Programmheft - Badisches Staatstheater Karlsruhe

Werbung
100
DOKUMENTE
100 DOKUMENTE
VOLKSTHEATER / URAUFFÜHRUNG
von Gerardo Naumann
Mit
NICO ARFMANN
MERT BAĞCI
BELARMINO BARROS
FELIPA-MARIA BAUTISTA
NAJOUA BENZARTI
MANFRED BÖGLE
FELIX BOUCHÉ
SEMI ÇAKAR
MARIANA VICTORIA DEL VALLE CONTRERA
HANNAH COOKE
JELENA DELIC
HARALD DENECKEN
JERA DIARC
HEIKE DRECHSLER
JÜRGEN DÜRMEIER
MONICA EISENBRAUN
THOMAS FISCHER
ERIKA FIX
FRANK FREDE
ANDREAS GALANDER
PREMIERE 10.5.14 KLEINES HAUS
Aufführungsdauer 24 Stunden, keine Pause
THOMAS GEISS
JUTTA GEMEINHARDT
OTTO-HEINRICH GRUSCHWITZ
THOMAS HEINTZMANN
MAREN HOCHGESAND
JOHANNES HUSS
GÜLAY İŞCAN-PİLİÇ
JULIA JÄGER
IBADETE KADRIJAJ
SUSAN KAMBECK
ALI KARASU
SOLMAZ KESHAVARZI
ALEXANDER KIST
FRIEDRICH KLAPPENBACH
ARNO KOHLEM
KARIN KRAUSS
GABRIELA LANG
YELITZA LAYA
URSULA LEUCHTE-WETTERLING
CAROLINE LÖFFLER
KATHARINA LÖFFLER
PHILIPP LORCH
SANDER LYBEER
GERHARD MAIER
ELENA MAMCHUR
HANJA MARTÉS
NADINE MONDRY
AXEL MÜLLER
SEBASTIAN NITKA
THOMAS GEORG PFANNER
CAROLINE-SOPHIE PILLING
MARTIN PÖLL
PHILIPP RAUTZENBERG
ULRICH ROTHWEILER
QWQWI (FRANK BIERLEIN,
LUKAS FÜTTERER, DAVID LOSCHER,
PIA MATTHES, MARKUS ZIELKE)
HILTRUD SAUMER
JOHANNA SAUMER
MARIE SAUMER
MAYRA SCHEFFEL
MARTIN SCHEFFER
JENNIFER C. SCHEYDT
EVELINE SCHLACHTER
CAROLINE SCHNAPP
MARTINA SCHÖPPENTHAU
MARCEL SEEKIRCHER
SVETLANA SHIBAEVA
JULIA SINNER
FIRAS SKANDRANI
MARGOT STEINMETZ
TATJANA STÜRMER
SILVIA SZILLAT
LUISE VOSS
SEMRA WANGLER
KATHARINA WOLLE
TIM WÖRLE
KEMAL YILDIRIM
ARNDT ZIMMERMANN
Regie
Bühne & Kostüme
Mitarbeit Bühne & Kostüme
Licht
Dramaturgie
Co-Dramaturgie & Rechercheleitung
Recherchemitarbeit
Künstlerische Produktionsleitung
Theaterpädagogik
GERARDO NAUMANN, BONN PARK,
FREDERIK TIDÉN, JAKOB WEISS
SEBASTIAN HANNAK
JOHANNES FRIED
CHRISTOPH PÖSCHKO
MICHAEL NIJS
INES WUTTKE
GLORIA HASNAY, HEIDI HERZIG,
LAURA MORCILLO, NATALIA SCHMIDT
CATHARINA WASCHKE
JUDITH FRANKE
Regieassistenz MATHIAS HANNUS, ERIC NIKODYM Kostümassistenz STEFANIE
HOFMANN Inspizienz NIKOLAUS NAUY Regiehospitanz MELANIE ERNST,
ANNIKA GRALKE, ALEJANDRA JANUS, RAPHAEL NAGEL, JENNY TRINKLE
Dramaturgiehospitanz MARCEL BOHN
Technische Direktion HARALD FASSLRINNER, RALF HASLINGER Bühne HENDRIK
BRÜGGEMANN, EDGAR LUGMAIR Leiter der Beleuchtung STEFAN WOINKE Leiter
der Tonabteilung STEFAN RAEBEL Ton HUBERT BUBSER, GUNTER ESSIG, JAN
FUCHS Leiter der Requisite WOLFGANG FEGER Requisite CLEMENS WIDMANN
Werkstättenleiter GUIDO SCHNEITZ Malsaalvorstand ANDRÉ SPIEGLER Leiter der
Theaterplastiker LADISLAUS ZABAN Schreinerei ROUVEN BITSCH Schlosserei
MARIO WEIMAR Polster- und Dekoabteilung UTE WIENBERG Kostümdirektorin DORIS
HERSMANN Gewandmeister/in Herren PETRA ANNETTE SCHREIBER, ROBERT
HARTER Gewandmeisterinnen Damen TATJANA GRAF, KARIN WÖRNER, ANNETTE
GROPP Waffenmeisterei MICHAEL PAOLONE, HARALD HEUSINGER Schuhmacherei
THOMAS MAHLER, BARBARA KISTNER Modisterei DIANA FERRARA, JEANETTE HARDY
Chefmaskenbildner RAIMUND OSTERTAG Maske MAIKE HECK
Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und Bildaufnahmen unserer Aufführungen
durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind.
WIR DANKEN
HeidelbergCement für den Beton
und Eventfloristik für die Blumen zur Premiere
2
Friedrich Klappenbach
3
ICH MÖCHTE ETWAS
NEUES SEHEN
ZUM PROJEKT
Theater rund um die Uhr, parallel zum Leben
der Stadt, die einen 24-Stunden-Rhythmus
hat. 100 Karlsruher mit 100 Dokumenten
nacheinander auf einer großen Bühne:
Als uns der Regisseur, Filmemacher und
Autor Gerardo Naumann vor zwei Jahren
vorschlug, ein VOLKSTHEATER-Projekt
mit diesem Konzept zu wagen, waren wir
so fasziniert wie erschrocken von der Idee.
Kein Schauspieler steht 24 Stunden auf
den Beinen, kein Techniker hält so lange
am Steuerpult durch, kein Zuschauer kann
so lange die Augen und Ohren offenhalten.
Andererseits: VOLKSTHEATER nennen wir
unsere neue Sparte, in der wir Menschen
aus der Stadt unsere großen Bühnen überlassen und neue Formen erproben. Denn
wir sind davon überzeugt, dass sich mit
Bürgern auf der Bühne eine neue Spielart
des Theaters als Kunstform entwickelt.
Zum Auftakt des VOLKSTHEATERS stand
in 100 Prozent Karlsruhe ein statistischer
Bevölkerungsquerschnitt von 100 Karlsruher Bürgern gleichzeitig im GROSSEN
HAUS auf der Bühne. In der Produktion der
Gruppe Rimini Protokoll beantworteten sie
Fragen wie „Sind Sie für die Todesstrafe?“
oder „Leben Sie in 15 Jahren noch?“. Für
Der Gastfreund von Franz Grillparzer hat die
4
Regisseurin Mareike Mikat ein Haus auf den
Friedrichsplatz gestellt, eine Woche lang
dort gespielt, Menschen kennengelernt
und diese dann als Bürger-Chor ins KLEINE
HAUS geholt. In der Oper Border haben Jugendliche in der Regie von Ulrike Stöck ihre
Flucht- und Migrationsgeschichten erzählt,
und in Ich heiße ich hat Philip Taylor die
Tänzer des Ballettensembles zusammen mit
Schülern choreografiert.
2013 haben wir den Pariser Regisseur und
Autor Pascal Rambert eingeladen, erstmals in Deutschland zu inszenieren. Mit 40
Karlsruher Bürgern hat er sich zu offenen
Schreib-Ateliers getroffen und eine Gruppe gebildet, die live auf der Bühne eigene
Texte schreiben und vortragen konnte. Mit
der Gruppe hat er eine einfache, poetische
Choreografie geprobt. Dazu kamen ein
Chor und vier Schauspielerinnen aus dem
Ensemble, die Szenen aus der Geschichte
der Ökonomie gespielt haben, und der
Philosoph Emmanuel Alloa, der das vielschichtige Geschehen auf der Bühne und
die Krise der Weltwirtschaft kommentierte. So entstand Eine (mikro) ökonomische
Weltgeschichte, getanzt, mit dem wir jetzt
zum 1. Bürgerbühnenfestival nach Dresden
eingeladen sind.
Zu den 22. EUROPÄISCHEN KULTURTAGEN
mit ihrem Thema „2014 – 1914 / Frieden +
Krieg“ wollen wir wieder eine neue Form
versuchen. Wir konfrontieren den ersten
Rund-um-die-Uhr-Krieg der Geschichte, ein
Krieg der Materialschlachten, der absoluten Überforderung, der „Masse Mensch“
mit Menschen von heute, die man sich in
der friedlichen Mitte Europas als glückliche
Menschen vorstellen muss.
So fällt der Startschuss: Nach Vorgesprächen mit Gerardo Naumann besucht Ines
Wuttke Menschen, die ein Dokument und
eine Geschichte haben. Ab November stehen ihr mit Gloria Hasnay, Heidi Herzig,
Laura Morcillo und Natalia Schmidt vier
Studentinnen der Hochschule für Gestaltung zur Seite. Sie sprechen ihr Netzwerk
an: Auf Symposien, bei Treffen von Zeitzeugen, in Gesprächscafés, beim Bäcker
ums Eck, am KIT und im Amtsgericht überzeugen sie Selbständige, Wissenschaftler,
Rentner, Hausfrauen und Erzieher.
Anfang Januar zieht Gerardo Naumann aus
der 15-Millionenstadt Buenos Aires in eine
kleine Wohnung nach Karlsruhe. In jeweils
zwei Gesprächen trifft er die vom Rechercheteam vorgeschlagenen Menschen. Er
hakt nach: Wie war das genau mit den Begrüßungen in der DDR? Wie war der Raum
ausgestattet, in dem du deinen späteren
Ehemann kennengelernt hast? So bringt er
die zukünftigen Performer dazu, ihre Erlebnisse genauestens und damit auch poetisch
zu beschreiben. Die meisten erhalten eine
Aufgabe für Zuhause: Schreib ein Gebet
auf. Konzipiere einen Fall vor Gericht mit
doppeltem Boden. Fotografiere den Weg
zur Arbeit. Verfolge jemanden auf der Straße. Denke dir das Leben deiner Tochter in
dreißig Jahren aus. Ines Wuttke und Michael
Nijs bearbeiten das Material und haken
Folgeseiten Julia Sinner, Ursula Leuchte-Wetterling
immer wieder nach. Ein erster Test, ob die
Person den kräftezehrenden Weg auf die
Bühne gehen möchte.
Mit den Interview-Texten als Basis schreibt
Gerardo Naumann jede Szene neu als Ausarbeitung einer Erinnerung oder als fiktionale Überhöhung des Alltags. Kein Regisseur
kann 24 Stunden Theater am Stück inszenieren. So kommen ab März Bonn Park, Frederik
Tidén und Jakob Weiss nach Karlsruhe. Sie
inszenieren die meisten Szenen – einige
übergibt ihnen Gerardo Naumann ohne Text
zur szenischen Entwicklung.
Vier bis 15 Proben sind zu planen pro
Performer. Produktionsleiterin Catharina
Waschke koordiniert Termine mit bis zu
fünf Mitwirkenden für die Regisseure, die
bestimmte Zeitabschnitte der Performance
unter sich aufteilen.
An den langen Wochenenden um Ostern
und den 1. Mai werden die Bausteine des
Stückes zusammengefügt und als Reihe
von kleinen Auftritten in achtstündigen
Abläufen geprobt. Wir erfinden gemeinsam
die Übernachtung von Zuschauern und
Performern auf der Bühne während Träume
vorgelesen werden, davor ein Fest mit DJ,
am Morgen ein inszeniertes Frühstück.
Bühnenbildner Sebastian Hannak erweitert seinen Entwurf für Gas I & II um einen
Spielraum in Zimmergröße.
Schon vor der Premiere steht fest: Die
24-stündige Vorstellung wird eine Vorstellung bleiben. Kein Zuschauer, kein Performer,
kein Regisseur wird das Stück am Stück erleben. Aber wir sind gespannt, wie die Grenzen
von Theater und Leben, von Tag und Nacht,
von Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen
– und welche Erinnerungen bleiben: als
Dokument eines Theaterexperiments.
5
6
7
RUND
UM DIE
ZUM INHALT
Wenn er ins Theater kommt, überlegt
sich der technische Redakteur Thomas
Heintzmann genau, was er anzieht. Seine
Betriebsanleitung listet auf, wie man die
Theatertricks von Bühne, Licht und Ton im
KLEINEN HAUS bedient.
Bauingenieurin Jennifer C. Scheydt schaut
gern darauf, was Sichtbeton erzählt, und
mag daher das STAATSTHEATER. Sie mischt
Kies, Sand und Zement mit Wasser und lässt
über Nacht eine Betonkugel aushärten.
Seit 47 Jahren wächst Gerhard Maiers Bart.
Er hat ihn bereits in Baggerseen um Karlsruhe und im Mittelmeer gewaschen, aber
auch im Euphrat und im Arabischen Meer.
8
UHR
Arno Kohlem gehört erst seit Probenbeginn zu den Bärtigen. Ob er ihn nach der
Premiere wieder abrasiert?
Semi Çakar möchte Schauspieler werden.
Er versucht sich mit Kemal Yıldırım an
Dialogen aus Sprachlehrbüchern. Weltrekordhalterin, Weltmeisterin und Olympiasiegerin Heike Drechsler zeigt den
beiden, was für ein Drama ein Weitsprung
sein kann.
Liken, teilen, kommentieren: Die spannendsten Filme findet Martina Schöppenthau in
sozialen Netzwerken, längst nicht mehr im
Fernsehen – und sie erzählt gern weiter,
was sie gesehen hat.
Andreas Galander und Martin Scheffer
haben das Bühnenbild für 100 Dokumente
aufgebaut. Sie spielen beide Gitarre in der
Technikerband.
Wie Martina Schöppenthau schaut auch
Mariana Contrera gar nicht mehr fern, sondern Kurzfilme im Internet.
Krieg der Geschlechter: Erika Fix und Frank
Frede leben ihn am Klavier, an der Gitarre
und am Akkordeon voll aus.
Solmaz Keshavarzi aus dem Iran sind die
unverschleierten alten Damen in Karlsruhe
aufgefallen und sie hat sie für 100 Dokumente heimlich dokumentiert.
Karlsruhes ehemaliger Sozialbürgermeister Harald Denecken entscheidet heute
mit, ob Herr B., ein Asylant aus Gambia,
in Deutschland bleiben darf. Er bildet sich
anhand der Akten ein Urteil.
Der Geologiestudent Axel Müller wollte
Eindruck machen auf Hiltrud „Jimmy“ Saumer, der Mitbewohnerin eines Freundes.
Den ungelenken Auftritt verzieh sie ihm:
Heute sind sie verheiratet. Sie schwingt
sich aufs Rad um zu zeigen, wie die Familie
den Alltag mit den Töchtern Johanna Saumer und Marie Saumer meistert.
Vorhin fuhren Erika Fix und Frank Frede
sich in die Haare. Jetzt wollen sie wissen,
was andere mit ihren Frisuren anstellen.
Luise Voß hält oft Diavorträge über ihre
Reisen in ferne Länder. Die zweifache Mutter machte einen Selbstverteidigungskurs
und lernte Bretter durch zu schlagen. Ihre
Partnerin Margot Steinmetz ist zuständig
fürs Technische und sitzt zu Hause am
Rechner.
„Den Akkord kenne ich doch! Das ist der
Anfang von …“ Die angehende Musikjournalistin Maren Hochgesand findet
mit Urheberrechtsanwalt Nico Arfmann
heraus, ab wie vielen Tönen man ein Lied
erkennt – und ob man es kopieren darf.
Bereits wenige Klänge erinnern Julia Sinner an ihren ersten Ferienjob: Autokolben
schleifen in einer Fabrik.
Hey! Hallo! Bussi, Bussi! Ursula LeuchteWetterling musste nach ihrer Ausreise
aus der DDR 1984 die Begrüßungsformen
der BRD lernen. Später fand sie in ihrer
4000seitigen Stasiakte zwischen Briefen
und Protokollen auch Aufnahmen aus dem
Urlaub – keine Souvenirbilder sondern
Zeugen der ständigen Überwachung.
1914? 1933? 70er? 80er? 90er? In „History
Highway Revisited” führen die Performancekünstler Markus Zielke und David
Loscher, beide Mitglied von qwqwi, durch
ein Jahrhundert Musik und Geschichte.
Caroline Schnapp verirrt sich nicht durch
die Zeiten, sondern auf den Gängen des
Theaters. Ihre Gedanken schweifen ab,
wie auf einer sehr, sehr langen Zugfahrt
bis nach Wladiwostok.
Thomas Fischer hatte als Kind eine Nahtoderfahrung. Karin Krauss, Vorstand der
AIDS-Hilfe, befragt ihn.
Jürgen Dürmeiers uruguayischer Freund
Harry besitzt den letzten Brief eines hoffnungslosen deutschen Soldaten in Stalingrad.
Jürgen Dürmeier lernte Katharina Wolle
beim Tangotanzen kennen. Sie tanzte aber
länger mit einem anderen. Sie hat gern
Klarträume – da kann sie sich frei entscheiden.“
9
Musik neben der Arbeit? Techniker Andreas Galander und Martin Scheffer spielen
eine Zugabe. Und noch eine. Und noch
eine. Und eine letzte …
Ali Karasu ruft von der Arbeit aus an: Er ist
Nachtwächter in der Flüchtlingsunterkunft
in der Sophienstraße. In seiner Pförtnerloge schaut er Splatterfilme. Bildhauer
Martin Pöll hat Ali Karasu dort kennengelernt. Zuhause in Südtirol hilft er auf dem
Bauernhof der Eltern. Er führt vor, wie man
Holz spaltet.
Vor zwei Jahren schrieb Felix Bouché
einen 23seitigen Liebesbrief. Er schickte
ihn nie ab, aber liest ihn jetzt vor.
Die Freundinnen Jelena Delic, Ibadete
Kadrijaj und Nadine Mondry leben seit 15
Jahren in der Disco ihre Jugend.
Wollen Sie auf der Bühne tanzen? Rautzi
legt für Sie auf und lädt Sie ein auf ein
Bier!
Halbzeit im 24-Stunden-Theater: Sind Ihre
Beine schwer, Ihr Kopf müde? Nehmen Sie
sich doch eine Matratze und machen Sie
es sich auf der Bühne bequem. Die professionelle Traumreisende Katharina Wolle
entführt sie auf eine mehrstündige Reise
in die Traumwelt.
Radiowecker live: Techniker Ulrich Rothweiler spielt Ihnen seine Melodien vor.
In „Der frühe Vogel – Ein kleinteiliger Zustand“ macht qwqwi aus dem Frühstück
ein Hörstück. Gehen Sie ans Büffet in der
Performance von Frank Bierlein, Lukas
Fütterer, David Loscher, Pia Matthes und
Markus Zielke!
10
Was wäre, wenn Sie morgen noch im
Theater wären? Und am Tag drauf? Und
eigentlich an jedem Tag im Jahr? Marcel
Seekircher fragt sich, wie eine Zukunft
unter ständiger Beobachtung ausschaut.
Bauingenieurstudent Tim Wörle wollte
anders leben als seine Eltern – und führte zu Hause das Tischgebet ein. Dann
spricht er zu Gott.
Susan Kambeck meistert den Alltag virtuos, nur ihren Putzfimmel kriegt sie nicht
unter Kontrolle. Zur Entspannung liest sie
Klatschblätter – und kommt Hollywoodschauspielern näher.
„Jetzt Ruhe auf der Rückbank!“ Kinder
können ihre Eltern richtig nerven. Caroline
Löffler und Katharina Löffler führen es vor.
Manfred Bögle ist auf der Spur nach dem
verschwundenen 32. Strahl des Karlsruher
Straßennetzes.
Physiker Friedrich Klappenbach führt
ein Experiment durch: Schafft er es,
aus vier Metern Entfernung eine Kerze
auszublasen? Er geht bei Mephistopheles
zu Rate.
Lehrerin Gülay İşcan-Piliç findet an sich
zehn Ähnlichkeiten mit Friedrich Schiller.
Wer leitet den kommenden Aufstand?
Auf der Suche nach einem Vorbild landen
Manfred Bögle und Felipa-Maria Bautista
bei Rudi Dutschke. Die Fragen stellt Günter
Gaus.
Überzeuge einen Fremden, bei 100 Dokumente auf die Bühne zu kommen! Hannah
Cookes Aufgabe führte in viele Sackgassen:
in ein Geschäft für Mittelalterkostüme, in
Martin Pöll
11
eine Buchhandlung, zu einem Medium. Bis
sie bei Tatjana Stürmer fündig wurde.
Merkel deswegen immer eine steife Oberlippe behält.
Der Schüler Sander Lybeer hat Schlimmes
verbrochen. Vor Richter Arndt Zimmermann verteidigt Anwältin Semra Wangler
ihren Mandanten gegen die Attacken von
Staatsanwalt Alexander Kist. Justizfachangestellter Johannes Huß protokolliert
die Verhandlung.
Artist Thomas Geiss jongliert mal nicht mit
Bällen, sondern mit Menschen: Sebastian
Nitka, Martin Pöll und Eveline Schlachter
machen Kaskaden.
Najoua Benzarti erzieht ihren Sohn Firas
Skandrani allein. Der Vater macht Politik in
Paris und Tunesien.
Als Mitglieder von Occupy wissen Hanja
Martés und Jera Diarc, wie man einen Apple-Store besetzt. Die Ernährungs- und Haushaltswissenschaftlerin Monica Eisenbraun
fragt nach dem System der Aktivisten.
Diakon Otto Gruschwitz, Zahnarzthelferin
Silvia Szillat und Tänzerin Gabriela Lang
interpretieren Raymond Carvers Kurzgeschichte Kathedrale: Ein Blinder versucht
zu verstehen, was eine Kathedrale ist.
In Krisen und in Glücksmomenten geht
Hanja Martés am liebsten auf den Alten
Flugplatz in der Nordstadt.
Mit seinem Hund Lennox schaut Naturfreund Philipp Lorch einen Dokumentarfilm über Leoparden.
Johannes Huß muss vor Gericht in Hochgeschwindigkeit protokollieren. Endlich darf
er aufschreiben, was er denkt und sieht.
Die Politiker im inneren Zirkel der Macht
wissen um den verheerenden Einfluss, der
ein einziges falsches Foto verursachen
kann. Mosambikaner Belarmino Barros
fragt sich, ob Bundeskanzlerin Angela
12
Im Büro schreibt Eveline Schlachter seitenlange Betriebsanleitungen für Tischkreissägen und Industrieöfen. Wenn die
Aufmerksamkeit nachlässt, streckt sie ihre
Gliedmaßen auf die Musik von Tracy Bonham. Caroline Pilling mag eher Blümchen.
Die beiden einigen sich auf Gloria Gaynor.
Wie schaut der perfekte Mann aus? Die
Russin Svetlana Shibaeva weiß es genau:
schön, stark und groß. Elena Mamchur
übersetzt die romantischen Fantasien ihrer
Freundin ins Deutsche.
Thomas Pfanner nimmt sich die Touristenfotos vorm Karlsruher Schloss vor: Warum
macht man solche Bilder? Dann findet
er im Familienalbum ein Foto seines ExFreundes …
Julia Jäger und Mayra Scheffel sollten
sich bei einem Vortrag über Träume kennenlernen. Sie verpassen sich und machen
sich erst im Anschluss bekannt. Yelitza
Laya war nicht dabei und fragt Julia Jäger
über die Begegnung aus.
Silvia Szillat interessiert sich fürs Bergsteigen. Das könnte sie doch eigentlich
mal mit ihrem Sohn machen. Aber der verkriecht sich lieber in den Keller und spielt
dröhnende Musik.
Migrationsbeirätin Jutta Gemeinhardt
vergleicht deutsche Politiker: Merkel,
Schäuble, Kohl, …
Zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Realität und Fiktion: Gabriela Lang
und Mert Bağcı waren auf einem Vortrag
über das Unbewusste.
Der Architekt Sebastian Nitka fährt jeden
Tag von Durlach mit der Straßenbahn
ins Büro in der Weststadt – immer
wieder vorbei an dem Haus, in dem seine
ehemalige große Liebe lebt.
Jennifer C. Scheydt wollte eigentlich
Shuttle-Pilotin werden, schwenkte aber
auf Betontechnologie um. Der vor 24 Stunden gegossene Mond aus Beton dürfte
jetzt ausgehärtet sein.
Alle Performer schauen auf das Ergebnis.
Die aktuelle Reihenfolge und die Anfangszeiten der Szenen können Sie dem eingelegten Faltblatt entnehmen.
Folgeseiten Erika Fix, Frank Frede
13
14
15
FIKTIONEN
DES ALLTAGS
ZUR INSZENIERUNG
Am Sonntag vor der Premiere unterhielt
sich Autor und Regisseur Gerardo Naumann mit Dramaturg Michael Nijs.
aber heute die Handlung des Faust nicht
genau wiedergeben.
Michael Nijs Du bist in einer deutschstämmigen Familie in Argentinien aufgewachsen. Mittlerweile arbeitest du als Regisseur oft in der Heimat deiner Vorfahren.
Welches Verhältnis hast du zur deutschen
Kultur?
Nijs In Karlsruhe bringst du einen Querschnitt der Gesellschaft in einem kompletten Tag auf die Bühne. In anderen
Projekten bist du den Weg ins Theater erst
gar nicht gegangen. Wie hast du in Buenos
Aires ein Fließband in einer Fabrik zum
Mittelpunkt einer Inszenierung gemacht?
Gerardo Naumann Ein kompliziertes! Mein
Großvater ist nach dem Ersten Weltkrieg
von Deutschland nach Argentinien übergesiedelt. Dabei hat er der deutschen Kultur
den Rücken zugewandt. Dieser Schritt war
eine große Befreiung für ihn: Er legte sich
für seine Zukunft einen neuen Horizont
zu. Er ist übrigens nur einmal nach Europa
wiedergekehrt. Auch in meiner deutschsprachigen Schule in Buenos Aires gab
es kein inniges Verhältnis zur deutschen
Tradition. Die Klassiker wurden bei uns
nicht gelesen. Ich habe zwar aus Interesse
in die Theaterstücke reingeschaut, könnte
Naumann Die Idee war, gleichzeitig ein
Produkt und Kunst herzustellen. Die Zuschauer folgten einem festen Rundgang in
einer Fabrik, während die Arbeiter schufteten. Trotz der ungemeinen Effizienz des
Fließbands – durch die Einsparung von
überflüssigen Arbeitsschritten – kann man
immer noch Zeit- und Bewegungsreserven
finden. Für diese Momente habe ich mit
den Arbeitern kleine Szenen gestaltet. Die
Fabrik habe ich nicht nur in Argentinien,
sondern auch in Singapur, Indien, der
Schweiz, Polen und Deutschland inszeniert. Die Manager waren immer zufrieden:
16
Denn es wurde aufgezeigt, dass es noch
Effizienzreserven gab. Im Kapitalismus
wird der Körper ausgebeutet und ich habe
mich kritisch gefragt, ob die Kunst den Arbeiter abermals ausbeuten kann.
nung verlässt, welche Gedanken er sich auf
der Fahrt macht.
Nijs Wenn du mit nicht-professionellen
Darstellern arbeitest, suchst du mit ihnen
nach theatralischen Situationen im Alltag.
Wo wirst du fündig?
Naumann Die Performer bilden einen
Querschnitt der Stadt. Vom 10jährigen
Kind bis zum 80jährigen Rentner stehen
alle Altersgruppen auf der Bühne. Der
Familie Saumer-Müller kann man dabei
zuschauen, wie sie sich in ihren Rollen als
Vater, Mutter und Tochter inszenieren.
Bei Naturfreund Philipp Lorch kann man
beobachten, wie Mensch und Tier sich
zueinander verhalten. Manche Szenen
sind sehr lebendig, wie die mit Otto Gruschwitz, andere leben von einer gedehnten und konzentrierten Atmosphäre, wie
zwischen Julia Jäger und Mayra Scheffel.
Ich hoffe, dass sie die Vorstellungskraft
der Zuschauer stärken: Genauso wie die
Performer sich so erleben, wie sie sich nie
gesehen haben, wünsche ich mir, dass die
Zuschauer Menschen so sehen, wie sie sie
zuvor nie beobachtet haben.
Naumann Ein Modell für mich ist das weihnachtliche Krippenspiel, das auch Inspiration für meinen Dokumentarfilm Ricardo Bär
war. Die Geburt Jesu wird in einer traditionellen Form von Laien nachgestellt. Wenn
sich zum Beispiel zwei Freundinnen treffen
und die eine schildert der anderen den Hergang eines Unfalls, dann ist das auch Theater. Denn sie setzt dabei ihre Hände ein,
stellt mit der einen das Fahrrad, mit der anderen das Auto dar. So entsteht vor ihr eine
Bühne, auf der die Geschichte erzählt wird.
Und im Alltag inszenieren wir uns selbst: als
fleißiger Mitarbeiter, als gute Ehefrau oder
als bester Kumpel. In 100 Dokumente habe
ich versucht, diese unbewussten Theaterformen zu benutzen. Die Szenen entstanden
dabei aus der Erfahrungswelt der Performer, aber wir haben uns auch zusammen
Geschichten ausgedacht und Fiktionen
entwickelt. Beim Kennenlernen habe ich
beobachtet, was ich auf mein Gegenüber
projiziere und wie dieser Prozess auch umgekehrt funktioniert. Der Text spiegelt dieses dialogische Verhältnis. Die Szenen sind
auf wenige Aspekte konzentriert. So habe
ich beim polnischen Architekten Sebastian
Nitka die tägliche Straßenbahnfahrt zur
Arbeit zum Kern seines Auftritts gemacht.
Klar hätte er unzählige andere Geschichten
erzählen können. Aber der Zuschauer lernt
ihn durch die Details seines Arbeitswegs
kennen: wie er aufsteht, wann er die Woh-
Nijs Welche gesellschaftliche Spanne decken die Performer ab?
Nijs Eine Aufführung von 100 Dokumente
umspannt einen Tag und eine Nacht. Welches Theater findet nachts statt?
Naumann Was passiert, wenn wir schlafen? So wie wir uns tagsüber inszenieren,
so treten wir auch im Traum auf. Wir
beobachten Verwandte, Freunde oder
Liebhaber. Im Traum kann man die Vorstellungskraft nicht aufhalten. Zudem ist es
spannend, sich zu überlegen, wie nachts
eine Stadt tickt, von der man sich vorstellt,
sie gehe früh schlafen. Aber diese Stadt
ist auch dann lebendig: Sie ist voller Geschichten, voller Vorstellungen, voller kleiner Inszenierungen, die auf der Straße, zu
Hause oder im Traum aufgeführt werden.
17
NICO ARFMANN
Nico Arfmann studierte Jura in seiner Heimatstadt Kiel. 1999 war er
Mitbegründer einer Kieler Onlinezeitung, die 2008 nach einem Gesellschafterstreit eingestellt wurde. Er zog nach Karlsruhe und machte sich
mit einer Kanzlei für Internet- und Urheberrecht selbständig.
MERT BAĞCI
Der 18jährige Mert Bağcı wechselte vom Gymnasium auf die ElisabethSelbert-Schule, da er in der Mittelstufe zweimal sitzengeblieben war.
Nach dem Abitur möchte er Spanisch- und Informatiklehrer werden, um
dann zu habilitieren. Es stört den mehrsprachigen Schüler ungemein,
dass viele ihm dies als Kind von Einwanderern nicht zutrauen.
BELARMINO BARROS
Vier Millionen Kokospalmen wachsen in Belarmino Barros‘ Heimatstadt
Quelimane. Der Mosambikaner begann mit 14 zu zeichnen und bekam
1989 ein Stipendium für ein Kunststudium in Leipzig. Er kam in ein Land
fast ohne Palmen, das es kurz darauf nicht mehr gab, und verliebte sich
in eine Karlsruherin. Heute ist sie die Mutter seiner beiden Kinder.
FELIPA-MARIA BAUTISTA
Auf einem Kreuzfahrtschiff verfällt ein philippinischer Kadett dem Charme
eines deutschen Zimmermädchens. Das Paar wird in Deutschland auf
Scheinehe geprüft, aber der Mutterpass beweist ihre wahre Liebe. Gut zwei
Jahrzehnte später hält ihre Tochter Felipa Bautista das Abiturzeugnis in der
Hand – trotz der schwierigen letzten Jahre nach dem Tod ihres Großvaters.
NAJOUA BENZARTI
Najoua Benzarti wurde in der tunesischen Hafenstadt Sousse geboren.
Mit einem Diplom in Wirtschaftswissenschaften in der Tasche wanderte
sie nach Deutschland aus. Sie bekam vier Kinder und lebt jetzt als Alleinerziehende mit ihrem Sohn Firas Skandrani. Die Muslimin betet fünfmal
täglich und war bereits zwei Mal zur Pilgerfahrt in Mekka.
MANFRED BÖGLE
Mit 18 zog der gebürtige Freiburger nach Aachen, um in einer Buchhandlung zu arbeiten. In Karlsruhe machte er sich mit einer Fachbuchhandlung zum Gesellschaftsrecht selbständig. Eine größere Ehekrise
überstand er 2004: Manfred Bögle ist jetzt 27 Jahre verheiratet und
hauptberuflich Geschichtenerzähler.
FELIX BOUCHÉ
Felix Bouché erblickte das Lebenslicht im Wohnzimmer seiner Eltern.
Heute schaut der Jüngste von Dreien von dort auf die Dächer der Stadt.
Während eines emotional komplizierten Austauschjahres in Finnland
schrieb er einen 23seitigen Liebesbrief, den er aber nie abschickte. Zurzeit beschäftigt er sich mit Die Leiden des jungen Werther.
18
SEMI ÇAKAR
Der Schüler mit türkischen, italienischen und deutschen Großeltern trainiert in seiner Freizeit den Kampfsport Taekwondo. Es kommt vor, dass er
seinem Gegner eine blutige Nase schlägt. Seit er die Hauptrolle in Semi,
dem Langspielfilm seines Onkels über ein Schlüsselkind mit Migrationshintergrund spielte, möchte der Durlacher Schauspieler werden.
MARIANA VICTORIA DEL VALLE CONTRERA
Mariana Contrera wurde in der argentinischen Millionenstadt Córdoba
geboren, wanderte aber mit ihrer Familie nach Südafrika aus. Nach dem
Sturz des Apartheidregimes fühlten sie sich nicht mehr sicher und kehrten
zurück. Die gelernte Friseurin folgte ihrem argentinischen Freund nach
Ettlingen, aber trennte sich hier von ihm. Sie möchte Sängerin werden.
HANNAH COOKE
Für das Studium der Medienkunst an der HfG wechselte Hannah Cooke
von München nach Karlsruhe. Sie hat drei Mitbewohner und geht Konflikten um den Putzplan nicht aus dem Weg. Beim Öffnen von Liebesschlössern an der Kölner Hohenzollernbrücke wurde Hannah von der
Polizei gestellt. Ihre eigene Liebesgeschichte muss sie noch knacken.
JELENA DELIC
Jelena Delic machte eine Ausbildung zur Altenpflegerin in Gaggenau.
Sie arbeitet jetzt bei einem ambulanten Intensivpflegedienst und betreut
Patienten, die maschinell beatmet werden. Zu ihrem Bedauern hat sie es
nie auf ein Konzert von Michael Jackson geschafft. Die junge Frau lebt
allein in Rheinstetten.
HARALD DENECKEN
Der gelernte Elektromechaniker und Pädagoge arbeitete fünf Jahre im
Schulwesen im peruanischen Lima. 1994 verpasste der Karlsruher Stadtrat den Einzug in den Bundestag, wurde aber fünf Jahre später Sozialbürgermeister. Als Mitglied der Härtefallkommission entscheidet er mit, ob
abgelehnte Asylbewerber in Deutschland bleiben dürfen.
JERA DIARC
Zusammen mit seiner Freundin Hanja Martés studiert der politische
Aktivist Jera Diarc seit Anfang 2014 an der Staatlichen Akademie der
Bildenden Künste. In Karlsruhe hält das Occupymitglied sich am liebsten
im Atelier auf, auch wenn es dort nach Lack, Terpentin und Zigaretten
stinkt.
HEIKE DRECHSLER
Nach der Schule machte die Thüringerin eine Ausbildung zur Feinmechanikerin und studierte Pädagogik. Heute arbeitet sie als Gesundheitsbotschafterin bei der Barmer GEK in Karlsruhe. Ihren Traum Primaballerina
zu werden, konnte sie nicht realisieren. Sie sprang aber 1985 so weit wie
keine Frau vor ihr und möchte jetzt das 100. Lebensjahr gesund erreichen.
19
JÜRGEN DÜRMEIER
An der Pädagogischen Hochschule studierte Jürgen Dürmeier auf
Lehramt und ging als Assistent an die Universität Bern. Leider brachte
ihm die Schul- und Universitätswelt wenig Gegenliebe entgegen. Also
machte er sich als Werbetexter selbständig. Der Südweststädter reiste
zweimal nach Buenos Aires, nur um Tango zu tanzen.
MONICA EISENBRAUN
Monica kommt aus Poughkeepsie. Die Stadt am Hudson liegt 140 km
nördlich von New York. Sie studierte Haushalts- und Ernährungswissenschaften in Mönchengladbach. Jetzt wohnt die Oekotrophologin in der
Sophienstraße. Ihre warme Stimme setzt sie gern im Chor ein.
THOMAS FISCHER
Mit sechs Jahren hatte Thomas Fischer eine Nahtoderfahrung. Seine
Laufbahn begann er als Klimahandwerker und Speditionskaufmann. 1999
machte er sich in der Internetbranche selbständig. Der Markt war noch
nicht reif, und nach sechs Monaten ging er wieder in den Lohndienst. In
der Druckerbranche war er erfolgreicher: Er hat heute drei Mitarbeiter.
ERIKA FIX
Erika Fix kam als vierjährige Russlanddeutsche aus Kabardino-Balkarien,
einer Republik im Nordkaukasus, nach Deutschland. In ihrem ersten Beruf im Verwaltungsdienst wurde sie nicht glücklich. Sie kam vor 8 Jahren
an die Pädagogische Hochschule Karlsruhe und ist jetzt Realschullehrerin. Von ihrem Küchenfenster schaut sie auf Birken, wie im Kaukasus.
FRANK FREDE
Nach dem Studium wollte Frank Frede nach Berlin: Er hatte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Freie Kunst studiert
und fand in der Hauptstadt die richtigen Impulse. Vor fünf Jahren zog er
aber zu seiner Freundin zurück nach Karlsruhe. Bis zum Sommer unterrichtet er Kunst an einer Schule in Bruchsal.
ANDREAS GALANDER
Ein Freund empfahl den Karlsruher 1991 als Techniker ans STAATSTHEATER.
Er wollte nur ein paar Wochen aushelfen, da er vorhatte, seine Weltreise in
Südostasien fortzusetzen. Doch er blieb und arbeitet seitdem im KLEINEN
HAUS. Mit Kollegen gründete der Gitarrist die Cover-Band „Small House
Sucks“. Diesen Sommer fährt er mit seiner Tochter nach Thailand.
THOMAS GEISS
Thomas Geiss arbeitet als Verwaltungswirt bei der Stadt Karlsruhe, hat
aber Vollzeit mit der Organisation der European Juggling Convention zu
tun. Im Sommer 2015 werden bei diesem weltweit größten Jongliertreffen einige Tausend Artisten eine Zeltstadt in der Günther-Klotz-Anlage
ihr Zuhause nennen. Wenn Thomas selber auftritt, heißt er Tassilo Timm.
20
Philipp Lorch
21
JUTTA GEMEINHARDT
Die Karlsruherin heiratete vor fast dreißig Jahren einen Belgier. Der Einfachheit halber wollte sie die belgische Staatsangehörigkeit annehmen.
Doch es musste gerichtlich festgestellt werden, ob sie nicht in einer
Scheinehe lebte. Sie bestand die Prüfung und bekam den Pass sowie
später einen Sohn. Heute leben die drei in der Weststadt.
OTTO-HEINRICH GRUSCHWITZ
Der Durlacher wurde 1934 geboren. Er ist somit der älteste Teilnehmer von
100 Dokumente. Im Krieg verlor er seine Mutter und kam in ein Pflegeheim.
Er wurde Bäcker, musste aber 45jährig wegen einer Mehlallergie den Beruf aufgeben. Daraufhin studierte er Theologie und arbeitete als evangelischer Diakon. Infolge des Wechsels bezieht er nur eine kleine Rente.
THOMAS HEINTZMANN
Thomas Heintzmann hat in Karlsruhe studiert, aber keinen Abschluss
erreicht. Als technischer Redakteur arbeitet er mit Eveline Schlachter im
Rheinhafen. Die Ehen des vierfachen Vaters wurden nach 4 und 18 Jahren geschieden, aber er ist grade frisch verliebt. Mit seinen Modellautos
hat er viele Preise gewonnen.
MAREN HOCHGESAND
Im Orchester, in der Band oder mit der Familie: Musik ist das halbe Leben
von Maren Hochgesand, die Klavier, Gitarre und Klarinette kombiniert.
Vor allem die Klavierstücke von Chopin mag sie. Die junge Frau aus
Hochstetten studiert Musikjournalismus. In ihrer Vierer-WG in der Oststadt stört sie der zu schmale Küchentisch.
JOHANNES HUSS
Johannes Huß wohnt bei seinen Eltern in Stutensee. Mit 16 begann
er eine Ausbildung zum Justizfachangestellten und lernte, in Hochgeschwindigkeit Schreibmaschine zu schreiben. Nun führt er bei Prozessen
am Karlsruher Amtsgericht Protokoll. Einmal begegnete er sogar einem
früheren Klassenkameraden auf der Anklagebank.
GÜLAY İŞCAN-PİLİÇ
Vor 30 Jahren übersiedelten die Eltern von Gülay İşcan-Piliç von der
Türkei nach Karlsruhe. In der neuen Heimat wurde ihre Tochter geboren.
Sie studierte auf Lehramt und unterrichtet jetzt Deutsch und Mathematik
an der Pestalozzischule. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und Sohn in
Durlach.
JULIA JÄGER
Nach dem Abitur zog es Julia Jäger aus Künzelsau in die weite Welt,
um ein Praktikum an der Deutschen Privatschule Omaruru in Namibia zu
machen. Später kehrte sie nach Afrika zurück, diesmal mit ihrem Abschluss als Ergotherapeutin in der Tasche. Sie fand es schwer, sich dort
zu integrieren, und arbeitet jetzt in einer Praxis in Karlsruhe.
22
IBADETE KADRIJAJ
Als kleines Kind kam sie mit ihren Eltern vom Kosovo nach Niedersachsen.
Nach dem Tod ihrer Eltern zog sie nach Berlin, schlug sich mit Nebenjobs
durch, um dann an der Schauspielschule ihr Talent zu entdecken. Sie spielt
und unterrichtet jetzt u. a. beim Werkraum in der Südstadt. Wenn sie nicht
grade mit ihren Freundinnen feiern geht, joggt sie im Oberwald.
SUSAN KAMBECK
Ihre Karriere begann Susan Kambeck in der Tabakbranche: Als Einkäuferin
besuchte sie jahrelang Händler und Plantagen in ganz Europa. Heute arbeitet die zweifache Mutter mit ihrem Ehemann in der gemeinsamen Filmproduktionsfirma in Grünwinkel. Auch wenn sie täglich 20 Minuten staubsaugt, ihren Putzfimmel bekommt sie noch immer nicht unter Kontrolle.
ALI KARASU
Nachts arbeitet Ali Karasu als Wächter in der Flüchtlingsunterkunft in
der Sophienstraße. Er lebt seit seiner Scheidung allein in Karlsruhe.
Seine Eltern kamen als Gastarbeiter nach Deutschland, überlegen aber,
zurück in die Türkei zu ziehen. 1998 wurde Alis Bruder dorthin abgeschoben.
SOLMAZ KESHAVARZI
Solmaz Keshavarzi wuchs mit vier Schwestern in Teheran auf. Ihre Mutter ist Krankenschwester, ihr Vater Arbeiter: „Eine ganz normale Familie
also!“ In ihrer Heimatstadt hat sie Malerei studiert. Vor vier Jahren kam
sie nach Karlsruhe, um an der Hochschule für Gestaltung in Kunstgeschichte zu promovieren. Danach will sie als Kuratorin im Iran arbeiten.
ALEXANDER KIST
Der Südbadener kam für sein Rechtsreferendariat nach Karlsruhe.
Eigentlich wollte er Richter werden, doch der junge Familienvater stellte
fest, dass die Rolle des Rechtsanwalts ihm besser passt. Seine Oma würde ihm gerne einen Arzttisch vererben, aber das Prunkstück passt nicht
in seine Kanzlei.
FRIEDRICH KLAPPENBACH
Fiete Klappenbach wechselte von Heidelberg nach Karlsruhe, um am KIT eine
Promotionsstelle in der Klimaforschung anzutreten. Im April 2014 führte er
Experimente auf dem Forschungsschiff Polarstern durch. Nach einem Monat
auf dem Atlantik genießt er den festen Boden seiner Karlsruher WG. Eines
Tages möchte er in der weltbesten Fachzeitschrift „Nature“ publizieren.
ARNO KOHLEM
Vor drei Jahren zog Arno Kohlem von Freiburg nach Karlsruhe. Der
Neuankömmling gründete zusammen mit einer Texterin aus der Schweiz
ein Blog, auf dem sie besondere Geschäfte oder Lokale vorstellen. Seine
langjährige Freundin musste sich an den Bart gewöhnen, den er sich für
die Aufführungen wachsen ließ.
23
KARIN KRAUSS
Karin Krauss ist gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau. Ende der
80er setzte sie sich als Telefonberaterin für die AIDS-Hilfe Karlsruhe ein.
Sie wurde in den Vorstand gewählt und leitete den Verein viele Jahre als
Geschäftsführerin. Sie wäre gern Ärztin geworden.
GABRIELA LANG
Gabriela Lang wurde in Stuttgart geboren. Als Kind wollte sie Schriftstellerin werden, machte aber aus einer anderen Leidenschaft ihren
Beruf: Sie ist Tänzerin und Choreografin. Ihr Traum wäre es, 1000 Karlsruher in einer Open-Air-Gruppenchoreografie anzuleiten.
YELITZA LAYA
Die Venezolanerin verliebte sich als 23jährige Buchhalterin in einen
Deutschen. Sie zog zu ihm nach Karlsruhe und studierte sechs Semester
Volkswirtschaftslehre in Heidelberg. Nach neun Jahren wurde die Ehe
geschieden, aber Yelitza ist sich jetzt sicher, in Deutschland bleiben zu
wollen. In der Band „Caramelo“ singt sie die Musik ihrer ersten Heimat.
URSULA LEUCHTE-WETTERLING
„Ich komme aus einem fernen Land“, sagt die Sozialgerontologin: 1984
erhielt sie die langersehnte DDR-Ausreisegenehmigung. Ihre Stelle als Lehrerin hatte sie da wegen mangelnder Linientreue längst verloren. Nach der
Wende sah sie ihre 4000seitige Stasiakte ein und staunte über die staatliche Exegese ihrer Briefe. Heute wohnt sie in einem Hermann-Billing-Bau.
CAROLINE LÖFFLER
Caroline Löffler ist die jüngste von Zweien. Sie geht in die 5. Klasse der
Realschule Karlsbad und liest am liebsten die Bücher aus der Serie Ponyhof Liliengrün. Reiten und Voltigieren tut sie auch im echten Leben. Sie
kann sich vorstellen, später auf einem Bauernhof zu leben.
KATHARINA LÖFFLER
1996 zog Katharina Löffler zu ihrem Freund nach Karlsruhe. Heute sind
sie verheiratet und leben mit Sohn und Tochter in Karlsbad. Katharina
genießt jeden Moment der Stille und fährt deswegen lieber mit dem Auto
als mit der S-Bahn in die Stadt. Sie arbeitet als selbständige Werbetexterin von Zuhause aus.
PHILIPP LORCH
Am liebsten hält Philipp Lorch sich im Wald auf, aber auch Kajakfahren
und Surfen gehören für ihn zu einem perfekten Tag – leider nicht immer
möglich in Karlsruhe. Er träumt davon, eines Tages mit Frau und Kind
nach Alaska auszuwandern. Ein Dreamteam bildet er mit seinem Vierbeiner Lennox, der ihn auf dem Skateboard durch die Südstadt zieht.
24
Alexander Kist
25
SANDER LYBEER
Sander Lybeer ist noch Schüler, aber den Jakobsweg ist er bereits vier
Mal gegangen. Einmal pilgerte er mit seiner Mutter Jutta Gemeinhardt.
Doch auch alleine machte der 18-Jährige sich schon auf den Weg ins
nordspanische Santiago de Compostela. Er erreichte jedes Mal das Ziel,
doch der Religion ist er dadurch nicht näher gekommen.
GERHARD MAIER
Gerhard Maier kommt aus Königshütte, heute Chorzów in Schlesien. 1950,
da war der Vater noch in Kriegsgefangenschaft, musste er mit der Mutter
und den beiden Brüdern die Heimat verlassen. 1980 war der Bartträger bei
Freunden auf Kreta zu Gast. Dort schenkte er einer Frau seine besondere
Aufmerksamkeit: Seit dem Tag ist er mit der Karlsruherin zusammen.
ELENA MAMCHUR
Seit zwei Jahren wohnt Elena Mamchur in Karlsruhe. Anfangs fand die
Russin es schwer, sich in der deutschen Gesellschaft zu integrieren,
zumal sie als studierte Sozialarbeiterin keinen Job fand. Jetzt macht sie
eine Ausbildung zur Altenpflegerin in Rastatt. Wenn sie fertig ist, möchte
sie in einem Wohnheim für behinderte Kinder arbeiten.
HANJA MARTÉS
Hanja Martés kam für ihr Malereistudium an der Staatlichen Akademie der
Bildenden Künste nach Karlsruhe. Die gebürtige Hamburgerin vermisst
hier vor allem den Regen. Vor vier Jahren lernte sie Jera Diarc kennen, mit
dem sie auf der Bühne von der Besetzung eines Apple-Stores berichtet.
Diesen Sommer machen sie ihren ersten Urlaub seit vier Jahren.
NADINE MONDRY
Vor eineinhalb Jahren verließ Nadine Mondry ihre Heimat Berlin, um
in Karlsruhe eine Ausbildung zur Erzieherin zu machen. Ohne Kaffee
schafft sie es nicht auf die Arbeit. Sie hatte mit mehreren Liebeskrisen
zu kämpfen, aber vor allem der Tod ihres Vaters war ein einschneidendes
Ereignis. Nadine bezeichnet sich als Hedonistin.
AXEL MÜLLER
Axel Müller kommt aus Wermelskirchen im Bergischen Land. Er studierte
Geologie und spezialisierte sich auf den Wasserhaushalt. Mittlerweile
arbeitet er beim Technologiezentrum Wasser in Hagsfeld. Vor 14 Jahren
heiratete er Hiltrud Saumer. Sie leben zusammen mit den beiden Töchtern Marie und Johanna Saumer in der Weststadt.
SEBASTIAN NITKA
Er wurde in Oberschlesien geboren und zog für sein Architekturstudium
nach Deutschland. Nachdem er in Karlsruhe seinen Abschluss gemacht
hatte, erhielt er ein Jobangebot aus der Schweiz. Er kam mit den Kollegen nicht klar und kündigte die Stelle nach nur wenigen Monaten. Jetzt
arbeitet er in einem Büro in der Weststadt und entwirft Haltestellen.
26
THOMAS GEORG PFANNER
Tom Pfanner wuchs mit einem Bruder in Vorarlberg und England auf. Vor
zwei Jahren kam er nach Karlsruhe, um Kunst- und Kulturmanagement
zu studieren. Ganz fremd war es hier nicht für ihn, denn seine deutsche
Großmutter hatte ihren badischen Akzent nie abgelegt. Für seinen ExFreund komponierte er ein Klavierstück.
CAROLINE-SOPHIE PILLING
Im Kino Schauburg jobbt Caroline Pilling für ihr Kunst- und Kulturmanagementstudium an der Karlshochschule. Die dreizehnjährige Dauerkrise
ihrer Schulausbildung hat sie damit endlich überwunden. Die leidenschaftliche Akrobatin würde gerne ein Jahr in einem fahrenden Zirkus
arbeiten.
MARTIN PÖLL
Auf dem Hof in Südtirol ist die Landwirtschaft für Martin Pöll und seine
11 Geschwister Alltag: Sie helfen den Eltern mit dem guten Dutzend Kühe
und auf dem Acker. Martins Vater ist gelernter Holzbildhauer, und diese
Leidenschaft vererbte er seinem Sohn. Der studiert jetzt an der Kunstakademie Bildhauerei.
PHILIPP RAUTZENBERG
Philipp Rautzenberg machte eine Ausbildung zum Erzieher in Bühl und
fand vor zweieinhalb Jahren in Karlsruhe Arbeit. Mit Musik beschäftigt
er sich schon seitdem er 10 war: als Straßenmusiker, in einer Band, als
Hip-Hop-Produzent. Mit seiner Freundin gründete er das Label „Niller
Records“. Wenn er auflegt, dann nur als „Rautzi“ und nur mit Vinyl.
ULRICH ROTHWEILER
Nach einer Lehre als Siebdrucker und Gemälderestaurator zog der Karlsruher nach München, um das Restaurieren von Möbeln zu lernen. Er sang
in einer Jazzband und war parallel in der Münchner Punkszene unterwegs.
1992 kam er als Aushilfskraft zur Beleuchtung des KLEINEN HAUSES. Er ist
seit 20 Jahren Bühnentechniker und spielt in der Band „Small House Sucks“.
QWQWI
2010 wurden die HfG-Studenten Frank Bierlein, Lukas Fütterer, Andy
Goralczyk und David Loscher vom Goethe-Institut in Shanghai zu einer
Konzertreise eingeladen. 2012 trat Pia Matthes der Gruppe „qwqwi“ bei.
Bei 100 Dokumente treten die Soundkünstler ohne Andy Goralczyk aber
mit ihrem Kommilitonen Markus Zielke auf.
HILTRUD SAUMER
Bereits als Kind konnte Hiltrud Saumer ihren Vornamen nicht leiden. Als
sie elf war, trug sie auf einer Karnevalsfeier eine Matrosenmütze, auf der
in großen Lettern „Jimmy“ stand. Seitdem trägt sie diesen Spitznamen
mit Stolz. Jahre später studierte sie am KIT Chemie und gründete mit
Axel Müller eine vierköpfige Familie.
27
JOHANNA SAUMER
Johanna Saumers Familie hat vor drei Monaten Zuwachs bekommen: Neben Mama Hiltrud Saumer, Papa Axel Müller, Schwester Marie Saumer
und den drei Hasen zählt die rumänische Hündin Lucy jetzt zum Haushalt.
Damit ging ein langgehegter Wunsch in Erfüllung.
MARIE SAUMER
Marie Saumer redet den ganzen Tag. Sogar wenn sie eigentlich Zähne
putzen soll, kommt es vor, dass sie mit der Bürste im Mund kichernd durch
die Wohnung rennt. Den Konflikten mit ihrer Schwester Johanna geht
Marie aus Prinzip nicht aus dem Weg. Den Auftritt im Theater mit ihrer
Meerjungfrauenflosse sieht sie als Sprungbrett für eine Rolle im Film.
MAYRA SCHEFFEL
Mayra Scheffel wurde in Brasilien geboren, kam aber schon im Alter von
drei Jahren nach Deutschland. Sie arbeitet als Lektorin und Übersetzerin
für Englisch, Portugiesisch und Spanisch. Bis heute bereut sie es, für
ein Praktikum in Madrid, dem Wohnort ihres damaligen Freundes, ein
Volontariat im Suhrkamp Verlag abgelehnt zu haben.
MARTIN SCHEFFER
Seit er 14 ist, spielt Martin Scheffer Musik. Angefangen hat er als Gitarrist und Bassist. Er singt am liebsten Songs von „The Cure“, „R.E.M.“
oder Neil Young, wenn er nicht als Techniker im KLEINEN HAUS arbeitet.
Neulich gründete er mit seinem Kollegen Andreas Galander eine Band –
bislang ohne Namen.
JENNIFER C. SCHEYDT
Der Jugendtraum der Saarländerin war es, Astronautin zu werden. Mit
diesem Wunsch schrieb sie einen Brief an den Shuttlepiloten Paul F.
Wetzel und bekam zu ihrer eigenen Überraschung eine Antwort samt
Autogrammfoto. Ihre Leidenschaft für Technik ist bis heute ungebrochen:
Die junge Mutter arbeitet als Betontechnologin bei HeidelbergCement.
EVELINE SCHLACHTER
Nach der Scheidung ihrer Eltern wollte Eveline Schlachter nichts wie
weg aus dem Schwarzwald. Ein kleiner Kulturschock blieb der Südbadenerin in Karlsruhe nicht erspart. Sie studierte auf Lehramt, machte sich
aber mit Thomas Heintzmann selbständig als technische Redakteurin. Sie
wäre gern Archäologin geworden.
CAROLINE SCHNAPP
Eine Freundin von Caroline Schnapp hatte versucht, ihren Freund zu verführen, was dazu führte, dass die Freundschaft beendet wurde und jeder
Single war. Sie fuhr für 18 Monate nach Istanbul, unterrichtete Deutsch,
verliebte sich und steht heute an einem Scheidepunkt ihrer Fernbeziehung. Wenn sie nicht Rennrad fährt, singt Caroline bei den „Vo:caleras“.
28
Johannes Huß
29
MARTINA SCHÖPPENTHAU
1996 zog Martina Schöppenthau nach Karlsruhe „weil es hier wärmer
und grüner ist als in Berlin und weil es hier Arbeit für mich gab.“ Jetzt
wohnt die Erzieherin in der Südstadt und schaut von ihrem Küchenfenster auf die Bäume im Innenhof. Eines Tages möchte Martina an einen Ort
verreisen, wo niemand sie kennt.
MARCEL SEEKIRCHER
Er arbeitet als Sozialpädagoge bei der Stadt Karlsruhe. Dort übernimmt
er die Leitung von Jugendprojekten. Er liest gerne Science-Fiction-Romane. Seine größte Krise bisher war die harte Trennung von einer Frau,
die er sehr liebte. Manchmal verheddert er sich beim Diskutieren: Dann
nimmt er nur um der Diskussion willen abwegige Standpunkte ein.
SVETLANA SHIBAEVA
An Karlsruhe gefällt Svetlana Shibaeva das dynamische kulturelle Leben.
Die vielen jungen Leute erinnern sie an ihre Heimatstadt, die Kulturmetropole Sankt Petersburg. Die Ingenieurin für Wasserwirtschaft hat
zwar einen Aufenthaltstitel samt Arbeitserlaubnis. Sie hat es trotzdem
schwer, in ihrer neuen Heimat eine Stelle zu finden.
JULIA SINNER
Jule Sinner kam 2005 nach Karlsruhe, um Kunst zu studieren. Jedes
Mal, wenn sie Zigarrenrauch einatmet, erinnert die Künstlerin sich an
ihre ersten Lebensjahre in den Vereinigten Staaten. Heute macht sie
den Auslandsvertrieb für einen Parfümeur aus Bulach, ist aber auch im
Atelier anzutreffen.
FIRAS SKANDRANI
Firas Skandrani ist in Karlsruhe geboren, aber er verbindet tunesische
mit französischen Wurzeln. Als im Urlaub ein Dieb ins Auto einbrechen
wollte, bekam er richtig Angst. Mittlerweile ist der Schüler geübt im koreanischen Kampfsport Taekwondo. Er lebt zusammen mit seiner Mutter
Najoua Benzarti.
MARGOT STEINMETZ
Margot Steinmetz war Verwaltungswirtin und musste aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gehen. Die leidenschaftliche
Zitherspielerin nimmt sich jetzt die Zeit für ihr Instrument und für Boulepartien am Schloss. Sie bedauert es, noch immer keinen Volkswagen
Campingbus zu besitzen.
TATJANA STÜRMER
Anfang 2014 brauchte Tatjana Stürmer eine neue Bleibe. Hannah Cooke,
die von Gerardo Naumann die Aufgabe bekommen hatte, über ausgehängte
Zettel jemanden für 100 Dokumente zu engagieren, fand ihr Wohnungsgesuch in der Stadtbibliothek. Wenn Tatjana morgens aus dem Fenster schaut,
sieht sie ihren Nachbarn frühstücken: mit T-Shirt, aber ohne Unterhose.
30
SILVIA SZILLAT
Silvie Szillat ist verheiratet und hat zwei Kinder. Als ihr Sohn anfing, PostMetal auf seiner Gitarre zu spielen, brauchte sie eine Weile, um sich an
die laute Musik zu gewöhnen. Die Zahnarzthelferin hat eine Leidenschaft
fürs Renovieren und Gärtnern. Einen Tick wird sie nicht los: Solange
dreckiges Geschirr in der Küche rumsteht, fängt sie nicht an zu kochen.
LUISE VOSS
Nach langer Zeit im Norden lebt Luise Voß seit 1980, dem Jahr ihrer
Scheidung, wieder an ihrem Geburtsort Karlsruhe. Mit ihrer Partnerin
Margot Steinmetz wohnt sie in der Waldstadt. Die zweifache Mutter
träumt von Tauchgängen im Korallenriff, ist aber eher im Hardtwald unter
alten Bäumen anzutreffen.
SEMRA WANGLER
Semra Wangler hat eine Kanzlei mit Schwerpunkt Jugendstrafrecht, daneben berät sie Jugendliche ehrenamtlich. Ihre neuen Mandanten sind
oft Kumpels von Jugendlichen, die sie bereits verteidigt hat. Nach einer
Verhandlung fragte Gerardo Naumann sie, ob sie auch auf der Bühne
einen Angeklagten verteidigen wollte.
KATHARINA WOLLE
„Ein Mann, zwei Kinder, eine Katze“, so beschreibt Katharina Wolle ihren
Haushalt. Die gebürtige Berlinerin kam vor 12 Jahren nach Karlsruhe um
Kunst zu studieren, gründete eine Familie und blieb. Sie hat gelernt, ihre
Träume zu lenken. Die Oneironautin (Traumreisende) hält in ihrem Traumtagebuch mehr als 5000 Träume fest.
TIM WÖRLE
Tim Wörle wuchs mit einer Schwester in einem nicht sehr gläubigen
Elternhaus auf. In der Pubertät fing der Ettlinger an, sich für Religion
zu interessieren. Er setzte durch, dass Zuhause vor dem Essen gebetet
wird. In seiner Freizeit engagiert sich der Bauingenieurstudent beim
Christlichen Verein Junger Menschen.
KEMAL YILDIRIM
Kemal Yıldırım ist Kurde. Deswegen wurde er als ehrgeiziger junger
Mann vor dreißig Jahren bei der Stadtverwaltung in Araban entlassen.
Er versuchte sein Glück als Student in der Schweiz, kehrte aber in den
90ern in die Türkei zurück. Als erfolgreicher Geschäftsmann bekam er
ein Arbeitsvisum für Deutschland. Er entschied sich zu bleiben.
ARNDT ZIMMERMANN
Mit Frau und Kind lebt Arndt Zimmermann seit 2010 in Karlsruhe. Im
Innenhof ihrer Mehrfamilienwohnung baut der Hobbykoch sein eigenes
Gemüse an. Seinen Beruf übt Arndt am Zirkel aus: Er ist Richter am
Amtsgericht. Den Ausgleich zu den Verbalattacken in den Verhandlungen findet er in der japanischen Kampfkunst Aikidō.
31
GERARDO NAUMANN Autor & Regie
BONN PARK Regie
Der Regisseur, Filmemacher und Autor
Gerardo Naumann, geboren 1974 in Buenos
Aires, stammt aus einer deutsch-argentinischen Familie. 2010 entwickelte er die Vorstellung Die Fabrik, in der Werksmitarbeiter
während der Arbeit in ihren beruflichen
Alltag einführen. Dieses Konzept setzte er
u. a. in einer Waffelfabrik in Indien, einer
Druckerei in Singapur und einem Mercedes-Werk in Berlin um. Bei Una obra útil
(Ein nützliches Stück) rekonstruierten 2008
zwei Schauspieler und zwanzig Statisten
den Inhalt eines im Müll gefundenen Tagebuchs. Für das Schauspiel Hannover ließ
er 2012 in Die Aufführung das Theater und
seine Mitarbeiter selbst zum Gegenstand
seiner Inszenierung werden. Zusammen mit
Nele Wohlatz drehte er in einer deutschen
Kolonie im Norden Argentiniens den preisgekrönten Dokumentarfilm Ricardo Bär. Er
erhielt Lehraufträge an der norwegischen
Akademi for Scenekunst und an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.
1987 in Berlin geboren, wuchs Bonn Park in
Berlin, Korea und Paris auf. Neben dem Studium der Slawistik an der Humboldt-Universität arbeitete er als Regisseur und Autor
beim Jugendtheater P14 an der Volksbühne
Berlin. Dort hatte auch sein in New York
und Berlin gedrehter Film Walburga Premiere. Von 2010 bis 2014 studierte er Szenisches Schreiben an der Universität der
Künste Berlin. Sein erstes abendfüllendes
Stück, Die Leiden des jungen Super Mario
in 2D – erster Teil der Superstartrilogie
Gut&Böse, gewann 2011 den Innovationspreis des Heidelberger Stückemarkts. Im
gleichen Jahr kam am STAATSTHEATER
KARLSRUHE das Auftragswerk 2289:
Johnny Kilometà und die Beerdigung von
Faust beim Dramatikerfestival Stadt der
Zukunft zur Uraufführung. In der Spielzeit
2014/15 inszeniert Mina Salehpour sein
neuestes Stück Traurigkeit & Melancholie – oder der aller aller einsamste George
aller aller Zeit am Theater Bonn.
32
FREDERIK TIDÉN Regie
JAKOB WEISS Regie
Frederik Tidén, 1987 in Stockholm geboren,
studierte Theaterregie an der Otto-Falckenberg-Schule in München und an der Zürcher Hochschule der Künste. Bereits während des Studiums realisierte er Projekte
an den Münchner Kammerspielen, bei der
Young Actors Week in Salzburg, beim
Heidelberger Stückemarkt und in Mexiko.
2011 war er mit Schuld und Sühne nach
Dostojewski zum Körber Studio Junge
Regie nach Hamburg eingeladen. Am
STAATSTHEATER KARLSRUHE inszenierte er im gleichen Jahr die Uraufführung
von Rike Reinigers Zigeuner-Boxer. Das
Stück über Johann Trollmann, Sinto und
Boxer im Dritten Reich, wurde im Anschluss auf Festivals wie Kaltstart Hamburg und Kaas & Kappes Duisburg gezeigt.
Am Theater Münster inszenierte er Der
Wind macht das Fähnchen von Philipp
Löhle und zuletzt unter dem Titel I Can‘t
Imagine Tomorrow drei Einakter von
Tennessee Williams.
Jakob Weiss, Jahrgang 1984, arbeitete
als Bühnenbildner an der Schaubühne
Berlin, am Staatstheater Stuttgart und am
Theaterdiscounter Berlin. 2010 gab er am
Berliner Theater im Kino sein Regiedebut
mit Juli von Iwan Wyrypajew. Seit 2011
inszeniert er am Schauspiel Hannover.
Dort folgten auf Die Geschichte meiner
Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends von PeterLicht mit Delhi, ein
Tanz ein weiteres Stück von Iwan Wyrypajew und mit Das Scheining nach Stanley
Kubrick eine Filmbearbeitung. Am Berliner
Ballhaus Ost brachte er Zusammenstoß –
Voraussichtlich groteske Oper für den
Weltuntergang von Kurt Schwitters auf
die Bühne. Dort eröffnet er im Herbst 2014
als Teil des Kollektivs „SUPERzusammenhang“ das mehrjährige Episodenprojekt
Superpolis. Arbeiten von Jakob Weiss
wurden eingeladen zu Festivals wie Kaltstart Hamburg und 100° Berlin.
33
SEBASTIAN HANNAK
Bühne & Kostüme
JOHANNES FRIED
Mitarbeit Bühne & Kostüme
Sebastian Hannak studierte Bühnen- und
Kostümbild in Stuttgart bei Jürgen Rose
und Martin Zehetgruber. Während des
Studiums war er Assistent und Mitarbeiter u. a. bei Klaus-Michael Grüber, John
Neumeier und Johann Kresnik. Er arbeitete
mit Regisseuren wie Christof Nel, Michael
von zur Mühlen, Simon Solberg, Thomas
Krupa und Florian Lutz. Bühnenbilder von
ihm wurden zum Raum des Jahres nominiert und ausgestellt, u. a. auf der Prager
Quadriennale 2007. Am STAATSTHEATER
KARLSRUHE entwarf er die Bühne für Martin Nimz‘ Inszenierung Jakob der Lügner,
Tim Plegges Ballett Momo, sowie 2013/14
für den Ballett-Abend Mythos. Das Bühnenbild von 100 Dokumente ist eine Weiterentwicklung seines Entwurfs für Gas I & II
von Georg Kaiser. Zum Spielzeitauftakt
2014/15 stattet er die Romanbearbeitung
von Hesses Glasperlenspiel im KLEINEN
HAUS aus.
Johannes Fried assistierte im Mai 2013
Sebastian Hannak bei Gas I & II von Georg
Kaiser in der Regie von Hansgünther
Heyme, einer Koproduktion des STAATSTHEATERS KARLSRUHE mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Seit Beginn
der Spielzeit 2013/14 ist er fester Bühnenbildassistent in Karlsruhe. Er arbeitete mit
Künstlern wie Frank Philipp Schlößmann
und Ralf Käselau in der Oper sowie
Christine von Bernstein und Flurin Borg
Madsen im Schauspiel zusammen. Zur
Eröffnung der Karlsruher Literaturtage
2013 gestaltete er im KLEINEN HAUS die
Bühne für den Kampf der toten gegen die
lebenden Dichter im Poetry Slam – Dead
or Alive.
34
INES WUTTKE
Co-Dramaturgie & Rechercheleitung
Ines Wuttke, geboren 1984 in München,
studierte Medienkunst, Szenografie und
Kunstwissenschaft in Karlsruhe und Zürich. 2013 wechselte sie ans Institut für
Angewandte Theaterwissenschaften in
Gießen. Während des Studiums arbeitete
sie u.a. mit Dominic Huber, Beatrix von Pilgrim und Andreas Liebmann. 2012 wurde
sie für eine Einzelausstellung im Bahnwärterhaus der Villa Merkel nach Esslingen
eingeladen. Als Teil des PerformanceKollektivs „Rattehawaii“ war sie 2013 beim
Festival Frauenperspektiven vertreten.
Zuletzt realisierte sie mit Strategien des
Zuschauens ein Stadtraumprojekt auf der
Karlstraße. Im Rahmen der Reihe Südbühne für alle des Theaterhauses Gessnerallee ist ihre ortsspezifische Performance
Spiel und Ritus im Juli 2014 in Zürich zu
sehen.
35
BILDNACHWEISE
IMPRESSUM
Umschlag
FELIX GRÜNSCHLOSS
Szenenfotos FELIX GRÜNSCHLOSS
PorträtfotosPASSFOTOS
JANUSCH FOTODESIGN
JOCHEN KLENK
NORBERT MÜLLER
USCHI SCHMIDT
JOHANNA ZIELINSKI PRIVAT
HERAUSGEBER
BADISCHES STAATSTHEATER
KARLSRUHE
GENERALINTENDANT
Peter Spuhler
VERWALTUNGSDIREKTOR
Michael Obermeier
TEXTNACHWEISE
SCHAUSPIELDIREKTOR
Jan Linders
Nicht gekennzeichnete Texte sind Beiträge
für dieses Programmheft von Michael Nijs.
REDAKTION
Michael Nijs
Sollten wir Rechteinhaber übersehen
haben, bitten wir um Nachricht.
KONZEPT
DOUBLE STANDARDS BERLIN
www.doublestandards.net
GESTALTUNG
Danica Schlosser
DRUCK
medialogik GmbH
BADISCHES STAATSTHEATER
KARLSRUHE 13/14
Programmheft Nr. 182
www.staatstheater.karlsruhe.de
Silvia Szillat
DIESES RISIKO
GEHE ICH EIN
Herunterladen