Kultur 8 Montag, 15. September 2014 Eßlinger Zeitung Mit viel Herz Jazz-Pianist Joe Sample ist tot Unheilig beenden ihre aktuelle Tour in der Stuttgarter Schleyer-Halle mit einem fulminanten Konzert Houston/New York (dpa) – Der amerikanische Jazz-Musiker und Komponist Joe Sample ist tot. Der Pianist starb am vergangenen Freitag im Alter von 75 Jahren in Houston (texas). Das wurde jetzt auf seiner Facebook-Seite im Namen seiner Familie mitgeteilt. Sample gelang es als langjähriges Mitglied der Fusion-JazzFormation Crusaders und später als Solist, die Grenzen zwischen Jazz, Funk und rhythm and Blues zu verwischen, schrieb die „los Angeles times“. Selbst Hip-Hop-Musiker hätten seine Kompositionen übernommen, unter ihnen der rapper tupac Shakur in seinem Song „Dear Mama“ (1995). „Ich gebe mir unendlich viel Mühe, nicht mehr so wie in den Siebzigerjahren zu spielen“, hatte Sample der Zeitung schon vor gut 20 Jahren gesagt. Die Jazz Crusaders schlossen sich Ende der 1950er-Jahre in texas zusammen. Ihr erstes Album „Freedom Sound“ kam 1961 heraus. Zehn Jahre später ließ die Gruppe den Beinamen Jazz fallen und nannte sich nur noch Crusaders. Seit 1987 spielte Sample solo, verewigte sich aber in zahlreichen Zusammenarbeiten mit Marvin Gaye, lalah Hathaway, Steely Dan und BB King. gültig in jubilierende Verzückung. Aber der Graf samt Hennig Verlage (Keyboard), Martin Potthoff (Schlagzeug) und Gitarrist Christoph „licky“ termühlen, der während des Konzerts zwei Songs aus seinem Debütalbum „Gravity Castle“ vorstellen darf, können auch, wie erwähnt, harten rock. Bei „Maschine“, einem älteren Werk aus dem zweiten Album „Das 2. Gebot“, zeigt der Graf vielleicht seine kantigste Härte. Metallisch scharf und unter zuckenden lichtkegeln spuckt er das düstere Werk in fast schon brachialer Industrial-rock-Manier aus. und obwohl der Graf dabei fast bis an den rand der körperlichen Erschöpfung geht, bleibt er mit seiner sonoren, tiefen Grabesstimme stets Herr der lage. „Maschine“ ist zweifelsohne der Höhepunkt des Abends, auch wenn das bebende „Für immer“ vorläufig das Konzert beendet. Von Ingo Weiss Stuttgart – Die Bilder haben Symbolcharakter. Bereits beim zweiten Song „lichter der Großstadt“ triefen dem „Grafen“ Schweißperlen herunter, vor dem vierten Stück „Spiegelbild“ entledigt er sich seines durchnässten schwarzen Fracks. Denn live sind „unheilig“, seine Band, viel stärker eine schweißtreibende rockformation denn eine Kuschel-Schlagertruppe. Mehr noch: Immer wieder betören sie zwischendurch bei Stücken wie „Freiheit“ oder „Feuerengel“ mit neuer deutscher Härte. Das Konzert in der Stuttgarter SchleyerHalle, Abschluss der „Alles hat seine Zeit“-tour, changiert deshalb zwischen krachendem Klanggewitter und gefühlvollen Balladen, zwischen Heavy und light, zwischen rammstein und Jürgen Drews. Kerzenschein und Laserlicht Apropos: Seit unheilig, der einst im Gothic-Bereich verwurzelten Band, mit der Schlagerszene anbandelte, haben sich seine Gothic-Metal-Anhänger abgewendet. Sah man sie in der liederhalle 2010 noch vereinzelt, suchte man sie jetzt unter den 10 500 Fans in der Schleyer-Halle vergebens. Die sensiblen NischenJugendlichen haben dem „Grafen“ endgültig die Gefolgschaft verweigert. Einziges Überbleibsel aus dieser Zeit – wie damals in der liederhalle: große, weiße Altarkerzen, aufgereiht auf drei überdimensionierten Kerzenständern, die die Bühne garnieren, heute aber überflüssig sind. Ansonsten ist in den vier Jahren alles viel größer geworden. In Kunstnebel und blauem laserlicht schlendert, untermalt von einem schwebenden Synthie-Intro, zuerst die Drei-Mann-Band zu den Instrumenten, bis der Frontmann mit einem beherzten Blitzsprung die Bühne entert, zuerst auf den kurzen Bühnenlaufsteg sprintet und dann nach rechts und links stürmt, marschiert und aufreizend tanzt, dabei die gesamte Bühnenbreite nutzend. Gipfelstürmer im „Goldrausch“ Der Graf mitsamt Band boten in der Schleyer-Halle großes Gefühlskino. und sofort ist sie da, die Strahlkraft des sympathischen Menschenfängers alias Bernd Heinrich Graf aus Aachen, der wie immer auch stilistisch reüssiert: schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, Glatzkopf und das Kinnbärtchen perfekt getrimmt. trotz seiner gelegentlichen Joe-Cocker-Zappelgestik ist er ein viriler Mittvierziger, der ein hohes tempo gehen kann und geht. „Woll‘n wir heute unsere träume leben?“, fragt der Graf gleich zu Beginn in „Auf ewig“. Die Antwort sind 105 kurzweilige Minuten voller großer Emotionen. Der Graf: geerdet, geradlinig, authentisch, nett und nah an seinen Fans. Fast gierig saugt er die Gefühlswellen seines phantastischen Publikums in sich auf. Ironische leichtigkeit ist seine Sache nicht, auch wenn das Konzert in kurzen Momenten etwas von Karnevaltrifft-ZDF-Dieter-thomas-Heck-Hitparade hat. Seine Fans: enthusiastisch, rhythmisch mitklatschend, lautstark mitsingend, synchron mithüpfend. Gemeinsam gehen sie eine besondere Symbiose ein. Durch seine mitten aus dem leben kommenden lieder gibt der Graf viel von sich persönlich preis, und die Fans werden von seinen Songs voller Wärme, liebe und Nachvollziehbarkeit gleichzeitig im Herzen, in der Seele und beim Verstand gepackt. Foto: Boris Roessler/dpa Einem Meer aus Händen gleich tragen sie sich gegenseitig durch ein Konzert, das einer musikalischen Zeitreise gleicht. Denn kaum zu glauben, aber wahr: Die Erfolgsgeschichte von unheilig dauert bereits 15 Jahre. Das Best-Of-Programm beschränkt sich denn auch fast nur auf die besten Hits. und das sind in der Mehrzahl große StreuselkuchenHymnen wie „unter Deiner Flagge“, das romantische „An deiner Seite“ oder „Große Freiheit“. Diese Songs, die textlich teilweise keine Scheu vor Schnulzigkeit kennen, überfluten die Arena mit jeder Menge Zuckerguss. „tage wie Gold“ oder „So wie Du warst“ versetzen das Publikum end- Im Zugabenteil überraschen unheilig dann die Fans mit „Goldrausch“, einer krachenden Vorschau auf das neue Album „Gipfelstürmer“, das am 12. Dezember erscheint. Es klingt fast wie eine rammstein-Kopie und ist gleichzeitig das schnellste Stück des Abends. So schnell, dass die Klatschhände nicht mehr mitkommen. Bevor „Stark“ das endgültige Konzertende markiert, stimmt die Arena noch den hymnischen ÜberHit „Geboren um zu leben“ an, der eine Weiterverarbeitung des liedes „An deiner Seite“ ist, in dem es um den tod eines Freundes geht. Großes Gefühlskino ist das. Ja, an diesem Generationenabend zwischen elegischer Melancholie und härterer Mega-Party für 7- bis 70-Jährige hat der Graf bei aller gebotenen Harmlosigkeit die Stuttgarter Welt ein klitzekleines bisschen besser und die anwesenden Menschen ein klitzekleines bisschen glücklicher gemacht. Er hat dafür nur ihre im Akkord schlagenden Herzen einsammeln müssen. und die Fans haben nur ihre träume leben müssen. Oskar Pastior Preis an Autor Marcel Beyer Berlin (dpa) – Der Schriftsteller Marcel Beyer hat nach dem renommierten Kleist-Preis auch den diesjährigen Oskar Pastior Preis erhalten. Beim Internationalen literaturfestival in Berlin wurde der 48-jährige lyriker und Erzähler gestern mit der mit 40 000 Euro dotierten Auszeichnung geehrt. Beyer, der seit 1996 in Dresden lebt, ist mit Werken wie „Flughunde“, „Erdkunde“ und „Putins Briefkasten“ bekannt geworden. Die Oskar Pastior Stiftung war 2010 wegen der früheren Securitate-Mitarbeit ihres Namensgebers unter Druck geraten. Sie verzichtete deshalb 2012 auf eine Vergabe des Preises und betrieb die Aufklärung der Vorwürfe gegen den 2006 gestorbenen rumäniendeutschen lyriker. blickpunk t musikfes t s tuttg ar t Perfekte Klangbalance Zurück zu den Wurzeln Die Münchner Philharmoniker in der Leitung von Semyon Bychkov mit einem Strauss-Programm Musik von Arvo Pärt mit dem SWR Vokalensemble in der Alten Kelter Fellbach Von Verena Grosskreutz Von Dietholf Zerweck Stuttgart – Eigentlich nichts für schwache Gehörnerven: richard Strauss’ tondichtung „Ein Heldenleben“, in der einem noch Stunden nach dem Konzert der Kopf dröhnen kann. Wie es sich für einen anständigen Helden gehört, lässt Strauss sein musikalisches Ich darin Schlachten schlagen und gewinnen, und die kommen in der Musik meistens mit ziemlich viel radau daher – schneidige Blechbläserfanfaren und trommeldonner sind da nur die zahmeren Gesellen. Diese merkwürdige tondichtung, in der der französische Dichter, Musikkritiker und Pazifist romain rolland 1904 „Deutschlands Krankheitskeime“ sprießen hörte, also „einen Wahnsinn des Hochmuts, einen Ichglauben und eine Verachtung der anderen“, verträgt keine Übertreibung. Die kann das Pathos dieses Werks bis zur unerträglichen Hohlheit steigern. Beim Konzert der Münchner Philharmoniker im Beethovensaal im rahmen des Musikfestes musste man derartiges nicht befürchten. Zwar ließen die Münchner in Sachen Plastizität und Dramatik nichts anbrennen, aber man wurde nicht zugedröhnt. Dank seiner Klangkultur legte das Spitzenorchester die Strukturen frei und ließ die Instrumentenfarben erblühen, inklusive der einfühlsamen, vielleicht etwas zu stark vibrierenden Violinsoli des Konzertmeisters Sreten Krstic. Stuttgart – Das SWr Vokalensemble und das Stuttgarter Kammerorchester hatten sich zusammengetan für ein Arvo-Pärt-Komponistenporträt, und die Alte Kelter in Fellbach war bis auf den letzten Platz besetzt – gewiss nicht nur deshalb, weil das Konzert in Kooperation mit dem Europäischen Kultursommer Fellbach veranstaltet wurde, der dieses Jahr Estland und Finnland gewidmet war. Die Fangemeinde Arvo Pärts ist nach wie vor groß, auch oder gerade weil das Werk des estnischen Komponisten wie aus der Zeit gefallen anmutet. Zum „Herkunft“-Motto des diesjährigen Musikfests passt die tonsprache des 79-Jährigen, der einen tag vor dem Fellbacher Konzert Geburtstag hatte, zweifellos. Sie geht zurück zu den Wurzeln abendländischer Musik und kristallisiert sich in seinem sogenannten tintinnabuliStil, den Pärt als musikalische „Flucht in die freiwillige Armut“ beschrieben hat: „Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn eine einzige Note wundervoll gespielt wird. Diese eine Note oder ein leiser Schlag oder ein Moment der Stille beruhigen mich.“ So fasziniert die radikale und raffinierte Einfachheit seiner diatonisch fortschreitenden tonleitern und Dreiklänge, deren meditative Wirkung fast unausweichlich erscheint. „Fratres“, eines von Pärts populärsten Stücken, durfte bei diesem Porträtkonzert natürlich nicht fehlen. Von den 14 verschiedenen Versionen des 1977 ursprünglich für Streichund Bläserquintett komponierten Werks spielte das Stuttgarter Kammerorchester unter der leitung von risto Joost die 1992 entstandene Fassung für Solovioline, Streichorchester und Schlagzeug. Die Spannung im Dialog von gebrochenen Akkorden und zweitaktigem rhythmus von trommel und Klangstäben über dem Orgelpunkt der Celli und Kontrabässe war mit Intensität musiziert. Dialogisch waren auch zwei weitere Werke im Programm strukturiert: das „Magnificat a cappella“ von 1989 und „Orient & Occident“ Hommage an Lorin Maazel Der reine Strauss-Abend war sowohl eine Hommage an den Komponisten, der vor 200 Jahren geboren wurde, als auch an den Dirigenten lorin Maazel, der eigentlich dieses Konzert hätte leiten soll, aber im Juli 84-jährig verstarb. letzteres vielleicht der Grund, weswegen der Beethovensaal bei diesem „Orchesterkonzert“ auch nur halbvoll gewesen ist – was freilich auch an den fürs Musikfest relativ hohen Preisen gelegen haben kann, denn die preiswerten PlatzKategorien waren recht gut besetzt. Charismatischer Dirigent, tolles Orchester: Semyon Bychkov leitete den StraussAbend mit den Münchner Philharmonikern. Foto: Holger Schneider Schade, denn wer nicht da war, verpasste einen charismatischen Dirigenten und ein tolles Orchester. Semyon Bychkov hatte die musikalische leitung übernommen. Sein weicher, runder Dirigierstil, der elegante Achter und Kreise in die luft zeichnete, sorgte für die perfekte Klangbalance zwischen Streichern, Schlagwerk und Bläsern – in den epischruhigen Abschnitten ebenso wie im wuchtigen Kriegsszenarium. Als positiv dürfte sich darauf auch die Entscheidung ausgewirkt haben, die acht Kontrabässe hinten links zu positionieren, wodurch der Klang der höheren Streicher Ballast verlor, heller, freier, offener wirkte. Was im „Heldenleben“ auf das instrumentale riesenaufgebot zurückzuführen ist, nämlich die gelegentlichen ungenauigkeiten im Zusammenspiel der Violinen, war zu Beginn des Konzerts mit Strauss’ tondichtung „Don Juan“ nur ein vorü- bergehender Schatten. Nach dem etwas missglückten raketenhaft emporschießenden Beginn, mit dem Strauss seinen Wüstling wild-hitzig in Szene setzt, fand sich das Orchester bald in bester, bis zum ausnehmend kultivierten Vibrato reichender Spielkultur zusammen. Das fand im 2. Hornkonzert eine Fortsetzung, mit dem Strauss sich 1942 kompositorisch in ferne Vergangenheit gebeamt hat. Der Solohornist der Münchner Philharmoniker, Jörg Brückner, vor dessen mächtiger Gestalt das eigentlich gar nicht so kleine Horn geradezu zierlich wirkte, spielte seinen heiklen Part perfekt und ohne Schlacken; die rasenden, atemlosen läufe ebenso wie die wunderschönen Kantilenen im Andante. Ein bisschen mehr emotionale Durchleuchtung und Formung hätte dem Werk zwar gut gestanden. Aber das ist zugegeben Mäkeln auf hohem Niveau. für Streichorchester aus dem Jahr 2000. Dieses Auftragswerk für die Berliner Festwochen, mit dem liturgischen text des „Credo“ als spirituellem Hintergrund, stellt litaneiartige Monodie und melismatische Floskeln einander gegenüber, um sie allmählich in fließenden Akkorden aufzulösen. Beim „Magnificat“ treffen Sologesang und orthodoxer Chorklang im antiphonischen Wechsel aufeinander: Das SWr Vokalensemble brachte die schlichte Intensität dieses Werks zu leuchtender Wirkung. In der Istanbuler Hagia Eirene wurde Arvo Pärts „Adam’s lament“ im Auftrag der europäischen Kulturhauptstädte Istanbul und tallin ebenfalls 2000 uraufgeführt. Das Werk für gemischten Chor und Streichorchester bezieht sich auf einen text des russischen Mönchs Siluan vom Berg Athos, in dem Adam seine Vertreibung aus dem Paradies und die verlorene Zuwendung Gottes beklagt: für Pärt die ursituation des Menschen in einer gottfernen Zeit. Auch hier agierten Chor und Orches- ter von rico Joost mit Präzision und Ausdruck. Der junge Chefdirigent des Niederländischen Kammerchors gestaltete dann Arvo Pärts „te Deum“ zum Höhepunkt des Konzerts. Auf der Grundlage eines vom tonband eingespielten tiefen Quintakkords entwickelt sich der lobpreis Gottes im Wechsel dreier Chöre: ein Frauen- und Männerchor in gregorianischem unisonogesang, farbig aufgefächert dagegen der gemischte Chor und die Streicher in polyphonen Klängen. Auch die Stille zwischen den einzelnen Versen des frühchristlichen Hymnus ist hier eindrucksvoll mitkomponiert, und der rückgriff auf die liturgische Musik des Mittelalters ist für Pärt in diesem zwischen 1986 und 1992 entstandenen Werk ganz explizit: „Der gregorianische Gesang hat mir gezeigt, dass hinter der Kunst, zwei, drei Noten zu kombinieren, ein kosmisches Geheimnis verborgen liegt. Das ist etwas, das die Zwölftonkomponisten nicht gewusst haben. Die sterile Demokratie unter den Noten hat in uns jedes lebendige Gefühl erstickt.“ Faszination des reduzierten Klangs: Blick in die ausverkaufte Alte Kelter Fellbach beim Komponistenporträt. Foto: Holger Schneider