen Stauungspapille (im Ophthalmoskop sichtbare Vorwölbung des blinden Flecks) schwallartiges (morgendliches) Erbrechen ohne vorher bestehende Übelkeit (Tumor drückt direkt auf das Brechzentrum im Stammhirn) epileptische Anfälle Persönlichkeitsveränderungen Huntington (Chorea major) Syn: Morbus Huntington, Huntington´sche Erkrankung, Huntington`s desease (HD) Def: Eine erbliche Erkrankung, welche unaufhörlich das extrapyramidale System (Basalganglien) im Gehirn zerstört und vom Frontalhirn ausgeht. Sie geht mit einer unaufhaltsamen, meist langsamen Degeneration des Corpus Striatums (Teil der Basalganglien) einher, welcher für die Muskelsteuerung, aber auch für mentale Funktionen wichtig ist. Dadurch zeigen sich Störungen des Gefühlslebens, Störungen im Bewegungsablauf (einschließlich der Mimik) und Störungen der kognitiven Fähigkeiten. Die ersten Symptome der Krankheit zeigen sich meist zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr. Urs: Autosomal-dominat erbliche Erkrankung Sym: Psychische Beschwerden gehen den Bewegungsstörungen oft mehrere Jahre voraus Affektstörungen, Antriebsstörungen, depressive Störung im späteren Verlauf: Impulsivität, Enthemmung, evtl. Wahn, Persönlichkeitsveränderungen Bewegungsstörungen (beginnen zuerst an den rumpffernen Extremitäten) Bewegungsunruhe der Arme und Beine Hyperkinesen bei verringertem Muskeltonus: unwillkürliche schnelle und nicht vorhersehbare Extremitätenbewegungen, schießen übers Ziel hinaus, Athetose (wurmartige Bewegungen), Grimassieren, Ballismus (schleudernde Bewegungen), torkelnder Gang, Dysphagie Im weiteren Verlauf zeigen sich Hypokinesen mit Erhöhung des Muskeltonus Verlust der kognitiven Fähigkeiten: Demenz Endokrinologie Anatomie J. 335 Endokrinologie Anatomie und Physiologie Endokrinologie Anatomie Allgemeines ........................................................................................................................................... 336 Hypothalamus ....................................................................................................................................... 336 Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) ........................................................................................................... 337 Schilddrüse (Glandula thyreoidea) ....................................................................................................... 338 Nebenschilddrüse (Glandula parathyroidea) ....................................................................................... 339 Inselapparat der Bauchspeicheldrüse .................................................................................................. 342 Weitere wichtige endokrine Drüsen und deren Hormone ................................................................... 342 © Arpana Tjard Holler (Autor) 336 Endokrinologie Anatomie Allgemeines Um die Stoffwechselvorgänge im Körper zu steuern, stehen zwei Steuerungssysteme zur Verfügung: Nervensystem: Kommunikationsübermittlung durch elektrische Impulse, schnelle Weiterleitung und Reaktion. Hormonelles System: Übermittlung durch Hormone über den Blutweg, langsame Weiterleitung, dafür kontinuierlich, kann sämtliche Körperzellen erreichen. Aufgaben: Informationsübermittlung Regulation von Körperfunktionen wie Wachstum, Wasserhaushalt, Fortpflanzung. Anpassung an ständig wechselnde Leistungsanforderungen. Beeinflussung der physischen und psychischen Entwicklung. Übersicht der Hormone produzierenden Drüsen: Hypothalamus Hypophyse Schilddrüse Nebenschilddrüse Nebennieren Inselapparat der Pankreas Gonaden (Geschlechtsdrüsen): Eierstöcke und Hoden Hypothalamus Der Hypothalamus als unterster Teil des Zwischenhirns ist im hormonellen Regelkreis das übergeordnete Steuerorgan. Es misst die Konzentration bestimmter Hormone im Blut (beim ADH die Osmolarität), vergleicht das mit dem Soll und reagiert dementsprechend mit der Ausschüttung von Releasing- oder Inhibiting-Hormonen (Hypothalamus-HypophysenRegelkreis). Abbildung am Beispiel von Schilddrüsenhormonen. Hypothalamus TSH-RH T3 und T4 TSH-IH Hypophysen- Schilddrüse vorderlappen TSH Endokrinologie Anatomie 337 Endokrine Produktion Releasing-Hormone stimulieren die Hormonausschüttung im HVL TRH (Thyreotropin-Releasinghormon): stimuliert die Ausschüttung von TSH im Hypophysenvorderlappen CRH (Corticotropin-Releasing-Hormone): stimulieren die Ausschüttung von ACTH im Hypophysenvorderlappen GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon): stimuliert die Ausschüttung von FSH und LH im Hypophysenvorderlappen Inhibiting-Hormone hemmen die Sekretion der Hormone im HVL Somatostatin (GHIH = Growth Hormone-Inhibiting-Hormone): hemmt die Ausschüttung von STH im Hypophysenvorderlappen Effektorische Hormone (wirken direkt auf die Zielzellen: Oxytocin wirkt auf die glatte Muskulatur der Gebärmutter und der Brustdrüsen Antidiuretisches Hormon (ADH) wirkt auf die distalen Tubuli und die Sammelrohre in der Niere und führt zu einer vermehrten Rückresorption von Wasser aus dem Primärharn in die peritubulären Kapillaren. Releasing- und Inhibiting-Hormone werden in den Kernen spezialisierter Nervenzellen produziert und über Axone an Blutgefäße abgegeben, die direkt zum HVL führen. Oxytocin und ADH werden von spezialisierten Nervenzellen im Hypothalamus produziert, aber über Axone direkt an den HHL weitergeleitet und dort gespeichert. Die Ausschüttung ins Blut erfolgt über nervale Reize. Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) Die Hypophyse liegt im Türkensattel, einer knöchernen Grube des Keilbeinknochens, im Zentrum der Schädelbasis. Sie ist etwa Kirschkern groß und wiegt ca. ½ Gramm. Hypophysenhinterlappen (HHL, Neurohypophyse) Hier enden die Axone der Oxytocin- und ADH-produzierenden Zellen des Hypothalamus. ADH und Oxytocin werden in den Axonen gespeichert und bei Bedarf ins Blut abgegeben. Oxytocin löst die Wehen während der Geburt aus, indem es zur Kontraktion der glatten Muskulatur der Gebärmutter führt und regt den Milchfluss an. Weitere Wirkung: sog. Kuschelhormon, fördert emotionale Bindung, hemmt Angstgefühle. ADH wirkt an den Sammelrohren der Niere und führt zur vermehrten Wasserrückresorption. Hypophysenvorderlappen (HVL, Adenohypophyse) Glandotrope Hormone TSH (Thyreoidea stimulierendes Hormon) stimuliert die Produktion und Freisetzung von Schilddrüsenhormonen und das Follikelwachstum in der Schilddrüse. ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) führt zur Produktion und Freisetzung von Hormonen in der Nebennierenrinde, im Wesentlichen die Glukokortikoide (Kortisol, Kortison). Gonadotrope Hormone © Arpana Tjard Holler (Autor) 338 Endokrinologie Anatomie FSH (Follikel stimulierendes Hormon) bewirkt in den Eierstöcken v.a. die Follikelreifung und in den Hoden v.a. die Spermatogenese. LH (Luteinisierendes Hormon) bewirkt v.a. den Eisprung und in den Hoden eine Stimulierung der Androgenproduktion (Leydig-Zwischenzellen). Effektorische Hormone STH (Somatotropes Hormon = Wachstumshormon) bewirkt das körperliche Wachstum. MSH (Melanozyten stimulierendes Hormon) führt zur Produktion von Melanin und so zur verstärkten Pigmentierung der Haut. Prolaktin wirkt auf das Brustdrüsenwachstum und die Milchproduktion. Schilddrüse (Glandula thyreoidea) Lage: Vorne am Hals vor der Luftröhre auf Höhe des Ringknorpels, umgibt mit dem linken und rechten Lappen beiderseits den Schildknorpel des Kehlkopfes. Gewicht ca. 30 - 40 g Aufbau: Sie besteht aus zwei ovalen Lappen, die um die Luftröhre herumliegen und einem verbindenden Mittelteil (Isthmus). Mit einer Organkapsel umgeben wird sie durch bindegewebige Septen in einzelne Läppchen unterteilt. Jedes Läppchen besteht aus vielen kleinsten Follikeln. Das Follikelepithel bildet die Schilddrüsenhormone und gibt sie in den Follikelhohlraum ab. Dort werden sie gespeichert und unter TSH an das Blut abgegeben. Endokrine Produktion: T3 Trijodthyronin (besitzt 3 Jodatome) T4 Thyroxin (besitzt 4 Jodatome) Calcitonin wird in den C-Zellen der Schilddrüsen gebildet Um Schilddrüsenhormone herzustellen benötigt der Körper Jod (täglicher Jodbedarf: 150200 µg/Tag). Deshalb werden 98% hiervon in der Schilddrüse gespeichert. Unter Schilddrüsenhormone versteht man T3 und T4. Sie werden auch als „Peitsche des Organismus“ bezeichnet. Aufgaben von T3 und T4 Steigerung des Stoffwechsels und des Grundumsatzes durch Einschleusung von mehr Sauerstoffmolekülen in die Zellen und dadurch Produktion von mehr ATP. Folgen: Steigerung der Verbrennungsvorgänge von Kohlenhydraten, Eiweißen und Fetten und dadurch Verbrauch von Glykogen- und Fettdepots Erhöhte Wärmeproduktion Beschleunigung der Herztätigkeit, Erhöhung der Herzmuskelkraft (nur der systolische Blutdruck steigt) Erhöhte Erregbarkeit von Nerven und Muskeln Wachstumsfördernde Wirkung (körperliche und geistige Reifung), Förderung des Längenwachstums bei Kindern Erhöhung des Blutzuckers Aufgaben von Calcitonin: Calcitonin ist der Gegenspieler des Parathormons und führt zu einer Senkung des Kalziumspiegels im Blut: Hemmung des Knochenabbaus durch Hemmung der Osteoklasten Förderung des Kalziumeinbaus in den Knochen Verstärkte Kalziumionen-Ausscheidung in der Niere Hemmung der Kalziumaufnahme aus dem Darm Reiz für die Ausschüttung von Calcitonin ist ein Anstieg des Kalziumspiegels. Endokrinologie Anatomie 339 Nebenschilddrüse (Glandula parathyroidea) Lage und Aufbau: Die Nebenschilddrüsen sind vier kleine Körper (Epithelkörperchen) und liegen an der Rückseite der Schilddrüse. Endokrine Produktion: In den Epithelkörperch: wird das Hormon Parathormon gebildet. Aufgaben von Parathormon: Parathormon ist der Gegenspieler von Calcitonin und führt zu einer Erhöhung des Blutkalziumspiegels: Förderung des Knochenabbaus durch Aktivierung der Osteoklasten. Verstärkte Rückresorption von Ca-Ionen aus dem Primärharn in das Blut. Vermehrte Calcium-Aufnahme aus dem Darm durch Aktivierung von Vitamin D in der Niere (ca.800 mg/Tag werden benötigt) Reiz für die Ausschüttung von Parathormon ist ein Abfall des Kalziumspiegels. Parathormon und Calcitonin regulieren den Kalziumspiegel im Blut. Nebenniere (Glandula suprarenalis) Anatomie der Nebenniere Lage: Die Nebennieren sitzen den oberen Polen der Nieren kappenartig auf und liegen im Retroperitonealraum. Gewicht ca. 5 - 7 g Aufbau: Es wird zwischen Nebennierenrinde (NNR) und Nebennierenmark (NNM) unterschieden. Nebennierenrinde Sie lässt sich von außen nach innen in drei Schichten unterteilen: Äußerste Zone (Zona glomerulosa), endokrine Produktion: Mineralokortikoide. Hauptvertreter ist das Aldosteron. Wirkung: Regulierung des Wasser- und Elektrolythaushaltes durch Aktivierung einer Ionenpumpe in der Niere: Na-Ionen werden aus dem Primärharn vermehrt rückresorbiert und K-Ionen vermehrt ausgeschieden. Na-Ionen lagern sich aufgrund der elektrostatischen Anziehung an Cl-Ionen (NaCl). Diese ziehen in einer wässrigen Lösung 8 Wassermoleküle an sich („Wassermantel“). H2O H2O H2O H2O H2O Na+Cl- H2O H2O H2O (Primär)Harn Blut 3 Na+ 2 K+ 1 H+ © Arpana Tjard Holler (Autor) 340 Endokrinologie Anatomie Endokrinologie Anatomie 341 Ein Aldosteron-Molekül wirkt wie folgt: Ins Blut: 3 Na+ rein In den Harn: 2 K+ und 1 H+ raus Aktivierung: Durch den Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus (RAASystem). Er reagiert bei Hyponatriämie und Hypovolämie. Mittlere Zone (Zona fasciculata), Endokrine Produktion: Glukokortikoide. Hauptvertreter ist das Kortisol und Kortison. Wirkung: Führen zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels durch Umwandlung von Glykogen zu Glukose und durch Glukoneogenese: Glukosebildung aus Fetten (Lipolyse) und Eiweißen (Eiweißabbau in der Muskulatur und Knochen). Haben einen anti-entzündlichen, anti-allergischen und immunsuppressiven Effekt (Verminderung von eosinophilen und basophilen Granulozyten, Monozyten, Lymphozyten). Vasokonstriktive Auswirkung (RR) Aldosteron-ähnliche Wirkung (Einfluss auf den Wasserhaushalt) Führen auf Dauer zur verminderten Knochendichte (Glukoneogenese) Fördern die Blutbildung (Erythrozyten, Thrombozyten und neutrophile Granulozyten) Werden als Stresshormone bezeichnet, da bei Stressfaktoren der ACTH-Spiegel ansteigt. Aktivierung: Sinkt der Kortisonspiegel ab, so werden im Hypothalamus Releasing-Hormone abgegeben, welches zur Sekretion von ACTH in der Hypophyse führt. Innerste Zone (Zona reticularis), endokrine Produktion: Hauptsächlich männliche Geschlechtshormone (Androgene) und in geringen Mengen weibliche Geschlechtshormone (Östrogene). Aktivierung: Durch das Hypothalamus-Hypophysen-System. Nebennierenmark Das Gewebe des Nebennierenmarks hat eine Sonderstellung. Es ist von ähnlicher Herkunft wie die Zellen des Sympathikus und wird von sympathischen Nervenfasern versorgt. Es wird als chromafines Gewebe bezeichnet. Endokrine Produktion: Die Hormone des Nebennierenmarks sind Adrenalin (Epinephrin) und Noradrenalin. Sie sind die des sympathischen Nervensystems und haben somit Sympathikuswirkung (Bereitstellung von Energiereserven). Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin Steigerung der Herzfrequenz und der Kontraktionskraft und somit Anstieg des Herzzeitvolumens (Adrenalin). Gefäßverengende Wirkung und dadurch blutdrucksteigernd (Noradrenalin) Erweiterung der Skelettmuskelarterien und der Koronargefäße (Adrenalin). Erweiterung der Bronchien. Hemmung der Magen-Darm-Peristaltik. Pupillenerweiterung (Mydriasis) Erhöhung des Glukosespiegels durch Glykogenabbau in Leber und Muskulatur © Arpana Tjard Holler (Autor) 342 Endokrinologie Anatomie Aktivierung: Hormonausschüttung des Nebennierenmarks erfolgt durch nervale Steuerung. Inselapparat der Bauchspeicheldrüse Im endokrinen Gewebe der Bauchspeicheldrüse befinden sich etwa 1 Mio. Hormonproduzierende Drüsenzellen (Langerhans-Inseln; 2 - 3% des Pankreasvolumens). Sie liegen verstreut hauptsächlich im Körper- und Schwanzbereich der Bauchspeicheldrüse. Endokrine Produktion A-Zellen produzieren Glukagon. Es erhöht den Blutzuckerspiegel, indem es in der Leber die Umwandlung von Glykogen zu Glukose bewirkt und die Glukoneogenese fördert. B-Zellen produzieren Insulin. Senkt den Blutzuckerspiegel, indem es den Aufbau von Glukose zu Glykogen aktiviert und den Transport von Glukose in die Zellen fördert. Fördert den Transport von Aminosäuren und Kalium in Muskelund Fettzellen. Bremst die Glukoneogenese, indem es die Eiweiß- und Fettbildung steigert. Fördert anabole Prozesse im Körper, z.B. Lipogenese. Körpereigens Insulin wird im Plasma innerhalb weniger Minuten abgebaut. D-Zellen produzieren Somatostatin. Bremst die hypophysäre Ausschüttung von STH (Wachstumshormon). Bremst die gastrointestinalen Funktionen. Insulin Glukose Glykogen Glukagon Glykogen Glukose Weitere wichtige endokrine Drüsen und deren Hormone Niere: Erythropoetin führt zur Steigerung der Erythropoese. Magen: Gastrin in den G-Zellen des Antrums führt zu einer vermehrten Bildung der Salzsäure und steigert die Magenbeweglichkeit, mit zunehmender Konzentration auch die Sekretion von Pankreassaft. Dünndarm Sekretin hemmt die Magenbeweglichkeit, fördert die Bikarbonatbildung in die Pankreas und steigert die Gallenbildung in der Leber. CCK (Cholecystokinin) bewirkt eine Kontraktion der Gallenblase und fördert die Produktion von Enzymen im Pankreas. Endokrinologie Anatomie 343 Enterogastron (GIP = gastric inhibitory polypeptide) hemmt als Antagonist des Gastrins die Magensaft- bzw. Salzsäurebildung. Herz ANP (atriales natriuretisches Peptid, Gegenspieler von Aldosteron) wird in den Herzohren produziert (deutlich sichtbare Ausbuchtungen der beiden Vorhöfe) Fettgewebe Leptin wird v.a. in Adipozten (Fettzellen) produziert und wirkt hemmend auf das Hungerzentrum im Hypothalamus. © Arpana Tjard Holler (Autor) 344 Endokrinologie Pathologie Endokrinologie Pathologie Pathologie des Hypophysenvorderlappen ............................................................................................. 345 Pathologie des Hypophysenhinterlappens ............................................................................................ 347 Pathologie der Schilddrüse ................................................................................................................... 347 Pathologie der Nebenschilddrüse ......................................................................................................... 352 Pathologie der Nebenniere.................................................................................................................... 354 Pathologie des Inselapparates .......................................................................................................... 357 Endokrinologie Pathologie 345 Pathologie des Hypophysenvorderlappen Hypophysenvorderlappen-Überfunktion Gigantismus (Hypophysärer Riesenwuchs) Def: Vermehrte Bildung von STH vor oder während der Pubertät. Urs: Idiopathisch Hypophysenvorderlappenadenom Pat: Krankheitsbeginn vor dem Schluss der Epiphysenfugen. Sym: Wohlproportionierter Riesenwuchs (mehr als 2 m) Akromegalie Def: Vermehrte Bildung von STH im Erwachsenenalter. Urs: Idiopathisch Hypophysenvorderlappenadenom Pat: Da die Epiphysenfugen schon verknöchert sind, kommt es nicht zum Längenwachstum, sondern zu einem Wachstum der Akren (die distalen Körperteile). Der Verlauf ist schleichend. Sym: Vergröberung der Gesichtszüge Zunge vergrößert, Lippen wulstig Nase vergrößert Unterkiefer schiebt sich vor Auseinanderweichen der Zähne Faltige Gesichtshaut Vergrößerung von Händen und Füßen (Schuhgröße!) Zunahme des Kopfumfangs (Hutgröße!) Kopfschmerzen Kloßige Sprache durch Vergrößerung des Kehlkopfs Vergrößerung der inneren Organe (Viszeromegalie) Häufig Kopf- und Gliederschmerzen Bei Verdacht: Vergleich mit einer früheren Photographie. Kom: Arthrosen (80%) Euthyreote Struma (80%) Diabetes mellitus (25%) Hypertonie (20%) Karpaltunnelsyndrom Prolaktinom Def: Adenom des HVL mit Überproduktion an Prolaktin. Das Prolaktinom ist eines der häufigsten Hypophysenadenome (50%). Frauen sind fünfmal häufiger betroffen. Sym: Bei Frauen Störungen und Ausbleiben der Regelblutungen, Libidoverlust Milchfluss außerhalb der Stillzeit. © Arpana Tjard Holler (Autor) 346 Endokrinologie Pathologie Bei Männern Libido- und Potenzverlust. Gesichtsfeldausfälle und Halbseitenblindheit (Druck auf den Sehnerv im Bereich der Sehnervenkreuzung) Hypophysenvorderlappeninsuffizienz Def: Entweder totaler oder teilweiser Ausfall der Funktion des HVL. Urs: Hypophysentumore oder Metastasen Verletzungen, Entzündungen, Bestrahlungsfolgen Hypophysennekrosen durch Ischämie oder Embolien Nach einer Geburt bei Müttern auftretende HVL-Insuffizienz durch Ischämie infolge Kreislaufversagens während der Geburt (Sheehan-Syndrom) Sym: Symptomatik erst wenn 80% des HVL untergegangen sind. „4-mal A“ als Leitsymptome: Durch Ausfall der Gonadotropen Hormone Achsel- und Augenbrauenschwund sekundärer Hypogonadismus sekundäre Amenorrhoe Libido- und Potenzverlust Durch Ausfall von TSH Apathie (Teilnahmslosigkeit) sekundäre Hypothyreose Durch Ausfall von ACTH Adynamie (körperliche Schwäche) sekundäre Nebennierenrindeninsuffizienz (sog. weißer Addison) Durch Ausfall von MSH Alablasterblässe wächserne Blässe durch Depigmentation Hypophysärer Zwergwuchs Def: Durch Ausfall vom Wachstumshormon STH bedingte Kleinwüchsigkeit (unter bei Frauen, unter 1,50m bei Männern). Sym: Proportionierter Körperbau Vergrößerter Kopf (puppenhaft) Auffallend kleine Hände und Füße (Akromikrie) Intelligenz normal Akuter Ausfall des HVL (Hypophysäres Koma) Def: Lebensbedrohlicher Zustand durch plötzlichen Ausfall von TSH und ACTH. Urs: Auslösende Faktoren: Infekte, Traumen, OP, Stress. Sym: Hypotonie, Bradykardie Hypothermie, Hypoglykämie Hypoventilation 1,40m Endokrinologie Pathologie 347 Pathologie des Hypophysenhinterlappens Hypophysenhinterlappeninsuffizienz Diabetes insipidus Syn: Wasserharnruhr Def: Erkrankung mit Polyurie und Polydipsie, die aus einer verminderten ADH-Wirkung resultiert. Führt zur verminderten Wasser-Rückresorption aus dem Primärharn in das Blut. Urs: Zentraler Diabetes insipidus (Ursache liegt in Hypothalamus oder HHL) Tumore oder Entzündungen der Hypophyse Idiopathisch (30%) Nach Traumen oder OP`s Renaler Diabetes insipidus (seltener als die zentrale Form) Schädigung der Rezeptoren des distalen Tubulus und der Sammelrohre der Niere bei normaler ADH-Konzentration im Blut. Sym: Polyurie (vermehrte Urinausscheidung), zwischen 4 und 30 Litern / Tag Polydipsie (sehr starker Durst) Wasserheller Harn mit erniedrigtem spezifischem Gewicht Hypophysenhinterlappen-Überfunktion Schwartz-Bartter-Syndrom (sehr selten) Def: Durch erhöhte ADH-Ausschüttung vermehrte Wasser-Rückresorption aus dem Primärharn in das Blut (seltene Erkrankung). Urs: Meist paraneoplastisches Syndrom, Tumore setzen ADH-ähnliche Substanzen frei (besonders Bronchialkarzinome). Sym: sog. Wasservergiftung Hyponatriämie durch Verdünnung mit neurologischer Symptomatik Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen Bewusstseinsstörungen Akute Herzinsuffizienz möglich Anurie, Oligurie mit stark konzentriertem Urin Pathologie der Schilddrüse Schilddrüsenszintigraphie Def: Untersuchung der Schilddrüse mittels einer Aufzeichnung der Speicherung radioaktiver Isotope in der Schilddrüse. Damit kann die Stoffwechselaktivität des Schilddrüsengewebes beurteilt werden. Bei Veränderungen spricht man von Schilddrüsenknoten. Kalter Knoten Bezeichnung für ein bestimmtes Areal im Schilddrüsengewebe, welches im Szintigramm erscheint und auf eine verminderte Stoffwechselaktivität hinweist: © Arpana Tjard Holler (Autor) 348 Endokrinologie Pathologie z.B. bei Entzündungsprozessen, Nekrose, Fibrose, Zysten, Verkalkungen, bösartigen sowie gutartigen Tumoren. Heißer Knoten Bezeichnung für ein bestimmtes Areal im Schilddrüsengewebe, welches im Szintigramm rot erscheint und auf eine vermehrte Stoffwechselaktivität (T 3/T4 ) hinweist: v.a. bei Schilddrüsenautonomie, sehr selten bei Schilddrüsenkarzinom Struma (Kropf) Def: Jegliche Vergrößerung der Schilddrüse. Kann mit einer normalen Hormonproduktion (euthyreot), einer Überproduktion (hyperthyreot) oder einer verminderten Produktion (hypothyreot) einhergehen. Urs: Jodmangel Hyperthyreose Hypothyreose Schilddrüsenkarzinom Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto) Schilddrüsenzysten Medikamente Euthyreote Struma (Kropf) Def: Eine nicht entzündliche, gutartige Vergrößerung der Schilddrüse mit normaler Hormonproduktion (euthyreot). Häufigste Schilddrüsenerkrankung: 90% der Schilddrüsenerkrankungen sind euthyreote Strumen. Urs: Endemisch, gehäuft nur in einem bestimmten Gebiet auftretend. Ein genetisch zellulärer Defekt der Follikelepithelzellen manifestiert sich in Jodmangelgebieten zu einem Jodmangelkropf (ca. 20% in der BRD). Erhöhter Bedarf, z.B. bei Schwangerschaft, Stillzeit und im Wachstum. Pat: Jodmangel im Schilddrüsengewebe führt zur erhöhten Ausschüttung von bestimmten Wachstumsfaktoren, welche zur die Schilddrüse zur Hyperplasie anregt, ohne dabei eine Überproduktion von Schilddrüsenhormonen zu provozieren. Frauen sind 4-mal häufiger betroffen als Männer. Einteilung der Strumastadien: IA: Tastbarer, aber nicht sichtbarer Knoten. IB: Tastbarer und nur bei überstrecktem Hals sichtbarer Knoten. II: Struma immer sichtbar. III: Sehr große Struma mit lokalen Stauungs- und Kompressionszeichen. Sym: Tastbare oder sichtbare, schluckbewegliche Masse am Hals, etwas unterhalb des Ringknorpels Diagnostik durch Bestimmung des TSH-Wertes im Blutserum und durch Sonographie der Schilddrüse Jede Struma muss grundsätzlich differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Kom: Verdrängung von Luftröhre, Speiseröhre, Gefäße und Nerven. Mögliche Folgen: z.B. Stridor, Dyspnoe, Dysphagie, venöse Einflussstauung, Horner-Trias, Rekurrensparese (Kehlkopflähmung mit Heiserkeit) Endokrinologie Pathologie 349 Entwicklung einer Schilddrüsenautonomie (nicht dem Regelkreis unterworfener Bezirk von Drüsenzellen). Hieraus kann sich eine Schilddrüsenüberfunktion entwickeln. The: Meist konservativ mit Jodid-Substitution bzw. Kombinationstherapie mit Jodid und LThyroxin (T4) Hyperthyreote Struma Def: Bezeichnung für eine Schilddrüsenvergrößerung, die mit einer vermehrten Produktion (hyperthyreot) von Schilddrüsenhormonen einhergeht. Kann im Rahmen einer Hyperthyreose auftreten. Hypothyreote Struma Def: Bezeichnung für eine Schilddrüsenvergrößerung, die mit einer verminderten Produktion (hypothyreot) von Schilddrüsenhormonen einhergeht. Kann im Rahmen einer Hypothyreose auftreten. Hyperthyreose Def: Schilddrüsenüberfunktion Schilddrüsenhormonen. mit gesteigerter Produktion und Sekretion von Urs: Immunogene Hyperthyreose (Morbus Basedow) Antikörper wirken an der Schilddrüse (Autoimmun-hyperthyreose). Gleichzeitig kann es typischerweise am Auge durch Wucherungen zur sog. endokrinen Ophthalmopathie kommen. Frauen sind häufiger betroffen. Unterscheidung der Schilddrüsenantikörper: MAK (Mikrosomale Antikörper) greifen Strukturen innerhalb der Schilddrüsenzelle an. TAK (Thyreoglobulin-Antikörper) greifen das spezifische Schilddrüseneiweiß an. TRAK (TSH-Rezeptor-Antikörper) wirken an der Schilddrüse wie das Hormon TSH und führen so zur verstärkten Ausschüttung von T3/T4. Nicht-immunogene Hyperthyreose, durch z.B.: Schilddrüsenautonomie (autonomes Schilddrüsenadenom) Thyreoiditis (meist subakut und vorübergehend verlaufend) Schilddrüsenkarzinom (selten) Zentrale Hyperthyreose, Störung in der Hypophyse oder Hypothalamus Altershyperthyreose (> 60 Jahre) mit auffallend kleiner Symptomatik Sym: Bei allen hyperthyreotischen Formen: Hyperthyreote Struma (Kropfbildung mit Überfunktion ca. 80%) Evtl. Halsschmerzen Gewichtsverlust trotz Heißhunger Kreislaufsymptome Tachykardie Hypertonie große Blutdruckamplitude evtl. Herzrhythmusstörungen Gesteigerte nervale Erregbarkeit © Arpana Tjard Holler (Autor) 350 Endokrinologie Pathologie feinschlägiger Fingertremor erhöhte Reflexbereitschaft (z.B. häufiger Lidschlag) Unruhe und Nervosität, Angstzustände Schlaflosigkeit Wärmeintoleranz, Schweißausbrüche, feuchte und warme Haut Diarrhö (Obstipation schließt Hyperthyreose nicht aus!) evtl. auskultatorisches Schwirren über der Schilddrüse hörbar Weiches, dünnes Haar, Haarausfall Muskelschwäche (sog. thyreotoxische Myopathie) durch massiven Abbau von Muskeleiweißen Glanzauge (feucht glänzendes Auge mit erweiterter Lidspalte) bei chronischen Formen evtl. Osteoporose und leichte Hyperkalzämie evtl. Brustdrüsenwachstum bei Frauen und bei Männern (Gynäkomastie) Beim Morbus Basedow: Merseburger Trias (galt früher als Leitsymptom) Struma Exophthalmus (hervortreten beider Augäpfel, sog. Glotzaugen) Tachykardie schon in Ruhe Bei der Altershyperthyreose (bei über 60jährigen). Macht nur wenige Symptome und wird deshalb oft nicht erkannt. Herzrhythmusstörungen Herzinsuffizienz Depression, Müdigkeit, Antriebsarmut Gewichtsverlust, Kräfteverfall Kom: Thyreotoxische Krise bzw. Koma beim Morbus Basedow (Koma Basedowicum) oder durch Gabe von jodhaltigem Röntgenkontrastmittel im Rahmen einer Tumorsuche und nicht erkannter Hyperthyreose. Hyperthermie (ab 42˚ C Ausflockung der Eiweiße) mit Hautrötung und Schweißausbrüchen) Hypovolämischer Schock infolge von Schweißausbrüchen und extremer Diarrhö (Exsikkose-Zeichen) Herzrhythmusstörungen, Kammerflimmern Erbrechen Angstzustände, Delirium Sekundärer Diabetes mellitus Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) Erworbene Hypothyreose Urs: Primäre Hypothyreose Hashimoto-Thyreoiditis (am häufigsten) Exogener Jodmangel Iatrogen (durch den Arzt verursacht, z.B. Strahlenbehandlung, Thyreostatika, Strumektomie) Sekundäre (hypophysäre) Hypothyreose HVL-Insuffizienz Tertiäre (hypothalamische) Hypothyreose, sehr selten Pat: Je nach Ursache sind leichte bis schwerste Formen bekannt. Sym: Hypothyreote Struma (Kropfbildung mit Unterfunktion) möglich Endokrinologie Pathologie 351 Gewichtszunahme trotz Appetitlosigkeit Generalisiertes Myxödem (pathologische Ablagerung von Mukopolysacchariden infolge des verminderten Stoffwechsels): Teigig aufgetriebene Unterhaut , hinterlässt beim Eindrücken keine Delle, nur bei der schweren Verlaufsform. Kreislaufsymptome Bradykardie Hypotonie bei schwerer Hypothyreose Herzinsuffizienz möglich Körperlicher und geistiger Leistungsabfall Apathie Müdigkeit verlangsamte Reflexe, Missempfindungen Mimische Starre Depressiv, Desinteresse, Antriebslosigkeit Kälteempfindlichkeit Haut ist trocken, kühl, blass, rau und dick Obstipation Dickes brüchiges Haar, Haarausfall Tiefe, raue Stimme; spricht langsam und verwaschen Kom: Hypothyreotes Koma (selten) Bradykardie, Hypotonie Hypoventilation, Hypothermie Paralytischer Ileus Früharteriosklerose durch Hypercholesterinämie Angeborene Hypothyreose (Kretinismus) Def: Entwicklungsstörungen des Kindes durch Schilddrüsenhormonmangel. Häufig in Jodmangelgebieten Urs: Jodmangel oder Hypothyreose der Mutter. Fehlen oder Fehlbildung der Schilddrüse des Neugeborenen. Pat: Nach vier Wochen unbehandelter Hypothyreose des Neugeborenen kommt es zur irreversiblen Schädigungen des ZNS. Das Vollbild des Kretinismus ist durch Vorsorgeuntersuchung von Neugeborenen selten geworden. Sym: Im Säuglingsalter: Trinkfaulheit, Bewegungsarmut, Verstopfung Verlängerter Neugeborenenikterus Später: Hypothyreoter Zwergwuchs Hochgradige geistige Behinderung Sprachstörungen, Schwerhörigkeit Schilddrüsenentzündungen (Thyreoiditis) Urs: Chronische Thyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis), Autoimmunerkrankung (kommt am häufigsten vor), zu 90% sind Frauen betroffen Akute Thyreoiditis infolge von Bakterien, Viren, Traumen, Bestrahlung (selten) © Arpana Tjard Holler (Autor) 352 Endokrinologie Pathologie Idiopathische, granulomatöse Thyreoiditis (Frauen ab 40 sind häufiger betroffen), verläuft subakut Sym: Hashimoto-Thyreoiditis Beginn und Verlauf unbemerkt, verläuft jahrelang schmerzlos mit meist völliger Zerstörung der Schilddrüse Unklare Halsschmerzen oder Dysphagie sind oft erste Symptome Keine lokalen Entzündungszeichen Symptome einer Hyper- und Hypothyreose können sich abwechseln Nachweis von TPO-Antikörpern (in 90% der Fälle) Zum Schluss Zeichen einer Hypothyreose Akute Thyreoiditis Akuter Beginn mit Fieber, Entzündungszeichen, Dysphagie Euthyreose (normale Schilddrüsenproduktion) Subakute Thyreoiditis Krankheitsgefühl und Entzündungszeichen können auftreten, aber nicht so dominant wie bei der akuten Form Oft erst hyperthyreot und dann nach Abklingen der Krankheit hypothyreot Schilddrüsenkarzinom (ca. 1% aller Schilddrüsenneubildungen) Def: Bösartiger Tumor des Schilddrüsengewebes. Kann in jedem Alter auftreten, Frauen sind deutlich häufiger betroffen. Kalte Knoten sind generell verdächtig bösartig zu sein. Ionisierte Strahlung (z.B. radioaktive Stoffe) kann das Karzinom verursachen. Sym: Strumaknoten von harter, höckeriger Konsistenz meist rasch wachsend nicht schluckverschieblich Im späteren Stadium: Schluckbeschwerden Heiserkeit durch Lähmung des Nervus recurrens Regionale Lymphknotenschwellung Stridor (ohne Stethoskop hörbares pfeifendes Atemgeräusch) Einflussstauung (Jugularisstauung) Horner-Syndrom Miosis (verengte Pupillen) Ptosis (herabhängendes Augenlid) Enophthalmus (nach innen gesunkener Augapfel) The: Operation Radiojodtherapie (radioaktives Jod sammelt sich in den Schilddrüsenkrebszellen und zerstört diese durch seine Strahlung) Lebenslange Substitution mit Schilddrüsenhormonen Pathologie der Nebenschilddrüse Überfunktion der Nebenschilddrüsen (Hyperparathyreoidismus) Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) Def: Überfunktion der Nebenschilddrüsen mit gesteigerter Bildung von Parathormon. Urs: Adenom (ca. 80%) Endokrinologie Pathologie 353 Hyperplasie der Epithelkörperchen (ca. 18%) Selten ein Karzinom Pat: Es kommt durch zu viel Parathormon zu einem vermehrten Abbau von Kalzium aus den Knochen. In der Niere wird vermehrt Kalzium rückresorbiert und im Darm wird vermehrt Kalzium aufgenommen. Der Kalzium-Blutspiegel steigt und so entsteht eine Hyperkalzämie. Sym: Merksatz: „Stein, -Bein, und –Magenpein“ bei Hyperparathyreoidismus Nierenbeteiligung (ca. 60%) Nephrolithiasis (Nierensteine), häufigstes Symptom überhaupt Nephrokalzinose (Verkalkung von Nierenparenchym) evtl. Polyurie und Polydipsie (bei Überschreiten der Nierenschwelle) Knochenbeteiligung (ca. 50%) Osteodystrophia fibrosa generalisata (Morbus Recklinghausen), Abnahme von Knochengewebe mit Bildung von Knochenzysten und bindegewebigen Umbau, Glieder- und Rückenschmerzen. Magen-Darm-Beteiligung (ca. 50%) Appetitlosigkeit, Übelkeit, Obstipation, Blähsucht (Meteorismus) Gewichtsabnahme Ulkus ventriculi, Ulkus duodeni (10%) Pankreatitiden (10%) Gallensteinleiden Neuromuskuläre Symptome Muskelschwäche, Hyporeflexie Leistungsminderung, Schwäche, Depression Kom: Hyperkalzämische Krise Polyurie, Polydipsie, Erbrechen Exsikkose, Schläfrigkeit, Koma Sekundärer Hyperparathyreoidismus Def: Kompensatorisch erhöhte Parathormonsekretion durch Absinken des Kalziumspiegels. Urs: Abfall des Kalziumspiegels durch: Chronische Niereninsuffizienz (durch erhöhten Verlust) Vitamin-D-Mangel Malassimilationssyndrom Sym: Knochenschmerzen und Schwäche der proximalen Muskulatur Symptome der Grundkrankheit Hypoparathyreoidismus Def: Unterfunktion der Epithelkörperchen. Urs: Am häufigsten durch Entfernung bei Operation. Idiopathisch Angeboren (selten): Hypoplasie (Unterentwicklung der Nebenschilddrüse) Der niedrige Kalziumspiegel führt zur neuromuskulären Übererregbarkeit (hypokalzämische Tetanie). Pat: © Arpana Tjard Holler (Autor) 354 Endokrinologie Pathologie Sym: Parästhesien Muskelkrämpfe (sog. Karpopedalspasmen) Pfötchenstellung „Tetaniegesicht“ mit gespitzten Lippen Stimmritzenkrampf Chvostek-Zeichen: Beim Beklopfen des N. facialis auf der Wange treten Muskelzuckungen auf. Trousseau-Zeichen: Eine Blutdruckmanschette wird am Oberarm aufgepumpt und führt im positiven Fall zur Pfötchenstellung. Bei längerem Bestehen: Organische Veränderungen: Haar- und Nagelwuchsstörungen, Katarakt Reizbarkeit, Depression, Wesensveränderung Pathologie der Nebenniere Pathologie der Nebennierenrinde Überfunktion der Nebennierenrinde Hyperkortisolismus (Cushing-Syndrom) Def: Krankheitsbild, das durch die Erhöhung der Glukokortikoide im Blut entsteht. Urs: Exogenes Cushing-Syndrom (ca. 80% d.F.) Entsteht durch längere Kortikoidtherapie, z.B. bei M. Crohn, Colitis ulcerosa, Multiple Sklerose, Asthma bronchiale, rheumatoide Arthritis, chronisch entzündliche Hauterkrankungen. Bei mehr als 7,5 mg täglich (Cushing-Schwelle) und länger als 4 Wochen Gefahr eines Cushing-Syndroms Endogenes Cushing-Syndrom Zentrales Cushing-Syndrom (klassischer Morbus Cushing), entsteht durch eine vermehrte ACTH-Abgabe durch ein Adenom im HVL (ca.16%). Adrenales Cushing-Syndrom (ca.4%), entsteht durch eine vermehrte Abgabe von Glukokortikoiden durch ein Adenom in der NNR. Pat: Erhöhter Kortisonspiegel führt zu verstärktem Eiweißabbau und erhöhter Gluko-neogenese mit typisch stammbetonter Umverteilung der Depotfette. Frauen sind 5-mal häufiger betroffen als Männer. Sym: Gewichtszunahme mit Fettverteilungsstörungen Fettsucht am Körperstamm mit relativ schlanken Extremitäten Vollmondgesicht mit starker Rötung Stiernacken Hauterscheinungen blaurote Striae (typischer Hautdehnungsstreifen) Akne und Furunkulose (Furunkel = eitriger Untergang eines Haar-follikels) schlecht heilende Wunden (Geschwüre) dünne Haut Petechien, Hämatome (schlechter Allgemeinzustand der Gefäße) Hypertonie Muskelschwäche, Muskelatrophie Leitsymptom: Patient kommt nicht ohne Hilfe aus der Hocke hoch (HollerZeichen)! Endokrinologie Pathologie 355 Diabetische Stoffwechsellage Glaukom (Erhöhung des Augeninnendrucks), Katarakt (Trübung der Linse) Osteoporose (Knochenschmerzen) Bei Frauen Hirsutismus (verstärkte männliche Körperbehaarung) und Amenorrhö (Ausbleiben der Menstruation), wenn ACTH Bei Männer Potenzstörungen (wenn ACTH ) Psychische bzw. psychotische Veränderungen bei Kindern Wachstumshemmung Labor: Verändertes Blutbild (z.B. Erythrozytose), BZ Hyperaldosteronismus Def: Stoffwechselstörung infolge gesteigerter Sekretion von Aldosteron. Urs: Primärer Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom) Adenom in der NNR (ca. 70%) Beidseitige Hyperplasie der NNR (ca. 30%) Sekundärer Hyperaldosteronismus Erhöhte Aldosteronabgabe durch das RAA-System, z.B. bei Nierenarterienstenose. Infolge eines hohen Konsums von Lakritze (sog. Lakritz-Conn) Pat: Führt zu einer Hypernatriämie und Hypokaliämie mit den entsprechenden Symptomen. Sym: Hypertonie (1% Ursache der arteriellen Hypertonien) Folgen der Hypokaliämie: Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Paresen (unvollständige Lähmung eines Muskels), Parästhesien (Missempfindungen) Herzrhythmusstörungen, EKG-Veränderungen Verstopfung (Obstipation) Hypokalämische Nephropathie (Schädigung der Tubuluszellen durch den Kaliummangel im Blut) mit Polyurie und Polydipsie Metabolische Alkalose Nebennierenrindeninsuffizienz Def: Stoffwechselstörung durch mangelnde Produktion von NNR-Hormonen. Urs: Primäre NNR-Insuffizienz (Morbus Addison; sog Bronzehautkrankheit) Autoimmunprozesse (80% d.F.) Tumore Infektionen (z.B. Tuberkulose) Nach jahrelanger Einnahme von Kortikoiden Glukokortikoide niemals abrupt absetzen. Sekundäre NNR-Insuffizienz (sog. weißer Addison) HVL-Insuffizienz mit mangelnder ACTH-Ausschüttung. Akute NNR-Insuffizienz Meningokokken-Sepsis führt zu Einblutungen in der Nebennierenrinde (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom) Absetzen einer Medikamention mit Glukokortikoiden Zu einer Symptomatik kommt es erst wenn 9/10 der NNR zerstört sind. Seltene Erkrankung (1 : 200.000) © Arpana Tjard Holler (Autor) Pat: 356 Endokrinologie Pathologie Durch den Hormonmangel kommt es zur Hypovolämie mit Hyponatriämie und Hyperkaliämie und einem erniedrigten Blutzuckerspiegel (Hypoglykämie). Endokrinologie Pathologie 357 Sym: Leitsymptome Hypotonie (primärer Addison) Gewichtsverlust Adynamie - körperliche Schwäche und allgemeine Müdigkeit Braune Hautfarbe durch Überpigmentierung (sog. brauner Addison); vermehrte ACTH-Abgabe führt zur vermehrten MSH-Ausschüttung Pigmentfreie weiße Hautflecken, die allmählich größer werden (nur beim sog. weißen Addison) Gastrointestinale Beschwerden Übelkeit, Erbrechen Verstopfung, Durchfall Verlust der Sekundärbehaarung bei Frauen durch Androgenmangel Labor Hyponatriämie (Salzhunger) Hyperkaliämie (Herzrhythmusstörungen, Muskelkrämpfe) Hypoglykämie (Heißhunger) Normozytäre Anämie, Leukopenie ACTH-Spiegel: primäre NNR-Insuffizienz erhöht, sekundäre erniedrigt Kortikoide und Testosteron erniedrigt Natrium-Kalium-Quotient erhöht Kom: Addison-Krise Kammerflimmern Exsikkose (Austrocknung), hypovolämischer Schock Hypoglykämie Metabolische Azidose (Kussmaulatmung) Bewusstseinstrübung bis Koma Pathologie des Nebennierenmarks Überfunktion des Nebennierenmarks (Phäochromozytom) Def: Adrenalin produzierender einseitiger Tumor des Nebennierenmarks. Urs: Benigner Tumor (ca. 90% d.F.) Maligner Tumor (ca. 10% d.F.) Sym: Leitsymptom: Starke Hypertonie, anfallartig oder anhaltend Kopfschmerzen, Schwitzen, Herzklopfen, Tremor, innere Unruhe Hypertensive Krisen Hyperglykämie mit Glukosurie Gewichtsabnahme durch den erhöhten Stoffwechsel im Körper Blasse Haut (sog. weiße Hypertonie) Leukozytose Pathologie des Inselapparates Untersuchungsmethoden beim Diabetes mellitus Bestimmung von Glukose im Blut und im Urin. Nüchternwert: normal unter 100 mg/dl. Ab ca. 180 mg/dl Glukose im Blut ist mit einer Glukosurie zu rechnen (Nierenschwelle) Oraler Glukosetoleranztest (OGTT): © Arpana Tjard Holler (Autor) 358 Endokrinologie Pathologie Patient erscheint morgens zur Nüchternblutentnahme (10 Stunden keine Nahrungs-und Flüssigkeitsaufnahme außer Wasser bzw. Mineralwasser). BZ sollte unter 100 mg/dl sein. Bei einem Nüchternwert ab 120 mg/dl ist ein OGTT nicht angebracht. Orale Gabe von 75 g Glukose. Nach 120 Minuten erneute Blutzuckerbestimmung (Patient soll in der Praxis bleiben). Eine pathologische Glukosetoleranz (Glukoseintoleranz) besteht, wenn der BZ über 140 mg/dl ist. Bestimmung von HbA1c („Blutzuckergedächtnis“) als Langzeitkontrolle beim Diabetiker. In Abhängigkeit von der Höhe des Blutzuckers verändert sich das Hämoglobin. Dieses glykosilierte Hb (HbA1c) erlaubt einen Rückschluss auf die Blutzuckereinstellung der letzten 8-12 Wochen. Normwert: 4-6,5%. Bestimmung des Tagesprofils: Vor und nach der Mahlzeit wird der BZ gemessen und protokolliert. Diabetes mellitus („Honigsüßer Durchfluss“) Def: Glukosestoffwechselstörung mit absolutem oder relativem Insulinmangel und Erhöhung der Blutzuckerkonzentration (Hyperglykämie). In der BRD gibt es zurzeit 4% Diabetiker. Urs: Diabetes Typ I (früher insulinabhängiger Diabetes mellitus bzw. juveniler Diabetes mellitus) Macht ca. 10% der Fälle aus. Bricht in der Regel vor dem 35. Lebensjahr aus. Absoluter Insulinmangel. Autoimmunerkrankung; Autoantikörper zerstören B-Zellen des Langerhansen Inselapparates (in mehr als 50% d.F. nachweisbar). Auslösung dieser Autoimmunerkrankung häufig durch einen Infekt. Erkrankung manifestiert sich innerhalb kurzer Zeit. Diabetes Typ II (früher insulinunabhängiger Diabetes mellitus bzw. Alters-diabetes (90%) Macht ca. 90% der Fälle aus. Tritt in der Regel im höheren Lebensalter auf, allerdings können auch Kinder davon betroffen sein. Häufig übergewichtig. Relativer Insulinmangel. Herabgesetzte Insulinempfindlichkeit der Zielzellen (pathologische Glukosetoleranz = Glukoseintoleranz). Glukosespiegel steigt nach den Mahlzeiten über die Normalwerte an und sinkt nur langsam ab. Die Insulinresistenz ist genetisch bedingt, wird aber durch Überernährung (Einfachzucker) in Zusammenhang mit Bewegungsmangel ausgelöst. Hoher Zuckerzufuhr führt zum hohen Insulinspiegel, welcher die Sensibilität und Dichte der Insulinrezeptoren (Down-Regulation) und damit die Insulinwirkung vermindert. Erkrankung entwickelt sich langsam. Diabetes Typ II gehört zu den Wohlstandskrankheiten (metabolisches Syndrom). Diabetes Typ III (früher sekundärer Diabetes mellitus) Andere spezifische Diabetestypen: Pankreaserkrankungen: chronische Pankreatitis, Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit; sog. Bronzediabetes), nach Pankreasresektion. Endokrinologie Pathologie 359 Hormonelle Erkrankungen (Vermehrung der Insulingegenspieler): CushingSyndrom (Glukokortikoide ), Phäochromozytom (Adrenalin ), Akromegalie und Gigantismus (STH ) Hyperthyreose. Medikamentös hervorgerufen, z.B. bei Kortison-Therapie Tabelle der Blutzucker beeinflussenden Hormone Blutzucker erniedrigend Blutzucker erhöhend Überfunktion: sekundärer Diabetes mellitus Glukagon Glukagonom T3/T4 Hyperthyreose Insulin Glukokortikoide Cushing-Syndrom STH Gigantismus, Akromegalie Adrenalin Phäochromozytom Diabetes Typ IV Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes) Pat: Diabetesstadien Potentieller Diabetes Keine klinischen Symptome, aber Diabeteshäufung in der Familie. Latenter Diabetes Nüchternblutzucker und/oder OGTT nur unter Stresssituation (z.B. Infekte, Schwangerschaft) pathologisch. Verminderte Glukosetoleranz Normaler Nüchternblutzucker, aber pathologischer OGTT. Manifester Diabetes Ständige Hyperglykämie. Sym: Diabetes Typ I (rascher Beginn) Polyurie (vermehrte Harnausscheidung) mit hellem Urin Polydipsie (starker Durst) Leistungsminderung, Abgeschlagenheit, Müdigkeit Appetitlosigkeit, Übelkeit Gewichtsabnahme Oft auch Zeichen des diabetischen Komas als Erstmanifestation Diabetes Typ II (langsame Entwicklung) Oft besteht der Diabetes jahrelang unbemerkt und diabetische Spätkomplikationen sind bereits eingetreten. Evtl. Heißhunger mit Schwitzen durch kurzfristige Unterzuckerung (Hypoglykämie), hervorgerufen durch eine vorübergehende Hyperinsulinämie. Leistungsmangel, Müdigkeit Kurzfristig Polyurie und Polydipsie möglich (bei Hyperglykämie über 180 mg/dl) Vermehre Infektanfälligkeit Hautinfektion mit schlechter Heilungstendenz Candida-Mykosen Furunkel oder Karbunkel Rubeosis diabetica: dauernde Rötung des Gesichtes durch Herabsetzung des Kapillartonus (Polyneuropathie) Pruritus (Hautjucken), besonders Genital- und Analgegend Rezidivierende Harnwegsinfektionen Nachlassen von Libido und Potenz, Menstruationsstörungen © Arpana Tjard Holler (Autor) 360 Endokrinologie Pathologie Sehstörungen Hypertonie Hypercholesterinämie (Insulinmangel hat eine Steigerung der Cholesterinproduktion zur Folge) Folgen von Insulinmangel Zucker fehlt in den Zellen Hyperglykämie Glukosespiegel ab 180 mg/dl Diabetische Spätschäden als Angiopathie Glukoneogenese in der Leber Polyurie Makroangiopathie Mikroangiopathie Abbau von Fettgewebe Polydipsie Bildung von Ketonkörperchen ExsikkoseZeichen Ketoazidose Azetongeruch Kussmaul-Atmung Gewichtsverlust Ketonurie Endokrinologie Pathologie 361 Kom: Diabetische Spätschäden Diabetiker müssen infolge einer lang andauernden Hyperglykämie mit Schädigungen der kleinen und großen Gefäße (Mikro- und Makroangiopathie) rechnen. Makroangiopathie (Arteriosklerose der großen Gefäße) KHK (Koronare Herzkrankheit), Herzinfarkt (50% Sterblichkeit) Oft stummer Verlauf, keine Angina pectoris. Apoplexie (30% der Diabetiker versterben daran) pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) Ulcus cruris, Gangrän Oft kein Schmerz bei Claudicatio intermittens infolge der begleitenden Neuropathie Arteriosklerotische Nierenschädigung Führt zur Hypertonie und Schrumpfniere Mikroangiopathie Betroffen sind die kleinsten Gefäße und die Kapillaren. Infolge einer andauernden Hyperglykämie verhärtet sich die Basalmembran und es entstehen punktförmige ischämische Nekrosen. Diabetische Retinopathie Es handelt sich um eine durch Mikroangiopathie verursachte nicht entzündliche Netzhauterkrankung, teilweise mit retinalen Blutungen. Dabei können auch Gefäßneubildungen auftreten. Gefahr der Erblindung Keine Frühsymptome, Verschwommen sehen als erstes Symptom, häufigste Erblindungsursache Am Auge kann es beim Diabetiker zusätzlich zu folgenden Erkrankungen kommen: Katarakt, Glaukom, Netzhautablösung, Makuladegeneration Diabetische Nephropathie Bei der diabetischen Glomerulosklerose (Kimmelstiel-Wilson-Syndrom) kommt es zu einer Verdickung der glomerulären Basalmembran. Frühsymptom: Mikroalbuminurie Nephrotisches Syndrom (Eiweißverlustniere) Niereninsuffizienz durch ständige Abnahme der glomerulären Filtrationsrate Bei bestehender Hyperglykämie kann infolge der diabetischen Nephropathie ein Nachweis der Glukose im Harntest negativ sein. Diabetische Polyneuropathie (diabetische Neuropathie) Schädigungen des peripheren Nervensystems infolge von Mikroangiopathie. Periphere Polyneuropathie mit sensomotorischen Störungen. Parästhesien, typisch an den Unterschenkeln und Füßen Nächtliche Wadenkrämpfe Füße sind heiß und brennen („burning feet“) Restless-Legs-Syndrom, Beine sind unruhig und können nicht stillgehalten werden Störung des Vibrationsempfindens (als erstes gestört) Herabsetzung der Schmerz-, Berührungs- und Temperaturempfindung Hypo- bzw. Areflexie (abgeschwächte bzw. fehlende Reflexe), z.B. ASR beidseitig nicht auslösbar Lähmungen von Nerven, z.B. periphere Fazialisparese © Arpana Tjard Holler (Autor) 362 Endokrinologie Pathologie Autonome Neuropathie (Schädigung der vegetativen Nerven: Parasympathikus und Sympathikus) Herzkreislauf Ruhetachykardie, Herzfrequenzstarre, Bradykardie Blutdruckregulationsstörungen, orthostatische Hypotonie Regionale Gefäßlähmung: Vasodilatation (warmer Fuß) oder Vasokonstriktion (kalter Fuß) Stummer Herzinfarkt Magen-Darm-Trakt Dysphagie (Schluckstörungen) Magenentleerungsstörungen, Völlegefühl Diarrhö oder Obstipation Stuhlinkontinenz Urogenitalsystem Blasenentleerungsstörungen mit Restharnbildung Potenzstörungen, erektile Dysfunktion Haut Trockene Haut Hyperhidrosis (übermäßiges Schwitzen) Pupille Miosis (verengte Pupillen) Mydriasis (erweiterte Pupillen) Diabetisches Fußsyndrom Ischämischer Fuß (Makroangiopathie) in 30% der Fälle Claudicatio intermittens Kühler Fuß Livide Haut Fehlende Fußpulse Normales Vibrationsempfinden Ulcus cruris (arterieller Ulcus, v.a. am Außenknöchel) Nekrose und Gangrän von den Zehen aus gehend Schlechte Wundheilung Neuropathischer Fuß (Mikroangiopathie) in 60% der Fälle Warmer Fuß Rosige Haut Vorhandene Fußpulse Vermindertes Vibrationsempfinden Schmerzlose Geschwürbildung und Nekrosen an druckbelasteten Stellen, oft durch fehlende Fußpflege In 10% der Fälle besteht eine Mischung aus neuropathischen und ischämischen diabetischen Fuß mit ungünstiger Prognose. The: Diätetische Maßnahmen Gewichtsnormalisierung beim Typ II, oft dadurch normale Blutzuckerwerte (Body-Mass-Index < 30). Nahrungsaufteilung in 3 Haupt- und 3 Zwischenmahlzeiten. Allgemein gilt für die Nahrungszusammensetzung: 15% Eiweiß 35 % Fett 50% Kohlenhydrate 30 g Ballaststoffe Endokrinologie Pathologie 363 Körperliches Training: 30 Minuten Sport pro Tag, senkt den Blutzuckerspiegel und damit den Insulin-bedarf Patientenschulung (z.B. tägliche Inspektion der Füße, vorsichtige Nagelpflege) Medikamentöse Behandlung Orale Antidiabetika (Sulfunylharnstoffe) beim Typ II, nur wenn Diät erfolglos ist. Insulingabe beim Typ I (Injektion subkutan). Berechnung der Kohlenhydrate nach Broteinheiten (1 BE = 12 g Kohlenhydrate) Wie viel BE pro Tag nötig sind, hängt vom Kalorienbedarf ab (Körpergröße, Gewicht und Ausmaß der körperlichen Tätigkeit) 1 Gramm Kohlenhydrate sind 4 Kcal (ein erwachsener Mensch mit Normalgröße und Normalgewicht benötigt 2000-3000 Kcal/Tag) Insulinmenge wird auf die Broteinheiten (BE) abgestimmt und die Insulineinheiten (I.E) ermittelt. Für die Berechnung der zu spritzenden I.E. gilt folgende Formel: Anzahl BE x BE-Faktor = Anzahl I.E. Normalinsulin Der Broteinheiten-Faktor (BE-Faktor) wird i.d.R. vom Arzt individuell festgelegt, da die Wirkung von Insulin von vielen Faktoren abhängig ist: Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht, Tageszeit, Essgewohnheiten. Z.B. kann der BE-Faktor morgens 2, mittags 1 und abends 1,5 sein. Insulintherapie durch (im Wesentlichen) drei Therapieformen Konventionelle Insulintherapie (CT): Zu festgesetzten Zeiten wird eine bestimmte Insulinmenge ermittelt. Wird v.a. bei insulinpflichtigen D. mellitus Typ II angewendet. Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT): Wird auch als Basis-Bolus-Therapie bezeichnet. Zwei-Spritzen-Therapie: Grundversorgung mit Verzögerungsinsulin (Basis) und entsprechendes Bolusinsulin zu den Mahlzeiten. Insulin-Pumpentherapie Hyperglykämisches Koma (Coma Diabeticum) Def: Lebensbedrohliche Komplikation eines Diabetikers mit extremer Hyperglykämie. Urs: Erstmanifestation eines bisher unbekannten Diabetes mellitus (25%) Fehlende oder ungenügende Insulinzufuhr. Erhöhter Insulinbedarf z.B. bei Infektionen (z.B. Harnwegsinfektion), Unfall, Operation, Herzinfarkt, Schwangerschaft und oder bei Diätfehlern. Behandlung mit Glukokortikoiden Pat: Ketoazidotisches Koma (Komaform beim Typ I) Ein starker Insulinmangel führt zu einer Hyperglykämie ( 300 mg/dl) und einer verstärkten Lipolyse (Fettabbau) mit nachfolgender metabolischer Azidose durch die enorme Produktion von Ketonkörper. Eine Komplikation kann die Pseudoperitonitis diabetica sein (Ursache nicht geklärt): Heftigste Bauchschmerzen, Übelkeit und brettharte Bauchdecke. Hyperosmolares Koma (Komaform beim Typ II) Meist Diätfehler oder plötzlich erhöhter Insulinbedarf (z.B. Infekte) führen zu extrem hohen Blutzuckerwerten ( 600 mg/dl). Es kommt zu einer enormen Glukosurie mit hohen Wasserverlusten und einer nachfolgenden Exsikkose. Es kommt nicht zu © Arpana Tjard Holler (Autor) 364 Endokrinologie Pathologie metabolischer Azidose, da der Körper noch Restmengen von Insulin produzieren kann und so die Lipolyse hemmt. Komplikationen: Akutes Nierenversagen durch die extreme Polyurie mit Volumenmangelschock Elektrolytstörungen mit Hyperkaliämie Pseudoperitonitis diabetica Sym: Beide Komaformen ähneln einander sehr. Polyurie, Polydipsie Müdigkeit, Apathie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schwäche Zeichen der Exsikkose trockene Haut und Schleimhäute (stehende Bauchhautfalte) weiche Augenbulbi niedriger Blutdruck und erhöhte Herzfrequenz Bewusstseinstrübung bis Koma Bei der Ketoazidose Bauchschmerzen (Pseudoperitonitis), Verwechslung mit akutem Abdomen Kussmaul-Atmung (Azidoseatmung) Azetongeruch Hypoglykämischer Schock Def.: Symptomatik, die durch das Absinken der Blutzuckerwerte unter 40 mg/dl entsteht. Urs.: Überdosierung von Insulin oder Sulfonylharnstoffen Zu viel Insulin gespritzt Gleichbleibende Insulindosis bei verminderter Nahrungsaufnahme Gleichbleibende Insulindosis bei zu viel körperlicher Arbeit Massiver Alkoholgenuss beim Diabetiker (Alkohol bremst die Glukoneogenese in der Leber) Durchfälle, Leberfunktionsstörungen Pat: Bei einem Blutzuckerwert unter 40 mg/dl ist eine ausreichende Nährstoffversorgung des Gehirns nicht mehr gegeben. Sym: Beginn plötzlich, meist innerhalb von Minuten. Starkes Hungergefühl Unruhe, Aggressivität, Verhaltensauffälligkeit Kaltschweißige Haut Zittern, Krämpfe, Reflexe sind gesteigert, Babinski-Zeichen positiv Parästhesien, z.B. taube Zunge oder Oberlippe Sprachstörungen (lallen), Hemiplegie (vollständige Halbseitenlähmung) und andere zentralnervöse Störungen (Krampfanfälle möglich) Tachykardie, Blutdruck normal Weite Pupillen (Mydriasis) Bewusstseinsverlust The: 25 ml 5%ige Glukoselösung intravenös Niemals Zucker oral beim Bewusstlosen. Niemals Insulin beim bewusstlosen Diabetiker Endokrinologie Pathologie 365 Hyperglykämisches Koma (ab 400 mg/dl) Hypoglykämischer Schock (unter 40 mg/dl) Langsam Ketoazidotisches: innerhalb von Std. Hyperosmolares (um 1000 mg/dl): Tage bis Wochen. Frauen häufig als erstes vaginale Candidiasis mit Juckreiz Kein Hunger, Appetitlosigkeit Starker Durst (Polydipsie) wegen Polyurie und Exsikkose Schnell Tonus der Muskulatur Schwach, Hyporeflexie, nie Krämpfe Haut Atmung Augenbulbus Atemgeruch Trockene Haut (Exsikkose) Typische Kussmaul-Atmung (Typ 1) Weich (Exsikkose) Beim ketoazidotischen Koma: obstartig beim hyperosmolarem Koma: normal Patient fühlt sich schwach, ist aber erregt Krämpfe und Tremor möglich Halbseitenlähmung möglich Babinski positiv Feucht, schweißig Normal Normal Normal Blutdruck / Frequenz Urinstatus Therapie RR hypoton, Frequenz schwach fühlbar Polyurie, Glukosurie, Ketonkörperchen Zufuhr von Flüssigkeit Insulingabe subkutan (nur vom Arzt) Entwicklung Hunger Durst © Arpana Tjard Holler (Autor) Typischer Heißhunger Kein Durst RR Normal, Puls tachykard Normal Glukose oral, wenn ansprechbar Glukose i. v. wenn bewusstlos 366 K. Geschlechtsorgane Geschlechtsorgane Anatomie und Physiologie Geschlechtsorgane Unterscheidung und Aufteilung ........................................................................................................... 367 Die männlichen Geschlechtsorgane ..................................................................................................... 367 Die weiblichen Geschlechtsorgane ....................................................................................................... 369 Geschlechtsorgane 367 Unterscheidung und Aufteilung Es lassen sich drei Gruppen von Geschlechtsmerkmalen unterscheiden: Primäre Geschlechtsmerkmale sind die Geschlechtsorgane, die direkt der Fortpflanzung dienen. Sie sind schon bei der Geburt vorhanden. Beim Mann: Innere Geschlechtsorgane Hoden (Testis, Orchis), Nebenhoden (Epididymis) Ableitende Samenwege (Samenleiter, Spritzgänge, Harn-Samenröhre) Bläschendrüse, Prostata, Cowper-Drüse Äußere Geschlechtsorgane Penis Hodensack (Skrotum) Bei der Frau: Innere Geschlechtsorgane Eierstöcke (Ovarien) Eileiter (Tuben) Gebärmutter (Uterus) Scheide (Vagina) Äußere Geschlechtsorgane Vulva (große und kleine Schamlippen, Scheidenvorhof und Kitzler) Bartholin-Drüsen Sekundäre Geschlechtsmerkmale entwickeln sich in der Pubertät und dienen nicht direkt der Fortpflanzung. Sie prägen das männliche bzw. weibliche Erscheinungsbild eines Menschen. Beim Mann: Körperbau, Körperbehaarung, tiefe Stimme, Bartwuchs Bei der Frau: Körperbau, Brüste, hohe Stimme, Körperfettverteilung Tertiäre Geschlechtsmerkmale sind angeborene und anerzogene geschlechtsspezifische Verhaltensweisen. Die männlichen Geschlechtsorgane Hoden (Testes, Orchis) Lage: Die Hoden entwickeln sich in der Fetalzeit intraperitoneal und wandern erst kurz vor der Geburt aus dem Bauchraum durch den Leistenkanal nach außen. Für die Samenreifung wird eine niedrigere Temperatur (32 - 35 C) als im Körperinneren benötigt. Größe: ca. 5 x 3 x 2 cm Gewicht: ca. 25 g Aufbau: Der Hoden wird von einer straffen Bindegewebskapsel umgeben. Scheidewände unterteilen den Hoden in 200 bis 300 keilförmige Hodenläppchen, in denen die verknäulten Hodenkanälchen liegen. Aufgabe: Exokrine Funktion: Spermatogenese (Bildung und Reifung der Spermien in den Hodenkanälchen), ca. 60 Tage. Endokrine Funktion: In den Leydig-Zwischenzellen wird das männliche Geschlechtshormon Testosteron produziert. Die Leydigzellen befinden sich im Bindegewebe zwischen den Samenkanälchen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 368 Geschlechtsorgane Nebenhoden (Epididymis) Lage: Der Nebenhoden liegt über und hinter dem Hoden. Aufbau: Die Hodenkanälchen aller Hodenläppchen münden am oberen Pol des Hodens über mehrere Ausführungsgänge in den eigentlichen Nebenhodengang (Ductus epididymidis). Dieser ist ein sehr stark gewundener Samenkanal, der den Hauptteil des Nebenhodens ausmacht (ca. 5 m). Aufgabe: Speicherung der fertiggestellten Samenfäden (Spermien). Abgabe eines säurehaltigen Sekrets, das bewegungshemmend auf die Spermien wirkt. Phagozytose abnormer und überalterter Spermien. Beförderung der Spermien bei der Ejakulation durch Zusammenziehung der glatten Muskulatur des Nebenhodenganges. Ableitende Samenwege und Drüsen Samenleiter (Ductus deferens) Er ist die Fortsetzung des Nebenhodens und ca. 50 - 60 cm lang. Seine Aufgabe ist die Weiterbeförderung der Spermien bei der Ejakulation. Dementsprechend stark ist die glatte Wandmuskulatur. Zusammen mit Blut- und Lymphgefäßen und Nerven zieht er im Samenstrang durch den Leistenkanal in den Bauchraum. Der Samenstrang verläuft vom Hoden ventral über das Schambein zur Leiste und tritt mittig des Leistenbandes in den Bauchraum ein; zieht zum oberen Harnpol und dann seitlich hinter der Blase den Harnleiter überkreuzend bis zum Blasengrund. Am Ende erweitert er sich zur Ampulle. Spritzgang (Ductus ejaculatorius): Er liegt als Fortsetzung des Samenleiters zwischen der Einmündung der Bläschendrüse in den Samenleiter und der Harnröhre. Den größten Teil verläuft er durch die Prostata. Bläschendrüse (Glandula vesicula) oder Samenbläschen: Die Bläschendrüsen liegen beiderseits am Blasengrund und produzieren ca. 2/3 des Volumens der Ejakulation. Das Sekret ist alkalisch, um die Bewegung im sauren Harnröhren- und Scheidenmilieu zu ermöglichen, und fruktosehaltig, um die Ernährung der Spermien auf ihrem langen Weg zu gewährleisten. Prostata (Vorsteherdrüse): Die Prostata ist ein kastaniengroßes Organ, welches unterhalb der Blase liegt und die Harnröhre ringförmig umgibt. Ihr trübes, dünnflüssiges Sekret dient zur Ernährung und Beweglichkeit der Samenfäden und trägt zum charakteristischen Spermageruch bei. Cowper Drüse: Die erbsengroßen schleimproduzierenden Cowper Drüsen sind paarig im muskulären Beckenboden eingebettet und münden unterhalb der Prostata in die HarnSamenröhre. Das Sekret dient der Gleitfähigkeit während des Geschlechtsverkehrs und ist alkalisch. Äußere Geschlechtsorgane Hodensack (Skrotum) Der Hodensack ist eine Ausstülpung der Bauchwand. In der Haut befindet sich der Hodenheber (Musculus cremaster), der bei Wärme erschlafft ist und sich bei Kälte zusammenzieht, um so ein optimales Temperaturniveau zu schaffen. Geschlechtsorgane 369 Das männliche Glied (Penis) Aufbau: Der Penis besteht aus drei länglichen Schwellkörpern, zwei Penisschwellkörper und dem Harnröhrenschwellkörper, in dem sich die Harnröhre befindet. Die Schwellkörper bestehen aus venösen Blutkavernen und einer Zentralarterie. Vorne geht das Glied in die Eichel (Glans) über, die von der Vorhaut (Präputium) geschützt wird. Vorhautdrüsen produzieren ein talghaltiges Sekret (Smegma). Funktion: Bei sexueller Erregung erschlafft die Gefäßmuskulatur (parasympatischer Einfluss) und das Blut fließt in die Hohlräume der Schwellkörper und führt zur Erektion des Penis. Durch den hohen Druck werden die Venen komprimiert und das Blut kann nicht abfließen. Die weiblichen Geschlechtsorgane Eierstöcke (Ovarien) Lage: Sie liegen intraperitoneal (im Bauchfell gelegen) beidseitig der Gebärmutter im kleinen Becken unterhalb und hinter den Eileitern. Aufgehängt sind sie durch elastische Bänder zur Gebärmutter und zur seitlichen Beckenwand. Größe und Gewicht: Stark variabel, im geschlechtsreifen Stadium ca. pflaumengroß und ca. 10g schwer. Aufgabe: Exokrine Funktion: Oogenese (Produktion und Abgabe von befruchtungsfähigen Eiern) Endokrine Funktion: Abgabe von Östrogen, Progesteron und kleine Mengen von Testosteron. Progesteron wird zusätzlich während der Schwangerschaft von der Plazenta produziert und in kleinen Mengen auch von der NNR. Wirkung von Östrogenen: Wachstum der Geschlechtsorgane, Ausbildung der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale, steuert Ausschüttung von LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikel stimulierendes Hormon), Beteiligung an der Oogenese (Eireifung), Eitransport, bewirkt Wiederaufbau des Endometriums nach der Menstruation, Beteiligung am Knochenaufbau, beendet das Längenwachstum der Röhrenknochen während der Pubertät, fördert die Proteinsynthese und die Lipolyse (Abbau von Fetten, Erhöhung von Triglyzeriden im Blut, auch LDL und HDL), fördert den Anstieg von Blutgerinnungsfaktoren und Angiotensinogen, senkt die Körpertemperatur. Fördert beim Mann das Wachstum von Prostata und Samenleitern. Aufbau und Physiologie: In jedem Eierstock sind ab dem 6. Lebensjahr ca. 200 000 Primärfollikel angelegt. Ab der Pubertät kommt es unter der hormonellen Steuerung von FSH zum monatlichen Heranreifen mehrerer Primärfollikel zu einer reifen Eizelle in einem Eierstock: Follikelreifung: Primärfollikel Sekundärfollikel Tertiärfollikel GraafFollikel Follikel im Eierstock bestehen aus der Eizelle und den die Eizelle umgebenen Follikelzellen (Thekazellen). Die Follikelzellen produzieren Östrogen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 370 Geschlechtsorgane Unter Einfluss des Hormons LH kommt es regelmäßig zum Eisprung (Ovulation). Der Graaf`sche Follikel platzt und die befruchtungsfähige Eizelle wird aus dem Ovar ausgestoßen. Nach dem Eisprung steigt die Basaltemperatur bis zu 0,5 Grad an. Der „leere“ Graaf`sche Follikel bildet sich zum Gelbkörper um und produziert Progesteron. Progesteron unterhält die Gebärmutterschleimhaut und bereitet diese auf die Einnistung eines befruchteten Ei`s vor. Nach ca. zwei Wochen führt der abfallende Progesteronspiegel im Blut zur Abstoßung der oberflächlichen Schicht der Gebärmutter. Nach Befruchtung des Eies, wird nach vier Tagen von der Blastozyste das Hormon HCG (humanes Choriongonadotropin) produziert. HCG regt die weitere Produktion von Progesteron an und verhindert ein Absterben des Gelbköpers. Dieser produziert dann weiter Progesteron. Nach drei Monaten übernimmt die Plazenta die hormonelle Steuerung des ungeborenen Kindes und der Gelbkörper stirbt ab. Eileiter (Tuba uterina, Tuben) Die beiden intraperitoneal gelegenen Eileiter stellen die Verbindung vom Eierstock zu der Gebärmutter dar. Allerdings besteht keine direkte Verbindung zwischen Eierstock und Eileiter. Das Ei springt in die Bauchhöhle und wird dann von dem Fransentrichter (Fimbrien) des Eileiters aufgenommen. Aufbau: Ampulle, Eileitertrichter; macht 2/3 des Eileiters aus und dient der Befruchtung des Samenfädens. Isthmus; schmaler Teil des Eileiters, der in die Gebärmutter mündet. Schleimhaut des Eileiters ist stark gefältelt und besitzt Flimmerepithel und das Ei fortzubewegen. Größe: bleistiftdick, ca. 10 - 17 cm lang Aufgabe: Aufnahme der befruchtungsfähigen Eizelle aus dem Ovar über die fingerförmigen Fortsätze des Eileiters. Weitertransport der Eizelle vom Eierstock zur Gebärmutter (ca. 4 Tage) durch in Richtung Uterus schlagendes Flimmerepithel und peristaltische Bewegungen der Muskelschicht. Befruchtung der Eizelle durch eine Samenzelle innerhalb von wenigen Stunden (maximal 24 Stunden), andernfalls stirbt das Ei ab. Gebärmutter (Uterus) Lage: Zwischen Blase und Rektum. Dadurch Entstehung von Excavatio rectouterina (Douglas-Raum = tiefster Punkt der Bauchhöhle zwischen Gebärmutter und Rektum) und Excavatio vesicouterina (tiefster Raum zwischen Gebärmutter und Blase). Die Gebärmutter befindet sich extraperitoneal, obwohl es von drei Seiten mit Bauchfell umgeben ist Wird durch das breite und runde Mutterband in der Lage gehalten. Zwei physiologische Biegungen: Neigung der Gebärmutter gegenüber der Längsachse der Scheide nach vorne = Anteversion (Vorwärtsneigung). Abknickung der Gebärmutterachse nach vorne = Anteflexion Größe: ungefähr birnenförmig und ca. 5-7 cm lang Geschlechtsorgane 371 Gewicht: Jungfräulich: 50-70 g Erwachsen: 80-120 g Aufbau: Makroanatomie: Gebärmuttergrund, oberer Anteil mit Einmündungsstellen der Tuben Gebärmutterkörper, Hauptanteil, im Inneren die Gebärmutterhöhle Gebärmutterhals (Zervix), sichtbarer Anteil in der Vagina (Portio) Mikroanatomie: Schleimhautschicht (Endometrium) Funktionalis (oberflächliche Schleimhautschicht): Stößt sich regelmäßig durch Sinken des Progesteronspiegels ab (Menstruationsblutung). Basalis (tiefe Schicht): Von hier aus erfolgt die Regeneration der Schleimhaut. Glatte Muskelschicht (Myometrium), vergrößert sich während der Schwangerschaft und ist verantwortlich für die Geburtswehen. Bauchfellüberzug (Perimetrium) von drei Seiten Menstruationszyklus Weist einen Rhythmus von durchschnittlich 28 Tage ± 3 auf. Regenerationsphase (Desquamationsphase, Regelblutung) 1. – 4. Tag: Abstoßung der Funktionalis, Abfall des Progesteronspiegels im Blut. Proliferationsphase (Wiederaufbauphase) 5. – 14. Tag: Von der Basalis ausgehender Aufbau der Funktionalis unter Einfluss von Östrogen aus den Follikeln des Eierstocks. Sekretionsphase 15. – 28. Tag: Einrichtung von Drüsenschläuchen in die Funktionalis unter Einfluss von Progesteron aus dem Gelbkörper, Vorbereitung der Schleimhaut für die Einnistung der befruchteten Eizelle. Scheide (Vagina) Die Scheide ist ca. 10 cm lang und reicht vom Scheidenvorhof bis zum Gebärmutterhals. Die Scheidenwand (3-5 mm) besteht aus glatter Muskulatur und elastischem Bindegewebe In der Scheide herrscht ein pH-Wert von 4-5, der vor einer aufsteigenden Infektion schützen soll. Äußere Geschlechtsorgane (Vulva) Große und kleine Schamlippen Kleine Schamlippen verschließen den Eingang zum Scheidenvorhof. Zwischen den kleinen Schamlippen mündet die paarige Bartholin-Drüse die den Cowper-Drüsen beim Mann entsprechen und bei sexueller Erreger Schleim absondern. Ein Bartholin-Abszess (auch: Bartholinitis, Bartholin-Empyem) entsteht durch einen Stau im Ausführungsgang und kann zu einer sehr schmerzhaften Schwellung im Bereich der Schamlippen führen. Raum zwischen großen und kleinen Schamlippen nennt sich Schamspalte. © Arpana Tjard Holler (Autor) 372 Geschlechtsorgane Kitzler (Klitoris) liegt am vorderen Ende der kleinen Schamlippen und ist ein kleiner Schwellkörper, der sehr stark nerval innerviert ist. Scheidenvorhof Umfasst den Raum zwischen den kleinen Schamlippen, in dem sich neben der Scheide auch der Ausgang der Harnröhre befindet. Schamberg (Venusberg) Geschlechtsorgane Pathologie 373 Geschlechtsorgane Pathologie Erkrankungen der männlichen Geschlechtsorgane ............................................................................ 374 Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane .............................................................................. 380 Wichtige Infektionskrankheiten der Geschlechtsorgane ..................................................................... 384 © Arpana Tjard Holler (Autor) 374 Geschlechtsorgane Pathologie Erkrankungen der männlichen Geschlechtsorgane Die Behandlung von Personen, die an einer sexuell übertragbaren Krankheit leiden, ist nur Ärzten gestattet (IFSG § 24). Entzündung der Prostata (Prostatitis) Urs: Meist Bakterien (Kolibakterien, Streptokokken), die über den urogenen (seltener über den hämatogenen) Weg einwandern. Sym: Beim akuten Verlauf: Fieber, Schüttelfrost Dysurie, Pollakisurie, abgeschwächter Strahl, Nykturie evtl. Schmerzen beim Stuhlgang Druckschmerzhafte Prostata (rektal) evtl. Beschwerden im rechten oder linken Unterbauch Chronischer Verlauf ist meist symptomenfrei, führt aber allmählich zu Blasenentleerungsstörungen Kom: Totaler Harnverhalt mit Rückstau des Harns in die Niere. Prostataabszess kann sich aus einer akuten Prostatitis entwickeln. Potenzprobleme und Störungen der Fruchtbarkeit beim chronischen Verlauf. Benigne Prostatahyperplasie Def: Gutartige Vergrößerung der Prostata durch numerische Zunahme der Zellen der Prostata. 50% der Männer über 50 Jahre leiden unter einer Prostatavergrößerung Urs: Unbekannt, diskutiert wird die Verschiebung des Androgen-Östrogen-Quotienten während der Wechseljahre der Männer (Produktion von Androgenen geht zurück). Pat: Durch die vergrößerte Prostata kann es zur Einengung der Harnröhre und den daraus folgenden Symptomen kommen. Die vergrößerte Prostata kann mit dem Finger rektal vergrößert ertastet werden. Der Krankheitsverlauf kann bis zur Überlaufinkontinenz (Stadium II) auch symptomlos verlaufen. Die Diagnose erfolgt durch die Sonographie. Häufigste Ursache einer Blasenentleerungsstörung beim Mann. Sym: Stadium I (Miktionsbeschwerden): Abgeschwächter und verdünnter Strahl (geht nur bis zur Schuhspitze Harnentleerung erfolgt erst nach längerem Warten Vollständige Harnentleerung nur durch Einsetzen der Bauchmuskulatur Nykturie (nächtliches Wasserlassen) Unterbrechung des Harnstrahls Stadium II: Restharnbildung durch Hypertrophie der Blasenmuskulatur, die nicht mehr vollständig kontraktionsfähig ist Evtl. Bildung von Blasensteinen oder Zystitis durch Restharn Pollakisurie Stadium III: Totaler Harnverhalt (Anurie) Schmerzen fortschreitende Niereninsuffizienz, Entwicklung einer Hydronephrose (Harnstauungsniere) Geschlechtsorgane Pathologie 375 Prostatakarzinom Def: Bösartige Entartung der Drüsenzellen der Prostata. Pat: Dritthäufigste Krebsart des Mannes, meist nach dem 60. Lebensjahr. Eine Früherkennung ist nur durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen möglich: Palpation der Prostata ab dem 45. Lebensjahr und Bestimmung von PSA (prostataspezifisches Antigen, Tumormarker). Sym: Symptomatik erst im fortgeschrittenen Stadium. Blasenentleerungsstörungen evtl. Blut im Urin evtl. Schmerzen beim Stuhlgang (Blutungen möglich) B-Symptome: Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß, Fieber evtl. Kreuzschmerzen bei Metastasierung in die unteren Lendenwirbel Kreuzschmerzen bzw. Ischialgien älterer Männer ist abzuklären. Kom: Metastasierung erfolgt gerne in das Skelett, Leber und Lunge. Nebenhodenentzündung (Epididymitis) Def: Entzündung des Nebenhodens. Urs: Entsteht in der Regel durch aufsteigende Infektion (z.B. Chlamydien, Gonokokken) aus Prostata oder Harnröhre. Sym: sind nicht immer deutlich von denen einer Hodenentzündung zu unterscheiden Schmerzen und Ziehen im Bereich der Hoden Nebenhoden sind bei der Palpation deutlich geschwollen und hart Evtl. Rötung des Hodensacks Hochlagerung des Hodens führt zur Schmerzlinderung (positives PrehnZeichen) Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl Kom: Übergreifen der Entzündung auf den Hoden (Orchitis) mit Entstehung einer Sterilität. Hodenentzündung (Orchitis) Def: Entzündung eines oder beider Hoden. Urs: Meist durch Viren durch hämatogene Erregerausbreitung (Mumpsorchitis) oder als Folge von anderen Infektionskrankheiten (z.B. Gonorrhoe, Tbc) Durch Übergreifen einer Nebenhodenentzündung (Epididymitis). Sym: Schmerzhafte Schwellung des Hodens mit Ausstrahlung in Leisten und Rücken Stark gerötete Hodenhaut Hohes Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl Kom: Zeugungsunfähigkeit (wenn beide Hoden betroffen sind) Hodentorsion © Arpana Tjard Holler (Autor) 376 Geschlechtsorgane Pathologie Def: Urs: Sym: Drehung von Hoden und Samenstrang um die eigene Achse mit der Gefahr auf Abschnürung der Hodengefäße und infolge dessen Nekrose- und Gangränbildung. Ist auch beidseitig möglich. idiopathisch, Auftreten v.a. bei Kindern und Jugendlichen plötzliche Hodenschmerzen mit Ausstrahlung in Leist und Unterbauch Schwellung und Rötung des Hodensacks, druckdolent evtl. einseitiger Hodenhochstand Bei Hochlagerung der Hoden Zunahme der Beschwerden (negatives PrehnZeichen) evtl. vegetative Symptome, z.B. Tachykardie, Übelkeit, Erbrechen kann auch nur leicht schmerzhaft oder schmerzlos verlaufen Kremasterreflex kann fehlen Varikozele / Hydrozele / Spermatozele Varikozele (Krampfaderbruch) Def: Krampfadergeflecht im Bereich des Hodensacks. Venöse Stauung der Venen im Bereich des Rankengeflechts (Plexus pampiniformis). Urs: Idiopathisch, tritt v.a. bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf (15-25 J.), häufig links (80% der Fälle). Venen (Rankengeflecht) und Arterien (Rankenkonvolut) sind im Samenstrang stark aufgeknäult und können in einigen Fällen zu Abflussstörungen des Blutes führen. Infolge eines linken Nierentumors (Kompression der V. testicularis sinister). Sym: Meist keine Beschwerden; erst bei ausgeprägte Varizen Schmerzen, Ziehen, Spannungsgefühl v.a. beim Stehen und Gehen Kann wegen Überwärmung des Hodens zur Sterilität führen Hinlegen führt zur Abnahme der Venenfüllung Beim Nierenkarzinom führt Hinlegen nicht zur Abnahme der Venenfüllung Hydrozele /Wasserbruch) Def: Flüssigkeitsansammlung im Hodensack. Urs: Idiopathisch (angeboren und erworben) Infolge von Hodenerkrankungen, z.B. Orchitis, Epididymitis, Hodentumoren, Hodentraumen Sym: einseitig geschwollener Hoden (wird häufig verwechselt mit einem bösartigen Hodentumor) meist keine Beschwerden; erst bei zunehmender Flüssigkeitsansammlung Druck- und Spannungsgefühl Differenzialdiagnose zum bösartigen Hodentumor: Durchleuchtung des Hodens von hinten bei abgedunkeltem Zimmer (Diaphanoskopie), bei klarer Flüssigkeit schimmert das Licht rötlich hindurch Spermatozele Def: Zyste im Bereich des Nebenhodens, die mit Spermien oder einer spermienartigen Substanz gefüllt sind. Von außen gut palpierbar. Können beträchtliche Größe annehmen („dritter Hoden“). Tritt im Alter häufiger auf. Ist in der Regel schmerzlos. Urs: Angeboren, idiopathisch, Epididymitis, Hodentrauma Geschlechtsorgane Pathologie © Arpana Tjard Holler (Autor) 377 378 Geschlechtsorgane Pathologie Hodenretention (Hodenhochstand) Syn: Maldescensus, Kryptorchismus Def: Ausbleiben bzw. Verspätung der Hodenwanderung durch den Leistenkanal. Unterscheidung: Physiologischer Hodenhochstand. Findet sich bei ca. 3-5% aller Neugeborenen und verschwindet nach einigen Monaten. Pendelhoden (Wanderhoden) Bezeichnung für einen Zustand, bei dem der Hoden durch die Kontraktion des Musculus cremaster (Hodenheber) in den Leistenkanal gedrückt wird. Nach Entspannung des Muskels gleitet der Hoden von selbst in den Hodensack zurück. Gilt nicht als behandlungsbedürftig. Gleithoden Ein Hodenhochstand, bei dem der Hoden aus dem Leistenkanal herausgezogen werden kann, sich jedoch beim Loslassen sofort wieder zurückzieht. Leistenhoden (Inguinalhoden) Ein Hodenhochstand nach dem 2. Lebensjahr, bei dem sich der Hoden im Leisten-kanal befindet, von außen zu erfühlen ist, sich jedoch durch Manipulation nicht in den Hodensack schieben lässt. Bauchhoden (Abdominalhoden) Der Hoden bleibt im Bauchraum, die Hodenwanderung bleibt aus. Bei Nichtbehandlung besteht die Gefahr auf Atrophie des Hodens. Ektoper Hoden (Hodenektopie) Der Hoden wandert an eine andere Stelle als ursprünglich vorgesehen, z.B. in den Oberschenkel oder in den Penis. Kom: Maligne Entartung, Zeugungsunfähigkeit The: Hormonelle Behandlung erst nach 6 Monaten, operative Behandlung nach 1 Jahr. Phimose Def: Angeborene oder erworbene Verengung der Vorhaut der Eichel. Bis zum dritten Lebensjahr ist die Phimose physiologisch und muss nicht behandelt werden. Kom: Phimose gilt als begünstigend für die Entstehung eines Peniskarzinoms. Entstehung einer Paraphimose (sog. spanischer Kragen): Strangulierende Schwellung der hinter die Glans penis (Eichel) zurückgezogenen Vorhaut, die nicht mehr über die Glans nach vorne geschoben werden kann mit Gefahr auf Entzündung, Ulzeration und Nekrose. Geschlechtsorgane Pathologie 379 Differentialdiagnose Erektionsstörung (erektile Dysfunktion) Def: Fehlende Versteifung des Gliedes obwohl der Wunsch zum Geschlechtsverkehr besteht. Urs: Psychisch Durch Medikamenteneinnahme (z.B. Psychopharmaka, Antiepileptika, Lipidsenker, NSAR, Diuretika) Im Rahmen von organischen Erkrankungen (15-20% d.F.): Alkoholkrankheit und Drogenkonsum, Nikotinabusus Hypertonie, Arteriosklerose Diabetes mellitus Hyperthyreose, Hypothyreose Morbus Parkinson, Multiple Sklerose medialer Bandscheibenvorfall Polyneuropathie Schlafapnoesyndrom schweres Organversagen (z.B. Herz- oder Niereninsuffizienz) endogene Depression Gynäkomastie Def: Weibliche Brustentwicklung beim Mann. Unterschieden wird die echte Gynäkomastie, die durch hormonelle Störungen entsteht von der unechten Gynäkomastie, die durch vermehrte Fettablagerungen in der männlichen Brust entsteht (Lipomastie). Urs: Primär Neugeborenengynäkomastie (Östrogene der Mutter) Pubertätsgynäkomastie, v.a. adipöse Jungen sind betroffen (Ungleichgewicht zwischen Östrogenen und Androgenen) Altersgynäkomastie (Umwandlung von Androgenen in Östrogene) Sekundär Leberzirrhose Folge von medikamentöser Therapie (z.B. Herzglykoside, Nifedipin, Psychopharmaka, Antiandrogene) Morbus Basedow Hodentumore Hypophysenadenom Hodenschwellung Urs: Orchitis (Hodenentzündung) Epididymitis (Nebenhodenentzündung) Orchitis (Hodenentzündung) Hodentorsion Hodentumor Varikozele Spermatozele Hydrozele Leistenhernie © Arpana Tjard Holler (Autor) 380 Geschlechtsorgane Pathologie Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane Störungen im Geschlechtszyklus (Begriffserklärung) Amenorrhoe Hypomenorrhoe Dysmenorrhoe Menorrhagie Hypermenorrhoe Metrorrhagie = = = = = = Ausbleiben der Menstruation geringe Menstruationsblutung schmerzhafte Menstruation verlängerte Menstruation verstärkte Regelblutung bei normaler Dauer Zwischenblutungen (muss immer untersucht werden!) Entzündung von Eileiter und Eierstock (Adnexitis) Def: Gleichzeitige Entzündung von Eileiter und Eierstock. Urs: Meist durch aufsteigende Infektionen aus der Scheide oder Gebärmutter. Häufige Erreger: Chlamydien, Gonokokken, Mykoplasmen, Escherichia coli, Streptokokken, Staphylococcus aureus. Seltener durch hämatogene oder lymphatogene Verbreitung. Pat: In der Regel entzünden sich die Eileiter und Eierstöcke gleichzeitig. Ist nur der Eileiter entzündet: Salpingitis. Ist nur der Eierstock entzündet: Oophoritis. Es werden akute und chronische Entzündungszustände unterschieden. Die Erkrankung beginnt meist während der Menstruation. Sym: Einseitige Schmerzen im Unterbauch, die bis in die Leistengegend oder den Rücken ausstrahlen. evtl. ziehende Schmerzen bis in die Oberschenkel und Knie Fieber, Entzündungszeichen (Leukozytose, BSG ) verstärkte Regelblutung (Hypermenorrhoe) Ausfluss (Fluor) schmerzhafte Palpation im rechten bzw. linken Unterbauch evtl. umschriebene Abwehrspannung Kom: Sterilität durch fibrinöse Verklebungen im Eierstock. Akutes Abdomen durch Perforation. Gefahr der Eileiterschwangerschaft bei Narbenbildung in den Tuben. Bildung von Zysten in den Eierstöcken einseitige, ziehende, diffuse Unterbauchschmerzen Extrauteringravidität Def: Schwangerschaft außerhalb der Gebärmutter. Urs: Verklebungen bzw. Vernarbungen von abgelaufenen Entzündungen, ansonsten Unbekannt. Pat: Eileiterschwangerschaft (Tubargravidität), ca. 95% d.F. Bauchhöhlenschwangerschaft Sym: Ausbleiben der Menstruation mit positivem Schwangerschaftstest Blutungen können auftreten Symptomatik bzw. Schmerzen nach ca. 6 Wochen nach Ausbleiben der Regel einseitiger wehenartiger Schmerz im Unterleib Geschlechtsorgane Pathologie 381 Akutes Abdomen durch Platzen des Eileiters mit Ausstrahlung der Schmerzen in den Oberbauch und in die linke Schulter (sog. Kehrzeichen) Endometritis Def: Akute bzw. chronische Entzündung der Gebärmutterschleimhaut. Urs: Meist aufsteigende Infektion aus der Scheide. Begünstigende Faktoren können sein: Menstruationsblutung, Geburt, Fehlgeburt, operativer Eingriff, Spirale. Sym: Akute Entzündung Schmerzen und Blutungen außerhalb der Regel verlängerte Regelblutung Entzündungszeichen (Fieber, BSG und CRP erhöht, Leukozytose) Chronische Entzündung Wenig Symptome, keine Entzündungszeichen Hypomenorrhö bzw. Amenorrhö Kom: Adnexitis (Entzündung von Eileiter und Eierstock) Endometriose Def: Gebärmutterschleimhautinseln, die sich außerhalb der Schleimhautschicht der Gebärmutter angesiedelt haben. Urs: Idiopathisch, ca. 10% der Frauen im gebärfähigen Alter sind betroffen. Pat: Endometriosis genitalis interna (45%) Lokalisation in der Gebärmuttermuskulatur oder in den Eileitern mit direkter Verbindung zum Endometrium. Endometriosis genitalis externa (5%) Lokalisation in den Eierstöcken, Eileitern und der Vagina ohne direkte Verbindung. Endometriosis extragenitalis (55%) Lokalisation außerhalb der Genitale, z.B. in Bauchhöhle, Bauchdecke, Blase, Darm oder sogar Lunge Versprengte Schleimhautinseln unterliegen dem gleichen Zyklus wie die normale Gebärmutterschleimhaut. Die Erkrankung kommt in den Wechseljahren zur Ruhe. Sym: Krampfartige Schmerzen meist 1-2 Tage vor der eigentlichen Regel beginnend evtl. auch Dauerschmerzen evtl. Blutung verstärkt oder verlängert evtl. Sterilität durch Verlegung in den Eileiter (mitunter das einzige Symptom) evtl. asymptomatisch evtl. ungewöhnliche Beschwerden: blutiger Schnupfen, blutiger Husten, blutige Stühle, blutiger Urin Kom: Zystenbildung (z.B. zystische Auftreibung des Eierstocks), Schokoladenzyste Eileiterschwangerschaft infolge von Verwachsungen im Eileiter © Arpana Tjard Holler (Autor) 382 Geschlechtsorgane Pathologie Gebärmutterkarzinom (Uteruskarzinom) Def: Entartung der Gebärmutterschleimhaut im Gebärmutterkörper (Korpuskarzinom) und im Gebärmutterhals (Zervixkarzinom). Zweithäufigster bösartiger Tumor bei Frauen. Urs: Korpuskarzinom (Endometriumkarzinom): Diskutiert wird ein Mangel an Gestagen (Progesteron), da oft Frauen nach der Menopause betroffen sind. Langjährige erhöhte Östrogenkonzentration erhöht das Risiko. Die Erkrankungen des metabolischen Syndroms (Adipositas, Hypertonie und Glukoseintoleranz) erhöhen ebenfalls das Tumorrisiko. Zervixkarzinom (junge Frauen): Als begünstigende Faktoren gelten humane Papillomviren, Smegma (talghaltigen Absonderungen der männlichen Vorhautdrüsen), Rauchen. Früherkennung erfolgt durch den PAP-Test. Sym: Blutungen außerhalb der Menstruation, oder nach der Menopause verlängerte Menstruation (Menorrhagie) evtl. wehenartige Schmerzen Kontaktblutungen fleischwasserfarbener Ausfluss bei Einbruch in die Blase: Hämaturie bei Einbruch in den Mastdarm: okkultes Blut im Stuhl Kom: Urämie (chronische Niereninsuffizienz) durch Metastasenbildung; häufigste Todesursache The: Abrasio (Ausschabung) Hysterektomie (operative Entfernung der Gebärmutter) Gebärmuttermyom (Uterusmyom) Def: Gutartiger Tumor, welcher von der glatten Muskulatur der Gebärmutter ausgeht und am häufigsten im Corpus uteri (Korpusmyom) lokalisiert ist. Path: Myome ohne Beschwerden bedürfen keiner Behandlung. Eine maligne Entartung ist selten (in 0,1 % d. Fälle). In der Regel entstehen nach der Menopause keine neuen Myome. Myome können einzeln erscheinen, aber oft treten mehrere Myome gleichzeitig auf (Uterus myomatosus). Urs: Idiopathisch. Östrogene beeinflussen das Wachstum der Gebärmuttermyome. Pat: Unterschieden werden drei Arten: Submuköse Myome, welche von der Muskelschicht direkt unter der Gebärmutterschleimhaut ausgehen und meist für verstärkte Regelblutung, Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit verantwortlich sind. Intramurale Myome, welche am häufigsten vorkommen und sich innerhalb der Gebärmutterwand entwickeln. Subseröse Myome, welche sich von den äußeren Muskelschichten direkt unter dem Perimetrium aus entwickeln. Sym: 75% der Frauen haben keine Beschwerden und müssen nicht behandelt werden Regelblutungen können verstärkt, verlängert, schmerzhaft und azyklisch sein Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten Geschlechtsorgane Pathologie 383 Druckgefühl bzw. Schmerzen im Unterbauch Verstopfungen bzw. Blähungen bei Druck auf den Darm Pollakisurie bzw. Harninkontinenz bei Druck auf die Blase Vergrößerter Bauchumfang Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs) Def: Bösartiger Tumor des Eierstockes. Jährlich erkranken in Deutschland ca. 10000 Frauen. Bevorzugt sind ältere Frauen betroffen, jedoch erkranken auch jüngere Frauen. Urs: Begünstigende Faktoren: Familiäre Häufung Frauen, die keine Kinder oder erst spät bekommen haben (Nullipari) Protektive (schützende) Faktoren: Einnahme oraler Kontrazeptiva („Pille“) Häufige Schwangerschaften Sym: sind sehr unspezifisch genitale Blutungen gastrointestinale Beschwerden Harnabflussstörungen als harter Tumor im rechten bzw. linken Oberbauch zu fühlen (Hose bzw. Rock passt nicht mehr) „B-Symptome“ (Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, Nachtschweiß, Fieber, Leistungsmangel) Aszites (häufig als erstes Symptom) Metastasenbildung ins Bauchfell (Peritonealkarzinose) Gebärmuttersenkung (Uterusprolaps, Descensus uteri) Def: Absenken der Gebärmutter aus der normalen Lage. Urs: Erschlaffung des muskulösen Beckenbodens und des Bänderapparates der Gebärmutter (breites und rundes Mutterband). Begünstigende Faktoren: Mehrere (schwere) Geburten Körperlich anstrengende (stehende) Tätigkeiten andauernde intraabdominale Druckerhöhung, wie z.B. Obstipation, chronischer Husten, Adipositas Sym: Druck- und Zuggefühl, v.a. im Stehen und beim Pressen evtl. ausstrahlende Schmerzen in den Rücken Beschwerden beim Wasserlassen, z.B. Pollakisurie, Harninkontinenz, Harnverhalt, Harnwegsinfektionen Beschwerden bei der Stuhlentleerung, z.B. Obstipation Symptome verschlimmern sich beim Husten, Lachen oder körperlicher Anstrengung © Arpana Tjard Holler (Autor) 384 Geschlechtsorgane Pathologie Mammakarzinom (Brustkrebs) Def: Bösartiger Tumor der weiblichen, in seltenen Fällen auch der männlichen Brustdrüsen (sehr bösartig). Häufigster bösartiger Tumor der Frau. Urs: Begünstigende Faktoren: Familiäre Häufung (genetische Disposition) Einnahme oraler Kontrazeptiva („Pille“) Frauen, die keine Kinder bekommen haben (Nullipara) oder nur kurz gestillt haben Frauen mit früher Menarche (erste Regelblutung) und später Menopause Nikotin, Schmerzmitteleinnahme, fettreiches Essen, Alkoholgenuss Frauen, die früh Kinder bekommen und lange stillen, haben ein niedrigeres Risiko. Pat: Eine Metastasierung erfolgt häufig in die regionalen Lymphknoten, Wirbelsäule, Becken, Leber und Lunge. Sym: Leitsymptom: meist schmerzloser, derber, nicht verschieblicher, mit der Haut verwachsener Knoten. In 50-60 % der Krebserkrankungen entsteht der Tumor im oberen äußeren Quadranten. The: Nässende Brustwarze, evtl. schmerzend oder juckend Einziehung der Brustwarze Einziehungen der Haut Lokales Lymphödem Orangenhautphänomen (Grobporigkeit der Haut infolge eines Ödems) Offene Ulzerationen Axillare nicht verschiebliche Lymphknotenvergrößerung Jackson-Test positiv: Eine knotige Verdickung der Mamma wird vorsichtig mit zwei Fingern zusammengedrückt. Handelt es sich um einen bösartigen Tumor, der im Gegensatz zum gutartigen Tumor in die Umgebung hineinwächst, dann wölbt sich die Brust bei dieser Palpation nicht nach außen, sondern es kommt entweder zur Einziehung oder der Tumor verhält sich eben. Zur Verlaufskontrolle wird der Tumormarker CA 15-3 benutzt! Wichtige Infektionskrankheiten der Geschlechtsorgane Gonorrhoe (Tripper) Definition: Eine häufige, durch Geschlechtsverkehr übertragbare Geschlechtskrankheit, die eine Schleimhautentzündung der Harnröhre verursacht. Behandlungsverbot gemäß IFSG §24 Erreger: Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken) Infekt.quelle: Meist Geschlechtsverkehr, seltener infektiöses Material Inkubat.zeit: Wenige Tage Geschlechtsorgane Pathologie Verlauf: 385 Beim Mann: Symptome einer Urethritis Schmerzhaftes Wasserlassen Jucken und Brennen in der Harnröhre Eitriger Ausfluss, besonders morgens ( „Bonjour-Tröpfchen“) evtl. Schwellung und Rötung der Harnröhrenmündung Balanitis (Entzündung der Eichel) Nach ca. 2 Wochen kann die Entzündung auf die Prostata und evtl. die Nebenhoden übergreifen (Gefahr der Sterilität). Bei der Frau: Häufig symptomarmer Verlauf, mit der Gefahr, dass die Gonorrhoe lange Zeit unbemerkt verläuft und Komplikationen verursacht. Geringer schleimig-eitriger Ausfluss (am Anfang meist nur Urethritis und keine Vulvovaginitis) Brennen in der Harnröhre Übergreifen der Entzündung auf die Blasenschleimhaut, das Endometrium, die Eileiter oder die Eierstöcke (Gefahr der Sterilität). Entzündung der Bartholini-Drüse Immunität: Keine Kom: Arthritis eines einzigen Gelenks (Monarthritis gonorrhoica), meist das Kniegelenk (seltener Polyarthritis) Augenentzündungen Myokarditis, Endokarditis Gonokokkensepsis Ausbildung der Reiter-Krankheit (Morbus Reiter mit Trias: KAU) Konjunktivitis (can`t see) Urethritis (can`t pee) Arthritis, meist Monarthritis (can`t climb a tree) Durch die Geburt übertragen: Gonoblennorrhoe (eitrige Bindehauthautentzündung beim Säugling) Syphilis (Lues) (siehe unter Infektionslehre Kapitel N.5.2.49) Genitale Chlamydieninfektion Definition: Eine weltweit häufig durch Chlamydien verursachte Infektion des Genitaltraktes. Behandlungsverbot gemäß IFSG §24 Erreger: Chlamydia trachomatis Infekt.quelle: Meist Geschlechtsverkehr, seltener durch z.B. Whirlpools. Inkubat.zeit: Wenige Tage Symptome: Bei der Frau In den meisten Fällen asymptomatisch (80%) Urethritis, Endometritis, Adnexitis, Entzündung der BartholiniDrüse Vaginaler (nicht riechender) Ausfluss © Arpana Tjard Holler (Autor) 386 Geschlechtsorgane Pathologie Komplikation: Sterilität, Eileiterschwangerschaft, Frühgeburten bei Schwangeren, Reiter-Krankheit Beim Mann Urethritis, Prostatitis, Epididymitis (Nebenhodenentzündung) Komplikation: Sterilität, Reiter-Krankheit Komplik.: Unfruchtbarkeit durch Verklebungen im Eileiter Extrauteringravidität Infektion von Neugeborenen mit Konjunktivitis und Pneumonie Therapie: Antibiotika Sinnesorgane L. 387 Sinnesorgane Anatomie und Physiologie Sinnesorgane Sehapparat............................................................................................................................................. 388 Hörapparat / Ohr mit Hör- und Gleichgewichtssinn ........................................................................... 392 © Arpana Tjard Holler (Autor) 388 Sinnesorgane Sehapparat Der Schutzapparat Besteht aus Ober- und Unterlid, Augenbrauen, Wimpern und Augenbindehaut. Ober- und Unterlid (Palpebrae) An der oberen und unteren Begrenzung der knöchernen Augenhöhle befindliche, schalenförmige, sehnige Bindegewebsplatten. Sind von innen mit der Augenbindehaut (Konjunktiva) ausgekleidet und so mit dem Augapfel verbunden. Talgdrüsen Meibom-Drüsen befinden sich auf der Innenseite der Lider mit Mündung auf dem Lidrand. Sie produzieren ein fettiges Sekret, welches sich der Tränenflüssigkeit wie ein Ölfilm auflegt. Verstopfung führt zum Hagelkorn (Chalazion), in der Regel schmerzlos. Merkspruch: Im Mai der Hagel. Zeiss-Drüsen sind Haartalgdrüsen der Wimpern. Entzündung führt zum schmerzhaften Gerstenkorn (Hordeolum). Ursache: Bakterielle Infektion. Lidmuskeln: Der Augenringmuskel (Musculus orbicularis oculi) schließt das Auge. Der obere Augenlidheber (Musculus levator palpebrae) hält das Augenlid beim Sehen nach oben. Der Müller-Muskel besteht aus glatter Muskulatur (sympathisch innerviert), befindet sich am Rand der Lidknorpelplatten und hält die Lidspalte unwillkürlich auf. Ptosis ist ein Herabhängen des oberen Augenlides mit Beeinträchtigung des Blickwinkels. Im Alter entsteht dies häufig durch Bindegewebsschwäche. Es kann jedoch auch durch Verletzungen verursacht werden. Lagophthalmus ist das Gegenteil, ein fehlender Lidschluss. Er entsteht i.d.R. bei Fazialisparese im Rahmen eines Gehirnschlags. Die Augenlider dienen zum einen als Schutz vor Schmutz, Verletzungen und Licht, zum anderen als Verteiler der Tränenflüssigkeit mit jedem Lidschlag. Die Hornhaut muss ständig gleichmäßig feucht gehalten werden, um optimal durchsichtig zu sein. Augenbindehaut (Tunica conjunctiva) Eine durchsichtige Schleimhaut, welche am Augapfel die Lederhaut bis zum Übergang der Hornhaut bedeckt und dann oben und unten auf die Innenseite der Augenlider umschlägt. Sie dient als Gleitschicht für die Bewegungen des Augapfels verhindert das Eindringen von Substanzen in den retrobulbären Raum. Eine Bindehautwucherung unklarer Ursache wird als Pterygium (Flügelfell) bezeichnet. Bewegungsapparat (Augenmuskeln) Unterschieden werden 4 gerade und 2 schräge Augenmuskeln, die durch den III., IV. und VI. Hirnnerv innerviert werden. Oberer gerader Augenmuskel (Musculus rectus superior) Auge bewegt sich nach oben Unterer gerader Augenmuskel (Musculus rectus inferior) Auge bewegt sich nach unten Äußerer gerader Augenmuskel (Musculus rectus lateralis) Auge bewegt sich Richtung Schläfe Sinnesorgane 389 Innerer gerader Augenmuskel (Musculus rectus medialis) Auge bewegt sich Richtung Nase Oberer schräger Augenmuskel (Musculus obliquus superior) Auge bewegt sich in Außenrotation Unterer schräger Augenmuskel (Musculus obliquus inferior) Auge bewegt sich in Innenrotation Als Ursprung aller Augenmuskeln dient eine ringförmige Sehnenplatte am hintersten Punkt der Augenhöhle, Ansatz ist der Augapfel. Tränenapparat Die Tränendrüse (Glandula lacrimalis) ist etwa mandelgross und an der seitlichen und oberen Augenhöhlenwand lokalisiert. Die Tränenflüssigkeit ist ein dünnflüssiges, eiweißarmes Sekret. Sie wird beim Blinzeln zur Reinigung und Benetzung gleichmäßig über die Bindehaut und Hornhaut verteilt und enthält u.a. Lysozyme, Vitamin C und Immunglobuline der Klasse A (IgA). Vom Tränensee im inneren Augenwinkel wird die Flüssigkeit von den Tränenpünktchen am Lidrand angesaugt und über die Tränenkanälchen zum Tränensack und von dort über den Tränen-Nasengang (Ductus nasolacrimalis) in den unteren Nasengang der Nasenhöhle abgeleitet. Augapfel (Bulbus oculi) Lage des Augapfels Der Augapfel befindet sich in der Augenhöhle (Orbita), diese wird von folgenden Knochen gebildet: Os frontale (Stirnbein), Os zygomaticum (Jochbein), Maxilla (Oberkiefer), Os lacrimale (Tränenbein), Os sphenoidale (Keilbein) und Os ethmoidale (Siebbein). Die Augenhöhle ist mit Baufett ausgelegt, um dem Augapfel Schutz vor Stößen zu ermöglichen und ihm eine gute Beweglichkeit zu geben. Der Augapfel hat nahezu eine Kugelform mit einem Durchmesser von ca. 2,5 cm. Im Rahmen einer Magersucht (Anorexia nervosa) oder im Endzustand chronischer Erkrankungen wird das Baufett abgebaut und führt zu tiefliegenden Augen. Augenhäute Um den Augapfel herum befinden sich drei Augenhäute. Von außen nach innen: Netzhaut Aderhaut Lederhaut Lederhaut Die äußere Augenhaut besteht aus der weißen Lederhaut (Sklera) und dient der äußeren Abgrenzung des Augapfels. Sie besteht aus derbem, kollagenem Bindegewebe und übt daher eine Zugkraft am Ziliarkörper aus. Sie ist schmerzhaft innerviert. Auf der Vorderseite des Augapfels, dort wo die Lichtstrahlen in das Auge eindringen, geht sie in die durchsichtige Hornhaut (Kornea) über. Sie enthält keine Gefäße und wird durch Diffusion im Wesentlichen durch die Kammerflüssigkeit ernährt. Sie hat Schutzfunktion und dient der Transparenz und der Lichtbrechung. Sie besteht aus 3 Schichten, außen mehrschichtiges unverhorntes Plattenepithel, in der Mitte Bindegewebszellen mit kollagenen Fasern und innen Endothelzellen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 390 Sinnesorgane Nach hinten, dort wo der Sehnerv die Augenhöhle verlässt, geht sie in die Dura mater (harte Hirnhaut) über. Aderhaut Die mittlere Augenhaut besteht aus Aderhaut, Ziliarkörper und Regenbogenhaut. Aderhaut (Choroidea): Sie entsteht am Sehnervenaustritt aus der Arachnoidea und der Pia mater (weiche Hirnhaut) und liegt als gefäß- und pigmentreiche Schicht der Lederhaut innen an. Ihre Aufgabe liegt in der Blutversorgung v.a. der Netzhaut und in der Absorption der Lichtstrahlen. Ziliarkörper (Corpus ciliare): Der Ziliarkörper ist eine Verdickung der Aderhaut im vorderen Teil. Er wölbt sich in die hintere Augenkammer hinein und besteht aus Ziliarmuskel und Ziliardrüse. Die Ziliardrüse produziert das Kammerwasser. Es wird in die hintere Augenkammer abgegeben und dient der Ernährung von Linse und Hornhaut. Es fließt über die Pupille in die vordere Augenkammer und im Kammerwinkel über den Schlemm-Kanal in das venöse System ab. Durch das Gleichgewicht von Bildung und Abfluss des Kammerwassers wird der Augeninnendruck bestimmt. Der normale Augeninnendruck beträgt 14-20 mmHg. Der Ziliarmuskel ist ein im Ziliarkörper befindlicher Ringmuskel, welcher über Zonulafasern (Aufhängefasern) auf die Linse einwirkt. Durch Veränderung des Krümmungszustandes der Linse wird die optische Brechkraft (Scharfeinstellung des Auges) ermöglicht. Regenbogenhaut (Iris): Als vorderster Teil der Aderhaut trennt die Iris die hintere und vordere Augenkammer voneinander. Sie liegt vorne der Linse auf und besitzt neben der starken Pigmentierung zwei vegetativ gesteuerte Muskeln, die den Lichteinfall des Auges steuern: Musculus sphincter pupillae: Als Ringmuskel bewirkt er die Pupillenverengung (Miosis) und wird daher vom Parasympathikus innerviert (III. Hirnnerv). Musculus dilatator (auch: dilator) pupillae: Dieser vom Sympathikus innervierte Muskel mit strahlenförmig angeordneten Muskelfasern bewirkt die Pupillenerweiterung (Mydriasis) Netzhaut Die innere Augenhaut ist die Netzhaut (Retina). Sie besteht aus Sinnes-, Nerven- und Stützzellen. Bei den Sinneszellen unterscheidet man Stäbchen und Zapfen. Die Stäbchen sind für das Dämmerungssehen (Schwarzweiß-Sehen) zuständig, während die Zapfen das Farbensehen vermitteln. Die Stäbchen benötigen Vitamin A, ein Mangel führt zu Nachtblindheit. Die lichtaufnehmenden Sinneszellen in der Netzhaut enthalten Sehfarbstoffe (Rhodopsin), die sich bei Lichteinfall chemisch verändern und damit ein Aktionspotential, sprich: einen Nervenimpuls, auslösen. Dieser wird über den Sehnerv zum Gehirn geleitet. Augenhintergrund (Augenfundus): Der Augenfundus ist der hintere Pol des Auges an der Netzhaut. Dieser lässt sich mittels eines Ophthalmoskops (Augenspiegel) untersuchen. Der blinde Fleck. Lateinisch Papilla nervi optici (Kurzname Papille bzw. Sehnervenpapille) oder Discus nervi optici (verdeutscht: Sehnervenscheibe). Hier tritt der Sehnerv aus der Netzhaut aus und hier befinden sich auch die einund austretenden Blutgefäße. Sinnesorgane 391 Der gelbe Fleck (Macula lutea). Befindet sich 3-4 mm vom blinden Fleck in Richtung der Schläfen. Er besteht aus einer leichten Vertiefung (Fovea centralis) in der Netzhaut, an der sich ausschließlich Zapfen befinden. Stellt den Ort des schärfsten Sehens dar. Die Untersuchung des Augenhintergrunds ist wichtig bei Patienten mit Diabetes mellitus, Hypertonie, Arteriosklerose und intrakranialer (innerhalb der Schädels) Druckerhöhung (Stauungspapille). Linse (Lens) Ein von einer elastischen Kapsel umgebener, durchsichtiger Körper. Befindet sich im Augeninneren vor dem Glaskörper und zwischen der Iris. Die Augenlinse ist durch den Aufhängeapparat (Zonulafasern) mit dem Ziliarkörper verbunden. Sie dient der Nah- und Ferneinstellung des Auges (Akkommodation). Glaskörper (Corpus vitreum) Ein im Augeninneren liegender, durchsichtiger Körper, welcher zwischen Linse Netzhaut liegt und den größten Teil des Augapfels ausfüllt. Er besteht aus einem gallertigen Material, welcher aus 98% Wasser mit eingelagerten Fibrillen besteht und sich bei Druck extrem verformen kann. Der Glaskörper hat die Aufgabe Druck von außen standzuhalten, außerdem drückt er die Netzhaut gegen die Aderhaut. Bei Erkrankung des Glaskörpers (z.B. Schwund) kann eine Netzhautablösung (Ablatio retinae) entstehen. Akkommodation des Auges Darunter wird die Anpassungsfähigkeit des Auges zur Scharfeinstellung eines Bildes verstanden. Um einen nahen oder weit entfernten Gegenstand scharf wahrzunehmen, muss sich die Brechkraft der Linse verändern, das heißt, der Linsendurchmesser verändert sich. Fernakkommodation Ringförmiger Ziliarmuskel entspannt sich. Dadurch kann der Zug der Lederhaut die Zonulafasern anspannen. Linse wird flacher gezogen, dadurch wird die Brechkraft geringer. Weit gelegene Objekte werden scharf, Blick in die Ferne. Pupille erweitert sich. Lernspruch: „Beim Fernsehen vor dem Flachbildschirm entspannen die Muskeln“. Nahakkommodation Ringförmiger Ziliarmuskel ist angespannt. Dadurch wird der Zug der Lederhaut zu den Zonulafasern aufgehoben und die Zonulafasern entspannen sich. Linse wird aufgrund ihrer eigenen Elastizität mehr kugelförmig, dadurch wird die Brechkraft gesteigert. In der Nähe gelegene Objekte werden scharf, Blick in die Nähe. Pupille verengt sich. Konvergenzreaktion: Konvergenz ist die beidseitige und synchrone Augenbewegung nach innen zur Erkennung eines Gegenstandes nahe vor dem Auge mit schneller Verengung beider Pupillen (Miosis). © Arpana Tjard Holler (Autor) 392 Sinnesorgane Hörapparat / Ohr mit Hör- und Gleichgewichtssinn Das Ohr wird unterschieden in drei Abschnitte: Äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr. Gehörgang, Mittelohr und Innenohr befinden sich gut geschützt im Felsenbein (os petrosa), einem Teil des Schläfenbeins. Äußeres Ohr (Auris externa) Ohrmuschel (Concha auriculae): Trichterförmiger Teil, welcher aus elastischem Knorpel und gefäßreicher Haut besteht. Hat die Aufgabe, die ankommenden Schallwellen aufzufangen. Das knorpelfreie, aber sehr gefäßreiche Ohrläppchen wird häufig zur Entnahme von Kapillarblut benutzt. Gehörgang (Meatus acusticus): Er ist ca. 3-4 cm lang und besteht aus einem äußeren knorpeligen und einem inneren knöchernen Abschnitt. Seine Schleimhaut enthält Haare, Schweiß- und Talgdrüsen. Letztere produzieren das Ohrenschmalz (Cerumen), welches die Aufgabe hat, abgeschilferte Hautzellen, Haare und Fremdkörper einzuhüllen und nach außen zu transportieren. Aufgabe: Schallleitung, Schutz des empfindlichen Trommelfells. Das Trommelfell (Membrana tympani) trennt den äußeren Gehörgang vom Mittelohr. Es ist nach außen mit Haut, nach innen mit Schleimhaut überzogen, und überträgt die ankommenden Schallwellen auf die im Mittelohr befindlichen Gehörknöchelchen. Die Inspektion des Trommelfells durch die Otoskopie (Ohrenspiegelung) ergibt eine wichtige Beurteilung des Zustands im Mittelohr: Die normale Farbe ist weißlich grau, auch als perlmuttgrau beschrieben. Da der Hammer mit dem Trommelfell verwachsen ist, wird dieser von außen durchscheinend wahrgenommen. Bei Beleuchtung zeigt das gesunde Trommelfell einen dreieckigen Lichtreflex im vorderen unteren Quadranten (sog. Trommelfellreflex). Im gesunden Zustand ist das Trommelfell vollständig geschlossen. Normalerweise ist eine leichte Wölbung nach innen feststellbar. Das Trommelfell ist gut beweglich. Mittelohr (Auris media) Das Mittelohr besteht aus der mit Schleimhaut ausgekleideten Paukenhöhle und den darin befindlichen Gehörknöchelchen. Gehörknöchelchen in der Gelenkreihenfolge: Hammer (Malleus), Amboss (Incus) und Steigbügel (Stapes). Sie sind durch echte Gelenke miteinander verbunden und übertragen den Schall vom Mittelohr auf das Innenohr. Der Steigbügel ist an der Membran des ovalen Fensters befestigt. Ohrtrompete (Eustachische Röhre, Tuba auditiva): Sie ist eine für den Druckausgleich wichtige Verbindung zwischen Paukenhöhle und Nasenrachenraum und bietet so Schutz vor Zerreißen. Vor allem bei Kindern besteht die Gefahr auf Verschleppung von Keimen über die Ohrtrompete in das Mittelohr. Warzenfortsatzzellen (Cellulae mastoidae): Der knöcherne Warzenfortsatz (Processus mastoideus) beinhaltet ein mit Luft gefülltes Hohlraumsystem, welches Zugang zur Paukenhöhle hat. Entzündungen aus dem Mittelohr (Otitis media) können auf den Warzenfortsatz übergreifen. Von dort kann die Entzündung über den Knochen in das Gehirn einbrechen (Hirnabszess). Aufgabe: Schallleitung. Sinnesorgane 393 Innenohr (Auris interna) Das Innenohr, welches die Schnecke (Hörorgan) und die drei Bogengänge mit dem Vorhof (Gleichgewichtsorgan) beinhaltet, wird als Labyrinth bezeichnet. Es handelt sich um ein kompliziertes Hohlraumsystem im knöchernen Felsenbein. Knöchernes Labyrinth: Besteht aus den kleinen Knochenkanälen im Felsenbein, welche die Schnecke, Bogengänge und Vorhof bilden. Zwischen knöchernem und häutigem Labyrinth befindet sich die Perilymphe. Häutiges Labyrinth: Ein mit Endolymphe gefülltes Schlauchsystem innerhalb der Knochenkanäle, welches die eigentlichen Sinneszellen des Innenohrs enthält. Aufgabe: Schallempfindung und Gleichgewichtswahrnehmung. Schnecke (Cochlea) Ein mit 2 ½fachen Windungen geführter, mit Perilymphe gefüllter Knochenkanal, der durch eine Zwischenwand (Basilarmembran) in zwei Gänge unterteilt wird. Diese stehen an der Spitze der Schnecke miteinander in Verbindung. Die Vorhoftreppe (Scala vestibuli) beginnt an der Innenseite des ovalen Fensters und kehrt an der Schneckenspitze in die Paukentreppe (Scala tympani) um. Diese führt die Schnecke wieder hinunter bis zum runden Fenster. Der häutige Anteil der Schnecke liegt zwischen Vorhof- und Paukentreppe und wird durch die Reissner-Membran und die Basilarmembran gebildet. Dieser mit Endolymphe gefüllte, häutiger Schneckengang (Ductus cochlearis) enthält das eigentliche Hörorgan, das CortiOrgan. Es sitzt der Basilarmembran auf und besitzt Haarzellen (Hörsinneszellen), die den durch Schallschwingungen erzeugten elektrischen Impuls über den Hörnerv (Nervus cochlearis) zur Hörrinde weiterleiten. Der Hörvorgang Schallwellen werden über die Ohrmuschel aufgefangen und über den Gehörgang zum Trommelfell weitergeleitet. Das Trommelfell wird in Schwingungen versetzt. Dabei kann die Schallübertragung durch zwei Muskeln, den Trommelfellspanner (Musculus tensor tympani) und den Steigbügelmuskel (Musculus stapedius) beeinflusst werden. Vom Trommelfell zur Membran des ovalen Fensters wird der Schall über die Gehörknöchelchenkette Hammer, Amboss und Steigbügel übertragen. Durch die zunehmende Verkleinerung der Knöchelchen verstärken sich die Schwingungen bis auf das 20fache. Über das ovale Fenster wird die Perilymphe in Schwingungen versetzt. Sie verlaufen über die Vorhoftreppe bis zur Spitze der Schnecke und von dort über die Paukentreppe bis zum runden Fenster, wo die Schwingungen verebben. Die in der Schnecke befindlichen Schwingungen werden über die Reissner-Membran auf die Endolymphe des häutigen Schneckengangs übertragen. Dort werden die Sinneszellen des Corti-Organs erregt, welche die Erregung als Nervenimpuls über den Hörnerv weiterleiten. © Arpana Tjard Holler (Autor) 394 Sinnesorgane Gleichgewichtsorgan (Vestibularapparat) Das Gleichgewichtsorgan ermöglicht in Zusammenarbeit mit dem Auge und der Oberflächen- und Tiefensensibilität die Orientierung im Raum sowie die Wahrnehmung von Geschwindigkeitsänderungen. Es ist ausschlaggebend zur Aufrechterhaltung von Kopf und Körperhaltung. Drehsinnesorgan (Bogengänge): Drei Bogengänge stehen in drei Ebenen des Raumes im rechten Winkel zueinander. An einer erweiterten Stelle der Bogengänge befinden sich jeweils Sinneszellen, deren Härchen, eingehüllt in eine Gallertkuppel, in die Endolymphe der Bogengänge hineinragen. Bei Drehbewegungen des Kopfes kommt es zu Bewegungen der Sinneshärchen. Diese Scherbewegungen werden als Nervenimpuls über den Nervus vestibularis weitergeleitet. Aus insgesamt 6 Bogengängen kann das Gehirn die Richtung der Bewegung erkennen. Lagesinnesorgan (Statolithenapparat, Otolithenapparat): Wird gebildet aus Vorhof mit den darin befindlichen großen und kleinen Vorhofsäckchen und reagiert auf lineare Beschleunigung und Schwerkraft. Die Sinneszellen des großen Vorhofsäckchens (Macula utriculi) befinden sich in einer horizontalen Linie, die des kleinen Vorhofsäckchens (Macula sacculi) in einer senkrechten. Die Härchen der Sinneszellen ragen in eine gallertige, mit eingelagerten Kalziumkristallen (Statolithen, Otolithen) versehene Membran, welche je nach Lage des Kopfes der Schwerkraft folgt. Wieder kommt es zu Scherbewegungen der Sinneshärchen. Dieser mechanische Reiz wird in einen Nervenimpuls umgewandelt und über den Nervus vestibularis dem ZNS zugeführt. So kann das Gehirn die jeweilige Position des Körpers ermitteln. Hörprüfungen Hörweitenprüfung: In ca. 6 m Entfernung soll der Patient Wortbegriffe erst in normaler Lautstärke, dann im Flüsterton erhören und nachsprechen, dabei ist je ein Ohr zu verschließen (Facharzt) Stimmgabelprüfungen zur Unterscheidung zwischen Schallleitungsund Schallempfindungsstörungen Beim Weber-Versuch wird die angeschlagene Stimmgabel auf die Mitte des Kopfes gesetzt. Beim Rinne-Versuch wird die angeschlagene Stimmgabel mit dem Griffknopf auf den Warzenfortsatz hinter dem Ohr gesetzt; sobald der Patient den Ton nicht mehr hört wird die Stimmgabel direkt vor das Ohr gehalten, ohne dabei neu angeschlagen zu werden. Weber-Versuch Normalhörige hört den Ton auf beiden Seiten gleich Rinne-Versuch hört den Ton für eine kurze Zeit wieder positiver Rinne-Versuch (Luftleitung besser als Knochenleitung) Schallleitungshört den Ton auf der erkrankten Seite kann den Ton nicht mehr hören schwerhörige besser negativer Rinne-Versuch (Luftleitung schlechter als Knochenleitung) Schallempfindungs- hört den Ton auf der erkrankten Seite Ton wird über die Knochenleitung, als schwerhörige schlechter bzw. nur im gesunden Ohr auch über die Luftleitung weniger gehört hörbar Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie 395 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie Sehapparat Pathologie .......................................................................................................................... 396 Pathologie Ohr und Gleichgewichtsorgan ........................................................................................... 403 © Arpana Tjard Holler (Autor) 396 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie Sehapparat Pathologie Refraktionsfehler (Brechungsfehler, sog. Fehlsichtigkeit) Kurzsichtigkeit (Myopie) Def: Brennpunkt der einfallenden Strahlen liegt vor der Netzhaut. Urs: Am häufigsten ein zu langer Augapfel (Dehnungsmyopie). Zu starke Brechkraft der Linse oder Hornhaut (Brechungsmyopie). Sym: Entfernte Objekte werden nur unscharf wahrgenommen. Kom: Bei einer sehr starken Kurzsichtigkeit (sog. maligne Myopie) kann es zu Dehnungsschäden an der Ader- und Netzhaut kommen. The: Brille oder Kontaktlinsen mit Streulinse (konkave Gläser). Weitsichtigkeit (Hyperopie) Def: Brennpunkt der einfallenden Strahlen liegt hinter der Netzhaut. Urs: Am häufigsten ein zu kurzer Augapfel. Zu geringe Brechkraft der Linse oder Hornhaut. Sym: Nahe gelegene Objekte werden nur unscharf wahrgenommen. The: Brille oder Kontaktlinsen mit Sammellinse (bikonvexe Gläser). Alterssichtigkeit (Presbyopie) Def: Eine Weitsichtigkeit (Altersweitsichtigkeit), die durch einen Elastizitätsverlust der Linse im Alter entsteht. Brechkraft der Linse nimmt ab. Urs: Im Alter entstehende Abnahme der Eigenelastizität der Augenlinse. Sym: Nahe gelegene Objekte werden nur unscharf wahrgenommen. Das zu lesende Buch wird immer weiter weggehalten. The: Sammellinse. Hornhautverkrümmung (Astigmatismus, Stabsichtigkeit) Def: Eine unregelmäßige Krümmung der Hornhaut führt dazu, dass die einfallenden Strahlen nicht zu einem Brennpunkt vereint werden können. Urs: Angeboren. Erworben z.B. durch entzündliche Prozesse. Sym: Verschwommene Sicht, ein Objekt wird unscharf wahrgenommen. The: Zylindergläser oder Kontaktlinsen (in schweren Fällen). Schielen (Strabismus) Def: Abweichung der Sehachse eines Auges von der Sollrichtung. Ein Auge fixiert das Objekt, während das andere Auge abschweift. Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie 397 Urs: Angeboren Erworben ohne erkennbaren Grund oder infolge anderer Erkrankungen (Augenerkrankungen, Augenmuskellähmungen, Intoxikationen). Sym: Sichtbare Fehlstellung eines Auges Sehen von Doppelbildern nur am Anfang Später Ausschaltung der Wahrnehmung (sog. Schielschwachsichtigkeit) eines Auges Zur Diagnose eignet sich der Abdecktest: Patient fixiert ein Objekt, während das gesunde Auge abgedeckt wird. Dabei wird das schielende Auge beobachtet, ob eine sog. Einstellbewegung erfolgt (korrigierende Einzelbewegung des Auges) Entzündungen am Auge Bindehautentzündung (Konjunktivitis) Def: Eine äußerliche Entzündung des Auges unter den Augenlidern und am Augapfel bis zur Hornhautgrenze ziehend. Ist die Hornhaut mit betroffen, wird von einer Keratokonjunktivitis gesprochen. Als Hyposphagma wird eine Unterblutung der Bindehaut durch Ruptur von konjunktivalen Gefäßen bezeichnet. Ursachen können z.B. sein Traumen, Husten, arterielle Hypertonie. Urs: Infektiöse Konjunktivitis infolge von Viren (am häufigsten): z.B. Adenoviren, Herpes-Viren, MasernViren, Röteln-Viren infolge von Bakterien: z.B. Streptokokken, Staphylokokken, Gonokokken, Chlamydien Die Adenovirus-Konjunktivitis ist im IFSG §7 erwähnt. Nicht-infektiöse Konjunktivitis Chemisch-physikalischen Reizen: z.B. Verletzungen, Verätzungen, Fremdkörper, Strahlen) Allergien: z.B. als Folge von Heuschnupfen Verminderte Tränenproduktion, Überanstrengung der Augen Infolge von anderen Augenerkrankungen, z.B. Hornhautentzündung, grünem Star. Autoimmun, z.B. Reiter-Krankheit Eine Sonderform stellt die Pseudokonjunktivitis bei Polyzythämie dar. Sym: Rötung, Schwellung Tränenfluss, evtl. eitriges Sekret (Bakterien) Lichtempfindlichkeit, evtl. Lidkrampf Jucken und Brennen Fremdkörpergefühl (gibt den Verdacht auf Übergreifen der Entzündung auf die Hornhaut) Bei der chronischen Form: keine Schwellung, keine Sekretion, Wucherung der Papillarkörper der Lederhaut. Eine exakte Diagnose erfolgt über eine mikroskopische Untersuchung. Kom: Keratokonjunktivitis © Arpana Tjard Holler (Autor) 398 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie Hornhautentzündung (Keratitis) Def: Entzündung der Hornhaut des Auges, häufig mit Beteiligung der Augenbindehaut (Keratokonjunktivitis). Die Keratitis ist eine wesentlich schwerwiegendere Erkrankung als die Konjunktivitis. Sie birgt die Gefahr einer Geschwürs- und Narbenbildung mit Beeinträchtigung des Sehvermögens. Urs: Infektionen mit Bakterien (Staphylokokken, Pneumokokken), Viren (Herpes-Viren, Adenoviren) und Pilzen (Candida albicans). Austrocknung des Auges. Verätzung, Verbrennung und andere Verletzungen. Sym: Rötung, Schwellung, Jucken und Brennen Fremdkörpergefühl Tränenfluss, Lichtscheu Lidkrampf weißliche Trübung der Hornhaut, Blasenbildung Geschwürbildung, Nekrose (Ulcus corneae) Eiteransammlung am Grund der vorderen Augenkammer Sehstörungen Kom: Iritis, Iridozyklitis The: Bei Verätzungen Auge sofort gründlich mit Wasser ausspülen, dann Augenarzt. Regenbogenhautentzündung (Iritis bzw. Iridozyklitis) Def.: Entzündung der Iris, häufig mit Beteiligung des Ziliarkörpers. Urs.: Am häufigsten immunologisch bedingt, im Rahmen rheumatischer Erkrankungen auftretend, z.B. als Begleiterscheinung beim Morbus Bechterew, Morbus Crohn und bei rheumatoider Arthritis, idiopathisch. Infektionen, im Rahmen von anderen Augenerkrankungen (z.B. Keratitis). Sym.: Lichtscheu Hyperämie (vermehrt Blutansammlung) der Iris Trübung des Kammerwassers Schmerzen, Fremdkörpergefühl reaktive Konjunktivitis Kom.: Sekundärglaukom, Katarakt, Verklebungen zwischen Linse und Iris. Greisenbogen (Arcus senilis) Syn: Kornealring, Arcus senilis, Arcus lipoides corneae Def: Der Greisenbogen stellt eine altersbedingte Ausbildung eines grauen, schmalen Rings am Rand der Hornhaut dar. Kann Ausdruck einer Fettstoffwechselstörung sein. In der Regel unbedenklich. Urs: Einlagerung von Fetten und Kalk. Sym: Nicht schmerzhafte ringförmige, weißliche Trübung der Hornhautperipherie Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie 399 Grauer Star (Katarakt) Def: Trübung der Augenlinse. Urs: Primärer Star (Altersstar), am häufigsten. Stoffwechseleinlagerungen in die Linse im Alter ohne erkennbaren Grund. Angeborener Star, z.B. bei Rötelnembryopathie. Sekundärer Star, durch andere Erkrankungen Stoffwechselerkrankungen, z.B. Diabetes mellitus, Hypothyreose Erkrankungen des Auges, z.B. Glaukom, Iridozyklitis Verletzungen des Auges (v.a. Augenprellung) Im Rahmen einer Kortisonbehandlung Nach Strahlenbehandlung (z.B. intensive Einwirkung von InfrarotStrahlung) Sym: Lichtempfindlichkeit (meist als erstes Symptom), Patient bevorzugt lichtabgedunkelte Räume, trägt evtl. einen Hut Abnahme der Sehschärfe Im fortgeschrittenen Stadium nur noch Dunkel-Hell-Sehen möglich The.: Operative Entfernung der Linse, Ersatz durch Kunststofflinse. Grüner Star (Glaukom) Def: Es handelt sich um eine Augeninnendruckerhöhung. Der normale Druck beträgt 14-20 mmHg. Unterschieden wird ein akutes (ca. 10% der Fälle) und ein chronisches Glaukom (ca. 90% der Fälle). Eine Erhöhung des Kammerwasserdrucks führt zu irreversiblen Schädigungen der Netzhaut! Akutes Glaukom (Winkelblockglaukom) Def: Erhöhter Augeninnendruck mit Werten um 50 – 80 mmHg und akuter Erblindungsgefahr! Urs: In der Regel besteht von vornherein ein enger Kammerwinkel (wird daher auch Engwinkelglaukom genannt), welcher dann bei einer Pupillenerweiterung (Mydriasis) durch die Regenbogenhaut verlegt werden kann. Dadurch kann das Kammerwasser im Kammerwinkel nicht abfließen. Sym: Plötzliche Kopfschmerzen (evtl. halbseitig), Augenschmerzen, evtl. Trigeminusneuralgie Übelkeit, Erbrechen Sehen von Nebeln und Regenbogenfarben als Folge eines Hornhautödems Nachlassen des Sehvermögens evtl. lichtstarre Pupille (Anisokorie = seitendifferente Pupillenweite), entrundete und weite Pupille (Mydriasis) Rötung der Augenbindehaut möglich Augapfel steinhart The: Es handelt sich um einen Notfall, da durch die Druckatrophie der Zapfen und Stäbchen eine rasche Erblindung möglich ist. Achtung: Nasenspray kontraindiziert (aktiviert die Sympathikusreaktion). © Arpana Tjard Holler (Autor) 400 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie Chronisches Glaukom Def: Chronische Augeninnendruckerhöhung mit Werten um 25-35 mmHg. Eine der häufigsten Erblindungsursachen in den Industrieländern. Urs: Im Wesentlichen ist eine Abflussbehinderung des Kammerwassers im Trabekelsystem des Schlemm-Kanals dafür verantwortlich. Primär. Tritt vor allem im höheren Lebensalter auf (idiopathisch). Sekundär, z.B. aufgrund von Diabetes mellitus (pathologische Neubildung von Gefäßen behindern den Abfluss des Kammerwassers), Augenerkrankungen, Einnahme von Kortison. Sym: Am Anfang so gut wie keine Beschwerden Chronische Kopfschmerzen (häufig fehlend!) Später irreversible (nasale) Gesichtsfeldausfälle Entstehung eines Tunnelblicks Bei Verdacht auf chronisches Glaukom Prüfung des Gesichtsfelds durch die Fingerperimetrie. Gesichtsfeld oben 60°, unten 70°, temporal 90°, nasal 60°. Kom: Erblindung. The: Medikamentös, operativ. Erkrankungen der Netzhaut Netzhautablösung (Ablatio retinae) Def: Abhebung der Netzhaut von der dahinterliegenden Pigmentschicht. Die Abhebung erfolgt in der Regel von einem Ort aus und schreitet dann komplett fort. Urs: Riss bedingte Netzhautablösung (Löcher in der Netzhaut). Kann infolge Kurzsichtigkeit (langer Augapfel!) und nach Verletzungen entstehen. Nicht-riss bedingte Netzhautablösung infolge Diabetes mellitus, Glaskörpererkrankungen. Begünstigende Faktoren: Familiäre Häufung Kurzsichtigkeit Alter (tritt jedoch auch in jungen Jahren auf) Entzündliche Prozesse, Traumen, Tumore Diabetes mellitus Medikamente Sym: Akute einsetzende schmerzlose Sehstörungen, Schatten-, Schleier- und LichtblitzeSehen Gesichtsfeldausfall (Skotom) Patient bemerkt beim Sehen einen Vorhang bzw. eine Mauer im Gesichtsfeld Mouches volantes (sog. Mücken-Sehen) The: Notfall, da schnelle Erblindung möglich ist. Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie 401 Makuladegeneration Def: Altersabhängige Degeneration des gelben Flecks (Macula lutea), dem Ort des schärfsten Sehens. Unterschieden wird die trockene Makuladegeneration mit Atrophie der Sinneszellen und die feuchte Makuladegeneration mit Bildung eines Exsudats und Einsprossung von neuen Gefäßen (Laservödung möglich). Urs: Idiopathisch auftretendes Absterben der Zapfen im Bereich der Macula lutea bei Menschen über 50 Jahren. Frauen sind doppelt so häufig betroffen. Sym: langsam oder plötzlich auftretendes unscharfes Sehen, verzerrt sehen keine Schmerzen Peripheres Sehvermögen i.d.R. erhalten Nacht-/Tagblindheit (Nyktalopie, Hemeralopie) Def: Verminderte Sehleistung nach Einbruch der Dunkelnacht bzw. Einschränkung des Sehvermögens im Hellen. Urs: Angeboren. Erworben infolge Mangel an Vitamin A. Sym: Bei Vitamin-A-Hypovitaminose neben der Nachtblindheit Austrocknung der Bindeund Hornhaut des Auges (Xerophthalmie) Farbenblindheit und Farbenfehlsichtigkeit Def: Farbenblindheit. Angeborene oder erworbene Unfähigkeit der Farbwahrnehmung, nur Unterscheidung von Schwarzweiß möglich. Die Ursache kann in Schädigungen der Netzhaut oder der dazugehörigen Nervenbahnen bzw. Sehrinde liegen. Farbenfehlsichtigkeit, Beeinträchtigung des normalen Farbensehens. Bestimmte Farben können nicht erkannt bzw. unterschieden werden. Am häufigsten ist die RotGrün-Blindheit. Männer sind häufiger betroffen. Stauungspapille Def: Wallartige Vorwölbung des blinden Flecks (Papilla nervi optici), die während einer Ophthalmoskopie (Untersuchung des Augenhintergrundes) beobachtet werden kann. Keine eigenständige Erkrankung des Auges, sondern ein Syndrom infolge einer intrakranialen Druckerhöhung. Urs: Intrakraniale Druckerhöhung (z.B. Hirntumor, Hirnödem, Hämatom, Entzündung). Erkrankungen der Augenhöhle Enophthalmus Def: Zurücksinken des Augapfels in die Augenhöhle. Urs: Schwund des in der Augenhöhle befindlichen Fettkörpers, in der Regel infolge von extremer Abmagerung, oder im Alter. Blow-out-Fraktur: Extreme Gewalteinwirkung auf den Augapfel (Squash-Ball, Faustschlag) kann zur Orbitafraktur mit deutlichem Zurücksinken des Augapfels führen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 402 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie Im Rahmen eines Horner-Syndroms infolge Schädigung des Halssympathikus. Exophthalmus Def: Ein- oder beidseitiges Hervortreten des Augapfels aus der Augenhöhle. Urs: Im Rahmen der endokrinen Ophthalmopathie z.B. beim Morbus Basedow (Autoimmunerkrankung). Lähmung der äußeren Augenmuskeln. Tumore oder entzündliche Prozesse hinter dem Augapfel. Arterielle (evtl. pulsierend) oder venöse Gefäßerweiterung hinter dem Augapfel Sehr starke Myopie (Kurzsichtigkeit). Hämatombildung nach Trauma Sym: Glotzauge Bewegungseinschränkungen Patient kann das Auge nicht richtig schließen Kann durch Austrocknen der Hornhaut zu einem Hornhautgeschwür führen Mouches volantes Def: Sogenanntes Mückensehen. Eine bei älteren Menschen recht häufig auftretende Wahrnehmung von schwarzen Punkten, die sich beim Sehen im Blickfeld mit hin und her bewegen. In der Regel harmlos, unter Umständen kann jedoch auch eine ernste Augenerkrankung dahinterstecken. Urs: Im Glaskörper auftretende Partikel, die auf die Netzhaut einen Schatten werfen. Netzhautablösung mit Netzhauteinriss, wobei Lichtblitze und Funken darauf hinweisen, dass es sich nicht um eine harmlose Erkrankung handelt. Sym: Werden als Punkte oder Flecken wahrgenommen und scheinen sich langsam zu bewegen. Differenzialdiagnose Tunnelblick Def: Einschränkung des Gesichtsfeldes, bei der die peripheren Seheindrücke nicht wahrgenommen werden, sondern nur die mittigen Objekte. Urs: Physisch, bei sehr schneller Fortbewegung Organisch: Netzhautablösung, Chronisches Glaukom, Hypophysenadenom, Retinitis pigmentosa (erbliche Netzhauterkrankung), TIA, PRIND, Apoplex Doppelbilder-Sehen Urs: Strabismus (Schielen): Diskoordination beider Augäpfel ohne bekannte Ursache Infolge von anderen Erkrankungen: Multiple Sklerose, Botulismus, Hirntumore, Hypoglykämie, Alkoholintoxikation, Medikamente, Migräne, Trauma (Orbitabodenfraktur). Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie 403 Nystagmus Def: Unwillkürliche rasche Augenbewegungen Urs: Physiologisch Vestibulookulärer Reflex: durch rasche Drehbeschleunigung des Kopfes hervorgerufener Nystagmus. Durch Spülen des äußeren Gehörgangs kommt es zu einem kurzfristigen Nystagmus (kalorischer Nystagmus). Pathologisch Erkrankungen des Kleinhirns, z.B. Multiple Sklerose, Tumore Erkrankungen des Zentralnervensystems (z.B. SHT, Apoplex, Tumore) Erkrankungen des Vestibularapparat, z.B. Morbus Menière, paroxysmaler benigner Lagerungsschwindel Erkrankungen des Auges, z.B. Trübung der Augenlinse, Schielen Nystagmus infolge von Medikamenten- oder Drogeneinnahme (z.B. Antidepressiva, Antikonvulsiva, Alkohol, Nikotin, Haschisch, Opium, Kokain) Kongenitaler Nystagmus als Erberkrankung (idiopathischer Nystagmus) oder infolge einer Netzhauterkrankung Pathologie Ohr und Gleichgewichtsorgan Erkrankungen des äußeren Ohrs Ohrenschmalzpfropf (Cerumen obturans) Def: Verlegung des äußeren Gehörgangs infolge eines Pfropfens aus Ohrenschmalz mit eingeschränktem Hörvermögen. Urs: Übermäßige Produktion von Zerumen. Exzessive Ohrhygiene mit Wattestäbchen. Sym: Dumpfes Gefühl im Ohr, Schallleitungsschwerhörigkeit. The: Mehrmalige Spülung des Gehörgangs mit 37ºC warmem Wasser. Ohrfurunkel (Otitis externa circumscripta) Def: Gehörgangsfurunkel. Eitrige Entzündung eines Haarfollikels im Bereich des äußeren Gehörgangs. Urs: Immungeschwächte Patienten und Diabetiker sind häufig von einer Furunkelbildung betroffen. Sym: Schmerzen beim Kauen und Sprechen. Tragus ist i.d.R. schmerzhaft (Tragus = knorpeliger Vorsprung im Bereich der Mündung des äußeren Gehörgangs). Evtl. Schwellung der regionalen Lymphknoten. Gehörgangsentzündung (Otitis externa) Def: Entzündung des Gehörgangs © Arpana Tjard Holler (Autor) 404 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie Urs: Infektionen, z.B. durch Bakterien (v.a. Staphylokokken, Streptococcus pyogenes), Viren (v.a. Herpes zoster oticus), Pilze (v.a. bei immungeschwächten Patienten) Allergisch, als Ekzem. Sym: Schwellung und Rötung, Juckreiz Schmerz bei Druck auf den Tragus (Knorpel ventral der Ohreinmündung) Schmerzen beim Kauen und Sprechen Schuppen- und Krustenbildung. Lymphknotenschwellung, evtl. Fieber Evtl. hinter dem Ohr befindliche Schwellung Erkrankungen des Mittelohrs Akute Mittelohrentzündung (Otitis media acuta) Def: Entzündung der Schleimhaut der Paukenhöhle. Findet sich am häufigsten im Kindesalter, wegen der kurzen Eustachischen Röhre und dem waagerechten Verlauf (hat sich mit 7 Jahren aufgerichtet). Urs: In der Regel durch aufsteigende Infektionen aus dem Nasenrachenraum. Als Begleiterkrankung bzw. Komplikation von Grippe, Sinusitis, Scharlach, Masern. Selten hämatogen (z.B. im Rahmen einer Sepsis). Sym: Häufig geht ein grippaler Infekt voraus Paukenerguss (Ansammlung von Exsudat in der Paukenhöhle) Ohrenschmerzen, Fieber Schallleitungsschwerhörigkeit Evtl. Ohrgeräusche Spontaner Rückgang der Ohrenschmerzen nach Platzen des Trommelfells Bei Säuglingen und Kleinkindern sehr unspezifische Symptome, andauerndes Schreien, Erbrechen, Bauchschmerzen, Säugling hebt die Arme hoch bzw. fasst sich ans Ohr Befund des Trommelfells: rötliche Verfärbung, verdicktes Trommelfell, Vorwölbung nach außen, Fibrinauflagerung, kein Trommelfellreflex (Lichtreflex nicht sichtbar), evtl. Blasenbildung. Kom: Mastoiditis (Entzündung des Warzenfortsatzes = Processus mastoideus) mit Gefahr auf Hirnabszess, Meningitis; meist besteht ein Druckschmerz über dem Warzenfortsatz sowie Schwellung hinter dem Ohr mit abstehenden Ohr Trommelfellriss Paukenerguss Beteiligung des Innenohrs (v.a. bei chronischen oder rezidivierenden Formen) Fazialisparese Paukenerguss Def: Seröse bis schleimige Flüssigkeitsansammlung in der Paukenhöhle. Urs: Eine Insuffizienz der Ohrtrompete (v.a. im Rahmen von Infektionen der oberen Atemwege) führt zum Unterdruck im Mittelohr. Dies hat eine vermehrte Produktion von Becherzellen der Schleimhaut der Paukenhöhle zur Folge, mit einer erhöhten Sekretabgabe. Tritt v.a. bei Kindern auf. Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie 405 Sym.: Schallleitungsschwerhörigkeit Druckgefühl und Schmerzen Otosklerose Def: Autosomal dominant erbliche Erkrankung, die v.a. bei Frauen auftritt und mit Verknöcherungsprozessen im Bereich des ovalen Fensters einhergeht. Die Folge ist eine knöcherne Fixierung des Steigbügels. Manifestation zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Sym: schleichend zunehmende Schalleitungsschwerhörigkeit Tinnitus (Ohrensausen) Erkrankungen des Innenohrs Morbus Menière Def: Erkrankung des Innenohrs mit anfallartigen und rezidivierenden Schwindelanfällen, Hörstörungen und Ohrensausen (sog. Menière-Trias). Pat: Genaue Pathophysiologie noch unklar. Produktion und Resorption der Endolymphe ist gestört, es kommt zu einer Wasseransammlung mit Druckererhöhung im Labyrinth. Akuter Anfall wird vermutlich durch Zerreißen der Membran zwischen Endo- und Perilymphe ausgelöst. Urs: Idiopathisch. Sym: Menière-Trias („SOS“): Schlagartig auftretende Schwindelattacken, die mehrere Stunden dauern und dann wieder verschwinden, begleitet von Übelkeit, Erbrechen und Nystagmus. Ohrgeräusche (einseitig Schallempfindungsstörung (einseitig) Sonstige Symptome: evtl. Druck- und Vollgefühl im Ohr Im Laufe der Erkrankung Verschlechterung des Hörvermögens. Keine Taubheit. Tinnitus aurium (Ohrgeräusche) Def: Geräuschwahrnehmung ohne akustischen Reiz von außen. Subjektive Ohrgeräusche werden nur vom Patienten bemerkt, während objektive Ohrgeräusche vom Behandler über das Stethoskop bewiesen werden können. Sie sind pulssynchron und sind bei Kreislauferkrankungen vorhanden Urs: Idiopathisch (subjektive Ohrgeräusche) Als Begleitsymptom von anderen Erkrankungen: Ohr: Otitis media, Otosklerose, Ohrenschmalzpfropf, Menière-Erkrankung, Hörsturz, akustischen Traumen Herz-Kreislauf: Hypertonie, Hypotonie, Arteriosklerose, Anämie, Plasmozytom, Aneurysma Anderes: Hirntumore, als Intoxikationserscheinung, bei Einnahme bestimmter Medikamente © Arpana Tjard Holler (Autor) 406 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie Sym: Kann äußerst unterschiedlichen Charakter haben, z.B. summen, klingeln, pfeifen, brummen, fauchen, rauschen, zischen. In der Regel gestörtes Hörvermögen. Kann anfallsweise, zeitweise, dauernd oder zunehmend stärker werdend auftreten. evtl. pulssynchron (objektive Ohrgeräusche). Hörsturz Def.: Plötzlich auftretende, in der Regel einseitige Schwerhörigkeit bis Taubheit. Urs: Idiopathisch (Stress) Diskutiert werden Durchblutungsstörungen (z.B. Hypertonie, Arteriosklerose), Viruserkrankungen und Autoimmunerkrankungen. Hypotonie, Sym: Hörverlust: kann von sehr leicht bis hin zu Taubheit reichen, Hörvermögen wird häufig nach wenigen Tagen besser Pfeifen, Klingeln, Rauschen evtl. Druckgefühl auf dem betroffenen Ohr, evtl. Parästhesien am Ohr kein vestibulärer Schwindel, keine Gleichgewichtsstörungen, keine Ohrenschmerzen The: Notfall. Bei sofortiger Therapie Prognose günstig. Infusionen zur Verbesserung der Durchblutung. Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) Def: Im Alter auftretende, meist beidseitig auftretende Verschlechterung des Hörvermögens. Urs: Degenerative Prozesse in der Schnecke. Männer sind häufiger betroffen. Begünstigende Faktoren: Lärmexposition länger andauernde Medikamenteneinnahme Diabetes mellitus Sym: Allmähliche Hörverschlechterung, erst für hohe, später für mittlere Frequenzen. Hörverschlechterung v.a. bei zusätzlichen Nebengeräuschen. Hörgeräte The: Lärmbedingte Gehörschäden Def: Akute reversible oder irreversible Schädigung der Sinneszellen der Schnecke (CortiOrgan) infolge Einwirkung eines chronischen oder unmittelbaren hohen Schalldrucks. Urs: Chronische Lärmbelästigung: Bei kurzfristiger Einwirkung ab 120 dB (Dezibel) Bei langfristiger Einwirkung ab 90 dB. Akute Lärmbelästigung (Knalltrauma, akustisches Trauma): > 200 dB. Sym: Chronische Lärmbelästigung: Schallempfindungsschwerhörigkeit Akustisches Trauma: plötzliche kurze Ohrenschmerzen Tinnitus (Ohrgeräusche), langsam abnehmend Empfindungsschwerhörigkeit (Sinneshärchen werden abgeknickt) evtl. Trommelfellruptur mit Blutung aus dem Ohr Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie 407 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel Def: Kurzzeitig auftretender (gutartiger) Drehschwindel (10 Sekunden bis 1 Minute) infolge einer Lageveränderung des Kopfes. Urs: Ablösung von kleinen Kalziumkristallen (Statolithen, Otolithen) aus den Lagesinnesorganen (großes und kleines Vorhofsäckchens). Diese geraten in die Bogengänge und lösen bei Kopfbewegungen dort unphysiologische Sinnesreize bzw. widersprüchliche Informationen aus, welche einen kurzzeitigen Schwindel zur Folge haben. Idiopathisch (50-70%), v.a. zwischen 50-60 Jahren auftretend (Frauen überwiegen) Sekundär durch Neuritis vestibularis, Morbus Menière, Migräne, SHT (Schädelhirntraumen), Operationen am Innenohr Sym: Attackenschwindel (10-30 Sekunden, maximal 1 Minute), typischerweise Drehschwindel, ohne Bewegung keine Schwindel Nicht selten Übelkeit und Erbrechen Nystagmus (unwillkürliches Augenzittern) Diagnose erfolgt durch das Hallpike-Lagerungsmanöver: Patient sitzt auf der Liege mit seitlicher Kopfdrehung um 45°. Dann wird der Patient rasch in die Rückenlage gebracht, wobei der 45°-Drehung beibehalten wird und der Kopf noch weiter nach hinten überstreckt wird (ca. 45°). Ein Nystagmus zeigt Störungen im untenliegenden Innenohr an. Differenzialdiagnose Differenzialdiagnose Schwerhörigkeit Schallleitungsschwerhörigkeit Schwerhörigkeit infolge einer Störung der Schallübertragung im äußeren sowie im Mittelohr. Zeruminalpfropf (Cerumen obturans) Otitis media (Mittelohrentzündung) Paukenerguss (seröse Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr z.B. im Rahmen einer chronischen Otitis media, eines viralen Infektes, durch schnelle Luftdruckveränderungen oder idiopathisch) Otosklerose Druckerhöhung im Mittelohr durch Hämatombildung (z.B. Schädelbasisfraktur Schallempfindungsschwerhörigkeit Schwerhörigkeit infolge einer Störung der Schallaufnahme im Innenohr. Morbus Menière Knalltrauma Hörsturz Akustikusneurinom Ischämie infolge Arteriosklerose (TIA, PRIND, Apoplex) Medikamentennebenwirkung (z.B. Antibiotika) Differenzialdiagnose Schwindel (Vertigo) Def: Gefühl der Gleichgewichtsstörung. Die Orientierung des Körpers im Raum erfolgt über Sinneseindrücke aus dem Gleichgewichtsorgan, den Augen und den Propriozeptoren (führen zur Wahrnehmung der Stellung und Bewegung des Körpers im Raum). Schwindelformen: Systematischer Schwindel: © Arpana Tjard Holler (Autor) 408 Sinnesorgane (Auge / Ohr) Pathologie Schwankschwindel, der Boden schwankt. Drehschwindel, die Umgebung dreht sich (z.B. vestibulärer Schwindel). Liftschwindel, Gefühl des Sinkens oder Gehoben werden. Dauerschwindel Attackenschwindel (z.B. benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel) Unsystematischer Schwindel: Benommenheitsschwindel (Dizziness) ohne Bewegungsangabe Schwarzwerden vor den Augen Urs: Vestibulärer Schwindel (meist systematischer Schwindel, häufig als Drehschwindel empfunden) Peripherer vestibulärer Schwindel (Erkrankungen im Gleichgewichtsorgan) benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel Morbus Menière Labyrinthitis Neuritis vestibularis (Entzündung des VIII. Hirnnervs) Trauma (Frakturen des Felsenbeins) Zentraler vestibulärer Schwindel (Erkrankungen im Gehirn) Akustikusneurinom (gutartiger Tumor des VIII. Hirnnervs) Multiple Sklerose Erkrankungen des Kleinhirns TIA (Transitorische ischämische Attacke), Apoplex SHT (Schädel-Hirn-Trauma) Migräne Kinetose (Reise- bzw. Bewegungskrankheit) Nicht-vestibulärer Schwindel Hypertonie, Hypotonie (z.B. orthostatische Dysregulation), Herzrhythmusstörungen Anämien Plasmozytom (Hyperviskositätssyndrom durch erhöhte Anzahl von Paraproteinen) Augenerkrankungen (z.B. Glaukomanfall) Hypoglykämie und andere Stoffwechselerkrankungen Hyperventilationssyndrom Veränderungen der Halswirbelsäule (vertebragener Schwindel) Infektionen Medikamente, Drogen Psychogener Schwindel, phobischer Schwindel (z.B. bei Panikattacken) Haut M. . 409 Haut Anatomie und Physiologie Haut . Allgemeines der Haut ............................................................................................................................ 410 Aufgaben der Haut ................................................................................................................................ 410 Aufbau der Haut ................................................................................................................................... 410 Anhangsorgane der Haut ..................................................................................................................... 411 Sensorische Rezeptoren ........................................................................................................................ 412 Aufbau der Schleimhaut (Mukosa) ...................................................................................................... 413 © Arpana Tjard Holler (Autor) 410 Haut . Allgemeines der Haut Die Haut ist nach der Skelettmuskulatur das größte Organ im Körper. Sie ist ungefähr 1,5 bis 2 m2 groß. Die Haut ist das schwerste Organ. Das Gewicht entspricht einem Sechstel des Körpergewichts. Auf einem cm2 Haut befinden sich 400-450 sensorische Rezeptoren (Schmerzrezeptoren, Thermorezeptoren und Mechanorezeptoren), die einem erwachsenen Menschen erlauben, nahezu jedes bekannte Objekt mit geschlossen Augen zu ertasten. Bei alten Menschen (im 7. Lebensjahrzehnt) ist die Haut trockener, fettarmer und leichter verletzlich. Aufgaben der Haut Schutzfunktion: Schutz gegen mechanische, chemische und physikalische Reize. Der pHWert liegt durchschnittlich bei 5,5. Wärmeregulation: Erhaltung der normalen Körpertemperatur durch Abgabe von Strahlen und Verdunstung von Schweiß. Stoffwechselfunktion (Vitamin D-Synthese) Sensorische Funktion: Sinnesorgan für das Tasten, die Schmerzempfindung, die Temperaturempfindung und das Vibrationsempfinden Aufbau der Haut Oberhaut (Epidermis) 0,05 -1,5 mm dick Die Oberhaut besteht aus mehrschichtigem verhorntem Plattenepithel ohne eigene Gefäßversorgung. Die Ernährung erfolgt aus der darunterliegenden Lederhaut durch Diffusion. Die Haut ist 0,05 (Augenlider) bis 1,5 (Fußsohle) mm dick. Trotz der geringen Hautdicke lassen sich von innen nach außen fünf Schichten unterscheiden: Basalzellschicht (Stratum basale): Hier sitzen einfache Epithelzellen, die durch ständige Mitose neue Zellen hervorbringen. Diese schieben sich allmählich in Richtung Oberfläche und verändern dabei ihr Aussehen. Zwischen den Epithelzellen der Basalschicht sitzen verstreut die Melanozyten. Sie produzieren Melanin und führen so zur Hautpigmentierung. (Melanozyten befinden sich auch in der Iris und in den weichen Gehirnhäuten) Stachelzellschicht (Stratum spinosum): Sie haben unter dem Mikroskop ein stachelartiges Aussehen, welches durch zyto-plasmatische Ausläufer untereinander zustande kommt. Hier befinden sich auch die Langerhans-Zellen (Makrophagen), welche Phagozytose und Antigenpräsentation betreiben. Körnerzellschicht (Stratum granulosum): Sie wird so genannt durch die im Zellinneren liegenden sog. Keratohyalinkörperchen. Sie produzieren eine für die Hornschicht wichtige Substanz (Keratin). In dieser Schicht verlieren die Zellen allmählich ihren Kern und werden zu den kernlosen Hornzellen. Glanzschicht (Stratum lucidum): Besteht aus mehrreihigen, durchsichtigen und flachen Zellen, welche die Haut vor mechanischer Beanspruchung schützen soll und sich nur an Handteller und Fußsohlen befindet. Hornschicht (Stratum corneum): Diese Schicht besteht vollständig aus kernlosen Hornzellen, die ganz mit Keratin gefüllt sind. Sie stellt die eigentliche Schutzschicht des Körpers dar und ist je nach mechanischer Beanspruchung verschieden stark groß. Den Bereich der lebenden Oberhaut bezeichnet man als die Keimschicht. Innerhalb der Keimschicht finden sich auch Nervenzellen. Haut . 411 Lederhaut (Korium, Dermis) Die Lederhaut besteht aus Bindegewebe mit sehr viel elastischen und kollagenen Fasern. Dadurch bekommt die Haut die Qualität der Reißfestigkeit und elastischen Dehnung. Zur Oberhaut hin ist die Lederhaut durch eine Basalmembran abgegrenzt, nach unten hin zur Subkutis ist die Grenze fließend. Die Lederhaut lässt sich in zwei Schichten unterteilen: Papillarschicht: Die obere Schicht der Lederhaut ist mit der Oberhaut durch Papillen verzahnt. Diese zapfenartigen Ausziehungen sind an der Hautoberfläche als feine Rillen zu einem bestimmten Muster angeordnet (Felder und Leistenhaut). Diese Schicht hat eine besonders gute Blutversorgung, da von hier aus auch die nicht durchblutete Oberhaut versorgt werden muss. Netzschicht: Diese faserreiche Schicht ist in einem Scherengittermuster aufgebaut. Sie enthält neben Sensoren, Blut- und Lymphgefäßen auch die Hautanhangsorgane der Haut. Unterhautfettgewebe (Subkutis) Die Subkutis verbindet die Lederhaut mit dem darunterliegenden Gewebe, wie Muskeln, Knochen oder andere Organe. Sie besitzt je nach Körperstelle und Körperbau viele Fettzellhaufen. Aufgaben: Stoßpuffer Wärmeisolierung Energiespeicher Anhangsorgane der Haut Haare Haare kommen auf der gesamten Hautoberfläche (Felderhaut) vor, mit Ausnahme der Handflächen und Fußsohlen (Leistenhaut). Sie haben eine normale Wachstumsgeschwindigkeit von 0,3 mm pro Tag und eine Lebensdauer von 4-5 Jahren. Bei einer mittleren Anzahl von ca. 100.000 Kopfhaaren gehen täglich ca. 60 aus, ohne dass die Gesamtzahl abnimmt. Folgenden anatomischen Strukturen werden unterschieden: Haarschaft: Teil des Haares außerhalb der Haut. Haarwurzel: Teil des Haares innerhalb der Haut. Haarzwiebel: Verdicktes Ende der Haarwurzel. Haarfollikel: Eine Einstülpung der epithialen Hautschicht, die die Haarwurzel umgibt, die gesamte Lederhaut durchdringt und in der Subkutis endet. Haartalgdrüse: In den Haarfollikel mündende Talgdrüse, die Haut und Haar mit einer dünnen Fettschicht überzieht. Haarpapille: Befindet sich im unteren Pol der Haarzwiebel und versorgt das wachsende Haar mit Nahrung. Musculus arrector pili: Am Haarfollikel befestigter kleiner Muskel aus glatter Muskulatur, der bei Kälte oder Furcht die Haare aufrichtet. Nägel Nägel werden als Hornplatten von der Oberhaut gebildet. Aufgaben: Schutz vor Verletzungen © Arpana Tjard Holler (Autor) 412 Haut Aufbau: . Verwendung als Werkzeug z.B. als Pinzette oder zum Kratzen Stabilisiert die Fingerkuppe und ermöglicht so eine feinere Tastempfindung Nagelplatte: Dicht gepackte, verhornte Zelle der Oberhaut. Nagelbett: Liegt unter der Nagelplatte, gibt auf Grund der guten Durchblutung dem Nagel das rosarote Aussehen Nagelfalz: Ein Hautwulst, der die seitlichen Ränder der Nagelplatte umgibt. Nagelwurzel: Hinterer Teil des Nagels in der Haut, von der sich das eigentliche Wachstum vollzieht (ca. 0,5 - 1 mm pro Woche). Nagelveränderungen und -erkrankungen Uhrglasnägel: Übermäßig in Längsrichtung gewölbte Nägel. Treten oft zusammen mit Trommelschlägelfinger bei Herz- und Lungeninsuffizienzen auf (seltener bei Lebererkrankungen) Löffelnägel: Sog. Hohlnägel, mit muldenförmiger Eindellung des Nagels und erhöhter Brüchigkeit. Ursache ist meist chronischer Eisenmangel oder Vitamin B-Mangel, auch bei Durchblutungsstörungen (z.B. Morbus Raynaud). Querfurchen: Noch monatelang nach schweren Allgemeinerkrankungen abzulesen. Schweißdrüsen Aufbau: Schweißdrüsen sind knäuelförmig gewundene Drüsenschläuche, die sich in der Subkutis befinden. Ihre Ausführungsgänge durchziehen senkrecht alle Schichten der Haut, bis sie auf der Hornschicht der Oberhaut als Pore münden. Vorkommen: Überall am ganzen Körper (pro cm2 ca. 150 - 200 Drüsen beim weißen Menschen), außer am Lippenrand, Eichel, Klitoris und kleine Schamlippen. Am dichtesten liegen sie an Handflächen und Fußsohlen: Aufgabe: Die Schweißsekretion ist der wichtigste physiologische Mechanismus zur Wärmeabgabe. Nerval werden die Drüsen durch den Sympathikus innerviert. Pro Tag werden ca. 0,5 Liter abgegeben, allerdings kann je nach körperlicher Tätigkeit oder bei hohem Fieber bis zu 5 Liter pro Tag ausgeschwitzt werden Durch Ausscheidung saurer Stoffwechselprodukte wird der sog. Säureschutzmantel hergestellt (pH-Wert 4 - 5), der das Keimwachstum auf der Haut hemmt. Bestandteile: 99% Wasser Rest besteht aus Harnstoff, Harnsäure, Salze, Immunglobuline, Glukose, Aminosäuren und Fettsäuren. Der oft unangenehme Schweißgeruch entsteht durch Bakterienzersetzung. Sensorische Rezeptoren Aufgaben des Tastsinns: Enorm wichtig für die geistige und körperliche Entwicklung eines Kindes. Empfang bestimmter Reize zur Gefahrenabwendung und zur Überprüfung bzw. Abstimmung von motorischen Handlungen. Unterscheidung: Schmerzrezeptoren: Kommen am häufigsten vor (100/cm2) und bestehen aus freien Nervenendigungen Thermorezeptoren Ruffini-Körperchen für die Wärmeempfindung Haut . 413 Krause-Endkolben für die Kälteempfindung Mechanorezeptoren Meissner Körperchen (Tastkörperchen) liegen in der Papillarschicht der Lederhaut und kommen vor allem an unbehaarten Körperstellen vor. Sie reagieren auf Druckveränderungen und sind für die feine Tastempfindung zuständig. Merkel-Tastscheiben liegen in der Basalschicht der Oberhaut und sind für die grobe Tastempfindung zuständig. Sie reagieren auf anhaltenden Druck. Vater-Pacini-Körper liegen in der Subkutis und in noch tieferen Schichten (z.B. Muskelfaszien, Periost, Bänder, Sehnen). Sie vermitteln die Vibrationsempfindung Haarfollikelrezeptoren reagieren auf Berührungen. Aufbau der Schleimhaut (Mukosa) Die Schleimhaut kleidet innere Räume im Körper aus: Atemwege Verdauungstrakt Urogenitaltrakt Mittelohr Augenbindehaut Der Aufbau der Schleimhaut ist ähnlich dem Aufbau der Haut. Allerdings besitzt sie kein verhorntes Epithel. Mehrschichtiges Epithelgewebe mit eingestreuten Becherzellen Bindegewebe Muskelschicht befindet sich nur zusätzlich im Verdauungstrakt © Arpana Tjard Holler (Autor) 414 Haut Pathologie Haut Pathologie Allgemeine Pathologie der Haut........................................................................................................... 415 Spezielle Pathologie der Haut ............................................................................................................... 417 Haut Pathologie 415 Allgemeine Pathologie der Haut Effloreszenzenlehre Effloreszenzen (sog. Hautblüten) sind sichtbare pathologische Hautveränderungen. Man unterscheidet zwischen primären und sekundären Effloreszenzen. Primäreffloreszenzen Hautveränderungen, die neu auf bis dahin gesunder Haut entstanden sind. Macula (Hautfleck): Im Hautniveau liegende, umschriebene Verfärbungen mit drei möglichen Ursachen: Veränderte Gefäßfüllung Erythem: Rötung der Haut aufgrund von Gefäßerweiterung, häufig infolge einer Entzündung oder bei venösen Stauungen. Roseolen: kleinfleckige Rötung, typisch für das Prodromalstadium vieler Infektionskrankheiten (z.B. bei Syphilis, Typhus, Masern) Rote Hautflecken, die durch eine veränderte Gefäßfüllung bedingt sind verblassen unter Glasspateldruck. Blutaustritt ins Gewebe Petechien: Kleinste punktförmige Kapillarblutungen. Purpura: Punktförmige Hautblutungen auf größeren Flächen. Hämatom: Tiefgehende flächige Blutung. Rote Hautflecken, die durch eine Blutung ins Gewebe bedingt sind verblassen nicht unter Glasspateldruck. Pigmentationsveränderungen Hyperpigmentation, z.B. alle Melanin-Muttermale (Pigmentnävus, Nävus = Muttermal), Hautbräune durch Morbus Addison. Depigmentierung, z.B. Albinismus (angeborener Mangel der Melanozyten) oder Vitiligo (Weißfleckkrankheit durch autoimmun-bedingter Schwund der Melanozyten) Bei Vitiligo können sehr kurze intensive Sonnenbestrahlungen (ca. 10 Minuten) an den weißen Hautstellen Sonnenbrände auslösen. Papula (Papel = Knötchen) bzw. Nodulus (Knoten): Über das Hautniveau ragende kleine bis kleinste Hautverfestigung Vesicula (Bläschen): Ist ein mit seröser Flüssigkeit gefüllter Hohlraum der Haut, der meist über das Hautniveau erhaben ist und sich in der Lederhaut oder Oberhaut befindet. Größer als 5mm wird von Bulla (Blase) gesprochen. z.B. Herpes-simplex-Bläschen, Blasenbildung bei Verbrennung 2.Grades, Windpocken Urtica (Quaddel): Ist ein umschriebenes, erhabenes und meist flüchtiges Ödem der Haut, welches durch eine vermehrte Ansammlung von Plasmaflüssigkeit in der Lederhaut entsteht (siehe Urtikaria unter M.8.2.1). Zyste: Ist ein durch eine Kapsel abgeschlossene Geschwulst mit dünn- oder dickflüssigem Inhalt (z.B. Talgzyste) © Arpana Tjard Holler (Autor) 416 Haut Pathologie Sekundäreffloreszenzen Hauterscheinungen, die sich aus den primären Effloreszenzen entwickeln. Pustula (Eiterbläschen): Ein mit Eiter gefülltes, in der Oberhaut befindliches Bläschen, z.B bei Akne Impetigo contagiosa (Borkenflechte) Windpocken Milzbrand Squamae (Schuppen): Durch Abstoßung von Hornschichten entstehende Abschuppung, z.B bei Psoriasis Neurodermitis Kontaktekzem Scharlach Masern trockener Haut Crusta (Kruste, Schorf): Entsteht bei fehlender Oberhaut und besteht aus eingetrocknetem Blut, z.B bei. Neurodermitis Borkenflechte Windpocken Erosio (oberflächlicher Epidermisverlust): Substanzverlust der Oberhaut. Heilt im Gegensatz zur Abschürfung und zum Geschwür narbenlos ab (z.B. geplatzte Blasen). Excoratio (Abschürfung): Ein traumatisch entstandener Gewebsverlust, der bis in die Lederhaut reicht. Ulcus (Geschwür): Tiefergehender Gewebsdefekt, der auf krankhaftem Gewebe entsteht. z.B. Ulcus ventriculi, Ulcus duodeni, Ulcus cruris, ulzerierende Tumore Rhagade (Einriss): Ein spaltförmiger Einschnitt der Haut infolge Überdehnung bei herabgesetzter Elastizität z.B. bei Eisenmangelanämie Cicatrix (Narbe): Eine Bindegewebsvermehrung als Ersatz der Epidermis. Eine Narbe führt zum Parenchymverlust: Haare, Hautdrüsen, Melanozyten und elastische Fasern fehlen. Erkrankung des Narbengewebes siehe unter Keloid M.8.5.2 Weitere Hauterscheinungen Exanthem: Ansammlung mehrerer entzündlicher, häufig infektiöser Hautveränderungen auf einem größeren Hautbezirk (klassische Exantheme bei Masern, Röteln, Scharlach und Windpocken) Enanthem: Effloreszenzen der Schleimhaut. z.B. Koplik-Flecken (kleine weiße Stippchen der Wangenschleimhaut bei Masern) Aphthen Scharlachzunge (Himbeerzunge) Ekzem: Nicht infektiöse Hautentzündung mit Juckreiz, die meist allergisch bedingt ist (sog. Juckflechte). Erkrankungen siehe unter M.8.2.3 Abszess: Eiteransammlung in einer durch Gewebseinschmelzung gebildeten Höhle. Ein Empyem ist eine Eiteransammlung in einer vorgebildeten Höhle, z.B. Gallenblasenempyem. Fistel: Abnormer Gang, der ein tieferliegendes Organ mit der Haut oder einem anderen Organ verbindet und durch den ein Sekret (meist Eiter) abfließt. Haut Pathologie 417 Spezielle Pathologie der Haut Hautinfektionen Bakterielle Entzündungen der Haut (Pyodermien) Auf der Haut finden wir eine natürliche Besiedelung mit Mikroorganismen, die als Hautflora für die Abwehr von pathogenen Erregern Grundvoraussetzung ist. Kommt es zu einem Ungleichgewicht der natürlichen Hautflora, können besonders pathogene Bakterien zur Infektion und Erkrankung der Haut führen. Urs.: Verletzungen der Haut (günstige Eintrittspforte) Immunschwächende Erkrankungen (z.B. AIDS, maligne Tumore) Immunschwächende Medikamente (z.B. Immunsuppressiva, Kortison, Zytostatika) Systemerkrankungen, z.B. Diabetes mellitus, Cushing-Syndrom, hormonelle Veränderungen Entzündungen des Haarfollikels Follikulitis: Oberflächliche Entzündung eines Haarfollikels, häufig durch Staphylococcus aureus verursacht. gerötetes, schmerzhaftes Knötchen (evtl. Pustelbildung) im Bereich des Haares Bevorzugte Stellen: Gesicht (Bartbereich), Oberschenkel und am Rumpf Furunkel: Aus einer Follikulitis entstehende, eitrig nekrotisierende Einschmelzung des gesamten Haarfollikels. Die Haarwurzel sind irreversibel geschädigt. Kann an jeder Stelle der behaarten Haut auftreten. äußerst schmerzhafter Knoten mit zentraler eitriger Einschmelzung Bevorzugte Stellen: Gesicht, Genick, Achselhöhlen und Gesäß Abheilung führt in der Regel zur Narbenbildung Bei Lokalisation im Gesicht besteht als Komplikation Gefahr auf Sinus-thrombose (Hirnvenenthrombose) mit Meningitis. Karbunkel: Entstehen durch mehrere beieinanderliegende konfluierende (ineinanderfließende) Furunkel. mehrere nekrotische Knoten, sehr schmerzhaft, oft bläulich verfärbt Diabetiker, Patienten mit Kortisonbehandlung und immungeschwächte Patienten (z.B. Leukämie) sind besonders gefährdet (Furunkulose). Erysipel (Wundrose) Def: Flächige, bakterielle Entzündung der Lederhaut, die auf dem Lymphweg zur Ausbreitung neigt. Behandlungsverbot gemäß IFSG §24 Urs: Am häufigsten: Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (Strepto-coccus pyogenes). Die Bakterien gelangen über kleinste Verletzungen, Rhagaden, Geschwüre oder andere Wunden in den Körper. Sym: flammenförmigen Rötung scharf begrenzt, teilweise Handteller groß sehr schmerzhaft leicht ödematös (geschwollen) Fieber und Schüttelfrost, Krankheitsgefühl Lymphknotenschwellung Mögliche Varianten bei schwerem Verlauf: © Arpana Tjard Holler (Autor) 418 Haut Pathologie Blasenbildung (bullöses Erysipel) Blutungen (hämorrhagisches Erysipel) Nekrosen (nekrotisches Erysipel) Häufigste Lokalisation: Unterschenkel und Gesicht Kom: Rezidivneigung mit Gefahr auf Bildung von Elephantiasis Sepsis, Bakteriämie mit Ansiedlung der Keime in inneren Organen Sinusthrombose bei Bildung im Gesicht Ausbildung eines Lymphödems Impetigo contagiosa (Borkenflechte) Def: Ansteckende, bakterielle Hautinfektion, die häufig im Kindesalter auftritt und überwiegend im Gesicht (Mundwinkel) und an den Extremitäten lokalisiert ist. Behandlungsverbot gemäß IFSG §24. Urs: Am häufigsten: Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A Staphylokokkus aureus Eintrittspforte: Kleinste Hautverletzungen Sym: Beginn mit Bläschen und Pusteln auf geröteter Haut, die dann aufplatzen Typische gelbbraune (honiggelbe) Krustenbildung Häufigste Lokalisation: Gesicht Phlegmone Def: Eitrige diffuse Bindegewebsentzündung, die sich flächenhaft (v.a. subkutan) entlang von Muskeln, Faszien und Sehnen ausbreitet und mit lokalen und allgemeinen Entzündungszeichen einhergeht. Urs: Erreger sind meist Staphylokokken, seltener Streptokokken. Begünstigung häufig durch kleinste Verletzungen in der Haut, z.B. Insektenstiche. Sym: Offen und großflächige, sehr schmerzhafte Eiterbildung Örtliche Entzündungszeichen (Rötung, Schwellung) Krankheitsgefühl, Fieber, allg. Entzündungszeichen Betroffen sind v.a. Arme und Beine Systemische bakterielle Infektionen mit Beteiligung der Haut Im Grunde kann fast jede Infektionskrankheit zu einer entsprechenden Hauterscheinung führen. Bei vielen bakteriellen Infektionskrankheiten kommt es zu einer charakteristischen Reaktion der Haut, z.B. bei Lepra, Tuberkulose, Scharlach, Lyme-Borreliose (Erythema migrans), Typhus (Bauchroseolen). Virale Infektionen der Haut Herpesinfektionen Herpes simplex Typ 1 (Herpes labialis, humanes Herpes Virus 1) befällt vor allem Haut und Schleimhaut, bevorzugt sind die Lippen und die Mundschleimhaut kleine, schmerzhafte, meist seröse Bläschen auf geröteter Haut, häufig in Gruppen, später Eintrocknung mit gelber Krustenbildung Erstinfektion im Kindesalter häufig Rezidive mit meist bekannten Auslösungsfaktoren Haut Pathologie 419 UV-Strahlung (Herpes solaris) Infektion, Fieber (Herpes febrilis) Menstruation (Herpes menstrualis) psychische Belastungen (Stress), Traumata (Herpes traumaticus) Mundfäule (Stomatitis herpetica), schwere Verlaufsform bei Säuglingen und Kleinkindern im Bereich der Mundschleimhaut mit Fieber und starken Schmerzen Lippenherpes kann auch Genitalherpes auslösen. Herpes simplex Typ 2 (Herpes genitalis, humanes Herpes Virus 2) befällt v. a. die Schleimhaut des Genitalbereiches (Vulva, Vagina, Urethra) mit gruppierten Bläschen an der Eintrittspforte Für den HP gilt ein Behandlungsverbot gemäß IFSG §24. Herpes-Zoster-Infektionen (Windpocken und Gürtelrose, humanes Herpes Virus 3). Für den HP gilt ein Behandlungsverbot gemäß IFSG §7/24. Mononukleose (Epstein-Barr-Virus, humanes Herpes Virus 4) Zytomegalie (Zytomegalie-Virus, humanes Herpes Virus 5) Infektionen mit Papillomviren Das Haupterscheinungsbild der Papillomviren sind die verschiedenen Warzenformen: Verruca vulgares (gewöhnliche Warze): Erbsengroße, verhornte Knötchen mit typischer zerklüfteter Oberflächenstruktur und häufiger Lokalisation an den Händen Verruca plantaris (Dornwarze): wachsen dornartig an den Fußsohlen in die Haut ein und können äußerst schmerzhaft sein Dellwarze (Molluscum contagiosum): Stecknadelkopf- bis erbsengroße Papeln der Oberhaut (= Epidermis), welche häufig eine zentrale Eindellung aufweisen und auf Druck eine weißlich krümelige Masse entlassen. Besonders im Gesicht, Hals, Thorax und Genitalien. Befällt vorwiegend Kinder, Jugendliche und Patienten mit Immundefekten (z.B. HIV-Infektion). Wird von Mensch zu Mensch übertragen. Patienten mit Dellwarzen wird geraten nicht in öffentliche Bäder zu gehen, separate Handtücher zu benutzen, keinen direkten Körperkontakt zu unterhalten und sich nicht zu kratzen (steckt sich selbst an). Condylomata acuminata (Feig- oder Feuchtwarzen): kleine, weiche, wucherartige Papeln, die später durch Verhornung hart werden. Genitale Lokalisation, durch Geschlechtsverkehr übertragbar. Für den HP gilt ein Behandlungsverbot gemäß IFSG §24. Viruserkrankung mit Beteiligung der Haut Bei einigen viralen Infektionskrankheiten kommt es zu einer charakteristischen Reaktion der Haut, z.B. bei Masern und Röteln Pilzerkrankungen der Haut (Mykosen) Pilze befinden sich auf der gesunden Haut und Schleimhaut. Sie werden zu den opportunistischen Erregern gezählt. Nur bei geschwächter Abwehrlage verursachen sie eine systemische Pilzinfektion. Begünstigende Faktoren: Immunschwächende Medikamente (Kortison, Immunsuppressiva, Zytostatika, Antibiotika) Immunschwächende Erkrankungen (z.B. AIDS, Leukämie, Krebs) Diabetes mellitus (hoher Glukosespiegel) © Arpana Tjard Holler (Autor) 420 Haut Pathologie Alkoholkrankheit Schwangerschaft (Glukosereichtum) Feuchtes Milieu (Arbeiten in nassen Räumen, feuchte Hautfalten) Humanpathogene Pilze werden in drei Gruppen unterteilt: Schimmelpilze (Aspergillus flavus). Bei starker Abwehrschwäche kann es zum Befall der Lunge, ZNS und Magen-Darm-Trakt mit Gefahr der Sepsis kommen. Dermatophyten (sog. Fadenpilze). Sie siedeln sich in den Hornschichten der Haut an und führen zu Fußmykosen (Tinea pedis = gewöhnlicher Fußpilz). Sie treten häufig bei Feuchtigkeitsstau in Hautfalten und bei Diabetikern auf. Trychophython Microsporum Hefen. Sie sind meist Zeichen einer Abwehrschwäche. Häufigster Erreger ist Candida albicans (Candida-Mykosen). In 70% der Fälle werden sie bei Gesunden gefunden. Sie werden zu den opportunistischen Erregern gezählt und verursachen nur bei immungeschwächten Personen eine Infektion, welche dann mit Antimykotika behandelt wird. Soor der Mundschleimhaut, abkratzbare weiße Beläge Soor der Ösophagealschleimhaut, Schluckbeschwerden Candidose der Haut (am häufigsten; 80% der Fälle) Candidose der Genitalschleimhaut bei starker Abwehrschwäche Organmykose und Sepsis möglich (Endokard, Meningen, Leber, Niere) Pityriasis versicolor: befällt die Oberhaut und ist nicht ansteckend. Parasitäre Hauterkrankungen Heute haben diese Erkrankungen durch die verbesserte Hygiene an Zahl abgenommen. Parasitäre Hauterkrankungen werden verursacht durch: Läuse Kopfläuse (Pediculus humanus capitis) kommen am häufigsten bei Kindern vor. Sie sind kein Zeichen für schlechte Hygiene. Übertragung durch engen Kopfkontakt. Durch heftiges Kratzen kann eine bakterielle Infektion mit eitrigem Ausschlag und Blasenbildung entstehen, ebenso vergrößerte Nackenlymphknoten. Gemäß IFSG besteht eine Meldepflicht für Kinder mit Kopfläusen, die in Einrichtungen wie Schulen oder Kitas betreut werden. Können das Läuserückfallfieber übertragen. Ausgewachsene Kopfläuse sind mit dem bloßen Auge erkennbar (3 mm) und nehmen mehrmals täglich Blut als Nahrung auf. Kleiderläuse (Pediculus humanus corporis) können das Fleckfieber (Typhus exanthematicus) und das Läuserückfallfieber übertragen. Filzläuse bzw. Schamläuse (Phthirus pubis) kommen v.a. in der Schambehaarung vor, seltener in den Achsel- oder Barthaaren. Übertragung geschieht durch sexuellen Kontakt, aber auch durch Handtücher oder Kleidungsstücke. Taches bleues („Tasch blö“) sind kleine blaue hämorrhagische Flecken, die an den Bissstellen der Filzläuse entstehen, die in der Regel einen starken Juckreiz verursachen. Zecken sind vor allem wegen der Übertragung von Borreliose und FSME (FrühsommerMeningoenzephalitis) gefürchtet. Krätzmilbe (Skabies) werden im IFSG §34 erwähnt und sind im Kapitel Infektionslehre gesondert aufgeführt. Flöhe (übertragen Yersinia pestis), Wanzen Haut Pathologie 421 Allergische Hauterkrankungen Urtikaria (Nesselsucht) Def: Allergisch bedingte, schubweise auftretende Quaddelbildung. Urs: Häufig auslösende Antigene bei der allergischen Urtikaria: Pollen, Staub, Haare Nahrungsmittel, Farbstoffe, Konservierungsstoffe Medikamente (z.B. ASS) Insektenstiche seelischer Stress Physikalische Urtikaria: Einwirkung von Kälte und Wärme (cholinergische Urtikaria, z.B. durch ein warmes Bad) Sonneneinstrahlung Druck und Reibung (Druckurtikaria) Pat: Freisetzung von Histamin führt durch Kapillarerweiterung zu Hautödemen. Allergische Reaktion vom Soforttyp (anaphylaktischer Typ). Sym: rot-weiße Quaddelbildung unterschiedlicher Größe flach erhaben, scharf begrenzt stark juckend Kom: Anaphylaktischer Schock Quincke-Ödem (Angioödem) Def: Sonderform der Urtikaria mit plötzlichen, heftigen Hautödemen, die bevorzugt im Gesicht zwischen Lederhaut und Subkutis auftritt. Ein möglicher Auslöser kann Acetylsalicylsäure (ASS) sein. Normalerweise bildet sich das Quincke-Ödem innerhalb von Stunden vollkommen zurück. Sym: Durch massives Ödem der Subkutis auftretende starke Schwellungen mit Spannungsgefühl. Häufige Begleiterscheinungen: Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Kom: Larynxödem (Anaphylaxie) mit Erstickungsgefahr. The: In erster Linie muss das auslösende Agens vermieden werden. Bei schweren Verlaufsformen, v.a. bei Mitbeteiligung der oberen Atemwege, muss eine medikamentöse Therapie mit Glukokortikoiden und Antiallergika erfolgen. Ekzem (sog. Juckflechte) Def: Nicht infektiöse, chronisch-rezidivierende, schubweise auftretende Entzündungsreaktion der Haut, häufig mit starkem Juckreiz. Sym: Ekzeme treten sehr vielgestaltig auf (polymorph) Entzündungszeichen Bläschen- und Blasenbildung Erosionen Juckreiz Blutbild: Eosinophilie, IgE © Arpana Tjard Holler (Autor) 422 Haut Pathologie Haut Pathologie 423 Beim chronischen Verlauf Krusten- und Schuppenbildung, Nässen Rhagaden Exogenes Ekzem Allergisches Kontaktekzem: Allergie vom Spättyp (erst Sensibilisierungsphase, dann Auslösungsphase). Toxisches (nicht allergisches) Kontaktekzem: Entsteht durch andauernden Kontakt mit schädigenden Reizen. Das Ekzem heilt ab, sobald der Reiz fortfällt (kann in ein allergisches Kontaktekzem übergehen). Häufiges Vorkommen bei: Hausfrauen (Spülwasser), Friseure, Bäcker, Krankenschwestern (Desinfektionsmittel), Mauerer, Handwerker u.a. Endogenes Ekzem Syn: Neurodermitis, atopische Dermatitis, atopisches Ekzem Atopie: Genetische Veranlagung für allergische Reaktionen vom Soforttyp. Für eine Atopie spricht: Dermographismus: Nach Bestreichen der Haut mit einem spitzen Gegenstand treten für eine längere Zeit weiße Hautstreifen auf. Danach führt eine reaktive Hyperämie zum roten Dermographismus. Dennie-Morgan-Falte: Ein oder zwei untere Augenfalten, beidseitig. Def: Chronisch rezidivierende, in Schüben auftretende, stark juckende, allergische Hauterkrankung. Urs: Idiopathisch (familiäre Häufung) Auslösende Faktoren Jahreszeitenwechsel (Winter, Frühjahr) Nahrungsmittel Infektionen Psychische Belastungen (z. B. Stress) Allergenexposition Pat: Im ersten Lebensjahr besteht häufig Milchschorf. Im weiteren Verlauf des Lebens neigen diese Patienten häufig zu allergischen Erkrankungen wie Heuschnupfen, Asthma bronchiale und allergischer Konjunktivitis. Diese Menschen nennt man Atopiker. Sym: erosive, nässende, schuppende, krustige und gerötete Ekzeme meist heftiger Juckreiz Vergröberung der Hautfelder (Lichenifikation) trockene, glanzlose Haut durch Unterfunktion der Talg- und Schweißdrüsen evtl. Hertoghe-Zeichen: seitlicher Ausfall der Augenbrauen Häufige Lokalisation: Bei Erwachsenen v.a. an den Beugeseiten der großen Gelenke und im Gesicht, Hals, Nacken, Schulter, Brust. Bei Kindern v.a. an den Streckseiten. Die Intensität der Neurodermitis nimmt mit dem zunehmenden Alter ab. Erythema nodosum (sog. Knotenrose) Def: Akute Entzündung der Subkutis mit Granulombildung. © Arpana Tjard Holler (Autor) 424 Haut Pathologie Urs: Allergische Reaktion der Haut (Allergie Typ III). Tritt meist in Zusammenhang mit anderen Erkrankungen auf: bei einigen Infektionskrankheiten: Streptokokkeninfektion, Ornithose, Tuberkulose, u.a. Morbus Crohn Rheumatisches Fieber Sarkoidose (Morbus Boeck) Medikamente (z.B. Antibiotika, “Pille“) Sym: schmerzhafte Knotenbildung mit teigig-derber Konsistenz farbliche Veränderung der Knoten von rötlich nach braun Meist allgemeines Krankheitsgefühl: Fieber, Gelenkschmerzen, BSG Häufige Lokalisation: Meist symmetrisch an den Unterschenkelstreckseiten Tritt gehäuft im Frühjahr und Herbst auf. Frauen sind häufiger betroffen. Tumoröse Hauterkrankungen Gutartige Hauttumore Gutartige Hauttumore sind sehr häufige, angeborene oder erworbene Hautveränderungen. Lentigo simplex (Leberfleck = Nävus), flacher und brauner meist runder Fleck, welche nur aus Melanozyten entsteht und nicht entarten kann Nävuszellnävus, ein aus Nävuszellen (gutartig veränderte Melanozyten) bestehendes Muttermal, welches die Möglichkeit zur Entartung (malignes Melanom) besitzt. Hautzysten, besonders Talgzysten (Atherome = Grützbeutel) Fibrome und Lipome der Haut Hämangiom (Blutschwamm), gutartige Neubildung von Blutgefäßen, die sich meist in den ersten Lebenswochen entwickeln und in der Regel keine weiteren Maßnahmen nach sich zieht. Präkanzerosen der Haut Präkanzerosen sind Gewebsveränderungen, die erfahrungsgemäß eine maligne Entartung vermuten lassen. Keratose: Eine geschwulstartige übermäßige Hornhautvermehrung mit leicht schuppigen, gelblich-braunen fest haftenden Erhebungen. Am häufigsten bei älteren Menschen an lichtexponierten Hautstellen (v.a. Gesicht und Handrücken) auftretend (aktinische Keratose = Lichtkeratose) aber auch durch langjährigen Umgang mit bestimmten Giften (z.B. Arsenkeratose, Röntgenkeratose, Teerkeratose). Leukoplakie (Weißschwielenkrankheit): Nicht abstreifbare, scharf begrenzte, rundliche, weißliche Herde an Zungen, Lippen, Wangenschleimhaut und Geschlechtsorgane. Rauchende Männer sind häufiger betroffen! Morbus Bowen: Gilt als Carcinoma in situ, ein Karzinom, das die Basalmembran noch nicht durchbrochen hat. Scharf begrenzte entzündliche Hautveränderung mit braunroter bis gelblich nässender Schuppenkruste Lentigo maligna: Gilt als Vorstufe des malignen Melanoms. langsam größer werdender brauner Fleck, der schließlich tastbar wird, v.a. an lichtexponierten Stellen Haut Pathologie © Arpana Tjard Holler (Autor) 425 426 Haut Pathologie Bösartige Hauttumore Basaliom (sog. weißer Hautkrebs) Def: Häufigster Tumor der Haut, der von der Basalschicht der Oberhaut ausgehend zerstörerisch und infiltrativ in die anderen Hautschichten wächst. Das Basaliom metastasiert meist nicht und wird daher als semimaligner Tumor bezeichnet. Pat: Basaliome finden sich meist im Gesicht (90%) und bei älteren Menschen. Sym: In ihrer Erscheinungsform können Basaliome unterschiedlich sein: Knotiges Basaliom mit starker Gefäßzeichnung (Teleangiektasien), Krusten, Vernarbungen und Abschuppung (hautfarbenes und glasig derbes Knötchen). Ulzerierendes Basaliom mit typischen, perlschnurartigen, oft glänzendem Randsaum. Spinaliom (Stachelzellkarzinom) Def: Bösartiger Tumor, der von der Stachelzellschicht der Oberhaut ausgeht und sich besonders an Schleimhautübergängen zeigt. Urs: Prädisposition: hellhäutige Menschen, hohe Sonnenexposition chronisch entzündete, veränderte Haut (z.B. Narben, Ekzem) krebsauslösende Noxen (z.B. Nikotin, Strahlen) Pat: Häufige Lokalisation der Spinaliome an Lippen und Zunge (v.a. Zigarrenraucher), Penis, Vulva und After. Sym: Zu Beginn harter, schmerzloser Knoten, der schnell wächst Von der Mitte ausgehende Ulkusbildung, evtl. mit Krusten bedeckt Entzündungszeichen Malignes Melanom (sog. schwarzer Krebs) Def: Von den Melanozyten der Oberhaut ausgehender sehr bösartiger Tumor (betrifft seltener die Aderhaut des Auges und die Gehirnhäute). Entspringt häufig einem Nävuszellnävus (erworbenes „Muttermal“), kann aber auch aus gesunder Haut entstehen. Bevorzugte Lokalisation: Stamm (Brust, Rücken) und Extremitäten. Biopsien werden bei Verdacht auf ein malignes Melanom nicht entnommen. Völlig pigmentfreie Melanome können auftreten. Hat in den letzten Jahrzehnten an Häufigkeit zugenommen. Urs: Prädisposition: lichtempfindliche Haut hohe Anzahl von Leberflecken hohe Sonneneinstrahlung (Sonnenbrände) Sym: knotiges Melanom (noduläres Melanom) unscharf begrenzte, blauschwarze bis tiefschwarze, evtl. violette Knoten oft mit entzündlichem Hof, kann ulzerieren mit Verkrustungen oberflächlich ausbreitendes Melanom unregelmäßige, oft unscharf begrenzte, schwarzbraune Flecken, die rasch wachsen Haut Pathologie 427 Verdachtszeichen auf Malignität rötlicher entzündeter Hof um einen Nävus (Muttermal) Blutungsneigung Ulzeration Auftreten kleiner Satellitenknötchen durch regionäre Metastasierung Regionale Lymphknotenschwellung Juckreiz, Schmerzen, „es arbeitet im Tumor“ schnelles Wachstum eines Pigmentflecks Zunahme der Pigmentierung, blauschwarze Verfärbung Hautveränderungen, Entstehung einer höckerigen Oberfläche schwarzer Fleck unterm Fußnagel Kaposi-Sarkom Def: Vom Bindegewebe der Blutgefäße ausgehender bösartiger, sehr schnell wachsender Tumor (= Sarkom), der Haut und Schleimhäute und im späteren Verlauf auch inneren Organen befällt. Häufig bei Aids auftretende Hauterscheinung. Pat: Klassisches Kaposi-Sarkom, tritt selten auf. Epidemisches Kaposi-Sarkom im Rahmen einer HIV-Infektion. Generalisierte Form mit raschem Wachstum und schneller Ausbreitung. Sym: bräunliche, flache Knötchen, die ulzerieren können bilden sich meist symmetrisch und am Anfang an den unteren Extremitäten Befall der Schleimhäute und inneren Organe bei Aids-Patienten möglich Erkrankungen der Talgdrüsen Akne (Entzündliche Dermatose des Haarfollikels) Def: Durch Talgdrüsenhyperplasie kommt es zu einer vermehrten Talgproduktion mit Bildung von sog. Mitessern (Komedonen), die sich dann entzünden können. Sekundäre bakterielle Infektionen sind häufig. Urs.: Endogen bedingt Akne Akne vulgaris, hormonell bedingt (Beginn in der Pubertät), Talgdrüsensekretion wird durch Androgene stimuliert Exogen bedingte Akne Akne medikamentosa (Antibiotika, Kortison, Antiepileptika) Kontaktakne (Öle, Fette, Kosmetika, Chemikalien) Sym: entzündete Papeln und Knoten mit Pustelbildung, meist schmerzhaft Schwere Verlaufsform: Akne conglobata mit großen entzündlich-eitrigen Knoten und der Neigung zur Abszess- und Fistelbildung, heilen narbig ab. Seborrhoe Def: Übermäßige Fettung der Haut durch eine Überfunktion der Talgdrüsen. Urs: Primär, v.a. bei Männern Anfang Pubertät bis Ende 3. Lebensjahrzehnt Sekundär, z.B. Parkinson Syndrom, Hyperthyreose, Akromegalie, Medikamente Pat: Seborrhoe kann selbständig auftreten oder als Symptom z.B. bei Akne vulgaris und beim Morbus Parkinson. © Arpana Tjard Holler (Autor) 428 Haut Pathologie Haut Pathologie Sym: 429 fettige, ölige Haut (Salbengesicht) gelblich-rote schuppende Hautstellen am Haaransatz Rhinophym (sog. Knollennase) Def: Fast nur bei Männern auftretende knollige Verdickung der Nase infolge Hyperplasie der Talgdrüsen und des umliegenden Bindegewebes. Die Nase verfärbt sich dabei hellrot bis bläulich. Häufig entsteht ein Rhinophym im Rahmen einer Rosazea. Urs: Idiopathisch. Tritt selten in Zusammenhang mit der Alkoholkrankheit auf. Atherom (sog. Grützbeutel) Syn: Grützbeutel, Epidermiszyste, epidermale Zyste. Def: Eine allmählich wachsende prallelastische Zyste der Epidermis. Bevorzugte Lokalisation ist die Kopfhaut, Gesicht, Hals und Nacken. Der Inhalt ist eine weißlich-gräuliche, gekörnte Substanz. Urs: Verstopfung des Ausführungsganges von Talgdrüsen, wobei die Talgdrüsen den Talg nach innen abgeben und so zur enormen Schwellung der Drüse führen können. Sym: Deutlich tastbarer herber Knoten, in der Regel mit einem zentralen schwarzen Punkt (verstopfter Talgdrüsenausgang). Kom: Infektion des Atheroms The: Operation Andere Hauterkrankungen Psoriasis (Schuppenflechte) Def: Nicht-ansteckende entzündliche Hauterkrankung mit einer überschießenden Epidermisbildung und der daraus resultierenden extremen Schuppenbildung. Urs: Idiopathisch; unbekannte Entzündungsreaktion der Haut führt zum extremen Wachstum der Zellen der Oberhaut. Häufiges familiäres Auftreten (HLA-B27 häufig positiv) 2-4% der (weißen) Bevölkerung erkranken an Psoriasis. Auslösende Faktoren: Stress, Hautinfektionen, mechanische Irritation, grippale Infektionen, Toxine, Klimaveränderungen, Medikamente (z.B. Betablocker, Antibiotika, NSAR), Alkohol Pat: Im Normalfall benötigt die Entwicklung der Oberhaut von Basalzellschicht bis zur Hornhaut ca. 28 Tage. Im Fall der Schuppenflechte beträgt diese Zeit nur noch 4 Tage. Die Erkrankung äußert sich häufig chronisch und schubweise. Sym: Scharf abgegrenzte rötlich erhabene Hauterscheinungen (runde Plaques von ca. 2-3 cm Durchmesser) mit silbrig-weißen oder silbrig-glänzenden Schuppen Psoriasisphänomene (typische Hauterscheinungen nach Abkratzen) Kerzenfleck-Phänomen: Abgekratzte Hautschuppen erinnern an abgeschabtes Kerzenwachs. Psoriasis-Häutchen: Beim Abkratzten der Schuppen stößt man als letzte Schicht auf ein dünnes, zartes Häutchen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 430 Haut Pathologie Auspitz-Phänomen: Bei Beschädigung dieser dünnen Epithelschicht kommt es zur punktförmigen Blutung. Nagelveränderungen, wie z.B. Tüpfelnägel (kleine runde ausgestanzte Nageldefekte), Ölfleckphänomen (gelbliche Verfärbungen), Krümelnägel (krümeliger Zerfall der Nägel) Prädilektionsstellen (bevorzugte Stellen) sind die Streckseiten der großen Gelenke. Es können jedoch alle Körperstellen betroffen sein (z.B. Analregion). In der Regel ist die allgemeine Gesundheit nicht beeinträchtigt (gilt nicht für die Psoriasisarthritis). Kann jucken In vielen Fällen bessern sich die Symptome während der Sommermonate Kom: In 5-10% der Fälle tritt gleichzeitig eine Psoriasisarthritis auf, welche nicht selten zur völligen Funktionsuntüchtigkeit des Gelenkes führt und v.a. die kleinen Gelenke befällt. Iridozyklitis (Entzündung von Iris und Ziliarkörper), Retinitis The: Entfernung der Schuppen Lichttherapie mit ultraviolettem Licht (UVA) Medikamentöse Behandlung mit Immunsuppressiva Keloid (Wulstnarbe) Def: Eine gutartige, derbe Bindegewebswucherung nach Verletzungen im Bereich der Narbe und über die Narbe hinaus. Urs: Systemische Wundheilungsstörung mit familiärer Häufung. Sym: Entweder direkt nach dem Trauma oder erst Wochen oder Monate danach Entstehung einer derben, wulstartigen Gewebswucherung. Entstehung häufig nach Verbrennungen oder anderen großflächigen Hautverletzungen. Rosacea (Kupferfinne) Def: Allmähliche und in Schüben auftretende fleckenhafte Entzündung im Gesicht (Stirn, Nase, Wangen und Kinn), die in Papeln und Pusteln übergehen können. Urs: Idiopathisch. Tritt v.a. im vierten bis fünften Lebensjahrzehnt auf. Es wird eine gestörte Blutzirkulation der Gesichtshaut vermutet. Es sind mehr Frauen betroffen. Sym: sehr unterschiedliche Ausprägungserscheinung möglich rötliche Flecken im Gesicht, teilweise geschwollen Papeln, Pusteln (ähnlich einer Akne) Bildung von entzündliche Knoten, die in eine Knollennase (Rhinophym) übergehen können Allgemeine Infektionslehre N. 431 Infektionslehre Allgemeine Infektionslehre Infektiologische Begriffe ...................................................................................................................... 432 Epidemiologische Begriffe .................................................................................................................... 438 Mikrobiologie (Krankheitserreger) ....................................................................................................... 439 © Arpana Tjard Holler (Autor) 432 Allgemeine Infektionslehre Infektiologische Begriffe Infektion Definition: Bezeichnet das Eindringen von Mikroorgansimen in den Körper mit nachfolgender Ansiedlung und Vermehrung. Die Reaktion des Körpers auf einen Krankheitserreger nennt man Infektionskrankheit. Unterscheidung: Exogene Infektion: Mikroorganismen kommen von außen und dringen in den Körper ein. Endogene Infektion: Mikroorganismen, welche schon im Körper leben (z.B. Escherichia coli) verursachen in einer anderen Region eine Infektion. Infektionsquelle (Erregerreservoir) Definition: Bezeichnet Plätze, an denen sich bestimmte Mikroorganismen wohl fühlen und optimale Konditionen finden, um sich zu vermehren. Quelle, von der die Infektion ihren Ausgang nimmt. Zu den Erregerreservoiren zählen u.a.: Mit Fäkalien verunreinigtes Wasser, Abwässer (z.B. Cholerabakterien, Salmonellen, Shigellen) Verunreinigte Nahrungsmittel, z.B. verdorbene Nahrungsmittel, ungenügend gereinigter Salat, ungenügend gegartes Fleisch, sekundär infizierte Nahrungsmittel Erde Kranker Mensch (größter Erregerreservoir), Dauerausscheider Tiere, z.B. Hunde (Echinokokken), Katzen, Rinder (Morbus Bang, HUS, Milzbrand), Schafe und Ziegen (Maltafieber), Vögel (Ornithose) Infektionskrankheiten, welche von Tieren auf den Menschen übertragen werden, bezeichnet man als Zoonose. Insekten: Mücken (z.B. Malaria), Zecken (FSME, Lyme-Borreliose), Flöhe (Pest), Läuse (Läuserückfallfieber, Fleckfieber) Infektionsmodus (Eintrittspforte) Definition: Die Eintrittspforte ist der Infektionsweg, welche die Erreger von außen nach innen in den Körper nehmen. Meist handelt es sich die geschädigte oder gesunde Haut bzw. Schleimhaut. Unterscheidung: Perkutane Infektion: Eine Erregerausbreitung durch die gesunde Haut. Permuköse Infektion: Eine Erregerausbreitung durch die gesunde Schleimhaut. Wundinfektion: Eine Erregerausbreitung über die Haut- bzw. Schleimhautverletzungen. Inokulationsinfektion: Eine Erregerausbreitung durch penetrierende Hautverletzungen, wie z.B. bei einem Insektenstich oder einer infizierten Injektionsnadel Respiratorische Infektion (Inhalationsinfektion): Eine Erregerausbreitung durch die Schleimhäute der Atemwege. Urogenitale Infektion: Eine Erregerausbreitung durch Schleimhäute des Harnbzw. Genitalapparates. Enterale Infektion: Eine Erregerausbreitung durch die Mukosa des MagenDarm-Apparates. Allgemeine Infektionslehre 433 Übertragungsweise Definition: Die Art und Weise, wie die Erreger von außen nach innen übertragen werden. Generelle Unterscheidung: Direkte Infektion (Kontaktinfektion): Eine Erregerausbreitung von einem Menschen zu einem anderen ohne Zwischenschritte bzw. einem Zwischenwirt. Beispiele hierfür sind Tröpfcheninfektion oder der direkten Berührung zwischen zwei Menschen (z.B. Herpes labialis, Pfeiffer-Drüsenfieber, Geschlechtskrankheiten). Indirekte Infektion: Die Erreger werden indirekt über die Umwelt aufgenommen, z.B. über infizierte Nahrungsmittel und Wasser, infizierte Gegenstände oder Zwischenwirte (Vektoren), wie z.B. blutsaugende Insekten (v.a. Zecken und Mücken). Dabei ist typisch, dass die Hand den Erreger aufnimmt und diesen zum Mund bringt. Weitere Unterscheidungen: Tröpfcheninfektion: Sog. fliegende Infektion. Kleine Mikropartikel gelangen durch Husten und Niesen in die Atemluft und werden inhaliert. Diese erregerhaltigen Tröpfchen sind größer als 100 µm (entspricht ca. dem Durchmesser eines menschlichen Haares). Ist der Flüssigkeitstropfen kleiner als 6 µm, spricht man von einer Aerosolbildung, einer aerogenen Übertragung, wie sie typischerweise bei der Legionellose auftritt. Schmierinfektion: Eine indirekte Kontaktinfektion, die auch als fäkal-oral bezeichnet wird, weil die überwiegende Zahl der Schmierinfektion durch Erreger entsteht, die mit dem Kot ausgeschieden werden (z.B. Noroviren, Salmonellen, Yersinien, Shigellen). Möglich wäre jedoch auch eine Infektion über einen Gegenstand, welcher mit infektiösen Speichel oder Urin oder Erregern aus eine Wunde behaftet sind. Parenterale Übertragung (parenteral = unter Umgehung des Magen-DarmTraktes): Über den Blutweg übertragene Infektionskrankheit, z.B. HIV, Hepatitis (HBV, HCV, HDV) Diaplazentare Übertragung (pränatale Übertragung): Beim Ungeborenen von der Mutter über die Plazenta übertragene Infektion. In der Regel ist die Infektion nur dann für das Kind gefährlich, wenn die Mutter diese Infektion zum ersten Mal durchmacht. Beim ersten Kontakt mit den Erregern bildet der Körper Immunglobuline der Klasse M (IgM). Diese schützen den Organismus schnell und effektiv, sind jedoch nicht plazentagängig. In dieser Zeit können die Erreger das ungeborene Kind schädigen. Folgende Erreger sind relevant: Syphilis (Treponema pallidum) Toxoplasmose (Toxoplasmen) Others (andere): Listerien, Masernvirus, Ringelrötelnvirus, ZikaVirus, Windpocken-Virus (Merkspruch: „liebt mich richtig zackig wild“) Rötelnvirus Cytomegalie-Virus, Chlamydien Hepatitis-Viren, Herpes-Simplex-Viren, HIV Merkspruch: STO5RC2H3 (gesprochen: Storch O5C2H3) Perinatale Übertragung: Die Übertragung der Erreger auf das Kind erfolgt während der Geburt. Übertragung durch den Geschlechtsverkehr: Die häufigsten sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten bzw. Erreger sind: Gonorrhö (Gonokokken) Syphilis (Treponema pallidum) © Arpana Tjard Holler (Autor) 434 Allgemeine Infektionslehre HI-Virus (AIDS), Hepatitis B-Virus, Herpes-Virus, Papillomviren, genitale Chlamydien, Trichomonaden. Übertragung durch infizierte Wirbeltiere (Zoonosen): Folgende wichtige Infektionskrankheiten im IFSG gehören zu den Zoonosen: Brucellose (Morbus Bang) Enteritis-Salmonellosen Leptospirose Milzbrand, Ornithose, Q-Fieber, Tollwut, Toxoplasmose Inkubationszeit Definition: Der Zeitraum zwischen dem Eindringen der Erreger in den Organismus und dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome. Eine Anmerkung zum Erlernen der Inkubationszeiten der Infektionskrankheiten: Die Inkubationszeiten der wichtigen Infektionskrankheiten stur auswendig zu lernen ist nicht sinnvoll! Trotzdem ist es v.a. in der mündlichen Überprüfung notwendig Inkubationszeiten v.a. für die in §6 des IFSG genannten Erkrankungen zu nennen. In der Literatur werden unterschiedliche Zeiten genannt, so dass es möglich ist, die Inkubationszeiten zu vereinfachen. Mein Vorschlag, die Zeiten in drei Gruppen zu unterteilen: Gruppe I: Kurze Inkubationszeiten (wenige Stunden bis wenige Tage) treten v.a. bei Lokalinfektionskrankheiten auf, z.B. Scharlach, Diphtherie, Milzbrand, akute infektiöse Gastroenteritis. Gruppe II: Inkubationszeiten von 1-3 Wochen treffen fast immer auf allgemein zyklische Infektionskrankheiten zu, z.B. Masern, Poliomyelitis, Röteln, Windpocken, FSME Gruppe III: Alle Infektionskrankheiten, die nicht in Gruppe I oder II hineinpassen und die demnach sehr unterschiedlich Inkubationszeiten aufweisen, z.B. Hepatitis A und E (1-6 Wochen), Hepatitis B, C und D (1-6 Monate), HIV (2-6 Monate), Tuberkulose (4-6 Wochen, Tollwut (3 Wochen bis 3 Monate, abhängig von der Eintrittspforte), Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (Monate bis Jahre), Meningokokken-Meningitis (2-10 Tage) Inkubationszeit Bezeichnung Gruppe I Wenige Stunden bis wenige Tage Je mehr Erreger, desto schneller die ersten Symptome Lokale Infektionskrankheit Gruppe II 1 bis 3 Wochen Inkubationszeit ist genetisch festgelegt und hängt nicht von der Erregermeng ab Gruppe III Andere Inkubationszeiten, wie z.B. bei Hepatitis, HIV, Tbc, Tollwut, HSE Zyklische infektion Zyklische infektion Allgemein- Allgemein- Infektionsverlauf Generelle Unterscheidung Lokalinfektionskrankheit Eine auf die Eintrittsstelle beschränkte Infektion. Dort, wo die Erreger in den Körper eindringen bleiben und vermehren sie sich. Die Inkubationszeit ist kurz, wenige Stunden bis wenige Tage. Sie ist abhängig von der Erregermenge, je mehr Erreger desto kürzer die Inkubationszeit. Die Erreger sind v.a. Bakterien. Es entsteht keine echte Immunität, aber i.d.R. eine antitoxische Immunität. Allgemeine Infektionslehre 435 Die Gefährlichkeit einer Lokalinfektion besteht in ihrer toxischen Fernwirkung. Dabei entstehen Endotoxine durch den Zellzerfall der Bakterien und Exotoxine durch die Stoffwechselprodukte der Bakterien. Eine weitere Komplikation einer Lokalinfektion ist die Sepsis (sog. Blutvergiftung). Es handelt sich um ein massives Durchbrechen der Abwehrschranke von Bakterien. Diese gelangen ins Blut und können eitrige Metastasen in vielen Organen bewirken. Eine schwere Sepsis kann in einen septischen Schock mit Multiorganversagen übergehen. Die Letalität einer schweren Sepsis beträgt 50%. Die häufigsten Erreger, welche eine Sepsis verursachen, sind Streptokokken (Streptococcus pyogenes) und Meningokokken. Eine Bakteriämie ist ein zeitweiliges Vorhandensein von Bakterien im Blut, die von einem Herd verschleppt werden, aber keine Sepsis verursachen. Sie können eine sekundäre Entzündung im Körper verursachen, z.B. eine bakterielle Endokarditis. Beispiele für eine Lokalinfektion sind: Scharlach, Diphtherie, Follikulitis, Bronchitis, Gastroenteritis. Allgemein zyklische Infektionskrankheit: Wird auch als zyklische Allgemeininfektion oder generalisierte Infektion bezeichnet. Im Gegensatz zur Lokalinfektion greift sie auf den Gesamtorganismus über und folgt einem typischen Krankheitsverlauf. Dadurch werden drei Zyklen unterschieden: Inkubationsstadium: In diesem Stadium vermehren sich die Erreger ohne dabei Krankheitssymptome zu erzeugen. Dabei ist die Inkubationszeit genetisch festgelegt (häufig: 1-3 Wochen) und hängt nicht von der Erregermenge ab, die in den Körper eindringen. Generalisationsstadium (Prodromalstadium): In diesem Stadium erfolgt eine meist plötzliche lymphogene oder hämatogene Streuung mit deutlichen Krankheitssymptomen, welche i.d.R. unspezifisch sind und kaum einen Hinweis auf die jeweilige Infektionskrankheit geben: häufig hoher Fieberanstieg, meist starkes Krankheitsgefühl, Lymphknotenschwellungen, Milzschwellung, Leukopenie, häufig relative Bradykardie. Diese uncharakteristischen Allgemeinsymptome werden auch als Prodrome bezeichnet. Sie äußern sich häufig als grippeähnliche- oder gastrointestinale Beschwerden. Wandern die Erreger zu ihren eigentlichen Manifestationsorganen, kann das Fieber wieder sinken. Organmanifestationsstadium: Viele Erreger besitzen eine bestimmte (genetische festgelegte) Affinität zu bestimmten Organen, wie z.B. Leber, Milz, lymphatische Organe, Gefäße, Haut, Nervensystem. Das Fieber steigt wieder, so dass von einem biphasischen (zweigipfligen) Fieber (sog. Dromedarfieber) gesprochen wird. Dabei entspricht der 1. Fiebergipfel dem Generalisationsstadium und der 2. Fiebergipfel dem Organmanifestationsstadium. Die Symptome der Organmanifestation sind häufig richtungsweisend, z.B. Ikterus bei Hepatitis, typisches Exanthem bei Masern oder Röteln, Parotitis bei Mumps, Meningismus bei Meningokokkenmeningitis, erbsenbreiartiger Stuhl bei Typhus, Nervenlähmung bei Poliomyelitis. Es existieren allerdings auch Infektionskrankheiten, die kein biphasisches Fieber zeigen und deren Zyklen ineinander übergehen, wie z.B. bei virus-bedingtes hämorrhagisches Fieber, Leptospirose, Tularämie. Weitere Unterscheidungen Sekundärinfektion: Eine Infektion mit einem zweiten Erreger, die sich auf eine noch bestehende Infektion aufpfropft. Reinfektion: Eine erneute Infektion mit demselben Erreger nach bereits erfolgter Ausheilung. © Arpana Tjard Holler (Autor) 436 Allgemeine Infektionslehre Superinfektion: Eine erneute Infektion mit dem gleichen Erreger bei noch bestehenden Krankheitserscheinungen und noch nicht voll ausgebildeter spezifischer Immunität. Im medizinischen Sprachgebrauch wird manchmal der Begriff Superinfektion für den Begriff Sekundärinfektion benutzt! Ausmaß (Schwere) einer Infektion Inapparent Verlauf: Eine Infektion, welche klinisch nicht in Erscheinung tritt, also keine Symptome hervorbringt, obwohl eine Auseinandersetzung des Immunsystems mit den Keimen vorliegt. Subklinischer Verlauf: Bezeichnung für eine Infektion, welche einen leichten Verlauf (subakut) zeigt und mit relativ wenigen oder milden Symptomen einhergeht. Apparenter Verlauf: Eine Infektion mit einem deutlichen (manifesten) Verlauf. Zeitlicher Ablauf einer Infektion Asymptomatischer Verlauf: Die Infektion zeigt keinerlei Symptome. Gleichzusetzen mit inapparent. Akuter Verlauf: Die Infektion zeigt deutliche (allgemeine) Entzündungszeichen. Der Patient ist krank. Fulminanter Verlauf: Die Infektion verläuft sehr heftig mit sehr starken Symptomen. Ein fulminanter Verlauf ist häufig letal. Chronischer Verlauf: Die Infektion verläuft schleichend und ist von längerer Dauer. Die Entzündungsursache kann vom Körper nicht adäquat beseitig werden. Chronisch-rezidivierender Verlauf: Die klinischen Erscheinungen kommen und gehen. Chronisch-kontinuierlicher Verlauf: Die Infektion verharrt auf einer Krankheitsstufe. Chronisch-progredienter Verlauf: Die Infektion schreitet allmählich fort und die Symptome werden zunehmend schlimmer. Beschwerdestärke fulminanter Verlauf chronisch-progredienter Verlauf akuter Verlauf chronisch-kontinuierlicher Verlauf chronisch-rezidivierender Verlauf asymptomat. Verlauf Pathogenitäts- und Virulenzfaktoren Definition: Mechanismen, die eine Vermehrung von Erregern in einem Wirt ermöglichen bzw. verbessern. Pathogenität: Die grundsätzliche Fähigkeit eines Erregers einen Organismus zu infizieren oder zu schädigen bzw. eine Krankheit beim Menschen oder beim Tier auszulösen. Z.B. sind Escherichia coli-Bakterien außerhalb des Darms pathogen. Es gibt Erreger, die nur beim Menschen pathogen wirken und beim Tier nichts ausrichten können, z.B. Salmonella Typhi, Vibrio cholerae, Treponema pallidum. Umgekehrt gibt es Erreger, welche nur beim Tier pathogen wirken und beim Menschen nicht, z.B. klassische Schweinpest, Hundestaupe. Allgemeine Infektionslehre 437 Bei der Pathogenität handelt es sich um einen qualitativen Begriff; entweder krankmachend oder nicht-krankmachend. Obligat pathogen sind Erreger, die bei einem gesunden Menschen mit einem kompetenten Immunsystem Krankheiten verursachen können. © Arpana Tjard Holler (Autor) 438 Allgemeine Infektionslehre Fakultativ pathogen sind Erreger, die nur bei einem geschwächten Immunsystem Krankheiten erzeugen können. Diese Erreger werden auch als opportunistische Erreger bezeichnet. Beispiele: Legionellen, Toxoplasmen, Mykobakterien, Cytomegalie-Virus, Candida albicans Virulenz: Virulenz ist das Ausmaß der Pathogenität, beschreibt sozusagen die „Giftigkeit“ der Erreger und setzt sich aus verschiedenen Pathogenitätsfaktoren zusammen. Toxizität: Erreger besitzen die Fähigkeit Giftstoffe zu bilden. Typische Infektionen, welche mit einer toxischen Fernwirkung einhergehen sind: Botulismus, Cholera, Diphtherie, Gasbrand, Tetanus. Endotoxine entstehen durch den Zellzerfall der Bakterienzellwand (Lipopolysaccharide). Sie gehören zu den Pyrogenen, das heißt, sie erzeugen Fieber und entfachen die Entzündung (sog. Herxheimer-Reaktion). Sie können zum septischen Schock führen mit massiver Freisetzung von Histamin. Sie sind thermostabil. Exotoxine entstehen durch Stoffwechselprodukte der Bakterien. Die bekanntesten Exotoxine sind Neurotoxine, die von Clostridien (Botulismus, Tetanus, Gasbrand) produziert werden. Einige davon sind außerordentlich toxisch. Sie sind thermolabil, das heißt bei Erhitzung leicht zu zerstören. Sie rufen i.d.R. kein Fieber hervor. Epidemiologische Begriffe Definition: Epidemiologie ist eine medizinische Wissenschaft, die sich mit der Verbreitung und dem Verlauf von Krankheiten und deren Präventionsmöglichkeiten beschäftigt. Epidemie: Es handelt sich um eine zeitlich und örtlich begrenzte Infektion, welche stark gehäuft auftritt. Endemie: Eine ständig vorkommende Infektion, welche in einem begrenzten Gebiet auftritt, z.B. FSME in Bayern und Baden-Württemberg, Malaria. Pandemie: Ausbreitung einer Infektionskrankheit über Länder und Kontinente, z.B. HIV-Erkrankung, Influenza. Kontagionsindex (KI): Zahl der manifesten Erkrankung in Relation zur Zahl der Infizierten. Der Kontagionsindex gibt an, der wievielte Teil einer Bevölkerungsgruppe, die einem Erreger ausgesetzt war, dann auch daran erkrankt ist. Das heißt, KI gibt die Ansteckungsfähigkeit eines Erregers an. Beispiel: Von 100 Personen, die dem Keuchhustenvirus ausgesetzt waren, erkranken im Durchschnitt 95 Personen, das bedeutet, der KI beträgt 0,95. Kranke 𝐊𝐨𝐧𝐭𝐚𝐠𝐢𝐨𝐬𝐢𝐭ä𝐭𝐬𝐢𝐧𝐝𝐞𝐱 = Infizierte (immer 100%) Infektionskrankheit Diphtherie Masern Mumps Pertussis Poliomyelitis Röteln Typhus abdominalis Scharlach Kontagionsindex 0,1 0,95 0,8 0,95 0,001 0,2 0,5 0,2 Letalität: Das Verhältnis der an einer Krankheit verstorbenen Personen zur Anzahl der Infizierten. Beispiel: Von 100 an Ebola erkrankten Personen, sterben im Durchschnitt ca. 80 Personen, das bedeutet, die Letalität beträgt 80%. Allgemeine Infektionslehre 439 Morbidität: Die Morbiditätszahl gibt an, wie viele Menschen von 100.000 Personen in einem Jahr an der betreffenden Krankheit leiden. Das heißt, diese Zahl sagt etwas über die Krankheitshäufigkeit einer bestimmten Krankheit innerhalb einer bestimmten Bevölkerung aus. Somit kann die Erkrankungswahrscheinlichkeit abgeschätzt werden. Mortalität: Die Mortalitätszahl gibt an, wie viele Menschen von 100.000 Personen in einem Jahr an einer bestimmten Erkrankung verstorben sind. Inzidenz: Die Inzidenzzahl gibt an, wie viele Menschen von 100.000 Personen im Laufe eines Jahres an der betreffenden Krankheit neu erkranken. Prävention: Die Präventionsmedizin versucht Risikofaktoren von Krankheiten zu analysieren und sie durch bestimmte Maßnahmen zu reduzieren. Folgende Arten der Prävention werden unterschieden: Primärprävention: Beinhaltet den Erhalt der Gesundheit und die Vorbeugung von Krankheiten. Sie richtet sich an jeden gesunden Menschen mit dem Ziel bestimmte Krankheiten nicht entstehen zu lassen. Beispiele: Impfung, Kontrazeption, Aufklärung von Risikofaktoren und gesundheitsbeeinträchtigende Lebensweisen, regelmäßige Bewegung, Ernährungs-medizin, Gesundheits-Check, Bewältigung von Stress, Unfallverhütung. Sekundärprävention: Alle Maßnahmen, zur Früherkennung bzw. zur Verhinderung einer Chronifizierung einer Krankheit. Diese sollen dafür sorgen, dass eine Krankheit schon früh erkannt werden kann und diese sich nicht verschlimmern kann. Beispiele: Krankheitsfrüherkennung mit Screening- und Vorsorgeuntersuchungen (z.B. Krebsvorsorge), Eliminierung von Risikofaktoren wie z.B. Übergewicht, Hyperlipidämie oder Rauchen. Tertiärprävention: Maßnahmen, die eine Verschlimmerung einer bereits bestehenden manifesten Erkrankung zu verhindern. Ziel ist es, das Fortschreiten und das Auftreten von Komplikationen einer Krankheit abwenden zu können. Beispiele: Rehabilitationsmaßnahmen, Rezidivprophylaxe (z.B. Raucherentwöhnung und Lipidsenkung beim abgelaufenen Herzinfarkt). Mikrobiologie (Krankheitserreger) Bakterien Definition: Mikroorganismen, welche keinen Zellkern aufweisen. Werden als Prokaryonten bezeichnet. Charakteristische Merkmale: Erbinformation befindet sich in Form von DNS im Zellleib (sog. nacktes DNSMolekül). Kein Zellkern. Bakterien besitzen wenig Zellorganellen und keine Mitochondrien Zellwand besteht aus Murein, ein Polysaccharid, welches netzartig in mehreren Lagen aufgebaut ist. Das Besondere an dem Mureingerüst: Es ist antibiotikaempfindlich. Bakterienklassifizierung nach der Gram-Färbung (Anfärbbarkeit) der Bakterien. Grammpositive Bakterien besitzen ein dickeres Mureingerüst als Grammnegative. Einige Bakterien besitzen Geißeln oder Flagellen. Das sind fadenförmige Fortsätze, die das Bewegen der Bakterien ermöglichen. Einige Bakterien besitzen Fimbrien. Das sind wesentlich kleinere Fortsätze als die Geißeln. Sie ermöglichen ein Anheften der Bakterien an eine Wirtszelle. Anaerobier sind Bakterien, die ohne Sauerstoff leben und sich fortpflanzen. Durch O2 würden diese Bakterien gehemmt bzw. abgetötet werden. Wichtige Anaerobier im IFSG sind Clostridien. © Arpana Tjard Holler (Autor) 440 Allgemeine Infektionslehre Bakterien, welche zum Fortpflanzen O2 benötigen werden als Aerobier bezeichnet. Einige Bakterien sind in der Lage bei feindlichen Umweltbedingungen sog. Sporen zu bilden (Clostridien, Bacillus anthracis). Diese Sporen sind außerordentlich widerstandsfähig. Sie können ihren kompletten Stoffwechsel so reduzieren, dass sie sehr lange unter Widrigkeiten überdauern können. Bakteriensonderstellung haben Chlamydien (Chlamydia psittaci = Ornithose) und Rickettsien (Rickettsia prowazeki = Typhus exanthematicus, Coxiella burnetii = Q-Fieber). Sie können sich nur intrazellulär obligat fortpflanzen, das bedeutet, sie benötigen Zellorganellen der Wirtszelle. Sie sind sehr klein und wurden früher als „große Viren“ bezeichnet. Typische Formen von Bakterien: Kugelförmige Bakterien werden Kokken genannt. Unterscheidung in: Staphylokokken (haufenförmige Kokken), z.B. Staphylococcus aureus Streptokokken (kettenförmige Kokken), z.B. Streptococcus pyogenes (beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A) Diplokokken (paarweise gelagerte Kokken), z.B. Neisseria gonorrhoeae, Neisseria meningitidis, Neisseria pneumonia Stäbchenförmige Bakterien: Enterobakterien (z.B. Salmonellen, Shigellen, Escherichia coli), Brucellen (Morbus Bang), Yersinien (Pest), Vibrionen (kommaförmige Bakterien = Cholera), Corynebakterien (Diphtherie), Legionellen (Legionellose), Listerien (Listeriose), Mykobakterien (Tuberkulose) Schraubenförmige Bakterien (sog. Spirochäten), welche korkenzieherartig gekrümmt sind: Leptospiren (Leptospirose), Treponema pallidum (Syphilis), Borrelien (Rückfallfieber, Lyme-Borreliose) Viren Definition: Ein Virus besteht im Wesentlichen aus einer Nukleinsäure (DNS oder RNS), die von einer Eiweißhülle umgeben ist, manchmal zusätzlich auch noch von einer schützenden Membran. Viren besitzen keinen eigenen Stoffwechsel, da sie kein Zytoplasma besitzen. Sie können also im Gegensatz zu Bakterien keine Proteine herstellen, keine Energie umwandeln und sich auch selbst nicht reproduzieren. Charakteristische Merkmale: Viren messen zwischen 10 und 420 Nanometern. Viren sind auf bestimmte Zellen spezialisiert und können sich dort an der Zellmembran andocken wie ein Schlüssel am Schloss. Nach Andocken der Viren an eine bestimmte Zelloberfläche gelangen die Viren bzw. das Erbgut in das Zytoplasma. Nun beginnt die Zelle mit der Virusvermehrung und stellt Virusbestandteile her, die sich dann von selbst zu einem kompletten Virus zusammensetzen. Die Viren gelangen dann über Vesikel oder durch den Zelltod in den extrazellulären Raum nach außen. Infolge eines sehr starken Verbrauchs von Leukozyten zeigt sich typischerweise eine Leukopenie. Protozoen Allgemeine Infektionslehre 441 Definition: Protozoen sind Mikroorganismen, welche einen Zellkern aufweisen. Sie werden als Eukaryonten bezeichnet und zu den tierischen Einzellern gezählt. © Arpana Tjard Holler (Autor) 442 Allgemeine Infektionslehre Folgende Protozoen werden im IFSG erwähnt: Cryptosporidium parvum verursachen eine akute infektiöse Gastroenteritis (Cryptosporidiose). Giardia lamblia verursachen eine akute infektiöse Gastroenteritis (Giardiasis, Lambliasis). Plasmodien verursachen Malaria. Toxoplasmen verursachen die Toxoplasmose. Pilze Definition: Pilze sind eukaryontische (mit einem Zellkern einhergehende) Lebewesen, die einzellige und vielzellig auftreten können. In der Biologie bilden sie neben den Tieren und Pflanzen ein eigenständiges Reich. Humanpathogene Pilze werden in drei Gruppen unterteilt: Dermatophyten (sog. Fadenpilze): Sie siedeln sich in den Hornschichten der Haut an und führen zu Fußmykosen (Tinea pedis = gewöhnlicher Fußpilz). Sie treten häufig bei Feuchtigkeitsstau in Hautfalten und bei Diabetikern auf. Hefen: Häufigster Erreger ist Candida albicans (Candida-Mykosen). In 70% der Fälle werden sie bei Gesunden gefunden. Sie werden zu den opportunistischen Erregern gezählt und verursachen nur bei immungeschwächten Personen eine Infektion, welche dann mit Antimykotika behandelt wird. Typische Erkrankungen sind Mundsoor, Ösophagus-Soor, Darm-Soor, Vaginalsoor und Dermatomykosen. Schimmelpilze (Aspergillus flavus = Aspergillose): Bei starker Abwehrschwäche kann es zum Befall der Lunge, ZNS und Magen-Darm-Trakt mit Gefahr der Sepsis kommen. Die humanpathogenen Pilze gehören (von Ausnahmen abgesehen) zu den opportunistischen Erregern, welche eine lokale oder allgemeine Abwehrschwäche des Organismus benötigen um sich zu vermehren. Voraussetzung zur Entstehung von Mykosen beim Menschen: Geschwächtes Immunsystem durch Immunsuppressiva, Zytostatika oder Glukokortikoide. Geschwächtes Immunsystem durch Grunderkrankungen wie z.B. Tumorleiden, chronische Infektionen (z.B. AIDS, Diabetes mellitus, Cushing-Syndrom). Andauernde Mangel- oder Fehlernährung. Pilzbesiedlung im Darm kann durch langanhaltende oder immer wiederkehrende Antibiotikabehandlung provoziert werden. Spezielle Infektionslehre 443 Spezielle Infektionslehre Vorstellung des Infektionsschutzgesetzes (IFSG) ................................................................................ 445 Spezielle Infektionskrankheiten ........................................................................................................... 451 © Arpana Tjard Holler (Autor) 444 Spezielle Infektionslehre Übersicht Impfkalender nach STIKO .................................................................................................. 498 445 Vorstellung des Infektionsschutzgesetzes (IFSG) Das IFSG ist am 01.01.2001 in Kraft getreten. Im Nachfolgenden sind die für den Heilpraktiker wichtigen Paragraphen dargestellt um die anschließenden Infektionskrankheiten besser verstehen zu können. Anmerkungen vom Autor sind schraffiert dargestellt. §1 Zweck des Gesetzes (1) Zweck des Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. §2 Begriffsbestimmungen Im Sinne des Gesetzes ist 1. Krankheitserreger ein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologische transmissibles (=durchlässiges) Agens, dass bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann, 2. Infektion die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus, 3. übertragbare Krankheit, eine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit, 4. Kranker eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist, 5. Krankheitsverdächtiger, eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen, 6. Ausscheider eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein, 7. Ansteckungsverdächtiger eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein, 8. nosokomiale Infektion eine Infektion mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme steht, soweit die Infektion nicht bereits vorher bestand (v.a. MRSA, CDAD), 9. Schutzimpfung die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen (sog. aktive Impfung), 10. andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe die Gabe von Antikörpern (passive Immunprophylaxe) oder die Gabe von Medikamenten (Chemoprophylaxe) zum Schutz vor Weiterverbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten, © Arpana Tjard Holler (Autor) 446 11. Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung (aktive Impfung); ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde, 12. Gesundheitsschädling (Vektor), ein Tier, durch das Krankheitserreger auf Menschen übertragen werden können, 13. Sentinel-Erhebung eine epidemiologische Methode zur stichprobenartigen Erfassung der Verbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten und der Immunität gegen bestimmte übertragbare Krankheiten im ausgewählten Bevölkerungsgruppen, 14. Gesundheitsamt die nach Landesrecht für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte und mit einem Amtsarzt besetzte Behörde. § 6 Meldepflichtige Krankheiten (gilt auch für den HP!) (1) Namentlich ist zu melden: 1. der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an a) Botulismus b) Cholera c) Diphtherie d) humaner spongiformer Enzephalopathie (außer familiär-hereditärer [erblicher] Formen) e) akuter Virushepatitis f) enteropathischem hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) g) virusbedingtem hämorrhagischen Fieber h) Masern i) Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis j) Milzbrand k) Mumps l) Pertussis m) Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt) n) Pest o) Röteln einschließlich Rötelnembryopathie p) Tollwut q) Typhus abdominalis/Paratyphus r) Varizellen sowie die Erkrankung und der Tod an einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose, auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt, 2. der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mikrobiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder an einer akuten infektiösen Gastroenteritis, wenn a) eine Person betroffen ist, die eine Tätigkeit im Sinne des § 42 Abs. 1 ausübt (Personen, die Lebensmittel herstellen, behandeln oder Inverkehrbringen) b) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird 3. der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung 4. die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, –verdächtiges oder ansteckungs-verdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers, 447 5. soweit nicht nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig, das Auftreten a) einer bedrohlichen Krankheit oder b) von zwei oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird wenn dies auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit hinweist und Krankheitserreger als Ursache in Betracht kommen, die nicht in § 7 genannt sind. (bis hier hin muss der HP melden) (2) Dem Gesundheitsamt ist über die Meldung nach Absatz 1 Nr. 1 hinaus mitzuteilen, wenn Personen, die an einer behandlungsbedürftigen Lungentuberkulose leiden, eine Behandlung verweigern oder abbrechen. (muss der Arzt melden, nicht der HP) (3) Dem Gesundheitsamt ist unverzüglich das gehäufte Auftreten nosokomialer (=im Krankenhaus erworbener) Infektionen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, als Ausbruch nichtnamentlich zu melden. (muss der Arzt melden, z.B. MRSA, Pseudomonas, Clostridien, Escherichia coli, Enterobakterien) §7 Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern (gilt nicht für den HP) (1) Namentlich ist bei folgenden Krankheitserregern, soweit nicht anders bestimmt, der direkte oder indirekte Nachweis zu melden, soweit die Nachweise auf eine akute Infektion hinweisen: 1. Adenoviren 2. Bacillus anthracis 3. Bordetella pertussis, Bordetella parapertussis 4. Borrelia recurrentis 5. Brucella species 6. Campylobacter species, darmpathogene 7. Chlamydia psittaci 8. Clostridium botulinum oder Toxinnachweis 9. Corynebacterium diphtheriae, Toxin bildend 10. Coxiella burnetii 11. Cryptosporidium species, humanpathogene 12. Ebolavirus 13. a) Escherichia coli, enterohämorrhagische Stämme (EHEC) b) Escherichia coli, sonstige darmpathogene Stämme 14. Francisella tularensis 15. FSME-Virus 16. Gelbfiebervirus 17. Giardia lamblia 18. Haemophilus influenzae 19. Hantaviren 20. Hepatitis-A-Virus 21. Hepatitis-B-Virus 22. Hepatitis-C-Virus; Meldepflicht für alle Nachweise, soweit nicht bekannt ist, dass eine chronische Infektion vorliegt 23. Hepatitis-D-Virus 24. Hepatitis-E-Virus 25. Influenzaviren 26. Lassavirus 27. Legionella species 28. Leptospira species, humanpathogene 29. Listeria monocytogenes 30. Marburgvirus 31. Masernvirus © Arpana Tjard Holler (Autor) 448 32. Mumpsvirus 33. Mycobacterium leprae 34. Mycobacterium tuberculosis/africanum, Mycobacterium bovis 35. Neisseria meningitidis 36. Norovirus (Norwalk-ähnliches Virus) 37. Poliovirus 38. Rabiesvirus 39. Rickettsia prowazekii 40. Rotavirus 41. Rubellavirus 42. Salmonella Paratyphi 43. Salmonella Typhi 44. Salmonella, sonstige 45. Shigella species 46. Trichinella spiralis 47. Varizella-Zoster-Virus 48. Vibrio cholerae O 1 und O 139 49. Yersinia enterocolitica, darmpathogene 50. Yersinia pestis 51. andere Erreger hämorrhagischer Fieber (2) Namentlich sind in dieser Vorschrift nicht genannte Krankheitserreger zu melden, soweit deren örtliche und zeitliche Häufung auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit hinweist. (3) Nichtnamentlich ist bei folgenden Krankheitserregern der direkte oder indirekte Nachweis zu melden: 1. Treponema pallidum 2. HIV 3. Echinococcus species 4. Plasmodium species 5. Toxoplasma gondii (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen) Folgende Erreger (bzw. Krankheiten) sind relevant für eine diaplazentare Infektion: Merkspruch: STO5RC2H3 (gesprochen: Storch O5C2H3) Syphilis (Treponema pallidum) Toxoplasmose (Toxoplasmen) Others (andere): Listerien, Masernvirus, Ringelrötelnvirus, Zika-Virus, Windpocken-Virus (Merkspruch: „liebt mich richtig zackig wild“) Rötelnvirus Cytomegalie-Virus, Chlamydien Hepatitis-Viren, Herpes-Simplex-Viren, HIV Die in §7 genannten Krankheitserreger müssen vom HP nicht gemeldet werden; Personen, die mit einem in §7 genannten Krankheitserreger infiziert sind, dürfen vom HP gemäß §24 nicht behandelt werden. §8 Zur Meldung verpflichtete Personen (1) Zur Meldung oder Mitteilung sind verpflichtet: 1. .der feststellende Arzt... 2. .die Leiter von Medizinaluntersuchungsämtern und sonstigen privaten oder öffentlichen Untersuchungsstellen einschließlich der Krankenhauslaboratorien, 3. .die Leiter von Einrichtungen der pathologisch-anatomischen Diagnostik ... 4. .der Tierarzt, 5. .Angehörige eines anderen Heil- oder Pflegeberufs ... 6. .der verantwortliche Luftfahrzeugführer oder Kapitän eines Seeschiffes, 7. .die Leiter von Pflegeeinrichtungen, Justizvollzugsanstalten, Heimen, Lagern oder ähnlichen Einrichtungen, 449 8. im Falle des § 6 Abs. 1 der Heilpraktiker. §9 Namentliche Meldung (3) Die namentliche Meldung muss unverzüglich, spätestens innerhalb von 24 Stunden nach erlangter Kenntnis gegenüber dem für den Aufenthalt des Betroffenen zuständigen Gesundheitsamt erfolgen. Beim Heilpraktiker beschränkt sich die Meldepflicht auf die ihm vorliegenden Angaben: z.B. Name und Vorname des Patienten, Geschlecht, Geburtsdatum, Anschrift der Hauptwohnung und falls abweichend auch die Anschrift des derzeitigen Aufenthaltsortes, Verdachtsdiagnose, Infektionsquelle, Name und Anschrift des Meldenden § 15 Anpassung der Meldepflicht an die epidemische Lage (1) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Meldepflicht für die in § 6 aufgeführten Krankheiten oder die in § 7aufgefürhten Krankheitserreger aufzuheben, einzuschränken oder zu erweitern oder die Meldepflicht auf andere übertragbare Krankheiten oder Krankheitserreger auszudehnen, soweit die epidemische Lage dies zulässt oder erfordert. Zurzeit gib es folgende Anpassungsverordnungen: 09.11.07 Clostridium difficile-Infektion mit schweren Verlauf (CDAD = Clostridium difficile assoziierte Diarrhö): Pflicht der namentlichen Meldung 26.05.09 MRSA (methicillinresistente Staphylococcus aureus): Labormeldepflicht 01.05.16 Meldepflicht für Antibiotika-resistente Keime 01.05.16 Meldepflicht für Arboviren, z.B. das Zika- und das Dengue-Virus § 24 Behandlung übertragbarer Krankheiten Die Behandlung von Personen, die an einer der in § 6 oder § 34 (sog. Lehrerparagraph) genannten übertragbaren Krankheiten erkrankt oder dessen verdächtigt sind oder die mit einem Krankheitserreger nach § 7 infiziert sind, ist insoweit im Rahmen der berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde nur Ärzten gestattet. Satz 1 gilt entsprechend bei sexuell übertragbaren Krankheiten und für Krankheiten oder Krankheitserreger, die durch eine Rechtsverordnung auf Grund des § 15 Abs. 1 in die Meldepflicht einbezogen sind. Unter sexuell übertragbare Krankheiten versteht man laut Bundesgesundheitsministerium: Syphilis, Gonorrhö, Ulcus molle und Lymphogranuloma inguinale. Genitale Infektionen werden häufig durch folgende Erreger verursacht: Chlamydien, Trichomonas vaginale, Herpes-Viren, Papillomviren. § 30 Quarantäne (1) Die zuständige Behörde hat anzuordnen, dass Personen, die an Lungenpest oder an von Mensch zu Mensch übertragbarem hämorrhagischem Fieber erkrankt oder dessen verdächtig sind, unverzüglich in einem Krankenhaus oder einer für diese Krankheit geeigneten Einrichtung abgesondert werden. © Arpana Tjard Holler (Autor) 450 § 34 Gesundheitliche Anforderungen, Mitwirkungspflichten, Aufgaben des Gesundheitsamtes (1) Personen, die an Cholera, Diphtherie, Enteritis durch enterohämorrhagische E. coli (EHEC), virusbedingtem hämorrhagischen Fieber, Haemophilus influenzae Typ bMeningitis, Impetigo contagiosa (ansteckende Borkenflechte), Keuchhusten, ansteckungsfähiger Lungentuberkulose, Masern, Meningokokken-Infektion, Mumps, Paratyphus, Pest, Poliomyelitis, Scabies (Krätze), Scharlach oder sonstige Streptococcus pyogenes-Infektionen, Shigellose, Typhus abdominalis, Virushepatitis A oder E, Windpocken erkrankt oder dessen verdächtigt oder die verlaust sind, dürfen in den in § 33 genannten Gemeinschaftseinrichtungen keine Lehr, Erziehungs-, Pflege-, Aufsichts- oder sonstige Tätigkeiten ausüben, bis nach ärztlichem Urteil eine Weiterverbreitung der Krankheit oder der Verlausung durch sie nicht mehr zu befürchten ist. Satz 1 gilt entsprechend für die in der Gemeinschaftseinrichtung Betreuten mit der Maßgabe, dass sie die dem Betrieb der Gemeinschaftseinrichtung nicht betreten, Einrichtungen der Gemeinschaftseinrichtung nicht benutzen und an Veranstaltungen der Gemeinschaftseinrichtung nicht teilnehmen dürfen. Satz 2 gilt auch für Kinder, die das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und an infektiöser Gastroenteritis erkrankt oder dessen verdächtigt sind. Der Heilpraktiker muss nur die zusätzlich genannten Erkrankungen wissen: Impetigo contagiosa (ansteckende Borkenflechte), Scabies (Krätze), Scharlach oder sonstige Streptococcus pyogenes-Infektionen. (2) Ausscheider von Vibrio cholerae O 1 und O 139, Corynebacterium diphtheriae (Toxine bildende), Salmonella Typhi, Salmonella Paratyphi, Shigellen, EHEC (enterohämorrhagische Escherichia coli) dürfen nur mit Zustimmung des Gesundheitsamtes und unter Beachtung der gegenüber dem Ausscheider und der Gemeinschaftseinrichtung verfügten Schutzmaßnahmen die dem Betrieb der Gemeinschaftseinrichtung dienenden Räume betreten, Einrichtungen der Gemeinschaftseinrichtungen benutzen und an Veranstaltungen der Gemeinschaftseinrichtungen teilnehmen. § 36 Einhaltung der Infektionshygiene (1) Die in § 33 genannten Gemeinschaftseinrichtungen sowie Krankenhäuser, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Dialyseeinrichtungen, Tageskliniken, Entbindungseinrichtungen, Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 bis 5 des Heimgesetzes, vergleichbare Behandlungs-, Betreuungs- oder Versorgungseinrichtungen sowie Obdachlosenunterkünfte, Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber, Spätaussiedler und Flüchtlinge sowie sonstige Massenunterkünfte und Justizvollzugsanstalten legen in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene fest. Die genannten Einrichtungen unterliegen der infektionshygienischen Überwachung durch das Gesundheitsamt. (2) Zahnarztpraxen sowie Arztpraxen und Praxen sonstiger Heilberufe, in denen invasive Eingriffe vorgenommen werden sowie sonstige Einrichtungen und Gewerbe, bei denen durch Tätigkeiten am Menschen durch Blut Krankheitserreger übertragen werden können, können durch das Gesundheitsamt infektionshygienisch überwacht werden. In Hygieneplänen wird folgendes geregelt: Was wird gemacht? Wann ist es zu tun? Womit sollte es getan werden? 451 Wie wird es gemacht? Wer macht es? (hier ist der persönliche Name einzutragen) § 42 Tätigkeits- und Beschäftigungsverbote (1) Personen, die 1. an Typhus abdominalis, Paratyphus, Cholera, Shigellenruhr, Salmonellose oder einer anderen infektiösen Gastroenteritis oder Virushepatitis A oder E erkrankt oder dessen verdächtigt sind, 2. an infizierten Wunden oder an Hautkrankheiten erkrankt sind, bei der die Möglichkeit besteht, dass deren Krankheitserreger über Lebensmittel übertragen werden können, 3. die Krankheitserreger Shigellen, Salmonellen, enterohämorrhagische Escherichia coli oder Choleravibrionen ausscheiden dürfen nicht tätig sein oder beschäftigt werden, wenn sie beim Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen mit Lebensmitteln in Berührung kommen. § 44 Erlaubnispflicht für Tätigkeiten mit Krankheitserregern Wer Krankheitserreger in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringen, sie ausführen, aufbewahren, abgeben oder mit ihnen arbeiten will, bedarf einer Erlaubnis der zuständigen Behörde. Spezielle Infektionskrankheiten Infektionskrankheiten gemäß IFSG § 6. Achtung: Die Infektionskrankheiten im § 6 des IFSG sind für Heilpraktiker am wichtigsten, weil sie für ihn eine Meldepflicht bei Verdacht besitzen. Botulismus Erreger: Clostridium botulinum (Anaerobier), Botulismus-Toxin. Übertragung: Durch Genuss von verdorbenen Nahrungsmitteln (hauptsächlich verseuchte Konserven). Selten: Säuglingsbotulismus durch Aufnahme von Bienenhonig (pro Jahr ein Sterbefall) Inkubat.zeit: wenige Stunden bis wenige Tage (12-36 Stunden). Entstehung: Das hochgiftige Botulismus-Toxin (Neurotoxin) blockiert die Reizübertragung in den Synapsen (Nervenschaltstellen) des Parasympathikus und in den motorischen Endplatten. Klinik: gastrointestinale Symptome (können auch fehlen): Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation (= Verstopfung), Bewusstsein erhalten, kein Fieber, normaler Puls, Kopfschmerzen, Schwindel, plötzliche Nervenlähmungen, die vom Kopf aus in Richtung Extremitäten fortschreiten (von kranial nach kaudal): Sehstörungen (Doppelbilder), Sprach- und Schluckstörungen, trockener Mund, Heiserkeit, Versiegen der Tränenflüssigkeit, Herabhängen des Oberlids (Ptosis), allgemeine © Arpana Tjard Holler (Autor) 452 Muskelschwäche, Lähmung der Muskulatur im Bereich der oberen Extremitäten, Atemlähmung nach 4- 6 Tagen. Komplikation: Aspirationspneumonie. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Cholera Erreger: Vibrio cholerae. Übertragung: meist durch verseuchtes Trinkwasser und rohen Fisch (fäkal-oral), Ausscheider. Inkubat.zeit: wenige Stunden bis wenige Tage. Entstehung: im Darm bilden sich Toxine der Choleravibrionen, die zu vermehrter Wassersekretion in das Darmlumen führen und auf das Brechzentrum wirken. Klinik: plötzlich einsetzende, nicht schmerzhafte, reiswasserartige Durchfälle, Erbrechen, Exsikkose (Austrocknung): Durstgefühl, Hypothermie (Untertemperatur), Oligurie bzw. Anurie (verminderte Harnausscheidung unter 500 bzw. 100 ml), stehenbleibende Hautfalten, Choleragesicht (eingefallene Wangen und Augen), sog. Waschfrauenhände, Heiserkeit, Hypotonie, Tachykardie, Elektrolytmangel: Wadenkrämpfe, Herzrhythmusstörungen, paralytischer Ileus (Darmlähmung). Komplikation: Gefahr des hypovolämischen Schocks, Azidose, akutes Nierenversagen, Koma, Herzstillstand. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Diphtherie Erreger: Corynebacterium diphtheriae (nur die toxinbildenden Stämmen). Übertragung: meist Tröpfcheninfektion (aerogen), seltener Schmierinfektion, Kleinkinder sind häufiger betroffen Inkubat.zeit: wenige Tage (kurze Inkubationszeit). Entstehung: Die Erreger verursachen eine Lokalinfektion mit Bildung von typischen Pseudomembranen. Die Exotoxine (Ausscheidungsgifte der Erreger) führen teils zu erheblichen Schädigungen an Herz, Gefäße und Nervensystem. Klinik: Nasendiphtherie: blutig-seröser Schnupfen, krustige Beläge, leichtes Fieber, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, befällt v.a. Säuglinge und Kleinkinder und hat i.d.R. eine gute Prognose. Rachendiphtherie (häufigste Verlaufsform): Rötung und Schwellung der Rachenmandeln mit Bildung von grau-weißlich-gelben Pseudomembranen, die auf die Umgebung der Tonsillen übergreifen können und beim gewaltsamen Ablösen geschwürig bluten. Ferner: mäßiges Fieber, süßlicher Mundgeruch, Halsschmerzen, druckschmerzhafte Schwellung der regionären Lymphknoten am Kieferwinkel. Kehlkopfdiphtherie (echter Krupp): Heiserkeit, bellender und trockener Husten, Dyspnoe (Atemnot), inspiratorischer Stridor (lautes Atemgeräusch während der Einatmung), Erstickungsgefahr. 453 Progrediente (fortschreitende) Diphtherie: Ausbreitung der Pseudomembranen auf Luftröhre und Bronchien. Toxische (maligne) Diphtherie: hohes Fieber, starkes Krankheitsgefühl, ödematöse Schwellung im Rachen und Halsbereich (sog. Cäsarenhals), Erbrechen und Durchfall, Blutungsneigung, Kreislaufversagen, Herzversagen, ungünstige Prognose. Komplikation: progrediente und toxische Verlaufsform der Diphtherie Polyneuritis mit Lähmung von Hirnnerven (v.a. Nervus facialis) Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Humane spongiforme Enzephalopathie Synonym: Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (Abk. CJK). Erreger: Prionen (aus Proteinen bestehende infektiöse Partikel). Übertragung: durch Verzehr von infizierten Rindfleisch oder risikobehafteten Produkten (z.B. Gelatine), selten von Mensch zu Mensch. Inkubat.zeit: 6 Monate bis 30 Jahre. Entstehung: es kommt zu einer nicht-entzündlichen, schwammartigen (= spongiformen) Veränderung der grauen und weißen Substanz des Gehirns mit einem ständig fortschreitenden Verlauf. Formen: „klassische“ CJK: Häufigkeitsgipfel im 5. Jahrzehnt, sehr schneller Verlauf neue Variante CJK (nvCJK): Verlauf ist etwas langsamer, betroffen sind jüngere Menschen, 1996 das erste Mal in England aufgetreten. Klinik: „klassische“ CJK: Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Schwindelgefühl, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, anfallsweise auftretende Muskelzuckungen (Myoklonie), Sprachund Sehstörungen, Kleinhirnzeichen, Pyramidenbahnzeichen, extrapyramidale Symptome (Störungen der Bewegungsabläufe und des Muskeltonus), Krampfanfälle, zunehmende Demenz, typisches EEG, Tod nach wenigen Wochen bis 12 Monaten, neue Variante CJK: frühe psychiatrische Symptome (Angst, Depression, Wahnvorstellungen, Zurückgezogenheit, Teilnahmslosigkeit), Muskelzuckungen, Koordinations- und Bewegungsstörungen, schmerzhafte sensorische Symptome, Demenz, kein typisches EEG. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Akute Virushepatitis Erreger: Hepatitis A-Virus (HAV), Hepatitis B-Virus (HBV), Hepatitis C-Virus (HCV), Hepatitis D-Virus (HDV), Hepatitis E-Virus (HEV). Übertragung: HAV + HEV: fäkal-oral (v.a. Muscheln) HBV + HCV: parenteral, sexuell, perinatal (HBV) HDV: parenteral, benötigt eine Infektion mit HBV HEV: u.a. durch Verzehr von unzureichend gegartem Fleisch Inkubat.zeit: HAV: ca. 1-6 Wochen © Arpana Tjard Holler (Autor) 454 Pathologie: Klinik: HBV: ca. 1-6 Monate HCV: ca. 1-6 Monate HDV: ca. 1-6 Monate HEV: ca. 2-6 Wochen HAV Besonders betroffen sind Reisende in Endemiegebiete und Homosexuelle. HAV sind im Stuhl 1-2 Wochen vor und etwa 1 Woche nach Beginn der Erkrankung nachweisbar (in dieser Zeit infektiös). Hepatitis A führt zu einer lebenslangen Immunität. Sie heilt fast regelmäßig vollständig aus. Chronische Verläufe sind nicht bekannt. Impfstoff vorhanden (aktiv und passiv). HBV Besonders betroffen sind Personen mit wechselnden Sexualpartnern, Homosexuelle, Drogensüchtige, Transfusionspatienten und med. Personal. Impfstoff vorhanden (aktiv und passiv). 10% der Fälle chronifizieren. HCV Verläuft in 80-90% der Fälle symptomlos oder symptomarm, wird aber in mehr als der Hälfte der Fälle chronisch. Besonders betroffen sind Transfusionsbedürftige und Drogenabhängige. HDV Benötigt zur Vermehrung HBV. In Europa zunehmend unter Drogensüchtigen verbreitet. Simultane Infektion mit HBV und HDV führt meist zu schweren Krankheitsbildern. Geht in 90% der Fälle in eine Chronizität über. HEV Ähnelt sehr der Hepatitis A mit Ausnahme der schweren Verläufe. Tritt überdurchschnittlich bei Schwangeren auf. Impfstoff vorhanden Das klinische Bild erlaubt keine Differenzierung der verschiedenen Hepatitiden. Über die Hälfte der Infektionen verlaufen asymptomatisch. Präikterisches Prodromalstadium (Vorläuferstadium) Grippeähnliche Symptome leichtes Fieber, katarrhalische Symptome Kopfschmerzen, Schwindel, Mattigkeit Gastrointestinale Beschwerden Appetitlosigkeit, Übelkeit Diarrhö, Verstopfung evtl. Widerwillen gegen Fett, Alkohol und Nikotin Ikterisches Stadium (Organmanifestationsstadium) Beginn des Ikterus (fehlt allerdings in der Hälfte der Fälle) Meist bessern sich die subjektiven Beschwerden Oft Pruritus (Hautjucken), durch Anstieg der Gallensäuren im Blut Heller Stuhl (Fehlen des Sterkobilin) Bierbrauner Urin Leber druckempfindlich, Hepatomegalie Labor: Transaminasen erhöht: z.B. GOT (nicht leberspezifisch), GPT, GLDH, Gamma-GT Bilirubin im Serum erhöht Bilirubin im Urin erhöht (dunkler Urin) Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. 455 HUS Synonym: Enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom Erreger: enterohämorrhagische Escherichia-coli-Stämme (EHEC). Übertragung: fäkal-oral, kontaminiertes Wasser und kontaminierte Lebensmittel (Rindfleisch, Rohmilch, rohes Gemüse), infizierte Tiere, Schmierinfektion Mensch zu Mensch (z.B. beim Wickeln von Säuglingen bzw. Kleinkindern). Inkubat.zeit: 1-2 Wochen (10 Tage) nach Beginn des Durchfalls. Entstehung: Durch Shiga-Toxine verursacht. Betroffen sind v.a. Säuglinge, Kleinkinder, alte Menschen und Abwehrgeschwächte. HUS kann auch im Rahmen von anderen Infektionskrankheiten auftreten. Klinik: Charakteristische HUS-Trias: hämolytische Anämie, Thrombopenie mit hämorrhagischer Diathese, akutes Nierenversagen. Komplikation: Niereninsuffizienz mit notwendiger Hämodialyse (Blutwäsche), Letalität ca. 10% . Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Virusbedingtes hämorrhagisches Fieber Erreger: z.B. Ebola-Viren, Hantaviren, Lassa-Viren, Marburg-Viren, Gelbfiebervirus, Dengue-Virus. Übertragung: je nach Erreger verschieden. Meist Tier zu Mensch oder Mensch zu Mensch (Schmierinfektion). Inkubat.zeit: verschieden, in der Regel zwischen 2 und 21 Tagen. Klinik: plötzlicher Krankheitsbeginn mit hohem Fieber (Continua), Schüttelfrost, schweres Krankheitsbild (Kopfschmerzen, Erbrechen, Benommenheit, Lymphknotenschwellungen, Leber- und Milzvergrößerung), hämorrhagische Diathese (erhöhte Blutungsneigung) unterschiedlichen Ausmaßes. Komplikation: hypovolämischer Schock infolge der Blutungen, Multiorganversagen. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Die Krankheit fällt unter dem Quarantäne-Paragraphen. Masern (Morbilli) Erreger: Masernvirus (Morbillivirus) Übertragung: Tröpfcheninfektion (sog. fliegende Infektion) Inkubat.zeit: 10-14 Tage (1-3 Wochen) © Arpana Tjard Holler (Autor) 456 Entstehung: Zyklische Infektionskrankheit. Eintrittspforte sind die Schleimhäute der oberen Atemwege und die Augenbindehaut. Ansteckungsfähigkeit 1-2 Tage vor Beginn des katarrhalischen Stadiums, dauert an, bis das Exanthem die Füße erreicht hat. Das Masernvirus löst bei über 95% der ungeschützten infizierten klinischen Erscheinungen aus Klinik: Prodromalstadium: Dauer 3-5 Tage, Fieber, Rhinitis, Pharyngitis, Konjunktivitis (Augenbindehautentzündung), Lichtscheu, Koplik-Flecke (pathognomonisch = kennzeichnend), Enanthem der Mundschleimhaut, Typisches Maserngesicht: verheult, verrotzt, verquollen Fieberfreies Intervall: Dauer 1-2 Tage Exanthemstadium: Dauer ca. 3 Tage, erneuter Fieberanstieg auf 39-40C (zweigipfliger Fieberverlauf), allgemeine Lymphknoten-schwellung. Ausschlag beginnt hinter den Ohren und breitet sich über den ganzen Körper aus. Exanthemaussehen: Makulopapulös (mit Flecken und Knötchen einhergehend), großfleckig, konfluierend (in einander überfließend) Rekonvaleszenzstadium mit Ablassen des Exanthems, feiner Schuppung (nicht Hände und Füße wie bei Scharlach) und langsamer Genesung. Abgeschwächte Form der Masern: mitigierte Masern. Zum Lernen der Exantheme: M-R-S (im Alphabet: Masern-RötelnScharlach = großfleckig-mittelfleckig-kleinsfleckig) Komplikation: Sinusitis, Otitis media, Pseudokrupp (Masernkrupp), Bronchopneumonie, Enzephalitis, subakut sklerosierende Panenzephalitis (Masernspätenzephalitis; tritt 7-10 Jahre nach einer Maserninfektion auf). Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Meningokokken-Meningitis Erreger: Neisseria meningitidis (Meningokokken). Die Diagnosesicherung erfolgt meist über eine Liquorpunktion. Übertragung: Tröpfcheninfektion (besonders gefährdet sind Säuglinge und Kinder). Inkubat.zeit: 2-10 Tage. Klinik: meningeale Zeichen: z.B. sehr starker Kopfschmerz, Nackensteifigkeit bis hin zum Opisthotonus (bogenförmig nach hinten überstreckter Rumpf), Lichtempfindlichkeit, Kniekuss-Phänomen, DreifußPhänomen, hohes Fieber, Krämpfe, Lähmungen, bei Kleinkindern zunächst nur Erbrechen und Fieber, bei Säuglingen vorgewölbte Fontanelle, Hautveränderungen: makulopapulöser (mit Flecken und Knötchen einhergehender) Ausschlag, Blutungsneigung: Petechien (punktförmige Blutungen), Ekchymose (flächenhafte Hautblutung), Kreislaufversagen (Sepsis). Komplikation: Meningokokkensepsis, Waterhouse-Friderichsen-Syndrom Nebennierenrindeninsuffizienz). (akute 457 Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Milzbrand (Anthrax) Erreger: Bacillus anthracis. Übertragung: durch engen Kontakt mit infizierten Tieren (Pferde, Rinder, Schafe, Schweine) bzw. deren Produkte (Häute, Felle, Borsten, Wolle, rohes Fleisch, Milch). Berufskrankheit. Inkubat.zeit: 1-3 Tage (wenige Tage). Entstehung: je nach Eintrittspforte entwickeln sich drei verschiedene Krankheitsbilder: über die Haut Hautmilzbrand, über den Atemtrakt durch Einatmen Lungenmilzbrand, über den Magen-Darm-Trakt durch Verzehr von rohem Fleisch oder ungenügend gekochter Milch Darmmilzbrand. Klinik: Hautmilzbrand (95%): an der Infektionsstelle Bildung von Knötchen oder Bläschen, dann Pustel (Eiter), dann Milzbrandkarbunkel (schmerzloser geschwüriger Zerfall mit Entstehung von schwarzem Schorf in der Mitte und rotem geschwollenem Rand), regionale Lymphknotenschwellung, evtl. Fieber. Lungenmilzbrand: Entstehung einer atypischen Bronchopneumonie mit Dyspnoe (Atemnot), schaumig-blutigem Auswurf und hohem Fieber (schlechte Prognose). Darmmilzbrand: hämorrhagische (blutige) Entzündung des Darms mit blutig-wässrigen Durchfällen, Bauchschmerzen, blutigem Erbrechen und hohem Fieber (schlechte Prognose). Komplikation: Milzbrandsepsis (Erreger gelangen vom lokalen Entzündungsprozess aus ins Blut) mit Schwellung und brandige Verfärbung der Milz, hohem Fieber, starkem Krankheitsgefühl, Schocksymptome (fast immer tödlich). Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Mumps (Parotitis epidemica) Erreger: Mumps-Virus Synonym: Ziegenpeter Krankh.bild: Entzündung der Ohrspeicheldrüse mit hohem Kontagionsindex, Durchseuchung zwischen dem 4. - 15 Lebensjahr, danach lebenslange Immunität bei 90% der Bevölkerung. Jungen erkranken häufiger als Mädchen. Übertragung: Tröpfcheninfektion, Schmierinfektion Inkubat.zeit: 1 – 3 Wochen Klinik: Prodromalstadium mit allgemeinem Krankheitsgefühl und Fieber (bei 30% symptomlos bzw. asymptomatisch) Organmanifestation mit schmerzhafter Schwellung der Parotis, in 70-80% beidseits mit hohem Fieber (40 Grad), mit abstehenden Ohrläppchen und Ohrenschmerzen © Arpana Tjard Holler (Autor) 458 sichtbare gerötete Mündungsstelle des Ausführungsganges der Parotis häufig Befall von Unterzungen- und Kieferspeicheldrüse regionale Lymphknotenschwellung Dauer ca. 1 Woche Komplikation: Häufig: Mumpsorchitis (Hodenentzündung) Bei Jungen nach der Pubertät liegt häufiger eine Mumpsorchitis vor. Pankreatitis Entzündung von Hirnhäuten und Gehirn (Mumpsenzephalomeningitis) Neuritis des VIII. Hirnnerven (Nervus vestibulocochlearis) mit Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Pertussis (Keuchhusten) Erreger: Bordetella pertussis Entstehung: Erreger führt zu katarrhalischer Entzündung der Atemwege mit Sekretion eines zähen Schleims und einer toxischen Reizung des Hustenzentrums. Die Erkrankung zeigt häufig eine lebenslange Immunität. Übertragung: Tröpfcheninfektion (sehr infektiös) Inkubat.zeit: 1 – 3 Wochen Klinik: besonders betroffen sind Vorschulkinder und Säuglinge Stadium catharrale (höchste Ansteckungsgefahr): Dauer 1 – 2 Wochen Schnupfen, Halsschmerzen, Husten, subfebrile Temperaturen Stadium convulsivum: Dauer 2 – 6 Wochen stakkatoartiger (charakteristischer) Husten mit vorgestreckter Zunge inspiratorischer Stridor, Dyspnoe, zäh-glasiger Auswurf, Erbrechen Sklerenhämatom, rot-bläuliche Gesichtsfarbe, geschwollenes Gesicht prallgefüllte Schädel- und Halsvenen Säuglinge zeigen nicht den typischen Husten, sondern anfallsweise Niesen und auftretende Dyspnoe bis Apnoe. Stadium decrementi: Dauer 2 – 6 Wochen Anfälle werden kürzer und seltener, Symptome klingen ab Bei manchen Kindern kann der Husten als Erinnerungshusten bestehen bleiben Komplikation: Bronchopneumonie (für Säuglinge lebensgefährlich), Bronchiektasen Gehirnbeteiligung durch Sauerstoffmangel (Enzephalopathie), Krämpfe und Lähmungen Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. 459 Poliomyelitis Synonym: Kinderlähmung Erreger: Poliovirus. Übertragung: fäkal-oral (Schmierinfektion), verseuchtes Wasser, seltener Tröpfcheninfektion. Inkubat.zeit: 1-3 Wochen (die meisten Polioinfektionen verlaufen symptomlos). Entstehung: Eintrittspforte ist der Verdauungskanal. Bei normaler Abwehrlage verlaufen die meisten Erkrankungen latent (verborgen) oder subklinisch (leichter Verlauf). In einigen Fällen entsteht eine Meningitis ohne wesentliche Beteiligung von Gehirn und Rückenmark, die i.d.R. folgenlos ausheilt. Nur bei einem verhältnismäßig geringen Prozentsatz kommt es zur Beteiligung des Gehirns und v.a. des Rückenmarks (motorische Vorderhornzellen) mit den typischen Lähmungserscheinungen. Klinik: Die meisten Infektionen mit Polioviren verlaufen klinisch inapparent. ProdromDie meisten alstadium: Dauer 1-3 Tage, leichtes Fieber (38° bis 38,5°), allgemeines Krankheitsgefühl (Kopf- und Gliederschmerzen), evtl. katarrhalische Erscheinungen (Schnupfen, Pharyngitis), Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen. In über 90% d. F. ist die Krankheit damit überwunden. Latenzstadium: Dauer 3-4 Tage, Patienten fühlen sich gesund und sind fieberfrei. Meningitisches (präparalytisches) Stadium: erneuter Fieberanstieg (sog. Dromedarkurve, biphasischer Fieberverlauf) mit meningitischen Zeichen (z.B. Nackensteifigkeit, Licht- und Berührungsempfindlichkeit, gesteigerte Reflexe, positives Brudzinski- bzw. Kernig-Zeichen). Fließender Übergang in das Lähmungsstadium (paralytisches Stadium) mit asymmetrisch verteilten schlaffen Lähmungen und starken Muskelschmerzen, am häufigsten an den proximalen Muskelgruppen der unteren Extremitäten. Reparationsstadium: Rückbildungen der Lähmungen, Dauer bis über 12 Monate und länger (im Durchschnitt bleiben 50% der anfänglichen Lähmungen zurück). Komplikation: Beteiligung von Medulla oblongata (Atemlähmung), der Hirnnerven (Seh- und Schluckstörungen) und des Großhirns (Halbseitenlähmung, Bewusstseinstrübung). Postpolio-Syndrom (Muskelschmerzen, Muskelschwäche, chronische Müdigkeit) Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Pest Erreger: Yersinia pestis. Übertragung: Mensch zu Mensch (Tröpfcheninfektion), infizierte Flöhe (vom Nager auf den Menschen), infizierte Tiere (v.a. Hausratten), Einatmen von erregerhaltigen Kot. © Arpana Tjard Holler (Autor) 460 Inkubat.zeit: 2-5 Tage (2-10 Tage). Entstehung: Lokalinfektionskrankheit der Haut mit schmerzhafter Entzündung, Anschwellung und Einschmelzung der regionären Lymphknoten (Bubonenpest) und anschließendem Eindringen der Erreger in die Blutbahn (Pestsepsis). Die Lungenpest entsteht entweder durch Tröpfcheninfektion oder über den Blutweg infolge einer Pestsepsis. Klinik: Beulenpest oder Bubonenpest: (häufigste Verlaufsform) plötzlicher Beginn mit hohem Fieber, Schüttelfrost, schweres Krankheitsgefühl, Erbrechen, Durchfall, Tachykardie, schmerzhafte Anschwellung der regionalen Lymphknoten mit blutig-eitrig und nekrotisierender Entzündung. Lungenpest schwere Lungenentzündung mit Atemnot, Zyanose, Husten und blutigem Sputum (unbehandelt immer tödlich). Pestsepsis als Komplikation der Bubonen- oder Lungenpest oder primär. Führt i.d.R. rasch zum Tod. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Röteln einschließlich Rötelnembryopathie Synonym: Rubeola, Rubella. Erreger: Rubella-Virus (Röteln-Virus). Übertragung: Tröpfcheninfektion, diaplazentar bei Rötelninfektion der Mutter. Inkubat.zeit: 2-3 Wochen. Klinik: meist milder Verlauf: evtl. leichte katarrhalische Erscheinungen, Fieber um 38 °C, mittelfleckiger, nicht konfluierender Ausschlag mit Beginn hinter den Ohren und im Gesicht, Ausbreitung über den ganzen Körper, schmerzhafte Lymphknotenschwellung am Hinterkopf und Hals. Ansteckungsfähigkeit eine Woche vor und eine Woche nach dem Auftreten des Ausschlages. Passivimpfung möglich. Komplikation: Rötelnembryopathie Herzfehler). (Gregg-Trias: Katarakt, Innenohrschwerhörigkeit, Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Tollwut Synonym: Rabies, Lyssa. Erreger: Rabies-Virus (Tollwut-Virus). Übertragung: durch den Biss eines tollwütigen Tieres oder seltener durch die Berührung eines tollwütigen Tieres, wobei der Speichel die Infektionsquelle darstellt. Inkubat.zeit: 3 Wochen bis 3 Monate (wenige Tage bis über ein Jahr). Je näher die Eintrittspforte zum ZNS, desto kürzer die Inkubationszeit. 461 Entstehung: von der Eintrittspforte gelangt das Tollwut-Virus entlang von Nervenbahnen zur grauen Substanz des ZNS. Klinik: Prodromalerscheinungen wie Rötung der Bissnarbe, Kopfschmerz, Depression und Unruhe. Erregungsstadium mit hochgradiger motorischer Unruhe, tonischen Krämpfe der Rachen- und Atemmuskulatur (Hydrophobie, Atemnot), Fieber, starkem Speichelfluss, quälendem Durst und emotionalen Ausbrüchen (Wut, um sich schlagen, beißen). Lähmungsstadium mit zunehmender Bewusstseinstrübung, Tod durch Atemlähmung oder Herzstillstand, Dauer 4-7 Tage. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Meldepflichtig ist außerdem die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, –verdächtiges oder ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers. Aktive und passive Impfung möglich (Simultanimpfung) Typhus abdominalis Erreger: Salmonella typhi (Erkrankung fällt nicht unter Salmonellose). Übertragung: Ausscheider (am häufigsten), verseuchte Nahrungsmittel, infiziertes Wasser, Mensch zu Mensch. Inkubat.zeit: 1-3 Wochen (3-30 Tage). Entstehung: Zyklische Infektionskrankheit mit typischen Stadien. Die Erreger gelangen über den Dünndarm in die Lymphe und von dort ins Blut. Nach Vermehrung kehren die Erreger zurück in den Darm (Organmanifestationsstadium) und führen dort zu einer nekrotisierenden Entzündung des lymphatischen Gewebes (PeyerPlaques). Klinik: Stadium I (Stadium incrementi, Zunahme), 1. Woche: treppenförmiger Fieberanstieg auf 40 °, zunehmendes Krankheitsgefühl, Schwellung der Peyer-Plaques, Verstopfung, Stadium II (Stadium fastigii, Höhepunkt), 2. Woche: anhaltend hohes Fieber (40-41C), relative Bradykardie, Apathie (= Teilnahmslosigkeit) und Benommenheit (Typhus = Nebel), Typhuszunge mit grau-gelblichen Belag (Zungenränder sind frei von Belag und gerötet), Splenomegalie (Milzschwellung), wenige Roseolen auf der Bauchhaut, anfangs Verstopfung dann erbsenbreiartige Durchfälle, Leukopenie, Stadium III (Stadium amphibolicum, schwankend), 3. Woche: morgendlicher Fieberabfall und abendlicher Fieberanstieg, Geschwürbildung im Darm, Stadium IV (Stadium decrementi, Abnahme), 4. Woche: Rückgang der Krankheitserscheinungen, lytische (allmähliche) Entfieberung. Komplikation: akutes Nierenversagen, Kreislaufversagen Perforation (Durchbruch) des Darms, Peritonitis (Bauchfellentzündung) Myokarditis, Pneumonie Milzruptur © Arpana Tjard Holler (Autor) 462 Thrombosen, Meningitis (Hirnhautentzündung) Cholezystitis (Gallenblasenentzündung) Dauerausscheidertum (2-5% der Erkrankten) Letalität ca. 1% Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot Paratyphus Erreger: Salmonella paratyphi A, B und C (Erkrankung fällt nicht unter Salmonellose). Übertragung: verseuchte Nahrungsmittel, infiziertes Wasser, Ausscheider, Mensch zu Mensch. Inkubat.zeit: 8-12 Tage (1-10 Tage). Entstehung: gleicher Verlauf wie bei Typhus abdominalis, nur milder. Klinik: klinische Zeichen einer Gastroenteritis, typhöser Verlauf mit Symptome ähnlich wie Typhus abdominalis, verläuft jedoch milder (geringeres Krankheitsgefühl, zahlreichere Durchfälle, mehr Roseolen (am ganzen Körper), häufig Herpes labialis, statt Leukopenie Leukozytose Komplikation: Exsikkose (Austrocknung des Körpers), Ausscheidertum. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Windpocken (Varizellen) Erreger: Varizella-Zoster-Virus (Herpes Viren Typ 3); der Mensch ist das einzige bekannte Reservoir für Varizella-Zoster-Viren. Krankh.bild: Kinderkrankheit, durch schubweises Auftreten manifestiert sich der Hautausschlag in allen Entwicklungsstadien (polymorphes Bild, sog. Sternhimmel) Übertragung: Tröpfcheninfektion („fliegende“ Kontagiosität, häufig kalte Jahreszeit Infektion, „Wind“pocken), hohe Inkubat.zeit: 1 – 3 Wochen Klinik: Leichte Prodromalerscheinungen (können auch ganz fehlen) Exanthem mit schubweisen Verlauf: rote Flecken (Roseolen), Papeln Bläschen (ab Bläschenstadium starker Juckreiz), evtl. mit Blut gefüllt Pusteln mit rotem Saum und zentraler Eindellung Krusten Alle Stadien des Exanthems sind gleichzeitig vorhanden (polymorphes Bild = sog. Sternenhimmel) Mundschleimhaut kann auch befallen sein, keine Narbenbildung (außer durch Sekundärinfektion bei Aufkratzen) Kopfhaarbereich kann betroffen sein Hände und Füße sind nicht betroffen 463 © Arpana Tjard Holler (Autor) 464 Komplikation: Otitis media, Varizellenpneumonie (atypische Pneumonie) Meningitis, Enzephalitis Embryopathien Herpes Zoster (Gürtelrose); v.a. bei älteren Menschen und bei Menschen mit Abwehrschwäche infolge Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus (Behandlungsverbot!). Krankheitsgefühl, evtl. Lymphknotenschwellungen halbgürtelförmiger sehr schmerzender Hautausschlag (Flecken, Papeln, Bläschen, Pusteln), stark juckend, Thoraxschmerzen Bläscheninhalt ist infektiös Kann auch Dermatome im Gesicht befallen (Zoster oticus, Zoster ophthalmicus – kann zu bleibenden Sehstörungen führen) Können Monate bis Jahre nach der Infektion persistieren Komplikation: Herpes Zoster generalisatus bei z.B. AIDS oder Leukämie Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Tuberkulose Erreger: Mycobacterium tuberculosis (Mykobakterien). Übertragung: Tröpfcheninfektion (aerogen) Mensch zu Mensch (offene Tuberkulose), seltener durch infizierte Nahrungsmittel (z.B. Milch), Geschlechtsverkehr oder durch Einatmen von getrockneten, erregerhaltigen Ausscheidungen. Inkubat.zeit: 4-6 Wochen. Entstehung: Zyklische Infektionskrankheit mit unterschiedlichen Organstadien, am häufigsten wird jedoch die Lunge befallen. Erkrankung hängt ab von der Zahl und Virulenz (Grad der Aggressivität) der Mykobakterien, der Dauer der Exposition und der Abwehrlage des betroffenen Menschen. Bei Erstinfektion mit den Erregern (Primärtuberkulose) bildet sich der Primärherd, ein oder mehrere abgekapselten Herde (Tuberkel, granulomatöses Geschwulst) in der Lunge, welche sich verflüssigen, verkäsen oder später auch verkalken können. Bei Überdauern von infektiösen Erregern in den Tuberkeln kann sich bei Minderung der Abwehrlage eine postprimäre Tuberkulose entwickeln. Eine Ausbreitung der Erreger über den Blutweg führt zur Miliartuberkulose oder Organtuberkulose. Risikofaktoren für eine Tuberkuloseerkrankung sind hohes Lebensalter, geschwächtes Immunsystem, bestehende Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, AIDS-Erkrankung, Alkoholkrankheit, Lungenfibrosen) Unterscheidung der Lungentuberkulosen: Produktive Form (geschlossene Lungentuberkulose) mit Abwehrreaktion (Tuberkel) und uncharakteristischen Zeichen (subfebrile Temperaturen, Nachtschweiß, Gewichtsverlust) Exsudative Form (offene Lungentuberkulose) mit Verflüssigung des in den Tuberkeln verkästen Gewebes und Symptomen einer Lungenentzündung (hohes Fieber, Husten mit Auswurf). Der Nachweis von Tbc-Bakterien im Sputum des Patienten spricht für eine offene Tuberkulose. Kavernöse Form mit Bildung von abnormen Höhlen (tuberkulöse Kavernen) im Lungengewebe. Symptome: Aushusten von verflüssigten Gewebes, Pneumothorax, Lungenblutungen, respiratorische Insuffizienz, Gefahr auf Miliartuberkulose Die Tuberkulose ist weltweit immer noch eine der häufigsten bakteriellen Infektionskrankheiten. 465 Klinik: Primärtuberkulose (Erstinfekt) verläuft häufig symptomlos (positiver Tuberkulintest) oder führt zu uncharakteristischen Beschwerden: subfebrile Temperaturen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Schwäche, Müdigkeit, Nachtschweiß, Husten, Atemnot, Sputum (Auswurf), Brustschmerzen, Erythema nodosum, Pleuritis exsudativa (feuchte Brustfellentzündung) mit hohem Fieber und Stichen bei der Atmung (v.a. bei Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen) BSG erhöht. Postprimäre Tuberkulose als Organtuberkulose (Lungen-, Darm, Nieren-, Leber-, Milz-, Lymphknoten-, Knochen- und Gelenktuberkulose, Augen u.a.) oder Miliartuberkulose. Miliartuberkulose als generalisierte Tuberkulose mit hohem Fieber und Befall verschiedener Organe (generell können alle Organe betroffen sein): pulmonaler Verlauf, typhoider Verlauf, Meningitis tuberculosa. Meldepflicht: Ja, bei Erkrankung (auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt); Behandlungsverbot. Therapie: 6-12 Monate Behandlung mit einer Kombination von unterschiedlich antibiotisch wirksamen Medikamenten. Akute infektiöse Gastroenteritis Erreger: Bakterien Salmonellen (Salmonella enteritides, Salmonella typhimurium u.a.) Shigellen (Shigellose), Escherichia coli, enterohämorrhagische Stämme (EHEC) und sonstige darmpathogene Stämme, Campylobacter species (darmpathogene), Vibrionen darmpathogene Yersinia Staphylokokkentoxine Viren Norovirus Rotaviren Protozoen Giardia lamblia Cryptosporidium parvum Übertragung: durch infizierte Nahrungsmittel oder kontaminiertes Wasser, Mensch zu Mensch (Schmierinfektion). Inkubat.zeit: wenige Stunden bis wenige Tage. Klinik: plötzlicher Durchfall, erst breiig dann wässrig, plötzlicher Beginn mit hohem Fieber evtl. Übelkeit, Erbrechen, krampfartige Bauchschmerzen, Kopf- und Gliederschmerzen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 466 467 Komplikation: Gefahr der Exsikkose (Austrocknung) mit hypovolämischen Schock (v.a. bei Säuglingen, Kindern und ältere Menschen), Sepsis, Thrombosen, akutes Nierenversagen. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Anpassung der Meldepflicht an die epidemische Lage Gemäß §15 des IFSG (Anpassung der Meldepflicht an die epidemische Lage) sind folgende Infektionskrankheiten bei Verdacht theoretisch vom Heilpraktiker zu melden: Eine schwer verlaufende CDAD (Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhoe), Erreger: Clostridium difficile (nosokomiale Infektion); v.a. nach Antibiotika-Therapie auftretend und mit übelriechenden, wässrigen Stühlen, Schmerzen im Unterbauch und leichtem Fieber einhergehend. Eine alkoholische Händedesinfektion alleine reicht nicht aus, empfohlen wird danach das Waschen der Hände mit Wasser. Gemäß §15 des IFSG (Anpassung der Meldepflicht an die epidemische Lage) fallen folgende Infektionskrankheiten für den Heilpraktiker unter das Behandlungsverbot: Infektionen mit MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) MRSA können durch Desinfektionsmittel abgetötet werden. Bei MRSA-Infektionen sind besondere Hygienemaßnahmen notwendig Eine Übertragung von Tier auf den Menschen ist möglich. Gesund Menschen können MRSA-Träger sein Infektionen mit Antibiotika-resistenten Keimen Infektionen mit Arboviren, z.B. das Zika-Virus Infektionskrankheiten gemäß IFSG § 7 (nach Reihenfolge der Erreger). Achtung: Die Erreger, welche im § 7 des IFSG genannt werden müssen (nicht alle) bei Nachweis vom Arzt gemeldet werden. Die Erkrankungen, welche von diesen Erregern verursacht werden können, dürfen vom HP nicht behandelt werden (Behandlungsverbot § 24). Der HP selber darf keinen Erregernachweise durchführen. Adenoviren Krankh.bild: Adenovirus-Konjunktivitis, Keratokonjunktivitis epidemica. Durch Adenoviren verursachte Bindehautentzündung des Auges mit Beteiligung der Hornhaut (seltener Gastroenteritis, atypische Pneumonie). Übertragung: durch den Arzt bzw. Behandler z.B. über Tropfpipetten verursacht (iatrogen), gemeinsame Verwendung von Handtüchern, seltener über Stäube. Inkubat.zeit: 5-10 Tage. Klinik: starker Tränenfluss, Fremdkörpergefühl, © Arpana Tjard Holler (Autor) 468 starke Rötung der Bindehaut, Schwellung der Bindehaut, evtl. wallartig um die Hornhaut erhoben, Schwellung der vor dem Ohr gelegenen Lymphknoten, Lidödeme. Komplikation: Sehstörungen infolge von Infiltraten (die im Gewebe eingedrungene krankheitserregende Substanz) der Hornhaut, Übergreifen der Entzündung auf die Iris (Regenbogenhaut). Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot (gilt für alle durch Adenoviren verursachte Erkrankungen). Bacillus anthracis Krankh.bild: Milzbrand (Anthrax). Eine von Rind, Schwein, Schaf und Pferd auf den Menschen übertragende Infektionskrankheit (Zoonose). Siehe unter 2.1.10. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Bordetella pertussis, Bordetella parapertussis Krankh.bild: Keuchhusten, starker Husten verursacht durch das Toxin der Bakterien. Siehe unter 2.1.12. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Borrelia recurrentis Krankh.bild: Rückfallfieber, Läuserückfallfieber. Akute fieberhafte Infektionskrankheit mit charakteristischen mehrtägigen Fieberschüben. Übertragung: durch Läuse. Erreger werden nur dann übertragen, wenn die Laus zerquetscht oder verletzt wird („die Rache der Laus“). Inkubat.zeit: 4-8 Tage. Klinik: plötzlich hohes Fieber, Schüttelfrost, schweres Krankheitsbild mit Kopf-, Glieder- und Rückenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Benommenheit, Hepatosplenomegalie (Leber- und Milzschwellung), Ikterus (Gelbsucht), Dauer der Fieberperiode ca. 4-7 Tage, dann plötzlicher Fieberabfall mit mehrtägigen fieberfreien Intervall, erneuter Fieberanstieg (i.d.R. nur 1-2 Rückfälle). Komplikation: akutes Nierenversagen, hämorrhagische Diathese (Blutungsneigung), Kreislaufversagen, Herzinsuffizienz, Myokarditis. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Brucellen Krankh.bild: Brucellose, Morbus Bang (Brucella abortus), Maltafieber (Brucella melitensis), Schweinebrucellose (Brucella suis). Von Nutztieren auf den Menschen übertragene Infektionskrankheit mit rezidivierendem (wiederkehrendem) und ondulierendem (wellenförmig verlaufendem) Fieber (Zoonose). Übertragung: direkter oder indirekter Kontakt mit infizierten Tieren bzw. deren Produkte (Milch, Milchprodukte, Fleisch) als Lebensmittelinfektion. Berufskrankheit. Rinder Morbus Bang (Rinderbrucellose), 469 Schafe und Ziegen Maltafieber (Ziegenbrucellose), Schweine Schweinebrucellose (selten). Inkubat.zeit: 1-4 Wochen. Klinik: Prodromalstadium (Anfangsstadium): schleichender Beginn, langsamer Fieberanstieg, Kopf- und Gliederschmerzen, Krankheitsgefühl. Generalisationsstadium: charakteristischer wellenförmiger Fieber-verlauf über Wochen (undulierendes Fieber), Leber- und Milzschwellung, relative Bradykardie, Bildung von Granulomen (v.a. in Leber und Milz), wiederkehrende Fieberschübe über Monate (akuter Verlauf) und Jahre (chronischer Verlauf), Lymphknotenschwellung. Komplikation: Hohe Komplikationsrate. Alle Organe, in denen sich Granulome gebildet haben können betroffen sein (z.B. Herz, Lunge, Gehirn, Nerven, Blut, Milz, Geschlechtsorgane). Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Campylobacter (darmpathogene) Krankh.bild: Campylobacter-Enteritis, akute infektiöse bakterielle Gastroenteritis. Übertragung: infizierte Lebensmittel und infiziertes Wasser, Tierkontakte, Mensch zu Mensch (z.B. das Wickeln von Säuglingen). Inkubat.zeit: 3-5 Tage (1-10 Tage). Klinik: Bild einer akuten infektiösen Gastroenteritis: wässriger Durchfall unterschiedlichen Schweregrads, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Fieber, normale Dauer 3-5 Tage. Komplikation: Sepsis (v.a. bei Säuglingen), Meningitis, Arthritis, Reiter-Trias (Urethritis, Konjunktivitis und Arthritis), Erythema nodosum (rötlich-braune Knötchenbildung v.a. am Schienbein). Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn c) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, d) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Chlamydia psittaci Krankh.bild: Ornithose, Psittakose, Papageienkrankheit. Eine von verschiedenen Vogelarten auf den Menschen übertragbare Infektionskrankheit mit vorwiegendem Befall der Atemwege und in der Intensität recht unterschiedlichen Verläufen. Hinterlässt nach Abheilung für viele Jahre Immunität. Übertragung: durch Kontakt mit Papageien (Psittakose), Tauben, Zier- und Nutzvögel und andere Vogelarten. Einatmung von kontaminiertem Staub (Vogelkot). Kontaktinfektion von Mensch zu Mensch möglich. Berufskrankheit. Inkubat.zeit: 7-14 Tage. © Arpana Tjard Holler (Autor) 470 471 Entstehung: Erreger dringen über die Schleimhäute des Atemtrakts in die Blutbahn ein und vermehren sich v.a. in Leber und Milz. Danach gelangen sie über den Blutweg erneut zur Lunge (seltener Herz, Milz, Leber, Gehirn, Nieren) und führen dort zum Organmanifestationsstadium. Klinik: grippale Ornithose: leichtes Krankheitsgefühl, leichtes Fieber, Ausheilung meist innerhalb einer Woche, pulmonale Ornithose: Fieberanstieg auf 39°-40°C, anhaltendes Fieber (Continua) über 2 Wochen, atypische Pneumonie, relative Bradykardie, Übelkeit und Erbrechen, BSG meist nur mäßig beschleunigt tyhpöse Ornithose: zusätzlich Benommenheit, Verwirrtheit, Schlaflosigkeit, Schwächeanfälle, Teilnahmslosigkeit, Wahnvorstellungen. Komplikation: Meningitis, Enzephalitis, Myokarditis, Herzinsuffizienz, Thrombophlebitis (häufig), Lungenembolie. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Clostridium botulinum Krankh.bild: Botulismus. Bakterielle Lebensmittelvergiftung durch das Botulismus-Toxin. Siehe unter 2.2.1. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Corynebacterium diphtheriae (nur die Toxinbildenden) Krankh.bild: Diphtherie. Akute Lokalinfektionskrankheit der Schleimhäute der oberen Atemwege (Nase, Rachen, Kehlkopf) mit Toxinfernwirkung. Siehe unter 2.1.3. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Coxiella burnetii (Rickettsien) Krankh.bild: Q-Fieber, Balkangrippe, Queensland-Fieber. Von infizierten Tieren auf den Menschen übertragbare Allgemeininfektion (Zoonose) mit Entwicklung einer atypischen Pneumonie. Übertragung: meist Einatmung kontaminierter Staubpartikel, die von den Ausscheidungen infizierter Tiere (Kühe, Schafe, Pferde, Schweine, Ziegen, Hunde u.a.) stammen. Berufskrankheit. Inkubat.zeit: 2-4 Wochen (3-30 Tage). Klinik: Prodromalstadium: akuter Beginn mit hohem Fieber, starken Kopfschmerzen und schwerem Krankheitsgefühl (evtl. Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Benommenheit), Organstadium: atypische Pneumonie mit trockenem Husten und Schmerzen hinter dem Brustbein, relativer Bradykardie, Milzschwellung. Komplikation: meist gutartiger Verlauf ; Hypotonie, Meningitis, Myokarditis, Orchitis (Hodenentzündung), Thrombophlebitis, Pankreatitis, Hepatitis, Nephritis. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. © Arpana Tjard Holler (Autor) 472 Cryptosporidium parvum (Protozoen) Krankh.bild: Cryptosporidiose, eine akute infektiöse Gastroenteritis. Übertragung: infizierte Lebensmittel und infiziertes Wasser, Mensch zu Mensch. Inkubat.zeit: 1-12 Tage. Klinik: Bild einer akuten infektiösen Gastroenteritis: wässriger Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, evtl. Fieber, Durchfälle halten lange an (1-3 Wochen), langanhaltendes Krankheitsgefühl. Komplikation: Exsikkose (Austrocknung aufgrund von Flüssigkeitsverlust) mit Gefahr des hypovolämischen Schocks (v.a. bei AIDS-Patienten beobachtet). Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Ebola-Virus Krankh.bild: Ebola-Virus-Erkrankung (virusbedingtes hämorrhagisches Fieber). Übertragung: Mensch zu Mensch, infizierte Affen. Inkubat.zeit: 2-21 Tage. Klinik: akut auftretendes hohes Fieber (Continua), starke Kopfschmerzen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, (blutiger) Durchfall, Pharyngitis mit weißlichen Belägen und Geschwürbildung, gerötete Augenbindehaut, häufig makulopapulöser (mit Flecken und Knötchen) Ausschlag, hämorrhagische Diathese (erhöhte Blutungsneigung). Komplikation: Pleuraerguss, Aszites (Bauchwasser), hypovolämischer Schock infolge der Blutungen, Multiorganversagen (Letalität 50-90%). Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Enterohämorrhagische Escherichia coli-Stämme (EHEC) Krankh.bild: EHEC-Infektion als reines gastroenteritisches Bild (ohne HUS), enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) als Komplikation. Übertragung: kontaminiertes Wasser und infizierte Lebensmittel (rohes Fleisch, pflanzliche Lebensmittel, rohe nicht erhitzte Milch), infizierte Tiere, Schmierinfektion Mensch zu Mensch (z.B. beim Wickeln von Säuglingen bzw. Kleinkindern). Inkubat.zeit: 2-8 Tage für Gastroenteritis, bis zu 2 Wochen nach Beginn des Durchfalls für HUS. 473 Entstehung: HUS noch ungeklärt, betroffen sind v.a. Säuglinge, Kleinkinder, alte Menschen und Abwehrgeschwächte. HUS kann auch im Rahmen von anderen Infektionskrankheiten auftreten. Klinik: klinisches Bild einer akuten infektiösen Gastroenteritis: Bauchschmerzen, (blutiger) Durchfall, hämolytisches urämisches Syndrom (Trias): hämolytische Anämie, Thrombopenie (verminderte Thrombozytenzahl im Blut) mit hämorrhagischer Diathese (erhöhte Blutungsneigung) und akutem Nierenversagen. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserreger auf die Lebensmittel zu befürchten sind (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Sonstige darmpathogene Escherichia coli Krankh.bild: akute infektiöse Gastroenteritis. Übertragung: kontaminiertes Wasser und Lebensmittel, infizierte Tiere, Mensch zu Mensch (z.B. beim Wickeln von Säuglingen bzw. Kleinkindern). Inkubat.zeit: 8-72 Stunden. Klinik: Cholera ähnlicher Durchfall, Fieber, Bauchkrämpfe. Komplikation: hypovolämischer Schock durch starken Flüssigkeitsverlust. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserreger auf die Lebensmittel zu befürchten sind (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Francisella tularensis Krankh.bild: Tularämie (Hasenpest). Übertragung: Zoonose; durch Kontakt mit infizierten Tieren (Nagetiere v.a. Kaninchen und Hasen, aber auch Ratten, Mäuse und Biber), durch Verzehr infizierter Tierprodukte (ungenügend gekochtes Fleisch), infiziertes Wasser, Einatmung von infiziertem Staub, Stiche infizierter Insekten oder Zeckenbisse, keine Übertragung Mensch zu Mensch. Inkubat.zeit: 2-8 Tage (1-14 Tage). Klinik: plötzlicher Beginn mit Fieber und Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, Papel, Pustel, Geschwür an der Eintrittspforte (Primäraffekt, meist Haut), © Arpana Tjard Holler (Autor) 474 Befall regionaler Lymphknoten mit Schwellung und eitriger bzw. nekrotisierender Entzündung, langer Krankheitsverlauf mit intermittierendem (wechselndem) Fieber, evtl. Konjunktivitis (Augenbindehautentzündung). Komplikation: chronischer Verlauf, pulmonaler Verlauf (Lungenentzündung), typhöser Verlauf (Sepsis, Meningitis, Enzephalitis). Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. FSME-Virus Krankh.bild: FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis). Übertragung: Zeckenstich (Zecke muss mindestens 12 Stunden gesaugt haben). Impfempfehlung (nach STIKO) besteht bei Personen, die in FSMERisikogebieten (v.a. Bayern und Baden-Württemberg) Zecken exponiert sind, z.B. Forst- und Waldarbeiter, Wanderer und Radfahrer in bewaldeten Gebieten. Nur 1-5% der Zecken mit dem FSME-Virus infiziert sind. Inkubat.zeit: 7-14 Tage. Klinik: Grippale Initialphase mit plötzlichem Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und katarrhalischen Erscheinungen, Fieberfreies Intervall: 4-10 Tage, Erneuter Fieberanstieg mit neurologischen Zeichen einer Meningitis (Entzündung der Gehirnhäute), Enzephalitis (Entzündung des Gehirns) und/oder Myelitis (Entzündung des Rückenmarks). Der überwiegende Anteil der Infektionen verläuft ohne Symptome Komplikation: Letalität ca. 1%. Meldepflicht: Nur in Bayern und Baden-Württemberg; Behandlungsverbot. Gelbfieber-Virus Krankh.bild: Gelbfieber (virales hämorrhagisches Fieber), sog. schwarzes Erbrechen. Übertragung: durch die Stechmücke Acedes aegypti (ein Vektor) bei Reisen in Endemiegebieten (Afrika, Mittel- und Südamerika). Infektionsquelle: Menschen und Affen. Inkubat.zeit: 3-6 Tage. Klinik: akuter Krankheitsbeginn mit plötzlich Fieberanstieg auf 39-40C, Glieder-, Kopf- und Muskelschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, relativer Bradykardie, kurzes fieberfreies Stadium: 1-2 Tage (biphasischer Fieberverlauf), erneuter Fieberanstieg (Dromedarkurve) mit Hepatitis (Ikterus), Erbrechen, Nierenbeteiligung (Albuminurie, Hämaturie) und hämorrhagischer Diathese unterschiedlichen Ausmaßes (Haut- und Schleimhautblutungen, Bluterbrechen). Komplikation: akute Niereninsuffizienz Leberkoma Kreislaufversagen Meningoenzephalitis 475 Letalität um 10% Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung (virusbedingtes hämorrhagisches Fieber); Behandlungsverbot. Giardia lamblia (Protozoen) Krankh.bild: Giardiasis, Lambliasis (akute infektiöse Gastroenteritis). Übertragung: Aufnahme der Zysten von Giardia lamblia über infizierte Nahrungsmittel oder verunreinigtes Wasser. Inkubat.zeit: 3-25 Tage. Entstehung: Erreger (Protozoen) saugen sich an den Epithelzellen des Dünndarms und der Gallenwege fest und können bei entsprechender Vermehrung zu einer akuten infektiösen Gastroenteritis führen. Klinik: Blähungen, Durchfall, Obstipation (Verstopfung), Bauchkrämpfe. Komplikation: Cholezystitis (Entzündung der Gallenblase), Cholangitis (Entzündung der Gallenwege), Malabsorption (mangelhafte Aufnahme der Nahrungsprodukte) mit Gewichtsverlust. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Haemophilus influenzae Krankh.bild: Haemophilus influenzae-Infektionen. Inkubat.zeit: nicht bekannt. Entstehung: Erreger kommen in der normalen Mundflora vor, gelten als opportunistisch. Klinik: keine spezifischen Symptome, verursacht Sekundärinfektionen bei Virusgrippe, Typ B kann folgende Krankheitsbilder verursachen: eitrige Laryngitis, Epiglottitis (Kleinkinder) kloßige Sprache (gedampft und gedrückte Aussprache) Dysphagie (Schluckstörungen) vermehrter Speichelfluss inspiratorischer Stridor, Dyspnoe Bei Verdacht auf Epiglottitis bei Säuglingen niemals Untersuchung des Rachenraumes, da die Möglichkeit eines Stimmritzenkrampfes besteht. Meningitis (hauptsächlich bei Kleinkindern) atypische Pneumonie septische Arthritis Osteomyelitis (Knochenmarkentzündung) Phlegmone (flächenhafte Entzündung unter der Haut) Sepsis Endokarditis © Arpana Tjard Holler (Autor) 476 Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Hantaviren Krankh.bild: Hantavirus-Erkrankung Syndrom). (virales hämorrhagisches Fieber mit renalem Übertragung: Infektionsquelle: Speichel, Urin und Fäzes (Kot) von Nagetieren, keine Übertragung Mensch zu Mensch. Inkubat.zeit: 2 Tage - 2 Monate. Klinik: akuter heftiger Krankheitsbeginn mit hohem Fieber und Schmerzen am ganzen Körper, Übelkeit und Erbrechen, Hypotonie, verstärkte Blutungsneigung, akutes Nierenversagen. Komplikation: Letalität ca. 25 %. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Hepatitisviren Krankh.bild: akute Virushepatitis. Siehe unter 2.1.5 und unter Kapitel Verdauung im HPSkript Band 1. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Influenzaviren Krankh.bild: Influenza A, B und C (epidemische Grippe). Übertragung: Tröpfcheninfektion. Inkubat.zeit: Nicht bekannt. Entstehung: Epidemien alle 1-3 Jahre, Pandemien alle paar Jahrzehnte. Eintrittspforte: Schleimhäute der Atemwege. Entzündungsreaktion, bakterielle Superinfektion, Virämie mit Gefahr der toxischen Schädigung aller Organe. Klinik: plötzlicher Krankheitsbeginn mit hohem Fieber und Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, Muskelschmerzen, Halsschmerzen, Heiserkeit, trockener Husten, retrosternale Schmerzen, evtl. Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfälle, evtl. relative Bradykardie, evtl. Hepatosplenomegalie, evtl. Exanthem (Hautausschlag). Typisch ist ein oft mehrwöchiger Krankheitsverlauf mit anhaltender Schwäche und Müdigkeit. Aspirin ist kontraindiziert bei Kindern! Komplikation: toxische Schädigung verschiedener Organe (z.B. Myokarditis, Meningitis), atypische Pneumonie (häufigste Todesursache), hämorrhagische Diathese (erhöhte Blutungsneigung), Kreislaufinsuffizienz, Otitis, Sinusitis, besonders gefährdet sind Säuglinge, Kleinkinder und ältere Menschen. 477 Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Lassa-Virus Krankh.bild: Lassa-Fieber (virales hämorrhagisches Fieber). Übertragung: infizierte Nagetiere (Inhalation von eingetrocknetem Kot), Mensch zu Mensch (Kontaktinfektion). Inkubat.zeit: 6-21 Tage. Klinik: allmählicher Krankheitsbeginn, hohes Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen, Halsschmerzen, Brustschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, hämorrhagische Diathese (erhöhte Blutungsneigung) unterschiedlichen Ausmaßes. Komplikation: Multiorganversagen, hypovolämischer Schock infolge der Blutungen, Letalität 50-90%. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Legionellen Krankh.bild: Legionellose (Legionärskrankheit), Pontiac-Fieber. Übertragung: durch Aerosolbildung (kleinste Schwebeteilchen, kleiner als 6 µm) aus Wasseranlagen (Duschen in Hotels oder Krankenhausanlagen, Klimaanlagen, Whirlpools u.a.), tritt innerhalb größerer Menschenmengen auf (Ansteckung von Mensch zu Mensch nicht möglich). Inkubat.zeit: 2-10 Tage. Klinik: allgemeines Krankheitsgefühl mit Kopf- und Muskelschmerzen, danach folgt hohes Fieber (relative Bradykardie) mit Schüttelfrost und Husten (Pneumonie), evtl. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen, Pontiac-Fieber: grippeähnliche Symptome ohne Pneumonie. Komplikation: bei epidemischem Ausbruch Letalität bis zu 30%. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Leptospiren Krankh.bild: Leptospirose. Morbus Weil: Leptospira icterohaemorrhagiae, Feldfieber: Leptospira grippotyphosa, Kanikolafieber: Leptospira canicola, Schweinehüterkrankheit: Leptospira pomana. Übertragung: Zoonose, direkter Kontakt mit Tieren (Ratten, Mäuse, Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine, Pferde, Hunde, Katzen u.a.) oder indirekter Kontakt z.B. über urinverseuchtes Wasser (stehende Gewässer), keine Übertragung von Mensch zu Mensch. © Arpana Tjard Holler (Autor) 478 Inkubat.zeit: 7-14 Tage. 479 Entstehung: zyklische Infektionskrankheit mit zweiphasigem Fieberverlauf. Im Organstadium werden v.a. Leber, Niere und ZNS befallen. Verlauf bei allen Formen ähnlich, nur der Schweregrad variiert. Schwerste Form Morbus Weil, Letalität 15-30%. Klinik: Prodromalstadium mit Fieber, Schüttelfrost, Gliederund Muskelschmerzen, evtl. Erbrechen, Durchfall, Hypotonie und relativer Bradykardie, Konjunktivitis, Hautausschlag, kurzes fieberfreies Stadium: 1-2 Tage (biphasischer Fieberverlauf), Organstadium: ja nach Befall Hepatitis (Ikterus), Nephritis, Meningitis, Enzephalitis, hämorrhagische Diathese (Hauteinblutungen). Komplikation: Leberkoma, Urämie (Nierenversagen), Kreislaufversagen. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Listeria monocytogenes Krankh.bild: Listeriose. Übertragung: v.a. durch Rohmilch, Butter und Käse diaplazentar (von der infizierten Mutter auf das ungeborene Kind). Inkubat.zeit: wenige Tage bis mehrere Wochen. Entstehung: Eintrittspforte: Verdauungstrakt, Atemwege, Haut, Augenbindehaut. Listerien sind weltweit verbreitet und kommen insbesondere in der Erde vor. Die Erreger können sich über das Blut (Listeriensepsis) in verschiedenen Organen ansiedeln und Granulome bilden. Betroffen sind v.a. abwehrgeschwächte und ältere Menschen. Die angeborene Listeriose entsteht durch Übertragung auf den Feten über die Plazenta, meist ab dem 5. Schwangerschaftsmonat. Klinik: beim Erwachsenen: Grippe ähnliche Beschwerden (Angina, Lymphknoten-schwellung), Konjunktivitis, Meningoenzephalitis, Endokarditis und Befall anderer Organe. bei der angeborenen Listeriose: Früh- und Totgeburt, Hydrozephalus (Wasserkopf), Meningoenzephalitis, Milz- und Leberschwellung, Pneumonie, Hautausschlag, geistige Entwicklungsstörung. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Marburg-Virus Krankh.bild: Marburg-Virus-Erkrankung (virales hämorrhagisches Fieber). Übertragung: durch infizierte Affen (grüne Meerkatze), Mensch zu Mensch (Kontaktinfektion). Inkubat.zeit: 3-9 Tage. © Arpana Tjard Holler (Autor) 480 Klinik: plötzlich auftretendes hohes Fieber, Muskel- und Gliederschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Pharyngitis (Entzündung der Schleimhaut des Rachens), Konjunktivitis (Lichtscheu), Hautausschlag, hämorrhagische Diathese unterschiedlichen Ausmaßes. Komplikation: Multiorganversagen, Letalität 20-80%. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Masern-Virus Krankh.bild: Masern (Morbilli). Siehe unter 2.1.8. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Mumpsvirus Krankh.bild: Mumps, epidemische Infektion der Speicheldrüsen, v.a. der Ohrspeicheldrüse (Parotitis). Siehe unter 2.1.11. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Mycobacterium leprae Krankh.bild: Lepra (Aussatz). Übertragung: durch direkten engen Kontakt, meist nach jahrelanger Exposition. Inkubat.zeit: 9 Monate bis 20 Jahre. Vorkommen: Süd- und Südostasien, Afrika, Lateinamerika. Klinik: Indeterminierte (unbestimmte) Lepra: nur einzelne hypopigmentierte Hauterscheinungen, in deren Bereich eine Unempfindlichkeit besteht. Kann in die tuberkuloide oder lepromatöse Form übergehen oder auch ohne Verschlimmerung bestehen bleiben. Tuberkuloide Lepra: gutartige Lepraform mit vereinzelten, gut abzugrenzenden, sensibel gestörten Hauterscheinungen und verdickten Hautnerven an der Peripherie (meist einseitig). Lepromatöse Lepra: bösartige Lepraform mit symmetrischen Hauterscheinungen und Bildung von Lepraknoten. Im späteren Verlauf geschwüriges Aufbrechen der Knoten, Befall von inneren Organen, Lähmungen, Verstümmlungen. Borderline Lepra: Lepraform, bei der sich die tuberkuloide in die lepromatöse Form umwandelt oder umgekehrt. Komplikation: Erblindung, toxischer Schock (durch Zerfallsprodukte der Mykobakterien), Erkrankung der Niere mit schlechter Prognose. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Mycobacterium tuberculosis / africum Krankh.bild: Tuberkulose. Siehe unter 2.1.20. 481 Meldepflicht: Ja, bei Erkrankung (auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt); Behandlungsverbot. Neisseria meningitidis Krankh.bild: Meningokokken-Meningitis, Meningokokkensepsis. Siehe unter 2.1.9. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Norovirus (Norwalk-ähnliches Virus) Krankh.bild: Erkrankung durch Noroviren (akute infektiöse Gastroenteritis). Übertragung: durch infizierte Nahrungsmittel oder kontaminiertes Wasser, Mensch zu Mensch (Schmierinfektion), in einigen Fällen durch Tröpfcheninfektion Inkubat.zeit: 10-50 Stunden (1-4 Tage). Klinik: Übelkeit, schwallartiges Erbrechen, Bauchkoliken, Kopf- und Muskelschmerzen, Fieber, ausgeprägtes Krankheitsgefühl reichlich wässriger Durchfall Erkrankungsdauer 1-3 Tage betroffen sind v.a. Kinder unter 5 und Personen über 70 Jahren jahreszeitliche Häufungen in den Winter- und Frühjahrsmonaten Patienten können noch nach Abklingen der Symptome ansteckungsfähig sein Komplikation: Gefahr der Exsikkose (Austrocknung) mit hypovolämischen Schock (v.a. bei Säuglingen, abwehrgeschwächten und älteren Menschen). Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Polio-Virus Krankh.bild: Poliomyelitis. Siehe unter 2.1.13. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Rabies-Virus Krankh.bild: Tollwut Siehe unter 2.1.16. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Rickettsia prowazeki Krankh.bild: Fleckfieber, Typhus exanthematicus. Übertragung: infizierter Kot von Kleiderläusen durch Einatmung und Einkratzen in die Haut, keine Übertragung Mensch zu Mensch. Inkubat.zeit: 1-2 Wochen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 482 Entstehung: kann sich nur bei mangelhafter Hygiene ausbreiten. Rickettsien siedeln sich in den Endothelzellen der kleinen Blutgefäße an und führen zur Entzündungsreaktion mit typischen Fleckfieberknötchen. Klinik: schweres Krankheitsbild mit plötzlichen Fieberausbruch, Kontinua, Kopfschmerzen und Schmerzen am ganzen Körper, makulopapulöser Ausschlag (mit Flecken und Knötchen), Konjunktivitis, zerebrale Symptome z.B. schlafähnlicher Zustand, Apathie, Tremor, Schädigungen der Hirnnerven. Komplikation: Kreislauf- und Nierenversagen, Letalität 10-20%. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Rotavirus Krankh.bild: Rotaviruserkrankung, Rotavirusenteritis, akute infektiöse Gastroenteritis. Übertragung: Mensch zu Mensch, infizierte Nahrungsmittel oder kontaminiertes Wasser; betrifft v.a. Säuglinge, aerogene Übertragung ist möglich (z.B. bei Erbrechen) Inkubat.zeit: 24-72 Stunden (1-4 Tage); Infektiosität bis zu 30 Tage Klinik: Bild einer akuten infektiösen Gastroenteritis: wässriger Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen, evtl. Fieber, hoher Flüssigkeitsverlust. Komplikation: Gefahr der Exsikkose (Austrocknung), v.a. bei Säuglingen, Kleinkindern und älteren Menschen. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Rubellavirus Krankh.bild: Röteln, Kinderkrankheit mit typischem Exanthem. Siehe unter 2.1.15. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Salmonella paratyphi Krankh.bild: Paratyphus A, B und C. Siehe unter 2.1.18 Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Fällt nicht unter Salmonellose. Salmonella typhi Krankh.bild: Typhus abdominalis. Siehe unter 2.1. 17. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. 483 Obwohl die Erreger von Typhus und Paratyphus den gleichen Namen wie die darmpathogenen Salmonellen tragen, werden sie nicht zu den Salmonellosen gezählt, da sie eine sehr unterschiedliche Pathophysiologie aufzeigen. Die Salmonellen-Enteritis gehört zu den Lokalinfektionskrankheiten, während Typhus und Paratyphus zu den zyklischen Allgemeininfektionen zählen. Sonstige Salmonellen Krankh.bild: Salmonellen-Enteritis, Salmonellose. Der Erkrankungsgipfel liegt in den Sommermonaten. Es besteht keine lebenslange Immunität. Siehe akute infektiöse Gastroenteritis unter 2.1.21. Übertragung: Kontaminierte Nahrungsmittel, hervorgerufen durch zu lange bzw. warme Lagerung z.B. rohe Eier, Geflügelfleisch, Rindfleisch, Schweinefleisch, Speiseeis, Dessertcremes, Mayonnaise. Übertragung durch Menschen, Tiere oder Wasser ist relativ selten Komplikation: Exsikkose Salmonellen-Dauerausscheider Reaktive Arthritis bzw. Reiter-Syndrom Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Shigellen Krankh.bild: Shigellose, Shigellenruhr, Bakterienruhr, bakterielle Dysenterie. Übertragung: kontaminiertes Wasser und infizierte Lebensmittel, Mensch zu Mensch (Schmierinfektion z.B. beim Wickeln von Säuglingen). Inkubat.zeit: 12-96 Stunden (1-7 Tage). Entstehung: Lokalinfektionskrankheit Verlaufsform. Klinik: des Dickdarms mit möglicher toxischer plötzlicher Krankheitsbeginn mit Fieber, Erbrechen, Bauchschmerzen, blutig-schleimige Durchfälle (bis zu 50 pro Tag), andauernde Tenesmen (schmerzhafter Stuhlgang), Flüssigkeitsverlust mit Gefahr auf Exsikkose, beim toxischen Verlauf: Meningismus, Bewusstseinsstörungen, Krämpfe. Komplikation: chronischer Verlauf, Perforation (Durchbruch) mit Peritonitis (Bauchfellentzündung), Reiter-Trias (Urethritis, Konjunktivitis und Arthritis). Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn a) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, b) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von © Arpana Tjard Holler (Autor) 484 Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Trichinella spiralis Krankh.bild: Trichinose, Trichinellose. Übertragung: Aufnahme der Trichinella-Larven über nicht ausreichend erhitztes (Schweine-) Fleisch. Inkubat.zeit: 5-45 Tage. Entstehung: aufgenommene Larven entwickeln sich in der Dünndarmschleimhaut zu geschlechtsreifen Würmern (Darmtrichinose). Deren Larven wandern über Lymph- und Blutweg in v.a. sauerstoffreiches Muskelgewebe (Muskeltrichinose). Klinik: Darmtrichinose Symptome einer Enteritis: Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle. Muskeltrichinose: Fieber (Continua), Gesichtsödeme und Hautausschläge als allergische Reaktion, starke Muskelschmerzen, Muskelschwellung und –verhärtung, Eosinophilie (Vermehrung der eosinophilen Granulozyten im Blut). Komplikation: hohe Letalität bei Befall der Atemmuskulatur, Myokarditis, Kreislaufversagen bei starker allergischer Reaktion. Meldepflicht: Nein; Behandlungsverbot. Varizella-Zoster-Virus Krankh.bild: Windpocken, Kinderkrankheit mit polymorphem Exanthem. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Vibrio cholerae Krankh.bild: Cholera. Siehe unter 2.1.2. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung. Darmpathogene Yersinien Krankh.bild: enterale Yersiniose (akute infektiöse Gastroenteritis). Übertragung: über kontaminierte Nahrungsmittel, Mensch zu Mensch (Schmier-infektion). Inkubat.zeit: 2-5 Tage (3-10 Tage). Klinik: gastroenteritische Verlaufsform: Bauchkrämpfe, Fieber, Durchfall, Übelkeit, schwere Form mit Pseudoappendizitis (hohes Fieber, akute Schmerzen und Druckempfindlichkeit in rechten Unterbauch) infolge eines Befalls der Lymphknoten im Bereich des Krummund Blinddarms. 485 © Arpana Tjard Holler (Autor) 486 septische Verlaufsform mit Bildung von knötchenförmigen Herden in verschiedenen Organen (v.a. Leber, Milz), die eitrig zerschmelzen können: hohes Fieber, Schüttelfrost, Erbrechen, Kopfund Gliederschmerzen, Leber- und Milzschwellung, typhöses Bild (Benommenheit, Apathie). Komplikation: extraintestinale (außerhalb des Magen-Darm-Traktes) Symptome, die nach Abklingen der Erkrankung auftreten: z.B. Arthritis, Polyarthritis, Erythema nodosum. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung, wenn c) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, d) oder eine Person betroffen ist, die Lebensmittel herstellt, behandelt oder anders damit in Berührung kommt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist (im Sinne des § 42 des IFSG); Behandlungsverbot. Yersinia pestis Krankh.bild: Pest. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Andere Erreger des hämorrhagischen Fiebers Erreger: Dengue-Virus (Denguefieber, wird übertragen durch Aedes-Stechmücken), Guanarito-Virus (Venezolanisches hämorrhagisches Fieber), Junín-Virus (Argentinisches hämorrhagisches Fieber), Kyasanur-Forest-Virus (Kyasanur-Forest-Krankheit), Krim-Kongo-Fieber-Virus (Krim-Kongo-Fieber), Machupo-Virus (Bolivianisches hämorrhagisches Fieber), OHF-Virus (Omsk hämorrhagisches Fieber), Rifttal-Fieber-Virus (Riftttal-Fieber, südafrikanisches hämorrh. Fieber), Sabiá-Virus (Brasilianisches hämorrhagisches Fieber). Krankh.bild: Für alle Infektionskrankheiten des hämorrhagischen Fiebers ist ein plötzlicher Krankheitsbeginn mit hohem Fieber und starken Gliederschmerzen typisch. Siehe virusbedingtes hämorrhagisches Fieber unter 2.1.7. Meldepflicht: Ja, bei Verdacht und Erkrankung; Behandlungsverbot. Treponema pallidum Krankh.bild: Syphilis, Lues. Syphilis ist eine chronisch verlaufende Infektionskrankheit, die in über 90% der Fälle durch Geschlechtsverkehr übertragen wird. Der Verlauf in vier charakteristischen Stadien kann sich über Jahre hinziehen. Übertragung: Geschlechtsverkehr, sexueller Kontakt, Infektiöses Material: Toilette oder Waschlappen, offener Hautausschlag bei Lues II. Inkubat.zeit: 1-3 Wochen 487 Klinik: Syphilis I An der Eintrittsstelle (meist Genitalbereich, aber auch Anus und Mundbereich) reagiert das Gewebe mit der Bildung eines sog. harten Schanker (Primäraffekt). In der Regel besehen regionale Lymphknotenschwellungen (Primärkomplex). Die Erkrankung ist hochinfektiös und heilt innerhalb weniger Wochen auch ohne Behandlung ab. Es besteht ein AK-Nachweis. Ungefähr Cent groß und evtl. erhaben braun-rot und knorpelig hart in der Hälfte der Fälle geschwürig (Ulkus durum) schmerzlos Anschwellung der regionalen Lymphknoten, die derb, schmerzlos und gut verschieblich sind (können über Monate bestehen bleiben) Syphilis II Erfolgt keine Behandlung, gehen ¼ der Fälle nach einer Latenzphase von ca. 7 - 10 Wochen in die sekundäre Syphilis über. Die Erkrankung ist infektiös. Es besteht ein AK-Nachweis. Allgemeinsymptomatik: Fieber, BSG Kopf- und Gelenkschmerzen Milz- und Leberschwellung allgemeine Lymphknotenschwellung Typische Hauterscheinungen vielgestaltiger Art (Syphilid) Anfangs meist makulös: oft roseolenartig, gelbbraun, häufig am Rumpf später makulopapulös oder pustulös: nässend, hochinfektiös, bevorzugt an Hohlhand und Fußsohle, aber auch Genitalund Analbereich (Condylomata lata). Hauterscheinungen sind oft symmetrisch, jucken nicht und sind nur schmerzhaft bei Druck; treten typischerweise in sich abschwächenden Schüben auf auch Schleimhautveränderungen im Genitalbereich und Mundbereich (z.B. Angina syphilitica, schmerzlos) mottenfraßähnlicher Haarausfall möglich (Alopezie) „Syphilis ist der Affe unter den Hauterkrankungen“ Beteiligung anderer Organe (seltener) Augenentzündungen Rheumatische Beteiligung Meningoenzephalitis Hepatitis, Myokarditis u.a. Syphilis III Bei der Hälfte der an Lues II Erkrankten bildet sich nach einer mehrjährigen Latenzphase das Tertiärstadium. Es ist keine Heilung mehr möglich, die Erkrankten sind nicht mehr infektiös, es besteht kein AK-Nachweis. Es treten typische nicht schmerzhafte Granulations-geschwulste (Gummen) in den verschiedensten Organen auf. Sie neigen zu rascher Ausbreitung mit zentraler Verkäsung und Ausscheidung eines gummiartigen Sekrets. Ist das Zentralnervensystem befallen, spricht man von der Neurosyphilis (manchmal auch als Lues IV bezeichnet) mit progressiver Paralyse (Gehirnzerfall) und Tabes dorsalis (Rückenmarkschwindsucht). fortschreitende Verblödung mit körperlichem Verfall © Arpana Tjard Holler (Autor) 488 epileptische Anfälle vegetative Störungen und Reflexausfälle motorische und sensorische Ausfallerscheinungen Immunität: Keine Komplikation: Angeborene Syphilis Meldepflicht: Nein (für den Arzt nicht-namentlich); Behandlungsverbot. HI-Virus Krankh.bild: HIV-Krankheit, AIDS. Übertragung: Geschlechtsverkehr, besonderes Risiko bei häufigem Partnerwechsel, Zahl der Partnerwechsel, Analverkehr, „unsafe“ Sex Kontakt mit infiziertem Blut, z.B. unsauberes Injektionsbesteck, kontaminierte Blutkonserven Fetale Übertragung (von der Mutter auf das Ungeborene) Nachgewiesen werden Antikörper in fast allen Körperflüssigkeiten (z.B. Blut, Samenflüssigkeit und Vaginalsekret, Speichel und Tränenflüssigkeit, Liquor, Muttermilch) Inkub.zeit: In der Regel finden sich nach 2 - 6 Monaten bei allen Infizierten HIVAntikörper. Die Entwicklung eines Immundefekts im Sinne einer AidsErkrankung kann aber sehr unterschiedlich sein: 6 Monate bis 10 Jahre oder mehr. Es ist davon auszugehen, dass nicht jeder HIV-Infizierte auch an der Immunschwäche erkranken muss. Pathologie: HIV befällt im Wesentlichen die Helfer-Zellen (CD4-Lymphozyten) der TLymphozyten sowie Monozyten und Zellen des Zentralnervensystems. Die Viren können sich lange inaktiv in den befallenen Zellen aufhalten und sind der eigenen Immunabwehr und einer Therapie nicht zugänglich. Irgendwann können sie aktiviert werden und im Laufe der Zeit zu einem Immundefekt mit Verminderung der zellulären Immunität und zu Erkrankungen und Schädigungen des ZNS führen. Klinik: Unterteilung in 3 Kategorien: Kategorie A Akute HIV-Infektion (50% d.F.): mononukleoseähnliches Krankheitsbild mit Fieber, Glieder- und Muskelschmerzen, Tonsillitis, Pharyngitis, generalisierte Lymphknotenschwellungen, evtl. Hautausschlag Asymptomatische HIV-Infektion Lymphadenopathie-Syndrom (Abk. LAS): länger bestehende Lymphknotenschwellungen Kategorie B (AIDS-assoziierte Erkrankungen) Alle Erkrankungen, die auf einen erworbenen Immundefekt hinweisen, aber noch nicht als AIDS-definiert gelten. Konstitutionelle Kennzeichen: Nachtschweiß, Fieber (über 38,5°C), Durchfall (alle länger als 1 Monat) Oropharyngeale Candidose Vulvovaginale Candidose Herpes-Simplex-Infektionen Infektionen mit Papillomviren 489 Haarleukoplakie (kleine weiße, nicht abwaschbare Streifen seitlich an der Zunge) Herpes zoster (meist mehrere Dermatome) Lungentuberkulose STD (sexuell transmitted desease) Pyodermien (eitrige Hauterkrankungen) bazilläre Angiomatose (bakteriell bedingte Gefäßerkrankung, die mit Bildung von knotigen Blutschwämmen einhergehen) Polyneuropathie Idiopathische thrombozytopenische Purpura (Verminderung der Thrombozyten mit Blutungsneigung) Kategorie C (AIDS-definierte Erkrankungen) AIDS = acquired immune deficiency syndrome (Erworbenes Immunschwäche Syndrom), gilt als Vollbild einer HIV-Infektion. Opportunistische Erkrankungen (opportunistisch = günstige Gelegenheit; Erreger verursachen nur bei Abwehrschwäche eine Infektion) wie zum Beispiel: Candidiasis von Trachea, Bronchien, Lunge Herpes-Simplex-Infektionen Kryptokokkose (Infektion mit Hefepilz, z.B. Pneumonie, Enzephalitis) Pneumocystispneumonie (PCP) Toxoplasmen-Enzephalitis Zytomegalie Tuberkulose Salmonellensepsis Gehäuftes Auftreten von bestimmten bösartigen Tumoren, z.B.: Kaposi-Sarkom, Analkarzinom epidemisches Lymphom (Burkitt-Lymphom) und Non-Hodgkin-Lymphome malignes Melanom, Analkarzinom, Zervixkarzinom Zusätzlich: Wasting-Syndrom (HIV-Kachexiesyndrom, Auszehrungssyndrom) HIV-Enzephalopathie mit Entwicklung eines dementiellen Syndroms Meldepflicht: Nein (für den Arzt nicht-namentlich); Behandlungsverbot. Echinokokken Krankh.bild: Echinokokkose, Echinokokkeninfektion. Hunde bzw. Fuchsbandwurmerkrankung, die auf den Menschen übertragbar ist. Übertragung: Aufnahme der Eier über direkten (engen) Kontakt mit den infizierten Tieren oder indirekt über infizierte Nahrungsmittel (z.B. Waldbeeren, Pilze, Gemüse). Inkubat.zeit: nicht bekannt. Entstehung: Die Eier der Echinokokken gelangen über orale Aufnahme vom Darm zunächst in die Leber und können von dort in andere Organe verschleppt werden (Lunge, Niere, Gehirn, Milz, Haut). Echinococcus multilocularis führt zur alveolären Echinokokkose, Echinococcus granulosus zur zystischen Echinokokkose. Klinik: zystische Echinokokkose: Befall von Leber (75%) mit Bildung einer oder mehrerer Zysten und den daraus resultierenden, sich langsam entwickelnden Symptomen: Druckgefühl, Appetitlosigkeit, Ikterus, Gallenbeschwerden, Pfortaderhochdruck. © Arpana Tjard Holler (Autor) 490 Befall der Lunge (20%) mit entsprechenden Symptomen: Husten, Atemnot, Pneumonie, Pleuritis, Atelektase (luftleerer Lungenabschnitt). Befall von Milz, Knochen, Gehirn, Nieren (5%) mit entsprechender Symptomatik. alveoläre Echinokokkose: meist Befall der Leber mit ungünstiger Prognose. Meldepflicht: Nein (für den Arzt nicht-namentlich); Behandlungsverbot. Plasmodien (Protozoen) Krankh.bild: Malaria Malaria tertiana (Plasmodium vivax, ovale) Malaria quartana (Plasmodium malariae) Malaria tropica (Plasmodium falciparum) Übertragung: Stich der weiblichen Anopheles-Mücke Inkubat.zeit: 7-30 Tage Entstehung: Die Erreger befallen zuerst die Leberzellen, wo sie heranreifen. Nach Beendigung des Entwicklungsstadiums zerfällt die Leberzelle und die Erreger gelangen über das Blut (Fieberschub) in die roten Blutkörperchen. Dort erfolgt eine ungeschlechtliche Vermehrung, die je nach Plasmodienart unterschiedlich lange dauert. Klinik: Prodromalstadium mit Krankheitsgefühl, Kopf- und Gliederschmerzen Fieberanfall bei Malaria tertiana jeden 3. Tag, bei Malaria quartana jeden 4. Tag, bei Malaria tropica unregelmäßige Fieberschübe langsamer Fieberabfall unter Schweißausbruch und äußerster Schwäche Recurrierendes bzw. intermittierendes Fieber Hepatosplenomegalie (Leber- und Milzschwellung), Anämie, Ikterus Komplikation: zerebrale Malaria Milzruptur Niereninsuffizienz Leberversagen Kreislaufversagen Meldepflicht: Nein (für den Arzt nicht-namentlich); Behandlungsverbot. Toxoplasma gondii (Protozoen) Krankh.bild: Toxoplasmose. Übertragung: orale Aufnahme von Fleisch von infizierten Tieren, Rohmilchkäse oder über Katzenkot, diaplazentar bei Erstinfektion der Mutter während der Schwangerschaft. Inkubat.zeit: nicht genau bekannt (Tage bis Wochen). Entstehung: Die bei Säugetieren und Vögeln weltweit vorkommenden Protozoen verursachen beim Menschen i.d.R. symptomlose Infektionen. Jedoch sind bei Abwehrgeschwächten akute und subakute Verläufe bekannt. Gefürchtet ist die angeborene Toxoplasmose, die bei Erstinfektion während der Schwangerschaft zu Schädigungen des Ungeborenen führen kann. 491 Klinik: Lymphknotenschwellung, Enzephalitis, Meningitis, Myokarditis, Pneumonie, Ader- und Netzhautentzündung des Auges u.a. Komplikation: angeborene Toxoplasmose mit Früh- und Totgeburten, Hydrozephalus (Wasserkopf), Ader- und Netzhautentzündung des Auges, Leber- und Milzvergrößerung, Ikterus. Meldepflicht: Nein (für den Arzt nicht-namentlich nur bei angeborener Toxoplasmose). Infektionskrankheiten gemäß IFSG § 34 Achtung: Im § 34 des IFSG werden eine ganze Reihe von Infektionskrankheiten genannt, die bei Erkrankung von Personen in Gemeinschaftseinrichtungen dazu führen, dass diese dort nicht mehr arbeiten bzw. sich dort nicht mehr aufhalten dürfen um weitere Ansteckungen zu unterbinden. Es werden vier Infektionskrankheiten genannt, die nicht in den §§ 6 und 7 aufgeführt sind, die aber unter das Behandlungsverbot für Heilpraktiker fallen. Impetigo contagiosa (ansteckende Borkenflechte) Erreger: Streptococcus pyogenes, Staphylokokken Übertragung: Schmierinfektion Inkubat.zeit: 1 – 5 Tage Klinik: Komplikation: anfangs Bläschen dann Pusteln, die später aufplatzen und honiggelbe bzw. gelbbraune Krusten entstehen lassen sehr schmerzhaft, sehr infektiös tritt v.a. im Gesicht (Mundwinkel) und an den Händen auf regionale Lymphknotenschwellung heilt in der Regel ohne Narbenbildung ab in der Regel kein Fieber und Krankheitsgefühl Glomerulonephritis (bei Streptokokken), Lyell-Syndrom (bei Staphylokokken), Nagelbettentzündung Krätze (Scabies) Erreger: Krätzmilben (Spinnentiere); sind ständig auf einen Wirt angewiesen und ca. 0,3 – 0,5 mm groß. Entstehung: Milben bohren kleine längliche Gänge in die Hautoberfläche, an deren Ende die weibliche Milbe ihre Eier ablegt (sichtbare, gelbliche Erhebung = Milbenhügel). Die Diagnose wird durch den Hautarzt mittels eines Dermatoskop (lupenähnliches Gerät) gestellt. Übertragung: Direkter enger Kontakt (z.B. Geschlechtsverkehr) oder indirekter Kontakt (z.B. Wäsche- oder Kleidungsstücke), kann nur bei Wärme erfolgen Klinik: Juckreiz (v.a. nachts durch die Bettwärme) Entzündung, oft Ekzem ähnliche Hauterscheinungen mit Papeln, Pusteln, Bläschen und Kratzspuren © Arpana Tjard Holler (Autor) 492 Lokalisation: besonders zwischen den Fingern (Interdigitalfalte), an den Beugeseiten der Handgelenke, Ellenbogen, Achselhöhlen, Vorderseite des Rumpfes, Genitalbereiche (Papeln am Penisschaft, Brustwarzenhof) Rücken und Kopf bleiben meist frei. Komplikation: bakterielle Sekundär- bzw. Superinfektion Scharlach (Scarlatina) Erreger: Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A Übertragung: Meist Tröpfcheninfektion, seltener durch Kontaktinfektion (z.B. kontaminiertes Spielzeug) Inkubat.zeit: 2 – 4 Tage Entstehung: Oft epidemisch in Gemeinschaftseinrichtungen Erkrankungsgipfel 3. - 10. Lebensjahr (Säuglinge erkranken i.d.R. nicht) Klinik: plötzlicher Beginn mit hohem Fieber, Halsschmerzen, Husten, Bauchschmerzen, Erbrechen, Kopfschmerzen Angina tonsillaris (rot geschwollen) mit Enanthem erst weißliche Zunge dann Himbeerzunge (ab dem 4. Tag) rotes Gesicht mit perioraler Blässe (sog. Milchbart) Exanthem: Am 2.-3. Tag stecknadelkopfgroß (feinstfleckig) und dichtstehend, beginnend in den Achseln und Leisten, Ausbreitung über Rumpf und Extremitäten nach 2-4 Wochen kleieförmige Hautschuppung und lamellöse Hautablösung an Handinnenflächen und Fußsohlen Komplikation: Streptokkenallergische Zweiterkrankungen rheumatisches Fieber rheumatische Karditis Glomerulonephritis Während der Erkrankung Otitis media, Sinusitis Bronchitis, Pneumonie Sepsis Fleckengröße bei den Kinderkrankheiten: Masern (großfleckig) Röteln (mittelfleckig) Scharlach (kleinfleckig) Sonstige Streptokokkus pyogenes-Infektionen Erreger: Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes) Krankh.bild: Akute katarrhalische Infektionen des oberen Atemtraktes (z.B. Scharlach, Tonsillitis, Pharyngitis, Otitis media), Infektionen der Haut (z.B. Erysipel, Impetigo contagiosa, Phlegmone, Hautabszesse) Komplikation: Zweiterkrankung 1-3 Wochen nach der Infektion: Rheumatisches Fieber Rheumatische Karditis (rheumatische Endokarditis) Glomerulonephritis 493 Wichtige Infektionskrankheiten für den HP, die nicht im IFSG erwähnt werden Achtung: Es werden sechs Infektionskrankheiten vorgestellt, welche nicht in IFSG erwähnt werden, aber trotzdem von den Gesundheitsämtern zum Prüfungswissen gezählt werden. Für diese Gruppe von Infektionskrankheiten gilt kein generelles Behandlungsverbot. Gasbrand (Gasödemerkrankung) Erreger: Clostridium perfringens Krankh.bild: anaerobe Wundinfektion mit charakteristischer Gasbildung und möglicher Schocksymptomatik. Übertragung: starke Verschmutzung einer offenen Wunde. Inkubat.zeit: Stunden bis wenige Tage. Klinik: plötzliche Wundschmerzen Anschwellung der Wunde mit gelbbrauner bis blauschwarzer Verfärbung Blasenbildung mit trüben hämorrhagischem Inhalt hörbares Knistern v.a. bei Berührung kaum Entzündungszeichen, selten Fieber süßlich-faulig stinkender Wundgeruch Komplikation: bei Einschwemmung der Toxine in das Blut: hohes Fieber mit rascher Verschlechterung des Allgemeinbefindens Hämolyse mit Ikterus Schocksymptomatik Herzkreislaufversagen Lyme-Borreliose Erreger: Borrelia burgdorferi Krankh.bild: Zecken-Borreliose, die mit einer typischen Hauterscheinung an der Bissstelle und mit Erkrankungen des Nervensystems, Haut, Herz und Gelenke einhergeht. Häufigste durch Zecken übertragene Krankheit Übertragung: durch Zeckenbiss der Gattung Ixodes ricinus (gemeiner Holzbock). In 50 % der Fälle bleibt der Biss unbemerkt. Die Zecke muss jedoch mindestens 12 Stunden saugen, sonst kann eine Übertragung der Bakterien nicht erfolgen. Das Risiko einer Infektion steigt mit der Saugdauer der Zecke. Inkubat.zeit: Tage bis 10 Wochen, evtl. auch wesentlich länger Verlauf: Der Verlauf ist sehr uneinheitlich, ein zweiphasiger Verlauf ist möglich, aber nicht zwingend. Typisch sind chronisch rezidivierende Krankheitsbilder, die gelegentlich Wochen bis Monate nach der Infektion auftreten, auch ohne vorausgehende Symptome, isoliert oder in variabler Reihenfolge. Die Erkrankungen des Nervensystems und am Herzen sind wahrscheinlich immunologisch bedingt. Klinik: Frühsymptomatik (Stadium I, akutes Stadium) © Arpana Tjard Holler (Autor) 494 Erythema chronicum migrans: an der Zeckenbissstelle sich ausdehnender rötlicher oder livider Fleck mit möglicher zentraler Aufhellung, nicht juckend; tritt Tage bis Wochen nach dem Zeckenbiss auf. Fehlt jedoch in der Hälfte der Fälle! evtl. Pustelbildung an der Einstichstelle unspezifische Allgemeinsymptome (Kopf-, Glieder-, Rücken- und Muskelschmerzen, evtl. leichtes Fieber) regionale oder generalisierte Lymphknotenschwellung, Splenomegalie Meningitis mit Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit Spätsymptomatik (Stadium II; Wochen bis Monate, evtl. Jahre nach der Infektion, Antibiotika nicht mehr wirksam) Meningoenzephalitis, Bannwarth-Syndrom (lymphozytäre Meningoradikulitis): Leitsymptom sind quälende, starke radikuläre Schmerzen; (isolierte) Fazialislähmung und andere Hirnnervenlähmungen Lyme-Arthritis mit akuter Entzündung von einem oder mehreren Gelenken (meist asymmetrischer Befall), auch als Frühsymptom möglich Myokarditis mit Herzrhythmusstörungen Lymphadenosis cutis benigna: rötlich-livide, gutartige Infiltrate der Haut (Lymphknotenschwellungen) Akrodermatitis chronica atrophicans: Atrophie des subkutanen Fettgewebes mit blau-rötlicher Fältelung und ausgeprägter Venenzeichnung Mononukleose Synonym: Pfeiffer-Drüsenfieber, Mononucleosis infectiosa, Epstein-Barr-VirusInfektion, Monozytenangina, „Kissing disease“, Studentenfieber. Erreger: Epstein-Barr-Virus (ein Herpes-Virus). Krankh.bild: Allgemein zyklische Infektionskrankheit mit Befall des lymphatischen Gewebes und charakteristischen Blutbildveränderungen. Obwohl lange und schwere Krankheitsverläufe bekannt sind, besteht i.d.R. eine gute Prognose. Übertragung: Kontaktinfektion durch infizierten Speichel (z.B. beim Küssen), v.a. Kinder und Jugendliche sind betroffen. Tröpfcheninfektion Schmierinfektion Inkubat.zeit: 1-3 Wochen. Klinik: Angina tonsillaris: geschwollene Tonsilla palatina mit weiß-gelblichen (schmutziggrauen) Belägen, die abwischbar sind und keine Blutung hinterlassen und nicht auf die Umgebung der Mandeln übergreifen generalisiert Lymphknotenschwellung (in 50% d.F.), i.d.R. nicht schmerzhaft Splenomegalie (Spontanruptur möglich!) Fieber und Krankheitsgefühl (Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen) evtl. Hepatitis mit Ikterus (5-8% d.F.) fauliger Mundgeruch charakteristisch ist das fehlende Ansprechen auf Antibiotika typisches Blutbild: mononukleäre Lymhpoidzellen (atypische Lymphozyten) 495 Komplikation: Milzruptur, periphere Fazialisparese. Tetanus (Wundstarrkrampf) Erreger: Clostridium tetani Krankh.bild: Lokalinfektion mit Bildung von Toxinen, die im Zentralnervensystem zur krampfartigen Kontraktion der quergestreiften Muskulatur führen. Übertragung: Tiefe, nicht durchblutete, verunreinigte Wunden; eine direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch kann nicht erfolgen. Inkubat.zeit: 3 Tage bis 4 Wochen. Klinik: Komplikation: Abgeschlagenheit, Schwächegefühl, Muskelsteifheit, Hyperreflexie Trismus (Kieferklemme durch Starrheit der Kaumuskulatur) Risus sardonicus (teuflisches Lächeln) Opisthotonus schmerzhafte Muskelkrämpfe (Extremitäten bleiben meist unbeteiligt) Patient ist bei vollem Bewusstsein, Fieber tritt erst gegen Ende auf Atemlähmung Kreislaufversagen Gehirnblutung Frakturen und Luxationen Ringelröteln Synonym: „fünfte Krankheit“ Erreger: Ringelrötelnvirus Krankh.bild: Allgemein zyklische Infektionskrankheit, die in der Mehrzahl der Fälle symptomlos verläuft, vorwiegend bei Kindern auftritt und als wenig ansteckend gilt. Übertragung: Tröpfcheninfektion. Inkubat.zeit: 1-2 Wochen. Klinik: häufig kein Fieber, sonst bis 38°C evtl. grippeähnliche Symptome, meist aber Allgemeinbefinden wenig beeinträchtigt Exanthem Beginn im Gesicht an den Wangen mit großen rötlichen Flecken und Aussparung der Mundregion, sog. Backpfeifengesicht (slappedcheeks) Breitet sich über den Stamm und Extremitäten aus, ringförmig konfluierend, teilweise ödematös erhaben Komplikation: diaplazentare Infektion, selten Arthritis Hand-Fuß-Mund-Krankheit Erreger: Enteroviren © Arpana Tjard Holler (Autor) 496 Krankh.bild: Viral bedingte, harmlose aber hochansteckende Infektionskrankheit, welche v.a. Kindern unter 10 Jahren befällt, aber auch schon mal Erwachsene oder Säuglinge befallen kann. Übertragung: Tröpfcheninfektion. Inkubat.zeit: 1-2 Wochen. 497 Klinik: hohes Fieber mit Allgemeinsymptomen einige Tage später bilden sich schmerzhafte Enantheme in der Mundschleimhaut: rote Bläschen, die ulzerieren können und sich in Aphthen umbilden gleichzeitig bilden sich symmetrisch kleine Hautbläschen um den Mund herum und an den Händen und Füßen, die i.d.R. innerhalb einer Woche narbenlos abheilen Komplikation: selten Meningitis, Enzephalitis © Arpana Tjard Holler (Autor) 498 Übersicht Impfkalender nach STIKO Achtung: Der Impfkalender wird jährlich im Herbst von der STIKO im Robert-KochInstitut erneuert. Bitte auf Aktualisierung überprüfen! Übersicht Impfkalender I 6 Wochen 2 Monate 3 Monate 1 von 4 4 Monate 2 von 4 Diphtherie Hepatitis B1 von 4 Hib*1 von 4 Diphtherie Hepatitis B2 von 4 Hib*2 von 4 3 von 4 Diphtherie Hepatitis B3 von 4 Hib*3 von 4 11-14 Monate Diphtherie4 von 4 Hepatitis B4 von 4 Hib*4 von 4 Masern1 von 2 Meningokokken 1 von 1 Rotaviren 1 Pertussis1 von 3 Pneumokokken1 von 4 Poliomyelitis1 von 4 Rotaviren 2 von 3 2 von 4 Pneumok. Poliomyelitis2 von 4 Rotaviren 3 von 3 Pertussis2 von 3 Pneumok.3 von 4 Polio3 von 4 Mumps1 von 2 Pertussis3 von 3 Pneumok.4 von 4 Polio4 von 4 von 3 Tetanus1 von 4 Tetanus2 von 4 Tetanus3 von 4 Röteln1 von 2 Tetanus4von 4 Windpocken 1von 2 * Haemophilus influenzae Typ B Übersicht Impfkalender II 15-23 Monate 5-6 Jahre 1 von 3 9-11 Jahre 12-17 Jahre 2 von 3 Diphtherie Auffrischung Diphtherie Auffrischung Pertussis1 von 3 Auffrischung Humane 1 von 2 Papillomviren Pertussis2 von 3 Auffrischung Tetanus1 von 3 Auffrischung Tetanus2 von 3 Auffrischung Ab 18 Jahre Diphtherie3 von 3 Auffrischung Masern2 von 2 Mumps2 von 2 Humane 2 von 2 Papillomviren Pertussis3 von 3 Auffrischung Röteln2 von 2 Windpocken2 von 2 Ab 60 Jahre Diphtherie Auffrischung1 von 1 Influenza1 von 1 Pertussis Auffrischung1 von 1 Pneumokokken Auffrischung1 von 1 Tetanus Auffrischung1 von 1 Tetanus1 von 3 Auffrischung Onkologie und Pathologie O. 499 Onkologie und Pathologie Onkologie und Pathologie Definition Neoplasie.............................................................................................................................. 500 Pathologie der Tumorentwicklung (Onkogenese) ............................................................................... 500 Tumoreinteilung .................................................................................................................................... 501 Häufigkeit der wichtigsten Krebsformen.............................................................................................. 503 Charakteristische Symptomen von bestimmten Malignomen .............................................................. 503 Definition von Krankheit und Gesundheit ........................................................................................... 505 Begriff des Todes ................................................................................................................................... 505 Erkrankungen im menschlichen Organismus ..................................................................................... 506 © Arpana Tjard Holler (Autor) 500 Onkologie Onkologie (Lehre der Gewebsneubildung) Definition Neoplasie Als Neoplasie bezeichnet man das klinische Ergebnis eines überschießenden und unkontrollierten Wachstums von Zellen (Neoplasma). Nach dem pathophysiologischen Verhalten des neuen Zellwachstums werden generell gutartige (benigne) von bösartigen (maligne) Tumoren unterschieden. Pathologie der Tumorentwicklung (Onkogenese) Im Zellkern in der DNS ist das Programm gespeichert, welches die Aufgabe, die Eigenschaft und das Wachstum einer jeden Zelle bestimmt. Ist dieses Programm „entgleist“, so kommt es zum autonomen und irreversiblen sog. Überschusswachstum. Dabei verlieren die Tumorzellen ihre eigentliche Zell- und Gewebefunktion und entgleiten den normalen Regulationsmechanismen, die das Wachstum steuern und begrenzen sollen. Es kann Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis sich eine Zelle zur Krebszelle entwickelt. Normalerweise besitzen Zellen die Fähigkeit zu Reparaturvorgängen, außerdem können bestimmte Abwehrzellen (T-Killer-Zellen) diese sog. Krebszellen erkennen und unschädlich machen. Diese Fähigkeiten werden von sog. Tumorsuppressor-Genen überwacht und gesteuert. Man geht heute davon aus, dass eine Mutation in den Wächtergenen dazu führt, dass es in den nächsten Zellgenerationen zu Defekten in der DNS kommt und daraus dann ein „Tumor“ entstehen kann. Eigenschaften der Krebszelle Ob eine Krebszelle sich zum einem bösartigen Tumor entwickeln kann und in wieweit sich dieses Wachstum schädigend auf den Zellverband des Körpers auswirkt, hängt von den Eigenschaften der Krebszelle ab bzw. von den Mutationen der Wächtergene. Fähigkeit ohne Sauerstoff zu leben. Fähigkeit unsterblich zu werden. Fähigkeit eine eigene Blutversorgung aufzubauen. Fähigkeit für das Immunsystem unsichtbar zu werden. Fähigkeit aus dem Zellverband auswandern zu können. Tumormarker Definition: Tumormarker sind charakteristische Proteine, die von dem Tumor produziert werden und im Blut eines gesunden Patienten kaum vorhanden sind. Sie spielen in der Diagnostik eine wichtige Rolle und können Aussagen über den Verlauf und die Prognose von bösartigen Tumoren ermöglichen. PSA (prostataspezifisches Antigen): Hinweis auf Prostatakarzinom CEA (carcinoembryonales Antigen): Kann bei kolorektalem Karzinom erhöht sein, aber auch bei Lebermetastasen, Pankreas- und Mammakarzinom (dauerhaft erhöhte Werte). Fälschlich erhöhte Werte findet man bei Rauchern. AFP: Leberzellkarzinom HCT: Schilddrüsenkarzinom CA 15-3: Wird zur Verlaufskontrolle beim Mammakarzinom benutzt. CA 125: Eierstockkarzinom SCC: Gebärmutterhalskarzinom Onkologie 501 Karzinogene Definition: Karzinogene sind Stoffe oder Faktoren, welche die Entstehung eines Tumors begünstigen. Es wird vermutet, dass der Krebs ein Produkt genetischer und exogener Faktoren ist Energiereiche Strahlen wie Röntgen- und radioaktive Strahlung, UV-Strahlen Chemische Stoffe, wie z.B. Aflatoxin, Nikotin, Asbeststaub, Nickel, Chrom, Arsen, Quecksilber, Nitrosamine, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Acrylamid (z.B. in Pommes Frites, Chips, Knäckebrot, Kekse und Gebäck enthalten) Medikamente, wie z.B. Zytostatika Einige Viren stehen im Verdacht karzinogen zu wirken, wie z.B. die PapillomViren beim Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs) Bestimmte chronische Infektionen und Erkrankungen neigen zur malignen Entartung, z.B. bei AIDS-Virus-Infektionen, Hepatitis-B-Virusinfektionen, Achalasie, chronische Refluxkrankheit, Ulkus ventriculi, Magenpolypen, Dickdarmpolypen, Colitis ulcerosa, Gallenblasensteine, Leberzirrhose, Lentigo maligna, Leukoplakie. Tumoreinteilung Nach dem biologischen Verhalten Benigne (gutartige) Tumore Wachsen langsam Lassen sich von der Umgebung gut abgrenzen, Tumorknoten verschiebbar Wachsen nicht zerstörend, sondern expansiv (verdrängend) und bilden eine Tumorkapsel Selten Rezidive (Rückfälle) Funktionelle Leistungen bleiben erhalten (außer es kommt zu einer Kompression) Bilden keine Metastasen Histologisch ist das Tumorgewebe zellulär reif und differenziert Haben meist keine tödlichen Folgen für den Patienten, außer im Gehirn Verdrängungsmechanismus kann zu Ischämien und Nekrosen führen Ausgehend vom Drüsengewebe kann der Tumor unkontrolliert Hormone produzieren, die zu erheblichen Krankheitsbildern führen können. (z.B. beim Hypophysenadenom) Maligne (bösartige) Tumore Wachsen meist schnell Sind von der Umgebung unscharf begrenzt, Tumorknoten nicht verschiebbar Wachsen in das umliegende Gewebe zerstörend (invasiv) hinein, keine Tumorkapsel Häufig Rezidive (Rückfälle) Funktionelle Leistungen werden beeinträchtigt und fallen aus Bilden Metastasen durch lymphogene oder hämatogene Verbreitung; hat der Tumor eine Größenordnung von 1 cm überschritten, so besteht meist schon eine Metastasierung in andere Organe Histologisch ist das Tumorgewebe zellulär unreif und undifferenziert, führt im fortgeschrittenen Stadium zu Nekrose und Ulzeration (geschwüriger Zerfall) Gilt als tödlich wenn keine Behandlung durchgeführt wird (wichtig für HP: Sorgfaltspflicht) © Arpana Tjard Holler (Autor) 502 Onkologie Die Entscheidung, ob ein Tumor bösartig oder gutartig ist, kann anhand der Biopsie (Gewebsprobe) getroffen werden. Semimaligne Tumore Besitzen die histologischen Kennzeichen eines bösartigen Tumors Wachsen invasiv, bilden aber keine Metastasen (beschränkte Bösartigkeit), z.B. Basaliom Tabelle Unterscheidung bösartiger und gutartiger Tumor Benigne (gutartig) Maligne (bösartig) Wachstum Langsam, verdrängt das Schnell, wächst invasiv in umliegende Gewebe das umliegende Gewebe Abgrenzung zum gesunden Gut abgrenzbar, verschieblich Schlecht abgrenzbar, nicht Gewebe verschieblich Metastasenbildung Nein Ja Verlauf Meist langsamer Verlauf, Meist schneller Verlauf, selten, selten Rezidive häufig Rezidive Histologische Homogenes Gewebe (reife Herterogenes Gewebe Differenzierung und gut differenziert) (unreif und undifferenziert Nach der Histologie Gewebe Epithelgewebe Bindegewebe Knochen Benigne Adenom Fibrom Osteom Knorpel Muskel glatte Muskulatur quergestreifte Muskulatur Bindegewebe Fettgewebe Gefäße Leukozyten Plasmazellen Lymphknoten Haut Chondrom Myom Leiomyom Rhabdomyom Fibromyom Lipom Hämangiom Schleimhaut Polypen Lymphom Muttermal (Nävuszellnävus) Maligne Karzinom Fibrosarkom Osteosarkom Ewing-Sarkom Chondrosarkom Myosarkom Leiomyosarkom Rhabdomyosarkom Fibrosarkom Liposarkom Hämangiosarkom Leukämie Plasmozytom Lymphogranulomatose Basaliom, Melanom, Spinaliom Adenokarzinom Nach der TNM-Klassifikation Eine internationale Einteilung der klinischen Stadien einer malignen Tumorerkrankung nach drei Hauptkriterien: T (Tumor) steht für die Größe des Tumors bzw. das Eindringen in die Umgebung. T0 = Kein Nachweis eines Primärtumors. Tis = Carcinoma in situ (Oberflächenkarzinom, Basalmembran ist noch nicht durchbrochen T1-T4 = Stadieneinteilung (steigende Zahl = fortgeschrittenes Stadium) TX = Primärtumor kann nicht beurteilt werden. Onkologie 503 N (Nodulus) beschreibt das Vorhandensein regionärer Lymphknoten. N0 = Kein Nachweis auf regionäre Lymphknoten. N1-N3 = Stadieneinteilung (steigende Zahl = zunehmender Befall regionärer Lymphknoten) NX = Regionäre Lymphknoten können klinisch nicht erfasst werden. M (Metastase) steht für den Hinweis auf Fernmetastasen. M0 = Kein Nachweis auf Fernmetastasen. M1-M3 = Ansteigende Gradeinteilung des Metastasenbefalls MX = Vorliegen von Fernmetastasen kann nicht beurteilt werden. Häufigkeit der wichtigsten Krebsformen Die Summe der Neuerkrankungen pro Jahr beträgt z.Z. ca. 520.000 mit steigender Tendenz. Dabei liegen die Männer mit 30.000 vorne. Pos. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Männer Organbefall Hautkrebs Prostatakrebs Krebs der Atmungsorgane Dickdarmkrebs Blasenkrebs Lymphome Magenkrebs Nierenkrebs Pankreaskrebs Leukämien Frauen Brustkrebs Hautkrebs Dickdarmkrebs Krebs der Atmungsorgane Gebärmutterkrebs Eierstockkrebs Lymphome Pankreaskrebs Nierenkrebs Leukämien Neuerkrankungen / Jahr Ca. 69.000 Ca. 66.000 Ca. 44.000 Ca. 34.000 Ca. 12.000 Ca. 10.000 Ca. 9.000 Ca. 9.000 Ca. 8.000 Ca. 7.000 Ca. 71.000 Ca. 69.000 Ca. 28.000 Ca. 21.000 Ca. 16.000 Ca. 11.000 Ca. 9.000 Ca. 8.000 Ca. 6.000 Ca. 5.000 Charakteristische Symptomen von bestimmten Malignomen Bei folgenden Symptomen müssen folgende Malignome ausgeschlossen werden: Trockener Reizhusten über Monate: Bronchialkarzinom Bluthusten: Bronchialkarzinom Chronische Heiserkeit: Kehlkoprkarzinom Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen ohne Infekthinweise: Magenkarzinom Okkultes Blut im Stuhl: Magenkarzinom, Dickdarmkarzinom Ikterus ohne Fieber oder Schmerzen: Pankreaskopfkarzinom, Gallengangskarzinom Diarrhoe und Obstipation abwechselnd: Dickdarmkarzinom © Arpana Tjard Holler (Autor) 504 Onkologie Sichtbares Blut im Stuhl: Kolorektales Karzinom Hämaturie: Nierenkarzinom, Blasenkarzinom, Prostatakarzinom Blasenentleerungsstörungen: Prostatakarzinom Fleischwasser farbener Ausfluss: Gebärmutterhalskarzinom Ungeklärte Aszites. Ungeklärte Aszites Generalisierte Lymphknoten-schwellung. Morbus Hodgkin, Leukämie Alkoholschmerz: Hodgkin- und Non-Hodgkin Nicht verschieblicher Knoten in der Brust: Nicht verschieblicher Knoten in der Brust Kopfschmerzen mit neurologischen Ausfallserscheinungen: Hirntumor Nüchtern erbrechen ohne Übelkeit: Hirntumor Rezidivierende Phlebothrombitiden ohne entsprechende Anamnese: Pankreaskarzinom Ungeklärtes Fieber mit Nachtschweiß: Alle bösartigen Tumore Ungeklärte Gewichtsabnahme, 10% innerhalb von 3 Monaten: Alle bösartigen Tumore Typische Symptome im späten Stadium einer Krebserkrankung. Gewichtsabnahme, starke Leistungsminderung, Appetitlosigkeit Nachtschweiß, Fieberschübe BSG , Kachexie (Auszehrung, allgemeine Atrophie) Anämie (Tumoranämie aufgrund einer Eisenfehlverwertung) Lokale oder generalisierte Lymphknotenschwellung Widerwillen gegen Fleisch Lokale Beschwerden in der Ausbreitungsregion des Tumors Allgemeine Pathologie 505 Allgemeine Pathologie Definition von Krankheit und Gesundheit Definition der WHO: Krankheit ist die Abwesenheit von Gesundheit und diese: "Gesundheit ist der Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“. Diese Definition ist jedoch im Alltag wenig brauchbar, kann doch fast jeder Mensch irgendeinen „Mangel“ nachweisen: z.B. Kurz- und Weitsichtigkeit, Erkrankungen der Zähne, Haltungsschäden, Narben, Operationen, Kopfschmerzen, Nebenwirkungen und Folgen von Medikamenten. Definition nach dem Prinzip der Homöostase (nach Ferdinand Hoff): Demnach ist Gesundheit das harmonische Gleichgewicht des Organismus. Diese Homöostase wird aufrechterhalten durch ständige Auf- und Abbauvorgänge im Körper und durch eine Anpassungsfähigkeit auf verschiedenste Störfaktoren von außen. Ist die Anpassungsfähigkeit vermindert, kommt es im akuten Stadium zu Entzündungsreaktionen im Organismus. Im chronischen Stadium kommt es zu regressiven Erkrankungen, wenn die Abbauvorgänge überwiegen, und zu progressiven Erkrankungen, wenn die Aufbauvorgänge überwiegen. Somit ist Krankheit ein physiologisches Ungleichgewicht, welches zu organischen und funktionellen Veränderungen im Körper führt. Begriff des Todes Tod ist der unwiderrufliche Stillstand aller Lebensfunktionen. Unterschieden wird zwischen dem klinischen und biologischen Tod. Klinischer Tod Der klinische Tod umschreibt den Herz-Kreislaufstillstand: Dieser kann diagnostiziert werden, wenn die Vitalfunktionen erloschen sind und keine Herztöne, keine Arterienpuls und keine Atmung mehr festzustellen ist. Eine Reanimation ist grundsätzlich innerhalb der nächsten 10 Minuten möglich, wenn der Hirntod noch nicht eingetreten ist. Biologischer Tod (Hirntod) Der biologische Tod bedeutet den irreversiblen Verlust aller zentralnervösen Funktionen (Herzkreislauf-Funktion kann noch aktiv sein). Eine Reanimation ist nicht mehr möglich! Bei einem Koma sind Zeichen des Hirntodes folgende: Pupillenreflex erloschen: Pupille verengt sich durch Lichteinfall nicht mehr Hornhautreflex: Kein Lidschluss durch Berührung der Hornhaut. Puppenkopfphänomen negativ. Nennt sich auch vestibulookulärer Reflex. Bei rascher horizontaler Kopfbewegung kommt es zu einer unwillkürlichen angepassten Augenbewegung. Diese fehlt beim Hirntod. Voraussetzungen für eine mögliche Organentnahme sind: Keine Gehirnströme bei einem 30 minütlichen Elektroenzephalogramm. Muss bei Kindern nach 24 Stunden wiederholt werden. Zirkulationsstillstand im Gehirn muss durch Angiographie nachgewiesen sein. Vorausgegebene Einwilligung des Patienten oder naher Angehöriger. Zeichen des Todes Vorliegen von sicheren Zeichen, dass es sich um einen Tod handelt. Sichere Todeszeichen werden vom Arzt für die Ausstellung des Totenscheins benötigt. © Arpana Tjard Holler (Autor) 506 Allgemeine Pathologie Die Totenstarre beginnt etwa 4 Stunden nach dem Tod an der Kopf- und Halsmuskulatur und schreitet allmählich nach unten fort und löst sich in der gleichen Reihenfolge innerhalb von 24 Stunden wieder auf. Totenflecken sind rotblaue Flecken auf der Haut. Sie entstehen nach Stillstand des Blutstromes, das Blut senkt sich in den Gefäßen aufgrund der Schwerkraft nach unten. An den am tiefsten gelagerten Körperteile entstehen so diese Flecken. Höher gelegene Körperteile sind leichenblass. Fäulniserscheinung mit Verwesungsgeruch. Entsteht durch den Zerfall der chemischen Bausteine der Zellen, der ohne Sauerstoff im Körper nicht aufzuhalten ist. Nicht mit dem Leben vereinbare Verletzung, z.B. Schädelverletzung. Der HP darf keinen Totenschein ausstellen, nur der Arzt. Erkrankungen im menschlichen Organismus Unterscheidung: Funktionell bedingten Erkrankungen im Körper, z.B. bei Morbus Raynaud, Migräne, Kopfschmerzen, Epilepsie, Fibromyalgie, essentielle Hypertonie etc. Die Diagnose wird dann gestellt, wenn nachweisbar keine zellulären Schäden zu finden sind (Ausschlussdiagnose). Organisch bedingte Erkrankungen, es finden sich nachweisbare Zell- und Gewebsschäden, z.B. Herzinsuffizienz bei Herzinfarkt, Lähmungen nach Apoplexie, Schmerzen bei Gelenkentzündung, Morbus Crohn etc. Formen der Zell- und Gewebsschäden: Regressive Erkrankungen Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass Zellverbände an Größe und / oder Zahl abnehmen. Es kommt zu einem Nachlassen an Volumen und Funktion des Parenchyms, des eigentlichen Funktionsgewebes. Diesen Vorgang nennt man Atrophie. Atrophie von Parenchym ist in der Regel irreversibel (Ausnahme Leberparenchym). Zelluläre Atrophie, sog. einfache Atrophie: Verringerung der Größe der Gewebestruktur durch Verkleinerung der Zelle, bei bleibender Zellfunktion. Z.B. bei längerer Inaktivität (Muskelschwund) oder physiologisch im Alter (Altersatrophie). Degenerative Atrophie: Entartung zellulärer Strukturen oder Funktionen, wobei die Zellen ihr Charakteristikum des Lebens, nämlich die Fähigkeit zur Selbsterhaltung, zur Kommunikation und zur Reaktionsfähigkeit verlieren, z.B. Arthrose, aseptische Knochennekrosen, Parkinson-Syndrom. Numerische Atrophie: Schrumpfung eines Organs durch Abnahme der Zellzahl, z.B. bei Osteoporose, Leber-, Nieren- und Magenschrumpfung. Ursachen der Atrophie: Physiologische Atrophie: Muskelatrophie und Altersatrophie Pathologische Atrophie Inaktivitätsatrophie (z.B. Muskelschwund, Osteoporose). Entsteht infolge einer längeren Ruhigstellung oder ungenügende Aktivität. Allgemeine Pathologie 507 Druckatrophie: Chronischer Druck führt zum allmählicher Untergang von Zellen, z.B. Harnstau führt zur Schrumpfniere, Glaukom zum Untergang der Netzhaut, langes Liegen zum Dekubitus (Hautdruckgeschwür), verstärkte Ausatmung bei Bläsern führt zum Lungenemphysem. Vaskuläre Atrophie: Entsteht durch eine lokale verminderte Blutversorgung (Ischämie). Hypoxämische Atrophie: Entsteht durch einen zu geringen Sauerstoffgehalt im Blut, z.B. bei venöser Insuffizienz. Hungeratrophie: Entsteht durch mangelnde Nahrungszufuhr. Toxische Atrophie: Entsteht durch chronische Vergiftung Progressive Erkrankungen Definition: Erkrankungen mit Zunahme des Gewebes. Strukturzunahme aufgrund eines Reizes Hypertrophie: Ist eine Vergrößerung von Geweben und Organen durch Zunahme des Zellvolumens bei gleichbleibender Zellzahl. Die Ursache liegt meist in einer Überbeanspruchung von Parenchym einzelner Organe. Sie bildet sich zurück sobald die Anforderung an vermehrter Leistung nachlässt z.B. Links- und Rechtsherzhypertrophie. Hyperplasie, sog. numerische Hypertrophie: Bedeutet die Vergrößerung eines Organs durch Zunahme der Zellzahl bei unveränderter Zellgröße infolge eines Reizes. Die Ursache ist auch eine Überbeanspruchung des Organs. Beispiele: Schilddrüsenhyperplasie beim Jodmangel. Prostatahyperplasie Autonome irreversible Strukturzunahme Bezeichnet einen überschießenden Wachstumsprozess, der im Widerspruch zu den übrigen Wachstumsgesetzen des Organismus steht. Dies wird als Neoplasma (Geschwulst / Tumor) bezeichnet. Unterschieden werden gutartige (benigne) und bösartige (maligne) Tumore. Siehe Kapitel Onkologie. Entzündliche Erkrankungen Die entzündliche Reaktion wird vom Körper erschaffen, als eine Antwort auf schädliche Einflüsse (Noxen oder Antigene) mit der Absicht die „Gefahr“ einzugrenzen und den schädigenden Stoff aus dem Körper zu entfernen bzw. unschädlich zu machen. Auslösende Faktoren einer Entzündung Exogene Ursachen Mikroorganismen: Bakterien, Viren, Protozoen, Pilze Mechanische Reize: Reibung, Druck, Fremdkörper Physikalische Reize: Kälte, Hitze, Strahlen Chemische Reize: Säure, Basen, Toxine, Nikotin, Alkohol Endogene Ursachen z.B. bei Gicht durch Hyperurikämie bei Urämie (Vergiftung durch harnpflichtige Stoffe) durch Autoimmunprozesse (z.B. bei rheumatoider Polyarthritis, Kollagenose, rheumatisches Fieber, GN, Gastritis Typ A) und Allergien Gallen- und Nierensteine © Arpana Tjard Holler (Autor) 508 Allgemeine Pathologie Endogenes Asthma Ablauf einer Entzündung Lokale Entzündungsreaktion Anfänglich führt die örtliche Reaktion des Gefäßbindegewebes zu einer lokalen Durchblutungsstörung. Durch Adrenalinausschüttung kommt es für kurze Zeit zu einer Vasokonstriktion betroffener Arteriolen. Dies hat den Zweck, die Ausbreitung des Geschehens zu verhindern. Nach kurzer Zeit beginnt die zweite Phase mit einer verstärkten Durchblutung des geschädigten Gewebes, hervorgerufen durch eine Vasodilatation, ausgelöst durch das vegetative Nervensystem und Mediatoren (z.B. Histamin). Durch Botenstoffe (Mediatoren) kommt es zur Verengung der ableitenden Venolen und dadurch zum Blutstau (Stase) im geschädigten Gebiet. Durch Mediatoren (Histamin) wird die Gefäßpermeabilität (Gefäßdurchlässigkeit) im geschädigten Gebiet gesteigert; die Poren der im Entzündungsgebiet liegenden Kapillaren weiten sich und es tritt mehr Blutwasser ins Interstitium. Das Gewebe schwillt (sichtbar) an (Entzündungsödem). Die Leukozyten werden durch Chemotaxis angelockt und phagozytieren das schädliche Antigen. Fünf Kardinalzeichen der Entzündung Rötung (Rubor), entsteht durch die verstärkte Durchblutung (Hyperämie) Wärme (Calor), entsteht durch Hyperämie Schwellung (Tumor), entsteht durch vermehrte Flüssigkeits-ansammlung Schmerz (Dolor), entsteht durch Druck auf die Nervenendigungen Gestörte Funktion (Functio laesa) Allgemeine Entzündungsreaktion Der gesamte Körper wird mit einbezogen, wenn die lokale Reaktion auf den auslösenden Reiz nicht ausreicht. Fieber (Steigerung des Stoffwechsels); wird vom Körper durch Pyrogene erzeugt, welche auf das Wärmezentrum reagieren Leukozytose, Granulozytose mit Linksverschiebung Möglich: Lymphknotenschwellung, Milzschwellung BSG erhöht, CRP erhöht, Gammaglobuline sind vermehrt subjektive Zeichen: Krankheitsgefühl, Abgeschlagenheit Heilungsphase: Die Entzündungsreaktion führt zum Untergang vieler Zellen im Entzündungsgebiet. Sind die schädlichen Noxen ausgeschaltet, kommt es zu einer Vermehrung von Fibroblasten, welche neue Kollagenfasern und eine neue Grundsubstanz bilden. Zahlreiche Gefäße sprossen in das neu gebildete Bindegewebe ein. Diese Gewebe wird Granulationsgewebe genannt. Es wird entweder in das ursprüngliche Gewebe umgebaut oder es wandelt sich zu minderwertigem Narbengewebe um, wie es z.B. bei der Leberzirrhose geschieht. Unterscheidung Exsudat / Transsudat Exsudat (Entzündungswasser; spezifisches Gewicht > 1016 g/l) Durch Entzündung bedingter Austritt von Flüssigkeit aus den Blutgefäßen in das Interstitium. Je nach Zusammensetzung kann das Exsudat serös, eitrig, hämorrhagisch oder fibrinös sein. Transsudat (Stauungswasser; spezifisches Gewicht < 1016 g/l) Austritt von Blutwasser in Körperhöhlen und Interstitium aufgrund von allgemeinen oder lokalen Stauungen, infolge erhöhter Durchlässigkeit der Kapillaren oder auch durch verminderte Bluteiweiße. Allgemeine Pathologie 509 Unterschiedliche Entzündungsformen Nach zeitlichem Ablauf asymptomatischer Verlauf: ohne Symptome akute Entzündung: plötzlich und schnell verlaufend fulminante (perakute) Entzündung: sehr stark verlaufend, enden meist tödlich chronische Entzündung: schleichender Verlauf von langer Dauer, wenn die Entzündungsursache vom Körper nicht beseitigt werden kann chronisch-progredient Entzündung: schreitet allmählich fort und wird zunehmend schlimmer, z.B. bei der chronischen Polyarthritis, Morbus Bechterew, Hepatitis (HBV, HCV, HDV) chronisch-kontinuierliche Entzündung: verharrt auf einer Krankheitsstufe, z.B. bei Nagelmykose, Raucherhusten, Hepatitis, Gastritis chronisch-rezidivierende Entzündung: kommen immer wieder, z.B. bei Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Pankreatitis. Nach der Verlaufsform Seröse Entzündung: Das Exsudat besteht ganz aus dem Blutserum und zeichnet sich meist durch eine große Menge von Flüssigkeit aus. Typisch sind seröse Ergüsse in Körperhöhlen, z.B. Pleuraerguss. Serös-schleimige Entzündung: Tritt nur bei Schleimhautoberflächen auf. Durch die Entzündung werden die Schleimhäute gereizt und sondern verstärkt Schleim ab, z.B. bei Rhinitis; Bronchitis und bei Entzündungen der Magen- und Darmschleimhaut. Fibrinöse Entzündung: Entsteht hauptsächlich in serösen Höhlen, in der Lunge und an den Schleimhäuten. Fibrinogen tritt aus und lässt das Exsudat gerinnen. Pyogene (eitrige) Entzündung: Leukozyten gehen nach Vernichtung des Antigens selbst zugrunde und werden als Eiter ausgestoßen. Eitererregende Bakterien sind z.B. Streptokokken und Staphylokokken (z.B. Furunkel). Bei den eitrigen Entzündungen werden wiederum unterschieden: Empyem, eine Eiteransammlung in einem vorgebildeten Hohlraum, wie z.B. in der Gallenblase (Gallenblasenempyem), im Pleuraspalt, im Herzbeutel oder in der Bauchhöhle. Abszess (im Volksmund „Eiterbeule“), eine Eiteransammlung in einem durch Gewebseinschmelzung entstandenen abgekapselten Hohlraum. Die häufigsten Erreger sind Staphylokokken. Hämorrhagische Entzündung: Erythrozyten gelangen in das Exsudat durch einen Gefäßdefekt und färben die austretende Flüssigkeit rötlich, z. B. bei Lobärpneumonie. Nekrotisierende Entzündung: Führt zu Zelluntergang, z.B. bei Hautmilzbrand und Gasbrand. Ulzerierende Entzündung: Meist chronische Entzündungen an der Haut oder Schleimhaut, führen zu einem örtlichen Substanzverlust (Geschwür), z.B. Ulcus ventriculi, Ulcus duodeni, Ulcus cruris. Granulomatöse Entzündung: Bei chronischen Entzündungen kann es zu einer Bildung von Granulomen (knötchenförmige Neubildungen aus Granulationsgewebe) kommen, die hauptsächlich den Entzündungsherd abgrenzen helfen, z.B. beim Morbus Crohn. Proliferative Entzündung: Bei manchen chronischen Entzündungen kommt er zu einer überschießenden Narbenbildung, die über Jahre in Schüben fortschreitet und schließlich zu einem vollständigen Umbau des Gewebes führen kann, z.B. bei Leberzirrhose. © Arpana Tjard Holler (Autor) 510 Allgemeine Pathologie Beschwerdestärke fulminanter Verlauf chronisch-progredienter Verlauf akuter Verlauf chronisch-kontinuierlicher Verlauf chronisch-rezidivierender Verlauf asymptomatischer Verlauf Fieber Fieber ist eine physiologische Reaktion des Körpers auf schädigende Vorgänge im Körper. Bei einer allgemeinen Abwehrreaktion wird der Sollwert der Körpertemperatur erhöht, mit dem Ziel, die Stoffwechselvorgänge bzw. Abwehrmechanismen zu beschleunigen. Ursache sind Pyrogene, welche auf das Wärmezentrum im Hypothalamus wirken. Unterschieden werden endogene Pyrogene, welche von den Abwehrzellen produziert werden und exogene Pyrogene, welche durch Bakterien und Viren verursacht werden. Fiebereinteilung subfebrile Temperatur: leichtes Fieber: mittleres (mäßiges) Fieber: hohes Fieber sehr hohes Fieber 37,5°C – 38,0°C 38,1°C – 38,5°C 38,6°C – 39,0°C 39,1°C – 39,9°C über 40°C Fiebermessung Die Fiebermessung erfolgt rektal für 3-5 Minuten. Die durchschnittliche Temperatur beträgt normal 37,2°C. Die Fiebermessung im Mund beträgt 5-8 Minuten und hat eine Abweichung zur rektalen Messung von 0,5 °C nach unten. Die Fiebermessung in der Achselhöhle beträgt ca. 10 Minuten und hat eine Abweichung zur rektalen Messung von 0,5 °C nach unten. Die Fiebermessung im Ohr beträgt ca. 3-5 Sekunden und hat eine Abweichung zur rektalen Messung von 0,5 °C nach unten. Fiebertypen bzw. Fieberverläufe Biphasisches (zweigipfliges) Fieber: Fieber mit einem kurzen fieberfreien Intervall, typisch bei zyklischen Infektionskrankheiten, z.B. bei Masern FSME Poliomyelitis Gelbfieber; Meningokokkensepsis Allgemeine Pathologie 511 Kontinua (Febris continua): Meist über 39° hohes Fieber, das mindestens einige Tage bei annähernd gleichbleibender Temperatur (nicht mehr als 1° schwankend) anhält; Vorkommen z.B. bei Ornithose, Typhus abdominalis (2.+3. Woche), Scharlach, Fleckfieber, bakterielle Pneumonie, Miliartuberkulose, auch bei Virusinfektionen Undulierendes Fieber (Febris undulans): Charakteristischer, wellenförmiger Fieberverlauf mit fieberfreien Intervallen bei Brucellose (Morbus Bang) Lymphogranulomatose (sog. Pel-Ebstein-Fieber) Remittierendes Fieber (Febris remittens): Stärker schwankendes Fieber mit Tagesschwankungen von 1 bis 2°C, morgens meist geringer als abends insbesondere bei Lokalinfektionskrankheiten (z.B. Pyelonephritis, Pneumonie, Bronchitis), rheumatischem Fieber und Viruserkrankungen Intermittierendes Fieber (Febris intermittens): Starke Tagesschwankungen von hohem Fieber um mehr als 2°C mit Normal- oder sogar Untertemperaturen als Hinweis auf eine schubweise Einschwemmung von Krankheitserregern in das Blut z.B. bei Malaria, Sepsis Rekurrierendes Fieber (Febris recurrens): Rezidivierendes Fieber: Fieberperioden mit wechselnd fieberfreier Zwischenzeit, z.B. bei Malaria, Rückfallfieber, (Läuse- und Zecken-rückfallfieber, Lyme-Borreliose; tritt aber auch bei Bronchiektasen und Gallensteinen auf. Nekrose (Zelltod) Nekrose bedeutet das Absterben von Gewebezellen. Das untergegangene Gewebe wird von der gesunden Umgebung abgegrenzt und vom Abwehrsystem (neutrophile Granulozyten, Makrophagen) phagozytiert. Je nach der Größe des untergegangenen Gewebegebietes entstehen entsprechende Defekte. Größere Nekrosen können zu einer allgemeinen Vergiftung des Körpers führen. Nekrosen entstehen im Wesentlichen im Rahmen einer schweren Entzündung, durch Verbrennungen, Erfrierungen, Verätzungen, Bakterientoxine und Intoxikationen oder auch als Folge einer Minderdurchblutung (z.B. beim Herzinfarkt, Hirninfarkt). Unterscheidung: Koagulationsnekrose, sog. Gerinnungsnekrose: Gerinnung von Körpereiweißen, vorkommend v.a. infolge lokaler Ischämie (z.B. Herzinfarkt) Verkäsende Nekrose: Sonderform der Gerinnungsnekrose, klassisches Vorkommen bei der Tuberkulose. Das nekrotische Gewebe zerfällt bröckelig und sieht dann parmesanartig aus, weich, trocken und weißlich-gelb (wird abgehustet). Kolliquationsnekrose, sog. Erweichungsnekrose: Das abgestorbene Zellgewebe verflüssigt sich, vorkommend vor allem im Gehirn und Rückenmark als Folge einer Apoplexie (Hirnschlag) oder in die Pankreas während einer Pankreatitis. Gangrän: Entsteht durch eine Unterbrechung der Blutzufuhr (ischämische Nekrose). Das betroffene Gewebe zersetzt sich selbst (Autolyse) und verfärbt sich durch den vermehrten Hämoglobinabbau blaurot bis schwarz. In der Regel sind distale Körperteile betroffen. Unterscheidung: Trockenes Gangrän: Das nekrotisierende Gewebe an der Körperoberfläche wird hart und trocken und schrumpft bis zur schwärzlichen, lederartigen Mumifikation (z.B. bei Erfrierungen). © Arpana Tjard Holler (Autor) 512 Allgemeine Pathologie Feuchtes Gangrän: Das nekrotisierende Gewebe wird infiziert mit Fäulnisbakterien (übler Geruch!) und anaeroben (unter Sauerstoffverschluss lebende) Bakterien und verflüssigt sich durch deren Einwirkung. Vorkommen der Gangräne: bei allen arteriosklerotischen Veränderungen an den Extremitäten, z.B. Claudicatio intermittens (Schaufensterkrankheit) als sog. diabetisches Gangrän, z.B. der diabetische Fuß beim Raucherbein (Thrombangiitis obliterans) bei anaeroben Infektionskrankheiten wie z.B. Milzbrand und Gasbrand bei Erfrierungen dritten Grades Notfallerkrankungen P. 513 Notfallerkrankungen Notfallerkrankungen Definition ............................................................................................................................................... 514 Vorgehensweise in einer Notfallsituation ............................................................................................ 514 Ausgewählte Notfallerkrankungen ....................................................................................................... 517 Notfallkoffer .......................................................................................................................................... 530 © Arpana Tjard Holler (Autor) 514 Notfallerkrankungen Notfallerkrankungen Definition Lebensbedrohlicher Zustand mit Störung der Vitalfunktionen aufgrund schwerer Verletzungen, Vergiftungen oder im Rahmen einer schweren Erkrankung. Organerkrankungen, die ohne sofortige medizinische Hilfeleistung einen irreversiblen Schaden nach sich tragen (z.B. akutes Glaukom, Hörsturz, Hodentorsion). Vorgehensweise in einer Notfallsituation Ausgangssituation: Ein Patient liegt am Boden und rührt sich nicht. Wie gehen Sie vor? Bewusstseinsprüfung: Patient laut ansprechen, schütteln und kneifen. Atmung kontrollieren, wenn der Patient nicht ansprechbar ist Keine Atmung Atmung vorhanden Notarzt verständigen Stabile Seitenlage Atemwege freimachen Hypoglykämie? Herzinfarkt? Notarzt verständigen Infusion legen Atemwege zu Atemwege frei EsmarchHandgriff Kardiopulmonale Reanimation Notfallerkrankungen 515 Patient ist ansprechbar: Untersuchungen, um den Grund des Notfalls festzustellen. Anamnese (was ist passiert), Puls, Blutdruck, Geruch, Bewusstseinszustand (Benommenheit, Somnolenz, Sopor), Stauungsvenen, Rasselgeräusche über der Lunge, Blutzucker-Spiegel. Patient ist nicht ansprechbar: Freimachen der Atemwege: Kopf wird überstreckt, Unterkiefer nach vorne gezogen Atmung kontrollieren (hören – fühlen – sehen): Ohr an den Mund des Patienten, Blickrichtung zum Brustkorb, eine Hand auf dem Brustkorb (10 sec). In Notfallsituationen wird heutzutage nicht mehr der Karotispuls kontrolliert, um Zeit zu sparen. Ist der Behandelnde unsicher ob eine Atmung vorhanden ist, wird mit der kardiopulmonalen Reanimation begonnen (vorher Notarzt verständigen). Patient ist nicht ansprechbar, Atmung ist aber feststellbar: Notarzt verständigen In die stabile Seitenlage bringen Blutdruck und Puls kontrollieren BZ-Wert messen, um eine Hypoglykämie auszuschließen Geruch? Rasselgeräusche? Venenstauung? evtl. venöser Zugang Patient ist nicht ansprechbar, Atmung ist nicht feststellbar: Kardiopulmonale Reanimation (CPR) Notarzt verständigen. Kopf überstrecken und Atemwege kontrollieren (Zunge, Gebiss). Sofortiger Beginn mit der thorakalen Herzdruckmassage 30-mal, dann 2-mal Beatmen (30:2). Bei Säuglingen und Kindern: 15:2. Patient muss auf einer harten Unterlage liegen. Aufsetzen der übereinandergelegten Handballen mit durchgestreckten Armen auf die Mitte des Brustkorbes. Oberkörper über dem Druckpunkt. Frequenz der Druckmassage ca. 100/ Minute, Drucktiefe 3-5 cm. Wichtig: Kontrolle der Atmung nach 5 solcher Zyklen. Bei Erwachsenen am besten Mund zu Nase, bei kleinen Kindern Mund des Beatmers über Nase und Mund des Kindes legen. Wenn ein Zweithelfer vorhanden ist, sollte nach einer zweimaligen kardiopulmonalen Reanimation gewechselt werden. Esmarch-Griff Vorschieben des Unterkiefers bei Bewusstlosen zur Offenhaltung der Atemwege. Wird nur angewandt, wenn eine Überstreckung des Kopfes nicht möglich ist. Ausübung: Vom Kopfende aus umgreifen die Finger beider Hände den Kieferwinkel, wobei die Daumen am Kinn liegen. Der Unterkiefer wird mit den Fingern nach vorne geschoben, während der Daumen den Mund öffnet. Dabei wird das Zungenbein nach vorne geschoben und die evtl. zurückgefallene Zunge gibt die Atemwege frei. Eine Hand wird in dieser Haltung belassen und die andere ertastet mit dem Zeige- oder Mittelfinger in der Mundhöhle und Rachen nach Fremdkörper. © Arpana Tjard Holler (Autor) 516 Notfallerkrankungen Prüfung der Vitalzeichen Prüfung der Atmung: Der Untersucher hält sein Ohr dicht über Nase und Mund des Patienten um Atemzüge zu erspüren. Der Blick geht zum Brustkorb des Patienten, um diesen mit einer Hand auf Atembewegungen zu kontrollieren. Wer einen Spiegel zur Hand hat, kann diesen an Nase und Mund des Patienten halten und prüfen ob er durch die Ausatemluft beschlägt. Prüfung des Pulses: Geprüft wird der Karotispuls an der Arterie carotis communis. Am besten wird er vor dem Musculus sternocleidomastoideus (Kopfwender) auf Höhe des Ringknorpels ertastet. Der Radialispuls am distalen Ende der Speiche ist für die Aussage eines Schocks wichtig (hochfrequenter kaum fühlbarer Puls). Im Notfall hat der Puls für den Laien keine Bedeutung. Ist eine Atmung nicht zu erspüren und die Atemwege sind frei, so muss augenblicklich die Herzdruckmassage zur Wiederbelebung durchgeführt werden. Stabile Seitenlagerung (NATO-Lagerung) Eine Lagerung für Patienten (auch für Kinder), die bewusstlos sind und deren Vitalfunktionen intakt sind. Sie dient der Freihaltung der Atemwege und verhindert die Aspiration von Blut, Schleim oder Erbrochenem. Säuglinge müssen in die Bauchlage gebracht werden, Arme nach oben anwinkeln, Gesicht zur Seite Ausübung: Der Patient wird in die Rückenlage gebracht, der Behandler begibt sich links neben dem Patienten. Der linke Arm angewinkelt neben dem Kopf des Patienten legen, die Handinnenfläche zeigt nach oben. Die rechte Hand am Handgelenk anfassen und den Arm vor der Brust kreuzen und mit dem Handrücken die linke Wange des Patienten berühren. Mit der anderen Hand den rechten Oberschenkel kurz über dem Knie anfassen, das Bein beugen und den Patienten drehen und zu sich herüberziehen. Das rechte, jetzt obenliegende Bein muss im rechten Winkel zur Hüfte liegen. Der Kopf wird nach hinten gestreckt und die rechte Hand des Patienten mit der Handaußenfläche unter dem Kinn gelegt, um eine Überstreckung des Halses zu fixieren. Rautek-Handgriff (Rautek-Rettungsgriff) Bestimmter Handgriff um einen Bewusstlosen oder handlungsunfähigen Menschen aus einer Gefahrenzone zu bringen: Der Patient wird in eine sitzende Position gebracht. Der Behandler greift von hinten durch beide Achselhöhlen durch und den vor dem Brustkorb verschränkten Arm, um ihn dann rückwärts aus der Gefahrensituation zu bringen. Heimlich-Handgriff Erste-Hilfe-Maßnahme (bei Erwachsenen und Jugendlichen) bei Erstickungsgefahr durch Fremdkörper in den Atemwegen. Vor Durchführung wird geraten 5-mal kräftig zwischen den Schulterblättern zu schlagen. Durchführung: Beim sitzenden oder stehenden Patienten umfasst der Behandelnde den Patienten von hinten und verschränkt seine Arme in Höhe des Oberhauchs. Es folgen mehrere kurze aber kräftige Druckstöße. Notfallerkrankungen 517 Beim liegenden Patienten kniet der Helfer mit gespreizten Beinen über dem Betroffenen und drückt mit übereinandergelegten Händen im Epigastrium mehrmals heftig in Richtung Zwerchfell. Anwendung des Heimlich-Handgriffs nur bei akuter Lebensgefahr, da Gefahr der inneren Verletzung (Milz- und Leberruptur). Eine klinische Nachuntersuchung ist deshalb immer notwendig. Nicht bei Kindern anwenden! Andere Notfalllagerungen Flachlagerung mit Anhebung der Beine, evtl. mit Kopftieflagerung (Schocklage) bei hypovolämischem Schock, anaphylaktischem Schock. Oberkörperhochlagerung beim kardiogenen Schock oder bei inspiratorischer Insuffizienz. Völlige Flachlagerung bei Fraktur des Beckengürtels oder der Wirbelsäule. Hochlagerung des Kopfes bei intrakranialer Druckerhöhung. Halbsitzende Lagerung mit Kissen unter den angewinkelten Beinen bei Traumen im Abdominalbereich bzw. Peritonitis. Bei akutem pAVK (Embolie am Bein): Sitzende Lagerung, Beine tief, betroffenes Bein in Watte einpacken, keine Hitze. Ausgewählte Notfallerkrankungen Schock Def: Lebensbedrohliches Kreislaufversagen mit kritischer Verminderung der Organdurchblutung und nachfolgender Schädigung der Zellfunktion (v.a. der Niere). Jeder Schock bedeutet höchste Lebensgefahr! Pat: Schock ist ein Notfallprogramm des Körpers. Der Körper ist nicht mehr in der Lage alle Zellen ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Generell können drei Ursachen dafür verantwortlich sein. Es ist nicht genügend Blutvolumen für die Aufrechterhaltung des Kreislaufs vorhanden (hypovolämischer Schock). Die Herzleistung reicht nicht mehr aus um den gesamten Kreislauf aufrechtzuerhalten (kardiogener Schock). Der periphere Kreislauf versagt infolge einer peripheren Vasodilatation mit Austritt von Flüssigkeit ins Interstitium und daraus resultierendem relativen Volumenmangel (distributiver Schock). Zu dieser Form gehören Der anaphylaktische Schock der septische Schock der seltenere neurogene Schock. Ablauf einer Schockreaktion: Infolge von Adrenalin und Noradrenalin kommt es zur Vasokonstriktion v.a. der peripheren Gefäße. Infolge der Vasokonstriktion kommt es zur Minderversorgung des Gewebes mit Sauerstoff (Hypoxie). Infolge des anaeroben Zellstoffwechsels kommt es zur Bildung von Laktat mit allmählicher Übersäuerung des Blutes (metabolische Azidose) und zum Austreten von Flüssigkeit von den Kapillaren ins Interstitium. Der Verlust der intravasalen Flüssigkeit führt zur Bluteindickung, dem sog. Sludge-Phänomen mit Entwicklung von zahlreichen Mikrothromben. Daraus kann eine Verbrauchskoagulopathie mit hämorrhagischer Diathese entstehen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 518 Notfallerkrankungen Es kommt zu Gewebsnekrosen mit Organversagen. Der Schockindex wird wie folgt berechnet: Pulsfrequenz geteilt durch systolischen Blutdruck. Wert RR systolisch Puls Bewertung 0.,5 120 60 normal 1,0 100 100 Angehender Schock 1,5 80 120 Manifester Schock Hypovolämischer Schock (Volumenmangelschock) Def: Entwicklung eines Schocks infolge eines Volumenmangels. Urs: Blut- bzw. Flüssigkeitsverlust Nach außen durch z.B. Durchfälle, Erbrechen, Verbrennungen Nach innen durch z.B. Milzruptur, Aneurysmaruptur, Peritonitis, Pankreatitis. Path: Da der Organismus nicht mehr in der Lage ist den Kreislauf durch den Flüssigkeitsmangel aufrechtzuerhalten, reduziert er die Durchblutung auf drei Orange: Herz, Lunge und Gehirn. Man nennt das Zentralisation. Dies wird durch Vasokonstriktion in der Peripherie erreicht. Dadurch muss der arterielle Blutdruck sinken und der Puls muss infolge des O2-Mangels in der Peripherie steigen. Sym: Schocksymptome Tachykardie (Puls > 100/min) Arterielle Hypotonie (RR < 100 mmHg) Vegetative Symptome Kaltschweißigkeit, blasse Haut Brechreiz Durst, Oligurie The: Lagerung: Patient hinlegen, Beine hochlagern Venösen Zugang legen, isotonische Kochsalzlösung zuführen und schnell laufen lassen (ganz aufdrehen) Kardiogener Schock Def: Entwicklung eines Schocks infolge eines akuten Links- oder Rechtsherzversagens. Akute Linksherzinsuffizienz durch z.B. Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Myokarditis, hypertensive Krise. Akute Rechtsherzinsuffizienz durch Herzinfarkt, Lungenembolie. Path: Infolge der Pathologie des Herzens ist die Herzleistung so stark gesunken, dass eine ausreichende Versorgung des gesamten Körpers nicht mehr möglich ist. Durch Zentralisation infolge der Vasokonstriktion in der Peripherie passt sich das Herz den Umständen an. Urs: Sym: arterielle Hypotonie mit RR syst. < 90 mmHg, Tachykardie gestaute Halsvenen (bei erhöhtem Oberkörper) Dyspnoe, Orthopnoe evtl. feuchte Rasselgeräusche Notfallerkrankungen The: 519 Lagerung mit erhöhtem Oberkörper, Beine tief (Herzbettlagerung) Sauerstoffgabe, Patient beruhigen Keine i.m.-Injektion bei Verdacht auf Herzinfarkt Intravenöser Zugang notwendig, aber nur sehr langsam laufen lassen (geringste Tropfgeschwindigkeit, ca. 6-8 Tropfen pro Minute) Anaphylaktischer Schock Def: Entwicklung eines Schocks infolge generalisierten allergischen Reaktion mit massiver Ausschüttung von Histamin. Urs.: Allergische Reaktion auf Medikamente (z.B. Antibiotika, ASS, Lokalanästhetika, Röntgen-Kontrastmittel u.a.) Insektenstiche Nahrungsmittel Staubpartikel, Pflanzenpollen, Tierhaare Path: Kreislaufversagen durch Vasodilatation (Histaminausschüttung im ganzen Körper) Sym: Vier Stadien der anaphylaktischen Reaktion: Stadium 0: Lokal begrenzte Hauterscheinung Stadium I: Allgemeinsymptome: Schwindel, Kopfschmerz, Angst, Tachykardie (aber Blutdruck normal) Generalisierter Juckreiz (v.a. an Handflächen, Zunge, Kopfhaut), Urtikaria (Nesselsucht), Flush (anfallsweise auftretende Rötung), Ödeme (v.a. Gesichtsschwellung) Stadium II: Blutdruckabfall (angehender Schock) Gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe) Leichte Dyspnoe Stadium III: Manifester Schock: Schockzeichen (Hypotonie, Tachykardie), Schockindex > 1) Bronchospasmus mit schwerer Dyspnoe, inspiratorischer Stridor (durch Verlegung im Kehlkopf) Stadium IV: Atem- und Kreislaufstillstand The: Stadium O: Die Zufuhr von Allergenen unterbrechen, intravenöser Zugang sichern, Oberkörper hoch, ½ Stunde beobachten, Puls und RR kontrollieren, kühlen Stadium I: Notarzt verständigen, 5ml Tavegil®, 2000ml NaCl 0,9% Stadium II-III: zusätzlich Schocklagerung (Patient hinlegen, Beine anheben um 60°) Ab Schockindex 1,0 darf der HP Adrenalin (Epinephrin) und Kortison (Dexamethason) unter Beachtung der Sorgfaltspflicht zur einmaligen Anwendung bei einer anaphylaktischen Reaktion bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes anwenden. Stadium IV: Reanimation © Arpana Tjard Holler (Autor) 520 Notfallerkrankungen Notfallerkrankungen 521 Septisch (toxischer) Schock Def: Entwicklung eines Schocks infolge einer generalisierten Infektion (Sepsis). Urs: Kreislaufzentralisation durch freiwerdende Bakterientoxine. Path: Im Rahmen einer Sepsis verursachen die Toxine der Mikroorganismen eine systemische Entzündung im Körper. Infolge der Entzündungsreaktion kommt es zur generalisierten Gefäßweitstellung (Vasodilatation) mit nachfolgendem Kreislaufversagen. Sym: meist Fieber und Schüttelfrost Hyperventilation Haut anfangs warm, trocken und gut durchblutet (Patient wirkt gesünder, als er ist), später kalt und zyanotisch Hautblutungen bei Infektionskrankheiten (z.B. Meningokokkensepsis) Bei Schock generell nie i.m.-Injektion (außer anaphylaktischer Schock). Neurogener Schock Def: Entwicklung eines Schocks infolge einer Schädigung des Zentralnervensystems. Urs: Schädigung des ZNS durch SHT, Rückenmarksverletzung, Entzündungen. Überdosierung bestimmter Medikamente (z.B. Beruhigungsmittel, Schlafmittel) Sehr starke Schmerzen (selten) Psychogene Ursache: starkes emotionales Ereignis (selten) Path: Infolge nervaler Schädigung entsteht eine Lähmung der Gefäße mit Vasodilatation. Eine Sympathikusreaktion kann nicht mehr erfolgen, so dass es zur relativen Hypovolämie mit generalisiertem Kreislaufversagen kommt. Sym: Schocksymptome Anhidrose (aufgehobene Schweißbildung) Blasse, warme und trockene Haut Neurologische Ausfallserscheinungen, z.B. Stuhl- und Harninkontinenz Areflexie Meist plötzlicher Bewusstseinsverlust Koma Def: Schwerste Form der quantitativen Bewusstseinsstörung. Störung der Wachheit, bei welcher der Patient durch äußere Reize nicht mehr zu wecken ist. Urs: ZNS-Erkrankungen (ca. 50%): Schädel-Hirn-Trauma, Meningoenzephalitis, Hirntumor, Apoplex, epileptischer Anfall Vergiftungen (Intoxikationen) in ca. 40% der Fälle (z.B. Drogen, Medikamente) Stoffwechselentgleisung (metabolisches Koma): z.B. Hyper- und Hypoglykämie (diabetisches Koma), Niereninsuffizienz (urämisches Koma), Leberinsuffizienz (hepatisches Koma), hormonelle Entgleisungen (z.B. hypo- und hyperthyreotes Koma), Sauerstoffmangel. Schock © Arpana Tjard Holler (Autor) 522 Notfallerkrankungen Diabetisches Koma Formen: Ketoazidotisches Koma (typisch für Typ I-Diabetes) Hyperglykämisches Koma (typisch für Typ II-Diabetes) Präkoma: Appetitlosigkeit, Erbrechen Durst, Polydipsie, Polyurie Schwäche, Tachypnoe Zeichen der Exsikkose mit Kollapsneigung Koma: Starke Exsikkose (Volumenmangelschock) Oligurie, Anurie Bei Ketoazidose Kussmaul-Atmung (Azidoseatmung) evtl. Pseudoperitonitis (Bauchschmerzen) Azetongeruch der Ausatemluft Niemals bei bewusstlosem Diabetiker auf Verdacht Insulin spritzen! Hypoglykämisches Koma (auch als hypoglykämischer Schock bezeichnet) Def: Bewusstseinsverlust infolge von sinkenden Blutzuckerwerten (< 40 mg/dl). Sym: Heißhunger Übelkeit, Erbrechen Schwäche kaltschweißige Haut Unruhe, Zittern Herzklopfen, Hypertonie erweiterte Pupillen (Mydriasis) Kopfschmerzen Sehstörungen (Doppelbilder) Verstimmung, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Verwirrtheit Krampfanfälle Apoplexie-ähnliche Symptome (z.B. Halbseitenlähmung, Sprachstörungen) Bewusstlosigkeit Urs.: Überdosierung von Insulin oder Sulfonylharnstoffen Zu viel Insulin gespritzt Gleichbleibende Insulindosis bei verminderter Nahrungsaufnahme Gleichbleibende Insulindosis bei zu viel körperlicher Arbeit Massiver Alkoholgenuss beim Diabetiker (Alkohol bremst die Glukoneogenese in der Leber) Durchfälle, Leberfunktionsstörungen The: Solange der Patient bei Bewusstsein ist Traubenzucker oder andere schnell resorbierbare Kohlenhydrate oral. Bei bewusstlosen Patienten Glukose-Lösung als Infusion, niemals oral wegen Aspirationsgefahr. Niemals Insulin spritzen. Notfallerkrankungen 523 Thyreotoxisches Koma (Hyperthyreotes Koma, thyreotoxische Krise) Def: Bewusstseinsverlust infolge einer Hyperthyreose mit extrem starker Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen (T3, T4). Urs: Morbus Basedow (Coma basedowicum) Altershyperthyreose: Patient gibt B-Symptome an, Arzt sucht nach bösartigen Tumoren mittels jodhaltigen Kontrastmitteln. Sym: Präkoma: Tachykardie, Herzrhythmusstörungen (Gefahr auf Kammerflimmern) Fieber bis 41, Schwitzen, Exsikkose (Gefahr auf hypovolämischer Schock) Erbrechen, Durchfälle (Gefahr auf hypovolämischer Schock) Psychomotorische Unruhe, Angst, delirante Zustände Muskelschwäche, Adynamie Koma: Bewusstseinsverlust Hypothyreotes Koma (Myxödemkoma) Def: Bewusstseinsverlust infolge einer Hypothyreose mit sehr geringer Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen (T3, T4). Urs: Primäre Hypothyreose (Hashimoto-Thyreoiditis, Strahlenbehandlung) Sekundäre (hypophysäre) Hypothyreose Tertiäre (hypothalamische) Hypothyreose Sym: Hypothermie bis <300C Hypoventilation mit Anstieg des C02 im Blut Bradykardie und Hypotonie Zusätzlich Hypothyreosezeichen Urämisches Koma Def: Bewusstseinsverlust im letzten Stadium der Niereninsuffizienz (terminale Niereninsuffizienz) Urs: Chronische Niereninsuffizienz durch Glomerulonephritis, Pyelonephritis, diabetische Nephropathie Sym: Anurie Hypervolämie, Hypertonie, Ödeme (v.a. Lungenödeme = Fluid lung) Hyperkaliämie, Herzrhythmusstörungen Hyponatriämie Metabolische Azidose, Kussmaul-Atmung (Azidoseatmung) Schmutzige Haut (Caffee-au-lait-Farbe), renale Anämie Foetor uraemicus (Atem und Körper riecht nach Urin) Schläfrigkeit, Verwirrung, Bewusstseinsstörungen, psychotisches Verhalten Krampfneigung The: Dialyse © Arpana Tjard Holler (Autor) 524 Notfallerkrankungen Hepatisches Koma (Hepatische Enzephalopathie) Def: Bewusstseinsverlust infolge des Funktionsverlustes der Leber. Unterscheidung: Leberausfallskoma Durch eine Leberzirrhose entstehender Ausfall der Leberfunktion. Entsteht meist durch Alkoholkrankheit oder chronische Virushepatitis. Leberzerfallskoma Ein akuter Untergang des Lebergewebes. Entsteht meist eine fulminant verlaufende Virushepatitis oder eine Vergiftung (Paracetamol, Knollenblätterpilze) Pat: Bei einem Funktionsausfall des Lebergewebes entsteht eine Ammoniakvergiftung, die letztlich den Tod herbeiführt. Normalerweise hat die Leber die Aufgabe aus zerfallenden Aminosäuren-Molekülen den Stickstoff (N) in Harnstoff zu überführen. Ist die Leber dazu nicht mehr in der Lage, entsteht Ammoniak, welches sich an den Synapsen anlagert und eine Nervenschaltung verhindert. Sym: grobschlägiger Tremor (sog. flapping tremor) Foetor hepaticus: erdig, leberartig zusätzlich Zeichen der Leberzirrhose: Folgen des Pfortaderhochdrucks (Medusenhaupt, Aszites), Ikterus, Leberhautzeichen (Palmarerythem, Spider nävi), Gynäkomastie, Ödeme, Kachexie Addison-Krise Def: Bewusstseinsverlust infolge einer Insuffizienz der Nebennierenrinde. Sym: NNR-Insuffizienz: Schwäche und rasche Ermüdbarkeit Pigmentierung der Haut u. Schleimhäute (sog. brauner Addison) Gewichtsverlust, Dehydratation Hypotonie Zusätzlich bei Addison-Krise: Kammerflimmer Exsikkose (Austrocknung), hypovolämischer Schock Hypoglykämie Metabolische Azidose (Kussmaulatmung) Gynäkologische Notfälle Vena-cava-Kompressionssyndrom (Vena-cava-inferior-Syndrom) Def: Akute Kompression der Vena cava inferior einer Hochschwangeren während der Rückenlage bzw. auf der rechten Körperseite. Sym: Schwindel und Übelkeit erhöhte Puls und rascher Blutdruckabfall (Tachykardie und Hypotonie) The: Sofort Lagerung auf der linken Seite. Notfallerkrankungen 525 Gestose Def: Oberbegriff für alle in der Schwangerschaft auftretenden Stoffwechselstörungen, deren Ursachen nicht bekannt sind. Urs: Idiopathisch, es wird eine Überbelastung des vegetativen Nervensystems des mütterlichen Organismus auf die Schwangerschaft vermutet. Frühgestose Def: Im ersten Schwangerschaftsdrittel (1. Trimenon = 1.-12. Woche) auftretende Beschwerden wie z. B. Übelkeit (anfallartig) und v.a. morgendliches Erbrechen (mäßig: Emesis gravidarum, extrem: Hyperemesis gravidarum), Kopfschmerzen, vermehrter Speichelfluss, generalisierter Pruritus (Juckreiz) Spätgestose Def: Im dritten Schwangerschaftsdrittel (25.-40. Woche) auftretende Beschwerden. Unterschieden werden: Präeklampsie Gleichzeitiges Auftreten von Ödemen (engl. edema), Proteinurie und Hypertonie (EPH- Gestose). Häufig werden diese Symptome begleitet von: Schwindel, Ohrensausen, Sehstörungen (Augenflimmern, Doppelsehen), Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Bauchschmerzen, gesteigerte Reflexe. Die Erkrankung bedarf einer intensiven klinischen Überwachung (Notfall). Ödembildung bei Schwangeren gilt heute als nicht pathologisch. Eklampsie Lebensbedrohliche zerebrale Symptome im schwangerschaftsinduzierten Hypertonie mit Krampfanfällen mit und ohne Bewusstseinsverlust. Rahmen einer tonisch-klonischen HELLP-Syndrom (engl. Hemolysis Elevated Liver Enzymes Low Platelets, auf Deutsch: Hämolyse mit erhöhten Leberenzymen und erniedrigter Thrombozytenzahl) Schwere Leberfunktionsstörung im Rahmen einer Präeklampsie: Verstärkte Hämolyse Erhöhte Leberwerte (Hepatitis) Thrombopenie mit hämorrhagischer Diathese Typische Symptome sind: Hypertonie, Übelkeit und Erbrechen, heftige Bauchschmerzen (v.a. im Oberbauch), Durchfall, Bewusstseinsstörungen Vergiftungen Die meisten Vergiftungen sind Folge eines Suizidversuchs, akzidentelle Vergiftungen machen 10-15%, gewerbliche ca. 5% aus. Vorgehen: Vitalfunktionen sichern Alle Giftreste für Untersuchung sicherstellen: Tabletten, Gläser, Flaschen, Speisereste, Erbrochenes, Stuhl usw. Verringerung der Giftresorption: induziertes Erbrechen, Magenspülung usw., sollte vom Ersthelfer wegen der Aspirationsgefahr nicht gemacht werden. Erbrechen auslösen ist absolut verboten bei: Bewusstlosigkeit, Vergiftungen mit Säuren, Laugen oder fettlöslichen Substanzen (Pflanzenschutzmittel) und Schaumbildner (Spülmittel, Shampoo u. a.)! © Arpana Tjard Holler (Autor) 526 Notfallerkrankungen Beschleunigung der Ausscheidung: Diuretika, Dialyse, usw. (Sache des Notarztes Zusätzliche Maßnahmen des Ersthelfers bei speziellen Vergiftungen Laugenverätzung: Wasser trinken lassen (nicht zu viel, da sonst Gefahr des Erbrechens), evtl. mit verdünntem Essig oder Zitronensaft. Säuren innerlich: Wasser trinken. Säuren äußerlich: Gut spülen Schaumbildende Reinigungsmittel: Aspirationsgefahr bei Schaumbildung! Entschäumer (z.B. sab-Tropfen) Reizgase: Haut- und Schleimhäute mit Wasser spülen. Kohlenmonoxidvergiftung Urs: Einatmung von Kohlenmonoxid (CO) bei Verbrennungsprozessen ohne ausreichende Sauerstoffzufuhr (Abgasvergiftung, Schwelbrände, defekte Öfen). Pat: CO hat eine dreihundertfach höhere Bindungsaffinität zum Hämoglobin als im Vergleich zum Sauerstoff. Es ist geruchs- und farblos. Durch die atomare Bindung des CO an Hämoglobin (HbCO) ist die Sauerstoffaufnahme in den Körper blockiert. Die Kohlenmonoxidvergiftung zeigt beim Patienten eine typisch kirschrote bzw. rosa Blutfarbe (keine zyanotische Hautfarbe). Ein inneres Ersticken mit Atemlähmung tritt ab einem HbCO-Anteil von 60% ein. Sym: Dyspnoe, Übelkeit, Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, Cheyne-Stokes-Atmung The: Beatmung mit reinem Sauerstoff möglichst im Rahmen einer Druckkammertherapie Verbrennung Bei der Beurteilung von Verbrennungen ist einerseits der Schweregrad, andererseits aber vor allem das Ausmaß der verbrannten Haut und das Alter des Betroffenen wichtig. Grade der Verbrennung Grad I: Grad IIa: Grad IIb: Grad III: Rötung, Schwellung, Schmerz (heilt ohne Narbenbildung) Rötung, Schwellung, Schmerz, Blasen (heilt ohne Narbenbildung) Anämische Haut (Hautzirkulation nicht mehr erhalten), Schmerz, Blasen (Narbenbildung) Schmerzlose Totalzerstörung der Haut und Hautanhangsgebilde, Schmerzempfindung nur an den Wundrändern erhalten, (Schwere Narbenbildung) Ausmaß der Verbrennungen Wesentlich für die Prognose ist der Anteil der verbrannten Haut an der gesamten Körperoberfläche. Dies lässt sich mit Hilfe der Neunerregel grob abschätzen. Hierzu wird die Körperoberfläche des Erwachsenen in 11 Abschnitte zu jeweils 9% eingeteilt: Kopf Arme Oberschenkel Unterschenkel Rumpf vorne Rumpf hinten Geschlechtsorgane Erwachsene 9% 2 mal 9% 2 mal 9% 2 mal 9% 2 mal 9% = 18% 2 mal 9% = 18% 1% Kinder 14% 2 mal 9% 2 mal 8% 2 mal 8% 2 mal 9% = 18% 2 mal 9% = 18% Säuglinge 18% 2 mal 9% 2 mal 7% 2 mal 7% 2 mal 9 = 18% 2 mal 9 = 18% Bei Verbrennungen von mehr als 15% kommt es zur Verbrennungskrankheit. Notfallerkrankungen © Arpana Tjard Holler (Autor) 527 528 Notfallerkrankungen Verbrennungskrankheit Def: Bezeichnet den lebensgefährlichen Zustand nach Verbrennungen von mehr als 15% der Hautoberfläche. Pat: Infolge der Zerstörung kommt es zu großflächigen Entzündungen mit Austritt von Wasser in das Interstitium und nachhaltiger Verdunstung. Es besteht die Gefahr eines Kreislaufschocks. Sym: The: Verbrennungsschock durch Flüssigkeitsverlust und Toxinfreisetzung Akutes Nierenversagen Schocklunge, zusätzlich evtl. Rauchgasvergiftung Reflektorischer Ileus Infektionsgefahr Abdecken offener Flächen mit sterilen Folien (möglichst metalldampf beschichtet). Vitalfunktionen prüfen. Wenn möglich venösen Zugang legen und Flüssigkeit zuführen. Kaltwasserbehandlung (ca. 15- 20 Grad) für maximal zehn Minuten, nicht länger, sofort und nicht später, kein Eiswasser, nicht bei Verbrennung von mehr als 10% der Körperoberfläche. Die Kaltwasserbehandlung soll die in den Körper eingedrungene Hitze vermindern, damit diese nicht zu mehr Schäden führt. Allerdings führt eine massive Abkühlung zur reaktiven Vasokonstriktion und schädigt so auch das Gewebe. Wenn möglich Schmerz bekämpfen. Faustregel: Lebensalter plus % verbrannter Oberfläche > 80 = schlechte Prognose. Lebensalter plus % verbrannter Oberfläche >100 = aussichtslos. Hitzeschäden Def: Schädigung des Körpers durch längere Hitzeeinwirkung. Sonnenstich Übermäßig Sonneneinstrahlung direkt auf Kopf und Nacken führt zur Hirnhautreizung mit starken Kopfschmerzen Schwindel, Übelkeit, evtl. Erbrechen Nackenschmerzen bis hin zur Nackensteifigkeit (Meningismus). Behandlung: Direkte Sonneneinstrahlung verhindern, erhöhte Lagerung des Kopfes, kalte und feuchte Umschläge. Hitzschlag (Hyperthermie-Syndrom) Störung der Wärmeregulationsmechanismen durch Überhitzung und verminderter Wärmeabgabe. Symptome: erhöhte Körpertemperatur (über 40 °C) Haut trocken und heiß Krämpfe, Bewusstseinseintrübung, gefürchtet wird ein Hirnödem Abnehmender Blutdruck Behandlung: Sofortige Kühlung des Körpers (z.B. kalte Tücher, Kleidung öffnen, Luft fächeln), Lagerung im Schatten mit erhöhtem Oberkörper. Notfallerkrankungen 529 Hauptgefahr bei der massiven Abkühlung nach dem Hitzschlag ist die reaktive Vasokonstriktion in den Hautgefäßen, die einen ausreichenden Wärmeaustausch verhindern. Hitzeerschöpfung (Hitzekollaps) Versagen des Kreislaufs (Hypovolämie) durch starken Flüssigkeitsverlust bei unzureichender Flüssigkeitsaufnahme, z.B. nach langer körperlicher Betätigung (meist sportliche Betätigung) ohne dabei ausreichend zu trinken. auffallende Blässe, körperliche Schwäche kalter Schweiß Gefahr des hypovolämischen Schocks mit Schocksymptomen Kälteschäden Bei Kälteschäden unterscheidet man die allgemeinen (Unterkühlung) von den lokalen Kälteschäden (Erfrierung). Unterkühlung (allgemeiner Kälteschaden) Def: Absinken der Körperkerntemperatur unter 35 0C. Eine akute Lebensgefahr besteht bei Temperaturen unter 26-30 0C durch drohendes Herzkammerflimmern. Stadien der Unterkühlung: 1. Grad 37-34 0C Muskelzittern, Schmerzen, Blutdruckanstieg, Tachykardie, Haut blass und kalt, Bewusstsein ist klar II. Grad 34-27 0C Kein Muskelzittern, Bewusstseinseintrübung, keine Schmerzen, Bradykardie, Arrhythmie, RR normal oder erniedrigt, Reflexe abgeschwächt III. Grad <27 0C Koma (Scheintod): Puls nicht tastbar, minimale Atmung, keine Reflexe, extreme Bradykardie, Pupillenerweiterung The.: Bei Kreislaufstillstand Herzdruckmassage und Erwärmen durch aufgewärmte Infusionen. Besteht kein Kammerflimmern wird ein vorsichtige und langsame Wiedererwärmung vorgenommen: 1 °C pro Stunde (wegen Gefahr des Kammerflimmerns), z.B. durch warmen Raum und Wolldecke. Keine Bewegung. Keine heißen Bäder oder zu schnelles Erwärmen. Erfrierung (lokaler Kälteschaden) Def: Kälteschaden der Haut v.a. an den entfernten (schlechter durchbluteten) Körperteilen, wie z.B. Nase, Ohren, Finger und Zehen. Begünstigende Faktoren können sein: Nikotin, Nässe und Wind. Einteilung Grad I: Grad II: © Arpana Tjard Holler (Autor) Blasse Haut und Gefühllosigkeit Nach Aufwärmung Rötung der Haut, leichte Schmerzen und Juckreiz Folgenlose Abheilung Blasenbildung, Ödembildung Hautschwellungen, Schmerzen Folgenlose Abheilung 530 Notfallerkrankungen Grad III: Nekrotische trockene Hautveränderung (= Mumifikation) oder nasse Nekrosen mit blauroten Blutblasen Keine Schmerzempfindung Vernarbung Ertrinken Def: Tod infolge Sauerstoffmangels durch Einströmen von Wasser in die Lungen Sym: Süßwasser tritt über in den Blutkreislauf Hypervolämie (Verdünnung des Blutes) Hämolyse Kammerflimmern durch Elektrolytverschiebung Salzwasser in der Lunge zieht Flüssigkeit aus dem Blut in die Alveolen Lungenödem Hypovolämie, RR Hämokonzentration (Hk-Wert ) The: Sichern der Vitalfunktion. Notfallkoffer Sicherungsfähiges und geschlossenes Behältnis für den Einsatz bei Notfällen. Für den Heilpraktiker kommt folgendes Zubehör in Betracht: Desinfektionsmittel (Hände- und Hautdesinfektionsmittel z.B. 80%iger Äthylalkohol oder 70%iger Isopropylalkohol oder andere zugelassene Desinfektionsmitteln) Spritzen- und Infusionsbesteck (Einmalspritzen, Kanülen, Braunüle, Infusionsgerät, Venenverweilkanülen) Material zur Wundversorgung (Kompressen, Mullbinden, Zellstoff, Mehrzweckschere), Wundschnellverbände (Pflaster), Wunddesinfektions-mittel (z.B. Betaisadona) Untersuchungsgeräte und –material: Plastikhandschuhe, Blutdruckgerät, Stethoskop, Reflexhammer, Diagnostikleuchte, Otoskop, Mundspatel, Venenstauer, Blutzuckermessgerät, Thermometer, Harnteststreifen (z.B. Combur10-Test) Beatmungsbeutel mit Masken Metaline-Tücher zur Wundabdeckung bei offenen Brandwunden Medikamente: z.B. Analgetika (Aspirin, Paracetamol), Antihistaminika (Tavegil), Spasmolytika (Buscopan), Infusionslösung (isotone Kochsalzlösung), Rescue-Tropfen (Notfalltropfen), homöopathische Hausapotheke, 5%ige Glukoselösung, evtl. Epinephrin und Dexamethason Rettungsdecke Gesetzeskunde Q. 531 Gesetzeskunde Gesetzeskunde Heilpraktikergesetz ................................................................................................................................ 532 Die Durchführungsverordnung ............................................................................................................ 532 Infektionsschutzgesetz (IFSG) vom 01.01.2001 ................................................................................... 533 Arzneimittelgesetz (AMG) vom 24.08.1976 .......................................................................................... 533 Betäubungsmittelgesetz vom 02.03.1974 .............................................................................................. 534 Hebammengesetz vom 04.06.1985 ........................................................................................................ 534 Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31.03.1952 ......................................................... 535 Weitere Tätigkeiten, die dem Heilpraktiker gesetzlich nicht erlaubt sind ........................................... 535 Gesetzlich auferlegte Pflichten des Heilpraktikers .............................................................................. 536 Hygiene-Verordnung (NRW*) .............................................................................................................. 536 Medizinproduktegesetz (MPG) ............................................................................................................. 537 © Arpana Tjard Holler (Autor) 532 Gesetzeskunde Gesetzeskunde für Heilpraktiker Wichtige Gesetzte und Verordnungen, welche die Tätigkeit eines Heilpraktikers einschränken bzw. ihm eine Pflicht vorschreiben. Heilpraktikergesetz Das Heilpraktikergesetz ist das Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) wurde am 17.02.1939 erlassen. Wichtige Paragraphen für den Heilpraktikeranwärter: § 1(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis. § 1 (2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. § 1 (3) Wer die Heilkunde ausüben will, erhält diese Erlaubnis nach Maßgabe der Durchführungsbestimmungen, er führt die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“. § 2 Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, bisher berufsmäßig nicht ausgeübt hat, kann eine Erlaubnis nach § 1 in Zukunft erhalten. § 3 Die Erlaubnis nach § 1 berechtigt nicht zur Ausübung der Heilkunde im Umherziehen. Hausbesuche müssen vom Patienten bestellt sein und es darf nur der behandelt werden, für den der Besuch bestellt wurde. Die Behandlungen von Patienten im Rahmen von z. B. Messen oder Vorträgen ist verboten. § 5 Wer, ohne zur Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigt zu sein und ohne eine Erlaubnis nach § 1 zu besitzen, die Heilkunde ausübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. § 5a (1) Ordnungswidrig handelt, wer als Inhaber einer Erlaubnis nach § 1 die Heilkunde im Umherziehen ausübt. § 5a (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 2500 Euro geahndet werden. § 6 Die Ausübung der Zahnheilkunde fällt nicht unter die Bestimmungen dieses Gesetzes. § 7 Der Reichsminister des Innern erlässt die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Die Durchführungsverordnung Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (HPG). Vom 18. Februar 1939. Aufgrund des § 7 des Heilpraktikergesetzes vom 17.2.39 wird verordnet: §2 Die Erlaubnis wird nicht erteilt, a) wenn der Antragsteller das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, c) wenn er nicht mindestens abgeschlossene Volksschulbildung nachweisen kann f) wenn sich aus Tatsachen ergibt, dass ihm die sittliche Zuverlässigkeit fehlt, insbesondere, wenn schwere strafrechtliche oder sittliche Verfehlungen vorliegen, Gesetzeskunde 533 g) wenn ihm infolge eines körperlichen Leidens oder wegen Schwäche seiner geistigen oder körperlichen Kräfte oder wegen einer Sucht die für die Berufsausübung erforderliche Eignung fehlt, i) wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. §3 (1) Über den Antrag entscheidet die untere Verwaltungsbehörde im Benehmen mit dem Gesundheitsamt. §3 (2) Der Bescheid ist dem Antragsteller zuzustellen; das Gesundheitsamt erhält Abschrift des Bescheides. Der ablehnende Bescheid ist mit Gründen zu versehen. §3 (3) Gegen den Bescheid kann der Antragsteller binnen zwei Wochen Beschwerde einlegen. Über diese entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde nach Anhörung eines Gutachterausschusses. Infektionsschutzgesetz (IFSG) vom 01.01.2001 Den genauen Gesetzestext bitte unter N.4. „Vorstellung des IFSG“ nachschauen. Wichtige Paragraphen für den Heilpraktikeranwärter: § 1 Zweck des Gesetzes § 2 Begriffsbestimmungen § 6 Für den HP meldepflichtige Infektionskrankheiten § 7 Von den Ärzten zu meldende Krankheitserreger, für deren verursachten Erkrankungen für den HP Behandlungsverbot besteht. § 8 Zur Meldung verpflichtete Personen § 15 Anpassung der Meldepflicht an die epidemische Lage § 24 Behandlungsverbot für Infektionskrankheiten im IFSG und für sexuell übertragbare Krankheiten § 30 Quarantäne (2 Krankheiten)) § 34 Zusätzlich genannte Erkrankungen, die vom HP nicht behandelt werden dürfen. § 36 Einhaltung der Infektionshygiene Arzneimittelgesetz (AMG) vom 24.08.1976 Das Verschreiben rezeptpflichtiger Arzneimittel ist nach dem Arzneimittelgesetz nur Ärzten und Zahnärzten erlaubt. Das heißt, der Heilpraktiker darf nur Medikamente verschreiben, die entweder freiverkäuflich oder apothekenpflichtig aber nicht verschreibungspflichtig sind. Der Heilpraktiker darf keine Arzneimittel verkaufen. Ob ein Medikament verschreibungspflichtig ist, kann in der roten Liste nachgelesen werden (AP = Apothekenpflichtig, RP = Rezeptpflichtig) Wichtige Paragraphen für den Heilpraktikeranwärter § 1 Zweck des Gesetzes ist es, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel nach Maßgabe bestimmter Vorschriften zu sorgen. § 16 Herstellungserlaubnis: Wer Arzneimittel im Sinne des AMG gewerbs- oder berufsmäßig herstellt, bedarf einer Erlaubnis der zuständigen Behörde. § 43 Apothekenpflichtig sind alle Mittel, die dazu bestimmt sind Krankheiten, Leiden, und Körperschäden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen. © Arpana Tjard Holler (Autor) 534 Gesetzeskunde § 44 Ausnahmen von der Apothekenpflicht sind Mineral-, Heil- und Meerwässer, Heilerde und Bademoore, Pflanzen (und deren Mischungen, Destillate und Presssäfte), Pflaster und Brandbinden, ausschließlich zum äußeren Gebrauch bestimmte Desinfektionsmittel. § 48 Verschreibungspflichtig (rezeptpflichtig) sind bestimmte Arzneimittel, die nachzulesen sind in der Roten Liste (außerdem: Gelbe Liste Pharmaindex und Scribas-Tabelle) und die nur nach Vorlage einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung an den Verbraucher abgegeben werden dürfen. Verschreibungspflichtige Medikamente dürfen vom Heilpraktiker ab D4 verordnet werden. Diese Regelung gilt nicht für Stoffe, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Die Verschreibungspflicht für Glukokortikoide (Dexamethason = Kortison) und für Adrenalin (Epinephrin) ist zur einmaligen Anwendung als Notfallmedikament für Heilpraktiker aufgehoben. Unter Vorlage der „Erlaubnis der berufsmäßigen Heilkunde ohne Bestallung“ und des Personalausweises sowie unter Nennung des Anwendungszweckes (für die Notfallbehandlung schwerer anaphylaktischer Reaktionen nach Neuraltherapie) kann der HP persönlich diese beiden Arzneimittel erwerben. Betäubungsmittelgesetz vom 02.03.1974 Das Verordnen von Betäubungsmitteln ist nur Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten erlaubt. Ein Heilpraktiker macht sich bereits durch die Verordnung eines Betäubungsmittels strafbar! Betäubungsmittel sind alle Stoffe, die im BtMG in der Anlage I, II und III erwähnt werden (sind in der roten Liste mit „Btm“ gekennzeichnet). § 13 (1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Die in den Anlagen I und II bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden. § 29 Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ... entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel verschreibt, verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlässt. Nicht unter das BtMG fallen homöopathische Zubereitungen von Opium ab D6 und Schlafmohn (Papaver somniferum) ab D4. Hebammengesetz vom 04.06.1985 Wichtige Paragraphen für den Heilpraktikeranwärter §4 (1) Zur Geburtshilfe sind abgesehen von Notfällen, außer Ärztinnen und Ärzten nur Personen befugt, die von der zuständigen Behörde eine Erlaubnis zur Ausübung der Tätigkeit als Hebamme oder als Entbindungspfleger besitzen. §4 (2) Geburtshilfe im Sinn des Absatzes 1 umfasst Überwachung des Geburtsvorganges von Beginn der Wehen an, Hilfe bei der Geburt und Überwachung des Wochenbettverlaufs. Heilpraktiker dürfen keine Geburtshilfe leisten, außer in Notfällen. Gesetzeskunde 535 Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31.03.1952 Die Ausübung der Zahnheilkunde ist ausschließlich nur Zahnärzten erlaubt. §1 (1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Zahnheilkunde dauernd ausüben will, bedarf einer Bestallung als Zahnarzt nach Maßgabe dieses Gesetztes oder als Arzt bundesgesetzlicher Bestimmung. Die Bestallung berechtigt zur Führung der Bezeichnung „Zahnarzt“ oder „Zahnärztin“. Die vorübergehende Ausübung der Zahnheilkunde bedarf einer jederzeit widerruflichen Erlaubnis. §1 (2) Ausübung der Zahnheilkunde ist die berufsmäßige, auf zahnärztliche wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Als Krankheit ist jede von der Norm abweichend Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen. Weitere Tätigkeiten, die dem Heilpraktiker gesetzlich nicht erlaubt sind Kein Schwangerschaftsabbruch (§218a StGB) Kein Röntgen (RöntgenVO) Keine Fortpflanzungsmedizin (EmbryonenschutzG) Keine Kastration (KastrationsG) Keine Gentechnik (GentechnikG) Keine Eröffnung einer Blutbank (Traunsfuionsgesetz) Kein Arbeiten mit Krankheitserregern (IFSG) Keine Durchführung der Leichenschau, Ausstellung des Totenscheins sowie Leichenpässe (Verordnung über das Leichenwesen) Keine Untersuchungen und Blutentnahmen bei strafbaren Handlungen (Strafprozessordnung) Keine Ausführung von Tätigkeiten, denen der HP nicht gewachsen ist (Sorgfaltspflicht) Keine Behandlung von Pflichtversicherten in Kranken- und Unfallversicherung (Sozialgesetzbuch). Der Heilpraktiker bekommt seine gebrachten Dienstleistungen und die von ihm verordneten Arzneimittel von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet. Kein Schweigerecht im Strafprozess des Patienten Keine Behandlungen von Verletzungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit (muss vom Durchgangsarzt untersucht werden) Kein Heilversprechen (Werbegesetz) Kein Abbruch der Heilbehandlung zu Unzeiten (BGB §611), angenommen Behandlungen dürfen nicht abgebrochen werden Keine Unterbringung eines psychisch Kranken in ein psychiatrisches Fachkrankenhaus (PsychKG = Psychiatriegesetz, Psychiatergesetz): Zuständig ist die örtliche Ordnungsbehörde, der sozialpsychiatrische Dienst vom Amtsgericht und ein Arzt, der im Gebiet der Psychiatrie und Psychotherapie weitergebildet oder auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahren ist. Einlieferung bei Eigengefährdung Fremdgefährung und Gefährdung rechtlicher Güter. Rechtfertigender Notstand §24 StGB Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte © Arpana Tjard Holler (Autor) 536 Gesetzeskunde Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden. Gesetzlich auferlegte Pflichten des Heilpraktikers Meldepflicht (IFSG §8) von Infektionskrankheiten im §6 des IFSG Schweigepflicht in der Praxis Sorgfaltspflicht (BGB §611) Aufklärungspflicht Dokumentationspflicht für10 Jahre (§630f BGB), Pflicht zum Datenschutz Berufshaftpflicht Hygienepflicht (Hygieneplan) Anmeldung bei Gesundheitsamt und Finanzamt Verkehrssicherungspflicht Garantenpflicht (gesetzliche Pflicht, die medizinischen Kenntnisse anzuwenden) Fortbildungspflicht Hygiene-Verordnung (NRW*) Verordnung zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (aufgrund des § 17 Abs. 4 IFSG) Die Hygiene-Verordnungen der einzelnen Bundesländer weichen teilweise voneinander ab. §1 Geltungsbereich: Die Verordnung gilt für berufs- oder gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeiten außerhalb der Heilkunde, bei denen Krankheitserreger im Sinne von §2 IFSG, insbesondere Erreger von AIDS, Virushepatitis B und C oder deren toxischen Produkte auf Menschen übertragen werden können. §3 Pflichten Wer Handlungen vornimmt, die mit einer Verletzung der Haut oder Schleimhaut einhergehen, hat vorher seine Hände sorgfältig zu reinigen und diese sowie die zu behandelnden Haut- oder Schleimhautflächen zu desinfizieren. Bei der Ausübung der Tätigkeiten sind neue Einmalhandschuhe zur verwenden. Handlungen, die eine Verletzung der Haut- oder Schleimhaut vorsehen, sind mit sterilen Geräten, Werkzeugen oder Gegenständen vorzunehmen. Sterile Einmalmaterialien dürfen nach dem ersten Gebrauch nicht wiederverwendet werden. Mehrfach verwendbare Geräte, Werkzeuge und Gegenstände, die für eine Handlung nach Satz 1 bestimmt sind, sind nach jedem Gebrauch zunächst einer desinfizierenden Reinigung und anschließend einer Heißluft- oder Dampfsterilisation zu unterziehen sowie bis zur nächsten Anwendung steril aufzubewahren Mehrfach verwendbare Geräte, Werkzeuge und Gegenstände, deren Benutzung eine Verletzung der Haut oder Schleimhaut nicht vorsieht, bei deren Anwendung es aber zu einer Verletzung der haut oder Schleimhaut kommen kann, sind nach jedem Gebrauch zu reinigen und mindestens an jedem Arbeitstag zu desinfizieren. Der Arbeitsbereich für Tätigkeiten nach §1 muss geeignet und so beschaffen sein, dass alle Oberflächen leicht zu reinigen und zu desinfizieren sind. Die Arbeitsflächen sind mindestens an jedem Arbeitstag gründlich zu reinigen und zu desinfizieren Gesetzeskunde 537 §4 Desinfektion Vor einer Sterilisation ist eine ausreichende Desinfektion und Reinigung der Instrumente durchzuführen. Eine Instrumentensterilisation hat mittels Heißluft- oder Dampfsterilisatoren zu erfolgen. Die Sterilisatoren sind halbjährlich und nach Reparaturen mit Bioindikatoren auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. §5 Abfälle: Verletzungsgefährliche (spitze, scharfe oder zerbrechliche) Geräte, Werkzeuge oder Gegenstände, die bei Tätigkeiten nach §1 verwendet worden sind, dürfen, auch wenn sie desinfiziert worden sind, nur in einer Verpackung, die eine Verletzungsgefahr ausschließt, in den Abfall gegeben werden. Medizinproduktegesetz (MPG) Vorschriften für die Herstellung und Benutzung von Medizinprodukten (Instrumente, Apparate, Vorrichtungen und Stoffe [mit Ausnahme von Arzneimitteln], die zur Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten dienen, z.B. Akupunkturnadeln, Blutdruckmessgerät, Fieberthermometer, Stethoskop, Spritzen). Funktionsstörungen, die zur Gefährdung eines Patienten geführt haben müssen gemeldet werden (Meldung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf speziellen Formularen). Für bestimmte Medizinprodukte gelten sicherheits- und messtechnische Kontrollen. Für bestimmte Medizinprodukte gilt die Pflicht zur Führung eines Bestandsverzeichnisses (Medizinproduktebuch). Bestimmte Medizinprodukte unterliegen einer Verschreibungspflicht (Erlaubnis nur von Ärzten oder Zahnärzten) © Arpana Tjard Holler (Autor) 538 Gesetzeskunde Tätigkeitsverbote für den Heilpraktiker „Zirkus Glibschauge“ Der HP darf nicht ... Steht in ... Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde Zahnheilkunde betreiben Infektionskrankheiten die im § 24 genannt sind behandeln Infektionsschutzgesetz Röntgenverordnung Röntgen Infektionsschutzgesetz Kulturen anlegen Umherziehen (seine Tätigkeit im Umherziehen ausüben) Heilpraktikergesetz Strafbaren Handlungen (bei) Untersuchen und Blutproben Strafprozessordnung entnehmen Geburtshilfe leisten Leichenschau vornehmen Hebammengesetz oder Totenschein/Leichenpass Verordnung über das Leichenwesen ausstellen Impfen Betäubungsmittel verordnen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen Arzneimittel sind rezeptpflichtig Unfruchtbar (Kastration vornehmen) Gentechnik Embryonen, arbeiten mit Nirgendwo ausdrücklich verboten, HP dürfen allerdings keinen Impfpass ausstellen und zudem sind Impfstoffe verschreibungspflichtig! Betäubungsmittelgesetz Strafgesetzbuch § 218a Arzneimittelgesetz Kastrationsgesetz Gentechnikgesetz Embryonenschutzgesetz Hygiene R. 539 Hygiene Hygiene Definition Hygiene ................................................................................................................................ 540 Vorgehensweise bei Injektionen in den Körper ................................................................................... 543 Spritze vorbereiten und aufziehen ........................................................................................................ 545 Intravenöse Injektion geben ................................................................................................................. 545 © Arpana Tjard Holler (Autor) 540 Hygiene Definition Hygiene Maßnahmen zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten und zur Erhaltung der Gesundheit des Menschen. Darunter versteht man hauptsächlich Desinfektion und Sterilisation. Diese Maßnahmen werden in Richtlinien in den einzelnen Hygieneverordnungen der Länder festgehalten (siehe 9.1 unter Gesetzeskunde). Desinfektion (Entseuchung, Entkeimung) Maßnahmen zur Keimreduktion und Keimarmut. Ziel ist es, ein Material in einen nichtinfektiösen Zustand zu versetzen. Allerdings besteht keine völlige Keimfreiheit, weil sporenbildende Keime und Viren die Desinfektion überleben (im Gegensatz zur Sterilisation). Die Desinfektion soll die Standortbakterien reduzieren und die sog. Anflugkeime abtöten. Formen der Desinfektion Chemische Desinfektion Verminderung von pathogenen Erregern durch Desinfektionsmittel: 80% Äthylalkohol 70% Iso-Propylalkohol Handelsübliche Lösungen Alle chemischen Desinfektionsmittel unterliegen der Kontrolle des Robert-Koch-Instituts und müssen den Richtlinien des DGHM (Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie) bzw. des VAH (Verbund für angewandte Hygiene) entsprechen und vorher von dieser Gesellschaft geprüft worden sein. Drei Methoden der chemischen Desinfektion: Sprühen: Zu empfehlen, wenn kleine Flächen desinfiziert werden sollen. Die zu desinfizierende Fläche muss vollständig benetzt werden. Ein gewisser Abstand zwischen der zu desinfizierenden Fläche und dem Sprühkopf muss eingehalten werden. Wischen: Bei der Wisch-Methode kann die mechanische Reinigung Verschmutzungen lösen und entfernen. Häufig wird die Sprüh-Wisch-Methode eingesetzt. Tauchbad / Einlegen: Geeignet für kontaminierte Instrumente wie z.B. Scheren, Pinzetten, Thermometer und Klemmen. Die Gegenstände müssen vollständig bedeckt sein. Anwendung nur mit Instrumentendesinfektionsmittel. Dosierung, Tauchzeit und Standzeit ist im jeweiligen Desinfektionsmittel nachzulesen. Unterschiedliche Desinfektionsarten: Hygienische Händedesinfektion: Die Hände werden mit einem zugelassenen Desinfektionsmittel für 30-60 Sek. eingerieben, um Keimübertragung von einem Patienten zum nächsten zu verhindern! Falls erforderlich (Hände sind mit Blut, Eiter oder andere infizierte Körpersekrete in Kontakt gekommen) danach mit Wasser und Seife abwaschen (nicht umgekehrt). Indikation: Vor und nach jedem Patienten Routinemäßig bei Beginn und am Ende der Arbeitszeit Routinemäßig nach jedem Toilettengang Routinemäßig vor und nach jeder Mahlzeit Hygiene 541 Durchführung der hygienischen Händedesinfektion nach der 6-Regel. Die Hände müssen vom Schmuck befreit werden. Mindestens 3 ml in die hohle Hand geben. Die Schritte jeweils 5-mal durchführen Schritt 1: Desinfektionsmittel auf die Handfläche geben und verreiben, inklusive Handgelenk. Schritt 2: Handfläche über Handrücken reiben im Wechsel für beide Hände, dabei greifen die Finger ineinander. Schritt 3: Handfläche auf Handfläche mit verschränkten und gespreizten Fingern, dabei reiben. Schritt 4: Finger ineinander verschränken, so dass die Außenseiten der Finger in der gegenüberliegenden Handfläche ruht. Schritt 5: Daumen der einen Hand wird mit der anderen Hand vollständig umschlossen und in kreisenden Bewegungen gerieben und umgekehrt. Schritt 6: Finger der Hand beugen und die Fingerkuppen geschlossen in Handfläche der anderen Hand geben und kreisend reiben und umgekehrt. Dabei den Daumen nicht vergessen. Fotos bitte im Internet unter „hygienische Händedesinfektion“ ansehen! Hautdesinfektion: Sie ist notwendig bei invasiven Eingriffen, damit bei einer venösen Punktion keine Krankheitserreger in den Organismus eindringen. Durchführung der Hautdesinfektion: Eine Kombination zwischen Sprüh- und Einreibeverfahren wird in den Gesundheitsämtern gerne gesehen. Zugelassenes Desinfektionsmittel auf die entsprechende Hautstelle sprühen. Einwirkzeit 15-30 Sek. Mit einem sterilen Tupfer von proximal nach distal wischen um die abgetöteten Keime von der Haut zu entfernen. Danach noch einmal sprühen und mindestens eine Min warten. Laufende Desinfektion: Unter einer laufenden Desinfektion versteht man regelmäßig vorgenommene Maßnahmen zur Verhütung der Ausbreitung von Infektions-erregern. Sie umfasst folgende Schritte: Flächendesinfektion: Wird bei verunreinigten (infizierten) Arbeitsplatten und Fußböden eingesetzt. Zugelassene Mittel sind in der Roten Liste unter Desinfizientia aufgeführt. Wichtig: Dosierungs- und Anwendungshinweise exakt befolgen. Die Fußboden-desinfektion wird mit der Zwei-Bezugs-Methode durchgeführt: Trockener sauberer Wischmopp zum Auftragen der zugelassenen Desinfektionslösung auf den Boden (max. 25 m2). Zweiter trockener sauberer Wischmopp zum Aufnehmen der überschüssigen Flüssigkeit in einen zweiten Eimer. Beide Bezüge in die Schmutzwäsche (Hauptwaschgang mit Vorwäsche bei mindestens 60°C, Spülung mit Chlor). Instrumentendesinfektion: Medizinische Gebrauchsgegenstände werden entweder in ein Tauchbad gelegt (z.B. Scheren, Fieberthermometer) oder nach Gebrauch mit der Wisch- oder Sprühmethode desinfiziert (z.B. Stethoskop, Blutdruckmessgerät) Physikalische Desinfektion Wird meist in Kliniken und Labors angewandt. Sie ist geeignet für Wäsche und thermostabile Materialien aus Metall oder Kunststoff. Er werden 3 physikalische Desinfektionsmethoden unterschieden: © Arpana Tjard Holler (Autor) 542 Hygiene Strahlendesinfektion durch UV-Bestrahlung. Wird zur Desinfektion von Raumluft angewandt z.B. UV-Bestrahlung von Operationssälen Dampfdesinfektion (feuchte Hitze) durchströmenden Wasserdampf von 100°C für 15-30 Min, z.B. bei Kissen, Decken, Matratzen. Heißluftdesinfektion (trockene Hitze) durch Abflammen hitzebeständigen Materials, z.B. Reagenzgläser. Sterilisation Bei der Sterilisation handelt es sich um die Entfernung aller Keime (Entkeimung). Maßnahmen, welche eine völlige Keimfreiheit bezwecken und alle lebensfähigen Mikroorganismen und auch deren Sporen (Dauerformen) abtöten. Vorgehensweise bei der Sterilisation Bei der Sterilisation werden 6 Arbeitsschritte unterschieden: Grobdesinfektion: Sofort nach Gebrauch Einlegen in eine in 10%ige Desinfektionslösung (Tauchbad) für ca. 2 Stunden (empfohlene Konzentration und Einwirkungszeit beachten), damit pathogene Keime sofort abgetötet werden und Verschmutzungen nicht antrocknen. Feindesinfektion und Reinigung: Waschen und Bürsten der Instrumente unter fließendem Wasser. Spült Eiter, Blutreste und abgetötete Bakterien sofort weg. Abtrocknen und die Materialien in einer Sterilverpackung (mit Indikator) in den Sterilisator legen. Aufwärmzeit je nach Sterilisator ca. 30 Min. Sterilisation je nach Gerät (empfohlen wird ein Dampfdrucksterilisator). Die Zeit ist abhängig von den Sterilisatoren (siehe 1.2.2.1) Abkühlzeit ca. 60 Minuten Sterilisationsverfahren Thermische Verfahren Dampfsterilisation mittels eines Autoklaven (Dampfsterilisator): Arbeitet mit Druckluft und ist geeignet für Instrumente aus Metall und Glas, Textilien, Papier und Materialien aus Gummi. Einwirkzeiten: Mindestens 20 Minuten bei 120ºC und 2 bar (1 atü) Mindestens 5 Minuten bei 134ºC und 3 bar (2 atü) Die angegebenen Einwirkungszeiten gelten erst von dem Zeitpunkt an, zu dem das Sterilisiergut die vorgeschriebene Temperatur angenommen hat. Heißluftsterilisation mittels eines Heißluftsterilisators: Arbeitet mit trockener Heißluft (vergleichbar mit einem Backofen) und ist geeignet v.a. für hitzestabile Substanzen. Einwirkzeit: 30 Minuten bei 180 °C mit Luftumwälzung 60 Minuten bei 180 °C ohne Luftumwälzung Die Heißluftsterilisation wird für den medizinischen Bereich nicht mehr empfohlen. Weitere Verfahren zur Sterilisation Physikalische Verfahren mit energiereicher Strahlung (z.B. beta-Strahlung, gammaStrahlung, Röntgenstrahlen) für Einmalartikel, Verbandstoffe und Handschuhe. Sterilisation mit energiereicher Strahlung: -, - oder -Strahlen werden eingesetzt zur Sterilisation von Operationsräumen, großen medizinischen Geräten, Medikamenten und Lebensmittel. Chemische Sterilisation mit Formaldehyd oder Äthylenoxid (sehr giftiges Gas) für z.B. großen Mengen sterilen Plastikgeräten. Hygiene 543 Sterilfiltration zur Herbeiführung der Keimfreiheit bei Flüssigkeiten und Gasen. Dabei werden die zu sterilisierenden Lösungen durch einen Filter gepresst, deren Poren so klein sind, dass auch Bakterien zurückgehalten werden. Allerdings können Viren den Filter passieren. Hygieneplan Bei einem Hygieneplan handelt es sich um einen schriftlich niedergelegten Plan mit detaillierten Maßnahmen zur Verhütung von Infektionen in der Praxis. Dabei müssen auch die durchgeführten Maßnahmen dokumentiert werden. Im IFSG § 36 wird festgelegt, dass Einrichtungen des Gesundheitswesens und andere Gemeinschaftsunterkünfte zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten einen Hygieneplan erstellen müssen. Vorgehensweise bei Injektionen in den Körper Achtung: Die Vorgehensweisen der einzelnen Injektionen werden in der Mündlichen Prüfung gerne gefragt und müssen meist am Gummiarm vorgezeigt werden. Ein genaues Repetieren der verschiedenen Schritte ohne zu zögern ist unbedingt erforderlich. Intravenöse Punktion zur Blutabnahme oder zur Applikation eines Medikaments Die Wirkung des intravenös gegebenen Medikaments erfolgt ohne große Zeitverszögerung unmittelbar nach seiner Verabreichung, da das Mittel mit dem Blutstrom zum Herzen geführt wird und von dort über die Arterien und Kapillaren im ganzen Körper verteilt wird. Vor einer Injektion in den Körper ist die 6-R-Regel zu beachten: Richtiger Patient? Richtiges Medikament (inklusive Haltbarkeit)? Richtige Dosis? Richtige Applikationsform? Richtiger Zeitpunkt? Richtige Dokumentation? Vorgehensweise für die intravenöse Punktion am Gummi-Arm für die Mündliche Prüfung: 1.Hände desinfizieren (hygienische Händedesinfektion nach Anleitung 2.Einverständnis des Patienten einholen, Patienten aufklären möglicher Komplikationen 3.Kontraindikationen ausschließen: Besteht Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese), Allergien, Hautauschläge, Lähmungen am Arm, Shunt zur Hämodialyse, Lymphödem, Einnahme von Medikamenten (z.B. Marcumar®, ASS) 4.Bereitstellung benötigter Materialien Desinfiziertes Spritzentablett Einmalplastikhandschuhe Haut- und Händedesinfektionsmittel 2er Spritze 2 ml Kanülen: Große Kanüle zum Aufziehen (gelb = 1er) / Große Kanüle zum i.v.-Spritzen (grün = 2er) Unterlage bzw. Unterarmpolster (in der Mündlichen HP-Prüfung meist nicht vorhanden!) Staubinde Sterile Tupfer (mindestens 3) und Wundpflaster © Arpana Tjard Holler (Autor) 544 Hygiene Hygiene 545 Zu spritzende Ampullen. Nicht vergessen: Prüfen der Ampullen (trübe oder ausgeflockte Flüssigkeit?); nur spritzen wenn apothekenpflichtig (AP), nicht spritzen wenn rezeptpflichtig (RP). Notfalls in der Roten Liste überprüfen. Kanülen-Sammler (Sicherheitsbehälter) Nierenschale für den übrigen Müll Nicht vergessen: Auf Verfallsdatum achten! Spritze vorbereiten und aufziehen Hände erneut desinfizieren und gründlich reinigen nach der 6er-Methode Spritze vorbereiten: Verpackung der Spritze und gelbe Kanüle vorsichtig öffnen und dann zusammenstecken. Dabei achten, dass Spritzenkonus und Kanüle nicht berührt wird. Kanüle in der Hülse stecken lassen. Ampulle aufbrechen: Zuerst anklopfen, Flüssigkeit muss aus der Spritze raus. Daumen mit einem Tupfer auf den markierten Punkt und dann nach hinten abbrechen ohne Ampullenrand zu berühren. Bei Ampullen mit Plastik: Abdrehen. Kanüle in die Ampulle einführen. WICHTIG: Rand und den Boden dabei nicht berühren! Spritze aufziehen. Spritzenstempel nicht berühren. Spritze umdrehen, Kanüle nach oben Gelbe Kanüle entfernen und in den Abwurfbehälter Luft aus der Spritze vorsichtig rausdrücken Vorbereitete grüne Kanüle zur i.v.-Injektion mit Schutzkappe aufsetzen. Spritze ablegen Intravenöse Injektion geben Arm stauen und möglich Punktionsstelle suchen (Pulskontrolle: Puls ist tastbar). Bevorzugte Punktionsstelle ist die Vena cephalica (radiale Seite des Arms) oder die Vena mediana cubiti. Die ulnare Vene heißt Vena basilica. Sie darf wegen ihrer Nähe zu Arteria brachialis nicht als Punktionsstelle benutzt werden. Stauung wieder lösen. Injektionsstelle desinfizieren: Sprühen von proximal nach distal wischen Sprühen und 1 Minute einwirken lassen Plastikhandschuhe zum Selbstschutz anziehen Staubinde anlegen und erneut stauen (Puls ist tastbar) Injektionskanüle in die Hand nehmen, Schutzkappe abziehen Mit der linken Hand Vene unterhalb der Punktion straffen, im 30° Winkel punktieren und dann flacher vorschieben. © Arpana Tjard Holler (Autor) 546 Hygiene Unbedingt aspirieren: Kolben kleines Stück zurück. Wenn Blut erscheint, Staubinde mit linker Hand aufmachen. Stauschlauch lösen außer bei Blutentnahme Langsame Injektion bzw. Blutaufziehen Tupfer in die linke Hand und Kanüle aus der Vene herausziehen, Tupfer drauf, Patient bitten den Tupfer noch eine Weile zu halten (Arm nicht beugen, nicht zu festdrücken) Kanüle in den Sicherheitsbehälter geben Achtung: Kanülen dürfen nicht nach der Benutzung in die Schutzkappen zurückgesteckt werden ("recapping"). Spritze in die Nierenschale für den Hausmüll Pflaster auf die Punktionsstelle Mögliche Komplikationen und Risiken einer intravenösen Punktion sind: Spritzenabszeß, wenn die Vene durchgestochen wird und das Medikament in das umliegende Gewebe gelangt Venenreizung Bakteriämie, Sepsis Statt in die Vene in die Arterie injizieren Anaphylaxie Hämatome Intravenöse Punktion zur Infusion und Anlegen der Verweilkanüle Bei bewusstlosen Patienten und bei Patienten mit einem Schock ist das Anlegen einer Verweilkanüle (bevor der Notarzt kommt) notwendig. Vorher muss eine Hypoglykämie geprüft worden sein. Vorgehensweise für die intravenöse Punktion zum Anlegen der Verweilkanüle am Gummi-Arm für die Mündliche Prüfung: 1.Hände desinfizieren (hygienische Händedesinfektion nach Anleitung 2.Kontraindikationen ausschließen 3.Berei