Abitur-Prüfung Biologie (NRW) – Grundkurs Übungsaufgabe 1: Evolution Die Evolution des Influenza-A-Virus 1 Beschreiben Sie den Aufbau eines Influenza-A-Virus (Material A) und erläutern Sie dabei die Bedeutung der Oberflächenproteine Hämagglutinin und Neuraminidase für die Abwehrreaktion des menschlichen Immunsystems (Material B). Legen Sie im Anschluss daran die Auswirkungen des Fehlens einer Fehlerkorrekturoder Reparaturfunktion der RNA-Polymerase auf die virale RNA dar (Material A). 2 Definieren Sie den populationsgenetischen Evolutionsfaktor Gendrift und vergleichen Sie den Begriff anschließend mit der „Antigendrift“ (Material C). Beschreiben und analysieren Sie die in Abbildung 4 wiedergegebenen Formen des „gene reassortment“ in ihren Auswirkungen auf das Influenza-A-Virus. Ziehen Sie dabei auch die Informationen aus Material A mit heran und diskutieren Sie die Bedeutung von „Antigendrift“ und „Antigenshift“ für die Entwicklung des Grippevirus. 3 Werten Sie Material D aus und setzen Sie die von FITCH erzielten Ergebnisse in Beziehung zu den in Abbildung 3 dargestellten Vorgängen. Erläutern und begründen Sie unter Einbeziehung aller Materialien, die Bedeutung des Evolutionsfaktors Selektion sowie der „Antigendrift“, „Genshift“, „Antigenshift“ für die Evolution des Influenza-A-Virus. 1 Material A: Das Influenza-A-Virus und seine Vermehrung Unter dem Begriff Grippe bzw. Influenza versteht man eine fiebrige Infektionserkrankung, die u. a. mittels Tröpfcheninfektion durch spezifische Typen von Viren übertragen wird. Einer dieser Erreger ist das Influenza-Virus vom Typ A. Das Viruspartikel ist folgendermaßen aufgebaut: Es ist von einer Virusmembran aus einer Lipiddoppelschicht Abb. 1: Schematische Darstellung des Influenza-A-Virus umgeben. In seinem Inneren befindet sich die segmentierte Erbsubstanz. Sie liegt als einzelsträngige RNA vor, von der mehrere getrennte Moleküle existieren. Die in eine Protein-Matrix eingebettete RNA codiert verschiedene strukturelle Eiweiße (Hüll- und Strukturproteine) sowie replikationsrelevante Proteine. Zu den wichtigsten Hüllproteinen gehören dabei die Oberflächenproteine Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N), von denen 16 (H) bzw. 9 (N) unterschiedliche Ausprägungen bekannt sind. Die Oberflächenproteine spielen eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung und Vermehrung des Virus. Durch das Hämagglutinin kann sich das Virus an die Oberfläche seiner Virus an die Oberfläche seiner Wirtszellen binden und diese infizieren. Die Neuraminidase sorgt dafür, dass die neu gebildeten Viren die Wirtszelle wieder verlassen und weitere Zellen befallen können. Je nachdem, welche Kombination der beiden Oberflächenproteine H und N auf der Virusoberfläche vorliegt, werden einzelne Subtypen des Influenza-A-Virus unterschiede Viren haben eine sehr kurze Generationszeit und können norme Populationsgrößen erreichen. Bei der Infektion einer Wirtszelle mit einem Influenza-A-Virus können bis zu 20 000 neue Viruspartikel in nur wenigen Stunden entstehen. Die von der Erbsubstanz des Virus codierten H- und N-Oberflächenproteine werden von der Wirtszelle im Zytoplasma translatiert und mithilfe des Golgi-Apparates, eines zellulären Transport- und Synthesesystems, zur Zellmembran der Wirtszelle befördert. Dort wird das Virus zusammengebaut und ausgeschleust („budding“). Die virale RNA-Polymerase zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Sie besitzt keine Fehlerkorrektur- oder Reparaturfunktion. Dadurch können während der RNAVervielfältigung viele falsche Nukleotide in die neue Viren-RNA eingebaut werden. Pro Virusgeneration verändert sich damit im Durchschnitt ein Nukleotid, wodurch auch die Struktur der Oberflächenproteine der Influenza-A-Viren verändert werden kann. Die Fehlerrate der viralen RNA-Polymerase ist etwa 1 000-fach höher als bei der DNA-Polymerase des Menschen. Viren haben durch ihre hohe Mutationsrate, die kurze Generationszeit und die enorme Populationsgröße, die sie erreichen können, eine sehr hohe Evolutionsrate. 2 Material B: Die Bekämpfung des Influenza-A-Virus durch das Immunsystem Influenza-Viren, die in den Organismus gelangen, stellen Fremdkörper dar und werden vom menschlichen Immunsystem bekämpft. Dringen Grippeviren in ihre Wirtszellen ein, z. B. in die Zellen der Nasenschleimhaut, produziert das Immunsystem des Wirts über einen komplizierten, mehrstufigen Prozess Abwehrstoffe, die sogenannten Antikörper. Diese binden sich an die Oberflächenproteine der Virusmembran, die man als Antigene bezeichnet (Abbildung 2), und neutralisieren so die eingedrungenen Krankheitserreger. Die Viruspartikel werden außerdem durch die Antikörper in einer Antigen-Antikörper-Reaktion miteinander verklumpt. Der Komplex aus Viren und Antikörpern kann schließlich von Fresszellen beseitigt werden. Die Gedächtniszellen des Immunsystems speichern bei der Erstinfektion das Muster der Oberflächenproteinstrukturen der eingedrungenen Viren ab. Bei einer Zweitinfektion mit einem bereits bekannten Erreger kann die Immunantwort mit der Bildung spezifischer Antikörper durch diese gespeicherten Informationen schneller und effektiver Abb. 2: Antigen-Antikörper-Reaktion des Influenza-A-Virus ablaufen. Material C: „Antigendrift“ und „Antigenshift“ beim Influenza-A-Virus Bei der Replikation des Influenza-A-Virus treten häufig kleinste Veränderungen im Genom auf, die Änderungen der Aminosäuresequenz der Antigene verursachen können. Diese mutationsbedingten minimalen Veränderungen in der Oberflächenstruktur von Hämagglutinin und Neuraminidase bezeichnet man als „Antigendrift“ (Abbildung 3). Abb. 3: „Antigendrift“ beim Influenza-A-Virus 3 Infizieren zwei nah verwandte Viren mit einem segmentierten Genom die gleiche Wirtszelle (Abbildung 4 a), kann es zu einem Austausch von Gensegmenten zwischen den beiden Viren kommen, dem sogenannten „gene reassortment“. Dieses Phänomen ist beim Influenza-A-Virus genauer untersucht worden. Dabei unterscheidet man zwei Formen des „gene reassortment“, die „Genshift“ und die „Antigenshift“. Bei der „Genshift“ werden nur die Gensegmente der Struktur- und Hüllproteine neu zusammengesetzt, die Gensegmente für die H- und N-Proteine bleiben unverändert (Abbildung 4 b). Bei der „Antigenshift“ kommt es dahingegen zu einer Vermischung und Neuverteilung der Gene, die für die H- und N-Oberflächenproteine codieren (Abbildung 4 c). Abb. 4 a): Doppelinfektion einer Wirtszelle mit H1N1 und H2N2 4