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Shakespeare 7 Seiten, 13'782 Wörter, 98'452 Zeichen
?Shakespeare (auch Shakspeare und Shakspere geschrieben, spr. schéhkspir), William, der größte dramat. Dichter Englands
und einer der ersten Dramatiker aller Zeiten. Nur sehr spärliche Nachrichten sind uns über das Leben dieses gewaltigen Genius
überliefert worden; daß aber selbst diese dürftigen Notizen nur mit großer Vorsicht aufzunehmen sind, leuchtet von selbst ein, wenn
man weiß, daß erst 1709 in der vom Dichter Rowe besorgten Ausgabe der Werke Shakespeares eine Biographie desselben sich
findet.
Was ließ sich fast 100 Jahre nach dem Tod Shakespeares über dessen Lebensumstände wohl noch erforschen, zumal einerseits
die Familie des Dichters mit der Enkelin desselben ausgestorben war, anderseits in den Wirren der Bürgerkriege unter Cromwell etwa
noch vorhanden gewesenes Material seinen Untergang gefunden haben dürfte. Allerdings stützt sich Rowe auf eine Schrift Aubreys
von 1680, die indes sehr haltlos ist und aus dem pathetischen Charakter des Tragikers S. dessen Leben konstruiert.
Geboren ist S. im April 1564 in dem Landstädtchen Stratford on Avon in Warwickshire. Da es in jener Zeit gebräuchlich war, daß
die Taufe eines Kindes am dritten Tag nach der Geburt desselben stattfand, William aber 26. April (a. St.) getauft worden ist, so wird
der 23. April allgemein als Geburtstag Shakespeares angenommen. Sein Vater John S., der des Lesens nicht kundig gewesen zu
sein scheint, war nach einem Dokument von 1556 Handschuhmacher; doch wird er auch einmal (1579) als Yeoman (Besitzer eines
zinsfreien Gutes) bezeichnet.
? Von seinen zwei Häusern in Stratford wird dasjenige in der Henleystraße von der Tradition das Geburtshaus des Dichters
genannt. John S. heiratete 1557 ein reiches Mädchen, Mary Arden, welchem ihr Vater die Farm Ashbyes, bestehend aus 56 Äckern,
zwei Häusern und Gärten, vermachte. So war John S. ein wohlhabender Mann; daß er in hohem Ansehen stand, erhellt daraus, daß
er auch einer der 14 Aldermen von Stratford war, ja sogar zum ersten Gerichtsamtmann (high bailiff) und drei Jahre darauf (1571)
zum ersten Alderman erwählt wurde. Das
erste Kind dieser Ehe war ein Mädchen, Jane, welches 1558 getauft wurde. Mit 1577 indessen scheint ein sehr merklicher
Rückgang im Wohlstand John Shakespeares eingetreten zu sein, da 1578 seine Farm als verpfändet bezeichnet wird. Die
Verhältnisse wurden mit den nächsten Jahren immer dürftiger: wir sehen den Vater des großen Dichters nicht nur seines Postens als
Alderman beraubt, er muß sogar ins Schuldgefängnis wandern, und nach Freilassung aus demselben 1592 heißt es (mit Bezug auf
die Bestimmung des englischen Rechts, daß niemand in seinem Hause schuldenhalber verhaftet werden durfte), daß er nicht in die
Kirche gekommen sei »aus Furcht vor einem Schuldprozeß«.
Aus diesen Einzelheiten ergibt sich, daß gerade die reifere Jugendzeit unsers Dichters, vom 14. Lebensjahr an, unter den
zerrütteten Vermögensverhältnissen der Eltern zu leiden gehabt haben wird: eine wohlabgeschlossene, gelehrte Schullaufbahn
machte er schwerlich durch. Im elterlichen Haus konnte er ferner keine Förderung in dieser Beziehung finden, da auch seine Mutter,
wie die meisten Frauen selbst der höhern Stände unter Elisabeth, nicht schreiben konnte.
Jedenfalls aber hat der Knabe William in der »freien Gelehrtenschule« (free grammar-school) Stratfords unentgeltlichen
Unterricht genossen. Wenn nun Ben Jonson in seinen »Unterhaltungen mit Drummond« sagt, S. habe wenig Latein und noch weniger
Griechisch verstanden, so ist einmal der verstimmte, herabsetzende Charakter, der fast alle Äußerungen Jonsons in jenen
Unterhaltungen kennzeichnet, ferner auch der Umstand zu erwägen, daß Jonson als gelehrter Kenner des Altertums einen sehr
hohen Maßstab anlegte, um aus jenen Worten nicht fälschlicherweise eine Stütze für die früher so verbreitete Meinung von dem
»ungelehrten« Dichter zu gewinnen. Wenn John Dryden (gest. 1700) und vor ihm John Milton dergleichen aussprachen und S. als
den »von Natur gelehrten« (»naturally learned«) bezeichneten, so kommt dies einerseits daher, daß sie, in engherziger Klassizität
befangen, S. als den »kunst- und regellosen Naturdichter« anzusehen sich gewöhnten, und daß sie anderseits, wie Ben Jonson,
ihren eignen Maßstab anlegten.
Gewiß hat S. bei seiner geistigen Begabung schnell genug Latein gelernt; er hat den lateinischen Tragiker Seneca wie die
Komödiendichter Plautus und Terenz ohne Zweifel im Original gelesen. Außer dem Lateinischen hat er Französisch und wohl auch
Italienisch verstanden, das damals in England und Frankreich ungleich mehr getrieben wurde als heutzutage. Dann ist wohl
anzunehmen, daß S. ab und zu in Stratford auftretende Schauspielertruppen frühzeitig kennen gelernt und vielleicht nicht ohne
Einfluß seiner häuslichen Verhältnisse gleichzeitig den Entschluß gefaßt hat, wie viele andre, als Schauspieler und
Schauspielschreiber in London sein Glück zu versuchen. So ist der 20jährige S. 1584 höchst wahrscheinlich noch in seinem
Geburtsort gewesen und hat wohl auch die im genannten Jahr dort spielenden Schauspieler der Königin sowie diejenigen der Grafen
Worcester und Essex zu sehen Gelegenheit gehabt.
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Höchst auffallend aber ist es, daß er, noch bevor er das 19. Lebensjahr vollendet hatte, sich mit der bereits 26jährigen Anna
Hathaway verheiratete. Sechs Monate nach Schließung der Ehe, 26. Mai 1583, ward das erste Kind Shakespeares getauft. Von der
Mutter wissen wir übrigens nur, daß sie die Tochter eines Freisassen war, und daß sie ihren Mann um sieben Jahre überlebt hat. Daß
aber der junge S. ohne sein Weib Stratford verließ, spricht jedenfalls nicht von großer Zärtlichkeit der Ehe, ebensowenig der andre
Umstand, daß er in seinem Testament ihr nur das »zweitbeste« Bett vermachte, während er das beste seiner Lieblingstochter
Susanna zuwies. Übrigens wissen wir, daß S., der in London sehr bald zu großem Wohlstand gelangte, seine Familie in Stratford
häufig besuchte, daß er endlich seine letzten Lebensjahre vollständig in seinem Geburtsort zubrachte.
Man hat nun wohl den Widerklang mancher trüben, ja selbstquälerischen Stimmung aus jenen jungen Jahren in den dem
Geschmack der Zeit huldigenden, nach Art der italienischen Concetti Wortspiel und Gesuchtheit liebenden »Sonetten« Shakespeares
entdecken wollen; indes ist es sehr bedenklich, jene durchaus lyrischen Produkte seines Geistes biographisch auszunutzen. Wann
übrigens S. nach London gegangen, ist auch nicht mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen; wir wissen nicht, ob er im März 1585,
als ihm zu Stratford Zwillinge geboren wurden, noch dort verweilte.
In den Stratforder Aufenthalt aber würde noch die ebensoviel erwähnte wie wenig beglaubigte Wilddiebstahlsgeschichte und der
Vorfall mit Sir Thomas Lucy zu setzen sein. Die Sache wird zuerst von dem oben erwähnten Biographen Shakespeares, Nicol. Rowe,
erwähnt. Der junge S. soll nämlich besonders auf der Besitzung des Sir Thomas Lucy Wilddiebstahl verübt und, von diesem
gerichtlich verfolgt, sich durch ein Spottgedicht auf Sir Thomas gerächt haben. Es dürfte aber nicht zu den sinnreichsten Einfällen
Rowes gehören, wenn er hinzusetzt, daß jenes Spottgedicht Shakespeares erster poetischer Versuch gewesen.
Und so wird denn auch von Malone, Knight u. a. die ganze Sache als unglaubwürdig dargestellt, während sich allerdings neuere
Kritiker, wie Halliwell und R. Geneé, zu der entgegengesetzten Annahme neigen. Man beruft sich nämlich auf einen ältern Bericht
über die Sache, der vom Pfarrer Davies aus dem Jahr 1690 herrührt. Indes beruht doch auch dieser Bericht sicherlich nur auf
mündlicher Tradition; auch die viel citierte Stelle in den »Lustigen Weibern von Windsor« (I, 1),
wo Falstaff klagt, daß Sir Lucy »seine Leute geprügelt und sein Wild erlegt habe«, scheint uns ein dürftiger Beweis: wie kleinlich
wäre diese Rache des damals auf der Höhe seines Ruhms stehenden Dichters!
Noch weniger aber als diese Wilddiebstahlsgeschichte verdienen allerhand Anekdoten über Shakespeares erstes Auftreten in
London (das man ins Jahr 1586 zu setzen pflegt) eine eingehende Prüfung, wenngleich ein so ernsthafter Mann wie Sam. Johnson
dergleichen glaubwürdig zu machen versucht hat. Anderseits läßt sich nichts dagegen einwenden, wenn Rowe sagt, daß S. nach
seiner Ankunft in London einen niedern Rang eingenommen habe. Wenn man aber geglaubt hat, über das Emporkommen
Shakespeares in London durch gewisse Dokumente einen Anhaltspunkt zu besitzen, so müssen dieselben nach Untersuchung
gründlicher Forscher für unecht angesehen werden.
? Wir meinen hiermit zunächst das Certifikat von 1589, in welchem Shakespeares Name in der Liste von 16 Schauspielern des
Blackfriarstheaters enthalten ist (vgl. Collier, New facts regarding the life of S., 1835; dagegen Halliwell, The life of S., 1848, und
Ingleby, Complete view of the S.-controversy, 1861, u. a.). Wir wissen nur, daß die Schauspieler von Blackfriars, die sich seit 1587
des Lord-Kanzlers Diener nannten, den berühmten Richard Burbage, Shakespeares Landsmann und nachmals genialen Darsteller
Shakespearescher Rollen, zu den Ihrigen zählten.
Da aber auch gewisse in Spensers Gedicht »Thränen der Musen« enthaltene Worte nicht auf S. bezogen werden können, so ist
die 1592 herausgekommene Schrift des damals eben verstorbenen Dramatikers Robert Greene: »Ein Groschenwert Witz erkauft mit
einer Million Reue« (»A groathworth of wit bought with a million of repentance«) als das älteste historische Zeugnis über die
Wirksamkeit Shakespeares anzusehen. In dieser Schrift, deren Titel sich darauf bezieht, daß der Verfasser seine geringe
Lebensweisheit teuer erkauft habe, findet sich nämlich folgende Stelle, worin er seine Freunde Marlowe, Peele etc. warnt, ihre
Geistesgaben im Dramenmachen zu vergeuden, weil sie »an Marionetten kommen, die aus unserm Mund sprechen, an Gaukler, mit
unsern Farben geziert. ... O traut ihnen nicht, denn da ist eine aufsteigende Krähe (an upstart crow), welche, mit dem Tigerherzen in
eines Schauspielers Haut gehüllt, sich die Fähigkeit zutraut, einen Blankvers auszustaffieren (to bombast-out a blancvers), so gut wie
einer von euch und, als ein vollkommener Johannes Faktotum, nach seinem Begriff der einzige Szenenerschütterer (shake-scene) im
Land ist.« Hier ist das Wortspiel mit dem Namen S. deutlich genug, ebenso die Anspielung auf Shakespeares Drama »Heinrich VI.«,
3. Teil, 1. Akt, 4. Szene (»Du Tigerherz, in Weiberhaut gehüllt«).
Wenn aber diese Stelle in Bezug auf den S. zugeschriebenen litterarischen Diebstahl durchaus dunkel bleibt, so bildet sie doch
anderseits einen sehr willkommenen und sichern Anhaltspunkt in Bezug auf die Chronologie der frühsten Shakespeareschen Stücke.
Außer innern Gründen nämlich machen es solche der Sprache und Metrik so gut wie sicher, daß um 1592 nicht nur »Heinrich VI.«,
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sondern auch »Titus Andronicus«, »Perikles«, »Verlorne Liebesmüh'«, »Die Komödie der Irrungen« und die »Beiden Veroneser«
bereits aufgeführt worden waren.
Möglicherweise sind auch »Romeo und Julie« und »Die Zähmung der Widerspenstigen« bereits in den ersten Entwürfen
vorhanden gewesen. Im übrigen ist es sicher, daß S. wie viele seiner ältern und jüngern Zeitgenossen seine Laufbahn als
Schauspieler und Theaterdichter damit begann, daß er ältere, beliebte Stücke um- und neu bearbeitete. So ist denn Shakespeares
Originalität im Gegensatz etwa zu Goethe und Schiller eine nicht mit dem ersten Stück bereits gegebene, sondern eine allmählich
sich entwickelnde.
Auf der andern Seite ist klar, daß bei dieser redigierenden Thätigkeit des zugleich selbst agierenden Dramatikers der Sinn für
den Bühneneffekt und das, was dem Publikum gefällt, sich immer kräftiger entwickeln mußte. So zeigen denn die ersten Stücke
Shakespeares in Sprache und Inhalt durchaus die Anlehnung an das damals Vorhandene und den damals herrschenden
Geschmack. Wie in den alten »Mysterien« und »Moralitäten«, die ja bis ins 16. Jahrh. hineinreichen, allegorische Personen leibhaftig
auf der Bühne auftreten, so tritt vielfach in den ersten Shakespeareschen Stücken, wenigstens den Tragödien, die Neigung zur
Allegorie und Personifizierung abstrakter Begriffe hervor, eine Neigung, die in naher Verbindung mit einem gewissen Schwulst und
Bombast der Sprache steht, der vornehmlich aus Nachahmung des vorhin genannten römischen Tragikers Seneca entspringt, am
meisten in »Titus Andronicus«, in welchem sogar Verse Senecas in lateinischer Sprache hier und da unterlaufen.
Was »König Heinrich VI.« betrifft, so hat man (jedoch ohne hinreichenden Beweis) gemeint, daß der zweite und dritte Teil des
Dramas nicht von S., sondern von Marlowe herrührten. Mit wie kunstreicher Meisterschaft der Sprache aber S. bereits ausgerüstet
war, als er seine dramatische Laufbahn begann, beweist das 1593 veröffentlichte lyrisch-erotische Gedicht »Venus and Adonis«, das
er in der Dedikation an Lord Southampton »den Erstling seiner Erfindung« (»the first heir of my invention«) nennt.
Dies etwas schlüpfrige Gedicht ist vielleicht noch in Stratford verfaßt worden. Es folgte im nächsten Jahr (1594) »Tarquin and
Lucrece«, gleichfalls in siebenzeiligen Stanzen, wie Chaucers »Troilus«, geschrieben, ein ähnliches, wenngleich gereifteres Werk.
Die Gefeiltheit beider Gedichte beweist schlagend, daß S. keineswegs ein sogen. Naturdichter, sondern von Anfang an ein höchst
kunstreicher gewesen ist. Welche Beliebtheit beide Gedichte genossen, ergibt der Umstand, daß »Venus und Adonis« zwischen 1593
und 1602 sechs, »Lucretia« in ungefähr derselben Zeit drei Auflagen erlebte.
Was nun die Chronologie der Shakespeareschen Stücke bis 1598 betrifft, so besitzen wir darüber glücklicherweise das Zeugnis
des Francis Meres. Von demselben erschien im genannten Jahr ein Werk: »Palladis Tamia, Wit's Treasury, the second part of Wit's
Commonwealth«. In diesem »Schatzkästlein des Witzes« gibt ein Abschnitt einen »Diskurs über unsre englischen Dichter im
Vergleich mit den griechischen, lateinischen und italienischen«. Dort heißt es: »Wie die Seele des Euphorbus in Pythagoras leben
sollte, so lebt Ovids anmutiger, witzreicher Geist in dem honigströmenden S.; Zeugen: seine "Venus und Adonis«, seine »Lucretia«,
seine süßen, seinen nähern Freunden bekannten »Sonette«.
Wie Plautus und Seneca in der Komödie und Tragödie als die besten unter den lateinischen Dichtern galten, so ist unter den
englischen S. der ausgezeichnetste in beiden Schauspielgattungen. Für die Komödie bezeugen dies seine »Edelleute von Verona«,
seine »Irrungen«, seine »Verlorne Liebesmüh'«, seine »Gewonnene Liebesmüh'« (»Ende gut, Alles gut«?),
sein »Mittsommernachtstraum« und sein »Kaufmann von Venedig«; für die Tragödie sein »Richard II.«, »Richard III.«, »Heinrich
IV.«, »König Johann«, »Titus Andronicus« und »Romeo und Julie«. Wie Epius Stolo sagte, daß die Musen mit Plautus' Zunge reden
würden, wenn sie lateinisch sprächen, so sage ich, daß die Musen in Shakespeares fein gefeilter Redeweise (fine-filed phrase)
sprechen würden, wenn sie englisch sprächen". Wenn in der mitgeteilten Stelle »Heinrich VI.« und »Die Zähmung der
Widerspenstigen« nicht genannt werden, so ist hieraus nur zu schließen, daß diese Stücke weniger Beifall als die angeführten
gefunden hatten.
? Wichtig aber sind die Worte bei Meres auch wegen der dort erwähnten Sonette, die erst elf Jahre später (1609) und zwar nicht
von S. selbst herausgegeben wurden. Unklar ist auch die Widmung, welche der Herausgeber, der Buchhändler Thomas Thorpe, vor
das Buch gesetzt hat. Dieselbe lautet: »Dem einzigen Erzeuger (begetter) dieser Sonette, Herrn W. H., wünscht alles Glück und jene
von unserm ewig lebenden Dichter verheißene Unsterblichkeit der wohlmeinende T. T.« Aber auch der Inhalt der Sonette ist ein
rätselhafter. Man weiß in der That nicht, wie die schwärmerische Verehrung eines unbekannten Freundes in 126 Sonetten zu
verstehen ist. Vielfache Selbstanklagen über unbezähmbare Leidenschaft in denselben scheinen die schlimmste Deutung zu
verlangen; indes bleibt durchaus unerwiesen, inwieweit wir es hier mit dem Thatsächlichen zu thun haben. Dagegen ist das letztere
unleugbar der Fall, wenn
der Dichter über den eignen mißachteten Schauspielerstand Klage führt. (Vgl. über die Sonette die Schriften von Massey:
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»Shakespeare's Sonnets«, 2. Aufl. 1872, und »The secret drama of Shakespeare's Sonnets«, 1888; H. Brown, The Sonnets of S.
solved etc., 1870, und Isaac in Herrigs »Archiv«, Bd. 61, 1879.) Nach Brown geht die Widmung der Sonette, W. H., nicht auf den
Grafen Southampton (Henry Wriothesly), sondern auf den Grafen Pembroke (William Herbert). Abgesehen von diesen wenigen
lyrischen Produkten seiner Jugendzeit, hat sich S. lediglich dem Drama gewidmet.
Wie aber der Dramatiker von vornherein über eine poetisch gefeilte Sprache und Metrik verfügte, haben wir bereits gesehen.
Indes ist auch im Versbau der Shakespeareschen Schauspiele, dem durch Marlowe ins Drama eingeführten fünffüßigen Iambus, dem
sogen. Blankvers, eine nicht unwesentliche Entwickelung zu beobachten, die für die Chronologie der Stücke von Bedeutung ist. Der
englische Kritiker Malone hat hierüber eingehende Untersuchungen angestellt; dieselben ergeben folgende Resultate: In den
jugendlichen Stücken Shakespeares findet sich eine Vorliebe für den Reim, welche je länger, je mehr nachläßt.
Man hat gefunden, daß, während in »Love's labour's lost«, unzweifelhaft einem der frühsten der Dramen, die Zahl der gereimten
Zeilen diejenige der ungereimten ungefähr im Verhältnis von zwei zu eins übersteigt, im »Hamlet«, einem Stück der mittlern Periode,
einige 30 ungereimte Zeilen auf eine gereimte kommen, während in »Winter's tale«, sicherlich einem der spätesten Stücke, in mehr
als 1800 Versen sich nicht ein einziger Reim findet. Es ist ferner bemerkt worden, daß in den ältesten Stücken ein Abschnitt des
Sinnes mit dem Ende der Zeile zusammenfällt, so daß meistens am Ende des Verses eine natürliche Pause eintritt. In den spätern
Stücken aber ist die Behandlung der Metrik eine freiere. (Vgl. Walker, Shakespeare's versification, Lond. 1854.)
Nachdem S. bereits zwischen 1604 und 1606 als Schauspieler von der Bühne zurückgetreten (daß er Miteigentümer des 1595
eröffneten Globetheaters war, wurde indes neuerdings von Halliwell bestritten), um fortan nur noch als Dichter für dieselbe zu wirken,
zog er sich (vielleicht erst 1613 oder 1614) in seine Geburtsstadt zurück, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Seine
Vermögensverhältnisse hatten sich sehr günstig gestaltet. Bereits 1597 hatte er eins der ansehnlichsten Häuser in Stratford (»New
Place«) angekauft; wiederholte neue Erwerbungen von Häusern und Grundstücken dort wie in London folgten, und schon 1608
schätzte man sein jährliches Einkommen auf mindestens 300 Pfd. Sterl., was nach Halliwell einem Wert von 1000 Pfd. Sterl. unsrer
Zeit entsprechen würde. In diese seine spätere Lebenszeit fallen unter andern die Dramen: »König Lear«, »Antonius und Kleopatra«,
»Macbeth« und (wohl als seine letzten Dichtungen) »Der Sturm« sowie »Wintermärchen«. Nicht lange sollte sich der Dichter der
behaglichen Zurückgezogenheit in seiner Vaterstadt erfreuen.
Nachdem er im März 1616 sein ausführliches Testament entworfen, ereilte ihn (wahrscheinlich plötzlich, ohne vorausgegangene
Krankheit) der Tod 23. April 1616, nach Vollendung des 52. Lebensjahrs. Am 25. April wurde er in der Kirche zu Stratford an der
Nordseite beigesetzt; er selbst soll seine Grabschrift verfaßt haben. Auch wurde einige Jahre später seine steinerne bemalte Büste
dort aufgestellt, die noch vorhanden ist. Seine Witwe und seine an den Arzt Dr. Hall verheiratet gewesene Tochter Susanna liegen an
seiner Seite bestattet. Mit der Tochter der letztern, Elisabeth, erlosch 1670 die Familie des Dichters.
Von angeblichen Bildnissen Shakespeares sind besonders zwei zu nennen: das sogen. Chandosporträt, das ursprünglich dem
Schauspieler Burbage (s. d.) gehört haben soll und später in den Besitz des Herzogs von Chandos kam (der verbreitetste Typus),
und ein Ölbild von Corn. Jansen, das sich im Besitz des Herzogs von Somerset befindet (vgl. Boaden, Inquiry into the authenticity of
various portraits of S., Lond. 1824). Eine Bildsäule des Dichters (von Kent und Scheemakers) steht seit 1741 im »Dichterwinkel« der
Westminsterabtei zu London; eine andre (von Ward) wurde ihm neuerdings im Zentralpark zu New York errichtet.
Shakespeares Dramen. Während der ersten Epoche seines dramatischen Schaffens erscheint S., wie bereits angedeutet, noch
fast ganz auf den ästhetischen Bahnen, die seine unmittelbaren Vorgänger und die gleichzeitigen Dichter Englands auf demselben
Kunstgebiet innehielten. Die frühsten Stücke, welche unter seinem Namen gehen, sind sogar fast sämtlich nur Bearbeitungen älterer
Dramen. Bezüglich einzelner dahin zu rechnender Dichtungen herrscht noch heute Streit darüber, ob überhaupt Shakespeares Hand
damit zu schaffen gehabt hat, zumeist über »Titus Andronicus«, der, wenn er von S. herrührt, jedenfalls eine seiner frühsten Arbeiten
ist.
Das Urteil der englischen Kritiker Collier und Knight schreibt das Stück unbedingt S. zu; Brake, Coleridge, Ingleby, Dyce
verwerfen es als völlig unecht. Von den deutschen Shakespeareforschern teilen unter andern Gervinus und Kreyßig das Urteil der
erstern. In der That aber wird trotz der unleugbaren Roheit und des geschmackwidrigen Bombastes der Diktion der unbefangene
Blick, auch abgesehen von dem Zeugnis Meres', der 1598 »Titus Andronicus« als ein Stück Shakespeares nennt (s. oben), Spuren
des Shakespeareschen Genius in dem Stück entdecken, welche dessen Ursprung unzweifelhaft machen.
Noch freilich fehlt in der Charakteristik die Feinheit der Nüancen, welche uns in den spätern Dramen Shakespeares entzückt;
noch verfährt der Dichter bezüglich der dramatischen Wahrscheinlichkeit mit einer Willkür, die bei ihm später in solchem Maß nur
selten wieder anzutreffen ist; aber inmitten dieser Mängel, inmitten der Überladung des faktischen Stoffes, der Verwechselung des
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Gräßlichen mit dem Tragischen ragen nicht wenige Einzelheiten an dichterischem Wert weit über das, was die gleichzeitigen Dramen
andrer Verfasser bieten, hervor.
Im »Perikles« sehen einige nur die stellenweise Umgestaltung einer ältern Dichtung durch Shakespeares Hand. Dryden
bezeichnete das Stück 1675 als das erste des Dichters. Daß es nicht kurz vor der Zeit, in welcher es zuerst unter Shakespeares
Namen gedruckt erschien (1609), verfaßt, daß es vielmehr schwerlich viel später als 1590 entstanden ist, lehren innere Gründe.
Jedenfalls zeigt es Shakespeares Hauptkunst, die Umgestaltung epischer Erzählung in dramatische Handlung, noch auf niedriger
Stufe. Mit aufdringlicher Deutlichkeit spricht aus dem Stück eine ziemlich triviale sittliche Lehre; statt einheitsvoller Handlung bietet es
nur eine dürftige Einheit in der verherrlichten Person. Dennoch aber reckt sich, wo der Stoff dazu angethan, die Klaue des Löwen
hervor, und vorzugsweise die Szenen, wo Perikles und Marina spielen, atmen den echten Geist Shakespeares.
? Auch in Hinsicht auf die Echtheit des ersten Stückes der Trilogie, welche die Reihe der sogen. Historien
Shakespeares eröffnet, den ersten Teil von »Heinrich VI.«, besteht Meinungsverschiedenheit. Der überwiegende Teil der
kompetenten Stimmen bestreitet dieselbe. In der That weist das Stück eine so große Menge chronologischer und historischer Fehler
auf wie keins der übrigen geschichtlichen Dramen des Dichters, wie auch anderseits die Sprache des Stückes von allen, die unter
Shakespeares Namen überliefert sind, am wenigsten shakespearisch zu nennen ist.
In die jugendlichste Epoche Shakespearescher Dichtung gehört ferner die »Komödie der Irrungen«, die um 1590 entstanden ist
und zur Grundlage eine englische Übersetzung der »Menächmen« des Plautus hat. In Sprache und Bau verrät sich das Stück als
eine der frühsten Gaben der Shakespeareschen Muse. Hier, wie im »Titus«, souveränes Ignorieren der Wahrscheinlichkeitsgesetze;
gegen die spätern Lustspiele gehalten, wird die feinere Kunst der Charakteristik, die sittliche Vertiefung der Komik vermißt; der Spaß
macht sich mehr geltend als der Witz. Und dennoch läßt sich schon in diesem Jugendspiel, besonders wenn man seine
verschlungenen Fäden mit denen der Plautinischen Komödie zusammenhält, der Reichtum des künftig über alle Gebiete des Lebens
in Ernst und Scherz herrschenden Dichtergeistes ahnen.
Auch dem »Sommernachtstraum« weist der concetti- und antithesenreiche Stil, die häufige Allitteration, der Mangel scharfer
Charakteristik und deutlicher Motivierung gleichfalls unter den frühern Arbeiten des Dichters seinen Platz an. Vermutlich wurde diese
liebliche Dichtung, in der eine unendliche Zartheit der Naturanschauung, verwoben mit urwüchsiger Komik, so bezaubernd wirkt, zu
einer festlichen Gelegenheit (nach Tieck zur Hochzeit des Grafen Southampton) verfaßt. Zu dem nicht viel später geschriebenen
Stück »Die beiden Veroneser« entnahm der Dichter die Fabel einer Episode des berühmten Schäferromans »Diana« von
Montemayor. In Hinsicht auf die Nichtbeachtung der dramatischen Wahrscheinlichkeit steht das Lustspiel den »Irrungen« nahe,
übertrifft aber diese an psychologischer Feinheit und an volkstümlicher Komik.
Fast gleichzeitig mit den »Veronesern« (um 1591) mag das Lustspiel »Verlorne Liebesmüh'« entstanden sein. Es teilt mit den
frühsten Dramen Shakespeares den namentlich durch mythologische Beziehungen gegebenen gelehrten Anstrich, die ältere
englische Versbildung und den häufigen Gebrauch des Reims; in der formellen Behandlung steht es im ganzen sogar den
vorgenannten Stücken nach. Dennoch zeigt es den Dichter fortgeschritten, insofern es entschiedener als die frühern Dichtungen eine
beherrschende Idee, fein verwoben in die Handlung, durchschimmern läßt und die sittliche Gerechtigkeit, die in der echten Komödie
so wenig wie in der echten Tragödie fehlen kann, in der Bestrafung eitler Ruhmsucht an ihren mannigfaltigen Vertretern in dem Stück
zur entschiedenen Geltung bringt.
Einen äußerlichen und innerlichen Gegensatz zu »Verlorne Liebesmüh'« stellt »Ende gut, Alles gut« dar. Aus dem gezierten
italienischen Stil jenes Lustspiels tritt man hier in den naturwüchsig englischen der spätern Stücke Shakespeares, aus dem
spielenden, in handlungsarmer Redseligkeit sich ergehenden Ton in den schlichter Natürlichkeit und energischer Thatenfreude. Den
wunderlichen, in der dargestellten Handlung unser Gefühl bis zum Verletzen befremdenden Stoff entnahm S. der von Boccaccio
erzählten Geschichte »Giletta von Narbonne«; die psychologischen Schwierigkeiten, welche die vorgeführten Begebenheiten in sich
schließen, sind größtenteils mit Meisterschaft überwunden. Das Stück ist zugleich eine der schönsten Huldigungen, welche S. dem
weiblichen Geschlecht gespendet hat. Wie uns die Dichtung jetzt vorliegt, ist sie offenbar die Überarbeitung einer in die erste Epoche
von Shakespeares Schaffen gehörigen. Zwei Stilarten sind, wie Coleridge dargethan, darin deutlich nebeneinander wahrzunehmen;
der größte Teil des Lustspiels kann seine gegenwärtige Fassung erst etwa 1601-1602 erhalten haben.
Zwischen 1591 und 1593 ist vermutlich auch die Entstehung von »Romeo und Julie« zu setzen. Dies »glühendste, süßeste und
leidenschaftlichste« der Werke Shakespeares ist dem Stoff nach einer poetischen Erzählung des Engländers Arthur Brooke entlehnt,
welche zuerst 1562 erschien und ihrerseits wieder nur die Bearbeitung einer Novelle von Bandello ist. Shakespeares Dichtung, die
von jeher für eine Art Typus aller Liebespoesie gegolten hat, trägt bei allem Reichtum an unübertrefflichen Schönheiten die Züge
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einer jugendlichen Arbeit. Ihre Diktion erinnert an den Sonettenstil des Dichters, ihr Pathos steigert sich an vielen Stellen zum
Schwülstigen; als ein Werk des jungen S. aber offenbart sie sich auch durch eine Fülle lyrischer Elemente, die in einzelnen
Situationen geradezu die Form stehender Arten damaliger Lyrik annehmen.
Nun wandte sich S. zur Bearbeitung historischer, zunächst der englischen Geschichte angehörender, Stoffe. Spätestens 1594
entstand »Richard II.«, der ein Grundgesetz des politischen Lebens (freilich nur in der Lehrweise, wie sie echte Dichter üben)
vorträgt, eine Lehre über »das Königtum von Gottes Gnaden und das Recht der Unverletzlichkeit«. S. folgt in diesem Stück noch
treuer als in irgend einer andern der Historien seiner für die meisten derselben fast ausschließlich benutzten Quelle, der Chronik von
Holinshed; doch scheint ihm daneben auch wieder eine ältere dramatische Dichtung Anhalt geboten zu haben.
Auch von »Richard III.« (1596) lagen zwar ältere Bearbeitungen vor, doch scheint Shakespeares selbständige Urheberschaft hier
unzweifelhaft. Das wunderbare Stück, welches in Hinsicht auf tragische Kühnheit zu den gewaltigsten des Dichters zu zählen ist,
zeigt in dem Helden, welcher als »Gottesgeißel eines durch eigne Schuld dem Verderben geweihten Geschlechts« erscheint, mit
erschütternder Wahrheit das Weltgericht in der Weltgeschichte und bringt in der tragischen Selbstvernichtung des Hauses York ein
Grundgesetz allgemeiner Sittlichkeit zur Darstellung.
Die beiden letzten Teile von »Heinrich VI.« sind unmittelbar darauf gedichtet worden. Springt auch hier die Anlehnung an
vorhandene fremde Dichtungen in die Augen, so ergibt doch gerade der Vergleich der Schöpfung Shakespeares mit der erhaltenen
Grundlage die wunderbare Macht und Zauberkraft seines Genies besonders deutlich. Dasselbe gilt von dem zunächst entstandenen
Stücke »König Johann«, das durch die Sorgfalt der Ausführung in Sprache und Charakterzeichnung trotz des herben Geistes, der
das Ganze beherrscht (wir erinnern nur an die schauerlich ergreifende Szene von der Blendung Arthurs),
sich den besten selbständigen Werken des Dichters zugesellt.
? Einen Übergang zu den Werken einer zweiten, reifern Epoche Shakespeares macht der gleichfalls von Meres 1598 im
»Schatzkästlein des Witzes« erwähnte »Kaufmann von Venedig«. Mit dem »Sommernachtstraum« hat dieses Stück den Zauber des
Märchenhaften gemein; beide Dichtungen mögen auch hinsichtlich ihrer Abfassung einander nahestehen und etwa um 1594
geschrieben sein. Der Handlung im »Kaufmann von Venedig« liegen zwei Erzählungen
zu Grunde, die sich getrennt in der bekannten mittelalterlichen Märchensammlung der »Gesta Romanorum« finden, zu deren
bizarrem Inhalt S. noch eine Entführungsgeschichte aus Masuccio di Salerno gefügt hat. Wie in keiner andern Dichtung
Shakespeares, sind in dieser die scheinbar heterogensten und entlegensten thatsächlichen Verhältnisse miteinander kunstvoll
verbunden und in wundervoller Architektonik zusammengefügt. Auch in der als Komödie in der Komödie aufgefaßten »Zähmung der
Widerspenstigen«, der Ausführung eines ältern englischen Stückes, sind zwei Handlungen verknüpft, deren eine bereits von Ariost
dramatisch verwertet war. Wie in andern Lustspielen Shakespeares triumphiert hier einfache, natürliche Sittlichkeit über verschrobene
Unnatur.
Es folgen (1596-98) die beiden Teile von »Heinrich IV.« Der Erfolg dieses in der Anlage unendlich einfachen und fast kunstlos
erscheinenden, in der Kunst der Charakteristik aber (es sei nur an die unübertroffenen Gestalten des Prinzen Heinrich und seines
Freundes Falstaff erinnert) zu den größten Meisterstücken aller dramatischen Dichtung zählenden Werkes war enorm; einzelne
Figuren desselben gewannen typische Bedeutung, und eine massenhafte Produktion im Gebiet der historischen Dramatik folgte
seinem Erscheinen auf der Londoner Bühne.
Dagegen ist der etwa 1599 verfaßte »Heinrich V.« in Bezug auf die poetische Kraft der Szenen sehr ungleich, in Hinsicht auf den
organischen Zusammenhang derselben sogar schwächer als beinahe alle übrigen Shakespeareschen Historien. Immerhin großartig
aber wirkt in diesem Stück der Patriotismus Shakespeares, der sich hier als echten Engländer erweist, keineswegs als einen Dichter,
der »höher steht als auf den Zinnen der Partei«. Die Franzosen als Feinde Englands erfahren hier eine Charakteristik, die zu dem
Bittersten gehört, was bis auf den heutigen Tag über sie gesagt worden ist.
Es reihen sich der Entstehung nach an »Heinrich V.« einige der liebenswürdigsten Gaben der komischen Muse Shakespeares,
die sämtlich an der Grenzscheide des 16. und 17. Jahrh. entstanden sind, nämlich die Lustspiele: »Wie es euch gefällt«, das in
manchem Betracht an den »Sommernachtstraum« erinnert, indem, wie dort, mutwillige Phantastik ohne Rücksicht auf Zeit und Raum
das dramatische Zepter führt;
»Viel Lärm um nichts«, eine mit feinster Motivierung scheinbar widersinniger Begebenheiten ausgestattete Komödie, deren Stoff
die von Bandello novellistisch bearbeitete Geschichte von Ariodante und Ginevra aus dem Ariost hergegeben hat;
»Was ihr wollt«, das sinnig-heiterste der Lustspiele Shakespeares;
endlich »Die lustigen Weiber von Windsor«, die nach der Tradition auf ausdrücklichen Wunsch der Königin Elisabeth von dem
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Dichter gegebene Darstellung Falstaffs in Liebesnöten, ein Werk voll komischer Drastik, und realistischer als Shakespeares übrige
Komödien.
Gleichfalls um 1600, zwischen oder unmittelbar nach jenen heitern Gebilden, wurde nach einer Erzählung aus den
»Hekatommiti« von Giraldi Cintio der »Othello« verfaßt, jenes düstere Nachtstück, dessen Reiz wesentlich in der fast grauenhaften
Treue besteht, mit welcher darin die furchtbare Leidenschaft, die »mit Eifer sucht, was Leiden schafft«, dargestellt ist, während eine
eigentliche tragische Versöhnung und Erhebung nicht erreicht ist.
Der »Hamlet«, Shakespeares tiefsinnigstes Werk, hat die Gestalt, in der wir das Stück heute lesen, um 1601-1602 erhalten. Die
Grundzüge der Handlung entnahm der Dichter einer nordischen, zuerst von dem dänischen Chronisten Saxo Grammaticus erzählten
Sage, die ihm in einer novellistischen Bearbeitung des Franzosen Belleforest vorlag. In den hier vorgefundenen, von S. mit
ungewöhnlicher Freiheit behandelten Stoff hat der Dichter eine Welt von Gedanken hineingetragen, an deren Verständnis sich seit
der Wiedererweckung des Shakespearestudiums die tiefsten und schärfsten Geister, besonders in Deutschland, abgemüht haben,
ohne daß eine alles befriedigend lösende Erklärung dessen, was S. sicherlich mehr in instinktiver Genialität als mit bestimmter
Absicht »hineingeheimnißt« hat, bis heute gefunden ist.
Mit seiner nächsten Schöpfung unternahm S. den ersten seiner Versuche, antik-römische Lebensbilder zu dramatischer
Gestaltung zu bringen. Für »Julius Cäsar«, der um 1602 gedichtet ist, wie für die übrigen Römerdramen benutzte der Dichter in sehr
genauem Anschluß, welcher nur selten durch eigne Erfindungen unterbrochen ist, die Lebensbeschreibungen des Plutarch in der
englischen Übersetzung von North. Man hat in den erwähnten Stücken die treue Wiedergabe antiken Lebens mit Bewunderung zu
erkennen geglaubt, eine Täuschung der Shakespeareomanen, welche vor unbefangenen Blicken nicht besteht. Höchster
Bewunderung würdig bleibt aber in »Julius Cäsar« die Kunst des Dichters, mit der dem an sich fast dürftigen Stoff der Erzählung das
intensivste dramatische Leben verliehen ist.
In dem gleichfalls 1603 geschriebenen Lustspiel »Maß für Maß«, dessen scheinbar höchst mißlicher Stoff, wie der des »Othello«,
einer Novelle des Giraldi Cintio entlehnt ist, schuf S. eins seiner tiefsinnigsten Gedichte, bei dem wir zwar über gewisse peinliche
Elemente der dargestellten Handlung nur mit Mühe hinauskommen, dessen ethischer Grundgedanke aber für die Verletzungen des
ästhetischen Gefühls durch die vorgeführte Begebenheit reichlich entschädigt.
Noch großartiger als »Othello« ist der zwischen 1605 und 1606 gedichtete »König Lear«, eins der grandiosesten, wenn auch
bisweilen grausigsten Dramen, die je ein Publikum erschüttert haben. Der Wahnwitz im alten Lear ist mit so psychologischer Wahrheit
und Gewalt entwickelt, daß Irrenärzte denselben zum speziellen Studium gemacht haben. Wie erschütternd und grauenvoll das
Ganze der Handlung aber auch ist, wie abstoßend auch die gefühllosen Töchter Regan und Goneril uns berühren, so fehlt es doch
keineswegs darin an versöhnenden und harmonischen Elementen: echt wie Gold ist die Treue Kents, und die kindliche Liebe
Cordelias umfließt die furchtbare Handlung wie eine süße Musik, in deren Akkorden sich zuletzt alles harmonisch auflöst.
Noch höher an echt tragischer Gewalt steht Shakespeares nächste Schöpfung, der wahrscheinlich 1605 gedichtete »Macbeth«,
nach des englischen Shakespeareologen Drake Urteil »das erhabenste und wirksamste Drama, welches die Welt je gesehen«,
jedenfalls aber unter des Dichters Werken das bühnenwirksamste und bei der szenischen Darstellung ergreifendste. Charakteristisch
für dieses Drama, das man die Tragödie des Ehrgeizes genannt hat, ist auch die fast gänzliche Abwesenheit komischer Bestandteile,
während S. es sonst liebt, den Eindruck des Tragischen durch Einflechtung des Komischen zu erhöhen.
? Der Zeit nach dürfte auf »Macbeth« das zweite der Römerdramen: »Antonius und Kleopatra« (1606-1607), folgen, ein Stück,
das die verschiedenartigsten Beurteilungen erfahren hat. Das Richtige hat wohl A. W. v. Schlegel angedeutet, wenn er sagt, das
Stück sei zwiespältigen Charakters. Es sind nämlich diejenigen Szenen des Stückes, welche sich mit den betreffenden politischen
Ereignissen
befassen, entschieden mager und dürftig in der Ausführung, mit Ausnahme der berühmten Ensembleszene auf der Galeere;
dagegen sind die um Kleopatra und das Liebespaar sich gruppierenden Szenen von unvergleichlicher Kunst und Wirkung, und gern
unterschreibt man das Urteil, das G. Freytag in seiner »Technik des Dramas« gefällt hat, daß die Szenen im Monument der Kleopatra
(die den Selbstmord derselben vorbereitenden und darstellenden Szenen) zu dem Großartigsten gehören, was S. geschaffen hat.
Es folgt »Troilus und Cressida« (1607), ein wunderliches Stück, das man wohl eine Parodie auf die Homerische Dichtung
genannt hat. Auffallend in demselben ist die Parteinahme Shakespeares für die Trojaner, die mit Homer im Widerspruch steht, die
indes aus dem Anschluß Shakespeares an die mittelalterliche Troilus-Dichtung erklärt werden kann. Ein seltsames Kunstwerk ist
übrigens dies Stück auch, insofern es eine Komödie mit ganz tragischem Abschluß ist.
»Coriolan« schließt des Dichters Darstellungen aus dem römischen Leben ab (1607-1608). Es ist ein Gedicht von reicher
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sprachlicher Pracht, das in gewaltigen Zügen die »Selbstvernichtung einer aristokratischen Heldennatur durch Selbstüberhebung«
darstellt. Ihm folgte in der Reihe der Schöpfungen Shakespeares das unpopulärste aller seiner Werke (vielleicht »Titus Andronicus«
ausgenommen),
»Timon von Athen«, eine Art düsterer moralphilosophischer Studie voll dunkler Farben und harter Umrisse, aber auch voll hoher
Gedanken, die das Stück den inhaltreichsten des Dichters zugesellen. Um 1609 fällt die Abfassung des bezaubernden Dramas »Der
Sturm«, das in gewissen Bestandteilen den damals am englischen Hof so beliebten und von Ben Jonson gepflegten sogen.
»Masques« beizuzählen ist.
Das von Sam. Johnson wegen der »Thorheit der Erfindung, der Sinnlosigkeit der Entwickelung« gänzlich verurteilte, neuerdings
dagegen, besonders von Schlegel und Gervinus, als den wundervollsten Dichtungen Shakespeares zugehörig gepriesene Drama
»Cymbeline« (1609) verdient weder den Tadel des berühmten englischen Kritikers noch die Verherrlichung der deutschen Beurteiler
in dem gedachten Umfang. Das Beste darin ist der reiche Gedankengehalt, welchen es bietet, während es in Bezug auf seinen
eigentlich dramatischen Wert entschieden zu den schwächern Erzeugnissen der Muse Shakespeares zu zählen ist.
Ein ähnliches Gemisch des Ernsten mit dem Idyllisch-Heitern, des Sentimentalen mit dem Komischen tritt uns in dem
»Wintermärchen« (1611) entgegen. Den Stoff entnahm der Dichter einem halb ritter-, halb schäferlichen Roman von Green
(»Dorastus und Fawnia«); an poetischem Wert kommt das Drama, so köstliche Einzelheiten es bietet, dem »Sturm« nicht gleich. Als
das letzte Drama Shakespeares bezeichnet die neueste Kritik »Heinrich VIII.« (1613), das mit den übrigen verwandter Art nicht auf
gleicher Höhe steht und organischen Zusammenhang der Handlung, Einheit der Charaktere, bedeutende Grundidee vermissen läßt.
Vielleicht gehört die Ausführung nicht durchweg unserm Dichter an.
Über den Gesamtkunstwert der Schöpfungen Shakespeares (von einer Anzahl früher auf Rechnung des Dichters gesetzter,
offenbar unechter Dramen sehen wir ab) sind zu verschiedenen Zeiten die Meinungen der Beurteiler sehr verschieden gewesen.
Sogar während der Lebenszeit des Dichters und in unmittelbarer Nähe seines Schaffens herrschte durchaus nicht die fast unbedingte
und einstimmige Bewunderung, welche einzelne englische und deutsche Kritiker der Neuzeit für ihn in Anspruch nahmen.
Ben Jonsons Prolog zu seiner Komödie »Every man in his humour« (1598) kann hier als Ausgangspunkt einer Kritik angesehen
werden, die auf realistischer Basis das Unwahrscheinliche in Shakespeares Stücken und die romantischen Elemente darin überhaupt
zu tadeln unternimmt. Schwerlich hätte sonst S. bald nach seinem Tod bei seinen Landsleuten fast gänzlich in Vergessenheit geraten
und eine genauere Bekanntschaft mit seinen dichterischen Schöpfungen in Deutschland und dem übrigen Europa sich erst nahezu
200 Jahre nach dem Tode des Dichters verbreiten können. In England, wo der finstere Geist des Puritanertums seit der Mitte des 17.
Jahrh. allem heitern Lebensgenuß und so auch den Spielen der Kunst siegreich den Krieg gemacht hatte, ist erst seit etwa 1740 das
Bewußtsein von der Existenz der Werke Shakespeares wieder lebendig, das Wissen von deren Größe und Bedeutung aber
überhaupt erst allgemeiner geworden, nachdem Garricks Meisterschaft den Gestalten des Dichters auf der Bühne neues und in
mancher Hinsicht früher ungeahntes Leben verschafft hatte.
Dann wurde das bessere Verständnis für die Kunst Shakespeares auch bald nach Deutschland getragen, wo man, seitdem
überhaupt eine Kenntnis von dem Dichter dahin gelangt war, in seinen Werken alles, nur keine Kundgebung wahrer Künstlerschaft
gefunden hatte, bis Lessings scharf und tief blickender Geist dieselbe darin erkannte und nachwies. Im Gegensatz zur damals
herrschenden französischen Tragödie weist Lessing auf S. hin und zeigt, wie ungleich tiefer und wahrer dieser ist als die Franzosen.
Durch seinen Einfluß geschah es, daß man das Versmaß des französischen Theaters (den Alexandriner) aufgab und das
Metrum der Engländer, den fünffüßigen Iambus, in das deutsche Drama einführte. Die Übersetzungen Eschenburgs und Wielands,
die Bühnendarstellungen Schröders verbreiteten in der Folgezeit bei uns die Bekanntschaft mit den poetischen Gebilden des
wundersamen britischen Genies, wenn auch in mangelhafter Gestalt. Goethes beredte Bewunderung lenkte die Augen der deutschen
gebildeten Welt entschiedener auf die Schönheiten und den verborgenen Gehalt des den meisten noch rätselhaften
Dichterphänomens.
Später eroberte A. W. v. Schlegels Übersetzung die Meisterwerke des Briten unsrer Nation zum sprachlichen Eigentum, und seit
dem Anfang dieses Jahrhunderts haben sich dann englische und deutsche Forscher um die Wette bemüht, die Schätze, die in
Shakespeares Dichtungen verborgen liegen, zu heben, ihren Wert und Reichtum zu bestimmen sowie dem Leben und Schaffen des
Dichters, soweit es irgend möglich, bis in die intimsten Beziehungen historisch und kritisch nachzuspüren.
? Der um die Mitte des 18. Jahrh. verbreitete Wahn, als seien Shakespeares Werke nichts weiter als kolossale Erzeugnisse eines
regellos wilden Dichtergenies, ungeheuerliche Ausgeburten einer unendlich reichen, aber ungebändigten Phantasie (eine Vorstellung,
die, wie wir oben sahen, bis auf Milton zurückgeführt werden kann), hat vor den Belehrungen Lessings, Goethes, Schlegels und
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einzelner Kritiker Englands längst zu nichte werden müssen. Einen verwirrenden und verdunkelnden Einfluß aber übte die
überschwengliche Kritik L. Tiecks und der Romantiker, die auf die nüchternen englischen Forscher vornehm herabsahen und
gleichsam im Alleinbesitz des Verständnisses des Dichters zu sein sich den Anschein gaben. Später kam die in Deutschland am
geistvollsten durch Gervinus vertretene Auffassung, nach welcher
in den Werken des Dichters statt wilder, fesselloser und völlig naturalistischer Phantastik die feinste künstlerische Organisation,
die bis ins Einzelnste durchgeführte dramatische Architektonik zu finden sein sollte, für eine Zeitlang zu fast ausschließlicher Geltung.
Erst ganz neuerdings ist auch dieses ästhetische Dogma wiederum von kompetenter Seite angefochten und, wie die mannigfache
Zustimmung beweist, welche G. Rümelins bedeutsames Buch »Shakespearestudien« (Stuttg. 1866, 2. Aufl. 1874) gefunden hat, zum
Wanken gebracht worden. Rümelin weist mit großem Scharfsinn und vielfach mit unzweifelhaftem Erfolg nach, daß die neuere
Shakespearekritik, vorzüglich die deutsche, auf den Abweg überschwenglichen Idealisierens hinsichtlich des Kunstwerts der
Dichtungen Shakespeares geraten ist.
Für den unbefangenen Beurteiler ergibt nun schon die Thatsache, daß eine so mannigfaltige Auffassung der Werke unsers
Dichters von geistreichen und kundigen Männern vertreten worden ist, wie wunderbar reich der Genius sein muß, der sich so
mannigfach be- und verurteilen, er- und verkennen hat lassen müssen. S. darf in der That wohl der reichste Dichtergeist, den die
Geschichte der Vergangenheit aufweist, genannt werden. Es darf nicht mehr bezweifelt werden, daß in diesem Reichtum auch die
Gabe höchster künstlerischer Schöpferkraft mitbegriffen war, nur daß man nicht vollendete Kunst in jede Szene, wenn möglich in
jedes Wort der Dramen Shakespeares hineinkünsteln wolle, daß man den Dichter nicht mit einem bewußten ästhetischen Wollen und
Vollbringen ausstaffiere, wo er das Höchste und Unübertreffliche nur in dem geheimnisvollen Zug des schöpferischen Instinkts
gefunden hat.
S. besaß alle wesentlichen Eigenschaften des dramatischen Dichters und einzelne in einem so großen Maß wie kein andrer.
Zunächst war ihm die Fähigkeit, Begebenheiten und Thatsachen aus dem überlieferten oder selbsterfundenen thatsächlichen Stoff
zur lebendigen Handlung, die sich in unmittelbarer Gegenwart vor den Augen des Betrachters abspielt, umzuwandeln, in
eminentestem Grad verliehen, nicht minder aber die Gabe, die eigne individuelle Denk- und Handlungsweise in die Gedanken und
das Thun fremder Persönlichkeiten aufgehen zu lassen. Er hat gleichsam in allen Zungen geredet, welche sich in dem Durcheinander
des menschlichen Lebens vernehmen lassen.
Dabei war er in den Tiefen der Menschenseele zu Hause; ein Herzens- und Gedankenkündiger ohnegleichen, spricht er die
Sprache aller Stände, aller Geschlechter, jedes Lebensalters mit wunderbarer psychologischer Wahrheit. Diese Begabung ersetzt
den Mangel theoretischer Studien, welcher mehrere seiner Dramen besonders im Vergleich mit neuern (z. B. mit Schillers reifern)
Bühnendichtungen nicht fehlerlos erscheinen läßt. Shakespeares Größe besteht also vor allem in seiner tiefen Erkenntnis des Weltund Menschenwesens, in der wunderbar reichen Gedankenfülle, die er aus der Beobachtung des irdischen Treibens geschöpft, und
in der sprachlichen Gewalt und Schönheit, mit der seine Gedanken aus seinen Werken zu uns reden.
Gesamtausgaben. Übersetzungen. Bei Lebzeiten des Dichters erschien nur eine Anzahl seiner Dramen (im ganzen 22) in
Einzeldrucken (Quartformat), von denen verschiedene neuerdings faksimiliert herausgegeben wurden, z. B.
»Mittsommernachtstraum« 1600 (zweimal, beide Drucke reproduziert in Photolithographie, mit Einleitung von Ebsworth, Lond. 1880),
»Hamlet« 1603 und 1604 (beide reproduziert mit Einleitung von Furnivall, das. 1880),
»Die lustigen Weiber« 1602 (faksimiliert, das. 1880) u. a. Die älteste Gesamtausgabe der Dramen wurde 1623 von zwei
Freunden des Dichters, Heminge und Condell, veranstaltet; sie erschien unter dem Titel: »Mr. William Shakespeare's comedies,
histories and tragedies. Published according to the true original copies« u. enthält in einem Folioband die noch in den heutigen
gewöhnlichen Sammlungen zu findenden 37 Stücke. Eine Faksimileausgabe derselben, herausgegeben von Staunton, erschien
1866. Drei weitere Folios (von 1632, 1664 u. 1685) folgten nach.
Die spätern Herausgeber, wie Rowe (1709 u. 1714), Pope (1725), Theobald (1733), Warburton (1747) u. a., waren bestrebt, die
zahlreichen Mängel und Inkorrektheiten des Textes jener alten Drucke zu beseitigen; aber die richtige, kritisch-philologische Methode
in der Bearbeitung des Dichters ward hauptsächlich erst durch die Ausgaben von Johnson und Steevens (1773, 10 Bde.; 7. Ausg.
1821, 21 Bde.) und von Malone (1790, 11 Bde.; neu hrsg. von Boswell, 1821, 21 Bde.) begründet, welche in England geraume Zeit
hindurch die beliebtesten waren.
Unter der Menge von Ausgaben, welche das 19. Jahrh. gebracht hat, sind als die wertvollsten zu bezeichnen: die von Collier
(Lond. 1842-44, 8 Bde.; 1858, 6 Bde.; in 1 Bd. 1853), von Hazlitt (1851, 4 Bde.; neue Ausg. 1860, 5 Bde.), von Knight (1857-63, 12
Bde.; 1875, 6 Bde.), von Dyce (5. Aufl. 1886, 10 Bde.), von Grant White (Boston 1857-65, 12 Bde.; 1885), von Staunton (neue Ausg.,
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Lond. 1882, 10 Bde.), von Clark und Wright (Cambr. 1863-66, 9 Bde.), die Prachtausgabe von Halliwell (1852 ff., 20 Foliobände),
»The Royal Shakspere« mit Einleitung und Biographie von Furnivall (Lond. 1880 ff.) und die »Variorum edition« von Furneß (Philad.
1871 ff.). Diesen englischen Editionen schließt sich die kritische, mit (deutschen) Anmerkungen versehene Ausgabe von Delius (5.
Aufl., Elberf. 1882, 2 Bde.),
von dem auch eine Ausgabe der »Pseudo-Shakespeareschen Dramen« (das. 1853, 3 Hefte) vorliegt, sowie die von Wagner und
Pröscholdt besorgte (Hamb. 1879 ff.) würdig an. Kritische Ausgaben der »Sonnets« veröffentlichten Massey (2. Aufl., Lond. 1872) u.
Dowden (das. 1881).
Die älteste deutsche Übersetzung der Werke Shakespeares ist die (in Prosa abgefaßte) von Wieland (Zür. 1762-66, 8 Bde.),
welche 22 Stücke umfaßt und der nachfolgenden, verbessernden und ergänzenden Übertragung von Eschenburg (das. 1775-82, 13
Bde.; umgearbeitete Ausg., das. 1798-1806, 12 Bde.) zur Grundlage diente. Um jene Zeit brachte auch Schröder Bearbeitungen der
Wieland-Eschenburgschen Übersetzungen auf die Bühne. Dann erschien 1797 bis 1801 in 8 Bänden, denen sich 1810 ein neunter
anschloß, die Übersetzung einer Anzahl Shakespearescher Dramen von A. W. v. Schlegel, eine der größten Leistungen auf dem
Gebiet der Übersetzungslitteratur.
? Den 17 darin enthaltenen Stücken (»Romeo«, »Sommernachtstraum«, »Julius Cäsar«, »Was ihr wollt«, »Sturm«, »Hamlet«,
»Kaufmann von Venedig«, »Wie es euch gefällt«, die englischen Historien mit Ausnahme »Heinrichs VIII.«) wurden dann in der
bekannten und vielfach aufgelegten sogen. Schlegel-Tieckschen Ausgabe die (von Wolf v. Baudissin, Dorothea Tieck u. a. verfaßten
und von L. Tieck redigierten) Übertragungen der übrigen Stücke der Folioausgabe von 1623 beigefügt (vgl. Bernays,
Entstehungsgeschichte des Schlegelschen S., Leipz. 1872). Späterhin versuchten sich in der Übertragung der dramatischen Werke
Shakespeares: Heinr. Voß und dessen Söhne (Leipz. 1818-29, 9 Bde.), Jos.
Meyer (Gotha 1824-34, 52 Bdchn.), Benda (Leipz. 1825, 19 Bde.), Ph. Kaufmann (Berl. 1830-36, 4 Bde., unvollendet), Jul.
Körner (Leipz. 1836), A. Böttger, H. Döring, Al. Fischer etc. (das. 1839, 12 Bde.), Ernst Ortlepp (Stuttg. 1838, 16 Bde.), Mor. Rapp
und Adalbert Keller (das. 1843-46, 8 Bde.) u. a. Aus neuester Zeit endlich sind besonders zwei auf Grund der inzwischen bedeutend
fortgeschrittenen Textkritik erschienene Übersetzungen hervorzuheben: die sogen. Dingelstedtsche, besorgt von Dingelstedt, W.
Jordan, Seeger, Simrock und Viehoff (Hildburgh. 1865-70 u. öfter, 9 Bde.), und die von Bodenstedt unter Mitwirkung von O.
Gildemeister, N. Delius, P. Heyse, H. Kurz, A. Wilbrandt und G. Herwegh herausgegebene (3. Aufl., Leipz. 1878, 9 Bde.). Deutsche
Bearbeitungen der Dramen für die Bühne und die Familie (mit Weglassung alles Anstößigen) wurden daneben von Ed. und O.
Devrient (Leipz. 1873-76, 6 Bde.) und von Öchelhäuser (Weim. 1878, 7 Bde.), eine Bühnenbearbeitung der »Historien« von
Dingelstedt (Berl. 1867, 3 Bde.) veröffentlicht. Die Sonette übertrugen unter andern Lachmann (Berl. 1820),
neuerdings Bodenstedt (4. Aufl., das. 1873),
Gelbcke (Hildburgh. 1867),
Gildemeister (2. Aufl., Leipz. 1876), Krauß (das. 1872), zugleich mit den andern Gedichten (»Venus und Adonis« etc.) Jordan
(Berl. 1861), Simrock (Stuttg. 1867) und Tschischwitz (Halle 1870). Die erste französische Übersetzung der Werke Shakespeares ist
die von Letourneur (anonym, Par. 1776-83, 20 Bde.; neu bearbeitet von Guizot und Pichot, 5. Aufl., das. 1864, 8 Bde.). Von den
spätern verdienen die von B. Laroche (Par. 1838-39, 2 Bde.; 1875), Fr. Michel (das. 1839-40; neue Ausg. 1859, 3 Bde.), Franç. Victor
Hugo (das. 1850-67, 18 Bde.; 1875-81, 16 Bde.) und Montégut (das. 1868-73, 10 Bde.) Auszeichnung. Ins Italienische wurden die
Dramen von Carcano übertragen (Mail. 1874-82, 12 Bde.).
Kritische Litteratur, Kommentare etc. Die kritische Litteratur über S. ist äußerst reich und rührt ihrem bedeutendsten Teil nach von
Deutschen her (vgl. Unflad, Die Shakespeare-Litteratur in Deutschland 1762-1879, Münch. 1880). Obenan steht Gervinus' »S.«
(Leipz. 1849, 4 Bde.; 4. Aufl. 1873, 2 Bde.), die wichtigste der über den Dichter handelnden Schriften. Gervinus' Werk, geistreich und
gediegen auf jeder Seite und besonders berühmt durch eingehende Analysen der Shakespeareschen Charaktere, z. B. des Hamlet,
ist gleichwohl als das eigentliche Bollwerk der Shakespeareomanie zu betrachten, das den großen Briten, gleichsam als den
absoluten Dramatiker, auf Kosten der deutschen Dichterheroen zu feiern unternimmt.
Noch gelehrter in der litterarhistorischen Detailforschung als Gervinus' Werk ist das von Ulrici (»Shakespeares dramatische
Kunst«, Halle 1839; 3. Aufl. 1868, 3 Bde.),
dessen Verfasser sich indessen bisweilen allzusehr als konstruierenden Philosophen erweist. Außerdem verdienen Beachtung
die Arbeiten von Rötscher (»S. in seinen höchsten Charaktergebilden«, Dresd. 1864),
Kreyßig (»Vorlesungen über S.«, 3. Aufl., Berl. 1877, 2 Bde.),
die kritischen Arbeiten von Tycho Mommsen und besonders die oben erwähnten »Shakespearestudien« von Rümelin. Sehr
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wertvolle Beiträge zur S.-Litteratur enthält das »Jahrbuch« der auf Anregung von W. Öchelhäuser und Dingelstedt 1864 am Tag der
Feier des 300jährigen Geburtstags des Dichters zu Weimar gestifteten Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, das, von K. Elze, F. A.
Leo u. a. redigiert, gegenwärtig bis zum 23. Band (1888) gediehen ist, und an dem sich die hervorragendsten deutschen
Shakespeareforscher, wie Delius, Ulrici, Tschischwitz, Öchelhäuser, Viehoff, Herm. Kurz u. a. beteiligten.
Eine weitere Hauptleistung genannter Gesellschaft, welche die Großherzogin Sophie von Weimar zur Protektorin hat, ist die von
ihr besorgte Revision und Neubearbeitung der Schlegel-Tieckschen Übersetzung (Berl. 1867-71, 12 Bde.; 2. Aufl. 1877), mit
allgemeiner Einleitung von Ulrici. Zugleich wurde in Weimar eine S.-Bibliothek gegründet, der an Reichhaltigkeit jetzt kaum eine andre
in Deutschland gleichkommen dürfte. Von englischen Forschern haben unter andern Drake, Hazlitt, Miß Jameson, Richard Grant
White, Alex. Dyce, Halliwell, Dowden (s. d.) über des Dichters Leben und Werke treffliche Arbeiten verfaßt.
Dagegen sind die »Notes and emendations to Shakespeare's plays« von Collier (Lond. 1852), welche nach angeblich aus der
ersten Hälfte des 17. Jahrh. herrührenden handschriftlichen Randbemerkungen zur zweiten Ausgabe der Dramen Shakespeares eine
ganz neue Lesarten enthaltende Textrevision gaben, bezüglich ihrer Echtheit mit vollem Recht angefochten worden. In England hat
sich neuerdings eine neue S.-Gesellschaft (»The New Shakspere Society«) unter Vorsitz des um altenglische Litteratur
hochverdienten F. J. ^[Frederick James] Furnivall gebildet, die bereits wichtige Shakespearestudien in ihren Verhandlungen
veröffentlicht, auch die Wiederabdrücke älterer Quartos (s. oben) sowie die Herausgabe der »S.-Allusion-Books« besorgt hat.
Vgl. außerdem Simrock, Die Quellen des S. (2. Aufl., Bonn 1870);
Tschischwitz, Nachklänge germanischer Mythe in den Werken Shakespeares (Halle 1865);
Cohn, »S. in Germany in the sixteenth and seventeenth centuries« (Lond. 1864);
Hebler, Aufsätze über S. (Bern 1865);
R. Genée, Geschichte der Shakespeareschen Dramen in Deutschland (Leipz. 1870);
Derselbe, S., sein Leben und seine Werke (neue Ausg., das. 1878);
v. Friesen, Shakespearestudien (Wien 1874-75, 2 Bde.);
Prölß, Erläuterungen zu Shakespeares Dramen (Leipz. 1874-78, 8 Tle.);
Elze, William S. (Halle 1876);
Derselbe, Abhandlungen zu S. (das. 1877);
Delius, Abhandlungen zu S. (Elberf. 1878, neue Folge 1887);
Öchelhäuser, Einführungen in Shakespeares Bühnendrama (2. Aufl., Minden 1885, 2 Bde.);
in bibliographischer Hinsicht: Lowndes, Bibliographer's manual, Bd. 8 (neue Ausg. von Bohn, Lond. 1864);
Sillig, Die S.-Litteratur bis Mitte 1854 (Leipz. 1854);
Thimm, Shakespeareana (Lond. 1865).
Wichtige Hilfsmittel zum Studium Shakespeares sind auch Abbotts »Shaksperian grammar« (neue Ausg., Lond. 1875) und Alex.
Schmidts »S.-Lexikon« (2. Aufl., Berl. 1887, 2 Bde.).
? Schließlich sei noch des »Shakespearemythus« gedacht, der sich in den letzten Jahrzehnten gebildet hat. In Ansehung nämlich
der mangelhaften Schulbildung, welche der Tradition nach S. besessen, hat man es für unwahrscheinlich erachtet, daß er Dichtungen
von so erstaunlicher Fülle und Vielseitigkeit des Wissens, wie sie seine Dramen bekunden, habe verfassen können, und hat deren
Autorschaft dem Staatsmann und Philosophen Bacon von Verulam zugeschrieben, der sich als »Komödiendichter« hinter der Person
und dem Namen Shakespeares versteckt habe. Die seltsame Hypothese, welche sich im wesentlichen auf gewisse Parallelismen
stützt, die sich bei S. und in den Schriften Bacons finden, wurde zuerst 1857 von H. W. Smith aufgestellt und ist seither trotz aller
Widersprüche und Widerlegungen so lebhaft (namentlich in Amerika) erörtert worden, daß sich um diese
S.-Bacon-Theorie bereits eine kleine Litteratur gebildet hat. Wir erwähnen daraus: A. Morgan, Der S.-Mythus (deutsch von
Mylius, Leipz. 1885), und Graf Vitzthum, S. und Shakspere. Zur Genesis der S.-Dramen (Stuttg. 1888).
Shakespeare (spr. schéhkspir), William, engl. Komponist, geb. 16. Juni 1849 zu Croydon (London), war mit 13 Jahren Organist
der Kirche, an welcher er als Chorknabe zuerst Aufmerksamkeit erregt hatte, und erhielt nach dreijährigen Kompositionsstudien unter
Molique (1862-65) eine Freistelle an der königlichen Musikakademie. 1871 wurde er Stipendiat der Mendelssohn-Stiftung und
studierte als solcher 1871-72 am Leipziger Konservatorium und 1872-1875 noch speziell Gesang unter Lamperti in Mailand. Nach
England zurückgekehrt, erlangte er bald eine geachtete Stellung als Komponist, Konzertsänger, Pianist und Dirigent. 1878 wurde er
als Gesanglehrer und Konzertdirigent an der königlichen Musikakademie angestellt. Die Kompositionen Shakespeares beweisen
Meisterschaft der Form und gehören der Schumann-Mendelssohnschen Richtung an.
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Shakespeare | Litteratur - Englische Literatur - Schriftsteller
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http://peter-hug.ch/lexikon/shakespeare/14_0908
Ende Shakespeare
Quelle: Meyers Konversations-Lexikon, 1888; Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte
Auflage, 1885-1892;14. Band, Seite 908 im Internet seit 2005; Text geprüft am 9.7.2006; publiziert von Peter Hug; Abruf am 3.6.2017
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