Klausur 1678 Der bei Außenarbeiten in Bernau eingesetzte Strafgefangene S nutzt eine Pause zur Flucht. Um schneller voranzukommen, nimmt er das im Eigentum des E stehende Fahrrad an sich, das E am Straßenrand vor seiner Arbeitsstätte abgestellt und versehentlich nicht abgeschlossen hat, und fährt damit davon. Auf dem Chiemsee-Uferweg muss S einem dort vorschriftswidrig fahrenden Motorradfahrer ausweichen und prallt dabei gegen einen Baum. Da das Vorderrad durch den Aufprall verbogen worden ist, wirft S das Fahrrad in den Chiemsee und flieht zu Fuß weiter. E hatte das Fahrrad vor drei Jahren für den täglichen Weg zu seiner Arbeitsstätte fabrikneu zum Preis von 1.000,- € gekauft; im Zeitpunkt der Ansichnahme durch S hatte das Fahrrad noch einen Wert von 700,- E. E stellt nach einer Woche seine Bemühungen, den Verbleib des Fahrrads zu klären, ein und kauft sich ein neues Fahrrad, das baugleich mit dem alten ist, jetzt aber 1.200,- € kostet. Wieder eine Woche später entdeckt der Fischer F das Fahrrad im Wasser und zieht es heraus. Er geht davon aus, dass der Eigentümer des Fahrrads dieses "entsorgt" hat, und behält das Fahrrad zunächst einige Tage für sich. Sein 16-jähriger Neffe N überredet ihn jedoch dazu, ihm das Fahrrad zu einem - für den gegenwärtigen Zustand angemessenen Preis von 300,- € zu überlassen. Diesen Betrag hat sich N von einem Bekannten ohne Wissen seiner Eltern geborgt, seinen Eltern erzählt er jedoch, F habe ihm das Fahrrad geschenkt. Anschließend lässt N das verbogene Vorderrad in einer Werkstatt reparieren. Die (marktüblichen) Reparaturkosten in Höhe von 80,- bezahlt N von seinem Taschengeld. Seither benutzt N das Fahrrad täglich, auch für seinen Weg zur Schule. Dort entdeckt es E eines Tages zufällig. Da mittlerweile auch S festgenommen worden ist, klärt sich bei den Nachforschungen alles auf. Vermerk für den Bearbeiter: In einem Gutachten, das - gegebenenfalls hilfsgutachtlich - auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, sind in der vorgegebenen Reihenfolge folgende Fragen zu beantworten: 1. Kann E von N Herausgabe und dem Grunde nach eine Vergütung für die zwischenzeitliche Benutzung des Fahrrads durch N verlangen? 2. Unterstellt, N ist zur Herausgabe des Fahrrads verpflichtet: Kann N die Herausgabe des Fahrrads davon abhängig machen, dass ihm E den Kaufpreis in Höhe von 300,- € und die Reparaturkosten in Höhe von 80,- € erstattet? 3. Kann E von S Schadensersatz dafür verlangen, dass er eine Woche lang ohne ein Fahrrad auskommen musste? Ein eventueller Schadensersatzanspruch ist nicht zu beziffern. 4. Unterstellt, E muss dem N die Reparaturkosten in Höhe von 80,- erstatten, um das Fahrrad zurückzuerhalten: Kann E diesen Betrag von S erstattet verlangen? 5. Kann E von S verlangen, dass er ihm den Kaufpreis für das neue Fahrrad erstattet? 6. Unterstellt, S muss dem E den Kaufpreis für das neue Fahrrad ganz oder teilweise erstatten: Kann S dann von E verlangen, dass er ihm Zug um Zug gegen Erstattung dieses Betrages das alte Fahrrad übereignet? 7. Da N sich weigert, das Fahrrad herauszugeben, will E ihn auf Herausgabe verklagen. a) Welches Gericht ist sachlich zuständig? b) Muss die Klageschrift des E an N oder dessen Eltern zugestellt werden? 8. Gesetzt den Fall, dass die Klage des E gegen N auf Herausgabe des Fahrrads in zulässiger Weise erhoben und vom Gericht Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt worden ist und die Ladungen zum Termin ordnungsgemäß erfolgt sind: Welchen Antrag wird E in der mündlichen Verhandlung zweckmäßigerweise stellen, wenn ihm N einen Tag zuvor das Fahrrad herausgegeben hat, aber in der mündlichen Verhandlung kein Vertreter für N erscheint?