Achtjähriges Gymnasium Lehrplan Physik für die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe Februar 2006 LEHRPLAN PHYSIK FÜR DIE EINFÜHRUNGSPHASE DER GYMNASIALEN OBERSTUFE Vorbemerkungen Die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe leitet von der Sekundarstufe I zum Kurssystem der Hauptphase der Oberstufe über. Daher muss der Lehrplan durch die Auswahl geeigneter Inhalte und durch entsprechende Differenzierung der Anforderungen die Schülerinnen und Schüler fundiert zur Entscheidung befähigen, ob sie in der Hauptphase der Oberstufe einen Grund- oder einen Leistungskurs im Fach Physik belegen. Des Weiteren soll der Lehrplan die Schülerinnen und Schüler, die sich für die Wahl eines Physikkurses der Oberstufe entscheiden, zu der dort eher abstrakteren und formal strengeren Denkund Arbeitsweise hinführen. Der Lehrplan behandelt ausgewählte Stoffgebiete der Atom- und Kernphysik und der Mechanik als Grundlage für den Unterricht in Grund- und Leistungskurs. In Kapitel 1 „Atome und Atomkerne, Radioaktivität“ wird der Aufbau der Materie systematisch dargestellt. Bei der Behandlung der Radioaktivität wird auch Bezug auf die biologisch-medizinischen Wirkungen genommen. Dabei kann auf die bereits in den Klassenstufen 7 und 8 vermittelten Lerninhalte Geschwindigkeit, Trägheitssatz, Kraftmessung, Ortsfaktor, Kraft als Vektor, Arbeit und Energie zurückgegriffen werden. Die Ausführung der Fahrbahnexperimente lässt sich durch ein Messwerterfassungssystem erleichtern. Für die Einführung der Momentangeschwindigkeit wird der Grenzwertbegriff nicht gefordert. Das Weg-Zeit-Gesetz der gleichmäßig beschleunigten Bewegung kann als Maß des Inhalts der Fläche unter dem Geschwindigkeit-Zeit-Graphen plausibel gemacht werden. In Kapitel 3 wird der Impulserhaltungssatz (neben dem Energieerhaltungssatz) als weiterer Erhaltungssatz der Physik herausgestellt. Er ist auch geeignet, eine wichtige Klasse von Phänomenen aus der Lebenswelt (Straßenverkehr, Sport) der Schülerinnen und Schüler zu erklären. Der Lehrplan berücksichtigt die nationalen Bildungsstandards der KMK für den mittleren Bildungsabschluss. Anregungen zu Projekten Forscherpersönlichkeiten, Radioaktivitätsmessungen in der Umgebung, Physik des Radfahrens, Verfahren zur Geschwindigkeitsmessung, Physik der Wurfbewegungen, Raketenprinzip, Sicherheit im Straßenverkehr. Februar 2006 1 LERNINHALTE: (Sprachlicher und mathematisch-naturwissenschaftlicher Zweig) Kapitel 1: Atome und Atomkerne, Radioaktivität (11 Std.) 1.1 1.2 Kern-Hüllen-Modell und Kernbindungsenergie Radioaktivität Kapitel 2: Kraft und Bewegung (20 Std.) 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 Trägheitssatz und geradlinig gleichförmige Bewegung Geradlinig gleichmäßig beschleunigte Bewegung Zweites newtonsches Axiom Freier Fall und Wurfbewegung Gleichförmige Kreisbewegung Kapitel 3: Impuls (9 Std.) 3.1 3.2 3.3 Reaktionsprinzip und Stoßprozesse Impulsbegriff und Impulserhaltung Spezielle Stoßprozesse Fakultative Lerninhalte • Physik des starren Körpers • Kinetische Gastheorie Februar 2006 2 Physik, Einführungsphase KAPITEL 1: ATOME UND ATOMKERNE; RADIOAKTIVITÄT Verbindliche Inhalte Vorschläge und Hinweise 11 Stunden 1.1 KERN-HÜLLEN-MODELL UND KERNBINDUNGSENERGIE Ladungs- und Massenverteilung im Atom • Ergebnisse der historischen Versuche von Historischer Rückblick zur Atomhypothese Lenards Fensterversuch mit Elektronen und Lenard und Rutherford Rutherfords Streuexperiment mit α-Teilchen • Bestandteile des Atomkerns; A = Z + N mit Geschichte der Entdeckung des Atomkerns und A: Massenzahl, Z: Ordnungszahl, N: Neutro- der Nukleonen nenzahl • Elemente und ihre Isotope, (Chemie): Atombau Isotopen-„Steckbrief“: AZ X • Überblick über die Nuklide anhand der Nu- Vergleiche bezüglich der räumlichen Ausdehnungen, Massen und Dichten klidkarte Kernbindungsenergie • Stabilität der Atomkerne • • Coulomb-Kraft und kurzreichweitige Kraft zwischen den Nukleonen Energieberechnungen unter Verwendung der Bindungsenergie pro Nukleon Avogadro-Konstante und der Stoffmenge Energiefreisetzung bei Spaltung schwerer Vergleich der Beträge der frei werdenden Energien bei der Verbrennung von 1 kg Steinkohle, und Fusion leichter Kerne der Spaltung von 1 kg U 235 und der Fusion zu 1 kg He 4 1.2 RADIOAKTIVITÄT Ionisierende Strahlung E: Nachweis ionisierender Strahlung mit dem Geiger-Müller-Zählrohr • Bau und Funktion des Geiger-Müller-Zählrohrs ∆N , [A] = 1 Bq • Aktivität A = − ∆t • Nulleffekt • Herkunft: Kosmische Strahlung, Röntgenstrahlung, Strahlung radioaktiver Stoffe • Weitere Nachweismethoden: Schwärzung fotografischen Materials, Nebelkammer Beachtung der aktuellen Durchführungsverordnung zur Strahlenschutzverordnung für die Anwendung in Schulen Radioaktive Stoffe im Alltag: Kaliumverbindungen (K40-Isotop), radioaktive Gesteine, Mineralien oder Keramikglasuren, radioaktive Präparate und Abfälle aus Medizin und Kerntechnik Ablenkung gemäß UVW-Regel Durchdringung von Aluminiumblech durch β-Strahlung als Demonstration zum lenardschen Fensterversuch E: Ablenkung der β-Strahlung im Magnetfeld • Strahlenarten: α-, β-, γ -Strahlung, Neutronenstrahlung • Unterschiedliche Reichweiten in Luft und unterschiedliches Durchdringungsvermögen Februar 2006 3 Physik, Einführungsphase KAPITEL 1: ATOME UND ATOMKERNE; RADIOAKTIVITÄT Verbindliche Inhalte Vorschläge und Hinweise 11 Stunden Kernzerfall • Instabilität von Atomkernen Ableseübungen in der Nuklidkarte • Änderung von Massen- und Ordnungszahl Zerfallsreihen durch α- und β- Zerfall E: Zerfallsrate in Abhängigkeit von der Zeit t • • • 1 tH @ Modellbildungssysteme Zerfallsgesetz: N(t) = N0 , 2 mit N0: Anfangsbestand und tH: Halbwertszeit (Mathematik): Exponentialfunktion Typische Halbwertszeiten radioaktiver Isotope (Geschichte): Radiokarbonmethode zur arAnwendung: C14-Methode chäologischen Altersbestimmung Biologische Wirkung und Strahlenschutzmaßnahmen • Ionisierung im Gewebe • Äquivalentdosis • Biologische und medizinische Nutzung • Natürliche und zivilisatorische Strahlenbelas- Expositionsdauer, Abstand, Abschirmung tung • Verhaltensregeln zum Strahlenschutz Februar 2006 4 Physik, Einführungsphase KAPITEL 2: KRAFT UND BEWEGUNG Verbindliche Inhalte 20 Stunden Vorschläge und Hinweise 2.1 TRÄGHEITSSATZ UND GERADLINIG GLEICHFÖRMIGE BEWEGUNG Trägheitssatz (Geschichte, Philosophie, Latein): GedankliE: Demonstration der Trägheit Trägheitssatz (1. newtonsches Axiom) und Inter- che Leistung der frühen Neuzeit: Abstraktion vom Einfluss allgegenwärtiger Reibungskräfte pretation und der Schwerkraft, Überwindung der aristotelischen Vorstellungen, lateinische Originalfassung des Trägheitssatzes von Newton Geradlinig gleichförmige Bewegung • Bezugssysteme, Laborsystem Beispiele: Bahnwaggon, Fahrradpedal, Erdbewegung • Modell des Massenpunktes E: Realisierung einer gleichförmigen Bewegung mit experimenteller Verifizierung der Konstanz der Geschwindigkeit • Geradlinig gleichförmige Bewegung: ∆s m v= = const. , [v] = 1 ∆t s Anwendungen: Größenordnung verschiedener • Weg-Zeit-Gesetz: s(t) = v ⋅ t + s0 • Mittlere Geschwindigkeit v und Relativge- Geschwindigkeiten in Natur und Technik, graphischer Fahrplan der Bahn schwindigkeit 2.2 GERADLINIG GLEICHMÄSSIG BESCHLEUNIGTE BEWEGUNG E: Demonstration einer beschleunigten Bewegung • Beschleunigte Bewegung: Die Bewegung eines Körpers ist genau dann beschleunigt, wenn die am Körper angreifende resultierende Kraft nicht verschwindet. r r ∆s • Momentangeschwindigkeit v = für ein (Mathematik): Präzisierung des Geschwindig∆t keitsbegriffs mit Hilfe des Ableitungsbegriffs hinreichend kleines Zeitintervall E: Realisierung einer geradlinig gleichmäßig @ Computer-Algebra-Systeme, Modellbildungssysteme beschleunigten Bewegung • Gleichmäßig beschleunigte Bewegung: ∆v m a= = const ; [a] = 1 2 ∆t s • Bewegungsgesetze ( v 0 = 0; s 0 = 0) : • • a(t) = a, v(t) = a ⋅ t, s(t) = 21 ⋅ a ⋅ t 2 Verallgemeinerung: v(t) = a ⋅ t + v 0 , s(t) = 21 ⋅ a ⋅ t 2 + v 0 ⋅ t + s0 Graphische Darstellung der Gesetze Februar 2006 Auswertung von Tabellen und Diagrammen, Beschleunigungs-, Überhol- und Bremswege, Faustformeln Technik: Größenordnungen von Beschleunigungen 5 Physik, Einführungsphase KAPITEL 2: KRAFT UND BEWEGUNG Verbindliche Inhalte 20 Stunden Vorschläge und Hinweise 2.3 ZWEITES NEWTONSCHES AXIOM E: Nachweis der Abhängigkeit der Beschleunigung von Kraft und Masse r r Beispiele aus dem Verkehr: Größenordnung von • 2. newtonsches Axiom: F = m ⋅ a • Kraft als abgeleitete Größe im MKS-System Bremskräften, Ermittlung des Bremsweges aus der Geschwindigkeit • Herleitung: Kinetische Energie Wkin = 21 ⋅ m v 2 2.4 FREIER FALL UND WURFBEWEGUNG Freier Fall E: Freier Fall im Vakuum (Fallrohr) Unabhängigkeit der Fallbeschleunigung von der Bedeutung der historischen Experimente Galileis für die Entwicklung der klassischen (newtonMasse am selben Ort schen) Physik Schwere und träge Masse E: Bestimmung der Fallbeschleunigung • Freier Fall als gleichmäßig beschleunigte Bewegung mit g = 9,81 m/s2 (Erdbeschleu- Identifikation von Fallbeschleunigung und Ortsfaktor nigung am Normort) Variation von g an der Erdoberfläche • Gewichtskraft: FG = m ⋅ g Vertikaler Wurf • Bewegungsgesetze • Berechnung von Steig-, Fall-, Flugzeit und @ Simulationsprogramm zu allgemeinen WurfWurfhöhe bewegungen • Anwendung des Energieerhaltungssatzes (Sport): Wurf- und Sprungdisziplinen, Ballsportarten 2.5 GLEICHFÖRMIGE KREISBEWEGUNG Kinematische Beschreibung • Definition der Größen: Umlaufzeit T, Fre- Frequenzbestimmung durch Drehzahlmessung, quenz f, Winkelgeschwindigkeit ω, Bahnge- Stroboskop r schwindigkeit v (mit Betrag und Richtung) 1 2π • Beziehungen: f = , ω = = 2π f , T T s = φ · r, v = ω ⋅ r Dynamische Beschreibung • Gleichförmige Kreisbewegung als zentralbeschleunigte Bewegung • Abhängigkeit der Beschreibung vom Bezugssytem: Zentripetalkraft, Zentrifugalkraft Freihandversuche zu Zentralkräften (Erdkunde): Erdrotation, Abplattung der Erde, Scheinkräfte (Corioliskraft) am Beispiel meteorologischer Vorgänge E: Untersuchung der Abhängigkeit der Zentripetalkraft von Radius, Masse und Winkelgeschwindigkeit • Gesetze: aZ = ω 2 ⋅ r, FZ = m ⋅ ω 2 ⋅ r • Anwendung: 1. kosmische Geschwindigkeit v k = g ⋅ RE mit RE = Erdradius • Neigungswinkel bei Kurvenfahrt Februar 2006 (Sport): Hammerwurf, Diskuswurf, Bobfahrt Technik: Wäscheschleuder, Zentrifuge, Loopingbahn, Schaustellergeräte, Drehzahlregler, Kurvenflug eines Düsenjets Verkehr: Verhalten von Fahrzeugen in Kurven 6 Physik, Einführungsphase KAPITEL 3: Impuls Verbindliche Inhalte 3.1 REAKTIONSPRINZIP UND ZESSE 9 Stunden Vorschläge und Hinweise STOSSPRO- Drittes newtonsches Axiom E: Demonstration des Reaktionsprinzips Drittes newtonsches Axiom: Reaktionsprinzip E: Realisierung eines zentralen geraden Stoßes r r r r Herleitung: m1v 1 + m 2 v 2 = m1u1 + m 2 u 2 3.2 IMPULSBEGRIFF UND IMPULSERHALTUNG r r kg m D: Impuls p = m v , [p] = 1 s G: Impulserhaltung beim Stoß: r r r r p1 + p2 = p1′ + p′2 G: Allgemeiner Impulserhaltungssatz E: Bestätigung der Impulserhaltung für Sonderfälle Ursprüngliche Formulierung des zweiten newtonschen Axioms: Kraft als zeitliche Änderung des Impulses Schwerpunkterhaltung, Drehimpulserhaltung 3.3 SPEZIELLE STOSSPROZESSE D: Vollkommen unelastischer Stoß • Herleitung: Geschwindigkeit nach dem Stoß Beschränkung auf eindimensionale Stoßvorgänge r r v m1 v 1 + m 2 v 2 u= Raketenprinzip: Ausströmen von Wasser oder m1 + m 2 Luft aus einer Düse, Rakete, Waffe • Rückstoß Sport: Ballspiele, Abwurfvorgänge • Ballistisches Pendel Straßenverkehr: Sicherheitsgurt, Kopfstütze, Airbag, Knautschzone D: Elastischer Stoß Anwendung von Energie- und Impulserhaltungssatz auf den elastischen Stoß • Berechnungen mittels der Formeln für die Stoßprozesse im atomaren Bereich, ZustandsEndgeschwindigkeiten größen als Folge des Impulsübertrags von • Sonderfälle: gleiche Massen, Reflexion an Gasteilchen einer Wand Februar 2006 7