Aus: NZZ online, 8.5.2014 http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/viel-monat-am-ende-des-geldes-1.18298486 Jugendliche denken bei ihrem Budget oft nicht an Steuerrechnungen, Krankenkassenprämien, Miet- und Lebenshaltungskosten. (Bild: Martin Ruetschi / Keystone) Nationalrat für Schuldenprävention Keine aggressive Kredit-Werbung Der Nationalrat will aggressive Werbung für Kleinkredite verbieten. Jugendliche sollen damit vor einer Verschuldung geschützt werden. Die Ursachen dafür sind allerdings vielfältig. föd. Der Nationalrat hat sich für ein Verbot für aggressive Werbung für Kleinkredite ausgesprochen. Stimmt auch der Ständerat dem Gesetz am Ende zu, muss die Kreditbranche definieren, welche Werbung konkret verboten sein soll. Kommt innert angemessener Frist keine Vereinbarung zustande, regelt der Bundesrat die Frage. Wer gegen das Verbot aggressiver Werbung verstösst, soll mit Bussen bis zu 100'000 Franken bestraft werden. Das sei allerdings zu wenig, sagt Jürg Gschwend von der Fachstelle für Schuldenberatung der Caritas Schweiz: «Die Sanktionen müssen wehtun und der Bussbetrag daher höher sein.» Verglichen mit den Gewinnen, die die Banken machen, seien 100'000 Franken nicht genug. Ausserdem müsse der Bund selber entscheiden, was aggressive Werbung ist. Doch mit einem Verbot für die Werbung für Kleinkredite sind die Ursachen für Schulden nicht behoben. Viele Faktoren können zu einer Verschuldung führen. Unerwartetes und Fehleinschätzungen Der Grund, weshalb man sich verschuldet, sei ganz banal, sagt Gregor Mägerle, Leiter Schuldenprävention der Stadt Zürich: «Wenn man mehr ausgibt, als man einnimmt.» Ungeplante Ausgaben, Scheidung, Krankheit, Fehleinschätzung, Selbständigkeit, Einkommenseinbussen und der gesellschaftliche Konsumdruck können bei Erwachsenen zu solchen Mehrausgaben führen. Fehlende Finanzkompetenz, Konsum als Freizeitbeschäftigung, Gruppendruck, kompensatorischer Konsum und Sucht sind die Hauptursachen bei Jugendlichen. Jugendliche und junge Erwachsene sind in besonderem Masse gefährdet, in die Schuldenfalle zu geraten. Das bestätigten die Zahlen aus der Stadt Zürich: 11 Prozent aller Verschuldeten sind zwischen 22 und 26 Jahre alt, 14,8 Prozent zwischen 27 und 31. Die durchschnittliche Schuldensumme der 22- bis 26-Jährigen beträgt 4700 Franken und liegt somit über dem Durchschnittslohn dieser Altersgruppe. «Jugendlich leben häufig über ihre Verhältnisse» «Der Zeitpunkt, wenn Jugendliche – meist nach der Ausbildung – von Zuhause ausziehen, ist häufig der Anfang der Verschuldung», erklärt Mägerle. Während sie zuvor finanzielle Unterstützung von den Eltern erhielten, seien sie plötzlich auf sich alleine gestellt und würden oft vergessen, dass es neben dem Ausgang auch noch andere Kosten zu bewältigen gebe, stellt Mägerle fest. Miet- und Lebenshaltungskosten, Steuern und Krankenkassenprämien werden ausgeblendet – bis die ersten Rechnungen ins Haus flattern und keine Rückstellungen für die Zahlungen vorhanden sind oder die Rechnungen einfach vergessen gehen. 2008 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) wurden 657'000 Personen mit Steuerschulden verzeichnet. Kredite nicht der Auslöser Gemäss Andrea Fuchs, Präventionsfachfrau der Schuldenberatung Aargau-Solothurn, ist die Aufnahme eines Kredits häufig nicht der Auslöser der Verschuldung, er stehe aber früh in der Kette der Verschuldungsgeschichte, um z.B. Steuerschulden zu bezahlen. Die Fachfrau fordert, dass Kredite schwerer zugänglich sind und nicht verharmlost werden. Privates Geld und Schulden seien Tabuthemen und müssten in der Familie, Schule und Öffentlichkeit diskutiert werden. Für Andrea Fuchs ist es vor allem aber entscheidend, dass sich eine Werteänderung vollzieht: «Es darf nicht egal sein oder kein Rolle spielen, wenn man für Ferien oder Autos einen Kredit aufnimmt.» Das Bewusstsein, dass man «mit dem auskommen muss, was man hat», müsse gestärkt werden. Jürg Gschwend, Gregor Mägerle und Andrea Fuchs erachten den heutigen Beschluss des Nationalrates als Schritt in die richtige Richtung. Allerdings fordern alle drei mehr finanzielle Unterstützung für die Schuldenprävention.