Die Zelle Martin Vonlanthen 2015 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle 1. Leben Die Frage nach dem Ursprung des Lebens auf der Erde war über viele Jahrhunderte hinweg kein Problem. Auf der einen Seite glaubte man an die göttliche Schöpfung der Welt und aller Lebewesen als unveränderbare Arten. Andererseits glaubte man an die spontane Erzeugung, nämlich daran, dass Fliegen und andere Insekten, Würmer, aber auch Menschen spontan geboren werden. Bis zur Zeit von Galilei (1564 – 1642) kann man Rezepte finden, wie Fliegen aus faulendem Fleisch spontan entstehen können. Erst durch die Experimente von Louis Pasteur (1822 – 1895) konnte eindeutig bewiesen werden, dass alle Lebewesen aus bereits bestehenden Lebewesen entstehen (Omnia cellula ex cellula). Damit ist aber das eigentliche Problem noch nicht gelöst: wie entstanden die ersten Lebewesen? Diese Frage – dies sei hier vorweggenommen – lässt sich bis heute nicht beantworten. Abbildung: Die Entstehung eines Menschen aus formloser Masse nach der Vorstellung von Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) 1.1. Die Entstehung des Lebens Die Erde wird auf ein Alter von 4.5 – 5 Mrd. Jahre geschätzt. Bevor überhaupt erste Lebewesen entstehen konnten, musste sich die Erde abkühlen und es musste sich ein Urozean bilden, der den ersten Lebensformen Schutz vor der starken Ultraviolettstrahlung bot. Die Uratmosphäre enthielt vermutlich Methan (CH4), Kohlenstoffmonoxid (CO), Kohlenstoffdioxid (CO2), Stickstoff (N2), Ammoniak (NH3), Wasserstoff (H2) und auch Wasserdampf (H2O) aber kein Sauerstoff (O2). Man nimmt an, dass erste Lebensformen im Wasser entstanden sind, hier am ehesten in der Umgebung von heissen Quellen, wo genügend Energie zur Verfügung stand, um die Bildung der ersten Biomoleküle voranzutreiben. Im Wasser deshalb, weil die Uratmosphäre nicht sehr lebensfreundlich war: die Bedingungen, die an der „Luft“ herrschten wären für die ersten Biomoleküle resp. die daraus entstehenden primitiven Lebensformen schädlich gewesen. Erst mit zunehmendem Sauerstoffgehalt konnten sich Lebensformen auch an Land etablieren. 2 feusi -3.5 Mrd. Jahre -3.9 Mrd. Jahre -4.5 Mrd. Jahre I Berufsmaturität I I Die Zelle Bis heute ist es schwierig, den genauen Zeitpunkt der Entstehung der ersten Lebewesen zu bestimmen. In geologischen Formationen, die älter als 600 Mio. Jahre alt sind, gibt es kaum Fossilien, da die entsprechenden Gesteine im Laufe der Erdgeschichte hohem Druck und hohen Temperaturen ausgesetzt waren. Abbildung: Die Entstehung der ersten Lebewesen in der zeitlichen Abfolge 1.1.1. Was heisst überhaupt Leben? Bevor wir uns näher mit den Eigenschaften des Lebendigen beschäftigen werden, wollen wir uns zuerst einmal überlegen, was der Begriff „Leben“ eigentlich bedeutet. Überlegungsfrage 1 Betrachten wir zwei Objekte: eine Pflanze und ein Stein. Es fällt uns nicht schwer, die Pflanze als Lebewesen zu bezeichnen, währendem der Stein klar nicht in diese Kategorie fällt. Aber wo liegt die Abgrenzung zwischen lebendig und nicht lebendig? Suchen sie fünf klare Unterschiede zwischen Pflanze und Stein. Folgende Definition des Lebens gefällt mir besonders gut: „Leben ist ein komplexes Phänomen der Selbstorganisation, das sich an Orten ereignet, an denen Energie von einem wärmeren zu einem kühleren Objekt fliesst. Ein solcher Energiefluss ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung von Leben .... dies bedeutet, dass in einem Lebewesen ein Zustand hoher Ordnung aus einem Zustand der Unordnung hervorgeht. Der Ort, an dem dieser Prozess heute stattfindet, ist die Oberfläche der Erde. Das warme Objekt, von dessen Energie das Leben abhängt, ist die Sonne. Nach diesem Modell existiert Leben möglicherweise auch an anderen Orten, die wenig Ähnlichkeit mit der Erdoberfläche besitzen – etwa in stellaren Gas- oder Staubwolken.“ John Gribbin „Wissenschaft für die Westentasche“ Überlegungsfrage 2 Was könnte der Autor mit Ordnung resp. Unordnung meinen? Was hat Leben mit Ordnung zu tun? 1.2. Eigenschaften des Lebendigen 1.2.1. Leben ist in vielen Strukturebenen organisiert Komplexe technische Gegenstände wie Flugzeuge, Autos, oder der Computer, auf dem dieses Skript geschrieben worden ist, bestehen aus Tausenden ganz unterschiedlicher Bausteine – von Glasscheiben, Gummireifen bis zu Mikrochips. Biologische Ordnungen dagegen gründet sich auf eine Hierarchie von Strukturebenen, wobei jede Ebene auf der darunter liegenden aufbaut. 3 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle So sind die Atome, die chemischen Bausteine aller Materie, in den Lebewesen zu komplexen biologischen Makromolekülen, wie den Proteinen und Kernsäuren, organisiert. Diese Moleküle des Lebens bilden winzige Strukturen, die Organellen, die ihrerseits Bestandteile der Zellen sind. Manche Organismen bestehen aus einer einzigen Zelle: Abbildung: Beispiel eines einzelligen Organismus. Innerhalb der Zellen sind Organellen mit unterschiedlichen Funktionen zu erkennen. Dagegen bestehen grössere Pilze, Pflanzen und Tiere, die man von blossem Auge sehen kann, aus vielen Zellen. In vielzelligen Organismen bilden Zellen des gleichen Typs Gewebe. Bestimmte Anordnungen von Geweben bilden ihrerseits Organe. So bestehen die Muskeln, welche die Finger beim Schreiben bewegen, aus quergestreiftem Muskelgewebe, das von Bindegewebe eingefasst ist. Sehnen übertragen die Zugkraft der Muskeln auf die Fingerknochen. Muskeln, Sehnen und Knochen bilden zusammen ein Organsystem, den Bewegungsapparat. Ein Organismus wie der Mensch besteht aus verschiedenen Organsystemen (Nervensystem, Kreislaufsystem, usw.). Abbildung: Knochen, Muskeln und Sehnen bilden das Organsystem Bewegungsapparat Die weiteren Stufen der biologischen Hierarchie gehen über den einzelnen Organismus hinaus: eine Population ist eine örtlich begrenzte Gruppe von Organismen derselben Art. Die Populationen der verschiedenen Arten eines Lebensraums bilden eine Biozönose, das heisst, eine Lebensgemeinschaft. Schliesslich ergibt sich durch die Wechselbeziehungen dieser Lebensgemeinschaft mit unbelebten Umweltfaktoren wie Biochemikalien, Wasser und Klima ein Ökosystem. Alle Ökosysteme der Erde zusammen bilden die sogenannte Biosphäre. 4 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Mit jeder Stufe in der Hierarchie biologischer Ordnung treten neue Eigenschaften auf, die auf den unteren Organisationsebenen noch nicht vorhanden waren – also neu auftauchende Qualitäten. Diese emergenten Eigenschaften (lateinisch emergere = auftauchen) entstehen aus Wechselwirkungen zwischen den Komponenten. So besitzt ein DNS-Molekül Merkmale, die keines der Atome aufweist, und eine Zelle ist etwas völlig anderes als eine beliebige Ansammlung von Molekülen. Da Leben emergente Eigenschaften aufweist, kann man es nicht mit einem einfachen Satz definieren. Wir können Leben erkennen, und zwar anhand weiterer Eigenschaften und Aktivitäten der Lebewesen, die nun kurz vorgestellt werden: Fortpflanzung Organismen pflanzen sich aus sich selbst fort – und Leben geht nur aus Leben hervor. Man unterscheidet zwischen geschlechtlicher – und ungeschlechtlicher Fortpflanzung. Vererbung, Wachstum und Entwicklung Lebewesen besitzen erbliche Programme in Form von DNS. DNS (englisch: DNA) ist die Abkürzung für Desoxiribonucleinsäure. Dieser Stoff ist die Erbsubstanz aller Lebewesen. Die DNS dirigiert die Wachstums- und Entwicklungsmuster und erzeugt so einen Organismus, der ein typischer Vertreter seiner Art ist – z.B. eine Gämse. Stoffwechsel Organismen ernähren sich, sie atmen und sie scheiden Abfallprodukte aus. Damit verbunden nehmen sie Energie auf und wandeln sie in andere Energieformen um. So nutzt das Gemskitz die in seiner Nahrung enthaltenen Stoffe einerseits, um seinen Körper aufzubauen, andrerseits, um das Klettern sowie alle anderen Formen von Arbeit anzutreiben. Reaktion auf die Umwelt Sieht das Gemskitz in der Luft die Silhouette eines Steinadlers, rennt es unter eine Tanne oder unter den Bauch der Mutter in Deckung. Es hat damit auf einen äusseren Reiz reagiert. Ein Beispiel für einen inneren Reiz ist dagegen das Sinken des Blutzuckerspiegels. Das löst Hungergefühle aus – das Kitz wird bei seiner Mutter Milch saugen. Homöostase – Gleichgewicht Regulationsmechanismen halten das innere Milieu eines Organismus in engen Grenzen konstant, trotz erheblicher Schwankungen in der Umwelt. Diese Regulation wird als Homöostase bezeichnet. 5 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Die Körpertemperatur der jungen Gämse schwankt nur in engen Grenzen, regelmässiges Trinken und der Besuch der Salzstelle tragen zur Regulation des Wasser und Salzgehaltes bei. Das Funktionieren der Homöostase hängt u.a. von der Fähigkeit, innere und äussere Reize wahrzunehmen (vgl. oben) ab. Evolutionäre Anpassung Das Leben entwickelt sich durch die Wechselwirkungen zwischen Organismus und Umwelt. Eine Konsequenz der Evolution ist die Angepasstheit von Organismen an ihre Umwelt: die Ausbildung eines dichten Winterfells erlaubt Gämsen das Überleben im Bergwinter, das grosse Herz und die harten Hufe ermöglichen die schnelle Flucht in schwierigem Gelände. Zellen: Bau- und Funktionseinheiten des Lebens Eine Zelle kann definiert werden als kleinste, selbständige lebensfähige Erscheinungsform des Lebens. Das heisst, sie ist die unterste der Strukturebenen, die sämtliche Eigenschaften des Lebens in sich vereinigt. Robert Hooke (1635 – 1703) beschrieb im Jahre 1665 als erster Zellen, als er eine Scheibe Kork mit 30facher Vergrösserung unter dem Mikroskop betrachtete. Da die winzigen Kästchen der Anordnung der Zellen der Mönche im Kloster glichen, wurde dafür der Begriff Zelle geprägt. Abbildung: von Hooke gezeichnete Korkzellen Überlegungsfrage 3 Suchen sie – Analog zum Beispiel Gämse – nach möglichst eindeutigen Erkennungsmerkmalen des Lebendigen (Stoffwechsel – Reaktion – Homöostase – Anpassung) die für uns Menschen gelten. 6 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle 1.3. DNS: das zentrale Molekül der Lebewesen Sämtliche Lebensprozesse die in einem Organismus ablaufen werden von Biomolekülen gesteuert. Allen Biomolekülen gemeinsam ist ihr Aufbau: es sind Makromoleküle (Polymere), die durch Aneinanderkopplung von kleinen Grundeinheiten (Monomeren) entstehen. Die unterschiedliche Anordnung von wenigen Grundbausteinen ermöglicht die Bildung einer grossen Vielfalt von Molekülen mit unterschiedlichem Informationsgehalt (als Vergleich dienen die 26 Buchstaben des Alphabetes; aus ihnen lassen sich unzählige Wörter mit unterschiedlichster Bedeutung generieren). Wir wollen nun eines der wichtigen Biomoleküle näher anschauen: die DNS. Die Struktur des Moleküls wurde vor 60 Jahren zum ersten Mal durch die beiden Forscher James Watson und Francis Crick beschrieben. Seither hat das Molekül eine unheimliche Erfolgsgeschichte hinter sich. 1.3.1. Was ist DNS? Die Erbsubstanz DNS ist der chemische Stoff, der unsere Erbinformation enthält. Der ausgeschriebene chemische Name hört sich etwas exotisch an und erinnert ein wenig an malerische Indianerwörter: Desoxiribonucleinsäure. Übersetzt bedeutet das Wort sinngemäss: saurer Zucker aus dem Kern der Zelle, der zu wenig Sauerstoff hat. Die DNS-Moleküle bilden sehr lange Ketten (so entspricht die Gesamtlänge aller DNS Fäden einer einzigen menschlichen Zelle 2 Meter!), die aus zahlreichen miteinander verbundenen Bausteinen bestehen. Ein Organismus besteht aus Hunderten von Milliarden einzelner Zellen. Dabei besitzt jede Zelle genau das gleiche genetische Material, da alle unsere Zellen durch Teilung aus einer einzigen Vorläuferzelle (der befruchteten Eizelle) entstanden sind! 7 feusi I I Berufsmaturität Zelle mit Zellkern I Die Zelle Abbildung: Eine menschliche Zelle besteht aus Zellkern und Zytoplasma. Im Zellkern befinden sich die DNS-Fäden, die platzsparend zu X-förmigen Gebilden – den Chromosomen, aufgerollt sind. Chromosomen Base Rückgrat DNS-Faden Das entscheidende biologische Merkmal der Kette besteht darin, dass seitlich an einem Rückgrat, eine von vier verschiedenen Basen angelagert ist. Diese Basen sind Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T): Adenin Thymin Guanin Cytosin Jeweils zwei dieser Stränge „reichen sich die Hand“; dabei verbindet sich A immer mit T und C mit G, wodurch die berühmte Doppelhelix entsteht. Das Rückgrat jeder Kette bildet eine abwechselnd aus einer Phosphatgruppe und einem Zucker (der Desoxyribose) zusammengesetzte Sequenz. 8 feusi I Berufsmaturität Basenpaare Rückgrat I I Die Zelle Doppelhelix Entscheidend für die Informationsspeicherung ist die Abfolge der vier „Buchstaben“ entlang jeder Kette etwa AGCCATGTCATT... (oder eine beliebige andere Sequenz). Dies entspricht einer Botschaft, die in einem Alphabet aus vier Buchstaben geschrieben ist – eine Botschaft, die beim Menschen 2.5 Milliarden Buchstaben umfasst, was einem gewöhnlichen Buch mit einer Million Seiten entspricht. Das genügt vollauf, um eine vollständige Beschreibung des Bauplans und der Lebensfunktionen des menschlichen Körpers zu liefern. Allerdings tragen nur einige Prozent der langen DNS-Moleküle Botschaften, sogenannte Gene (Erbfaktoren). Der überwiegende Teil (>98% des gesamten Erbgutes) hat verschiedenste Aufgaben im Zusammenhang mit der Organisation der Gene und ihrer Vermehrung. Dieser Teil enthält auch stumme Abschnitte ohne offensichtliche biologische Funktion. Diese Abschnitte weisen eine grosse Vielgestaltigkeit auf, so dass jedes Individuum, mit Ausnahme eineiiger Zwillinge einen individuellen DNS Aufbau besitzt. 1 2 3 Abbildung: Ausschnitt aus einem DNS-Faden der Personen A und B Rot = Gene 1 - 3 Grau = stumme Abschnitte zwischen den Genen Person A 1 Person B 2 3 Person A und B unterscheiden sich einzig in der Länge der stummen Abschnitte nicht aber in der Zahl und Funktion der Gene. 1.3.2. Was sind Gene? Das menschliche Erbgut besteht etwa aus 30 000 Genen. Eine erstaunlich tiefe Zahl, wenn man bedenkt, dass eine einfache Hefezelle etwa 12 000 Gene besitzt. 9 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Dabei sind Gene nur die Speicher für die Information, analog zu der Festplatte eines Computers. Damit diese Information auf dem Bildschirm als „Bild“ sichtbar wird muss sie zuerst in den Arbeitsspeicher kopiert und dann in farbige Pixel übersetzt werden, die schließlich für unser Auge ein Bild ergeben. Ein analoger Prozess geschieht in unseren Zellen. Die in den Genen als Abfolge der vier Buchstaben A, T, G und C gespeicherte Information wird kopiert und in die Sprache der Eiweisse (Proteine) übersetzt und dadurch „sichtbar“. Eiweisse sind z.B. verantwortlich für die Farbe der Haare, für die Blutgruppe, sie wirken als Enzyme und Hormone, können Transportfunktion übernehmen oder wirken als Strukturgeber (z.B. in Haaren). Ihre Funktionen sind also höchst vielfältig. Gen „Speicher“ kopieren übersetzen Eiweiss (Protein) „sichtbare Information“ = Merkmal Abbildung: Ausschnitt aus einem DNS-Faden mit den Genen und deren jeweiligen Funktionen Kapitel 1: Fragen zum Verständnis 1. Definieren Sie den Begriff Emergenz. Wieso sind Lebewesen emergente Systeme? 2. Wie entstanden die ersten Lebewesen auf der Erde? Ist Leben auch in anderen Teilen des Universums möglich? 3. Viren bestehen aus Erbsubstanz und schützenden Hüllen. Sie sind für ihre Vermehrung auf den Stoffwechsel der Wirtszelle angewiesen. Sind Viren Lebewesen? Begründen Sie Ihre Antwort. 4. Wieso kann man DNS als zentrales Molekül des Lebens bezeichnen? 5. Beschreiben Sie den Aufbau der Erbsubstanz. Benutzen Sie dazu folgende Begriffe: Zelle, Zellkern, Basen, Chromosom, Gene, stumme Abschnitte, Doppelhelix 10 feusi I I Berufsmaturität I Die Zelle 2. Tierische Zellen Organell: Funktion: Abbildung: Die Tierzelle im Überblick mit den wichtigsten Zellorganellen und deren Diese Zeichnung einer Tierzelle zeigt die am häufigsten in den Zellen der Tiere vorkommenden Strukturen. Keine einzelne Zelle sieht genauso aus. Im Zellinneren liegen verschiedene Bestandteile, die man zusammenfassend als Organellen („kleine Organe“) bezeichnet. Viele Organellen sind von Membranen umgeben, anderen fehlt eine solche Abgrenzung (beispielsweise den Ribosomen). Das auffälligste Organell einer Tierzelle ist in der Regel der Zellkern, der die Erbinformation in Form von DNS-Fäden enthält. Der Zellkern ist von einer Hülle aus zwei Membranen umgeben, die von Kernporen durchbrochen sind. Die meisten Stoffwechselreaktionen spielen sich im Grundplasma (Zytoplasma) ab, dem Bereich zwischen dem Zellkern und der die Zelle umgebenden Zellmembran. Das Grundplasma enthält zahlreiche spezialisierte Organellen: durch grosse Teile des Grundplasmas zieht sich das endoplasmatische Reticulum (ER), ein Labyrinth aus Membranen, die abgeflachte Säcke und Röhren bilden. 11 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Der Golgi Apparat besteht aus Stapeln abgeflachter Membransäcken und wirkt an Synthese, Weiterverarbeitung, Speicherung, Sortierung und Ausschleusung chemischer Produkte der Zelle mit. Als weitere membranumhüllte Organellen kommen vor: die Pinocytose- und die Fettbläschen. Die Mitochondrien (Singular Mitochondrium) sind die Kraftwerke der Zelle und erzeugen aus organischen Betriebsstoffen (Zucker, Fette) durch die Zellatmung die benötigte Energie in Form von ATP. 2.1. Die wichtigsten Zellorganellen und ihre Aufgaben 2.1.1. Die Zellmembran Die Zellmembran besteht aus einer doppelten Schicht von wasserabstossenden Lipiden (Fetten), die dafür sorgen, dass nur kleine gasförmige Moleküle (wie O2) in das Zellinnere gelangen können. In die Membran sind eine Vielzahl von Proteinen (Eiweissen) eingelagert, die für den selektiven Stoffaustausch und die Signalerkennung verantwortlich sind. Die Zellmembran erfüllt folgende Aufgaben: Sie kontrolliert den Stoffaustausch der Zelle mit der Umgebung. Das heisst, sie bestimmt weitgehend, welche Stoffe in die Zelle aufgenommen werden. Wie bereits erwähnt, ist sie für kleine Teilchen voll durchlässig, für grosse Moleküle (z.B. Traubenzucker) und Ionen (z.B. K+) ist sie dagegen selektiv durchlässig, sie kann solche Teilchen je nach Bedarf passieren lassen oder auch nicht. Sie erkennt chemische Signale wie Hormone, Pheromone (Sexuallockstoffe) Geschmacks- und Geruchsstoffe und Neurotransmitter. 12 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle 2.1.2. Der Zellkern Abbildung: Zellkern und endoplasmatisches Reticulum (ER); 1: Kernpore, 2: Kernhülle, 3: Kernkörperchen, 4: Chromatin, 5: ER mit Ribosomen, 6: Ribosomen, 7: ER ohne Ribosomen Der Zellkern ist meist kugelförmig und von einer Hülle, der Kernhülle begrenzt. Diese ist von Kernporen durchsetzt, diese ermöglichen den Stofftransport aus dem Kern ins Zytoplasma und umgekehrt. In seinem Inneren enthält der Zellkern das Erbgut in Form von DNS. DNS-Moleküle sind extrem lang und dünn. Damit sie nicht auseinanderbrechen, sind sie mit vielen Proteinen verbunden, die als molekulare Fadenspulen dienen. Ausser während der Zellteilung sind die DNSMoleküle weitgehend abgewickelt und bilden ein dichtes Fadengeflecht. Man bezeichnet in diesem Zustand den Inhalt des Kerns als Chromatin. In einem Zellkern können gleichzeitig mehrere Kernkörperchen vorhanden sein. Sie bilden Baustoffe für die Ribosomen, die durch die Kernporen ins Grundplasma gelangen und sich dort zu fertigen Ribosomen zusammenfinden. Der Zellkern erfüllt folgende Aufgaben: Er steuert die Produktion von Proteinen und damit den Zellstoffwechsel. Die DNS enthält die Bauanleitung für die vielen verschiedenen Proteine, die eine Zelle herstellen können muss. Viele davon sind Enzyme, die für einen geregelten und schnellen Ablauf der Stoffwechselprozesse einer Zelle unerlässlich sind (siehe Kapitel 1.3.2.). Vor der Zellteilung stellt der Zellkern eine Kopie des gesamten genetischen Materials her. Wachstum, Entwicklung und Erhalt des Körpers beruhen auf Milliarden von Zellteilungen. Dabei wird das Erbgut vor jeder Zellteilung exakt kopiert. Deshalb enthält jeder Zellkern eines Organismus die gesamte genetische Ausstattung. Wenn sich Körperzellen voneinander unterscheiden, dann also nicht, weil sie verschiedenes Erbgut enthalten. Vielmehr sind in ihnen unterschiedliche Teile des Erbguts aktiv bzw. passiv. 13 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle 2.1.3. Die Mitochondrien Abbildung: Mitochondrien bestehen aus zwei Membranen, einer glatten äusseren und einer stark aufgefalteten inneren. Mitochondrien findet man fast in allen eukaryotischen Zellen. Manchmal ist nur ein einziges Mitochondrium vorhanden, die meisten Zellen besitzen jedoch – je nach ihrem Energiebedarf – Hunderte bis Tausende dieser Organellen. Mitochondrien sind ca. 1 - 2 μm lang, haben eigene DNS und vermehren sich durch Zweiteilung. Sie bestehen aus zwei Membranen: die äussere ist glatt, die innere bildet zahlreiche Falten. Dadurch erhält das Organell eine grosse innere Oberfläche, was seine Leistungsfähigkeit beträchtlich steigert. In den Mitochondrien werden energiereiche Nährstoffe mit Sauerstoff zu energiearmen Verbindungen „verbrannt“. Dieser Prozess wird als Zellatmung bezeichnet. Die dabei frei werdende Energie wird der Zelle in geeigneter Form (z.B. als ATP) zur Verfügung gestellt. Als Energie liefernde Stoffe dienen in erster Linie Traubenzucker (Glukose) und Fette. Der in Wirklichkeit sehr komplizierte Ablauf der Zellatmung lässt sich mit der folgenden Gleichung zusammenfassen: C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O + Energie Mensch und Tier gewinnen die benötigte Glukose aus der Nahrung. Sie wird nach der Verdauung von den Darmzellen aufgenommen und ans Blut weitergegeben. Da der Blutzuckergehalt nicht mehr als ca. 1 g pro Liter betragen darf, wird die meiste Glukose von Leber- und Muskelzellen aufgenommen und in einer Speicherform zwischengelagert. Sie kann jederzeit wieder freigesetzt und mit dem Blut zu einem beliebigen Organ transportiert werden. Sauerstoff nehmen wir über die Lungen ins Blut auf, welches ihn zu den Zellen bringt, wo er letztlich die Mitochondrien erreicht. Wasser (H2O) und Kohlendioxid (CO2) – die Endprodukte der Zellatmung – werden von den Zellen ebenfalls ans Blut abgegeben. Kohlendioxid und ein Teil des Wassers atmen wir aus. 14 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle 2.1.4. Das endoplasmatische Reticulum Das endoplasmatische Reticulum (ER) ist ein umfangreiches Membranlabyrinth. (endoplasmatisch bedeutet „im Grundplasma“ und Reticulum ist das lateinische Wort für „Netz“). Das ER besteht aus einem Geflecht von Membranröhren und -säcken, die sich zu Zisternen erweitern können. Diese Hohlräume sind durch die ER-Membran vom Grundplasma abgegrenzt. Das ER geht direkt in die Kernhülle über. Falls das ER auf der Aussenseite Ribosomen trägt, spricht man auch rauen ER. Das ER wirkt bei vielfältigen Stoffwechselprozessen mit u.a. auch beim Abbau von Giften und Arzneimitteln. Zudem ist es an der Synthese (Aufbau) von Fettsäuren und bestimmten Hormonen beteiligt. Am rauen ER werden zusätzlich Proteine gebildet, die anschliessend im inneren des Systems wenn nötig noch bearbeitet werden. Zur Ausscheidung werden die fertigen Proteine portionenweise in kleine MembranBläschen verpackt, die sich dann vom ER abschnüren. Man bezeichnet solche Bläschen als Vesikel. 2.1.5. Der Golgi Apparat Der Golgi-Apparat einer Zelle besteht aus Stapeln von fladenförmigen, durch Membranen begrenzten Hohlräumen. In der Regel sind in einer Zelle mehrere solche Stapel vorhanden. Manche vom ER abgeschnürten Vesikel verschmelzen mit dem Golgi-Apparat, der ihren Inhalt weiter verarbeitet und dann wieder in Vesikel für den Abtransport verpackt (Golgi-Vesikel). Manche Stoffe werden aber auch direkt im Golgi-Apparat produziert, so beispielsweise Zellulose, das wichtigste Material zum Aufbau der Zellwände von Pflanzenzellen. 2.1.6. Die Ribosomen Proteine werden von den Ribosomen produziert. Zellen mit grossem Proteinbedarf besitzen deshalb besonders viele Ribosomen – menschliche Leberzellen z.B. einige Millionen! Ausserdem beobachtet man in Zellen, die viel Protein produzieren, besonders grosse Kernkörperchen, welche die Fabrikation von Ribosomen im Gang halten. Ribosomen liegen entweder frei im Grundplasma oder sind an den Aussenflächen des endoplasmatischen Reticulums angeheftet. Die meisten der an freien Ribosomen erzeugten Proteine, erfüllen ihre Aufgabe später im Grundplasma der betreffenden Zelle. Von Membran gebundenen Ribosomen werden in der Regel Proteine synthetisiert, die für den Einbau in Membranen oder für den Export aus der Zelle bestimmt sind. Membrangebundene und freie Ribosomen sind identisch und austauschbar. 15 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle 3. Ein Blick in die Pflanzenzelle Die bisher besprochenen Zellstrukturen kommen bei allen eukaryotischen Organismen vor. Pflanzenzellen unterscheiden sich von tierischen Zellen in den charakteristischen Merkmalen: Sie besitzen eine Zellwand und eine zentrale Vakuole Sie besitzen Chloroplasten Natürlich hängen diese Unterschiede mit der Lebensweise der Pflanzen zusammen, die ganz anders als unsere eigene ist und die wir in ihren Grundzügen kennen: Pflanzen sind mit den Wurzeln im Boden verankert, aus dem sie Wasser und Nährstoffe aufnehmen; und sie benötigen für ihr Wachstum Licht. Im Gegensatz zu den äusserlich kompakten Tieren, die den Stoffaustausch mit der Umwelt über grosse innere Oberflächen (z.B. Darm, Lungen) bewältigen, sind Pflanzen buchstäblich verästelt und besitzen dank der Blätter in der Regel eine grosse äussere Oberfläche, die für die optimale Ausnützung des Lichts von Bedeutung ist. Nur Pflanzen, die in besonders trockenen Gebieten leben, verkleinern ihre Oberfläche. So verzichten Kakteen überhaupt auf Blätter, verlieren dadurch wenig Wasser, wachsen aber dementsprechend langsam. Sinnesorgane wie Muskeln und ein Nervensystem benötigen die ortsfesten Pflanzen nicht. 3.1. Pflanzen ernähren sich autotroph Aufgrund ihrer Ernährungsweise kann man die Lebewesen in zwei Gruppen unterteilen: Die autotrophen Organismen (gr. autorophos sich selbst ernährend) benötigen nur anorganische Stoffe um zu wachsen (Kohlendioxid, Wasser, Nährsalze). Autotroph sind die Pflanzen, ein Teil der eukaryotischen Einzeller (Algen) sowie ein Teil der Bakterien. Dass die autotrophen Lebewesen aus denselben organischen Verbindungen bestehen wie die übrigen Organismen zeigt, dass sie diese Stoffe aus ihrer anorganischen Nahrung selber herstellen können! Grundlage hierfür ist die Fotosynthese (gr. Photos Licht, synthesis Zusammenbau). heterotrophe Organismen (gr. hetero anders) müssen neben einigen anorganischen Stoffen (Wasser, Salze, Spurenelemente) vor allem organische Stoffe aufnehmen. Heterotroph sind Tier und Mensch, die Pilze sowie viele Einzeller. 16 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Abbildung: Chloroplasten besitzen Membranstapel, die Chlorophyll enthalten – den grünen Farbstoff – der für die Fotosynthese verantwortlich ist. Chloroplasten sind linsenförmige von einer Doppelmembran begrenzte Organellen. Die Innenmembran bildet stellenweise Stapel, die den grünen Farbstoff Chlorophyll enthalten. In den Chloroplasten spielt sich die Fotosynthese ab, ein komplexer biochemischer Prozess, der für alle Lebewesen von grosser Bedeutung ist. Die Fotosynthese lässt sich mit der folgenden Gleichung darstellen: 6 CO2 + 6 H2O + Licht → C6H12O6 + 6 O2 Als Ausgangsmaterial benutzen die Chloroplasten also zwei Stoffe, die wir schon kennen, nämlich Kohlendioxid und Wasser: damit bauen sie Traubenzucker (Glukose) auf. Das Chlorophyll dient als „molekularer Sonnenkollektor“ und ermöglicht so die Nutzung von Lichtenergie zum Aufbau der Glukose. Die Gleichung zeigt uns ausserdem, dass bei der Fotosynthese - gleichsam als Abfallprodukt – Sauerstoff freigesetzt wird. Dieser wird an die Umgebung abgegeben: von Landpflanzen in die Luft, von Wasserpflanzen ins Wasser. Zum Schluss sei betont: Alles Leben hängt von der Fotosynthese ab: sie versorgt die Organismen mit Nahrung und mit Sauerstoff! 17 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Kapitel 2 und 3: Fragen zum Verständnis 1. Benennen Sie in folgender Abbildung möglichst alle Zellbestandteile (ohne 9, 10 und 11) und beschreiben Sie stichwortartig deren Funktionen. Handelt es sich bei der abgebildeten Zelle um eine tierische oder um eine pflanzliche Zelle (mit Begründung)? 2. Vergleichen Sie die beiden chemischen Gleichungen Zellatmung und Fotosynthese (Seite 15 und Seite 17). Was fällt ihnen dabei auf? 3. Was ist mit der Aussage „alles Leben hängt von der Fotosynthese ab“ gemeint? 18 feusi I I Berufsmaturität I Die Zelle 4. Bakterien (Prokaryoten) Bakterien sind wohl die grösste und vielfältigste Gruppe der Mikroorganismen, man unterscheidet unzählige Arten. Sie bilden mehr als die Hälfte der gesamten Biomasse unseres Planeten. Wenn man alle Zellen eines menschlichen Organismus zählen würde, so wären 90% davon Bakterien. Abbildung: Alle Bakterien sind nach demselben Grundbauplan aufgebaut; sie besitzen als einzige Zellorganellen Ribosomen zur Proteinsynthese. Das genetische Material ist in Form eines einzigen Chromosoms (Kernäquivalent) organisiert. Allerdings besitzen Bakterien zusätzlich Plasmide, die einen raschen Austausch von genetischem Material ermöglichen. Membranen und Zellwände dienen der Abgrenzung. Mit Hilfe von Kapseln können längere Hungerperioden überwunden werden. Flagellen dienen der Fortbewegung. Kontakte zu Nachbarzellen und Oberflächen werden mittels Haftfimbrien hergestellt. Tabelle: 90% der Zellen in oder auf einem Menschen sind Bakterien 70'000'000'000'000 Bakterien leben im Dickdarm eines Menschen und unterstützen die Verdauung. 300'000’000 Bakterien leben im Durchschnitt auf der Haut eines erwachsenen Menschen. 100'000’000 Bakterien leben in der Mundhöhle eines Menschen. 100’000 eingeatmete Bakterien dringen pro Tag bis in die unteren Atemwege vor. Ein Hauptgrund, wieso Bakterien überall und unter allen Umweltbedingungen leben können, ist die Möglichkeit auf einfache Art und Weise untereinander genetisches Material auszutauschen. Dies geschieht durch Kopieren und Weitergabe von Plasmiden. Diesen Prozess nennt man Konjugation und stellt eine erste primitive Form von Sexualität dar. 19 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Abbildung: Bakterien tauschen genetisches Material aus. Über eine Plasmabrücke wird das kopierte Plasmid von einer Zelle in die andere transferiert. Durch Konjugation werden häufig Resistenzgene ausgetauscht. Dadurch werden Bakterien in kurzer Zeit z.B. resistent gegen Antibiotika. Offenbar fördert der gehäufte Einsatz von Antibiotika u.a. in der Tierzucht die Entstehung von Resistenzen. 4.1. Vielfältige Funktionen von Bakterien Sie unterstützen den Stoffwechsel bei vielen Tieren, indem sie Bestandteile der Nahrung zersetzen oder vorverdauen (z.B. Zellulose bei Wiederkäuern). Vitamin-K wird von bestimmten Bakterien im Darm vieler Säugetiere produziert. Zur Lebensmittelproduktion werden Bakterienkulturen eingesetzt (z.B. Joghurt, Quark, Sauerkraut). Enzyme z.B. in Waschmitteln, die von Bakterien hergestellt werden, sorgen für das Lösen von eiweisshaltigen Flecken. Die Entfernung von Nitrat aus Abwässern wird in Kläranlagen von Bakterien vorgenommen. Bakterien produzieren biologisch abbaubaren Kunststoff. In der Biotechnologie werden Bakterien zur Herstellung von Arzneimitteln und verschiedenen chemischen Substanzen genutzt. Natürlich vorkommende Bakterien sorgen für eine Zersetzung toten organischen Materials zu Nährstoffen für die Pflanzen (Reduzenten). 20 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Abbildung: Der ökologische Kreislauf: alles Leben auf der Erde hängt direkt von den Produzenten (Pflanzen und Algen) ab. Durch Fotosynthese wird das Sonnenlicht in chemische Energie (Zucker) umgewandelt. Dieser dient den Konsumenten (Tiere) und den Reduzenten (Mikroorganismen und andere Bodelebewesen) als Nahrungsgrundlage. Die Reduzenten zersetzen alle „Abfallstoffe“, die in einem Ökosystem anfallen und recyclieren die enthaltenen Verbindungen. Die Pflanzen nehmen diese als gelöste Mineralsalze über die Wurzeln auf. 5. Zellteilung (Mitose) und Geschlechtszellbildung (Meiose) Kurz nach der Befruchtung der Eizelle durch ein Spermium setzen geordnete Zellteilungen ein, der werdende Organismus beginnt zu wachsen, Differenzierungsvorgänge bilden aus dem Haufen Zellen ein geordnetes System von Geweben und Organen. Bei der Geburt ist die Zahl der Zellen auf mehrere hundert Milliarden angewachsen. Auch während des Lebens ausserhalb des Mutterleibes wächst der Organismus weiter, dauernd werden alte Zellen durch neue ersetzt. Noch während der Embryonalentwicklung beginnen sich aus einigen Körperzellen durch spezielle Teilungsvorgänge Geschlechtszellen (resp. deren Vorläufer) zu bilden. 21 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle 5.1. Zellteilung (Mitose) Im Kapitel 1.3.1. „Was ist DNS?“, haben wir gelernt, dass DNS-Fäden im Zellkern platz-sparend zu X-förmigen Gebilden – den Chromosomen, aufgerollt sind. Diese Xförmigen Gebilde sind aber eigentlich nur während den ersten Phasen der Zellteilung zu sehen. Im normalen, stoffwechselaktiven Zustand der Zelle, sind keine Chromosomen sichtbar, die DNS ist entspiralisiert und bildet Chromatinfäden. Beginnt sich eine Zelle zu teilen, muss das gesamte Erbmaterial in eine Transportform – die Chromosomen – umgewandelt werden. Prophase Im ersten Teilungsschritt, der Prophase, verkürzen sich die Chromatinfäden zu den Chromosomen, die beiden identischen Chromatiden werden deutlich sichtbar. Am Ende der Prophase werden Kernmembran und Kernkörperchen aufgelöst, und der Spindelapparat, der aus tausenden von Eiweissfäden (Mikrotubuli) besteht, beginnt sich zu bilden. Die Mikrotubuli gehen von speziellen Zellorganellen aus, den Zentrosomen. Diese wandern zu zwei entgegengesetzten Stellen in der Zelle, die man dann Zellpole nennt. In der Metaphase nehmen die Zentrosomen über die Mikrotubuli Kontakt mit den Zentromeren der Chromosomen auf und bewegen sie in der Äquatorialebene zwischen die beiden Zellpole. Die Chromosomen sind nun maximal verkürzt und im Lichtmikroskop deutlich zu erkennen. Metaphase Anaphase In der Anaphase werden die Chromatiden getrennt. Sie werden mit ihrem Zentromer voran als eigenständige Chromosomen (als einchromatid Chromosomen) vom Spindelapparat zu den entgegengesetzten Zellpolen transportiert. Die Anzahl der Chromosomen pro Zelle (und damit verbunden die Gesamtheit der Erbinformationen) ändert sich nicht. Wenn die Chromosomen die Zellpole erreicht haben, wird mit der Telophase die Mitose beendet. Der Spindelapparat löst sich auf. Kernkörperchen und Kernmembran bilden sich neu, und die Chromosomen gehen in die entspiralisierte Chromatinform über. Telophase Teilung der Zellen Interphase Es folgt die Teilung der Zelle. Zwischen den neu entstandenen Zellkernen bildet sich eine Zellmembran und bei Pflanzenzellen zusätzlich die Zellwand. Grundplasma und Zellorganellen werden dabei nahezu gleichmässig auf beide Tochterzellen verteilt. Die gesamte Mitose dauert bei unterschiedlichen Geweben zwischen 30 Minuten und 3 Stunden. Die Zelle tritt nun in die nächste Interphase ein, die 10 bis 20 Stunden, in Ausnahmefällen etliche Tage dauern kann. Es findet das Zellwachstum und die Verdoppelung der Erbinformationen statt. Dabei ist die genetische Information im Zellkern aktiv und regelt die notwendigen Stoffwechselreaktionen der Zelle. Man spricht in dieser Phase vom „Arbeitskern“. 22 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle In wachsenden Geweben durchlaufen die Zellen bis zu ihrer endgültigen Differenzierung im Zellzyklus abwechselnd Mitose und Interphase. Differenzierte Zellen verbleiben in der Interphase. Folgende Abbildung zeigt zusammenfassend noch mal alle Vorgänge bei der Mitose respektive der Interphase. Mitose und Interphase fasst man auch als Zellzyklus zusammen. Die Zellen ändern während des Zellzyklus ihren genetischen Zustand nicht, sie bleiben diploid (2n), d.h. die Chromosomen kommen paarweise (je ein mütterliches, resp. väterliches Chromosom = homologe Chromosomen) vor. Abbildung: der Zellzyklus in der Übersicht. 5.2. Geschlechtszellbildung (Meiose) Bei der Befruchtung verschmelzen Eizelle und Spermium zur Zygote. Trotzdem verdoppelt sich die Chromosomenzahl bei der sexuellen Fortpflanzung nicht. Mikroskopische Untersuchungen zeigen, dass bei diploiden (2n) Lebewesen die Keimzellen nur einen Chromosomensatz enthalten. Sie sind haploid (1n). Ein Chromosomensatz der diploiden Zygote entstammt also der Eizelle, der andere dem Spermium. Die Chromosomen eines homologen Paares sind aus diesem Grund genetisch nicht identisch, d.h. dass sich gleiche Gene in ihrem Informationsgehalt leicht unterscheiden können (z.B. Blutgruppenfaktor A vom Vater resp. B von der Mutter). Die Trennung der homologen Chromosomenpaare und damit die Reduktion auf einen Chromosomensatz, findet bei vielen Lebewesen bei der Bildung der Eizellen bzw. der Spermien statt. 23 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Aus diploiden Körperzellen (den Urkeimzellen) entstehen dann durch besondere Kernteilungsvorgänge die haploiden Keimzellen. Man nennt diese Form der Kernteilung Reifeteilung oder Meiose. Die Meiose verläuft in zwei Teilungsschritten. In der ersten Reifeteilung bzw. Reduktionsteilung werden die homologen Chromosomen im Zellkern zunächst paarweise angeordnet. Die vier Chromatiden liegen in einer sogenannten Tetrade beieinander. Dabei überkreuzen sich die Chromatiden an mehreren Stellen und tauschen einzelne Stücke aus. Dieser Vorgang wird auch Crossing over genannt. Dabei kommt es zu einer Neukombination des bestehenden genetischen Materials. Der Spindelapparat trennt anschliessend jedes Paar und transportiert jeweils eines der homologen Chromosomen zu einem der Zellpole. Dabei entscheidet bei jedem Paar der Zufall, wie die homologen Chromosomen verteilt werden. Es kommt also bei der Bildung der Keimzellen zu einer Neukombination der Chromosomen und damit auch der Erbinformationen. Abhängig von der Anzahl der homologen Paare (n) bestehen 2n verschiedene Kombinationsmöglichkeiten für den neuen Chromosomensatz. Nach der ersten Reifeteilung liegen deshalb zwei genetisch unterschiedliche haploide Zellen vor, deren Chromosomen aber noch aus zwei Chromatiden bestehen, die genetische Information also doppelt enthalten. In der zweiten Reifeteilung, die auch Äquationsteilung genannt wird, werden alle Chromosomen wie bei der Mitose am Zentromer getrennt und mit einfacher Erbinformation durch die Spindelfasern auf die Keimzellen verteilt. Beim Mann entstehen so aus einer Urspermienzelle im Hoden vier gleichgrosse haploide Zellen. Sie werden in bewegliche Spermien umgewandelt. Dabei verlieren sie einen grossen Teil ihres Grundplasmas und bestehen schliesslich nur noch aus dem Kopf (mit dem Zellkern), dem Mittelstück (Mitochondrien zur Energieversorgung) und dem Schwanzfaden (Geissel). In einem Eierstock der Frau entsteht aus einer Urzelle jeweils nur eine grosse Eizelle. Die übrigen Chromosomensätze gelangen in kleine Polkörperchen und werden abgebaut. Das Volumen der Eizelle ist ca. 200 000fach grösser als das des Spermiums und bietet durch den Plasmavorrat dem Leben günstige Startbedingungen. Eine detaillierte Übersicht zur Meiose (mit Abbildungen) finden Sie auf der Seite 26! 24 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Kapitel 5: Fragen zum Verständnis 1. Definieren Sie folgende Begriffe: a) Chromatin b) Chromosom c) homologe Chromosomen d) Chromatiden e) einchromatid-, zweichromatid Chromosom 2. Vergleichen Sie den Ablauf und das Ergebnis von Mitose und Meiose. Stellen Sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten gegenüber. 3. Berechnen Sie die Anzahl der Kombinationsmöglichkeiten homologer Chromosomen bei der Entstehung menschlicher Keimzellen. 25 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Abbildung: Die Bildung von Spermien und Eizellen durch Meiose. 26 feusi I I Berufsmaturität I Die Zelle 6. Die Entstehung eines Lebewesens Alles Leben beginnt mit einer Zelle. Bei der geschlechtlichen (sexuellen) Fortpflanzung verschmelzen zwei geschlechtlich differenzierte Keimzellen miteinander. Beim Menschen nennt man diese Keimzellen Eizelle – resp. Spermium. Genauso wie die meisten Tiere sind wir Menschen aus einer winzigen befruchteten Eizelle – der Zygote – entstanden. Viele Lebewesen – besonders Pflanzen – vermögen auch ganz ohne Sexualität Nachkommen zu bilden. Erwähnt seien hier die oberirdischen Ausläufer der Erdbeeren, resp. die unterirdischen Sprossknollen der Kartoffeln, beides ungeschlechtliche Vermehrungsorgane. Abbildung: Viele kleine Spermien treffen auf eine Eizelle. Nur ein einziger Spermienkopf kann in die Eizelle eindringen und diese befruchten. 6.1. Die Entwicklung eines Menschen Einmal pro Monat (alle 28 Tage) reift im weiblichen Eierstock eine Eizelle heran. Dieser komplizierte Prozess wird durch das Zusammenspiel von Hormonen gesteuert. Ist das Ei vollständig ausgereift, wird es in den Eileiter ausgestossen. Das Ei bleibt nach diesem Vorgang ca. 24 Stunden lebensfähig. Befinden sich während der Passage durch den oberen Teil des Eileiters dort Spermien, so kann eine Befruchtung stattfinden. Spermien bleiben in der Gebärmutter 2 bis 3 Tage, in der Scheide nur wenige Stunden befruchtungsfähig. 27 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Abbildung: die weiblichen Geschlechtsorgane von vorne dargestellt. Bereits auf dem Weg durch den Eileiter zur Gebärmutter vollziehen sich entscheidende Veränderungen. Nach ca. 30 Stunden teilt sich die befruchtete Eizelle (die Zygote) zum ersten Mal. Nach drei Tagen ist durch wiederholte Teilungen bereits ein maulbeerartiger Zellhaufen, die Morula entstanden. Die Masse des Keims hat sich während dieser Zeit kaum verändert. Abbildung: Der Weg der Eizelle vom Eierstock bis zur Gebärmutter. Die Befruchtung findet im oberen Teil des Eileiters statt. Die Wanderung von der Befruchtung der Eizelle bis zur Einnistung in der Gebärmutter dauert etwa 5 Tage. Die Morula wandert durch den Eileiter und erreicht nach drei Tagen die Gebärmutter. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie sich in einen holen Zellball verwandelt, die Blastozyste (Keimblase). Die Aushöhlung heisst Blastozystenhöhle. Am 5. und 6. Tag nach der Befruchtung lagert sich die Blastozyste an die Gebärmutterschleimhaut an. Die Anhaftung des Keims an die mütterliche Gebärmutterschleimhaut ist ein komplexer Durchdringungsprozess. Damit der Keim nicht abgestossen wird, d.h. damit keine Regelblutung (Menstruation) einsetzt, produziert der Keim selber einen Botenstoff (das Hormon HCG) welcher indirekt dafür sorgt, dass die Gebärmutterschleimhaut weiter bestehen bleibt. Übrigens basieren alle gängigen Schwangerschaftstests auf dem Nachweis des HCG Hormons! Eine Hülle des Embryos beginnt mit der Gebärmutterschleimhaut zu verwachsen, es beginnt sich die Plazenta zu bilden, die für die Ernährung des Embryos zuständig ist. 28 feusi I Berufsmaturität I I Die Zelle Mit der 3. Lebenswoche beginnen besonders einschneidende Veränderungen in der Entwicklung des Embryos. In der Embryoanlage bilden sich weitere Hohlräume (Allantois und Amnionhöhle). Im Embryo lassen sich ausserdem die drei Keimblätter, das Ektoderm, das Mesoderm und das Entoderm, unterscheiden. Die Abkömmlinge der Keimblätter nehmen ganz bestimmte Aufgaben wahr und lassen sich im ausdifferenzierten Körper in ganz bestimmten Organsystemen wiederfinden. Embryo ca. 30 Tage alt Embryo ca. 8 Wochen alt Bereits in den 4 Lebenswochen beginnt das embryonale Herz zu schlagen. Anlagen von Augen und Ohren sind vorhanden und die Arm und Beinknospen werden angelegt. Der Embryo ist nun 4 mm lang und wächst bis zur 6. Woche auf die dreifache Länge. In dieser Zeit werden besonders Augen, Nase, Mund sowie die Extremitäten weiter ausdifferenziert. Das Gehirn und alle wichtigen Organe sind bereits angelegt. Nach Ablauf des zweiten Monats funktioniert beim Embryo ein Zusammenspiel zwischen Sinneseindrücken aus seiner kleinen Umwelt und Reaktionen darauf. Seine Hände haben sich in nur 14 Tagen als zum „Begreifen“ taugliche Werkzeuge herausgebildet. Der Embryo sammelt Erfahrungen und reagiert entsprechend. Mit der 9. Woche beginnt die zweite Phase im eben des jetzt Fötus genannten Ungeborenen. Alle wichtigen Organe und Strukturen sind angelegt, so dass die nun folgende Zeit ganz im Zeichen von Wachstum, Reifung und Entwicklung von Wahrnehmungen und Bewegung steht. Mit dem 4. Monat ist auch die Plazenta fertig ausgebildet. Mütterliches und kindliches Blut fliessen getrennt durch Membranen aneinander vorbei, ohne sich zu vermischen. Dabei kommt es zum Austausch von Nährstoffen, Gasen, Stoffwechselabbauprodukten, aber auch Giften. Drogen und Krankheitskeime können auf diesem Weg zum Fötus gelangen. Ab der zweiten Schwangerschaftshälfte nimmt der Fötus monatlich ca. 700 g zu, bis er ein durchschnittliches Gewicht von 3000 g erreicht hat. Dabei verschieben sich seine Körperproportionen beträchtlich. Nach ziemlich genau 280 Tagen im Mutterleib wird der Fötus geboren, die Stoffwechselfunktionen des Säuglings funktionieren nun eigenständig (Atmung, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung). 29 feusi I I Berufsmaturität Fötus mit ca. 9 Wochen I Die Zelle Fötus mit ca. 15 Wochen Kapitel 6: Fragen zum Verständnis 1. Welche Vor- resp. Nachteile sind mit der sexuellen Fortpflanzung verbunden? 2. Was geschieht mit der Eizelle, nachdem sie befruchtet wurde? 3. Wie unterscheiden sich Embryo und Fötus? 4. Wieso sollten Frauen während der Schwangerschaft auf die Einnahme von gewissen Medikamenten (und anderen Drogen) verzichten? 5. Wie wird die Entwicklung der Körperteile entlang der Längsachse eines Embryos gesteuert? 30